Johann Christoph Gottsched Versuch einer critischen Dichtkunst Widmungen Widmungen Der Hochgebohrnen Gräfinn und Frauen, FRAUEN Ernestinen Wilhelminen, verwittweten Freyherrinn von Plotho, gebohrnen Reichsgräfinn von Manteufel, Meiner insonders gnädigen Gräfinn und Frauen, Der Hochgebohrnen Gräfinn, Johannen Henrietten Constantien, gebohrnen Reichsgräfinn von Manteufel, Meiner insonders Gnädigen Gräfinn, wie auch Der Hochgebohrnen Gräfinn, Louisen Marianen, gebohrnen Reichsgräfinn von Manteufel, Meiner insonders Gnädigen Gräfinn. Ode Ode. O Muse! deren reizend Lied Auch Felsenherzen an sich zieht, Und durch die Kraft der Seyten zwinget; Euterpe! schenk mir deine Gunst, Und lehre mich die seltne Kunst, Wie man so sanft als neu, so zart als edel singet. Kein eitler Stolz bethört die Brust, Als hättest du mich längst mit Lust Die matte Cither schlagen lehren. Mich gafft kein Faunus, kein Silvan, Von wegen meiner Lieder an, Und keine Dryas starrt, um meinen Ton zu hören. Drum nimm nur itzt mein schwaches Rohr, Bezaubre selbst der Hörer Ohr, Begeistre du den Klang der Seyten: Laß, wie bey Dichtern alter Art, So Witz, als Anmuth hier gepaart, Die herrschende Vernunft mit heitrer Stirn begleiten. Ihr Gratien! entzieht euch nicht, Und zeigt ein holdes Angesicht Dem Dichter, der euch stets erhoben; Der kein gezwungnes Wesen übt, Und alles das, was ihr nicht liebt, So wenig als ein Lied des rauhen Pans kann loben. Hier seht ihr euer Ebenbild, Drey Nymphen , die ein Geist erfüllt, An Witz und Schönheit Halbgöttinnen: Verstand und Anmuth sind hier gleich, O! laßt mich dießmal nur durch euch Ein auserlesnes Lied zu Ihrem Ruhm beginnen. Wie war dir, edles Trojerblut, Berühmter Paris! dort zu Muth, Als Ida dich zum Richter machte; Als dir die wohlbedachte Wahl Von drey Göttinnen auf einmal, Der größten Schönheit Preis, den goldnen Apfel brachte? Es stund des Himmels ganze Zier, Beglückter Prinz! zugleich vor dir, Die sonst kein sterblich Aug erblicket; Die Götter selbst beneiden dich, Dein ganzes Blut beweget sich, Und dein bezaubert Herz wird aus dir selbst entrücket. O wärst du in der Meißnerflur, Die so viel Gaben der Natur, Als dort der Phrygerstrand verspüret: Wo Pleiß und Elster, Lupp und Baar Mehr sind, als dort Scamander war, Und wo die Lindenstadt mehr Pracht als Troja zieret. Da würdest du drey Schönen sehn, Die mehr, als dazumal geschehn, Dein Urtheil würden schwierig machen: Weil gleicher Schönheit Glanz und Pracht, Und gleicher Anmuth gleiche Macht, Aus jeder Stirn und Brust, aus Mund und Augen lachen. Was die Göttinnen einzeln ziert, Wird hier beglückt vereint gespürt: Muth, Geist und Reizung sind vollkommen. Ein edler Sinn, ein weises Herz, Die sanfte Huld, der süße Scherz, Die haben hier zugleich den Aufenthalt genommen. Der Liebesgöttinn Liljenhaut Ward nie so schön als hier geschaut, Auch nicht der Augen muntres Blitzen: Es könnt auch Pallas selber nicht Ein aufgeweckter Angesicht, Nicht Juno Gang und Schritt von bessrer Art besitzen. Noch mehr! hier herrscht die Tugend auch, Die sonst, nach alter Dichter Brauch, Sehr selten schöne Leiber schmückte: Hier herrscht auch Munterkeit und Witz, Dem sonst so selten Rang und Sitz Bey schöner Glieder Bau und junger Anmuth glückte. Der große Vater lebet hier, Der itzt mit eifriger Begier Die Wahrheit und die Musen schützet: Wie Er bisher mit kluger Hand Dein Wohl erhöht, o Sachsenland! Und dir, Sarmatien! mit Rath und That genützet. Der Glanz, den Du gewonnen hast, Als vormals Rambouillets Palast Dich, eitles Frankreich! stölzer machte; Dein alter Glanz verlosch bey Dir: Doch er verjüngt sich schöner hier, Als Spott und Trägheit ihn bey Dir in Abnahm brachte. Kaum sah man hier des Grafen Haus, So brach der Musen Eifer aus, Ihr Trieb begunnte mehr zu schimmern. Er selbst, als Phöbus, gieng uns vor, Gleich sammelt sich der Künste Chor, Nebst Witz und Wissenschaft, in Seiner Töchter Zimmern, Beglückte Zeit! Beglückte Stadt! Beglückter, wer Erlaubniß hat, Den neuen Pindus selbst zu hören! O müßte doch kein trüber Fall Der angenehmen Seyten Schall Lust, Wirkung, Kunst und Fleiß so edler Musen stören. Empfangt denn, witzerfüllte Drey! Dieß Buch, und setzt es jenen bey, Die Eurem Geiste Nahrung geben. Ihr liebt die Dichtkunst; schützt sie nun! So wird Apollo Euer Thun, Durch Kränze neuer Art, auf späte Zeit erheben. Joh. Chr. Gottsched. Vorrede Vorrede der zweyten Auflage, von 1737. Geneigter Leser, Hiermit habe ich das Vergnügen, dir eine neue und durchgehends verbesserte Auflage meiner Critischen Dichtkunst zu liefern. Es sind nunmehro eben acht Jahre verflossen, da ich dieses Buch zum erstenmal ans Licht stellete, und in währender Zeit ist dasselbe gänzlich abgegangen: obgleich die Regeln der Poesie eben nicht so häufig, als die Anleitungen zu andern freyen Künsten und Wissenschaften gesuchet werden. Wenn ich mir schmeicheln darf, daß dadurch viele einen bessern Begriff von der wahren Dichtkunst bekommen haben, als man vorhin insgemein gehabt; so ist mir die darauf verwandte Mühe reichlich belohnet worden. Zum wenigsten habe ich das Vergnügen gehabt, von vielen Orten her, schriftliche Versicherungen von unbekannten Personen, zu erhalten, daß sie, aus meiner Dichtkunst allererst, das rechte Wesen der Poesie einsehen gelernet. Ja was noch mehr ist, ich habe es mit Lust wahrgenommen, wie seit der Zeit nicht nur in Leipzig, sondern an sehr vielen andern Orten, die Schriften angehender Poeten ein ganz anderes Ansehen gewonnen; daraus denn nicht undeutlich zu spüren gewesen, daß die in meiner Dichtkunst enthaltenen Regeln, ihnen zur Richtschnur gedienet hätten. Doch indem ich dieses süßen Vergnügens, als einer natürlichen Belohnung meiner critischpoetischen Bemühungen, erwähne: so ist es keinesweges ein Stolz oder eine Ruhmredigkeit, die mir solches in den Mund leget. Ich weis es nur gar zu wohl, wie wenige, von denen guten Früchten, die meine Dichtkunst getragen, mir eigentümlich zugehören. Diejenigen großen Leute, die alles, was sie schreiben, aus ihrem eigenen fruchtbaren Geiste hernehmen, und keinem Lehrmeister etwas zu verdanken haben, mögen auf ihre Schriften stolz werden. Sie haben ein Recht dazu, welches ich ihnen nicht streitig machen kann. Sie sind so glücklich, dasjenige in sich selbst zu finden, was Leute von meiner Gattung, nach Art ämsiger Bienen, erst auf fremden Fluren, mit vieler Mühe, zusammen suchen müssen! Ihr unerschöpflicher Witz vertritt bey ihnen die Stelle großer Büchersäle, und einer langweiligen Belesenheit. Daher können sie ungescheut diejenigen Opfer sich selbst anzünden, die wir andern, unsern Vorgängern und Lehrern zu bringen pflegen. Was ist billiger, als daß ein jeder diejenige Quelle krönet, daraus er geschöpfet hat! Und ich bin versichert, daß niemand von diesen großen Geistern mir das Bekenntniß misgönnen wird, das ich schon in der Vorrede der ersten Ausgabe gethan habe: daß ich nämlich alles, was etwann in meiner critischen Dichtkunst Gutes enthalten seyn würde, nicht mir selbst, sondern den größten Critikverständigen alter und neuer Zeiten zu verdanken hätte. Ich erzählte nämlich daselbst gleichsam meinen poetischen Lebenslauf, rühmte diejenigen, aus deren Einsicht ich meinen größten Vortheil gezogen, und durch deren Schriften und mündliche Unterredungen, mir gleichsam die Augen zuerst aufgegangen wären. Und durch das alles war ich bemüht, meinen Lesern zu zeigen, wie ich allmählich auf den Vorsatz gebracht worden, eine critische Dichtkunst zu schreiben. Dieses alles nun zu erwähnen, hatte ich dazumal die größte Ursache, indem ich als ein angehender Scribent noch in dem Ansehen nicht stund, welches meinen Regeln ein Gewichte geben, und meinem Buche, durch mich selbst, eine gute Aufnahme hätte versprechen können. Wie nöthig aber dieses bey allen sey, die sich zu öffentlichen Lehrern aufwerfen wollen, das sah ich nicht nur damals ein; sondern ich erkenne es noch diese Stunde. Wem ist es unbekannt, wie wenige Leser in diesem Falle unparteyisch sind, und bloß auf die Gründe, die jemand anführet, zu sehen pflegen? Und wenn ich gleich itzo die weitläuftige Erzählung weglasse, dadurch ich dazumal meinen critischen Regeln einigen Glauben zu erwerben suchte: so geschieht es keinesweges aus der Ursache, als ob ich mein eigenes Ansehen itzo schon für zulänglich hielte, meine Vorschriften und Urtheile zu bestätigen. Nein, ich erkenne es gar zu wohl, wie viel mir daran fehlet: und wenn bey vielen die von mir angegebenen Gründe nicht zulangen sollten, die vorgetragenen Lehren zu rechtfertigen; so muß ich von neuem, zu denen fliehen, die meine Vorgänger und Lehrmeister in der critischen Dichtkunst gewesen. Ich trage also auch bey dieser neuen Auflage kein Bedenken, zu gestehen, daß ich alle meine critischen Regeln und Beurtheilungen, alter und neuer Gedichte, nicht aus meinem Gehirne ersonnen; sondern von den größten Meistern und Kennern der Dichtkunst erlernet habe. Aristoteles, Horaz, Longin, Scaliger, Boileau, Bossü, Dacier, Perrault, Bouhours, Fenelon, St. Evremond, Fontenelle, la Motte, Corneille, Racine, Des Callieres und Füretiere; ja endlich noch Schaftesbury, Addison, Steele, Castelvetro, Muralt und Voltaire, diese alle, sage ich, waren diejenigen Kunstrichter, die mich unterwiesen und mich einigermaßen fähig gemacht hatten, ein solches Werk zu unternehmen. Daß dieses mein Geständniß aufrichtig gewesen sey, das haben alle Blätter meines Buches sattsam darthun können: und ich habe darinnen auch selbst das Urtheil der Widriggesinnten für mich anzuführen, die mir gar einen Vorwurf daraus gemacht haben. Sie haben mich beschuldiget: ich hätte nur die Franzosen ausgeschrieben: und wäre nicht einmal über die rechten gekommen. Ich danke zuförderst diesen gelehrten Scribenten, für ein solch öffentliches Zeugniß: ob sie es wohl ohne große Scharfsinnigkeit haben ablegen können; nachdem ich selbst alle obige Schriftsteller alter und neuer Zeiten namhaft gemacht, und alles, was in meinem Buche gut war, ihnen zugeeignet hatte. Ich habe es schon oben erwähnet, daß ich so glücklich nicht bin, als gewisse große Geister, die ohne ihre Vorgänger in Künsten und Wissenschaften gelesen zu haben, dennoch ihrem Vaterlande lauter Meisterstücke vorlegen können. Und in dieser Empfindung meiner eigenen Schwäche beneide ich an Ihnen, alle die neuen Einfälle und Entdeckungen, womit sie die Critik schon bereichert haben. Was aber das verhaßte Wort, ausschreiben , anlangt, dessen sich diese scharfsinnige Kunstrichter, nach der ihnen zukommenden dictatorischen Macht auf dem Parnasse, zu bedienen beliebet: so überlasse ich es zwar der Beurtheilung meiner Leser. Diese mögen es entscheiden, ob es nicht ein wenig zu hart sey; zumal von Leuten, die selbst noch nichts als etliche zusammen geraffte Noten und ein halb Schock Uebersetzungen gewisser Stellen haben drucken lassen. Doch gesetzt, sie behielten recht; so würde ich doch vor ihrem Machtspruche so wenig erschrecken, daß ich ihnen vielmehr mit dem berühmten Rollin, aus seiner Vorrede zur alten Historie, antworten würde: POUR EMBELLIR & ENRICHIR MON LIVRE, JE DECLARE, QUE JE NE ME FAIS POINT UN SCRUPULE, NI UNE HONTE DE PILLER PAR TOUT, SOUVENT MÊME SANS CITER LES AUTEURS QUE JE COPIE, PARCE QUE QUELQUEFOIS JE ME DONNE LA LIBERTÉ D'Y FAIRE QUELQUES CHANGEMENS. JE PROFITE AUTANT QUE JE PUIS DES SOLIDES REFLEXIONS QUE L'ON TROUVE DANS – – JE TIRE AUSSI DE GRANDS SECOURS DE – – IL EN SERA AINSI DE TOUT CE QUI ME TOMBERA SOUS LA MAIN, DONT JE FERAI TOUT L'USAGE, QUI POURRA CONVENIR À LA COMPOSITION DE MON LIVRE, & CONTRIBUER À SA PERFECTION. Wollen sie wissen, wie ich diese meine Freyheit verantworten wolle, so werde ich ihnen, mit folgenden Worten eben dieses großen Mannes, die Erklärung geben: JE SENS BIEN QU'IL- Y A MOINS DE GLOIRE À PROFITER AINSI DU TRAVAIL D'AUTRUI, & QUE C'EST EN QUELQUE FORTE RENONCER À LA QUALITÉ D'AUTEUR: MAIS JE N'EN SUIS PAS FORT JALOUX & SEROIS FORT CONTENT, & ME TIENDROIS TRÉS-HEU REUX, SI JE POUVOIS ÊTRE UN BON COMPILATEUR, & FOURNIR UN LIVRE PASSABLE À MES LECTEURS, QUI NE SE METTRONT PAS BEAUCOUP EN PEINE, SI'L VIENT DE MON FONDS OU NON, POURVÛ QU'IL LEUR PLAISE. Und bey dieser Verantwortung werde ich so kühn, daß ich auch das Herz fasse, noch mehrere alte und neue Scribenten anzuführen, die ich bey dieser neuen Auflage gebrauchet habe, um mich theils in meinen alten Begriffen zu bestärken, theils aber auch dieselben noch vollkommener ins Licht zu setzen. Diese sind nun, von Italienern Riccoboni, in seiner Historie der italienischen Schaubühne; ferner das PARAGONE DELLA POESIA TRAGICA D'ITALIA CON QUELLA DI FRANCIA, eines Ungenannten, nebst der langen Einleitung des Herrn Muratori zu seinem TEATRO ITALIANO, so er 1728. in drey Octavbänden zu Verona heraus gegeben. Von Franzosen sind mir P. Rapin in seinen REFLEXIONS SUR LA POETIQUE, und in den COMPARAISONS DES GRANDS HOMMES; der Pater Brümois in seinem THEATRE DES GRECS; des Abts Hedelin von Aubignac PRATIQUE DU THEATRE, die uns der gelehrte Herr von Steinwehr neulich so geschickt ins Deutsche übersetzet hat; und des Herrn REMOND DE ST. MARD REFLEXIONS SUR LA POESIE EN GENERAL, & SUR LES AUTRES PETITS POEMES, in meiner Arbeit behülflich gewesen. Von Engländern habe ich den Tractat eines Unbekannten THE TASTE OF THE TOWN IN ALL PUBLICK DIVERSIONS; ferner des Herrn Ramseys TRAVELS OF CYRUS, und des Herrn POPE ESSAY OF CRITICISM, nebst seiner LITTERARY CORRESPONDENCE fleißig zu Rathe gezogen, und beständig vor Augen gehabt. Ja auch von Alten habe ich mir aus des Plato Buche von der Republik, auch aus dem Cicero, Quintilian und Seneca so manches; von neuern Kunstrichtern aber den Casaubonus DE POESI SATYRICA, des Heinsius Buch DE TRAGOEDIAE CONSTITUTIONE, den Isaac Vossius DE POEMATUM CANTU ET VIRIBUS RHYTHMI; des Seb. Regulus Erklärung über das I.B. der Aeneis, nebst Rappolts POETICA ARISTOTELICA, zu Nutze gemacht. Und hiermit lege ich also allen, die gern Machtsprüche von Büchern fällen, ohne sie gelesen zu haben, nochmals das spottleichte Urtheil in den Mund: er hat ausgeschrieben! Ob ich aber bey diesem meinem Ausschreiben, wie es ferner heißt, über die unrechten Bücher gerathen; das ist gleichfalls eine Sache, die ich lediglich dem Urtheile meiner Leser und allen Verständigen überlasse. Es kann seyn, daß der tiefsinnige Richter, der mir dergestalt den Stab gebrochen, hierinn eine bessere Einsicht hat, als wir andern unwissenden Leute. Es kann seyn, daß er die Schriften der Ausländer nach einem andern Probiersteine beurtheilet; nach welchem er dasjenige schlecht findet, was ich mit so vielen andern hochschätze. Allein, so lange er unserer Einfalt mit seiner Weisheit nicht unter die Arme greift; so lange er uns die wahren Kennzeichen guter Scribenten nicht bekannt macht: so kann er es von uns nicht begehren, daß wir alles so genau treffen sollten, als er es zu treffen gewohnt ist; und wir ersuchen ihn indessen um nichts mehr, als mit unsrer Schwachheit ein Mitleiden zu haben. Vielleicht werden wir es mit der Zeit auch noch einsehen lernen, wenn wir nur, unsrer natürlichen Trägheit wegen, so weit kommen können, als er schon gekommen ist. Ich war anfangs Willens, aus meiner ersten Vorrede die Rechtfertigung des Titels, den ich meinen Buche gegeben, da ich es eine critische Dichtkunst genennet, und da ich behaupte, daß das Wesen der Dichtkunst in der Nachahmung bestünde, bey dieser neuen Ausgabe zu wiederholen. Allein bey reiferer Ueberlegung halte ich es für überflüssig. Das Critisiren ist seit einigen Jahren schon gewöhnlicher in Deutschland geworden, als es vorhin gewesen: und dadurch ist auch der wahre Begriff davon schon bekannter geworden. Auch junge Leute wissens nunmehro schon, daß ein Criticus oder Kunstrichter nicht nur mit Worten, sondern auch mit Gedanken; nicht nur mit Sylben und Buchstaben, sondern auch mit den Regeln ganzer Künste und Kunstwerke zu thun hat. Man begreift es schon, daß ein solcher Criticus ein Philosoph seyn, und etwas mehr verstehen müsse, als ein Buchstäbler; der nur verschiedene Lesarten, oder besser zu sagen, die Schreib- und Druckfehler sammlen; oder sonst aus einem ANTIBARBARO die lateinischen Wörter herzählen kann, die nur in den schlechtesten Scribenten der Römer vorkommen. Man hat auch schon ziemlich aufgehört, alle Reimschmiede für Poeten anzusehen, und weis hin und wieder von dem Inhalte der Gedichte mit ziemlicher Einsicht zu urtheilen. Ich will also lieber noch mit wenigem melden, was in dieser neuen Auflage sonderlich verändert oder verbessert worden. Zuförderst habe ich des Horaz ARTEM POETICAM, in der Grundsprache zu meiner Uebersetzung drucken lassen: damit man bey meinem, hier und da noch sehr unvollkommenen Ausdrucke seiner Gedanken, die Zuflucht zu dem Grundtexte selbst nehmen könnte. Ohngeachtet ich nun meine Uebersetzung nochmals übersehen und zu verbessern gesucht: so ist mir doch eine Stelle entwischet, die einer Ausbesserung nöthig gehabt hätte; und die mir von einem werthen Freunde und großen Kenner des Alterthums angemerket worden. Es steht selbige bald forne, und heißt im Lateinischen AEMILIUM CIRCA LUDUM FABER IMUS ET VNGUES EXPRIMET ETC. Hier sind die Worte AEMILIUM CIRCA LUDUM, nicht recht ausgedrückt, und sollten heißen: Beym Fechterplatz Aemils läßt man sich Bilder gießen. Was sonst fast in allen Hauptstücken für Veränderungen und Zusätze hinzugekommen, das will ich hier nicht nach der Länge erwähnen. Ich habe die Schreibart des ganzen Buches durch und durch verbessert, und so viel, als möglich, in einen untadelichen Stand gesetzt. Viele dunkle Stellen habe ich deutlicher gemacht, viele, die eines ausführlichern Vortrages bedurften, erläutert; viele Zeugnisse und Exempel aus den besten Scribenten angeführt; auch im andern Theile einige neue Stücke von meiner Arbeit, sonderlich in den Capiteln von Oden, Schäfergedichten und Elegien hinzugesetzt. In dem Capitel von Cantaten und von Opern, sind sonderlich ganz neue Absätze hinzugekommen, dasjenige, was ich vorhin nicht völlig ausgeführet hatte, mehr ins Licht zu setzen. In dem Capitel von Sinn- und Scherzgedichten ist eine kurze Abhandlung von Devisen und Sinnbildern eingerücket worden; auch in den übrigen Capiteln ist mancher, obwohl kleiner Zusatz, hin und wieder eingeflossen. Endlich habe ich auch in dem I. Th. in dem XII. Capitel von der poetischen Schreibart gewissen Einwürfen, die man mir wegen der Eintheilung der guten Schreibart neulich gemacht, ein Gnügen zu thun gesucht. Was noch sonsten von Seiten des Verlegers bey dieser Auflage gutes geleistet worden, das wird dem geneigten Leser der Augenschein geben. Die Schrift ist neu, und weit sauberer, als vorhin. Das Papier ist stark und von ansehnlicher Größe. Auch an Zierrathen hat man es an bequemen Orten nicht fehlen lassen. Ja über das alles ist auch ein nützliches und vollständiges Register beygefüget worden. Durch alle diese Aenderungen nun ist das ganze Buch über zwey Alphabethe stark geworden, da sich vorhin alles in allem nur auf 40. Bogen belaufen hat. Nun weis ich wohl, daß viele es sehr ungern sehen, wenn neue und vermehrte Ausgaben von Büchern, die sie schon besitzen, herauskommen. Allein zu geschweigen, daß niemand ein Recht hat, einem Schriftsteller die Ausbesserung seiner Arbeit zu verwehren; da ja ein Tag den andern lehret, und derjenige noch gebohren werden soll, der gleich auf einmal ein Meisterstück zu Stande bringen kann: so versichre ich dennoch, daß, in den wesentlichen Stücken, diese neue Auflage vor der erstern keinen Vorzug hat. Es sind hier noch eben die Grundsätze und Regeln anzutreffen, die in jener enthalten waren. Es ist nichts weggeblieben oder widerrufen worden, was von der geringsten Erheblichkeit zu seyn scheinen könnte. Folglich können diejenigen, welche die erste Auflage besitzen, sich derselben so ruhig bedienen, als ob gar keine neuere herausgekommen wäre. Was endlich, aller angewandten Sorgfalt ungeachtet, dennoch für Druckfehler mit untergelaufen, das wird der geneigte Leser, gütigst zu verbessern belieben und dem Verfasser ferner zugethan und gewogen bleiben. Neue Vorrede Neue Vorrede zur dritten Auflage von 1742. Mein Vergnügen, das ich bey der andern Ausgabe dieses Buches, vor vier bis fünf Jahren bezeuget habe, hat sich billig bey dieser dritten verdoppeln müssen. Die wiederholten zahlreichen Abdrücke desselben, haben sich in der halben Zeit verkaufen lassen, darinn die erste Auflage von 1729. abgegangen war; und mir also einen doppeltstarken Beweis, von der guten Aufnahme dieser poetischen Anweisung an die Hand gegeben. Wollte ich mich nun den angenehmen Empfindungen eines Schriftstellers überlassen, womit ihn die Eigenliebe bey solchen Vorfällen erfüllen kann; so hätte ich hier die schönste Gelegenheit dazu. Wenn andre, deren Bücher Ladenhüter bleiben, auf den verderbten Geschmack unsrer Landes-Leute schmählen: so dörfte ich nur auf den öffentlichen Beyfall der Käufer und Leser meiner Dichtkunst trotzen; und daraus entweder den gereinigten Geschmack der deutschen Nation, oder doch den Beweis herleiten, daß mein Buch nicht ohne Nutzen gewesen seyn müsse. So gerecht aber hierinnen meine Folgerungen vielleicht seyn würden, so will ich sie doch nicht selber machen, sondern es lieber der unparteyischen Nachwelt überlassen, ein freyes Urtheil davon zu fällen; welches weder ein Freund, der mir eine Vorrede dazu machte, noch ein Feind, dem das Glück meines Buchs ein Dorn in den Augen wäre, mit solchem Nachdrucke abfassen könnte. Ich übergehe also diese schmeichelhafte Betrachtung billig mit Stillschweigen; und rechne es mir mit größerm Rechte für eine Ehre an, daß ich in dem Vorsatze, eine Critische Dichtkunst zu schreiben, seit einiger Zeit einen Nachfolger bekommen habe. Ein gelehrter Mann und Kunstrichter in Zürich hat sich die Mühe genommen, diejenige Bahn, die ich nunmehr vor dreyzehn Jahren, als ein junger Schriftsteller zuerst gebrochen, auch zu betreten, und ein doppelt stärkeres und folglich theureres Buch, als dieses meinige ist, von der Dichtkunst ans Licht zu stellen. Und was das angenehmste bey der ganzen Sache ist, so hat dieser tiefsinnige Mann, seiner gelehrten Waare keinen bessern und reizendern Titel geben zu können geglaubet, als wenn er ihn meinem Buche abborgete, und das seinige gleichfalls eine Critische Dichtkunst betitelte. Ich weis wohl, daß es eigensinnige Köpfe giebt, die sich einbilden, ein Schriftsteller, der sich einmal gewisser Wörter bemächtiget hat, seiner Schrift einen Namen zu geben, der habe sich dadurch, nach dem Rechte der Natur, das Recht des Eigenthums darauf erworben, und sey nunmehro befugt, alle andre von dem Gebrauche derselben auszuschließen. Noch andre glauben mit dem scharfsinnigen Bäyle, und nach dem Beyspiele gewisser Schriftsteller voriger Zeiten: es sey eine Beschimpfung für den Urheber eines Buches, wenn sich bald darauf ein andrer über dieselbige Materie hermacht, und in einerley Absichten die Feder ansetzet. Denn, sagen sie, glaubte dieser neue Schriftsteller, daß sein Vorgänger seine Pflicht recht erfüllet, und sein Vorhaben zulänglich ausgeführet hätte: so würde er sich gewiß nicht zum andernmale daran gemachet haben. Eine Ilias nach dem Homer zu schreiben, das heißt also, nach der Meynung dieser Richter, eben so viel, als diesen Dichter mit seiner Arbeit verwerfen, und ihm auf eine verdeckte Art in die Augen sagen, daß sein Werck nichts tauge, und noch einmal ausgearbeitet werden müsse. Allein so wahrscheinlich auch immermehr diese Schlüsse zu seyn scheinen mögen: so kann ich mich doch denenselben nicht ergeben. Ich sehe es gar zu deutlich ein, daß man mir durch solche Einstreuungen die Freude versalzen will, die ich über einen critischen Nachfolger von solcher Wichtigkeit, billig empfunden habe. Ohne Ruhm zu melden, bin ich der erste gewesen, der unserer Nation eine Critische Dichtkunst zu liefern das Herz, oder die Verwegenheit gehabt. Hätte ich nun darinn, nach dem Urtheile der Kenner, eine unnöthige Mühe übernommen; und wären andre aufgestanden, welche die Poesie von dem Joche der Beurtheilungskunst zu befreyen unternommen hätten: so wäre dieses unstreitig eine Kränkung für mich gewesen, zumal, wenn diese gar einen größern Beyfall bekommen, und das Andenken aller Critik gleichsam verhaßt und ehrlos gemachet hätten. Allein dieses harte Schicksal hat mich, zu allem Glücke, nicht betroffen. Die gelehrtesten Männer in Zürich bestärken durch ihren Beyfall mein Urtheil, daß es nöthig sey, eine Dichtkunst critisch einzurichten: ja, was das meiste ist, sie folgen meinem Exempel selber nach, und führen etwas von demjenigen, nach ihrer Art, weitläuftiger aus, was ich mit so gutem Grunde und Beyfalle angefangen hatte. Bey dieser Vorstellung nun rühren mich die vorigen Einwürfe gar nicht. Der Gebrauch der Wörter ist ja von der Art derjenigen Dinge, die in dem Rechte der Natur, nach Art der Luft, des Sonnenlichtes und des Wassers großer Flüsse, bey allem Gebrauche derselben, unerschöpflich sind, und also allen gemein bleiben müssen. Warum sollte also nicht ein Schriftsteller das Recht haben, sein Kind zu taufen, wie er will, wenn gleich ein anderer dem Seinigen eben den Namen gegeben hat? Warum sollte dasjenige in Zürich niemanden frey stehen, was mir in Leipzig freygestanden hat? Oder, warum sollte ich böse werden, daß ein andrer meine Erfindung auf die kräftigste Art, die nur erdacht werden kann, gebilliget hat? Der andre Einwurf scheint noch gefährlicher zu seyn, ist es aber in der That nicht; wenn man nur die Sache in genauere Betrachtung zieht. Es kömmt bey den Büchern nicht nur auf ihren Titel, sondern auch auf den Inhalt an. So gleichlautend oft jener auf zweyen Werken ist, so ungleich kann doch dieser letztere seyn; und ich darf mich, ohne stolz