Der Invalide Im Gartenplan vor der Schenke Sitzt der alte Invalid, Erzählt von Schlachten und Siegen Und singt manch flammend Lied. Des Dorfes blühende Jugend Umlagert ihn rings im Gras, Die rosigen Mädchen füllen Gar fleißig ihm das Glas. Ein Kindlein auf seinem Schooße Spielt ihm in Bart und Haar; Mit seinem Stock und Säbel Steht Wacht ein Knabenpaar. Des Dorfes Schulmagister, Der Kinder grimmer Tyrann, Sein alter Spielkamerade, Sitzt neben dem Krückenmann. Jetzt streift der Invalide Den einen Aermel hinauf: »Nun will ich euch was erzählen, Nun, Kinder, horchet auf!« Und näher rückt dem Greise Aufhorchend der Knaben Schwarm: Weh, was für böse Schnörkel Trägt eingebrannt dein Arm? »Ich will die Zeichen euch lösen, Schlimm sind die Züge nicht! Denn wer sie versteht, dem deuten Sie die halbe Weltgeschicht'! Am blühenden Strand der Loire Wuchs ich zum Jüngling heran, Da lächelte wie ein Bräutchen Holdselig das Glück mich an. Am blühenden Strand der Loire Ward ein herrliches Mädchen mein; Da schnitt in den Arm dieß Herzlein Und unsere Namen ich ein. Da schien zu Paris der König Mir gegen mich nur ein Wicht; Zwar kannt' ich nur aus den Münzen Sein gutes, rundes Gesicht. Oft fragt' ich, warum auf den blanken Sein Kopf allein wohl steht? Wie hätt' ich's damals errathen, Daß ich nun gar ein Prophet! Einst klang's und flammt' es im Thale Von Feldruf und Waffenschein, Und jubelnde Schaaren brachen Halbnackt und wild herein. Sie schwangen blutrothe Mützen Auf hohen Lanzen empor, Sie jauchzten: Freiheit, Gleichheit! In vollem rauhen Chor. Der Klang thät mir gefallen, Ich trat in ihre Reihn, Sie brannten die flammende Mütze Als Bundeszeichen mir ein. Einst trat vor unsre Schaaren Ein Mann gar ernst und bleich; Er frug nicht, ob wir gehorchten? Er gebot, wir folgten sogleich! Er hielt einen stolzen Adler In seiner kräftigen Hand, Er rief mit donnernder Stimme: Für Ruhm und Vaterland! Sein Ruf thät uns gefallen, Wir folgten mit Jubelgeschrei: Oft mocht' uns dünken, als ob er Wohl selbst der Adler sei. Der Aar that gute Flüge, Er hielt nur kurze Rast Auf Afrika's Pyramiden, Auf Moskau's Czarenpalast; Zu Wien auf dem Stephansthurme, Auf dem Vatikan zu Rom; Am liebsten von Notre Dame Sah er auf der Völker Strom. Bei Mörserklang und Feldruf Und Siegesflammenschein Brannt' auf den Arm den Adler Mit glühendem Stahl ich ein. Der Aar that gute Flüge, Zuletzt entschwand er dem Blick, Und ach, wir sahn ihn nimmer, Und nimmer kam er zurück! Drauf drängten uns fremde Schaaren, Sie strömten Hord' auf Hord', Ei, alte Bekannte aus Feldern Von Süd und Ost und Nord! Sie riefen: Frieden, Frieden! So riefen seit Jahren sie schon, Doch wie sie sonst es riefen, Klang's einen ganz andern Ton. Rechtmäßigkeit und Frieden! So riefen sie All' im Verein, Und brannten die Städte uns nieder Und stampften die Saaten uns ein. Sie schleuderten Friedenspalmen Mit blutigen Schwertern empor, Und krachende Kanonen Spien weiße Lilien hervor! Solch eine glühende Blume Fiel auf den Arm auch mir, Und eingebrannt blieb seither Das Zeichen der Lilie hier. So trag' ich auf meinem Arme Die halbe Weltgeschicht'; Herz, Mütze, Adler und Lilie, Die geben mir treuen Bericht! Die Mütze ist längst zerrissen, Der Aar flog ins Sonnenlicht, Einst welken auch die Lilien, So wie dieß Herz einst bricht. Ich setze meinen König Zu meinem Erben ein, Und dieser Arm mit den Schnörkeln, Der soll sein Erbstück sein. In ein vergüldetes Kästlein Leg' er den Arm sodann, Wie jener alte König Mit den Liedern Homers gethan. Der las des Tages mind'stens Ein Verslein, einen Spruch; So lese mein König fleißig In meinem Historienbuch. Nun, Pädagog, was sagt ihr Zu meiner Weltgeschicht'?« Der meint: In usum Delphini Wär' sie so übel nicht!