15. Der alte Weinkeller bei Salurn Auf dem Rathause des Tiroler Fleckens Salurn an der Etsch werden zwei alte Flaschen vorgezeigt und davon erzählt: Im Jahr 1688 ging Christoph Patzeber von St. Michael nach Salurn in Verrichtungen, und wie er bei den Trümmern der alten Salurner Burg vorüberkam, wandelte ihn Lust an, das Gemäuer näher zu betrachten. Er sah sich im obern Teil um und fand ungefähr eine unterirdische Treppe, welche aber ganz hell schien, so daß er hinabstieg und in einen ansehnlichen Keller gelangte, zu dessen beiden Seiten er große Fässer liegen sah. Der Sonnenstrahl fiel durch die Ritzen, er konnte deutlich achtzehn Gefäße zählen, deren jedes ihm deuchte fünfzig Irten zu halten; an denen, die vorn standen, fehlte weder Hahn noch Kran, und als der Bürger vorwitzig umdrehte, sah er mit Verwunderung einen Wein, köstlich wie Öl, fließen. Er kostete das Getränk und fand es von solchem herrlichen Geschmack, als er zeitlebens nicht über seine Zunge gebracht hatte. Gern hätte er für Weib und Kind davon mitgenommen, wenn ihm ein Geschirr zu Händen gewesen wäre; die gemeine Sage fiel ihm ein von diesem Schloß, das schon manchen Menschen unschuldigerweise reich gemacht haben sollte, und er sann hin und her, ob er nicht durch diesen Fund glücklich werden möchte. Er schlug daher den Weg nach der Stadt ein, vollbrachte sein Geschäft und kaufte sich zwei große irdene Flaschen nebst Trichter und verfügte sich noch vor Sonnenuntergang in das alte Schloß, wo er alles geradeso wiederfand als das erstemal. Ungesäumt füllte er seine beiden Flaschen mit Wein, welche etwa zwanzig Maß fassen konnten, hierauf wollte er den Keller verlassen. Aber im Umdrehen sah er plötzlich an der Treppe, also daß sie ihm den Gang sperrten, drei alte Männer an einem kleinen Tisch sitzen, vor ihnen lag eine schwarze, mit Kreide beschriebene Tafel. Der Bürger erschrak heftig, hätte gern allen Wein im Stich gelassen, hub an inbrünstig zu beten und die Kellerherren um Verzeihung zu bitten. Da sprach einer aus den dreien, welcher einen langen Bart, eine Ledermütze auf dem Haupt und einen schwarzen Rock anhatte: »Komm, sooft du willst, so sollst du allezeit erhalten, was dir und den Deinen vonnöten ist.« Hierauf verschwand das ganze Gesicht. Patzeber konnte frei und ungehindert fortgehen und gelangte glücklich heim zu seinem Weibe, dem er alles erzählte, was ihm begegnet war. Anfangs verabscheute die Frau diesen Wein, als sie aber sah, wie ohne Schaden sich ihr Hauswirt daran labte, versuchte sie ihn auch und gab allen ihren Hausgenossen dessen zu trinken. Als nun der Vorrat all wurde, nahm er getrost die zwei irdenen Krüge, ging wieder in den Keller und füllte von neuem, und das geschah etlichemal ein ganzes Jahr durch; dieser Trunk, der einer kaiserlichen Tafel wohlgestanden hätte, kostete ihn keinen Heller. Einmal aber besuchten ihn drei Nachbaren, denen er von seinem Gnadentrunk zubrachte und die ihn so trefflich fanden, daß sie Verdacht schöpften und argwohnten, er sei auf unrechtem Wege dazu gekommen. Weil sie ihm ohnedes feind waren, gingen sie aufs Rathaus und verklagten ihn; der Bürger erschien und verhehlte nicht, wie er zu dem Wein gelangt war, obgleich er innerlich dachte, daß er nun den letzten geholt haben würde. Der Rat ließ von dem Wein vor Gericht bringen und befand einstimmig, daß dergleichen im Lande nirgends anzutreffen wäre. Also mußten sie zwar den Mann nach abgelegtem Eid heim entlassen, gaben ihm aber auf, mit seinen Flaschen nochmals den vorigen Weg zu unternehmen. Er machte sich auch dahin, aber weder Treppe noch Keller war dort zu spüren, und er empfing unsichtbare Schläge, die ihn betäubt und halbtot zu Boden streckten. Als er so lange Zeit lag, bedeuchte ihn, den vorigen Keller, aber fern in einer Tiefe, zu erblicken; die drei Männer saßen wieder da und kreideten still und schweigend bei einer hellen Lampe auf dem Tisch, als hätten sie eine wichtige Rechnung zu schließen; zuletzt wischten sie alle Ziffern aus und zogen ein Kreuz über die ganze Tafel, welche sie her nach beiseite stellten. Einer stand auf, öffnete drei Schlösser an einer eisernen Tür, und man hörte Geld klingen. Auf einer anderen Treppe kam dann dieser alte Mann heraus zu dem auf der Erde liegenden Bürger, zählte ihm dreißig Taler in den Hut, ließ aber nicht den geringsten Laut von sich hören. Hiermit verschwand das Gesicht, und die Salurner Uhr aus der Ferne schlug elf. Der Bürger raffte sich auf und kroch aus den Mauern; auf der Höhe sah er einen ganzen Leichenzug mit Lichtern vorbeiwallen und deutete das auf seinen eigenen Tod. Inzwischen kam er nach und nach auf die Landstraße und wartete auf Leute, die ihn nach Haus schleppten. Darauf berichtete er dem Rat den ganzen Verlauf, und die dreißig alten Taler bewiesen deutlich, daß sie ihm von keiner oberirdischen Hand waren gegeben worden. Man sandte des folgenden Tags acht beherzte Männer aus zu der Stelle, die gleichwohl nicht die mindesten Spuren entdeckten, außer in einer Ecke der Trümmer die beiden irdenen Flaschen liegen fanden und zum Wahrzeichen mitbrachten. Der Patzeber starb zehn Tage darauf und mußte die Weinzeche mit seinem Leben bezahlen; das gemachte große Kreuz hatte die Zahl der zehn Tage vielleicht vorbedeutet.