zu thun, nur auf die zürcher, und leipziger critische Dichtkunst beruffen. Der Inhalt unsrer Bücher ist in den allermeisten Stücken und Capiteln so weit von einander unterschieden, daß man sie schwerlich für einerley Buch halten wird, wenn man sie nur ein wenig betrachten will. Z.E. Da ich in meiner Dichtkunst, nach der allgemeinen Abhandlung des Zubehörs zur Poesie, von allen üblichen Arten der Gedichte gehandelt, und einer jeden ihre eignen Regeln vorgeschrieben habe; dadurch Anfänger in den Stand gesetzt werden, sie auf untadeliche Art zu verfertigen; Liebhaber hingegen, dieselben richtig zu beurtheilen: so hält die zürcherische Dichtkunst nichts von dem allen in sich. Man wird daraus weder eine Ode, noch eine Cantate; weder ein Schäfergedichte, noch eine Elegie; weder ein poetisches Schreiben, noch eine Satire; weder ein Sinngedicht, noch ein Lobgedicht; weder eine Epopee, noch ein Trauerspiel; weder eine Comödie noch eine Oper machen lernen. Alles dieses steht in der zürcher Dichtkunst nicht: es sey nun, weil etwa in allen diesen Stücken die Critik nichts zu sagen hat; oder weil man ein Poet seyn kann, ohne eins von allen diesen Stücken zu verfertigen. Wer also dieselbe in der Absicht kaufen wollte, diese Arten der Gedichte daraus abfassen zu lernen, der würde sich sehr betrügen, und sein Geld hernach zu spät bereuen. Ich weis gewiß, daß viele hier voller Verwunderung fragen werden: was denn nun endlich in einer Dichtkunst von zween starken Octavbänden stehen könne, wenn es an den wesentlichsten Theilen eines solchen Buches fehlet? Allein diese Frage wird mir gewiß niemand machen, als der sich nicht besinnet, daß der Urheber derselben einer von den bekannten Zürcher Malern sey, welche vor zwanzig Jahren, in ihren sogenannten Discursen, die Sitten ihrer Stadt abgeschildert haben. Hat nun Herr von Fontenelle richtig geurtheilet, daß jedermann die Welt mit solchen Augen ansehe, die sich zu seinen Absichten schicken; der Held z.E. für einen schönen Platz, Menschen zu erwürgen; der Gärtner für einen bequemen Raum, Gärten zu pflanzen; der Verliebte, für eine gute Gegend zu buhlerischen Abentheuern u.s.w. was war wohl von unserm Maler anders zu vermuthen, als daß er die ganze Dichtkunst in eine Kunst zu Malen , verwandeln, und von lauter poetischen Malereyen , und denen dazu nöthigen Farben handeln würde? Fällt nun dabey jemanden die nützliche Regel ein, die obgedachten Zürcher Malern, von einem Kunstverständigen aus Hamburg, in einem schönen Sinngedichte gegeben worden, das im III. B. der Poesie der Niedersachsen, auf der 250sten S. steht; und verlangt er von mir zu wissen, ob sie in diesem Buche besser beobachtet worden, als in jenen sittlichen Malereyen? so muß ich ihm aus Höflichkeit die Antwort so lange schuldig bleiben, bis wir in Leipzig die zürcherische Bergsprache besser werden gelernet haben. Wie also, damit ich wieder auf meinen Zweck komme, die Ilias Homers, durch die neuere Ilias desjenigen Dichters nicht um ihren Werth gebracht worden; der sich vorgenommen hatte, den ganzen trojanischen Krieg zu besingen, und tausend schöne Sachen nachzuholen, die sein Vorgänger übergangen hatte; indem vielmehr diese vermeynte größere Ilias, vom Aristoteles, in Ansehung der homerischen, die kleine Ilias genennet worden: also könnte es leicht kommen (doch ohne mich auf einige Weise mit dem Homer zu vergleichen, als mit dessen Werke mein Buch gar keine Aehnlichkeit hat) daß auch die zürcherische Dichtkunst, so stark sie ihrer Größe und Absicht nach ist, dennoch bey dem Mangel so vieler nöthigen Hauptstücke, von allen üblichen Arten der Gedichte, gegen die meinige zu rechnen, bey der Nachwelt, nur eine kleine Dichtkunst genennet würde. Ich habe mich bisher mit Fleiß nur immer auf Zürich, und nicht auf die ganze Schweiz bezogen; ganz anders, als bisher von vielen unsrer misvergnügten Schriftsteller geschehen; die insgemein die Schuld von ein paar Kunstrichtern, der ganzen löblichen Eidgenossenschaft auf den Hals gewälzet haben. Und gesetzt, ich wäre selbst bisher, auch wohl in dieser neuen Auflage meiner Dichtkunst, in dieses Versehen gefallen: so will ich doch hiermit selbiges allen andern Einwohnern dieses ansehnlichen Landes abgebethen haben; seit dem ich von etlichen wackern und gelehrten Männern, aus benachbarten Cantons, belehret und versichert worden: daß die ganze Schweiz den zürcherischen Kunstrichtern in ihren Lehrsätzen und Urtheilen eben nicht beypflichte, vielweniger dieselben dazu bevollmächtiget habe, allem deutschen Witze Hohn zu sprechen. Ich will doch, weil man mir in Zürich das Exempel dazu gegeben hat, einmal auch als ein Mathanasius thun, und Stellen aus ein paar Briefen anführen, die ich deswegen, nur vor kurzem, und in währendem Drucke dieses Buches, erhalten habe. Der erste vom 1. des Wintermonats hat folgendes: Wir haben hier mit Freuden und Vergnügen gesehen, daß B – – und Br – – – hin und her in Deutschland nach Verdienen hergenommen werden. Der Hochmuth und die Einbildung dieser Leute ist unerträglich. Es ist sich aber nicht zu verwundern: die Herren von Zürich haben große Einbildung, weilen sie in dem ersten Canton der Schweiz gebohren sind. Es ist unglaublich, wie groß die Einbildung der Herren von Zürich wegen diesem Vorsitz ist, der doch nichts zu bedeuten hat. Ich versichere sie aber, daß Zürich von allen vernünftigen Schweizern als das helvetische Siberien, in welchem große Wörter- und Sprachmänner entstanden, da aber Witz und Verstand wenig Platz finden, angesehen wird. Die Sitten, die Sprache, die Lebensart, die Kleidung der Züricher ist von der unsern so unterschieden, daß man glauben sollte, sie wären mehr denn hundert Meilen von uns entfernet. Das ist gewiß, daß sie arbeitsame Leute, aber in geist- und vernünftigen Sitten, werden sie noch lange Zeit grobe Schweitzer bleiben. Das andere Schreiben ist vom 3ten desselben Monats, und darinn drücket man sich so aus. Wir nehmen an dem Kriege, den unsere Landsleute von Zürich wider die ganze deutsche Nation vorgenommen haben, kein Theil. Fertiget man sie ferner ab, wie es in einem periodischen Werke zu Leipzig erst vor kurzem geschehen ist, so wird ihnen die Lust vergehen. Wir wünschen unsern Landsleuten mehrere Liebe zum Frieden und zum natürlichen; so werden sie von Deutschland ablassen, und mit Miltons Liebhabern anbinden. Nach solchen feyerlichen und einstimmigen Erklärungen zweener berühmten schweizerischen Gelehrten, habe ich meinem Gewissen nach, nicht anders gekonnt, als daß ich, an statt der allgemeinen Benennung die besondere erwählet; werde es auch künftig allemal so halten, wenn man mich nöthigen sollte, wider meine Neigung, meine Feder zu critischen Streitschriften zu ergreifen. Kürzlich noch etwas von den Vorzügen dieser neuen Ausgabe zu erinnern, muß ich dem geneigten Leser folgendes melden. Zuförderst habe ich in diesem Buche vom Anfange bis zum Ende, die Schreibart nochmals mit der größten Sorgfalt und Aufmerksamkeit ausgebessert; als worinn man immer, nach Verfließung einiger Zeit, kleine Unachtsamkeiten entdecket, die man gleich anfangs nicht wahrgenommen. Zweytens habe ich auch in den Regeln und Vorschriften, zu mehrerer Erläuterung und Bestärkung derselben, noch manches beygefügt, das in den vorigen Ausgaben nicht gestanden; auch hin und wieder manchen Scribenten angeführt, worinn dasjenige mit mehrerm nachgelesen werden kann, was ich nur kurz hatte anführen können. Drittens habe ich auch an verschiedenen Orten, denen Einwürfen begegnen müssen, die man in öffentlichen critischen Schriften, zumal aus Zürich her, dagegen gemacht: doch habe ich mich sowohl der Namen meiner Gegner, als aller Anzüglichkeiten billig enthalten; als welche nichts zur Sache thun, und vielmehr einen Uebelstand machen würden. Habe ich aber, was den miltonischen Geschmack betrifft, den man uns, nach Verbannung des marinischen, mit Gewalt aufdringen will, mich bisweilen, von der Sache selbst harter Redensarten bedienet: so bedenke man, daß der Eifer wider ein besorgliches Uebel, welches den bisherigen Glanz unsrer Muttersprache und freyen Künste bald wieder verdunkeln könnte, uns leicht zuweilen einnehmen, und solche Ausdrückungen in den Mund legen kann, die man sonst ungern gebrauchen würde. Endlich so ist das Wichtigste, und wodurch diese Ausgabe unfehlbar einen großen Vorzug vor allen vorigen erhalten wird, dieses: daß ich nicht nur im ersten Theile dieses Buches, mehr Exempel aus guten und schlechten Dichtern angeführet; sondern auch im an dern Theile, bey allen Capiteln, wo vorhin Exempel von meiner eigenen Arbeit stunden, lauter Meisterstücke von unsern besten Dichtern eingeschaltet habe. Ich habe aber dieselben mit gutem Bedachte nicht eben aus den neuesten, die ohnedem in aller Händen sind, und die auch ohne mein Zuthun gelesen werden; sondern aus den altern, als Opitzen, Flemmingen, Dachen, Racheln, Neukirchen u.d.m. die nicht ein jeder hat, oder lieset, hergenommen. Ich will aber dadurch, daß ich sie zu Mustern anführe, nicht eben alle kleine Fehler der Wortfügung, des Sylbenmaaßes und der Reime billigen; die man noch hin und her, als Ueberbleibsel des vorigen Jahrhunderts anmerken wird. Nein, ich will nur den gesunden und männlichen Geschmack dieser Helden in unsrer Sprache und Dichtkunst anpreisen, und bekannter machen; um wo möglich, der neuen Sucht, gekünstelt, versteckt und unergründlich zu schreiben, die sich hin und her reget, zu steuren. Erlange ich dieses, so wird mich auch in diesem Stücke mein gefaßter Entschluß niemals gereuen. Geschr. im Jenner 1742. Gottsched. Horaz von der Dichtkunst Vorbericht Vorbericht. Ich habe es für dienlich erachtet, an statt einer Einleitung zu meiner deutschen Poesie, das treffliche Gedichte des Horaz zu übersetzen, worinnen dieser große Kenner und Meister der Poesie von der Dichtkunst gehandelt hat: ohngeachtet es eigentlich nur in Form eines Schreibens an ein vornehmes Geschlecht der Pisonen abgefasset ist. Die Menge schlimmer Poeten mochte zu dieses Dichters Zeiten in Rom noch sehr groß seyn. Siehe den 108 v. des I Br. II B. Ein jeder, der nicht faul war, stümpelte etwas zusammen, das zwar ein ziemlich richtiges Sylbenmaaß hatte; aber weder durch seinen sinnreichen und feurigen Inhalt von dem Geiste, noch durch die ordentliche Einrichtung von dem Urtheile, noch endlich durch die regelmäßige Schreibart von der Kunst seines Meisters ein Zeugniß ablegte. Gleichwohl wollten alle diese Versmacher Poeten heißen: ja einige davon, die durch ihre Geschwindigkeit im Dichten, und durch den Beyfall des Pöbels verleitet waren, unterstunden sich gar, den großen Geistern, die sich dazumal am römischen Hofe aufhielten, den Preis streitig zu machen. Die Schriften unsers Horaz zeigen an hundert Stellen unzählige Spuren davon: und sogar Virgil, so wenig er sonst zur Satire geneigt war, hat sich nicht enthalten können, auf einen Bav und Mäv, als auf ein paar eingebildete Poeten, zu sticheln. Horaz, einer der aufgeklärtesten Köpfe seiner Zeit, konnte aus einem gerechten Eifer für den guten Geschmack, den Stolz solcher Stümper nicht leiden: zumal, da er sehen mußte, daß der große Haufe seiner Mitbürger von diesen unzeitigen Sylbenhenkern ganz eingenommen war. Denn die Römer waren auch zu Augusts Zeiten lange so gescheidt noch nicht, als vormals die Athenienser in Griechenland gewesen waren. Die freyen Künste hatten in Italien spät zu blühen angefangen, und der gute Geschmack war damals noch lange nicht allgemein geworden. MANENTQUE ADHUC VESTIGIA RURIS, hieß es auch in diesem Stücke. Nach Regeln von Dingen zu urtheilen, das ist ohnedieß kein Werk für unstudirte Leute, ja nicht einmal für Halbgelehrte: und daher kam es, daß Horaz theils seinen Römern eine Anleitung geben wollte, wie sie die Schriften ihrer Poeten recht prüfen könnten; theils auch der großen Anzahl der damaligen Versmacher die Augen zu öffnen suchte, damit sie nicht ferner, aus blinder Eigenliebe, ihre Misgeburten für Meisterstücke ausgeben möchten. In dieser Absicht nun trug er aus den griechischen Scribenten, die vor ihm davon geschrieben hatten, die vornehmsten Hauptregeln zusammen, und verfertigte ein herrliches Gedichte daraus. Er richtete solches an die Pisonen, das ist an den Vater Piso, der mit dem Drusus Libo im 738sten Jahre der Stadt Rom, als Horaz Jahre alt war, Bürgermeister geworden; und an dessen beyde Söhne. Dieser Piso war ein Liebhaber und großer Kenner der Poesie, und sein ältester Sohn mochte selbst viel Lust und Naturell dazu haben, wie aus dem Gedichte sattsam erhellen wird. Solchen ansehnlichen Leuten nun, die am kaiserlichen Hofe in großen Gnaden stunden, wollte Horaz eine Richtschnur in die Hand geben, darnach sie sich in Beurtheilung aller Gedichte achten könnten: Zu gleicher Zeit aber wollte er den guten Geschmack des Hofes in ganz Rom und Italien ausbreiten; nachdem er sich selbst, durch unabläßigen Fleiß in griechischen Büchern, sonderlich durch Lesung der critischen Schriften des Aristoteles, Crito, Zeno, Democritus und Neoptolemus von Paros, in den Regeln desselben recht fest gesetzet hatte. Indessen muß niemand denken, daß hier der Poet ein vollständiges systematisches Werk habe machen wollen. Die größten Bewunderer desselben gestehen, daß es ohne alle Ordnung geschrieben sey, ja daß es bey weitem nicht alle Regeln in sich fasse, die zur Poesie gehören. Der Verfasser hat sich an keinen Zwang einer philosophischen Einrichtung binden wollen; sondern als ein Poet nach Veranlassung seiner Einfälle, bald diese, bald jene poetische Regel in einer edlen Schreibart versweise ausgedrückt, und mit Exempeln guter und schlechter Poeten erläutert. Aber alles, was er sagt, ist höchst vernünftig, und man kann sich von seinen Vorschriften kein Haar breit entfernen, ohne zugleich von der Wahrheit, Natur und gesunden Vernunft abzuweichen. Die unordentliche Vermischung seiner Regeln dienet nur dazu, daß durch diese Mannigfaltigkeit und unvermuthete Abwechslung der Sachen, der Leser destomehr belustiget und eingenommen wird. Es ist diese Dichtkunst des Horaz bereits von dem berühmten Herrn von Eckardt ins Deutsche übersetzt worden, und in den poetischen Nebenstunden, die er unter den Buchstaben H.A.E.G.v.D. herausgegeben, anzutreffen. 1 Ob ich es nun besser oder schlechter getroffen habe, als diese gelehrten Männer, das mag der geneigte Leser selbst beurtheilen. Ich hatte die erste Uebersetzung mehr als einmal durchgelesen, als ich schlüßig ward, mich selbst einmal an eben dieselbe Arbeit zu wagen: ich bildete mir aber nicht ein, daß es mir so viel Mühe kosten würde, als ich hernach in der That gewahr wurde. Die nachdrückliche Wortfügung der lateinischen Sprache, der zuweilen abgebrochene Ausdruck des Horaz, nebst vielerley Kunstwörtern und Alterthümern, die sich so schwer deutsch geben lassen; dieses alles, sage ich, machte mir die Arbeit so sauer, daß ich sie beynahe wieder hätte liegen lassen, als ich schon den dritten Theil davon fertig hatte. Doch nach Jahresfrist griff ich sie von neuem an, und brachte endlich das ganze Gedichte in den Stand, darinn ich es hier ans Licht stelle. Ich rühme mich nicht, daß ich es von Zeile zu Zeile, vielweniger von Wort zu Wort gegeben hätte: denn dieses ist zum theil unnöthig, theils auch, aus obenerwähnten Ursachen, unmöglich gewesen. Aus fünfhundert lateinischen Versen habe ich mich genöthiget gesehen, fast 700 deutsche zu machen; wiewohl ich die Regel stets vor Augen hatte: Ein Uebersetzer müsse kein Paraphrast oder Ausleger werden. Habe ich aber nur in hauptsächlichen Dingen nichts versehen oder geändert: so wird mans verhoffentlich so genau nicht nehmen, wenn gleich der völlige Nachdruck aller horatianischen Sylben und Buchstaben nicht erreichet worden. Ein prosaischer Uebersetzer muß es hierinn genauer nehmen: einem poetischen aber muß man, in Ansehung des Zwanges, dem er unterworfen ist, schon eine kleine Abweichung zu gute halten; wenn er nur diesen Mangel durch eine angenehme und leichtfließende Schreibart ersetzet. Dieses ist nun eine von den vornehmsten Absichten gewesen, die ich mir in diesem Gedichte vorgesetzet habe. Ich wollte den Horaz gern so übersetzen, daß man ihn ohne Anstoß, und wo möglich, mit Vergnügen in unsrer Sprache lesen könnte. Diesen Zweck aber würde ich nicht erhalten haben, wenn ich kein Bedenken getragen hätte, die Richtigkeit unsrer deutschen Wortfügung, nebst der Reinigkeit im Sylbenmaaße und in den Reimen, aus den Augen zu setzen. Das Gehör unsrer Landesleute ist im Absehen auf diese äußerliche Stücke überaus zärtlich. Kein Mensch liest itzo mehr Lohensteins Gedichte: das macht, sie sind bey so vielen gelehrten Sachen viel zu hart und zu rauhe. Selbst Hofmannswaldau ist nicht mehr so beliebt, als er sonst gewesen: das macht, daß er von seinen Nachfolgern, auch in der Reinigkeit der Verse, weit übertroffen worden. Ja diese Zärtlichkeit geht zuweilen so weit, daß man deswegen die allerelendesten Reime, die nur etwas ungezwungen fließen, bey aller ihrer Unvernunft und Niederträchtigkeit der Gedanken, für schön; und hingegen, bey einer kleinen Härte des Ausdruckes, die schönsten Gedichte großer Meister für elend und mager ausruffet. Wie ich aber itzo denen hier nicht das Wort reden will, die in der Rauhigkeit des Ausdruckes eine Schönheit suchen; sondern ihnen immer mit dem Horaz zuruffe: NON SATIS EST, PULCHRA ESSE POEMATA; DULCIA SUNTO! so kann ich auch deren Geschmack nicht verwerfen, die lieber ein angenehm fließendes als ein geradebrechtes Gedichte lesen. Habe ich also nicht Ursache gehabt, mich auch vor dem Ekel der zärtlichsten Ohren zu hüten; sonderlich in einem Gedichte, daraus sie die innern Schönheiten der wahren Poesie sollen beurtheilen lernen? Ist es mir nun darinn nach Wunsche gelungen, so trage ich keinen Zweifel, daß meine Arbeit ihren Nutzen haben werde. Es ist nicht eines jeden Werk, sich mit dem Lateine der alten Poeten so bekannt zu machen, daß er seinen Horaz ohne Mühe verstehen, geschweige denn mit Lust lesen könnte. In deutscher Sprache wird er also vielen verständlicher seyn, und auch Anfänger auf einen guten Weg weisen, die sich vielleicht sonst durch üble Anführer hätten verderben lassen. Daß es bereits vielen so gegangen sey, daran ist wohl kein Zweifel: daß aber auch viele durch Horazen von ihren Irrwegen wieder zurecht gebracht worden, das könnte ich durch mein eigen Exempel erweisen, wenn es wichtig genug wäre. Doch Herr Hofrath Neukirch wird vermuthlich Ansehens genug haben, uns zu zeigen: daß auch Leute, die bereits in ganz Deutschland für große Poeten gehalten werden, in unserer horazischen Dichtkunst noch genug zu lernen finden. Er hat solches in einem Hochzeitgedichte von sich selbst öffentlich gestanden, welches er, allem Ansehen nach, aus Berlin nach Breßlau abgeschicket hat, und woraus ich hier ein paar Stellen anführen will. Es steht in der Hofm. W. Ged. VI Th. auf der 101 S. Er ruffet gleich anfangs die Musen um Hülfe an, weil er abermal ein Gedichte nach Schlesien zu verfertigen vorhätte; dabey er denn besorgen müßte, daß es nicht mehr so gut, als die vorigen, würde aufgenommen werden. Ihr Musen! helft mir doch, ich soll schon wieder singen; Und ein verliebtes Paar in deutsche Verse bringen, Und zwar in Schlesien. Ihr kennt dieß Land und mich, Ihr wißt auch, wenn ihr wollt, wie sonst Budorgis sich, Zum theil an mir ergetzt. Itzt scheinen meine Lieder Ihm, wo nicht ganz veracht, doch mehrentheils zuwider. Die Ursache, sagt er, wäre die Aenderung, so mit seiner Poesie vorgegangen. Er habe aufgehört, seinen Vers mit Muscatellersaft und Amberkuchen zu nähren. Es sey kein Zibeth noch Bisam, kein Plautus, Tacitus, Seneca oder Plato mehr darinn zu spüren; ja er habe auch so gar die Sinnbilder gänzlich ausgemustert. Mein Reim ist mehrentheils ganz matt und ohne Kraft: Das macht, ich tränk ihn nicht mit Muscatellersaft, Ich speis ihn auch nicht mehr mit theuren Amberkuchen, Denn er ist alt genug, die Nahrung selbst zu suchen. Zibeth und Bisam hat ihm manchen Dienst gethan: Itzt will ich einmal sehn, was er alleine kann. Alleine? fraget ihr: Ja, wie gesagt, alleine: Denn was ich vormals schrieb, war weder mein, noch seine. Hier hatte Seneca, dort Plato was gesagt, Dort hatt ich einen Spruch dem Plautus abgejagt, Und etwan anderswo den Tacitus bestohlen. Auf diesen schwachen Grund, ich sag es unverholen, Baut ich von Versen oft ein ganzes Götterhaus, Und ziert es noch dazu mit Sinnebildern aus. Darauf sagt er, daß ihm alle diese Putzwerke itzo ganz lächerlich vorkämen, ungeachtet sie sonst viel hundert Leser verblendet, und ihm selbst viel Ruhm gebracht hätten. Man hätte ihn gar dem großen Opitz vorgezogen, den er doch noch niemals hätte erreichen können. Wie oftmals muß ich doch der abgeschmackten Sachen, Wenn ich zurücke seh, noch bey mir selber lachen! Gleichwohl gefielen sie, und nahmen durch den Schein, So schlecht er öfters war, viel hundert Leser ein. Ha! schrie man hier und dar: vor dem muß Opitz weichen! Ja, dacht ich, wenn ich ihn nur erstlich könnt erreichen. Den Willen hätt ich wohl. So wie ich es gedacht, So ist es auch geschehn. Ich habe manche Nacht Und manchen Tag geschwitzt: Allein ich muß gestehen, Daß ich ihm noch umsonst versuche nachzugehen. Endlich bricht er in den feurigen Ausdruck aus, der uns die Qvelle anzeiget, daraus diese merkliche Veränderung seines Geschmacks in der Poesie hergeflossen. Es heißt: O grausamer Horaz! was hat dich doch bewegt, Daß du uns so viel Last im Dichten auferlegt? So bald ich nur dein Buch mit Witz und Ernst gelesen, So ist mir auch nicht mehr im Schreiben wohl gewesen. Vor kamen Wort und Reim; itzt lauf ich ihnen nach: Vor flog ich Himmel an; itzt thu ich ganz gemach. Ich schleiche wie ein Dachs aus dem Poetenorden, Und bin mit großer Müh noch kaum dein Schüler worden. Kommt, sprech ich oftermals, Gold, Marmel und Porphyr! Nein, denk ich wiederum, flieht, fliehet weit von mir: Ihr seyd mir viel zu theur bey diesen schweren Jahren; Ich habe jung verschwendt, ich will im Alter sparen. Wie viel Schüler würde nicht Horaz noch bekommen, wenn alle deutsche Poeten, die dessen bedürftig wären, dem Exempel dieses wackern Mannes folgen wollten! Die kleinen Anmerkungen, die ich unter den Text gesetzet, werden vermuthlich nicht ohne Nutzen seyn, und in mancher Sache ein gutes Licht geben. In Versen lassen sich nicht alle Alterthümer so erklären, daß man sie sattsam verstehen könnte, wenn man von der Zeit des Scribenten fast ein paar tausend Jahre entfernet ist. Gelehrtere Leser, die derselben nicht nöthig haben, können sie nach Belieben ungelesen lassen: wie mans mit den lateinischen Noten bey alten Scribenten zu machen pflegt, wenn man darinn schon geübt ist. Ich habe meinen Zweck erreicht, wenn nur Anfänger daraus meinen Poeten etwas besser verstehen lernen. Fußnoten 1 Auch der berühmte Herr M. Lange in Lübeck hat nach der Zeit, als die meine schon fertig und gedruckt war, eine gleiche Arbeit ans Licht gestellet, der ich ihren Werth nicht abspreche. Horaz von der Dichtkunst Horaz Von der Dichtkunst. Fürwahr, ein artig Bild! 1 Es steht ein Menschenkopf Auf eines Pferdes Hals. Den dicken Vogelkropf Bedeckt ein bunter Schmuck von farbigtem Gefieder: Hernach erblicket man verschiedner Thiere Glieder. Von oben zeigt ein Weib ihr schönes Angesicht, Von unten wirds ein Fisch. Ihr Freunde, lacht doch nicht! Wir wollen mit Geduld des Malers 2 Thorheit schonen. Indessen glaubet mir, ihr trefflichen Pisonen, Dafern mein Wort was gilt: daß eine tolle Schrift, 3 Wo weder Haupt noch Schwanz geschickt zusammen trifft, Und nicht mehr Ordnung herrscht, als wenn ein Kranker träumet, Sich unvergleichlich wohl zu solchem Bilde reimet. Ich weis wohl, was man glaubt. Man spricht 4 und bleibt dabey: Ein Maler und Poet folgt seiner Phantasey; Er kann sich seiner Kunst nach eigner Lust bedienen, Und sich durch Geist und Witz, was ihm beliebt, erkühnen. Ganz recht, ich geb es zu, 5 und mach es selber so. Allein man mische nie das Feuer in das Stroh; Kein Tyger zeug ein Lamm, kein Adler hecke Schlangen. Doch manches Dichters Schrift wird prächtig angefangen, Man schmückt sie hin und her mit Edelsteinen 6 aus, Beschreibt Dianens Häyn, Altar und Götterhaus, Entwirft mit großer Kunst des Rheinstroms Wasserwogen, Und malt der Farben Glanz im bunten Regenbogen. Das alles ist schon gut: 7 nur hier gehörts nicht her. Dort stürzt ein wilder Sturm den Schiffer in das Meer: Gesetzt, du könntest nun Cypressenwälder schildern, Was hilft dir diese Kunst? da sich in deinen Bildern Der Schiffbruch zeigen soll, den jener für sein Geld, Nach überstandner Noth, mit Fleiß bey dir bestellt. Dein stolzer Anfang pralt von seltnen Wundersachen, 8 Wie reizt uns denn hernach der magre Schluß zum Lachen? Kurz, alles was du schreibst muß schlecht und einfach seyn. 9 Doch, Piso, trügt uns oft des Guten falscher Schein. Streb ich der Kürze nach; mein Vers wird dunkel klingen: Wer leichte Sachen liebt, wird niederträchtig singen. Wer hoch hinaus will, schwillt. Wenn jener furchtsam schreibt, Geschieht es, daß er gar am Staube kleben bleibt. Wer sich bemüht, ein Ding sehr vielfach vorzustellen, 10 Malt leicht den Stöhr ins Holz, den Eber in die Wellen. So leicht ist es geschehn, auch wenn man sich bemüht Von Fehlern frey zu seyn, daß sich der Kiel versieht. Man läßt ein Fechterspiel aus dichtem Erzte gießen: Da hat der Stümper nun die Nägel an den Füßen Und jedes Haar des Haupts sehr künstlich ausgedrückt: 11 Die ganze Bildung nur ist plump und ungeschickt, Weil Ordnung und Gestalt und Stellung gar nichts taugen. Viel lieber wünsch ich mir, bey schwarzem Haar und Augen, Ein scheußlich Angesicht und krummes Nasenbein, Als daß ein Vers von mir, wie dieses Bild soll seyn. Ihr Dichter, wagt doch nichts, als was ihr wohl versteht, 12 Versuchts, wie weit die Kraft von euren Schultern geht, Und überlegt es wohl: so wird nach klugem Wählen, Den Schriften weder Kunst, noch Licht, noch Ordnung fehlen. Mich dünkt, daß sich allda der Ordnung Schönheit zeigt, Wenn man das Wichtigste von vorne zwar verschweigt, Doch räthselhaft entdeckt; 13 und klug im Unterscheiden 14 Die schönsten Sachen wählt, die schlechten weis zu meiden. In neuer Wörter Bau, sey kein Poet zu kühn; 15 Das ältste läßt sich oft auf neue Sachen ziehn, 16 Nur muß die Redensart des Schreibers Sinn erklären. Doch, sollten Kunst und Fleiß ein neues Ding gewähren: So stellt mans ungescheut durch einen Ausdruck dar, Der unsern Vätern noch was unerhörtes war. Wer dieß bescheiden thut, dem kann mans nicht verwehren, 17 Zuweilen kann man auch der Wörter nicht entbehren. Die Griechenland uns leiht. 18 Was Plautus und Cäcil Vorzeiten Macht gehabt, das kann ja auch Virgil. Hat Ennius uns nicht manch neues Wort gelehret? Hat Cato das Latein nicht ebenfalls vermehret, Und manche Redensart zu Rom in Schwang gebracht? Wie kömmts denn, daß man itzt ein solches Wesen macht, Wenn ichs zuweilen thu? Wer hat mich hier zu schelten? Ein neuer Ausdruck muß gleich neuen Thalern gelten. So wie es alle Jahr belaubten Wäldern geht; Das welke Laub fällt ab, das neue Blatt entsteht: So gehts den Sprachen auch. Ein altes Wort verschwindet, Indem sich unvermerkt ein neuer Ausdruck findet. Dem Tode sind nicht nur wir Menschen unterthan, Sein Arm greift alles das, was menschlich heißet, an. Hier läßt ein Julius 19 den neuen Hafen bauen, Dem sich bey Sturm und Fluth die Flotten anvertrauen, Ein königliches Werk! Was kann Augustus 20 thun? Er trocknet Seen aus, und kann nicht eher ruhn, Als bis wir, wo der Wind die Flaggen pflegt zu wehen, Ein fruchtbar Ackerland und fette Wiesen sehen. Noch mehr, er ändert gar der Tyber alten Lauf, Und schränkt die Fluthen ein. Das allzumal hört auf! Der größten Werke Pracht, muß endlich untergehen: Wie könnten denn der Zeit die Sprachen widerstehen? So manch verlegnes Wort, das längst vergessen war, Kömmt wieder an das Licht, und stellt sich schöner dar: Und was man itzo braucht, das wird man einst vergessen; Kurz, Sprachen müssen sich nach der Gewohnheit messen. 21 In was für Versen man der Fürsten Heldenmuth, Der Feldherrn Tapferkeit und wilder Krieger Wuth Geschickt besingen kann, das hat Homer gewiesen, Als er durch sein Gedicht Achillens Zorn gepriesen. 22 Die Elegie 23 war sonst ein Werk der Traurigkeit, Allein sie ward hernach zugleich der Lust geweiht. Wer sie zuerst erdacht, das ist nicht leicht zu sagen, Da die Gelehrten selbst, sich noch darum befragen. Archilochus erfand das jambische Gedicht, 24 Darinnen trat das Lust- und Trauerspiel ans Licht: Es ist auch sehr geschickt Gespräche drinn zu setzen, 25 Bezwingt des Volks Geräusch 26 und kann das Ohr ergetzen. Der Götter hohes Lob, der Völker Alterthum, Berühmter Helden Preis, der Kämpfer Kranz und Ruhm, Und was ein Jüngling thut, den Wein und liebe zwingen, Befahl der Musen Mund 27 in Oden 28 abzusingen. Wenn ich von allem nun nichts gründliches versteh, Und mich in jeder Art der Poesie vergeh, 29 Bin ich denn ein Poet? Ich bins nicht; das sey ferne! Was stört mich denn die Scham, daß ich die Kunst nicht lerne? Wo Lust und Anmuth herrscht, da schreibt man nicht betrübt: 30 Hingegen wo Thyest 31 ein blutig Gastmahl giebt, Da wird dein Trauerspiel sehr wiedersinnisch klingen, Dafern dein matter Reim es niedrig wird besingen. Nicht jede Schreibart kann auf jeder Stelle stehn, 32 Zuweilen darf sich auch des Lustspiels Ton 33 erhöhn: Wenn Chremes zürnt und dräut, im Herzen Galle kochet, Und bey geschwollner Brust mit frechen Worten pochet. Im Klagen senkt sich auch das Trauerspiel mit recht, 34 Darum spricht Telephus und Peleus platt und schlecht Ohn allen Wörterpracht; 35 denn soll man mit ihm weinen, So muß uns erst sein Schmerz ganz ungekünstelt scheinen. Laß dein Gedichte nicht nur schön und zierlich seyn, Ein wohlgemachter Vers nimmt Herz und Geister ein, Und kann des Lesers Brust bezaubern 36 und gewinnen. Man lacht mit Lachenden, und läßt auch Thränen rinnen, Wenn andre traurig sind. Drum, wenn ich weinen soll; So zeige du mir erst dein Auge thränenvoll: 37 Alsdann o Telephus! wird mich dein Unglück rühren. Allein ist an dir selbst kein wahrer Schmerz zu spüren, So schläft man drüber ein, und du wirst ausgelacht. 38 Ein weinend Angesicht das kläglich Worte macht, Ist der Natur gemäß. Ein Eifriger muß zürnen, Der Scherz spricht frech und geil, der Ernst mit krauser Stirnen. Der Seelen Innerstes sey erst in uns bewegt, 39 Von Zorn und Eifersucht und Rachgier angeregt, Von Schrecken überhäuft, von Gram und Furcht zerschlagen: Alsdann wird auch der Mund schon Centnerworte sagen. Spricht irgend die Person, wie sichs für sie nicht schickt, 40 So lacht das ganze Rom, 41 so bald es sie erblickt. Drum unterscheide man Stand, Alter und Geschlechte: Ganz anders spricht ein Herr, ganz anders reden Knechte. 42 Es ist nicht einerley, was ein verlebter Mann Und muntrer Jüngling spricht. Dieß Wort steht Ammen an; Matronen aber nicht. Kein Kaufmann spricht wie Bauren, 43 Kein Kolcher redet so, als ob er Babels Mauren, Von Jugend auf gekannt. Wen Argos Bürger heißt, Spricht nie Thebanern gleich. Drum lenke deinen Geist Entweder auf ein Werk aus wirklichen Geschichten: Wo nicht, so mußt du doch nichts ungereimtes dichten. 44 Führst du, wie dort Homer, den Held Achilles ein: So muß er zornig, hart, und unerbittlich seyn; Er trete Billigkeit, Gesetz und Recht mit Füssen, Und wolle sonst von nichts, als Macht und Waffen wissen. Medeen schildre frech, 45 Ixion 46 komme mir Ganz treulos und verstockt, und Ino 47 kläglich für. Wenn Jo 48 flüchtig irrt; so muß Orestes 49 klagen. Hingegen willst du dich an neue Fabeln 50 wagen, So richte die Person nicht widersinnisch ein Und laß sie mit sich selbst in allem einig seyn. Es ist in Wahrheit schwer, was eignes anzufangen: Du wirst noch eins so leicht im Schreiben Ruhm erlangen, Wenn du Atridens Zorn in neue Verse schränkst, 51 Als wenn du selbst zuerst ein Trauerspiel erdenkst. Es steht ja Dichtern frey, sich aus bekannten Sachen, 52 Durch Witz und Kunst und Fleiß ein Eigenthum zu machen. Dafern die Feder nur nicht allzu sklavisch schreibt, Und Uebersetzern gleich, an Worten kleben bleibt. Ein Thor ahmt ängstlich nach, 53 mit kläglichem Bemühen, Wo er sich endlich schämt den Fuß zurück zu ziehen. Man fange kein Gedicht 54 so stolz und schwülstig an, Als jenes Stümpers Kiel aus Unverstand gethan: Ich will von Priams Glück und edlen Kriegen singen! Was wird der Praler doch für Wunderwerke bringen! Er kreist, wie jener Berg, der eine Maus gebahr. Wer sieht nicht, daß Homer hier viel bescheidner 55 war? Ihr Musen! zeigt mir den, der Trojens Burg bestritten, Und nach der Teukrer Fall so vieler Völker Sitten; So manche Stadt gesehn. Hier folgt das Finstre nicht Auf heller Blitze Glanz; der Schatten zeugt das Licht. 56 Er fängt ganz niedrig an, um destomehr zu steigen, Und wird allmählich schon die größten Wunder zeigen: Den Riesen Polyphem, Charybdens Strudelmund, Der Menschenfresser Grimm und Scyllens wüsten Schlund. Den Vortrab wird er nie von weit gesuchten Sachen, Zur Rückkunft Diomeds 57 vom Trojer Kriege machen, Wo Meleager fiel. Wo fängt der große Mann Der Teukrer Untergang von Ledens Eyern an? 58 Er eilt dem Zwecke zu 59 und wird von vielen Dingen, Die er berühren muß, als längstbekannten, singen. Was gar nicht fähig ist, wohl ausgeputzt zu seyn, Das übergeht er gar: Und mischt er Fabeln ein, Die er ersonnen hat, 60 so wird in allen Stücken, Der Anfang sich genau zu seinem Ende schicken. Vernimm dann 61 was nebst mir das Römervolk begehrt: Denn willst du, daß man nicht, indem dein Schauspiel währt, Nach Hause laufen soll; und daß man bis zum Ende, Dabey der Sänger 62 ruft: Nun klopfet in die Hände! Geduldig, ja noch mehr, durch Klatschen und Geschrey, Ein Zeuge deiner Kunst und dein Verehrer sey: So zeige, daß du dich mit ganzem Ernst beflissen, Der Menschen Unterscheid, 63 Natur und Art zu wissen. Ein Kind, das reden lernt, und dessen sichrer Schritt, Den Boden allbereit ohn alle Furcht betritt, Vertreibt die Zeit im Spiel und scherzt mit seines gleichen, Ist bald zum Zorn gereizt, auch leichtlich zu erweichen, Und stets voll Unbestand. Wird nun der Knabe groß, Der Aeltern strenger Zucht, der Lehrer Aufsicht los: So lacht ihm stets das Herz bey Hunden, Wild und Pferden; Kann leicht aus Unverstand der Laster Sklave werden; Haßt jeden, der ihn straft; bedenkt nicht, was ihm nützt; Verzehrt mehr als er hat; ist stolz, vor Lust erhitzt, Und kann doch was er liebt, in kurzem wieder hassen. Ganz anders ist ein Mann, der alles das verlassen. Gesetzt und standhaft seyn, das ist sein Eigenthum. Er strebt nach Geld und Gut, nach Freundschaft, Gunst und Ruhm, Und nimmt sich wohl in acht, damit er nichts begehe, Daraus ihm Schimpf und Spott und späte Reu entstehe. Ein abgelebter Greis wird mit den Jahren matt, Verlangt was ihm gebricht, geneußt nicht was er hat, Ist furchtsam was zu thun, und gar zu karg im geben, Schiebt alles länger auf, und hofft ein langes Leben, Ist träge, wünscht zu viel, hat stets ein schlechtes Jahr, Und lobt die alte Zeit, da er ein Jüngling war, Ist immer voll Verdruß, bedroht und straft die Jugend, Und setzt sein eigen Werk zur Regel aller Tugend. Der Jahre Wachsthum bringt uns Stärke, Muth und Kraft, Und wenn das Alter kömmt, wird alles hingerafft. Drum laß den Jüngling nie des Greises Rolle 64 machen; Kein Greis sey Knaben gleich. Man muß in allen Sachen, Auf das, was sich geziemt, und auf den Wohlstand sehn. Was sich nicht spielen läßt, so wie es ist geschehn, Davon erzählt man bloß 65 die Nachricht auf den Bühnen. Doch, was das Ohr nur hört, so kräftig es geschienen, Dringt lange nicht so tief in die Gemüther ein, Als was man selber sieht. Doch solltens Dinge seyn, Die man nicht zeigen mag, die darf das Volk nicht sehen: Man trägt sie mündlich vor, als wären sie geschehen. Medea 66 darf den Mord an ihrer Leibesfrucht Nicht öffentlich begehn. Des Atreus Eifersucht, Giebt dem Thyestes zwar das Fleisch gekochter Knaben; Doch darf man Topf und Heerd nicht selbst gesehen haben, Wo sie gesotten sind. Verwandelt Progne sich, 67 Wird Cadmus eine Schlang; alsdann bediene dich Der Freyheit nimmermehr, dergleichen sehn zulassen: Ich glaub es wahrlich nicht, und werd es ewig hassen. Ein Schauspiel, das beliebt und angenehm soll seyn, Das theile man genau nur in fünf Aufzüg' ein. 68 Man mische keinen Gott 69 in seiner Helden Thaten, Bis es nicht möglich ist, der Wunder zu entrathen. Es sprechen auf einmal nicht mehr als ihrer Drey; 70 Man sorge, daß der Chor zwar mit im Spiele sey: 71 Doch daß sein Singen nicht die Handlung unterbreche, Und er nichts thörichtes, nichts ungeschicktes spreche. 72 Er sey der Tugend hold, er gebe guten Rath 73 Und bändige den Zorn. Wer eine Frevelthat Sich scheuet zu begehn, den muß er willig preisen. Er lobt die Mäßigkeit der aufgetragnen Speisen, Liebt Recht und Billigkeit, und der Gesetze Flor, Erhebt ein ruhig Volk bey unbewachtem Thor, Verhehlt des andern Fehl, und ruft mit heißem Flehen Zu Gott, den Armen reich, den Stolzen arm zu sehen. Vorzeiten durfte nur die Pfeife schlecht und klein, 74 Nicht mit Metall 75 umfaßt, Trompeten ähnlich seyn. Und dennoch ließ sie sich, bey den beliebten Chören, Auch mit vier Löchern 76 schon ganz hell und lieblich hören: Indem der Schauplatz noch durch jene kleine Schaar Des tugendhaften Volks, so sehr besetzt nicht war. Allein nachdem das Schwerdt der Römer durchgedrungen, Bald dieß bald jenes Land bestritten und bezwungen; Seit dem der Mauren Kreis, sich weiter ausgedehnt, Die reichen Bürger sich das Schmausen angewöhnt, Weil sie kein Richter schilt, wenn sie bey Tage prassen: 77 So hat auch Reim und Ton den alten Klang verlassen. Denn was verstund davon ein Bauer, 78 dessen Fleiß Von schwerer Arbeit kam; der meistens voller Schweiß In unsern Schauplatz trat; wohin sich alles drängte, Wenn Pöbel, Herr und Knecht sich durcheinander mengte. Drum hat Musik und Tanz die alte Kunst erhöht, Der Pfeifer, 79 der so stolz stets hin und wieder geht, Schleppt itzt den langen Rock ganz prächtig auf den Bühnen; So mußt in Griechenland die Cither 80 gleichfalls dienen. Die Uebung samt der Kunst hat sehr beredt gemacht, Und öfters ist der Reim so voll Geschwulst 81 und Pracht, Als wenn Apollo spricht, der dort aus finstern Klüften In seine Priesterinn Orakel pflegt zu düften. 82 Der Dichter, 83 der zuerst sich durch ein tragisch Lied, Um einen schlechten Bock, als den Gewinnst, bemüht, Entblößte 84 bald darauf die bäurischen Satyren, Und ließ bey seinem Ernst auch Scherz und Stacheln spüren. Kein Wunder, denn das Volk verlangte zu der Zeit, Durch neue Reizungen und lauter Lustigkeit, Hinein gelockt zu seyn; wenn es an Feyertagen 85 Den Gottesdienst vollbracht, und denn bey Saufgelagen, Sich toll und voll gezecht. So fieng das Lustspiel an. Doch wagt sich unter uns ein neuer Dichter dran: 86 So muß er seinen Scherz und sein satyrisch Lachen Nicht frech und regellos, vielmehr so klüglich machen; Daß, wenn ein Gott, ein Held 87 sich auf der Bühne zeigt, Der Gold und Purpur trägt, und kaum vom Throne steigt, Sein Mund sich weder ganz zum tiefsten Pöbel neige, Noch gar zu voller Schwulst die Wolken übersteige. 88 So ehrbar eine Frau, 89 wenn sie ein hohes Fest, Nach unsrer Stadt Gebrauch, zum Tanze rufen läßt, In ihrem Reihen geht: So pflegt sich bey Satyren Das hohe Trauerspiel ganz schamhaft aufzuführen. Wenn ihr denn selbst einmal ein solch Gedichte schreibt: 90 So denkt nicht, daß ihr nur bey schlechten Worten bleibt, Bey Namen stolzer Art von Königen und Kronen, Die sonst kein Putz erhöht; ihr trefflichen Pisonen! Auch unterscheidet sich mein Reim vom Trauerspiel, Im Ausdruck nicht so sehr; als wär es mir gleichviel, 91 Ob Davus etwas sagt? ob Pythias gelogen, Die Simons schnöden Geiz um ein Talent betrogen? Ob gar der bäurische verlebte Greis Silen, Der sich geschickt erwies dem Bachus vorzustehn, Sich redend hören laßt. Ich werde zwar was dichten; Doch meine Fabel stets nach etwas wahrem richten, 92 Das jeder kennt und weis. Ein jeder, der es sieht, Wird glauben: es sey leicht. Doch wenn er sich bemüht, Mir wirklich nachzugehn, wird er vergeblich schwitzen, Und bey dem grösten Fleiß umsonst darüber sitzen. So viel kömmt auf die Art und die Verbindung an; 93 Indem die Fügung auch was schlechtes adeln kann. Nehmt 94 euch auch wohl in acht, ihr Künstler in Satyren! Sie nicht nach Römerart ganz artig aufzuführen, Wie sonst die Zärtlichkeit der edlen Jugend spricht. Doch überhäuft den Vers mit schnöden Fratzen nicht; Schreibt niemals ärgerlich und lernt das Lästern meiden: Den Unflath kann kein Mensch von gutem Stande leiden; Kein züchtiges Gemüth, das Ehr und Tugend liebt. Denn ob der Pöbel euch gleich seinen Beyfall giebt, 95 Wird doch ein edler Geist euch allezeit verhöhnen, Und eure Scheiteln nie mit Lorberzweigen krönen. Ein Jambus heißt vorlängst in unsrer Kunst ein Fuß, Da eine Sylbe kurz, die andre lang seyn muß. Er fließet schnell und leicht: daher man solchen Zeilen, Darinn er sechsmal klappt, den Namen läßt ertheilen, Daß man sie dreyfach nennt. 96 Von Anfang hat er sich Mit andern nicht vermischt: nur neulich aber wich Derselbe hier und dar den langsamen Spondeen, Um desto männlicher damit einherzugehen. 97 Doch so gefällig er in diesem Falle war; So wich er doch nicht ganz. Das zweyt und vierte Paar Der Sylben hat er sich beständig vorbehalten. Man spürt ihn auch bereits in mancher Schrift der Alten. 98 Es hat ihn Accius und Ennius gebraucht: Hingegen wem es itzt was ungemeines daucht, Den Jamben gar zu viel Spondeen einzumengen, Als wenn sie prächtiger auf unsern Bühnen klängen: Da dächt ich, daß man sie gewiß in Eil gemacht, Wo nicht, doch an die Kunst der Musen nie gedacht, Die Regeln nie gelernt. Von Liedern und Gedichten, Weis nicht ein jedes Ohr wie sichs gebührt zu richten. 99 Wie mancher Stümper hat, ohne alle Kunst und Fleiß, Bey unserm Römervolk der Dichtkunst hohen Preis Bisher gar oft erlangt! Soll ich deswegen hoffen, Es stehe mir der Weg zu jeder Freyheit offen? Soll ich verwegen seyn, weil irgend niemand sieht, Wie oft mein Kiel gefehlt? und wenn das gleich geschieht, Dieweil man mir auch dann die Fehler leicht vergiebet? Fürwahr, so denkt kein Geist, der Ruhm und Ehre liebet; Und ich verlange mehr, als tadelfrey zu seyn. 100 Ihr Freunde, blättert doch bey Sonn- und Mondenschein, Bey Tage wie bey Nacht der Griechen alte Schriften: 101 Denn diese werden euch den schönsten Vortheil stiften. Zwar unsrer Väter 102 Mund hat Plautus Scherz und Kunst Im Lustspiel sehr gelobt; allein aus blinder Gunst. 103 Man hat ihn wahrlich nur aus Einfalt hochgeschätzet; Dafern ich anders weis, was euch und mich ergetzet; Was ein erlaubter Scherz, 104 was grob und garstig ist, Und wenn ein reiner Vers ganz ungezwungen fließt: Wenn wir das Sylbenmaaß an unsern Fingern zählen, Und was den Klang betrifft, das Ohr zum Richter wählen. Das edle Trauerspiel hat Thespis aufgebracht, 105 Indem vor seiner Zeit kein andrer dran gedacht. Er fuhr von Dorf zu Dorf mit seinen Sängerchören, Und ließ Gesang und Spiel 106 auf schlechten Wagen hören. Mit Hefen salbte man den Sängern das Gesicht, Bis Aeschylus hernach die Larven zugericht, 107 Die Kleidung ausgedacht und auf erhöhten Bühnen, Mit stolzer Wörterpracht und hohem Schuh erschienen. 108 Das Lustspiel folgte bald dem Trauerspiele nach, 109 Davon man auch sogleich mit vielem Lobe sprach: Allein die Freyheit wuchs in dem verwegnen Singen Und ließ sich endlich kaum durch die Gesetze zwingen. Die Frechheit gieng zu weit, man schrieb ihr Regeln vor: 110 Drauf ließ die Schmähsucht nach; so ward zuletzt der Chor Mit seiner Bosheit stumm 111 und schonte zarter Ohren, So bald er Fug und Recht zur Lästerung verlohren. Wir Römer haben auch nicht wenig Lob erjagt, Seit unsre Dichter sich an alles das gewagt, Und sich zugleich erkühnt von jenen abzuweichen, Und unsrer Helden Ruhm in Fabeln zu erreichen. Ist nicht bey uns sowohl der stille Bürgerstand Als edler Fürsten Muth auf Bühnen schon bekannt? 112 Und wirklich würde Rom durch Tugend und durch Waffen, Sich keinen größern Preis als durch die Sprache schaffen: Wenn unsern Dichtern nur der Ausputz nicht so schwer, Geduld und langer Fleiß so unerträglich wär. 113 O ihr Pompilier, 114 so edel von Geblüthe, Als aufgeweckt am Geist und redlich im Gemüthe: Verwerft doch jeden Vers, 115 den nicht so mancher Nacht, Und manches Tages Fleiß recht ins Geschick gebracht; Und den sein Meister nicht, an Worten und an Sprüchen, Wohl zehnmal übersehn, wohl zehnmal ausgestrichen. Verwirft Demokritus die Regeln der Vernunft, Und lobt er nur den Geist an der Poetenzunft; 116 Ja meynt er gar der Sitz, den Phöbus sich erkohren, Der hohe Pindusberg, gehöre nur für Thoren: So putzt sich mancher itzt kaum Nägel oder Bart, 117 Entflieht aus Eigensinn der Menschen Gegenwart, Lebt schmutzig, und verhofft, ein solch verkehrtes Leben Werd ihm in aller Welt den Dichternamen geben. Drum trägt sein wüster Kopf, dem Niesewurz so gar Das Mark nicht saubern kann, ein unverschnittnes Haar. Bin ich denn nicht ein Thor, daß ich zu Frühlingszeiten, Durch manche Cur gesucht die Galle weg zu leiten? O ließ ich doch, wie sie, dieß albre Wesen stehn! So würde mich kein Mensch im Dichten übergehn. 118 Doch Grillen! weg damit! Ich trachte, den Poeten 119 Hinfort ein Sporn zu seyn, ein Antrieb ihrer Flöten. Denn wie ein Wetzstein schärft, und selbst nicht schneiden kann: So schreib ich selbst zwar nichts, doch zeig ich lehrend an, Woher der Reichthum kömmt, der sich in Versen findet; Was einen Dichter zeugt, ernähret, stärket, gründet; Was wohl und übel steht, wie Geist und Tugend führt, Und wie der Unverstand im Irrthum sich verliert. Vernunft und Klugheit sind die Qvellen schöner Lieder! 120 Durchblättert nur mit Fleiß die Bücher hin und wieder, Darinn des Sokrates berühmte Weisheit steht: 121 So findet ihr den Stoff, der ein Gedicht erhöht. Wo nun der Zeug nicht fehlt, den wir in Verse binden, Da wird der Ausdruck sich schon von sich selber finden. 122 Wer wohl gelernet hat, 123 was Freund und Vaterland Für Pflichten von ihm heischt; die Schuldigkeit erkannt, Die Kindern zugehört; die Art, wie Brüder leben; Was Rath und Richteramt für Lebensregeln geben; Wie Feldherr und Soldat im Kriege sich beträgt: Der hat den rechten Grund zur Poesie gelegt; Der wird nichts thörichtes, nichts ungereimtes dichten, Und den Character stets nach den Personen richten. Wer klüglich bilden will, 124 der schaue die Natur, Und Art der Menschen an, und folge dieser Spur: So wird er fähig seyn, sie lebhaft abzuschildern. Oft rühret ein Gedicht 125 mit wohlgetroffnen Bildern, Darinnen hier und dar ein schöner Lehrspruch liegt, So schlecht der Ausputz auch ein zartes Ohr vergnügt, Viel kräftiger das Volk; als Verse, die wie Schalen, Darinn kein Kern mehr ist, mit leeren Tönen pralen. Den Griechen ist das Chor der Castalinnen hold: 126 Das macht, sie geizen nicht nach Silber oder Gold; 127 Sie streben nur berühmt und stets beliebt zu bleiben, Drum sind sie reich an Geist, im Reden und im Schreiben, In Rom hergegen fängt ein Kind, das reden kann, Die güldne Rechenkunst 128 mit vielem Eifer an, Und lernt des Groschens Werth durch hundert Brüche theilen. Geht, fragt den Sohn Albins, 129 das kleine Kind, zuweilen: Fünf hab ich, zwey davon, was bleibt, mein Söhnchen? Drey. Vortrefflich schön! mein Kind. Ganz recht! es bleibt dabey; Du wirst dein Glück einmal zum höchsten Gipfel bringen: Wer diese Kunst versteht, dem muß es einst gelingen. Noch mehr: Ich habe fünf, und setze drey darzu, Was machts, mein Söhnchen? acht. Ach Kind, wie klug bist du? Bey solcher feinen Zucht erwachsen unsre Knaben: Und doch hofft Rom dereinst Gedichte gnug zu haben, Darinn der Zeit zu Trotz, das prächtige Latein Bis auf die späte Welt soll unvergänglich seyn. 130 Entweder ein Poet sucht Nutzen oder Lust; 131 Auch beydes liebt er wohl zugleich mit reger Brust. Im lehren sey man kurz, die nutzerfüllten Sachen, Gemüthern guter Art nicht gar verhaßt zu machen. Was überflüßig ist 132 vergißt man gar zu leicht. Die Fabel laute so, daß sie der Wahrheit gleicht, 133 Und fordre nicht von uns, daß man ihr alles glaube. Man reiße nicht das Kind den Hexen 134 aus dem Leibe, Die es bereits verzehrt. Die Aeltesten der Stadt, 135 Verachten ein Gedicht, das nichts gesetztes hat. Der hohe Ritterstand 136 mag lauter Ernst nicht hören. Der wird vollkommen seyn, der theils geschickte Lehren, Und theils was liebliches durch seinen Vers besingt; Zum theil dem Leser nützt, zum Theil Ergetzung bringt. Ein solch Gedicht geht ab, wird weit und breit verführet; Bis es dem Dichter gar Unsterblichkeit gebiehret. Zwar Dichter fehlen auch; 137 und man verzeiht es leicht, Indem die Seyte doch nicht stets den Ton erreicht, Den Hand und Ohr verlangt. Es soll oft niedrig klingen. Doch läßt die Laute kaum den Mittelton erzwingen. Ein Bogen trifft nicht stets, wornach er abgezielt. Allein wenn ein Poet dem Phöbus nachgespielt, Und seine Lieder uns fast durch und durch gefallen, Denn mag nur hier und da was hartes drunter schallen. 138 Es geht ganz menschlich zu. Wie leicht ist es geschehn, Daß wir zu sorglos sind, und irgend was versehn! Was folgt indessen draus? Wie wir der Schreiber lachen, Die, wenn man sie gleich straft, doch stets die Fehler machen, Davor man sie gewarnt; und wie ein Leyermann, Der nur sein altes Lied auf einer Seyte kann, Ein Spott der Kinder wird: so setz ich den Poeten, Der keinen Ton versteht, und auf den heischen Flöten Stets falsche Griffe macht, 139 zu jenem Chörilus, 140 Bey dessen Versen ich verwundernd lachen muß, Wenn er zuweilen noch was leidliches getroffen. Hingegen schmerzt es mich, wann wider Wunsch und Hoffen Homer einmal entschläft. 141 Obwohl es leicht geschieht, Daß ein so langes Werk den Schlummer nach sich zieht. Ein Vers ist Bildern gleich, 142 wo manches uns gefällt, Wenn mans genau besieht und nah vor Augen stellt; Indem sich andre nur von ferne trefflich zeigen. Dem einen ist die Nacht und Dunkelheit fast eigen. 143 Das andre liebt den Tag und volles Sonnenlicht, Und scheuet dergestalt die schärfste Prüfung nicht. Dieß mag man einmal kaum; und jenes zehnmal leiden, Denn man erblickt es stets mit neuer Lust und Freuden. Drum merk, o Piso, dir die güldne Regel an, Wiewohl des Vaters Wort dich sattsam leiten kann, Und du schon selber weist die Sachen zu entscheiden: Man kann in mancher Kunst die Mittelstraße leiden; Ein Rechtsgelehrter darf nur mittelmäßig seyn, Ein Redner ebenfalls darf nicht so ungemein, Als ein Cascellius und ein Messalla sprechen; 144 Doch hält man beyde werth und wird sich nicht entbrechen, Sie lobend zu erhöhn. Allein daß ein Poet Nur mittelmäßig ist und nicht aufs höchste geht: 145 Das hat kein Musenchor, kein Phöbus zugegeben: 146 Das wird kein kluger Mensch, kein Bücherkram 147 erheben. Musiken sonder Kunst und voller Uebelklang, Ein halbverfaultes Oel und Salben voll Gestank, Ein herber Honigseim, 148 das Werk der Sarderbienen; Was werden die zur Lust bey fetten Tafeln dienen? Wie man nun ohne sie sich leicht behelfen kann; So sieht man kein Gedicht mit holden Augen an, Das kein Vergnügen giebt, 149 wozu mans doch erfunden, Als man zum erstenmal das Sylbenmaaß gebunden. So bald ein matter Vers den Gipfel nicht erreicht, Bemerkt man, daß er sinkt, und in der Tiefe kreucht. Wer kein Turnier versteht, 150 enthält sich doch der Waffen: Wer nie den Ball gespielt, hat nichts damit zu schaffen; Denn wer sich so vergeht, wird häßlich ausgelacht. Hingegen nimmt man wahr, daß jeder Verse macht, 151 Der doch die Kunst nicht kann. Warum nicht? Geld und Titel 152 Sind ihrer Meynung nach der wahren Dichtkunst Mittel. Du zwingst dich zwar zu nichts, was Pallas dir versagt; 153 Das zeigt, wie klug du bist: Doch wenn dein Witz es wagt, Hinführo auch einmal ein Probestück zu dichten: So laß erst Tarpens Ohr 154 und deinen Vater richten, Und mich vielleicht darzu, wie dirs damit geglückt; Dann werd es noch neun Jahr bedächtig unterdrückt. 155 So lang es bey dir liegt, ist leicht was ausgestrichen, Kein Wort kehrt wieder um, so bald es dir entwichen. Von schnöder Lebensart, von Mord und Unverstand Hat Orpheus, der Poet, die Menschen abgewandt, 156 Die wilden Thieren gleich in wüsten Wäldern tobten, Und nachmals seine Kunst als übermenschlich lobten. Drum sagt man sonst, daß er der Tyger Wuth gezähmt, Der Löwen Raserey zur Lindigkeit bequemt. Amphion ebenfalls 157 soll durch die Dichtergaben, Und seiner Cither Klang ein Schloß erbauet haben: Weil auf der Seyten Ton sich Stein und Holz bewegt, Bis Thebens Mauer sich freywillig angelegt. Das war vor grauer Zeit die Weisheit jener Alten 158 Zu zeigen, was für gut und strafbar sey zu halten, Was recht und schändlich war, der Unzucht feind zu seyn, Den Beyschlaf abzuthun, den Ehstand einzuweihn, Die Städte zu erbaun, Gesetze vorzuschreiben: So mußte Ruhm und Preis den Dichtern eigen bleiben. Tyrtäus 159 und Homer hat nachmals dargethan, Wie muthig ein Gedicht zum Streite machen kann. Man hat, was künftig war, in Versen angezeiget, 160 Des Lebens Pflicht gelehrt, der Fürsten Herz geneiget, Das Lust- und Trauerspiel erdacht und ausgeschmückt, Daran sich das Gemüth nach langer Müh erqvickt. Drum schäme dich nur nicht der Musen lauten Chören, Und was Apollo singt, o Piso, zuzuhören. Man fragt, ob Kunst und Fleiß den Dichternamen bringt, 161 Und ob es nicht vielmehr durch die Natur gelingt? Doch ich kann weder sehn, was Fleiß ohn alle Gaben, Noch Gaben ohne Fleiß für Nutz und Vortheil haben. Eins hilft dem andern auf, Natur und Kunst stimmt ein; Und beydes wird also dem Dichter nöthig seyn. Wer das erwünschte Ziel im Laufen will ereilen, Der thut und duldet viel, und schwitzt und friert zuweilen, Vermeidet Lieb und Wein. Ja wenn an Phöbus Fest Ein Pfeifer seinen Ton vor andern hören läßt: So hat er längst zuvor die schwere Kunst gefasset, Und ist in strenger Zucht gar oft vor Furcht erblasset. Doch itzo ists genug, wenn jemand selber spricht: Ich dichte trefflich schön! 162 zum mindsten darf ich nicht Der allerletzte seyn; 163 vielweniger gestehen, Ich hätt es nicht gelernt, den Regeln nachzugehen. So wie der Mäkler sonst das Volk, das ihn umringt, Zu der verlegnen Waar in einen Klumpen zwingt: So lockt ein Dichter oft die Schmeichler seiner Künste, Weil er begütert ist, zum schändlichsten Gewinnste. 164 Wer nun ein Gastmahl giebt und wohl bewirthen kann, Für Schuldner Bürge wird, und manchen armen Mann, Der in Processen steckt, vermögend ist zu retten; Von dem erkühn ich mich ohn alle Scheu zu wetten: Für Liebe zu sich selbst erkennt er selber nicht, Des wahren Freundes Wort, und was ein Heuchler spricht. Wenn du einmal tractirst; so zeige nur dein Blatt Dem Gaste nicht alsdann, wenn er getrunken hat, Voll Wein und Freuden ist. Sonst wird er sich nicht scheuen: Vortrefflich, ungemein! auf jedes Wort zu schreyen. Er wird entzücket stehn; ein heißer Thränenguß Wird aus den Augen thaun; und sein gestampfter Fuß Wird tanzend lustig seyn. Denn so wie bey den Leichen Die nächsten Erben fast den Klageweibern weichen, Die man für Geld gedingt, zu heulen und zu schreyn: So wird ein Spötter auch weit mehr gerühret seyn 165 Als Freunde guter Art, die deiner Dichtkunst Proben Vernünftig eingesehn, und mit Verstande loben. Man sagt, daß Könige zum Trunke zwingen sollen, Wenn sie der Diener Herz und Art erforschen wollen; Bevor sie sich vertraun. Machst du nun ein Gedicht, So traue doch durchaus den schlauen Schmeichlern nicht. Ihr glatter Fuchspelz deckt ein hinterlistig Wesen. 166 So oft man dem Quintil 167 was pflegte vorzulesen, So sprach er: Aendre dieß, und jenes beßre noch. Ich kann nicht, sagte man; und gleichwohl hab ichs doch Mehr als einmal versucht. So muß die Zeile weichen! 168 War sein gewohnter Rath; sie ist leicht auszustreichen: Dann mustre deinen Vers und setz an seiner statt Was bessers an den Ort, wo er gestanden hat. Vertheidigte man sich und blieb bey seinen Grillen: 169 So sprach er weiter nichts, um solches Dünkels willen; Und ließ den Affen gehn, der seine Jungen liebt, Wenn ihm gleich sonst kein Mensch den mindsten Beyfall giebt. So machts ein kluger Mann, 170 er tadelt matte Zeilen, Verwirft ein hartes Wort, bemerkt auch wohl zuweilen, Am Rande, wo der Vers was ungeschicktes zeigt. Er meistert allen Schmuck der gar zu prächtig steigt. Was unverständlich ist, daß heißt er klärer machen, Bestraft den Doppelsinn und wird in allen Sachen Ein andrer Aristarch. 171 Er fragt nicht kummervoll, Warum er einen Freund um nichts verscherzen soll? So schlecht dieß alles scheint, so wirkt es doch zu Zeiten, In Wahrheit, etwas mehr, als schlechte Kleinigkeiten; 172 Dein schmeicheln macht ihn stolz, dein höflicher Betrug Bläst einen Dichter auf: so wird er nimmer klug. Und wie man Leute fleucht, die sich die Krätze schaben, Die Gelbsucht, Raserey, und Mondenkrankheit haben; So wird ein kluger Mensch, vor tollen Dichtern fliehn, Die Knaben werden ihn, zum Hohngelächter ziehn: Nur von der dummen Schaar, der Witz und Vorsicht fehlet, Wird er der kleinen Zahl der Dichter beygezählet. Wie sonst ein Vogler oft, wenn er nach Amseln stellt, Aus Unvorsichtigkeit in Brunn und Grube fällt: So stürzt sich ein Poet, der hohe Verse speyet, Oft selber in Gefahr. Gesetzt nun, daß man schreyet: Ihr Leute! rettet, helft! Ist doch kein Mensch zu sehn. Wer weis auch in der That, obs nicht mit Fleiß geschehn? Und ob er auch einmal, wenn man ihm helfen wollte, Das zugeworfne Seil, mit Dank ergreifen sollte? Er kömmt mit Willen um. Ich spreche nicht zu scharf. Wie sich Empedokles 173 in Aetnens Klüfte warf, Als ihm das kalte Blut so melancholisch worden, Daß er dadurch verhofft zum hohen Götterorden, Sich selber zu erhöhn: So geht es hier wohl an. Man laß es ihm denn zu, daß er verderben kann. Wer wider Willen hilft, wird schlechten Dank erwerben, Drum lasse man getrost den tollen Dichter sterben. Es ist sein erstes nicht, daß er nach Unglück ringt; 174 Und wenn man ihn gleich itzt mit Fleiß zurechte bringt, So wird er darum doch die Thorheit nicht verlassen, Vielweniger den Weg zum Untergange hassen. Man sieht auch endlich nicht, warum ein böser Geist, Poeten solcher Art zum Versemachen reißt. Ob sie des Vaters Grab 175 durch ihren Koth entweihet? Ob sie kein Heiligthum in ihrer Wuth gescheuet? 176 Ob ihre Frevelthat der Götter Haus befleckt? Das weis ich, sie sind toll; und wie ein Bär uns schreckt, Wenn er des Kerkers Schloß und Riegel durchgebrochen; So flüchtet alles weg, wenn sie ein Wort gesprochen. Denn wer ergriffen wird, daß er sie hören muß, Der kömmt so bald nicht los, und stirbt fast vor Verdruß: Weil sie, den Egeln gleich, nicht eh die Haut verlassen, Bis sie nicht fähig sind, mehr Blut in sich zu fassen. Fußnoten 1 Fürwahr ein artig Bild! Diese Worte hat der Grundtext nicht. Horaz fängt gleich an, sein Gleichniß von einem seltsamen Gemälde vorzutragen. Allein da sichs im Deutschen nicht in einen einzigen Satz bringen ließ, und also zertrennet werden mußte; so macht dieser Anfang den Leser aufmerksam, und sagt ihm kurz, was er zu gewarten habe. 2 Des Malers. Die alten Maler pflegten ihre neuverfertigte Stücke zur öffentlichen Schau auszustellen, um die Urtheile der Vorbeygehenden darüber zu vernehmen. Die Historie vom Apelles und dem Schuster, ist bekannt. Wer nun so was ungereimtes gemalt hätte, der würde gewiß aller Welt um Gelächter geworden seyn. 3 Schrift. Eigentlich ein Buch; aber nach alter Art, da auch ein kleines Gedichte, auf eine eigene Rolle geschrieben, ein Buch heißen konnte. Dieses Gleichniß kann zwar auch von ungebundenen Schriften gelten; darinn oftmals eben so wenig Zusammenhang, Ordnung und Geschicke, als in einem solchen Bilde zu finden ist. Allein Horaz redet hier hauptsächlich von Poesien, sonderlich vom Heldengedichte und den Schauspielen, die mit einer besondern Kunst angeordnet werden müssen. 4 Man spricht. Dieß ist die Meynung derer, die ihren Einfällen gern alles erlauben, und sich einbilden, die poetischen Sachen wären ganz willkührlich. Daher pflegen sich dieselben vergebens auf diese Stelle zu berufen, wenn sie was ungereimtes entschuldigen wollen: PICTORIBUS ATQUE &C. Dieß sind nicht Horazens, sondern eines Stümpers Worte. 5 Ich geb es zu etc. Dacier will in seinen Anmerkungen über diese Stelle, dieses wären nicht Horatii Worte, sondern er habe sie im Namen seines Gegners vorgebracht. Allein ich sehe nicht, warum? Horaz konnte wohl sagen: Ein Poet habe Macht, nach Belieben zu dichten; da er so gleich die Bedingung hinzusetzt, daß es nur nicht wider die Wahrscheinlichkeit laufen müsse. 6 Mit Edelsteinen. Ich hätte auch Purpurstreifen setzen können, welches dem Grundtexte näher kömmt: Aber wegen der alten Art der römischen Kleidung, die bey uns nicht mehr bekannt ist, habe ichs lieber so gemacht. Denn es ist nur auf einen übelangebrachten Zierrath angesehen. Dazu müssen nun unsern Poeten sonderlich die Diamanten und Rubinen, Schmaragden und Sapphire, Carniolen und Amethisten dienen. 7 Das alles ist schon gut. Dieses gehört für die unendlichen poetischen Maler, die ihren Leser mit ihren ewigen Schildereyen bald zu Tode malen, wo er nicht aus Ekel und Ueberdruß das Buch weglegt. Eine lebhafte Beschreibung ist gut; aber lauter Bilder und Beschreibungen sind verdrüßlich zu lesen. Warum giebt man uns nun noch ganze Bücher von solchen poetischen Malereyen heraus? als ob das Hauptwerk der ganzen Dichtkunst darauf ankäme. 8 Dein stolzer Anfang etc. Es heißt eigentlich gleichnißweise nach Herrn Eckardts Uebersetzung: Du willst ein groß Gefäß aus deinem Thone treiben, Und dennoch kömmt zuletzt ein Töpflein von der Scheiben. Allein ich dachte, daß es nützlicher wäre, die darunter versteckte Wahrheit ungekünstelt herauszusagen. 9 Schlecht und einfach. SIMPLEX & UNUM. Das heißt, nicht gar zu bunt und kauderwälsch durch einander gemischt, als wenn man alle Theile seiner Kleidung aus einer andern Farbe machen wollte. Diese natürliche Einfalt dünkt manchem ein Fehler zu seyn; sie ist aber die größte Kunst. Ein Heldengedichte beschreibt eine einzige Fabel: Das ist nun schlecht und einfach, aber weit künstlicher, als Ovidii Verwandlungen; worinn wol etliche hundert Fabeln stehen. Eine Comödie vom Moliere hat nur eine einzige Fabel zum Inhalte. Ein gut Stück aus dem Corneille und Racine ist gleichfalls einfach. Im THEATRE ITALIEN aber ist alles vielfach und buntscheckigt. Jenes ist regelmäßig, dieses unförmlich und häßlich. N.B. Ein gutes Gedicht muß aus dem vollen geschnitten werden, wie ein gut Kleid; nicht aus mancherley bunten Lappen zusammen geflickt seyn, wie ein Harlekinsrock. Hierinn hat Miltons Paradies gefehlt, darinn geistlich und weltlich, christlich und heydnisch, alt und neu, sehr seltsam durch einander laufen. 10 Sehr vielfach vorzustellen. Das ist der Fehler unsrer poetischen Maler. Sie mischen Himmel und Erde durch einander und kein Ding behält seine Stelle. Die Sterne sind Blumen des Himmels, und die Blumen Sterne der Erden. Die Sonne das Auge der Welt, und das Auge die Sonne des Angesichts u.s.w. Milton malt eine Erde mit Bergen und Thälern, mit Tag und Nacht, Süd, Nord Osten, in den Himmel und baut Palläste in die Hölle etc. Das heißt Fische in den Wald, und das Wild in die See malen. 11 Und jedes Haar etc. Das heißt, die Stümper verfallen auf Kleinigkeiten in ihren Beschreibungen. Sie malen uns alle Sonnenstäubchen, die sie in der Luft haben fliegen sehen: aber im Ganzen ist weder Art noch Geschicke. Einen Helden in der Tragödie läßt man seine Schöne in den künstlichsten Ausdrückungen, bis auf die Fäserchen, so an ihren Spitzen sind, beschreiben; aber die ganze Fabel taugt nichts. 12 Ihr Dichter wagt etc. Mancher will ein Heldengedichte schreiben, ehe er noch weis, daß es Regeln in der Welt giebt, darnach es eingerichtet werden muß. Aristoteles und andre, die davon geschrieben, sind ihm unbekannt: Doch wagt er sich. Mancher will Comödien machen oder Tragödien schreiben, und weis nichts von der innerlichen Einrichtung, von den Schönheiten und Fehlern dieser Poesien. Daher dichtet er die unmöglichsten Sachen zusammen, z.E. nach Athen, zu Demokrits Zeiten, Könige, Glockenthürme, Fischbeinröcke u.d.g. wie Regnard in seinem Demokritus gethan hat. 13 Räthselhaft entdeckt. Dieß geht wieder auf die großen Arten der Gedichte. Ein Heldengedichte und ein theatralisches Stück melden gleich von vorne, wovon es handeln wird, aber nur dunkel; damit nicht der Zuhörer Aufmerksamkeit ein Ende nehme, ehe alles aus ist. Die völlige Auflösung der ganzen Verwirrung muß ganz aufs letzte bleiben. Unsre Romanschreiber pflegen diese Regel ziemlich gut in Acht zu nehmen; wenn sie ihre Fabeln in der Mitten anfangen, und allmählig das vorhergegangene nachholen. 14 Klug im Unterscheiden. Eine kluge Wahl macht einen guten Poeten. Die ersten Einfälle sind nicht immer die besten. In einer Hauptfabel können viele Nebenfabeln vorkommen, aber sie sind nicht alle gleich gut. Der Poet muß einen Unterschied zu machen wissen. 15 Zu kühn. Wider diese Regel haben nicht nur die Zesianer und andre Gesellschafter, aus mancherley Orden in Deutschland auf eine lächerliche Art gesündiget; sondern es treten auch heutiges Tages noch viele in ihre Fußtapfen. Sie machen täglich ein paar Dutzend neue Wörter, und es kömmt kein Gedichte von ihnen zum Vorschein, darinn sie nicht ihrer Meynung nach, die Sprache bereichert hätten. Sie verhunzen auch die Wortfügungen, und meynen nicht eher sinnreich zu schreiben, als wenn sie Sprachschnitzer machen. 16 Das ältste etc. Die Fügung der Wörter giebt oft alten Wörtern einen neuen Verstand: Wenn nun der Scribent sie so verbindet, daß man ohne Mühe sieht, was er haben will, so ists gut. Der Grundtext kann auch von der Zusammenziehung zweyer einfachen Wörter verstanden werden. Z.E. Bank und Sänger ist beydes bekannt: wenn ich aber einen schlechten Poeten einen Bänkelsänger nenne, so ist es neu. Die Lateiner pflegten dergleichen zu thun, aber die Griechen weit häufiger. Wir Deutschen haben die Freyheit auch, aber man muß das Ohr zu Rathe ziehen, und die Aehnlichkeit der Sprachlehre beobachten. 17 Bescheiden thut. Z.E. wenn man UNE COURTISANE eine Buhldirne, ein Original ein Vorbild, eine Idee ein Denkbild nennet; so wird wohl die Bescheidenheit noch nicht verletzet: Wer aber den Spiegel einen Gleicher, die Nase einen Schnauber, den Fuß einen Trittling nennen wollte, der würde gewißlich verstoßen. 18 Griechenland. Was Horaz von Griechenland sagt, das gilt bey uns von Frankreich. Es giebt einige Wörter, die wir von ihnen nehmen müssen; weil wir sie nicht ohne große Umschweife deutsch geben können. Z.E. Perücke, Compliment, Dragoner u.d.gl. Allein viele thuns ohne Noth, wo wir gar gute Redensarten haben. 19 Julius Cäsar hatte angefangen, die lucrinische See mit dem Meer zu vereinigen: August brachte es vollends zu Stande, nennete aber diese Anfurt PORTUM IULIUM. 20 Augustus. Der römische Burgermeister Cethegus hatte den pomptinischen Morast schon einmal ausgetrocknet: er war aber wieder sumpfigt geworden. August ließ ihn also zum andernmal in brauchbar Land verwandeln: Es hat aber auch nicht lange gedauret. 21 Gewohnheit. Freylich muß man nichts schreiben, als was üblich ist; aber nicht alles, was üblich ist, das darf man schreiben. Die Gewohnheit ist zweyerley: die eine geht bey den geschicktesten Hofleuten, den guten Scribenten und dem vernünftigsten Theile vom Adel und Bürgerstande im Schwange. Die andre herrscht bey dem Pöbel, den einfältigen Scribenten, dem ungelehrten Adel, und den affectirten Hofleuten. Jene ist die Richtschnur der Poeten, nicht aber diese. Nach dieser Regel sollten sich die pöbelhaften Versmacher richten, denen auch die niederträchtigsten Redensarten edel genug sind. 22 Gedicht. Horaz meynt das Heldengedichte Ilias, welches in langen sechsfüßigten Versen geschrieben ist. Nun könnte zwar auch in kurzen oder vermischten Versen ein Heldengedicht gemacht werden: weil das Wesen desselben in der innern Einrichtung, nicht aber in der Länge der Zeilen besteht. Allein Aristoteles hat schon erinnert, daß eine solche Art von Versen lange nicht so majestätisch klingen würde, als ein Heldengedicht klingen soll. Im Deutschen müssen wir lange jambische Verse, mit ungetrennten Reimen; oder gar lange trochäische ohn alle Reime dazu nehmen: wo es nicht noch rathsamer ist, das griechische und lateinische heroische Sylbenmaaß bey uns einzuführen. 23 Elegie. Diejenige Art von Versen, da man die Alexandrinischen mit kürzern fünffüßigen immer abwechselt. Zuerst hat man nichts, als Klagen über die Verstorbenen darinn abgefasset: Hernach aber hat man auch verliebte Briefe, Hochzeitverse und kleinere Sinngedichte damit gemacht. Callinous, Theokles oder Terpander soll sie erfunden haben. Im Deutschen brauchen wir abermal die langen jambischen, doch mit wechselnden Reimen dazu. 24 Archilochus erfand. Nicht als wenn vor ihm keine Jamben wären gemacht worden: Denn nach Aristotelis Berichte hat schon Homer auf einen gewissen Margites eine Satire gemacht, die fast aus lauter jambischen Versen bestanden; sondern weil er sich sonderbar damit hervorgethan. 25 Sehr geschickt. Weil es nämlich im Griechischen und Lateinischen, so wohl als itzo im Deutschen, überaus leicht fiel, jambische Verse zu machen; und weil dieses Sylbenmaaß von der natürlichen prosaischen Rede nicht sehr unterschieden ist. 26 Geräusch. Ohne Zweifel dasjenige, welches in den Schauplätzen entstund, wenn viele Zuschauer vorhanden waren. Weil nun die ungereimten jambischen Verse fast wie die ungebundene Rede klungen, und doch eine gewisse Anmuth hatten: So hörte das Volk desto aufmerksamer zu. Bey uns, und bey den Franzosen machens die Reime, daß unsre poetische Schauspiele von der Prosa gar zu sehr unterschieden sind: Denn Italiener und Engländer machen alle ihre Lustspiele und Trauerspiele in ungereimten Versen, wie die Alten. Von den Opern ist hier die Rede nicht. 27 Der Musen. Im Grundtexte steht nur eine Muse, und es soll vielleicht Calliope seyn; die ihren Sohn Orpheus nach der XII. Ode des I Buchs Horatii, zuerst singen gelehret: Wiewohl es gewiß ist, daß lange vor dem Orpheus schon Lieder gesungen worden. 28 Oden. Dieß ist der allgemeine Name aller Lieder, und begreift vielerley Gattungen unter sich. H YMNOS, ENCOMIA, THRENOS und BACCHICA. Die ersten waren geistlich, und den Göttern zu Ehren gemacht; die andern weltlich, und hielten das Lob der Könige, Helden und Sieger bey den griechischen Spielen, in sich; die dritten verliebt, und beklagten die unglücklichen Schicksale der Poeten in der Liebe; die vierten lustig, und wurden beym Trunke gebraucht. Die HYMNI hießen auch PAEANES, die ENCOMIA wurden auch SCOLIA genennet: die THRENOS nannte man auch MELOS, und die BACCHICA hießen auch wohl DITHYRAMBI, darinnen oft was satirisches vorkam: Wiewohl man diese Namen nicht immer so genau unterschieden hat. Man sehe Scaligers Poetik nach. 29 In jeder Art. Wer die verschiedenen Charactere, der Heldengedichte, Elegien, Satiren, Trauerspiele, Lustspiele und Oden nicht zu beobachten weis, der darf sich nicht rühmen, daß er ein Poet ist. Horaz ist selbst so bescheiden, daß er sich solches nicht zuschreibet. Man kann leicht sehen, wie wenige deutsche Poeten diese Charactere beobachtet. Opitz hat nicht viel Nachfolger gefunden, die, so wie er, in die Fußtapfen der Alten getreten. Man macht Heldengedichte in elegischen, und verliebte Klagen in heroischen Versen. Man macht Lobgedichte in der gemeinen satirischen Schreibart, und die Satire wird bald so hoch als ein Heldenlied, bald gar in der Sprache des Pöbels abgefasset. 30 Betrübt. In tragischen Versen soll man nicht von comischen Sachen reden, heißt es eigentlich. Dawider verstößt z.E. Schackespear, der auch in seinem Julius Cäsar, gleich im Anfange einen Schuhflicker mit den niedrigsten plautinischen Possen einführt. Die Comödie aber hat die lächerlichen Thorheiten des Mittelstandes vor sich, und fodert also eine ungekünstelte, natürliche Art des Ausdruckes. Die Tragödie hergegen stellt die unglücklichen Schicksale hoher Personen vor, und muß also in erhabener und prächtiger Schreibart gemacht werden. Wer dieses vermischt, der verräth seine Unwissenheit. 31 Thyest. Ennius hatte davon ein Trauerspiel gemacht. Es hatte ihm Atreus seine eigene Kinder gesotten, und zu essen vorgesetzt, die er auch unwissend verzehret hatte. Diese grausame Begebenheit vertritt hier die Stelle aller andern tragischen Fabeln, und zeigt, wie ungereimt es seyn würde, von dergleichen schrecklichen Dingen eine niederträchtige Schreibart zu gebrauchen. 32 Nicht jede Schreibart etc. Diese Regel des Horaz ist von großer Wichtigkeit, und erfordert viel Verstand und Beurtheilungskraft bey einem Scribenten: Daher denn vielfältig dawider verstoßen wird, z.E. Günther in seiner Heldenode auf den Prinzen Eugen, der bald sehr erhaben; bald wieder höchst niederträchtig schreibt; oder wie in dem vorgedachten Trauerspiele Schackespears die Schreibart zu niedrig ist. 33 Des Lustspiels Ton erhöhn. Die Natur gewisser Affecten bringt hochtrabende Redensarten, und einen verwägenen Ausdruck nach dem andern hervor. Z.E. der Zorn, davon Chremes in Terentii Comödien ein Beyspiel giebt. Soll nun ein Zorniger auch in der Comödie natürlich sprechen, so muß man ihn tragisch, das ist stolz und trotzig reden lassen. Dieß ist eine Ausnahme von der obigen Regel. 34 Im Klagen senkt sich etc. Die Natur der Traurigkeit erfordert eine niedrige und gemeine Art der Ausdrückungen. Telephus und Peleus, sind ein paar Helden in einer Tragödie gewesen, die Euripides gemacht hat, und worinn er diese beyde vertriebene Prinzen in einem Bettlerhabite ganz kläglich redend eingeführet hat. Sie sind beyde nicht mehr vorhanden. 35 Wörterpracht. AMPULLAS & SESQUIPEDALIA VERBA. Das erste geht auf die hohen Gedanken, das andre auf die langen zusammen gesetzten Wörter, dadurch sonderlich im Griechischen die Schreibart erhoben wurde. Beydes würde in dem Munde eines Traurigen sehr seltsam klingen. 36 Bezaubern. Schöne Worte machens noch nicht, daß ein Gedicht schön ist: Es muß auch durch den Innhalt einnehmen, bewegen, entzücken, ja fast gar bezaubern. Alle poetische Blümchen, aller Zibeth, Mosch und Ambra, Nectar und Ambrosia sind vergeblich; alle Rosen und Nelken, Lilien und Jesminen sind umsonst; aller Purpur und Marmor, alles Gold und Helfenbein, machen nichts: Wenn die innerliche Beschaffenheit der Gedanken nicht das Herz rühret, die Affecten rege machet, und das Gemüth des Lesers oder Zuschauers in Schauspielen oder im lesen nach Gefallen hin und her treibet. 37 So zeige du mir erst. Diese Regel geht auch die prosaischen an. Cicero hat in seinem andern Buche vom Redner weitläuftig genug davon gehandelt. Es ist unmöglich, die Affecten andrer Leute zu rühren, wenn man nicht selbst dergleichen an sich zeiget. Polus, ein römischer Comödiant, sollte die Elektra vorstellen, die ihren Bruder beweinet. Weil ihm nun eben sein einziger Sohn gestorben war, so holte er dessen wahrhaften Aschenkrug auf die Schaubühne, und sprach die dazu gehörigen Verse mit einer so kräftigen Zueignung auf sich selbst aus, daß ihm sein eigner Verlust wahrhafte Thränen auspreßte. Und da war kein Mensch auf dem Platze, der sich der Thränen hätte enthalten können. Man sehe das 18. Capitel der Poetik Aristotelis nach. 38 Ausgelacht. So geht es gemeiniglich denen, die kein Geschicke haben, eine Sache dem gehörigen Affecte nach auszusprechen, und alles in einem Tone herbethen. Man kann es nicht glauben, daß es ihnen ein Ernst sey; und also rühret es auch nicht. Zum Demosthenes kam einer, und verlangte von ihm, jemanden anzuklagen, der ihn geschlagen hätte. Er erzählte aber solches sehr kaltsinnig; so, daß Demosthenes es nicht glauben konnte. Er machte ihm daher viel Einwurfe: Es könnte unmöglich seyn, daß er geschlagen worden; denn beleidigte Leute pflegten mit größerer Bewegung zu reden, als er: Bis jener sich endlich er zürnete, und mit großer Heftigkeit und kläglichen Worten seine Klage zu wiederholen anfing. Nunmehro glaube ich dir, gab der Redner zur Antwort: Denn so pflegt ein Beleidigter zu sprechen. 39 Der Seelen Innerstes, etc. Hier giebt Horaz den philosophischen Grund seiner Regeln an: Und daher sieht man, wie nöthig es auch Dichtern sey, die Weltweisheit gelernt zu haben, sonderlich den Menschen wohl zu kennen; welches ohne die Geist- und Sittenlehre nicht geschehen kann. 40 Spricht irgend etc. Die Rede ist noch immer von den Schauspielen, wo der Poet jede Person so muß reden lassen, wie es ihr Character erfordert. Die Comödianten finden hier gleichfalls ihre Regel, was die Aussprache betrifft. Ja auch die Aufseher der Bühnen haben hier ein Gesetz, ihre Rollen so auszutheilen, daß nicht ein alt Weib die Person eines jungen Mädchens, oder ein weibischer Kerl die Person eines Helden zu spielen bekomme. Denn dieses kann sich niemals recht schicken. Doch muß man nicht denken, die andern Poeten wären hier ausgenommen. Ein jeder, der andere Personen redend einführt, muß sie nach ihrem Character reden lassen. Hierinn sind Homer und Virgil große Meister gewesen. 41 Das ganze Rom. etc. Eigentlich die Edlen, und das gemeine Volk. Die Römer hatten schon einen ziemlichen Geschmack, und konnten es leicht merken, wenn jemand auf der Schaubühne dergleichen Fehler machte. Unsere Zuschauer sind so geübt noch nicht, daß sie dergleichen Urtheil fällen könnten; weil sie wenig Schauspiele gesehenhaben: Es wäre denn, wenn die Fehler ganz handgreiflich sind. Z.E. wenn man einen dummen Herrn, so, wie einen dummen Jungen reden läßt. 42 Herr etc. Knechte. DAVUSNE LOQUATUR AN HERUS. Andere setzen für HERUS, HEROS, und für DAVUS, DIVUS, wie z.E. Dacier will, weil er meynt, die Götter, so in alten Tragödien vorkommen, sollten anders reden, als die Helden. Dieß ist zwar nicht zu leugnen; doch da beyde in erhabner Schreibart sprechen müssen: so giebt es keinen großen Unterscheid. Mir kömmt es also wahrscheinlicher vor, DAVUS und HERUS, ein Knecht und Herr, sey von dem Poeten einander entgegen gesetzt worden; und da ist die Verschiedenheit der Charactere groß genug. Kömmt Davus mehr in Comödien als Tragödien vor, so ist nichts daran gelegen. Diese Regel ist allgemein für uns, und trifft alle Schauspiele. 43 Bauren. Hier ist es augenscheinlich, daß Horaz auch auf die Comödie seine Absichten gerichtet, denn Kaufleute und Bauren kommen in Tragödien fast gar nicht vor. Dacier sucht sich hier vergeblich auszuwickeln. Aristophanes hat diese Regel nach Plutarchs Urtheile schlecht beobachtet: Denn so viel verschiedene Personen er aufführet, so viel Gattungen des Ausdrucks giebt er ihnen. Auch Des Tousches ist ein großer Meister darinnen, wie denn auch Herr Professor Hollberg dieses Lob verdient. 44 Nichts ungereimtes. Nun kömmt der Poet von der Sprache auf die Charactere der Personen, die in dramatischen und epischen Gedichten vorkommen. Diese müssen nun dergestalt gemacht werden, daß die Handlungen derselben wahrscheinlich herauskommen, und es niemanden Wunder nehme, daß dieser oder jener so oder anders verfahren habe. Denn so wie man geartet ist, so handelt man auch. Das Exempel Achills macht die Sache klar. 45 Medeen. Euripides hat sie in einer Tragödie so abgeschildert. Sie ermordet mit eigner Hand ihre zwey Kinder, schicket ihrer Nebenbuhlerinn ein Kleid, welches sich entzündet, und sie verzehret u.s.w.S. den Seneca. 46 Ixion. Er soll der erste Mörder in Griechenland gewesen sein. Er bath seinen Schwiegervater Dejonejus zu Gaste, und brachte ihn ums Leben. Als ihn Jupiter aus den Händen der Richter befreyete, und zu sich in den Himmel nahm, wollte er die Juno nothzüchtigen. Darum stürzte ihn der Gott in die Hölle, wo er auf einem Rade liegend immer in die Runde läuft. Aeschylus hatte davon eine Tragödie gemacht. 47 Ino. Eine Tochter des Cadmus, stürzte sich mit einem ihrer Kinder ins Meer, als ihr Mann Athamas rasend geworden war, ihren ältesten Sohn umgebracht hatte, und den andern auch tödten wollte. Euripides hatte sie deswegen in einem Trauerspiele sehr kläglich redend aufgeführet. 48 Jo, des Inachus Tochter, ward vom Jupiter geliebt, in eine Kuh verwandelt, und von der eifersüchtigen Juno rasend gemacht: da sie denn viele Länder durchstrichen und endlich in Aegypten wieder ihre vorige Gestalt bekommen, und unter dem Namen Isis verehret worden. Aeschylus hat sie in seinem Prometheus bis ins innerste Scythien kommen lassen. 49 Orestes, war der Sohn Agamemnons und der Clytemnestra, der den Tod seines Vaters an seiner Mutter rächete, und deswegen rasend wurde. Man lese die Elektra des Sophokles nach. Euripides hat ein eigen Trauerspiel von ihm gemacht, und seinen Zustand so jämmerlich abgebildet, daß er mehr einem Gespenste und Schatten, als einem lebendigen Menschen ähnlich sah. So groß war sein Unglück, seine Wuth und Raserey geworden. 50 An neue Fabeln. Vorher wies Horatz, wie man Personen, die in den Fabeln schon bekannt sind, characterisiren solle; nämlich so, wie sie von den Alten beschrieben worden: Itzo zeigt er, wie man die Charactere der Personen in neuen Fabeln bilden solle; nämlich nicht widersinnisch, sondern gleichförmig mit sich selbst. Ein Stolzer muß sich stolz, ein Furchtsamer furchtsam, ein Geiziger geizig bezeigen; und bis ans Ende der Fabel so bleiben. Dieses ist nichts leichtes. Indessen haben Homer den Ulysses und Achilles, Virgil den Aeneas, Plautus seinen Großsprecher, Terentius seinen Schmaruzer; Gryphius seinen Schulfuchs und Sempronius, und Hollberg seinen IEAN DE FRANCE so entworfen. 51 In neue Verse. Die Ilias Homers hat zu vielen Tragödien Anlaß gegeben; ob wohl Aristoteles sagt, daß nicht mehr, als eine, oder höchstens zwo daraus gemacht werden können. Man hatte aber nur Gelegenheit davon genommen, und viel dazu gedichtet, welches denn einem Poeten allezeit erlaubt gewesen. Dieses räth uns der Poet, als etwas leichtes. Des Tasso befreytes Jerusalem hat gleichfalls viele Tragödien veranlasset. 52 Bekannten Sachen. Die alten Gedichte der Griechen, die in jedermanns Händen waren. Von einem Helden, ja von derselben Handlung eines Helden, können viele Tragödien gemacht werden. Z.E. Oedipus ist vom Sophokles, Corneille und Voltaire, Sophonisbe von Corneille, Lee, Mairet und Lohenstein, Julius Cäsar vom Schackespear, von der Jungfer Barbier, und von Voltairen, Cato von Addison, des Champs und von mir beschrieben worden; aber alle haben die Fabel anders gemacht. 53 Ahmt ängstlich. Die Nachahmung alter Fabeln muß mit Verstande geschehen. Nicht alles, was man von gewissen Personen findet, läßt sich auf der Schaubühne vorstellen: Denn die Regeln der Schauspiele, sind ganz anders, als die Regeln des Heldengedichts. Wer nun über der Nachahmung seine Absicht vergässe, der würde mitten im Gedichte stecken bleiben; weil er bald sehen würde, daß es sich nicht ausführen liesse. 54 Kein Gedicht etc. Nun scheint Horaz aufs Heldengedichte zu kommen. Et tadelt die pralerischen Anfänge desselben; und führt das Exempel des Mävius an, der den ganzen Lebenslauf Priams in ein Gedichte gebracht hatte; weswegen er ihn SCRIPTOREM CYCLICUM nennet. Statius ist auch ein solcher c YCLICUS SCRIPTOR, weil er den ganzen Lebenslauf Achills beschrieben; und dieser hat es, ungeachtet dieser Regel des Horaz, die ihm nicht unbekannt seyn konnte, doch noch viel ärger gemacht. Er hebt an: MAGNANIMUM AEACIDAM FORMIDATAMQUE TONANTI PROGENIEM, & VETITAM PATRIO SUCCEDERE COELO, DIUA REFER! – – – Im Deutschen hat ein Freyherr von Lichnovsky des Prinzen Eugens Lebenslauf als ein SCRIPTOR CYCLICUS, in Versen entworfen. 55 Bescheidner. Die Klugheit lehrte diesen Poeten ganz gelassen anfangen, und kein groß Geschrey machen, als er seine Odyssee schrieb. Virgil hat es eben so gemacht. Lucan, Statius und Claudian sind von der rechten Bahn wieder abgewichen. Z.E. Dieser letzte fängt seinen RAPTUM PROSERPINAE so an: INFERNI RAPTORIS EQUOS, AFFLATAQUE CURRU SIDERA TENARIO, CALIGANTESQUE PROFUNDAE IUNONIS THALAMOS, AUDACI PROMERE CANTU MENS CONGESTA JUBET. 56 Der Schatten zeugt das Licht. Eigentlich, der Dampf geht vor dem Glanze her. Wie der Rauch vor der vollen Flamme entsteht: So muß der Anfang eines Gedichts seyn; nicht aber wie Stoppeln, die gleich lichterlohe brennen, aber auch gleich wieder verlöschen und lauter Rauch machen. Wer den Anfang eines Gedichts gar zu hoch und künstlich macht, der sinkt hernach allmählich. Wer also schwach anfängt, und sich hernach erhebt, der versteht die Kunst besser. 57 Diomeds. Antimachus, ein griechischer Poet, hatte von der Rückreise Diomeds ein Gedichte geschrieben, und den Anfang dazu vom Tode Meleagers vor Troja, gemacht, der doch gar nicht dazu gehörte. 58 Von Ledens Eyern an. Der Urheber der kleinen Ilias hatte sich vorgenommen, den ganzen trojanischen Krieg zu besingen: davon Homer nur einen kleinen Theil in seinem Gedichte beschrieben hat. Er fieng aber die ganze Fabel von vorne an, wie nämlich Helena, nebst dem Castor und Pollux gebohren wäre: bloß weil der Raub dieser Prinzeßinn die Ursache des ganzen Krieges gewesen war. Das war nun viel zu weit hergeholt. 59 Dem Zwecke zu. Ein jedes Heldengedicht hat einen Hauptzweck oder seine Absicht. In der Ilias ist es die Rache Achills an dem Hector: In der Odyssee die Wiedererlangung des Regiments auf der Insel Ithaka. Dahin eilt Homer gleichsam, und mischt keine fremde Zwischenfabeln ein, die nicht ganz unentbehrlich wären. Das ist sein großes Kunststück. Er setzte zum voraus, daß seine Leser den Ursprung des trojanischen Krieges, und andre damit verknüpfte Sachen schon wissen würden. 60 Die er ersonnen hat. Der Poet sagt, Homer habe so gelogen, und das Wahre mit dem Falschen so geschickt vermischt, daß etc. Die Seele des Heldengedichts und einer Tragödie ist die Fabel, die der Poet erdichtet; nicht aber eine wahrhafte Historie, wie sich viele fälschlich einbilden. Wenn die Fabel erdacht ist, alsdann sucht der Poet in der Historie erst eine ähnliche Begebenheit, und giebt seinen Personen die bekannten Namen aus derselben, damit sie desto wahrscheinlicher werde. Das heißt, das Wahre mit dem Falschen vermischen; wie Aristoteles solches in seiner Poetik, und Bossu in seinem Tractat von Heldengedichten weitläuftig zeigen. 61 Vernimm, etc. Hier kömmt Horaz wieder auf die Schauspiele, und will zeigen, worinn ihre Schönheit bestehe. Dieses müssen sich alle diejenigen wohl merken, die ihr Glück auf der Schaubühne versuchen wollen, damit sie nicht ungereimt Zeug machen. 62 Der Sänger. Vermuthlich meynt der Poet das ganze Chor, welches zwischen den verschiedenen Handlungen der Schauspiele ganze Oden abzusingen pflegte, und am Ende mit dem Worte PLAUDITE den Schluß machte. Doch war es hauptsächlich der Choragus , oder der Anführer des Chores, der im Namen des ganzen Chores zu reden pflegte. 63 Der Menschen etc. Dieß ist die nothwendigste Eigenschaft eines Poeten, der theatralische Stücke verfertigen will. Er muß die Moral verstehen, oder den Menschen mit allen seinen verschiedenen Neigungen und Begierden kennen. Ohne diese Wissenschaft wird er lauter Fehler machen. Die größten Meister habens zuweilen hierinn versehen: Was wird denn von Stümpern zu hoffen seyn, die von der Philosophie, so zu reden, nicht einmal gehöret haben? Gleichwohl haben wir in Deutschland eine Menge verwegener Comödienmacher gehabt, an welchen nichts mehr zu loben ist, als daß sie das wenigste haben drucken lassen: So, daß es uns gleichwohl von Ausländern nicht zur Schande kann vorgerücket werden. Auch itzo, nachdem unsre Bühne ein besseres Ansehen gewonnen, finden sich Leute, die keine Person zu characterisiren wissen, und z.E. dem Apollo, anstatt der Leyer das Bild der Klugheit in die Hand geben, u.d.gl. und sich doch für Meister der Schaubühne ausgeben. 64 Des Greises Rolle. Das heißt nicht: Keinem jungen Comödianten die Partie eines alten Mannes zu spielen geben; sondern einem Jünglinge, der im Schauspiele selbst einen jungen Menschen vorstellen soll, nicht die Gemüthsart eines Alten andichten. Denn da jenes sehr wohl angeht, so läuft dieses wider alle Wahrscheinlichkeit. Hieher gehört, daß man die Rolle einer tugendhaften Person, die des Zuschauers Hochachtung erwerben soll, nicht einem verhaßten oder verächtlichen Comödianten; und hingegen die Person eines Lasterhaften keinem beliebten und angenehmen Schauspieler auftrage. Siehe davon des Zuschauers VI. Band 446. Stück. 65 Erzählt man bloß. Man kann nicht alles sichtbarlich auf der Schaubühne vorstellen, was in einer Tragödie oder Comödie vorkömmt. Bisweilen ist die Zeit, bisweilen auch der Ort Schuld daran; bisweilen aber auch die Natur der Sache selbst. Die Franzosen lassen sowohl, als die alten Griechen, auf ihren Bühnen kein Blut vergießen, weil sie so weichlich und wollüstig von Natur sind, als jene waren. Wenn also ein Todtschlag vorgeht, so wird er nur erzählt, als wenn er hinter den Scenen vorgegangen wäre. Die Engeländer und wir Deutschen haben dergleichen blutige Dinge gern; wenige Personen ausgenommen, die kein Blut sehen können. Doch ist es der Wahrscheinlichkeit wegen besser, sich dieser Vorstellungen zu enthalten. 66 Medea. Wir haben oben gehört, daß sie ihre beyde Kinder ermordet habe. Wenn nun ein Poet ein Trauerspiel davon machte, so darf er sie diese schändliche Mordthat nicht vor den Augen der Zuschauer begehen lassen. Seneca hat es indessen in seiner Tragödie doch gethan, und also des Horaz Regel überschritten: Der aber, wie leicht erhellet, nicht alle, sondern nur die grausamsten Mordthaten auf der Schaubühne für unanständig erkläret; wie denn alle drey griechische Tragödienschreiber sich nicht gänzlich der blutigen Handlungen enthalten haben. 67 Progne soll sich in eine Schwalbe, Philomele in eine Nachtigall, Cadmus aber in eine Schlange verwandelt haben. In der Fabel ist dieß angenehm zu lesen, aber es wird lächerlich, ja unglaublich, wenn man es sichtbar vorstellen wollte. Daher kann man urtheilen, was von der Verwandlung eines Mannes in einen Hund zu halten sey, die uns gleichwohl in einer gewissen neuen Comödie auf der Schaubühne hätte gezeiget werden sollen, wenn sie jemals gespielet worden wäre. 68 Fünf Aufzüge. Die Neuern haben zwar zuweilen nur drey gemacht, aber alsdann bekömmt jeder Aufzug gar zu viel Scenen oder Auftritte, so, daß dem Zuschauer Zeit und Weile darüber lang wird. Es ist also besser, man bleibe bey dieser Regel des Horaz, und folge lieber dem Exempel der alten Griechen nach, als den heutigen Italiänern: Die ohne Zweifel die Urheber der Stücke mit dreyen Aufzügen sind. 69 Keinen Gott. Die alten Tragödienschreiber pflegten zuweilen ohne Noth, die Götter in ihre Fabeln zu mischen: Sonderlich wenn sie ihren Helden in solche Umstände hatten gerathen lassen, daß er ohne ein solches Wunder nicht aus oder ein gewußt hätte. Dieses verbiethet Horaz, ohne die höchste Noth nicht zu thun. Es ist auch in der That eine schlechte Kunst, die Verwirrung, darinn man seinen Held gestecket, durch eine göttliche Hülfe zurecht zu bringen. Das heißt, den Knoten zerschneiden, nicht auflösen. Daher erhellet denn, daß die größte Schönheit der Opern, die den Pöbel so blendet, ich meyne die Maschinen, nichts als theatralische Fehler sind, zumal die meisten recht bey den Haaren herzugezogen werden. 70 Ihrer drey. Dieses ist eine Regel, dawider fast in allen neuern theatralischen Poesien gehandelt wird. Die Alten hatten gemeiniglich nur zwey, selten drey, und fast niemals viere auf einmal mit einander sprechen lassen. Der lateinische Ausdruck läßt sich auch so erklären, daß die vierte Person, sich nicht ohne Noth zum Reden dringen solle. Die Franzosen indessen haben zuweilen wohl fünf Personen auf der Schaubühne in einem Auftritte reden lassen. Es ist auch zuweilen fast unentbehrlich, nur es muß keine Verwirrung dadurch verursachet werden. 71 Der Chor. Das war bey den Alten eine Menge von Leuten, die auf der Schaubühne, als Zuschauer der Handlung, die daselbst gespielet ward, vorgestellet wurden. Die Wahrscheinlichkeit erforderte es damals so. Die Thaten der Könige und Helden giengen fast immer auf öffentlichem Markte, oder doch auf solchen Plätzen vor, wo eine Menge Volks ihnen zusah. So mußten denn diese auch auf der Schaubühne vorkommen. Die Bürger der Stadt hatten auch mehrentheils an den Handlungen ihrer Könige Theil: Daher sagt hier Horaz, der ganze Chor solle auf der Bühne die Stelle einer mitspielenden Person vertreten; das heißt, zuweilen etwas darzwischen reden. Es sprachen aber nicht alle Personen des Chors auf einmal, sondern der Führer (Choragus oder Coryphäus) redete im Namen der übrigen. 72 Nichts ungeschicktes. Einige Poeten hatten den Chor nur dazu gebrauchet, daß er zwischen den Handlungen was singen mußte, und die Lieder schickten sich gar nicht zu der Tragödie. Das kam nun eben so heraus, als wenn itzo die Musikanten allerley lustige Stücke darzwischen spielen. Aber Horaz will, daß alles, was der Chor redet und singet, sich zur Sache schicken, und mit dem ganzen Spiele zusammen hängen soll: Wie es Sophokles in seinen Tragödien gemacht hat. 73 Er sey etc. Hier erklärt der Poet die ganze Pflicht des Chores. Er soll den Tugendhaften geneigt seyn, den Hülfbedürftigen mit Rath an die Hand gehen, die Zornigen besänftigen, die Unschuldigen vertheidigen, die Sparsamkeit loben, Recht und Billigkeit lieben u.s.w. Dadurch ward nun eben die Tragödie der Alten eine Schule des Volkes, und die Poeten, die dem Chore solche nützliche Sachen in den Mund legten, wurden öffentliche Lehrer der Tugend. Man lernte im Schauplatze mehr Morale und rechtschaffenes Wesen, als in den Tempeln der Heyden von so vielen müßigen Götzenpfaffen, die nichts, als ihre Ceremonien zu beobachten wußten. So sollten von rechtswegen alle Schauspiele eingerichtet werden, nicht aber so, daß sie zu Lastern reizen. 74 Die Pfeife, etc. Womit man bey dem Gesange des Chores in Tragödien zu spielen pflegte. Wie nun diese, sowohl in Griechenland, als nachmals in Rom, anfänglich schlecht waren; nachmals aber allmählich immer künstlicher und kostbarer gemacht wurden; nachdem die Republik selbst in Flor kam, und die Musik vollkommener wurde: so gieng es auch mit der Poesie, oder den Liedern des Chores, davon der Poet hier noch fortfährt zu reden. Erst waren sie einfältig, hernach wurden sie immer besser, und endlich gar so künstlich und tiefsinnig, daß sie den Orakeln nicht viel nachgaben. 75 Metall, etc. ORICHALCUM war eine Art köstliches Metalls, das wir itzo nicht mehr kennen. Plinius schreibt, man habe es gar eine Zeit lang dem Golde vorgezogen. Einige meynen, es müsse AURICHALCUM, d.i. Golderzt heißen; aber es ist griechischer Abkunft, ὀριχαλκος, und heißet Bergerzt. 76 Vier Löchern, etc. Nach dem Berichte Varrons sind die ältesten Pfeifen nicht mit mehr, als vier Löchern versehen gewesen: Ich habe also dieses mit eingerückt, ungeachtet Horaz nur von wenigen Löchern gedenket. 77 Bey Tage prassen. Die alten Römer schmauseten nicht sehr; und wenn sie es ja thaten, so geschah es des Abends. Aber als der Ueberfluß die Bürger wollüstig gemacht hatte, pflegten sie es auch bey hellem Tage zu thun; und das ward ihnen von keinem Sittenrichter oder sonst von jemanden verbothen. 78 Ein Bauer. Die alten Römer trieben fast alle den Ackerbau, und man hat wohl eher einen Bürgermeister oder Dictator hinter dem Pfluge suchen müssen. Solche Landleute nun waren keine sonderlichen Kenner von Poesie und Musik: Es war schon gut genug für sie, so schlecht es auch immer seyn mochte. 79 Der Pfeifer. Die Musikanten gehörten mit zum Chore der Alten, und stunden also mit auf der Bühne, so, daß man sie sah. Da nun ihre Musik sehr künstlich, zärtlich und wollüstig geworden war: so trugen sie auch prächtige lange Kleider mit großen Schweifen, dergleichen die andern tragischen Personen hatten. 80 Die Cyther. Die Leyer, Harfe, oder wie man das Wort FIDES geben will. Sie ward vorzeiten in Griechenland, eben sowohl als die Pfeifen in Rom, beym Chore der Tragödien gebraucht. Siehe den Vossius DE POËMATUM CANTU, SIUE DE VIRIBUS RHYTHMI, APUD VETERES. Horaz will hier sagen, daß sie auch anfänglich nur schlecht weg, und ohn alle Kunst gespielet worden; allmählich aber ganz zärtlich, wollüstig und frech geworden, das heißt: FIDIBUS SEUERIS VOCES CREUERE. Was von der Musik gesagt worden, das gilt auch von der Poesie der Griechen; wie die folgenden Verse zeugen. 81 Geschwulst. Horaz sagt ELOQUIUM INSOLITUM, und FACUNDIA PRAECEPS, beydes zeigt die hochtrabende Art des Ausdruckes, und die schwülstige Dunkelheit der griechischen Oden an, die der Chor singen mußte. Die Ode muß freylich wohl eine edle Schreibart haben: Aber die Poeten triebens zu hoch, und machtens endlich so arg, daß man sie nicht besser verstehen konnte, als die Antworten der Orakel, die doch ganz zweydeutig zu seyn pflegten. Hiemit tadelt er alle die Poeten, die ihre Schreibart, zumal in den Schauspielen, gar zu tiefsinnig machen, und ihre Gedanken so verstecken, daß man sehr listig seyn muß, um ihre Meynung zu errathen. 82 Düften. Es ist bekannt, daß zu Delphis aus einer unterirdischen Höle ein gewisser Dampf aufgestiegen, der nach dem gemeinen Aberglauben, der auf einem Dreyfusse darüber sitzenden Priesterinn, die prophetische Wissenschaft künftiger Dinge von unten zu eingehauchet. Diese prophezeihende Schreibart nahmen die Poeten in den Oden ihrer Chöre an; und überschritten die Schranken der Wahrscheinlichkeit dadurch sehr. 83 Der Dichter. Er redet hier von dem Pratinas, dem Erfinder der Comödien. Es hatte derselbe vorher auch Tragödien gemacht, die dazumal noch nichts, als bloße Lieder waren, die von einer großen Anzahl Sänger auf Dörfern und Marktflecken den Leuten vorgesungen wurden. Es hat zu seiner Zeit schon mehrere gegeben, die mit einander um den Vorzug gestritten, und der Preis, der zum Gewinne aufgesetzt war, ist ein Bock gewesen. Dieser Pratinas lebte nach Plutarchs Berichte, gleich nach dem Thespis, der die Tragödie erfunden hat. 84 Entblößte etc. Dieser Poet Pratinas hat den ganzen Chor aus nackten Satyren, unter der Anführung Silens, ihres Obersten, bestehen lassen; und also eine Art von satyrischen Tragödien aufgebracht. Es waren aber die Stachelreden dieser sogenannten Satyren nicht so lustig und scherzhaft, als die Comödien. Dieses hätte sich mit der tragischen Ernsthaftigkeit nicht zusammen gereimet; darum sagt Horaz, INCOLUMI GRAUITATE, JOCUM TENTAUIT ASPER. Sie sind mehr beißigt und scharf, als lächerlich gewesen. Wir haben nur eine Probe von dieser Art, nämlich des Euripides Cyclops, übrig behalten, darinn die List des Ulysses vorgestellet wird, womit er sich aus den Händen des Polyphemus befreyet hat. 85 An Feyertagen. Die heidnische Religion war sehr lustig. Der vornehmste Gottesdienst bestund im Opfern, dabey man wacker schmausete, und dem Gott Bacchus zu Ehren, sich einen Rausch trunk. Die ersten Tragödien waren nichts anders, als Lieder, die demselben zu Ehren gesungen wurden, und die Stelle der Nachmittagsandachten vertraten. Da man nun zwischen die Lieder des Chores die redenden Personen eingeschaltet hatte, die eine besondere Fabel spieleten, dazu sich denn auch der Chor hernach schicken mußte: so hatte durch diese neue Erfindung der Poeten, der Gott Bacchus gleichsam seine ganze Verehrung eingebüßet. Das trunkne Volk hergegen war dieser beliebten Gottheit noch sehr gewogen: daher beqvemte sich dieser Poet einestheils dieser Neigung, und mischte unter die ernsthaften tragischen Vorstellungen Chöre von Satyren, die auch etwas Lustiges mit darunter machten. 86 Wagt sich unter uns. In Rom sind dieser Art Schauspiele niemals eingeführet worden: obgleich einige die FABULAS ATELLANAS dahin haben rechnen wollen. Gleichwohl giebt Horaz auf allen Fall Regeln, die allen Satyrenschreibern dienen können. Unsere Nachspiele, wenn sie ehrbar sind, vertreten ihre Stelle. 87 Ein Gott, ein Held. Diese Personen gehören eigentlich nicht in die Comödien, sondern in die Tragödien: doch in den atellanischen Fabeln, pflegten die Römer auch diese aufzuführen, und was Lustiges mit unterzumischen. Eine solche Atellana war gleichsam das Nachspiel einer Tragödie in Rom, wie Dacier will, und ward von eben denselben Personen gespielt, die im Vorspiele in Kron und Purpur erschienen waren. Wollen wir uns diese Anmerkung zu Nutze machen, so verdammt Horaz hier auch diejenigen Comödianten, die in der Hauptvorstellung einen König oder Helden vorgestellet, und gleich im Nachspiele eine lächerliche Person spielen. Dieses ist vernünftigen Zuschauern höchst zuwider. Siehe des Zuschauers 446. Blatt. 88 Sich weder etc. noch etc. Die Schreibart in dieser Art von Schauspielen soll das Mittel halten, weder pöbelhaft und niederträchtig, noch gar zu hochtrabend und aufgeblasen seyn. Die Römer hatten noch FABULAS TABERNARIAS, da auf der Bühne die Hütten schlechter Leute vorgestellt wurden, und worinn lauter schlechte Leute auftraten, die ganz gemein redeten. Zwischen diesen und den tragischen Ausdrückungen sollen die atellanischen Fabeln das Mittel halten. 89 So ehrbar eine Frau. Dieß Gleichniß ist überaus geschickt, das obige zu erläutern. Eine Matrone mußte zwar an Festtagen tanzen; aber ganz ehrbar: nicht so lustig, als junge Mägdchen, die sich recht ergetzen wollten. So sollte auch diese Art von Tragödien seyn. Es waren aber nur gewisse Feste, da die Frauen in Rom den Göttern zu Ehren tanzen durften, und sie wurden von den Priestern dazu gewählet. Das heißt MOUERI IUSSA. 90 Ein solch Gedichte. Im Grundtexte SATYRORUM SCRIPTOR, ein Schreiber solcher satyrischen Gedichte, oder solcher atellanischen Tragicomödien. Dieß giebt allen Nachspielmachern eine treffliche Regel. Sie sollen nicht grob, bäurisch und gemein reden; sondern auch das Nachspiel hat seinen Adel im Ausdrucke. Z.E. Euripides in dem Cyclops, einem satyrischen Stücke, läßt den Ulysses durch den Silenus fragen: Weil ihr nun die schöne Helena aus Troja wiedergeholt, habt ihr sie nicht alle ein wenig lieb gehabt; weil sie doch ohnedem ihre Männer gern wechseln mag? Was für Zoten hätte da nicht ein heutiger Possenreißer einem solchen Satyr in den Mund geleget? 91 Als wär es mir gleich viel. Der Character der Personen muß doch in Acht genommen werden: Und wenn gleich in der Tragödie alles erhaben und edel klingen soll; so muß doch der Knecht Davus nicht so reden, wie Pythias, die in Lucils Comödie einen alten Simon ums Geld gebracht; vielweniger, wie Silenus selbst, des Gottes Bacchus Hofmeister, der im Trunke auch wohl eine Zote mit unterlaufen ließ. 92 Nach etwas wahrem. Die damaligen Poeten mochten sich in den atellanischen Tragödien eben die Freyheit nehmen, die in Comödien gilt, und ihre Fabeln nicht aus der Historie ziehen. Aber Horaz will, man soll es eben so, wie mit andern tragischen Fabeln machen, die am besten sind, wenn sie aus den Geschichten gezogen worden. Davon gehen unsre Nachspiele sehr ab. 93 So viel kömmt etc. Dieses handelt nicht von der Schreibart, sondern von der Einrichtung eines Schauspieles, woselbst die artige Verknüpfung der Begebenheiten auch gemeine und bekannte Sachen beliebt macht, und ihnen ein neues Ansehen giebt. 94 Nehmt. Horaz kömmt noch einmal auf die Mittelstraße, die in satyrischen Schauspielen wegen des Ausdruckes beobachtet werden soll. Die gar zu große Zierde und Zärtlichkeit der damaligen Römer schickte sich nicht für die Satyren, die vom Lande hergeholet waren; aber auch keine Unflätereyen, die gewiß in üppigen Städten eher, als auf dem Lande bey der Einfalt gefunden werden. Virgil ist in seinen Schäfergedichten so keusch, daß er nicht einmal seinen Silenus etwas anstößiges sagen läßt. Er verspricht seinen Zuhörern, die gern Verse hören wollten, was vorzusingen; seiner Nymphe Aegle aber, etwas anders zur Belohnung: CARMINA QUAE VULTIS, COGNOSCITE; CARMINA VOBIS; (SCIL. DABO) HUIC (SCIL. AEGLAE) ALIUD MERCEDIS ERIT. Wie hätte er sich hier züchtiger ausdrücken sollen? Unsre neuern Dichter würden hier grobe Zweydeutigkeiten gemacht haben. 95 Der Pöbel. FRICTI CICERIS AUT NUCIS EMTOR. Man verkaufte in Rom gekochte Erbsen und gebratne Nüsse, oder vielleicht Castanien: und diese kaufte wohl auf der Gasse nur das gemeinste Volk. Solche Leute liebten damals auch die unflätigsten Possen; aber die Vornehmern hatten einen bessern Geschmack. 96 Dreyfach. Der Jambus ist geschwinde in der Aussprache; denn die erste Sylbe ist kurz, und man fällt alsofort mit dem Accente auf die andere lange. Sechsfüßige Jamben, hießen also dreyfache; weil man gleichsam zwey Jamben zusammen nahm, und als einen gedoppelten Fuß zählete. Im Deutschen gehen unsre sechsfache Jamben so geschwinde nicht von der Zunge; weil unsre Sprache zu viel Mitlauter hat, die bey den kurzen Sylben sowohl, als bey den langen häufig vorkommen. 97 Desto männlicher. Die Spondeen klingen freylich männlicher, weil sie aus zwo langen Sylben bestehen: und daher haben die lateinischen Poeten gemeiniglich etliche derselben unter ihre Jamben gemischt. Im Deutschen ist es uns auch so ungewöhnlich nicht, daß wir manche lange Sylbe da dulden, wo eigentlich eine kurze stehen sollte; daraus an statt des Jambi ein Spondeus entsteht. Rechnen dieses einige unter die poetischen Freyheiten; so könnte man es zuweilen gar für eine Schönheit halten: wenn sie nur auf die von dem Horaz angewiesene Stelle kommen, als wo sie am erträglichsten sind. Dieß ist wohl zu merken. 98 Man spürt ihn. Nämlich den Spondeus; aber nicht so regelmäßig und auf den gehörigen Stellen. Ja diese alte Poeten haben wohl zuweilen ganze spondeische Zeilen, darinn nur der letzte Fuß jambisch ist, unter ihre Jamben fließen laßen: Nicht anders, als es unsere alte Meistersänger gemacht, auch wohl einige neuere noch thun, welches aber ihre Verse rauh und hart machet; gesetzt, die Gedanken wären noch so schön. Gewisse Grillenfänger wollen wohl gar eine Schönheit in solchen Knittelversen finden. 99 Zu richten. Dieses müssen sich die Kunstrichter gewisser Landschaften gesagt seyn lassen, deren Sprache so rauh ist, daß sie von dem Wohlklange gar keinen Begriff haben. Sie loben oft, was einem zarten Ohre unerträglich klingt, Schnitzer wider die Sprachkunst. 100 Mehr als tadelfrey. Horaz will nicht nur untadelhafte Verse schreiben; sondern er will auch Lob verdienen. Keine Schnitzer wider die Regeln machen, das ist gut, und nothwendig: aber es macht noch keinen Poeten. Es gehört weit mehr dazu. Was würde Horaz von der Menge unsrer Versmacher sagen, die es zum höchsten so weit bringen, daß man nichts sonderliches an ihren Versen tadeln kann? Wir werden hernach noch was von mittelmäßigen Poeten finden. 101 Der Griechen. Was bey den Römern die Griechen waren, das sind für uns itzo die Franzosen. Diese haben uns in allen großen Gattungen der Poesie sehr gute Muster gegeben, und sehr viel Discurse, Censuren, Critiken und andere Anleitungen mehr geschrieben, daraus wir uns manche Regel nehmen können. Ich schäme mich nicht, unsern Nachbarn in diesen Stucken den Vorzug zu geben; ob ich gleich meine Landesleute in andern Stücken ihnen vorziehe. Aber die alten Griechen und Römer sind uns deswegen nicht verbothen: denn ohne sie hätte uns Opitz nimmermehr eine so gute Bahn zu brechen vermocht. Aus Lesung der Alten ist er ein Poet geworden; und wer ihm nicht folget, der wird es nimmermehr werden. 102 Zwar unsrer Väter. Eigentlich unserer Altväter etc. Dacier meynt, dieses sey ein Einwurf, den die Pisonen, oder sonst jemand, dem Poeten gemacht; weil Horaz, als eines Freygelassenen Sohn, dieses von sich nicht sagen können. Allein was brauchts dieser Schärfe im Reden? Horaz war ein Römer, also konnte er ja alle alte Einwohner seiner Stadt, seine Vorfahren nennen: zumal da er nicht sagt, meine Vorväter, sondern unsre. 103 Aus blinder Gunst. Horaz erkühnt sich seiner ganzen Vaterstadt ein unrichtiges Urtheil vorzuwerfen. Plautus ist im Sylbenmaaße sehr unrichtig; und in seinen Scherzreden sehr schmutzig und garstig. Das erste hat er in seiner eigenen Grabschrift selbst gestanden; indem er seine Verse NUMEROS INNUMEROS nennt. Von dem andern aber könnte man, ihm nachzuahmen, sagen, daß er SALES INSULSOS, oder FACETIAS INFICETAS gemacht habe. Die plautinischen Zoten gefielen Horazen nicht: Und ob er wohl selbst in seinen andern Gedichten von diesem Fehler nicht ganz frey ist; so haben wir uns doch mehr an seine Regeln, als an sein Exempel, zu kehren. Dieses müssen sich die Comödianten merken, die auch in solche Stücke Zoten mengen, wo weder der Verfasser, noch Uebersetzer dergleichen gemacht, wie es in dem Gespenste mit der Trummel gegangen. 104 Ein erlaubter Scherz. Horaz unterscheidet hier ausdrücklich die erlaubten Scherzreden von den häßlichen Zoten, die in Plauti Comödien vorkommen. An dieser Einsicht fehlt es vielen, die sich doch für scharfe Richter ausgeben. Man könnte leicht durch ein paar Regeln den Unterscheid bestimmen, oder zum wenigsten ein Kennzeichen der Zoten angeben. Der berühmte D. Swift sagt irgendwo, daß die Wits- oder sinnreichen Köpfe seiner Zeit, allen ihren Geist in der allegorischen Beschreibung der Erzeugung eines Menschen, und was dem anhängig ist, zeigeten; und daß sie bey Verstopfung dieser Qvelle, mit ihrer Scharfsinnigkeit auf einmal verstummen würden. Daß es bey uns nicht besser gehe, lehrt die Erfahrung. 105 Aufgebracht. Nicht, als wenn Thespis der allererste Erfinder der Schauspiele wäre. Plato in seinem Minos berichtet ausdrücklich, daß man lange vor ihm Tragödien gemacht, welcher Name damals auch die Comödien noch unter sich begriffen hat. Aber Thespis hat eine neue Art darinn eingeführt, und die alten Lieder merklich ausgebessert. 106 Gesang und Spiel, QUAE CANERENT AGERENTQUE. Die Veränderung, die Thespis eingeführt, hat vornehmlich darinn bestanden, daß er zwischen die Oden des singenden Chores, eine Person auf seinen mit Brettern belegten Wagen treten lassen, welche etwa eine merkwürdige Begebenheit eines großen Helden in Versen erzählen müssen. Dieses legte den Grund zu den nachfolgenden Vollkommenheiten der Tragödie, und war freylich etwas wichtigers, als daß er seinen Leuten das Gesichte mit Hefen überstrichen, oder sie auf Wagen herum geführet. 107 Aeschylus. Dieser hat die Larven und langen Kleidungen seiner Comödianten erfunden. Allein das Beste hat Horaz vergessen, welches uns aber Aristoteles meldet. Er hat auch das Singen des Chores eingeschränket, und zu der einen Person, die Thespis darzwischen eingeschaltet hatte, noch eine andre auf die Bühne gestellt, die sich mit der ersten unterreden konnte. Das machte nun die Tragödie schon sehr ansehnlich; zumal da er auch zuerst die Idee einer Hauptperson in seinen Fabeln erdacht hat. s. Baylen in dies. Art. 108 Hohem Schuh. COTHURNUS, war eine Art von Schuhen, die bey den Alten nur von fürstlichen oder andern vornehmen Personen getragen wurde. Die tragischen Fabeln des Aeschylus bestunden nun aus Begebenheiten der Könige und Helden, drum hat er sie auch standesmäßig kleiden müssen. Es war also der Wahrscheinlichkeit gemäß, sie auch in der Tragödie so vorzustellen; und nur die Dummheit ist vermögend, Stelzen daraus zu machen. Hernach ist dieß Wort auch von der erhabenen Schreibart gebraucht worden, die in der Tragödie vorkam, und gleichfalls vom Aeschylus zuerst gebraucht worden; weil sie sich für Könige und Fürsten wohl schickte. 109 Das Lustspiel, die Comödie ist neuer, als die Tragödie, beyde aber sind aus den singenden Chören der Bacchusbrüder entstanden. Einige Sänger und Poeten machtens hübsch ehrbar; und daraus entstund die Tragödie. Andre waren frech, und machten allerley grobe Possen; daraus kam die Comödie: aber nur die alte Comödie, wie Horaz sagt; denn es hat sich dieselbe hernach geändert, so, daß eine mittlere und neue entstanden ist. Jene war noch sehr unfläthig, bäurisch und grob, wie auch ihr Name zeiget, der eigentlich so viel, als ein Dorflied bedeutet. Sie ward auch anfangs nur auf Dörfern gespielet, bis sie sich besserte; und darauf kam sie auch in der Stadt empor. 110 Die Frechheit. Zu der Zeit, da Cratinus, Epicharmus, Crates, Eupolis und Aristophanes lebten, welche alle Comödien schrieben, nahm man sich in Athen die Freyheit, die vornehmsten Leute auf den Schaubühnen namentlich aufzuführen und lächerlich zu machen. Sie spielten keine Fabeln, sondern lauter wahre Historien. Sie malten gar die Larven so künstlich, daß sie denen ähnlich sahen, die sie vorstellen wollten. Aber als Lysander sich der Republik bemächtigte, so hatte diese Lust des Volks ein Ende. Denn so lange das Volk in Athen regierte, sah es der Pöbel gern, daß die Großen wacker von den Poeten herumgenommen wurden. Das war nun die mittlere Comödie, die bis zu Alexanders Zeiten gedauert. 111 Der Chor etc. stumm. Der Chor ward in der mittlern Comödie noch eben so wohl, als in der Tragödie beybehalten, und absonderlich an gewandt, die Großen der Stadt Athen und ihr übles Regiment durchzuziehen. So bald dieses den Poeten untersaget ward, hörten sie ganz und gar auf, in den Comödien Lieder singen zu lassen, und huben an, an statt wahrer Historien, Fabeln aufzuführen. Da entstund nun die neue Comödie, die seit der Zeit noch immer beybehalten worden. Nur zwischen den Handlungen wurde von den Pfeifern was Lustiges geblasen. 112 So wohl der etc. als etc. Die römischen Poeten, Pacuvius, Accius, Afranius, Titinius und Q. Atta hatten allerley Schauspiele gemacht. Sie bestunden theils aus vornehmen obrigkeitlichen Personen, und hießen FABULAE PRAETEXTATAE, von denen mit Purpur eingefaßten Kleidern, die sie trugen. Theils Fabeln aber waren nur TOGATAE schlecht weg; weil nur gemeine Bürger darinn aufgeführet wurden. Noch andre hießen TABERNARIAE. Jene kamen den Tragödien bey, diese aber waren Comödien. Der Poet braucht dabey das Wort DOCUERE: Denn so redeten die Alten, eine Tragödie lehren, eine Comödie lehren. Dieses zeigt, wie nutzbar die Poesien damals gewesen, und daß man sie mehr zum Unterrichte, als zur Lust bestimmet habe. Daher wurden die Poeten, die Schauspiele machten, Διδάσκαλα, Lehrmeister genennet: Weil sie die einzigen öffentlichen Lehrer des Volks waren, indem ihre poetische Stücke bey den Heyden die Stelle unsrer Predigten vertraten. 113 Wenn unsern Dichtern. Horaz klagt übet die Faulheit der lateinischen Poeten. Sie wollten sich nicht die Mühe nehmen, was rechtes zu machen: Daher sagt auch Qvintilian, IN COMOEDIA MAXIME CLAUDICAMUS. Bey uns Deutschen gehts eben so, denn unter so viel hundert Stücken, die von deutschen Comödianten gespielt werden, taugt fast kein einziges was: wo es nicht aus dem Französischen übersetzt ist. Mit andern Gedichten geht es nicht viel besser. 114 Pompilier. Die Pisonen, an welche Horaz diesen Tractat schrieb, sollten vom Numa Pompilius herstammen: Drum nennet et sie Pompilier. 115 Verwerft doch etc. Das ist eine scharfe Regel. Wo werden da die geschwinden Poeten bleiben, die sich rühmen, ganze Bogen in ein paar Stunden hingeschrieben zu haben, ohne daß sie das geringste Wort darinn ausstreichen dürfen? Sie müssen wohl ganz außerordentliche Geister haben, daß sie alles auf einmal recht machen können! Zu Horazens Zeiten gab es dergleichen große Dichter auch: Aber es waren nur Bavii und Mävii, oder Crispini, die auf einem Beine stehend 200. Verse hersagen konnten. Virgil hat seine Verse, wie der Bär seine Jungen, gemacht. 116 Den Geist. INGENIUM. Cicero im 1. Buche vom Wahrsagen schreibt, Demokritus habe dafür gehalten, daß ohne die Raserey oder Begeisterung niemand ein großer Poet seyn könne. Gewisser maßen hat er recht gehabt. Aber wenn er von seinem Geiste die Regeln der Kunst und die Vernunft ausschloß: so hat er lauter unsinnige Poeten auf dem Parnaß haben wollen, wie Horaz spricht: EXCLUDIT SANOS HELICONE POËTAS: und Plato wird recht gehabt haben, wenn er in seiner Republik keine Dichter leiden wollen. Indessen halten doch bis auf den heutigen Tag die meisten dafür, die Poeten würden gebohren, und wüchsen gleichsam, wie die Pilze, fix und fertig aus der Erden. Höchstens meynen sie, man müsse sich die Regeln der Versmacherkunst, vom Scandiren und Reimen ein wenig bekannt machen; das übrige gäbe sich von selbst. Wenn Pritschmeister Poeten wären, so hätten sie ganz recht. 117 So putzt sich etc. Die Poeten in Rom waten auf die Grille gerathen, ein geistreicher Poet könnte bey seinen hohen Gedanken nicht so sorgfältig auf den Wohlstand seyn, als andre Leute. Datum fiengen alle Sylbenhenker an, schmutzig einherzugehen, damit man sie nur für Poeten ansehen sollte. Hat nicht das Beyspiel gewisser unordentlich lebender Poeten, bey manchen jungen Leuten eben die Wirkung gehabt; daß sie große Dichter zu werden geglaubt, wenn sie nur wilde lebten? 118 So würde mich etc. Wenn er sich nämlich die Galle nicht abführen möchte, so könnte er endlich auch so rasend davon werden, als die andern Poeten waren; und folglich einen hohen Rang auf dem Parnaße bekommen. Es ist eine bloße Ironie. 119 Ich trachte etc. Isokrates hat dieses zuerst gesagt, als man ihn fragte, wie er doch andre so beredt machen könnte, da er selbst keine Reden hielte? Horaz sagt aber, er schreibe nichts: Nämlich keine großen Heldengedichte, Tragödien und Comödien, denn das sind eigentlich Gedichte; und daher gab er sich für keinen Poeten aus. Bey uns denkt man, durch ein paar Bogen Hochzeitverse voller Possen, ein Poet zu werden. Es gehört mehr dazu. 120 Vernunft und Klugheit. Dieses setzt er denen entgegen, die da meynten, die Raserey machte Poeten. Er behauptete gerade das Gegentheil. Eine gesunde Vernunft und gute Einsicht in philosophische Wissenschaften legen den Grund zur wahren Poesie. 121 Des Sokrates etc. Die sokratischen, das ist, philosophischen und sonderlich moralischen Bücher soll ein künftiger Poet fleißig lesen. Sokrates selbst hat zwar nichts geschrieben; aber seine Schüler, Plato, Xenophon, Cebes und andre, desto mehr. Ein Poet soll also die Weltweisheit und sonderlich die Sittenlehre wohl inne haben: denn ohne sie kann er keinen einzigen Character recht machen. 122 Der Ausdruck. Es ist thöricht, auf Worte zu sinnen, wenn man die Sachen nicht versteht. Wer die Materien, davon er schreiben will, wohl inne hat, und voller guter Gedanken ist, der wird leicht Worte finden, sie an den Tag zu legen. Was taugen also die poetischen Lexica von schönen Redensarten, Beywörtern, Beschreibungen, und andern solchen Raritäten? 123 Gelernet hat etc. So viel fordert Horaz von einem Poeten. Das ist eine schwere Lection für diejenigen, welche die Poesie für ein Werk der ersten Jugend halten: da doch sehr wenige in ihren männlichen Jahren alle die Wissenschaft besitzen, die zu einem wahren Dichter unentbehrlich ist. 124 Bilden will. Im Lateinischen heißt es, nachahmen. Ein Poet ist ein Nachahmer der Natur, wenn ich so sagen darf: und zwar soll er ein gelehrter Nachahmer seyn, wie Horaz schreibt; das ist ein geschickter, geübter Maler. 125 Ein Gedicht. Der Poet versteht ein Schauspiel, denn er nennt es FABULA. Hierinn müssen die guten Charactere das Beste thun: Denn wenn nur die Gemüthsart jeder Person wohl ausgedruckt wird: so übersieht das Volk viel andre Fehler in den Versen, und in der ganzen Einrichtung der Fabel; wie die Engländer bey ihren Schauspielen zu thun pflegen. 126 Den Griechen. Horaz kömmt immer wieder auf die Griechen, ohne Zweifel, weil die römischen Versmacher seiner Zeiten, entweder kein Griechisch lernen wollten; oder doch keine griechische Bücher lasen, sondern von sich selbst alle Weisheit haben wollten. Heutiges Tages gehts uns eben so. Wenige von unsern Poeten kennen die Alten, oder auch die neuern Kunstrichter: auf diese schmählen wohl gar einige, ohne sie zu verstehen, oder gelesen zu haben. Man bemerket auch, daß alle die Poeten, denen damals Horaz die Versäumung griechischer Schriften vorrückt, verlohren gegangen, und nicht bis auf die Nachwelt gekommen. So wird es unsern selbst gewachsenen Dichtern vermuthlich auch gehen. 127 Sie geizen nicht. Der Geiz ist gemeiniglich nicht ein poetischer Affect. Die Ehrbegierde ist den guten Poeten allezeit mehr eigen: daher kömmts auch, daß die, welche ums Geld singen, ihre Sachen so obenhin machen; die aber auf ihre Ehre sehen, und auf die Nachwelt denken, ihre Sachen weit fleißiger und sorgfältiger ausarbeiten. Von dem einzigen Pindarus hat le Clerk in seinen Parrhasianen erweisen wollen, daß er geizig gewesen; weil er auf die Ueberwinder in den olympischen Spielen Lieder für Geld gemacht. Aber eine Schwalbe macht keinen Frühling: Von allen übrigen Griechen kann Horaz sagen, daß sie nach nichts, als nach Ehre gegeizet. 128 Die güldne Rechenkunst. Die Römer führten einen großen Staat, und lebten wollüstig; ja der Reichthum war ihnen auch an sich unentbehrlich, weil jeder Orden der Bürger ein gewisses Vermögen besitzen mußte: so gar, daß einer, der dasselbe verminderte, auch seinen Adel etc. verlohr. Wer auch zu Aemtern in der Republik gelangen wollte, mußte das Volk durch kostbare Schauspiele gewinnen, welche oft Tonnen Goldes betrugen. Ja Antonius hatte endlich gar gesagt: niemand wäre reich, als der eine ganze Armee auf eigne Kosten ins Feld stellen könnte. Daher war es kein Wunder, daß man die Jugend gleich in den ersten Jahren zur Haushaltung, und folglich zum Rechnen anführete. Dieses war nun eine schlechte Vorbereitung zur Poesie. 129 Albinus war ein berühmter Wucherer damaliger Zeit, der seinen Sohn zu nichts anders, als zum Rechnen anführete. Horaz denkt auch in der VI. Sat. des I.B. daß die großen Hauptleute, CENTURIONES, es in Rom nicht anders gemacht. Boileau hat in seiner siebenten Satire diese Stelle nachgeahmet. 130 Unvergänglich. Im Grundtexte heißt es, Verse, die man mit Cedernsaft überstreichen, und in Cypressenholz aufbehalten wird. Der Cedersaft hat eine erhaltende Kraft, weil die Schaben und Motten dasjenige nicht fressen, was damit gerieben worden. Und die Schachteln von Cypressenholz haben eben die Tugend an sich. Horaz spottet der Römer, daß sie bey solcher Zucht, große Poeten zu erziehen hofften. Große Finanziers werden sehr magere Poeten. 131 Entweder etc. Nicht, als wenn es nach Horazens Meynung recht wäre, einige Gedichte zur Lust, und andere des Nutzens halber zu machen: sondern, weil einige Poeten dieses, die andern jenes zum Endzwecke haben. Ein theatralischer Poet soll sich beydes vorsetzen: wiewohl es scheint, daß er hier nur von Comödien allein reden wolle. Es soll also ein Comödienschreiber nicht nur durch lauter Harlekinspossen ein Gelächter zu erwecken suchen; sondern sich auch bemühen, seinen Zuschauern zu nutzen, das ist, sie klüger und tugendhafter zu machen. 132 Ueberflüßig. Horaz braucht das Gleichniß von einem Gefäße, in welches man mehr gießen will, als es fassen kann. Wie nun das übrige herunter fleußt, und also vergebens verschwendet ist; So sind auch die überflüßigen Lehren umsonst. Man giebt nicht mehr acht, wenn sie zu langweilig sind; und läßt sie zu einem Ohre hinein, zum andern aber heraus. Das lehrt uns: Die Sittenlehren in theatralischen Poesien müssen kurz gefasset seyn, und nicht über ein paar Zeilen austragen. Diese Lection gehört für die Poeten, die erbaulich schreiben wollen. 133 Die Fabel. Diese Regel geht diejenigen an, die nur durch ihre Fabeln belustigen wollen. Die Wahrscheinlichkeit ist dasjenige, was sie vor allen Dingen beobachten sollen. Dichten ist keine Kunst: Aber so dichten, daß es noch einigermaßen gläublich herauskomme, und der Natur ähnlich sey; das ist dem Poeten ein Lob. 134 Den Hexen, LAMIAE. Die Alten glaubten einen König der Lestrigonier, Lamius, der Menschenfleisch fressen sollte. Man sehe, was Homer in der Odyssee davon geschrieben. Daher dichtete man auch eine Königinn, Lamia, die Kinder fressen mußte. Die Römer machten nachmals eine grausame Zauberinn daraus, und schreckten ihre Kinder damit. Ohne Zweifel hatte etwa ein damaliger Poet eine solche Hexe auf die Bühne gebracht, und ihr das verzehrte Kind wieder aus dem Leibe reißen lassen. Das ist nun die unglaublichste Sache von der Welt; so groß auch die Macht einer Hexe immermehr angenommen wird. 135 Die Aeltesten. Die ansehnlichsten Männer von reifem Verstande und ernsthaftem Wesen, mögen kein Schauspiel sehen, darinn nichts kluges vorkömmt. Kinderpossen und lauter lustige Schwänke schicken sich für ihre Jahre nicht. Bey uns gehts eben so. So lange man lauter italienische Burlesken, oder deutsche Possenspiele von Haderlumpen, Dummen Jungen, Petern und Kuchenfressern, aufführen wird, so lange hat man keine ansehnliche Zuschauer zu hoffen. Man spiele aber ernsthafte Trauerspiele, und regelmäßige Lustspiele, so werden die vernünftigsten Männer sich in den Schauplatz dringen. 136 Der hohe Ritterstand. CELSI RHAMNES. Die Römer waren vom Romulus in drey Classen getheilet worden, davon waren die Rhamnenser die ersten. Das Wort CELSI machts also, daß man nicht den römischen Pöbel, sondern den Adel dadurch versteht, da man sonst das ganze Volk dadurch verstehen könnte. Die Ritter und Edlen nun, mochten in Rom kein gar zu ernsthaftes Wesen gern hören, sondern liebten was Lustiges; dergleichen die Comödien waren. Daher folgt, ein Poet müsse sich nach allen beyden richten. 137 Zwar Dichter fehlen auch. Poeten sind auch Menschen: Daher können sie leicht fehlen; und verdienen auch, daß man ihnen zuweilen etwas übersieht. Aber ihre Fehler müssen weder aus Unwissenheit, noch aus Nachläßigkeit herkommen, wenn sie Vergebung hoffen wollen. Die menschliche Schwachheit und unvermeidliche Nothwendigkeit allein entschuldiget sie, wie folgende Verse zeigen. 138 Hier und da. Die Fehler müssen sehr selten kommen, wenn man sie übersehen soll. Wo ein Gedichte von Schnitzern wimmelt, da fordert man vergebens ein gelindes Urtheil. Das Schöne muß das Schlechte weit übertreffen, wenn ich einem etwas zu gute halten soll. An Opitzen, Dachen und Flemmingen entschuldige ich viele Fehler wider die Reinigkeit, die ich einem heutigen Stümper hoch anrechne. Das macht, ihre Schriften sind so voller Geist und Feuer, als die heutigen voller Schnee und Wasser. 139 Stets falsche Griffe. Ein Fehler muß nicht vielmal wieder kommen, wenn man ihn übersehen soll: Denn wo er oft begangen wird, da zeigt er entweder von seines Meisters Unwissenheit oder Nachläßigkeit. 140 Chörilus. Nicht der, so in der LXXV Olympias gelebt, und auf den Sieg der Athenienser über den Xerxes ein so schönes Gedichte gemacht, daß man ihm für jede Zeile eine goldene Münze zur Vergeltung gegeben, und befohlen, sein Werk, nebst Homero, öffentlich zu lesen. Sondern dieß war derjenige Chörilus, der zu des großen Alexanders Zeiten gelebt, und bey diesem Prinzen mehr Glück als Verdienste gehabt. Er muß auch wohl zuweilen ein paar kluge Zeilen mit darunter gemacht haben. Horaz spricht ihm dieses nicht ab. Aber er sagt, daß er darüber lachen müsse, und sich verwundre, daß er gleichwohl zuweilen was gutes zuwege gebracht. 141 Homer entschläft. Man führt diese Worte Horatii gemeiniglich verstümmelt an, da sie denn eine ganz andre Bedeutung haben. Der Poet will nicht sagen, daß der gute Homer auch zuweilen fehle: Sondern er will sagen, daß es ihm leid sey, wenn der gute Mann einmal was versehen habe. Es schmerzt ihn, daß dieser große Dichter hier und da was schläfriges mit einfließen lassen. INDIGNOR, QUANDOQUE BONUS DORMITAT HOMERUS. QUANDOQUE heißt hier QUOTIES, nicht INTERDUM. Das ist ein großes Lob für den Homer. Das Gute ist bey ihm in großer Menge; die Fehler aber sind nur in geringer Anzahl zu finden. Und diese können noch durch die Größe seiner Gedichte entschuldiget werden. 142 Ein Vers ist Bildern gleich. Dacier erklärt dieses auch von lauter guten Gedichten, und meynt, daß mancher guter Vers bey genauer Prüfung Stich halte, ein andrer aber nur obenhin angesehen werden müsse: nicht anders, als wie Bilder von gewisser Art ihre gewisse Stellung oder Entfernung erfordern. Von Gemählden hat dieses seine Richtigkeit: aber von Versen ist es ganz anders. Ein Gedichte, das nicht die Prüfung eines Richters aushält, taugt so wenig, als das Gold, welches nicht Strich hält. Das Gleichniß Horatii muß von solchen Bildern verstanden werden, die im Dunkeln oder von weitem schön zu seyn scheinen, aber in der That schlecht sind: da hingegen andre desto mehr Schönheiten zeigen, je länger und genauer man sie betrachtet. 143 Dem einen ist die Nacht. Das sind die schönen Werke der Poeten, die bey dem Pöbel so viel Beyfall finden; Kennern aber nicht gefallen. Man muß sie gleichsam nur bey neblichtem Wetter lesen; sonst gefallen sie einem nicht. Ich will sagen, man muß einen finstern Verstand haben, wenn man sie bewundern will. Bey dem Lichte einer gesunden Critik verschwinden alle ihre Schönheiten. Daher fürchten auch ihre Urheber nichts mehr, als die Prüfung eines scharfsichtigen Kenners. 144 Cascellius und Messalla, zween große Redner damaliger Zeiten. Dieser hieß Messala Corvinus, dessen Horaz auch in der XXI. Ode des III. B. gedenkt, und an den auch Tibullus ein Gedicht geschrieben. Jener heißt Aulus Cascellius, und war zugleich ein gründlicher Rechtsgelehrter, von großem Ansehen: der das Herz gehabt, sich dem Triumvirate Antons, Octavs und des Lepidus zu widersetzen. 145 Nur mittelmäßig. Wenn die Verse nicht schön sind, so taugen sie schon nichts. Und wenn sie weiter nichts guts an sich haben, als daß sie rein und ungezwungen fließen: so sind sie schon schlecht. Daher sieht man, daß so viele Dichter, die eben nicht sehr fehlerhaft bey uns geschrieben, gleich unter die Bank gerathen, und nicht gelesen werden. Das macht, sie sind nur mittelmäßig. 146 Kein Musenchor. Phöbus und seine Schwestern gestehens nicht, daß sie dem Dichter so was schlechtes eingegeben: weil es ihnen zur Schande gereichen würde, nur mittelmäßige Gedichte hervorgebracht zu haben. 147 Bücherkram, COLUMNAE. Es gab Pfeiler in Rom, wo man die Titel von neuen Büchern anschlug. Einige meynen, die Poeten hätten solches gethan, um bekannt zu machen, wenn und wo sie ihre neue Gedichte den Liebhabern vorlesen wollten. Aber es ist wahrscheinlicher, daß die Buchhändler solches gethan; welche gewiß die Poeten nicht lobten, wenn ihre Sachen schlecht abgiengen. 148 Ein herber Honigseim. In Sardinien giebt es solche bittre Kräuter und Blumen, daß selbst das Honig davon bitter schmecken soll: Virgil schreibt in der VIII. Ecloge. IMMO EGO SARDOIS VIDEVR TIBI AMARIOR HERBIS. 149 Das kein Vergnügen giebt. Eine Sache, die nicht geschickt ist, ihre Absicht zu erreichen, die taugt gewiß nicht. Die Poesie aber soll zum Vergnügen der Menschen gereichen; also wird sie verwerflich seyn, wenn sie solches nicht erweckt. 150 Turnier. LUDERE hieß bey den Lateinern, alle diejenigen Uebungen mit machen, die auf dem martialischen Gefilde, von der römischen Jugend unternommen wurden. Dahin gehörte das Reiten, Ringen, Schwimmen, Ballspielen, Tellerwerfen, der Kräusel u.d.gl. Das alles heißt hier der Poet CAMPESTRIA ARMA. Ich habe das Wort Turnier gebraucht, weil die alten Spiele uns nicht mehr bekannt sind. Es läuft aber auf eins hinaus. 151 Jeder Verse macht. LIBER & INGENUUS, das sind die freyen Römer, und die von Knechten herstammen. Horaz spricht diesen Leuten nicht die Fähigkeit zur Poesie ab. Er war selbst der Sohn eines Freygelassenen, wie er in einem Schreiben an den Mecänas gesteht. Aber es mischte sich in Rom alles in die Poesie. 152 Geld und Titel. EQUESTREM SUMMAM NUMMORUM. Wer in Rom 400 000 Sestertien, oder 25 000 Kaisergulden besaß, der konnte in den Ritterstand kommen. Er mußte aber auch sonst von guter Aufführung seyn. Weil es nun unter Leuten von diesem Vermögen und Stande zu Rom viel eingebildete Poeten gab: so macht sich Horaz den Einwurf: Warum sollte einer, der vom Ritterstande ist, und nicht nur reich, sondern auch wohlgesittet ist, nicht ein Poet seyn können? Ein recht vortrefflicher Schluß! 153 Du zwingst. Der Poet redet den jungen Piso an, und lobt ihn, daß er von diesem Vorurtheile frey sey. Gemeiniglich führt man es als eine Regel an: welches außer dem Zusammenhange wohl angeht; aber im Texte nicht. 154 Tarpens Ohr. Spurius Metius Tarpa, ein scharfer Criticus, der nebst andern vom August bestellet war, die Gedichte der damaligen Poeten zu censiren. Sie versammleten sich in dem Tempel Apollons, der zum Vorlesen poetischer Sachen im kaiserlichen Pallaste gewidmet war. Diese poetische Gesellschaft hat auch nach Augusts Absterben noch eine Weile gedauret. Onuphrius Panvinius erzählt, daß unter Domitians Regierung, ein junger Mensch, L. Valerius Pudens, besage einer Inscription, mit einhälligen Stimmen der Richtet gekrönet worden: CORONATUS EST INTER POËTAS LÁTINOS OMNIBUS SENTENTIIS IUDICUM. Horaz gedenkt dieses Tarpa auch in der X. Sat. des I.B. 155 Noch neun Jahr. Catullus gedenkt, daß sein guter Freund Cinna, sein Gedichte, Smyrna genannt, so lange fertig gehabt, ehe ers heraus gegeben. Isokrates hat über einem Panegyricus 10 Jahre zugebracht. Doch will Horaz nicht, daß aus der Behutsamkeit in der Ausbesserung, eine unendliche Arbeit werden soll: er will nur der Uebereilung steuren, und setzt eine bestimmte Zahl für eine unbestimmte. 156 Orpheus. Ein alter Poet, der zu Mosis Zeiten, anderthalb tausend Jahre vor Christi Geburt, gelebt. Die Oden, die man unter seinem Namen noch zeiget, sind nicht von ihm. 157 Amphion. Cadmus hatte Theben erbauet: Etwa dreyßig Jahre nach ihm kam Amphion, der durch seine Musik, Poesie und Beredsamkeit es so weit brachte, daß die Einwohner eine Mauer um die Stadt baueten, ja auch ein festes Schloß anlegten. 158 Die Weisheit etc. Die ersten Poeten waren eigentlich Weltweise und kluge Staatsleute, insoweit es ihre Zeiten zuließen. Sie bedienten sich nur der Poesie, zu ihrem Zwecke zu gelangen, und die widerspenstigen Gemüther dadurch zu bändigen. Ihre Absicht war, das wilde Volk die natürlichen Gesetze der Vernunft, oder das Recht der Natur zu lehren, und es zum gesellschaftlichen Leben anzuführen. Kurz, die Poeten waren die ersten Philosophen, Rechtsverständigen und Gottesgelehrten. 159 Tyrtäus war ein kleiner, lahmer und pucklichter Schulmeister zu Athen. Die Athenienser schickten ihn aus Spott den Lacedämoniern zum Feldherrn wider die Messenier; weil sie auf Befehl des Orakels einen General aus Athen holen sollten. Et verlohr anfänglich etliche Schlachten, zuletzt aber las er an der Spitze seiner Armee, derselben ein so bewegliches Gedichte von seiner Arbeit vor, daß sie von neuem ein Herz faßten, die Messenier angriffen und überwanden. 160 Was künftig war. Horaz zielt auf die Orakel, die man in diesem andern Alter der Poesie in Versen zu geben angefangen, da sie vorher nur prosaisch geantwortet hatten. 161 Man fragt. Nichts ist bey jungen Leuten gewöhnlicher, als diese Frage: zumal, wenn sie hören, daß die Poeten nicht gemacht, sondern gebohren werden. Haben sie nun etwa ein gutes Naturell zum Reimen: so bilden sie sich ein, sie brauchten nun keiner beschwerlichen Regeln mehr; als die doch ohnedieß keinen Poeten machten. Sie schreiben also in den Tag hinein, und dichten auf ein gerathe wohl. Alle ihre Einfälle müssen gut, und alle Fehler lauter Orakel seyn. Andre, die kein Fünkchen natürlichen Witz besitzen, wollen alles aus Regeln lernen. Aber beyde fehlen, und Horaz hilft ihnen zurechte. 162 Ich dichte trefflich schön. Die schlimmen Poeten krönen sich immer am ersten, und loben sich fleißig. Sie haben Ursache dazu, denn andre wollen es nicht thun. Der eine meynt, in Scherzgedichten sey er glücklich; der andre sagt, seine Stärke sey in Satiren; der dritte hält sich in Lobgedichten für einen Meister u.s.w. Daher halten sie es für überflüßig, die Regeln der Alten zu lesen, oder sonst Lehren anzunehmen. 163 Der allerletzte seyn. Wer sich lange mit Regeln aufhält, der bleibt hinten, und kann nicht so geschwinde ganze Bände, mit seinen Gedichten angefüllet, herausgeben. Andre kommen ihm zuvor, und werden eher Poeten: daher hat er keine Zeit, die Kunst recht zu fassen. Man wird es auch ohne dieß wohl glauben müssen, daß er sie verstanden habe: es mag sich sonst um die Regeln bekümmern, wer da will. 164 So lockt. Horaz kömmt hier auf ein andres nöthiges Stücke. Natur und Kunst ist noch nicht genug. Ein Poet muß auch gute Freunde haben, die seine Gedichte scharf beurtheilen. Daran fehlt es nun den reichen Poeten, und denen, die bey Hofe viel zu bedeuten scheinen. Jedermann scheuet sich, ihnen die Wahrheit zu sagen: Das macht, sie tractiren ihre Schmeichler gut, oder machen ihnen viel Verheißungen und Luftschlösser: Und aus Erkenntlichkeit lobet man sie dafür. Dahin gehört das Gleichniß von dem Mäkler. 165 Ein Spötter. Man kann die Heuchler fast an der Verwegenheit ihrer Lobsprüche kennen. Wenn der vernünftige Richter sagt, ein Gedichte sey hübsch und wohlgerathen: So nennt es der Schmeichler unvergleichlich, unverbesserlich. Das mäßige Lob eines scharfen Kenners, ja nur der bloße Beyfall eines Kunstrichters vergnüget mich weit mehr, als der entzückte Ausruff eines Unverständigen, und die verstellte Bewunderung eines eigennützigen und falschen Freundes. 166 Fuchspelz. ANIMI SUB VULPE LATENTES. Horaz zielt hier ohne Zweifel auf die Fabel vom Fuchse und Raben, der den Käse gestohlen hatte. 167 Quintil. Dieß ist Quintilius Varius, der dritte Hofpoet des Kaisers Augusti, ein guter Freund Virgils und Horazens. Er war schon gestorben, als dieser seine Dichtkunst schrieb, denn wir finden eine Ode auf seinen Tod L.I. OD. 24. Drum redet Horaz von ihm in der vergangenen Zeit. So pflegte sich ein römischer Poet des andern Beurtheilung zu unterwerfen. Varius censirte den Virgil und Horaz, und diese ihn wieder: daher wurden sie so vollkommen. Bavius und Mävius waren für sich allein klug, und ließen sich nicht censiren: darum blieben sie Stümper. 168 So muß die Zeile weichen. Das ist eine scharfe Censur. Viele meynen, wenn sie eine schlechte Stelle ihrer Gedichte nicht ausbessern können, wiewohl sie alle ihre Mühe daran gewandt: so sey es schon genug. Sie halten sich nunmehr schon für berechtiget, sie, so schlecht sie ist, stehen zu lassen. Allein vergebens! Es ist noch ein Mittel übrig. Man streiche sie gar aus! Ja, spricht man, es ist gleichwohl ein schöner Gedanke! Umsonst, wenn der Vers nicht auch schön ist. Man setze einen an die Stelle, der noch schöner ist, und doch wohl klappt. Ein Poet muß keine Affenliebe gegen seine Einfälle haben. 169 Vertheidigte man sich. Gewisse Leute bitten einen um seine Censur. Man entschuldigt sich anfangs, man lobt sie, man will nicht daran. Allein umsonst: sie lassen nicht nach. Endlich gehorcht man ihnen, und erinnert bald hie, bald da etwas. Aber was hilfts? Sie wissen alles besser. Man sage, was man will: sie ändern dennoch nichts. Was man tadelt, das bewundern sie destomehr, und es stecken allezeit verborgene Schönheiten in ihren Fehlern. Was ist da zu thun? Man mache es, wie Varius gethan, und lasse die Affen gehn. 170 So machts. Dieß ist eine schöne Stelle für poetische Gesellschaften und andere Kunstrichter. Sie haben dreyerley Pflichten zu beobachten. Sie müssen verbessern, ausmustern und hinzusetzen. 171 Aristarch. Das war ein großer Criticus, der zu den Zeiten Ptolomäi Philadelphi gelebt. Er hat vier und zwanzig Bücher, Erklärungen über den Homer, Aristophanes und andre griechische Poeten geschrieben. Es ist Schade, daß dieselben verlohren worden. Er hat eine so scharfe Beurtheilungskraft im Beurtheilen gewiesen, daß man ihn einen Propheten genennet; weil ihm das verborgenste klar und entdeckt geschienen. 172 Mehr als Kleinigkeiten. Dieß ist sehr vernünftig gesprochen. Kleine Dinge ziehen vielmal was Großes nach sich. Die Schmeicheley gegen einen Poeten macht ihn stolz. Der Stolz lehrt ihn hernach alles andre verachten, ja er selbst wird bey Kennern auslachens würdig. Das ärgste ist, daß solche Leute hernach gar aufhören, Lehre anzunehmen. Sie halten sich schon für vollkommen; darum wollen sie sich nicht mehr bessern, wenn sie gleich könnten. 173 Empedokles. Ein Weltweiser und Poet in Sicilien, der noch vorm Aristoteles gelebt, und ein poetisches Werk von der Naturlehre geschrieben hat; wie nachmals Lucretius im Lateinischen gethan. Man beschuldigt den Empedokles, daß er gern vergöttert worden wäre, weswegen er in den feuerspeyenden Berg Aetna gesprungen, damit man nicht wissen könnte, wo er hingekommen, und also schließen möchte, er wäre gen Himmel gefahren. Allein, seine Pantoffeln, die er entweder oben gelassen, oder die vom Feuer ausgeworfen worden, haben die Art seines Endes verrathen. 174 Nach Unglück ringt. Die römischen Poeten machten sich durch ihre, obwohl theatralische Stücke, überaus viel Feinde, und kamen zuweilen mit ihrer handgreiflichen Satire in Comödien sehr übel an. 175 Des Vaters Grab. Die Gräber der Alten waren heilig, und durften durch nichts unreines befleckt werden. Im Lateinischen heißt es zwar, ob er seinen Urin in die Asche seines Vaters gelassen; weil man nämlich die römischen Todten verbrannte. Allein es läuft auf eines hinaus. 176 Kein Heiligthum. TRISTE BIDENTAL. Dieses war ein vom Donner getroffener Ort, von welchem man viel Wesens in Rom machte. Man umzäunte ihn rings umher, und es mußte sich demselben niemand nähern, vielweniger die Grenzen desselben verrücken. Dergleichen große Uebelthaten nun vermuthet Horaz von solchen Poeten, die gleichsam zur Strafe, von den Göttern mit der Reimsucht heimgesuchet würden, weil man sonst nicht absehen könnte, warum sie Verse machten. Q. Horatii Flacci de Arte Poetica Q. Horatii Flacci De Arte Poetica. HUMANO CAPITI CERUICEM PICTOR EQUINAM IUNGERE SI VELIT, & VARIAS INDUCERE PLUMAS, VNDIQUE COLLATIS MEMBRIS; VT TURPITER ATRUM DESINAT IN PISCEM MULIER FORMOSA SUPERNE: SPECTATUM ADMISSI RISUM TENEATIS AMICI! CREDITE, PISONES, ISTI TABULAE FORE LIBRUM PERSIMILEM, CUIUS, VELUT AEGRI SOMNIA, VANAE FINGENTUR SPECIES: VT NEC PES, NEC CAPUT VNI REDDATUR FORMAE. »PICTORIBUS ATQUE PÖETIS QUIDLIBET AUDENDI SEMPER FUIT AEQUA POTESTAS« SCIMUS, & HANC VENIAM PETIMUSQUE DAMUSQUE VICISSIM: SED NON UT PLACIDIS COËANT IMMITIA; NON VT SERPENTES AUIBUS GEMINENTUR, TIGRIBUS AGNI. INCOEPTIS GRAUIBUS PLERUMQUE & MAGNA PROFESSIS PURPUREUS, LATE QUI SPLENDEAT, VNUS & ALTER ASSUITUR PANNUS; CUM LUCUS, & ARA DIANAE, ET PROPERANTIS AQUAE PER AMOENOS AMBITUS AGROS, AUT FLUMEN RHENUM, AUT PLUUIUS DESCRIBITUR ARCUS. SED NUNC NON ERAT HIS LOCUS: ET FORTASSE CUPRESSUM SCIS SIMULARE; QUID HOC? SI FRACTIS ENATAT EXSPES NAUIBUS, AERE DATO QUI PINGITUR? AMPHORA COEPIT INSTITUI: CURRENTE ROTA, CUR URCEUS EXIT? DENIQUE SIT QUODUIS, SIMPLEX DUNTAXAT & VNUM. MAXIMA PARS VATUM, PATER, & IUUENES PATRE DIGNI, DECIPIMUR SPECIE RECTI; BREUIS ESSE LABORO, OBSCURUS FIO; SECTANTEM LAEUIA, NERUI DEFICIUNT ANIMIQUE; PROFESSUS GRANDIA, TURGET; SERPIT HUMI, TUTUS NIMIUM, TIMIDUSQUE PROCELLAE. QUI VARIARE CUPIT REM PRODIGIALITER VNAM; DELPHINUM SYLUIS APPINGIT, FLUCTIBUS APRUM. IN VITIUM DUCIT CULPAE FUGA, SI CARET ARTE. AEMILIUM CIRCA LUDUM FABER IMUS & VNGUEIS EXPRIMET, & MOLLEIS IMITABITUR AERE CAPILLOS: INFELIX OPERIS SUMMA, QUIA PONERE TOTUM NESCIET. HUNC EGO ME, SI QUID COMPONERE CUREM, NON MAGIS ESSE VELIM, QUAM PRAUO VIUERE NASO, SPECTANDUM NIGRIS OCULIS, NIGROQUE CAPILLO. SUMITE MATERIAM VESTRIS, QUI SCRIBITIS, AEQUAM VIRIBUS: ET VERSATE DIU, QUID FERRE RECUSENT, QUID VALEANT HUMERI, CUI LECTA POTENTER ERIT RES, NEC FACUNDIA DESERET HUNC, NEC LUCIDUS ORDO. ORDINIS HAEC VIRTUS ERIT, & VENUS, AUT EGO FALLOR, VT IAM NUNC DICAT, IAM NUNC DEBENTIA DICI PLERAQUE DIFFERAT, & PRAESENS IN TEMPUS OMITTAT. HOC AMET, HOC SPERNAT PROMISSI CARMINIS AUCTOR. IN VERBIS ETIAM TENUIS CAUTUSQUE SERENDIS; DIXERIS EGREGIE, NOTUM SI CALLIDA VERBUM REDDIDERIT JUNCTURA NOUUM. SI FORTE NECESSE EST, INDICIIS MONSTRARE RECENTIBUS ABDITA RERUM; FINGERE CINCTUTIS NON EXAUDITA CETHEGIS CONTINGET, DABITURQUE LICENTIA SUMTA PUDENTER. ET NOUA FICTAQUE HABEBUNT NUPER VERBA FIDEM, SI GRAECO FONTE CADENT PARCE DETORTA. QUID AUTEM CAECILIO, PLAUTOQUE DABIT ROMANUS, ADEMTUM VIRGILIO, VARIOQUE? EGO, CUR, ACQUIRERE PAUCA SI POSSUM, INVIDEOR, CUM LINGUA CATONIS, & ENNI SERMONEM PATRIUM DITAVERIT, & NOVA RERUM NOMINA PROTULERIT? LICUIT, SEMPERQUE LICEBIT. SIGNATUM PRAESENTE NOTA PRODUCERE NOMEN. VT SYLUAE FOLIIS PRONOS MUTANTUR IN ANNOS; PRIMA CADUNT: ITA VERBORUM VETUS INTERIT AETAS; ET IUUENUM RITU FLORENT MODO NATA, VIGENTQUE. DEBEMUR MORTI NOS, NOSTRAQUE: SIUE RECEPTUS TERRA NEPTUNUS CLASSEIS AQUILONIBUS ARCET, REGIS OPUS; STERILISUE DIU PALUS, APTAQUE REMIS VICINAS URBEIS ALIT, & GRAUE SENTIT ARATRUM: SEU CURSUM MUTAUIT INIQUUM FRUGIBUS AMNIS; DOCTUS ITER MELIUS. MORTALIA FACTA PERIBUNT, NEDUM SERMONUM STET HONOS, ET GRATIA VIUAX. MULTA RENASCENTUR, QUAE IAM CECIDERE, CADENTQUE, QUAE NUNC SUNT IN HONORE VOCABULA, SI VOLET VSUS: QUEM PENES ARBITRIUM EST, ET IUS, ET NORMA LOQUENDI. RES GESTAE REGUMQUE, DUCUMQUE, ET TRISTIA BELLA, QUO SCRIBI POSSENT NUMERO, MONSTRAUIT HOMERUS. VERSIBUS IMPARITER IUNCTIS QUERIMONIA PRIMUM, POST ETIAM INCLUSA EST VOTI SENTENTIA COMPOS. QUIS TAMEN EXIGUOS ELEGOS EMISERIT AUCTOR, GRAMMATICI CERTANT; ET ADHUC SUB IUDICE LIS EST. ARCHILOCHUM PROPRIO RABIES ARMAUIT IAMBO. HUNC SOCCI CEPERE PEDEM, GRANDESQUE COTHURNI, ALTERNIS APTUM SERMONIBUS, ET POPULAREIS VINCENTEM STREPITUS, ET NATUM REBUS AGENDIS. MUSA DEDIT FIDIBUS DIUOS, PUEROSQUE DEORUM, ET PUGILEM VICTOREM, ET EQUUM CERTAMINE PRIMUM, ET IUUENUM CURAS, ET LIBERA VINA REFERRE. DESCRIPTAS SERUARE VICES, OPERUMQUE COLORES, CUR EGO, SI NEQUEO, IGNOROQUE, POËTA SALUTOR? CUR NESCIRE, PUDENS PRAUE, QUAM DISCERE MALO? VERSIBUS EXPONI TRAGICIS RES COMICA NON VULT: INDIGNATUR IDEM PRIUATIS, AC PROPE SOCCO DIGNIS CARMINIBUS NARRARI COENA THYESTAE. SINGULA QUAEQUE LOCUM TENEANT FORTITA DECENTER. INTERDUM TAMEN & VOCEM COMOEDIA TOLLIT: IRATUSQUE CHREMES TUMIDO DELITIGAT ORE. ET TRAGICUS PLERUMQUE DOLET SERMONE PEDESTRI TELEPHUS, ET PELEUS: CUM PAUPER, ET EXSUL VTERQUE, PROIICIT AMPULLAS, ET SESQUIPEDALIA VERBA, SI CURAT COR SPECTANTIS TETIGISSE QUERELA. NON SATIS EST PULCRA ESSE POËMATA; DULCIA SUNTO: ET QUOCUNQUE VOLENT ANIMUM AUDITORIS AGUNTO. VT RIDENTIBUS ARRIDENT, ITA FLENTIBUS ADSUNT HUMANI VULTUS. SI VIS ME FLERE, DOLENDUM EST PRIMUM IPSI TIBI: TUNC TUA ME INFORTUNIA LAEDENT, TELEPHE, VEL PELEU; MALE SI MANDATA LOQUERIS, AUT DORMITABO, AUT RIDEBO. TRISTIA MOESTUM VULTUM VERBA DECENT; IRATUM PLENA MINARUM; LUDENTEM LASCIUA, SEUERUM SERIA DICTU. FORMAT ENIM NATURA PRIUS NOS INTUS AD OMNEM FORTUNARUM HABITUM: IUUAT, AUT IMPELLIT AD IRAM AUT AD HUMUM MOERORE GRAUI DEDUCIT, & ANGIT; POST EFFERT ANIMI MOTUS INTERPRETE LINGUA. SI DICENTIS ERUNT FORTUNIS ABSONA DICTA, ROMANI TOLLENT EQUITES PEDITESQUE CACHINNUM. INTERERIT MULTUM, DAUUSNE LOQUATUR, AN HERUS: MATURUSNE SENEX, AN ADHUC FLORENTE IUUENTA FERUIDUS; AN MATRONA POTENS, AN SEDULA NUTRIX; MERCATORNE VAGUS, CULTORNE VIRENTIS AGELLI: COLCHUS, AN ASSYRIUS; THEBIS NUTRITUS, AN ARGIS. AUT FAMAM SEQUERE, AUT SIBI CONUENIENTIA FINGE SCRIPTOR. HONORATUM SI FORTE REPONIS ACHILLEM; IMPIGER, IRACUNDUS, INEXORABILIS, ACER, IURA NEGET SIBI NATA: NIHIL NON ARROGET ARMIS. SIT MEDEA FEROX INUICTAQUE, FLEBILIS INO, PERFIDUS IXION, IO VAGA, TRISTIS ORESTES. SI QUID INEXPERTUM SCENAE COMMITTIS, & AUDES PERSONAM FORMARE NOUAM; SERUETUR AD IMUM, QUALIS AB INCOEPTO PROCESSERIT, & SIBI CONSTET. DIFFICILE EST PROPRIE COMMUNIA DICERE: TUQUE RECTIUS ILIACUM CARMEN DEDUCIS IN ACTUS, QUAM SI PROFERRES IGNOTA, INDICTAQUE PRIMUS. PUBLICA MATERIES PRIUATI IURIS ERIT, SI NEC CIRCA VILEM PATULUMQUE MORABERIS ORBEM: NEC VERBUM VERBO CURABIS REDDERE FIDUS INTERPRES: NEC DESILIES IMITATOR IN ARCTUM, VNDE PEDEM PROFERRE PUDOR VETET, AUT OPERIS LEX. NEC SIC INCIPIES, VT SCRIPTOR CYCLICUS OLIM: FORTUNAM PRIAMI CANTABO, & NOBILE BELLUM. QUID DIGNUM TANTO FERET HIC PROMISSOR HIATU? PARTURIUNT MONTES, NASCETUR RIDICULUS MUS. QUANTO RECTIUS HIC, QUI NIL MOLITUR INEPTE! DIC MIHI MUSA VIRUM, CAPTÆ POST TEMPORA TROIAE, QUI MORES HOMINUM MULTORUM VIDIT, & VRBEIS. NON FUMUM EX FULGORE, SED EX FUMO DARE LUCEM COGITAT; VT SPECIOSA DEHINC MIRACULA PROMAT: ANTIPHATEN, SCYLLAMQUE & CUM CYCLOPE CHARYBDIM. NEC REDITUM DIOMEDIS AB INTERITU MELEAGRI, NEC GEMINO BELLUM TROJANUM ORDITUR AB OVO. SEMPER AD EVENTUM FESTINAT, & IN MEDIAS RES, NON SECUS AC NOTAS, AUDITOREM RAPIT; & QUÆ DESPERAT TRACTATA NITESCERE POSSE, RELINQUIT; ATQUE ITA MENTITUR, SIC VERIS FALSA REMISCET, PRIMO NE MEDIUM, MEDIO DISCREPET IMUM. TU QUID EGO & POPULUS MECUM DESIDERET, AUDI. SI PLAUSORIS EGES AULAEA MANENTIS, & VSQUE SESSURI, DONEC CANTOR, VOS PLAUDITE, DICAT; AETATIS CUIUSQUE NOTANDI SUNT TIBI MORES MOBILIBUSQUE DECOR NATURIS DANDUS, & ANNIS. REDDERE QUI VOCES IAM SCIT PUER, & PEDE CERTO SIGNAT HUMUM; GESTIT PARIBUS COLLUDERE, & IRAM COLLIGIT AC PONIT TEMERE, & MUTATUR IN HORAS. IMBERBIS IUUENIS, TANDEM CUSTODE REMOTO, GAUDET EQUIS, CANIBUSQUE, & APRICI GRAMINE CAMPI: CEREUS IN VITIUM FLECTI, MONITORIBUS ASPER, VTILIUM TARDUS PROUISOR, PRODIGUS AERIS, SUBLIMIS, CUPIDUSQUE, & AMATA RELINQUERE PERNIX. CONUERSIS STUDIIS, AETAS, ANIMUSQUE VIRILIS QUAERIT OPES, & AMICITIAS, INSERUIT HONORI; COMMISISSE CAUET QUOD MOX MUTARE LABORET. MULTA SENEM CIRCUMUENIUNT INCOMMODA, VEL QUOD QUAERIT, & INUENTIS MISER ABSTINET, AC TIMET VTI; VEL QUOD RES OMNEIS TIMIDE, GELIDEQUE MINISTRAT. DILATOR, SPE LONGUS, INERS, AUIDUSQUE FUTURI, DIFFICILIS, QUERULUS, LAUDATOR TEMPORIS ACTI SE PUERO, CENSOR, CASTIGATORQUE MINORUM. MULTA FERUNT ANNI VENIENTES COMMODA SECUM; MULTA RECEDENTES ADIMUNT. NE FORTE SENILES MANDENTUR IUUENI PARTES, PUEROQUE VIRILES: SEMPER IN ADIUNCTIS, AEUOQUE MORABIMUR APTIS. AUT AGITUR RES IN SCENIS, AUT ACTA REFERTUR. SEGNIUS IRRITANT ANIMOS DEMISSA PER AUREM, QUAM QUAE SUNT OCULIS SUBIECTA FIDELIBUS, & QUAE IPSE SIBI TRADIT SPECTATOR. NON TAMEN INTUS DIGNA GERI, PROMES IN SCENAM: MULTAQUE TOLLES EX OCULIS, QUAE MOX NARRET FACUNDIA PRAESENS. NEC PUEROS CORAM POPULO MEDEA TRUCIDET: AUT HUMANA PALAM COQUAT EXTA NEFARIUS ATREUS: AUT IN AUEM PROGNE VERTATUR, CADMUS IN ANGUEM. QUODCUNQUE OSTENDIS MIHI SIC, INCREDULUS ODI. NEUE MINOR, NEU SIT QUINTO PRODUCTIOR ACTU FABULA, QUÆ POSCI VULT, & SPECTATA REPONI. NEC DEUS INTERSIT, NISI DIGNUS VINDICE NODUS INCIDERIT: NEC QUARTA LOQUI PERSONA LABORET. ACTORIS PARTES CHORUS, OFFICIUMQUE VIRILE DEFENDAT: NEU QUID MEDIOS INTERCINAT ACTUS, QUOD NON PROPOSITO CONDUCAT, & HAEREAT APTE. ILLE BONIS FAUEATQUE, & CONCILIETUR AMICIS: ET REGAT IRATOS, & AMET PECCARE TIMENTEIS. ILLE DAPES LAUDET MENSAE BREUIS: ILLE SALUBREM IUSTITIAM, LEGESQUE, & APERTIS OTIA PORTIS. ILLE TEGAT COMMISSA, DEOSQUE PRECETUR, & ORET, VT REDEAT MISERIS, ABEAT FORTUNA SUPERBIS. TIBIA NON, VT NUNC, ORICHALCO VINCTA, TUBAEQUE AEMULA; SED TENUIS, SIMPLEXQUE FORAMINE PAUCO, ADSPIRARE, & ADESSE CHORIS ERAT VTILIS, ATQUE NONDUM SPISSA NIMIS COMPLERE SEDILIA FLATU. QUO SANE POPULUS NUMERABILIS, UTPOTE PARUUS, ET FRUGI, CASTUSQUE, VERECUNDUSQUE COIBAT. POSTQUAM COEPIT AGROS EXTENDERE VICTOR, & VRBEM LATIOR AMPLECTI MURUS, VINOQUE DIURNO PLACARI GENIUS FESTIS IMPUNE DIEBUS; ACCESSIT NUMERISQUE MODISQUE LICENTIA MAIOR. INDOCTUS QUID ENIM SAPERET, LIBERQUE LABORUM RUSTICUS, VRBANO CONFUSUS, TURPIS HONESTO? SIC PRISCAE MOTUMQUE & LUXURIAM ADDIDIT ARTI TIBICEN, TRAXITQUE VAGUS PER PULPITA VESTEM. SIC ETIAM FIDIBUS VOCES CREUERE SEUERIS, ET TULIT ELOQUIUM INSOLITUM FACUNDIA PRÆCEPS: VTILIUMQUE SAGAX RERUM, & DIUINA FUTURI SORTILEGIS NON DISCREPUIT SENTENTIA DELPHIS. CARMINE QUI TRAGICO VILEM CERTAUIT OB HIRCUM, MOX ETIAM AGRESTEIS SATYROS NUDAUIT; EO QUOD ILLECEBRIS ERAT, & GRATA NOUITATE MORANDUS SPECTATOR, FUNCTUSQUE SACRIS, & POTUS, & EXLEX. VERUM ITA RISORES, ITA COMMENDARE DICACES CONUENIET SATYROS, ITA VERTERE SERIA LUDO: NE, QUICUNQUE DEUS, QUICUNQUE ADHIBEBITUR HEROS, REGALI CONSPECTUS IN AURO NUPER, & OSTRO, MIGRET IN OBSCURAS HUMILI SERMONE TABERNAS; AUT, DUM VITAT HUMUM, NUBEIS & INANIA CAPTET. EFFUTIRE LEUEIS INDIGNA TRAGOEDIA VERSUS, VT FESTIS MATRONA MOUERI IUSSA DIEBUS, INTERERIT SATYRIS PAULLUM PUDIBUNDA PROTERUIS. NON EGO INORNATA, & DOMINANTIA NOMINA SOLUM, VERBAQUE, PISONES, SATYRORUM SCRIPTOR, AMABO: NEC SIC ENITAR TRAGICO DIFFERRE COLORI, VT NIHIL INTERSIT, DAUUSNE LOQUATUR, & AUDAX PYTHIAS, EMUNCTO LUCRATA SIMONE TALENTUM; AN CUSTOS, FAMULUSQUE DEI SILENUS ALUMNI. EX NOTO FICTUM CARMEN, SEQUAR, VT SIBI QUIUIS SPERET IDEM, SUDET MULTUM, FRUSTRAQUE LABORET AUSUS IDEM: TANTUM SERIES, IUNCTURAQUE POLLET; TANTUM DE MEDIO SUMTIS ACCEDIT HONORIS. SYLUIS DEDUCTI CAUEANT, ME IUDICE, FAUNI, NE VELUT INNATI TRIUIIS, AC PAENE FORENSES, AUT NIMIUM TENERIS IUUENENTUR VERSIBUS VNQUAM, AUT IMMUNDA CREPENT, IGNOMINIOSAQUE DICTA. OFFENDUNTUR ENIM, QUIBUS EST EQUUS, & PATER, & RES: NEC SI QUID FRICTI CICERIS PROBAT, & NUCIS EMTOR, AEQUIS ACCIPIUNT ANIMIS, DONANTUE CORONA. SYLLABA LONGA BREUI SUBIECTA, VOCATUR IAMBUS, PES CITUS: VNDE ETIAM TRIMETRIS ACCRESCERE IUSSIT NOMEN IAMBEIS, CUM SENOS REDDERET ICTUS. PRIMUS AD EXTREMUM SIMILIS SIBI; NON ITA PRIDEM, TARDIOR VT PAULLO, GRAUIORQUE VENIRET AD AUREIS, SPONDEOS STABILEIS IN IURA PATERNA RECEPIT, COMMODUS & PATIENS; NON VT DE SEDE SECUNDA CEDERET, AUT QUARTA SOCIALITER. HIC & IN ACCI NOBILIBUS TRIMETRIS APPARET RARUS, & ENNI. IN SCENAM MISSOS MAGNO CUM PONDERE VERSUS, AUT OPERAE CELERIS NIMIUM, CURAQUE CARENTIS, AUT IGNORATAE PREMIT ARTIS CRIMINE TURPI. NON QUIUIS VIDET IMMODULATA POËMATA IUDEX: ET DATA ROMANIS VENIA EST INDIGNA POËTIS. IDCIRCONE VAGER, SCRIBAMQUE LICENTER? AN OMNEIS VISUROS PECCATA PUTEM MEA, TUTUS, & INTRA SPEM VENIAE CAUTUS? VITAUI DENIQUE CULPAM, NON LAUDEM MERUI: VOS EXEMPLARIA GRÆCA NOCTURNA VERSATE MANU, VERSATE DIURNA. AT NOSTRI PROAUI PLAUTINOS & NUMEROS, & LAUDAUERE SALES: NIMIUM PATIENTER UTRUMQUE, NE DICAM STULTE, MIRATI: SI MODO EGO & VOS SCIMUS INURBANUM LEPIDO SEPONERE DICTO; LEGITIMUMQUE SONUM DIGITIS CALLEMUS, & AURE. IGNOTUM TRAGICAE GENUS INUENISSE CAMOENAE DICITUR, & PLAUSTRIS VEXISSE POËMATA THESPIS: QUAE CANERENT AGERENTQUE PERUNCTI FAECIBUS ORA. Post hUNC PERSONAE, PALLAEQUE REPERTOR HONESTAE, AESCHYLUS, & MODICIS INSTRAUIT PULPITA TIGNIS. ET DOCUIT, MAGNUMQUE LOQUI, NITIQUE COTHURNO. SUCCESSIT VETUS HIS COMOEDIA NON SINE MULTA LAUDE; SED IN VITIUM LIBERTAS EXCIDIT, & VIM DIGNAM LEGE REGI: LEX EST ACCEPTA, CHORUSQUE TURPITER OBTICUIT, SUBLATO IURE NOCENDI. NIL INTENTATUM NOSTRI LIQUERE POËTAE: NEC MINIMUM MERUERE DECUS, VESTIGIA GRAECA AUSI DESERERE, & CELEBRARE DOMESTICA FACTA; VEL QUI PRAETEXTAS, VEL QUI DOCUERE TOGATAS. NEC VIRTUTE FORET, CLARISUE POTENTIUS ARMIS, QUAM LINGUA, LATIUM, SI NON OFFENDERET VNUM- QUEMQUE POËTARUM LIMAE LABOR, & MORA. VOS O, POMPILIUS SANGUIS, CARMEN REPREHENDITE, QUOD NON MULTA DIES, & MULTA LITURA COËRCUIT, ATQUE PRAESECTUM DECIES NON CASTIGAVIT AD VNGUEM. INGENIUM MISERA QUIA FORTUNATIUS ARTE CREDIT, & EXCLUDIT SANOS HELICONE POËTAS DEMOCRITUS; BONA PARS NON VNGUEIS PONERE CURAT, NON BARBAM: SECRETA PETIT LOCA, BALNEA VITAT. NANCISCETUR ENIM PRETIUM NOMENQUE POËTAE, SI TRIBUS ANTICYRIS CAPUT INSANABILE, NUNQUAM TONSORI LICINO COMMISERIT. O EGO LAEUUS! QUI PURGOR BILEM SUB VERNI TEMPORIS HORAM: NON ALIUS FACERET MELIORA POËMATA! VERUM NIL TANTI EST: ERGO FUNGAR VICE COTIS; ACUTUM REDDERE QUAE FERRUM VALET, EXSORS IPSA SECANDI. MUNUS, & OFFICIUM, NIL SCRIBENS IPSE, DOCEBO: VNDE PARENTUR OPES, QUID ALAT FORMETQUE POËTAM? QUID DECEAT, QUID NON; QUO VIRTUS, QUO FERAT ERROR. SCRIBENDI RECTE, SAPERE EST & PRINCIPIUM & FONS. REM TIBI SOCRATICAE POTERUNT OSTENDERE CHARTAE: VERBAQUE PRAEUISAM REM NON INUITA SEQUENTUR. QUI DIDICIT, PATRIAE QUID DEBEAT, & QUID AMICIS, QUO SIT AMORE PARENS, QUO FRATER AMANDUS, & HOSPES; QUOD SIT CONSCRIPTI, QUOD IUDICIS OFFICIUM; QUAE PARTES IN BELLUM MISSI DUCIS: ILLE PROFECTO REDDERE PERSONAE SCIT CONUENIENTIA CUIQUE. RESPICERE EXEMPLAR VITAE MORUMQUE IUBEBO DOCTUM IMITATOREM, & VIUAS HINC DUCERE VOCES. INTERDUM SPECIOSA LOCIS, MORATAQUE RECTE FABULA, NULLIUS VENERIS, SINE PONDERE & ARTE, VALDIUS OBLECTAT POPULUM, MELIUSQUE MORATUR, QUAM VERSUS INOPES RERUM, NUGAEQUE CANORAE. GRAIIS INGENIUM, GRAIIS DEDIT ORE ROTUNDO MUSA LOQUI; PRAETER LAUDEM NULLIUS AUARIS. ROMANI PUERI, LONGIS RATIONIBUS, ASSEM DISCUNT IN PARTEIS CENTUM DIDUCERE. DICAT FILIUS ALBINI, SI DE QUINCUNCE REMOTA EST VNCIA, QUID SUPERAT? POTERAS DIXISSE TRIENS. HEUS, REM POTERIS SERUARE TUAM. REDIT VNCIA: QUID FIT? SEMIS. AT, HAEC ANIMOS AERUGO & CURA PECULI CUM SEMEL IMBUERIT; SPERAMUS CARMINA FINGI POSSE LINENDA CEDRO, & LAEUI SERUANDA CUPRESSO. AUT PRODESSE VOLUNT, AUT DELECTARE POËTAE: AUT SIMUL & IUCUNDA & IDONEA DICERE VITAE. QUIDQUID PRAECIPIES, ESTO BREUIS: VT CITO DICTA PERCEPIANT ANIMI DOCILES, TENEANTQUE FIDELES. OMNE SUPERUACUUM PLENO DE PECTORE MANAT. FICTA VOLUPTATIS CAUSSA, SINT PROXIMA VERIS; NEC QUODCUNQUE VOLET, POSCAT SIBI FABULA CREDI: NEU PRANSAE LAMIAE VIUUM PUERUM EXTRAHAT ALUO. CENTURIAE SENIORUM AGITANT EXPERTIA FRUGIS: CELSI PRAETEREUNT AUSTERA POËMATA RHAMNES. OMNE TULIT PUNCTUM, QUI MISCUIT UTILE DULCI; LECTOREM DELECTANDO, PARITERQUE MONENDO. HIC MERET AERA LIBER SOSIIS: HIC & MARE TRANSIT, ET LONGUM NOTO SCRIPTORI PROROGAT AEUUM. SUNT DELICTA TAMEN, QUIBUS IGNOUISSE VELIMUS. NAM NEQUE CHORDA SONUM REDDIT, QUEM VULT MANUS, & MENS: POSCENTIQUE GRAUEM PERSAEPE REMITTIT ACUTUM; NEC SEMPER FERIET QUODCUNQUE MINABITUR ARCUS. VERUM VBI PLURA NITENT IN CARMINE; NON EGO PAUCIS OFFENDAR MACULIS, QUAS AUT INCURIA FUDIT, AUT HUMANA PARUM CAUIT NATURA, QUID ERGO? VT SCRIPTOR SI PECCAT IDEM LIBRARIUS VSQUE, QUAMVIS EST MONITUS, VENIA CARET; & CITHAROEDUS RIDETUR, CHORDA QUI SEMPER OBERRAT EADEM: SIC MIHI, QUI MULTUM CESSAT, FIT CHOERILUS ILLE, QUEM BIS TERQUE BONUM, CUM RISU MIROR; & IDEM INDIGNOR, QUANDOQUE BONUS DORMITAT HOMERUS: VERUM OPERE IN LONGO FAS EST OBREPERE SOMNUM. VT PICTURA, POËSIS ERIT, QUAE, SI PROPIUS STES. TE CAPIET MAGIS, & QUAEDAM, SI LONGIUS ABSTES. HAEC AMAT OBSCURUM: VOLET HAEC SUB LUCE VIDERI, Iudicis argutum quae non formidat acumen. HAEC PLACUIT SEMEL; HAEC DECIES REPETITA PLACEBIT. O MAIOR IUUENUM, QUAMUIS & VOCE PATERNA FINGERIS AD RECTUM, & PER TE SAPIS; HOC TIBI DICTUM TOLLE MEMOR: CERTIS MEDIUM & TOLERABILE REBUS RECTE CONCEDI. CONSULTUS IURIS, & ACTOR CAUSARUM MEDIOCRIS, ABEST VIRTUTE DISERTI MESSALLAE, NEC SCIT QUANTUM CASCELLIUS AULUS; SED TAMEN IN PRETIO EST: MEDIOCRIBUS ESSE POËTIS, NON DI, NON HOMINES, NON CONCESSERE COLUMNAE. VT GRATAS INTER MENSAS SYMPHONIA DISCORS, ET CRASSUM VNGUENTUM, & SARDO CUM MELLE PAPAUER OFFENDUNT; POTERAT DUCI QUIA COENA SINE ISTIS: SIC ANIMIS NATUM INUENTUMQUE POËMA IUUANDIS, SI PAULLUM A SUMMO DISCESSIT, VERGIT AD IMUM. LUDERE QUI NESCIT, CAMPESTRIBUS ABSTINET ARMIS; INDOCTUSQUE PILAE, DISCIUE TROCHIUE QUIESCIT; NE SPISSAE RISUM TOLLANT IMPUNE CORONAE: QUI NESCIT, VERSUS TAMEN AUDET FINGERE. QUID NI? LIBER & INGENUUS, PRAESERTIM CENSUS EQUESTREM SUMMAM NUMMORUM, VITIOQUE REMOTUS AB OMNI. TU NIHIL INUITA DICES FACIESUE MINERUA: ID TIBI IUDICIUM EST, EA MENS. SI QUID TAMEN OLIM SCRIPSERIS, IN MECI DESCENDAT IUDICIS AUREIS, ET PATRIS & NOSTRAS; NONUMQUE PREMATUR IN ANNUM. MEMBRANIS INTUS POSITIS DELERE LICEBIT, QUOD NON EDIDERIS: NESCIT VOX MISSA REUERTI. SILUESTREIS HOMINES SACER, INTERPRESQUE DEORUM CAEDIBUS, & VICTU FOEDO DETERRUIT ORPHEUS; DICTUS OB HOC LENIRE TIGREIS, RABIDOSQUE LEONES. DICTUS & AMPHION, THEBANAE CONDITOR ARCIS, SAXA MOUERE SONO TESTUDINIS, & PRECE BLANDA PUBLICA PRIUATIS SECERNERE, SACRA PROFANIS, CONCUBITU PROHIBERE VAGO, DARE IURA MARITIS OPPIDA MOLIRI, LEGES INCIDERE LIGNO. SIC HONOR, & NOMEN DIUINIS VATIBUS, ATQUE CARMINIBUS VENIT. POST HOS INSIGNIS HOMERUS TYRTAEUSQUE, MARES ANIMOS IN MARTIA BELLA VERSIBUS EXACUIT: DICTAE PER CARMINA SORTES; ET VITAE MONSTRATA VIA EST: & GRATIA REGUM PIERIIS TENTATA MODIS, LUDUSQUE REPERTUS, ET LONGORUM OPERUM FINIS: NE FORTE PUDORI SIT TIBI MUSA LYRAE SOLLERS, & CANTOR APOLLO. NATURA FIERET LAUDABILE CARMEN, AN ARTE? QUAESITUM EST: EGO NEC STUDIUM, SINE DIUITE VENA, NEC RUDE QUID PROSIT VIDEO INGENIUM. ALTERIUS SIC ALTERA POSCIT OPEM RES, & CONIURAT AMICE. QUI STUDET OPTATAM CURSU CONTINGERE METAM, MULTA TULIT FECITQUE PUER: SUDAVIT, & ALSIT ABSTINUIT VENERE & VINO. QUI PYTHIA CANTAT TIBICEN, DIDICIT PRIUS, EXTIMUITQUE MAGISTRUM. NUNC SATIS EST DIXISSE: EGO MIRA POËMATA PANGO: OCCUPET EXTREMUM SCABIES; MIHI TURPE RELINQUI EST, ET QUOD NON DIDICI, SANE NESCIRE FATERI. VT PRAECO, AD MERCEIS TURBAM QUI COGIT EMENDAS, ASSENTATORES IUBET AD LUCRUM IRE POËTA; DIUES AGRIS, DIUES POSITIS IN FOENORE NUMMIS. SI VERO EST, VNCTUM QUI RECTE PONERE POSSIT, ET SPONDERE LEUI PRO PAUPERE, & ERIPERE ATRIS LITIBUS IMPLICITUM: MIRABOR, SI SCIET INTER- NOSCERE MENDACEM VERUMQUE BEATUS AMICUM. TU SEU DONARIS, SEU QUID DONARE VOLES CUI, NOLITO AD VERSUS TIBI FACTOS DUCERE PLENUM LAETITIAE: CLAMABIT ENIM, PULCHRE, BENE, RECTE! PALLESCET SUPER HIS; ETIAM STILLABIT AMICIS EX OCULIS ROREM; SALIET, TUNDET PEDE TERRAM. VT QUI CONDUCTI PLORANT IN FUNERE, DICUNT ET FACIUNT PROPE PLURA, DOLENTIBUS EX ANIMO: SIC DERISOR VERO PLUS LAUDATORE MOUETUR. REGES DICUNTUR MULTIS VRGERE CULULLIS, ET TORQUERE MERO, QUEM PERSPEXISSE LABORENT, AN SIT AMICITIA DIGNUS? SI CARMINA CONDES, NUNQUAM TE FALLANT ANIMI SUB VULPE LATENTES. QUINCTILIO SI QUID RECITARES: CORRIGE, SODES, HOC, AIEBAT, & HOC. MELIUS TE POSSE NEGARES, BIS, TERQUE EXPERTUM FRUSTRA; DELERE IUBEBAT, ET MALE TORNATOS INCUDI REDDERE VERSUS. SI DEFENDERE DELICTUM, QUAM VERTERE, MALLES: NULLUM ULTRA VERBUM, AUT OPERAM INSUMEBAT INANEM, QUIN SINE RIUALI TEQUE & TUA SOLUS AMARES. VIR BONUS & PRUDENS VERSUS REPREHENDET INERTEIS, CULPABIT DUROS, INCOMTIS ALLINET ATRUM TRANSVERSO CALAMO SIGNUM, AMBITIOSA RECIDET ORNAMENTA, PARUM CLARIS LUCEM DARE COGET, ARGUET AMBIGUE DICTUM, MUTANDO NOTABIT: FIET ARISTARCHUS. NEC DICET: CUR EGO AMICUM OFFENDAM IN NUGIS? HAEC NUGAE SERIA DUCENT IN MALA, DERISUM SEMEL EXCEPTUMQUE SINISTRE. VT MALA QUEM SCABIES AUT MORBUS REGIUS VRGET, AUT FANATICUS ERROR, & IRACUNDA DIANA: VESANUM TETIGISSE TIMENT FUGIUNTQUE POËTAM, QUI SAPIUNT; AGITANT PUERI, INCAUTIQUE SEQUUNTUR. HIC, DUM SUBLIMEIS VERSUS RUCTATUR, ET ERRAT, SI VELUTI MERULIS, INTENTUS DECIDIT AUCEPS IN PUTEUM, FOUEAMUE: LICET, SUCCURRITE, LONGUM CLAMET, IO CIUES; NON SIT, QUI TOLLERE CURET. SI QUIS CURET OPEM FERRE, ET DEMITTERE FUNEM: QUI SCIS, AN PRUDENS HUC SE DEIECERIT, ATQUE SERUARI NOLIT? DICAM, SICULIQUE POËTAE NARRABO INTERITUM. DEUS IMMORTALIS HABERI D UM CUPIT EMPEDOCLES, ARDENTEM FRIGIDUS AETNAM INSILUIT. SIT IUS, LICEATQUE PERIRE POËTIS. INUITUM QUI SERUAT, IDEM FACIT OCCIDENTI. NEC SEMEL HOC FECIT, NEC SI RETRACTUS ERIT, IAM FIET HOMO, ET PONET FAMOSAE MORTIS AMOREM. NEC SATIS APPARET, CUR VERSUS FACTITET; VTRUM MINXERIT IN PATRIOS CINERES, AN TRISTE BIDENTAL MOUERIT INCESTUS? CERTE FURIT, AC VELUT URSUS, OBIECTUS CAUEAE, VALUIT SI FRANGERE CLATHROS, INDOCTUM DOCTUMQUE FUGAT RECITATOR ACERBUS. QUEM VERO ARRIPUIT, TENET OCCIDITQUE LEGENDO, NON MISSURA CUTEM, NISI PLENA CRUORIS, HIRUDO. Erster allgemeiner Theil Das 1. Capitel Das I. Capitel. Vom Ursprunge und Wachsthume der Poesie überhaupt. 1. §. Wenn das Alterthum einer Sache ein Ansehen geben oder ihr einen besondern Werth beylegen kann: so ist gewiß die Poesie eine von den wichtigsten freyen Künsten, ja der vornehmste Theil der Gelehrsamkeit. Sie ist so alt, daß sie auch vor der Sternwissenschaft hierinn den Vorzug behaupten kann; die doch von den uralten Chaldäern, bald nach der Sündfluth, oder wie andre meynen, erst von den Aegyptern, eifrig getrieben worden. Und das ist kein Wunder. Die Astronomie hat ihren Ursprung außer dem Menschen, in der sehr weit entlegenen Schönheit des Himmels: die Poesie hergegen hat ihren Grund im Menschen selbst, und also geht sie ihn weit näher an. Sie hat ihre erste Qvelle in den Gemüthsneigungen des Menschen. So alt also diese sind, so alt ist auch die Poesie: und wenn sie ja noch einer andern freyen Kunst weichen soll, so wird sie bloß die Musik, so zu reden, für ihre ältere Schwester erkennen. 2. §. Einige wollen behaupten, daß die allerersten Menschen das Singen von den Vögeln gelernet haben. Es kann solches freylich wohl nicht ganz und gar geleugnet werden; vielmehr hat es eine ziemliche Wahrscheinlichkeit für sich. Leute, die im Anfange der Welt mehr in Gärten oder angenehmen Lustwäldern, als in Häusern wohnten, mußten ja täglich das Gezwitscher so vieler Vögel hören, und den vielfältigen Unterscheid ihres Geschreyes wahrnehmen. Von Natur waren sie, sowohl als unsre kleineste Kinder, uns Erwachsene selbst nicht ausgenommen, zum Nachahmen geneigt: daher konnten sie leicht Lust bekommen, den Gesang desjenigen Vogels, der ihnen am besten gefallen hatte, durch ihre eigene Stimme nachzumachen; und ihre Kehle zu allerley Abwechselungen der Töne zu gewöhnen. Diejenigen, welche vor andern glücklich darinn waren, erhielten den Beyfall der andern: und weil man sie gern hörete, so legten sie sich desto eifriger auf dergleichen Melodeyen die gut ins Gehör fielen; bis endlich diese vormalige Schüler des wilden Gevögels, bald ihre Meister im Singen übertrafen. 3. §. Allein es ist nicht nöthig, auf solche Muthmaßungen zu verfallen. Der Mensch würde, meines Erachtens, gesungen haben, wenn er gleich keine Vögel in der Welt gefunden hätte. Lehrt uns nicht die Natur, alle unsere Gemüthsbewegungen, durch einen gewissen Ton der Sprache, ausdrücken? Was ist das Weinen der Kinder anders, als ein Klagelied, ein Ausdruck des Schmerzens, den ihnen eine unangenehme Empfindung verursachet? Was ist das Lachen und Frohlocken anders, als eine Art freudiger Gesänge, die einen vergnügten Zustand des Gemüthes ausdrücken? Eine jede Leidenschaft hat ihren eigenen Ton, womit sie sich an den Tag legt. Seufzen, Aechzen, Dräuen, Klagen, Bitten, Schelten, Bewundern, Loben, u.s.w. alles fällt anders ins Ohr; weil es mit einer besondern Veränderung der Stimme zu geschehen pflegt. Weil man nun angemerket hatte, daß die natürlich ausgedrückten Leidenschaften, auch bey andern, eben dergleichen zu erwecken geschickt wären: so ließen sichs die Freudigen, Traurigen, Zürnenden, Verliebten u.s.w. destomehr angelegen seyn, ihre Gemüthsbeschaffenheit auf eine bewegliche Art an den Tag zu legen, um dadurch auch andre, die ihnen zuhöreten, zu rühren; das ist, ihnen etwas vorzusingen. 4. §. Wie nun bisher erwähnter maßen, auch bloße Stimmen die innerlichen Bewegungen des Herzens ausdrücken, indem z.E. die geschwinde Abwechselung wohl zusammen stimmender scharfer Töne lustig, die langsame Abänderung gezogener und zuweilen übellautender Töne traurig klinget, u.s. f: so ist es doch leicht zu vermuthen, daß man nicht lange bey bloßen Stimmen oder Tönen im Singen geblieben seyn, sondern auch bald gewisse Worte dabey wird ausgesprochen haben. Man hört es freylich auch auf musikalischen Instrumenten schon, ob es munter oder kläglich, trotzig oder zärtlich, rasend oder schläfrig klingen soll: und geschickte Virtuosen wissen ihre Zuhörer, bloß durch ihre künstliche Vermischung der Töne, zu allen Leidenschaften zu zwingen. Allein es ist kein Zweifel, daß Worte, die nach einer geschickten Melodie gesungen werden, noch viel kräftiger in die Gemüther wirken. 5. §. Sonderlich muß man dieses damals wahrgenommen haben, als die Gesangweisen so vollkommen noch nicht waren, als itzo, da die Musik aufs höchste gestiegen ist. Es war also sehr natürlich, daß die ersten Sänger den Anfang machten, anstatt unvernehmlicher Töne, verständliche Sylben und deutliche Wörter zu singen. Dadurch konnten sie dasjenige, was sie bey sich empfunden hatten, desto lebhafter ausdrücken, ihre Gedanken ausführlicher an den Tag geben, und bey ihren Zuhörern den gewünschten Endzweck erreichen. Abgesungene Worte, die einen Verstand in sich haben, oder gar einen Affect ausdrücken, nennen wir Lieder; oder, welches gleich viel ist: ein Lied ist ein Text, der nach einer gewissen Melodie abgesungen werden kann. Die Gesänge sind dergestalt die älteste Gattung der Gedichte, und die ersten Poeten sind Liederdichter gewesen. 6. §. Man kann sich aber leicht einbilden, wie diese ersten Oden mögen geklungen haben. Alle Dinge sind anfänglich rauh und grob, oder doch voller Einfalt. Die Zeit bessert alles aus; die lange Uebung in einer Kunst bringt sie endlich zu größerer Vollkommenheit: nur findet sich der Ausputz oft sehr spät, wenn gleich die Sache selbst längst erfunden gewesen. Ich stelle mir die neuerfundenen Lieder nicht anders vor, als die Evangelien, das Vater Unser und andre in ungebundner Rede abgefaßte Lieder, die man noch itzo an vielen Orten singet; nämlich die Litaney, den Lobgesang Mariä, die Collecten u.d.m. Sätze von ungleicher Größe, ohne eine regelmäßige Abwechselung langer und kurzer Sylben; ja so gar ohne alle Reime, waren bey den ersten Sängern schon eine Poesie. Die Psalmen der Hebräer, das Lied Mosis, der Gesang, den Mirjam beym Durchgange durchs rothe Meer angestimmet; u.a.m. können uns davon sattsam überzeugen. So mühsam sich einige Gelehrten mit dem Hieronymus haben angelegen seyn lassen, in diesen alten hebräischen Liedern ein gewisses Sylbenmaaß zu finden; so leicht wird doch ein jeder Unparteyischer sehen, daß alle ihre Arbeit vergebens gewesen. Sie haben es mehr hinein gezwungen, als darinn gefunden; und es ist weder wahrscheinlich noch nöthig, daß die Poesie der ältesten Nationen eben die Zierde und Vollkommenheit gehabt haben muß, als sie nachmals bey den Griechen und Römern erlanget. Man hält es also billig mit Jos. Scaligern, der in seinen Anmerkungen über den Eusebius schreibt: »Die hebräische Sprache ist durchaus nicht auf die Regeln des griechischen oder lateinischen Sylbenmaaßes zu bringen; wenn man gleich Himmel und Erde durch einander mischen wollte.« Man weis, daß der Engländer, der kürzlich von dem Sylbenmaaße der Psalmen neue Entdeckungen gemacht zu haben, vorgegeben, nichts besonders geleistet. Zum wenigsten hat ers nicht erweislich gemacht, daß es so sorgfältig, als bey den Lateinern und Griechen eingerichtet gewesen. 7. §. Selbst die ersten Poeten unsrer Vorfahren habens nicht besser zu machen gewußt. In Schweden hat man in der Edda solche Ueberbleibsel alter Lieder, wo weder Sylbenmaaß noch Reime gefunden werden. Morhof im Unterrichte von der deutschen Sprache auf der 268. Seite führt folgendes an: Latur sa er hakon heitir Han rakir lid bannat Jord kan frelsa findum Fridroß kongar oßa Sialfur rädr alt och Elfar Eira stillir amilli Gramur ofgifft ad fremri Gandwikz Jofur Landi Imgleichen hat Schilter in der Vorrede zu Ottfrieds Evangelio 10. §. T. 1. THES. ANTIQU. GERM. diese Probe gegeben: Fe ock fierwi Ränsi firthakind Sa himm grimmi Greppur Yfr tha Gautu Er han warthathi Nathi einginn kwikur komast. Daß diese alte Schwedische Sprache wo nicht eine Mutter, wie Rudbek in seiner ATLANTICA, nebst andern Schweden behaupten wollen, doch zum wenigsten eben sowohl eine Tochter der Scythischen, und alten Celtischen gewesen sey, als unsre Deutsche, die daher ihren Ursprung hat; das zeigen so viele Wörter, die in diesen beyden Proben, an Verstand und Buchstaben mit unsern heutigen übereinkommen: wenn man nur die an oberwähnten Orten befindliche lateinische Uebersetzung zu Hülfe nimmt, und sonderlich der plattdeutschen Mundart mächtig ist. Z.E. lid heißt leiten, bannat verbannet, kan ist völlig kann; Fridroß Friedensbruch oder Riß ; Kongar , König; sialfur , selber; alt , alles; och , auch; ad , und; landi , land. Und in dem andern heißt ok auch, firthakind , Menschenkind, grimmi , grimmige, yfr , über, tha , die, warthathi , bewahrete, einginn , einiger, komast , kommest. Doch dieses nur beyläufig. 8. §. Fragen wir also, worinn die damalige Poesie der Alten denn eigentlich bestanden? so müssen wir sie, im Absehen auf das Aeußerliche, bloß in der ohngefähr getroffenen Gleichheit der Zeilen suchen. Es traf sich irgend so, daß die kurzen Abschnitte der Rede, oder die kleinen Theile der Lieder, fast einerley Anzahl der Sylben hatten. Doch gieng es damit so genau nicht zu. Es kam ihnen darauf nicht an, ob die eine Zeile etliche Sylben mehr oder weniger hatte, als die andre. Die Geschwindigkeit des Singens verkürzte die langen, und die Langsamkeit der Aussprache verlängerte die kurzen; so, daß sie sich so ziemlich zur Melodie schicketen. Wir können uns dieses noch heute zu Tage an alten geistlichen Gesängen, imgleichen an den Liedern der Bergleute vorstellen; die es auch so genau nicht nehmen, und die Zeilen ihrer Verse gleichsam nur mit einem Hölzchen abzumessen pflegen. Und wenn sie sich von der ungebundenen Rede noch in sonst was unterschieden haben; so muß es bloß in den erhabenen Gedanken und dem edlen Ausdrucke derselben, in prächtigen Figuren, Fabeln, Gleichnissen und schönen Redensarten gesucht werden: wie solches aus der morgenländischen Poesie zu ersehen ist. 9. §. Solche Lieder nun wird man gesungen haben, als Jubal allerley musikalische Instrumente erfunden; und als Laban dem Jacob sagte: daß er ihn mit Freuden, mit Singen, mit Pauken und Harfen hätte begleiten wollen. Dergleichen Lieder haben Mirjam, Moses, und nachmals Debora gesungen. Dergleichen Lieder haben auch David, Assaph, Salomo, Jeremias und viele andere gedichtet; ja die ganze hebräische Poesie weis von keinen andern: so daß es lächerlich ist, wenn Josephus schreibet, das Buch Hiob sey in Hexametern geschrieben. In solchen Versen haben auch ohne Zweifel Linus, Museus, Orpheus und Amphion in Griechenland noch gesungen, die doch so großen Ruhm mit ihrer Dichtkunst erlanget haben. Solcher Art sind endlich auch die alten salischen Lieder bey den Römern gewesen, die Numa einführt, und die fescenninischen Verse, die nachmals in Italien im Schwange gegangen. Kurz, so sind die Poesien der allerältesten Völker in der ganzen Welt beschaffen gewesen. Ein Poet aber und ein Musikus, das war damals einerley: weil viele Sänger sich ihre Lieder selbst machten, und die Dichter die ihrigen selbst sungen. Daher kam denn nachmals die Gewohnheit, daß die Poeten ihre Leyern, Cithern, Seyten, Flöthen und Schalmeyen immer anredeten, wenn sie gleich nicht selber spielen konnten. Weil nämlich die Alten beydes zugleich gekonnt hatten, so blieben auch die Neuern noch bey der Sprache ihrer Vorgänger, und entschuldigten sich gemeiniglich mit einer tropischen Redensart, die uns erlaubt, das Nebending an statt des Hauptwerkes zu setzen. 10. §. Mit der Zeit fieng man an, die Sylben in poetischen Zeilen etwas genauer abzuzählen, damit sie sich desto besser zu den Melodeyen schicken möchten. Die Griechen mögen wohl die ersten gewesen seyn, die solches gethan haben: obwohl noch allezeit einige Lieder bey ihnen im Schwange blieben, darinn sich die Poeten viel Freyheiten heraus nahmen. Man lese nur nach, was Scaliger in seiner Poetik, von dithyrambischen und päanischen Gesängen geschrieben. Ja dieses witzige Volk ließ es auch dabey nicht bewenden. Denn wie es ein sehr zartes Gehör hatte, und also zur Musik sehr geschickt und geneigt war: Also bemerkte es bald, daß es auch mit der bloßen Sylbenzahl in einem Liede nicht ausgerichtet wäre. Die eine Zeile hatte immer einen bessern Wohlklang, als die andre, und schickte sich besser zur Musik, wenn sie gleich beyde auf einerley Art gesungen wurden: und bey genauer Aufmerksamkeit fand man, daß die Ursache in der Abwechselung langer und kurzer Sylben zu suchen wäre. Man bemerkte derowegen, welche Art der Vermischung sich zu dieser oder jener Gesangweise am besten schickte: Und daher entstunden sehr viel verschiedene Gattungen der Verse, die in so großer Menge bey den Griechen und Lateinern vorkommen, daß man sie fast nicht zählen kann. Man sehe hierbey nach, was Vossius in seinem Tractate DE POEMATUM CANTU, & VIRIBUS RHYTHMI geschrieben hat. 11. §. Die nordlichen Völker, darunter denn auch die Deutschen gehören, liebten zwar auch das Singen, hatten aber kein so zärtliches Gehör; und verfielen also auch auf dieses künstliche Sylbenmaaß der Griechen und Römer nicht. An dessen statt geriethen sie auf den Gleichlaut der letzten Sylben in zwoen Zeilen ihrer Lieder, und fanden ein besonderes Belieben an einem übereinstimmenden Klange, den sie den Reim nenneten. Sie gewöhnten auch ihre Ohren dergestalt daran, daß sie diesen Reim endlich für das wesentlichste Stück der Poesie hielten; ja die Verse und alle Gedichte überhaupt, nicht anders, als Reime nennten. Diesen Reim nun zu haben, sparten sie weder Kunst noch Mühe; ja sie verwehrten sich dabey auch keine Freyheit. Zum wenigsten wußten sie eine Aehnlichkeit der letzten Wörter herauszubringen, wenn gleich keine völlige Gleichheit zu erhalten möglich war. Z.E. Ottfrieds Vorrede zu seinem Evangelio hebt so an: Hludouuig ther snello Thes Uuisduames follo Er Ostarrichi rihtet al so Frankono Kuning scal u.s.w. 12. §. Nun haben zwar einige, als Huetius in dem Buche vom Ursprunge der Romane, den Ursprung der Reime den Arabern zuschreiben wollen, die sie im achten Jahrhunderte nach Spanien gebracht haben sollen; welchem auch Campanella beypflichtet. Allein nichts ist leichter zu zeigen, als daß die Reime in Deutschland, Welschland und Frankreich schon im fünften Jahrhunderte im Schwange gewesen, ehe noch die Arabe aus Asien gegangen: vielmehr haben selbige diese Kunst in Spanien von den Gothischen und Vandalischen Völkern gelernet, die daselbst vor ihnen geherrschet hatten. Gyrald holet sie aus Sicilien her, und Claude Fauchet aus der Provence in Frankreich; die aber ebenfalls ihre Reime von den deutschen Völkern gelernet, die daselbst vorher schon eingefallen waren. Andre wollen die Kunst gar den Rabbinen der Juden zueignen, die doch erst seit des David Kimchi Zeiten dergleichen zu machen angefangen; und es ohne Zweifel von den europäischen Christen gelernt haben. Noch andre haben gar die Reime schon bey den alten Lateinern und Griechen finden wollen. Ob es nun wohl nicht zu leugnen ist, daß man nicht hier und dar einige solche Verse finden sollte, da sich entweder zweene Zeilen am Ende, oder eine für sich, in der Mitte und am Ende reime: so ist doch dieses nur von ohngefähr gekommen, und man hat wenigstens keine solche Schönheit darinn gesucht, als die alten Deutschen. Der einzige Kaiser Hadrian hat in seiner ANIMULA VAGULA BLANDULA, eine Reimsucht bewiesen, die er ohne Zweifel von den Deutschen gelernet, mit denen er viel zu thun gehabt. Die VERSUS LEONINI sind auch in Italien allererst im fünften Jahrhunderte aufgekommen, und haben den Namen von einem gewissen LEONIO, einem CANONICO, der sich damit zuerst hervorgethan. Damals aber, wie bekannt ist, waren die deutschen Völker schon eingefallen, und hatten also ihre Reimart mit sich dahin gebracht. Die Gelehrten verliebten sich auch bey der einreißenden Barbarey und dem Verfalle des guten Geschmackes so sehr ins Reimen, daß sie sich nicht satt reimen konnten. Es war nicht genug, daß zwey Zeilen mit einander reimeten. Z.E. VT MENS SE VIDEAT POSITA CALIGINE FUMI; QUIS VETAT APPOSITO LUMEN DE LUMINE SUMI? Sondern es mußte sich auch wohl Mittel und Ende eines Verses reimen. Z.E. HIC JACET HENRICUS SEMPER PIETATIS AMICUS. Oder wie die salernitanische Schule die Gesundheitsregeln abgefasset. Z.E. CASEUS ET PANIS, SUNT OPTIMA FERCULA SANIS. Kaum war dieses erdacht, als man gar dreyfache Reime machte: Z.E. VOS ESTIS, DEUS EST TESTIS! TETERRIMA PESTIS. Und auch darüber fanden sich noch andere Künstler, die ihre Vorgänger in der Reimsucht übertreffen wollten; indem sie eine noch künstlichere Verschränkung der gereimten Zeilen erdachten, wie dieß Exempel zeigen wird: IANUA MORTIS, PASSIO FORTIS, CRIMEN EORUM ATTULIT ORBI, SEMINA MORBI, TOTQUE MALORUM. So wurden denn, bey so vielen Reimen, die Verse selbst unsichtbar: und die eingebildeten Poeten wurden nichts, als elende Reimschmiede, die sich an dem Klappen der Sylben, wie Kinder an dem Klingen der Schellen belustigen; an die Sachen aber, entweder gar nicht dachten, oder, des großen Zwanges halber, nicht recht denken konnten. 13. §. Bey dem allen aber bleibt es wohl gewiß, daß die scythischen oder celtischen Völker, das ist, unsre Vorfahren, und die Barden derselben, als ihre Poeten, etwa um die Zeiten des Tacitus, auch wohl noch zeitiger, die Reime in ihren Liedern eingeführet haben mögen. Ihre Absicht dabey ist wohl nichts anders gewesen, als daß ihre Landesleute das Lob ihrer Helden desto leichter auswendig lernen, und es desto besser behalten möchten. Denn weil an Schreibern damals ein großer Mangel war, und das Gedächtniß des Volkes die Stelle der Chroniken vertreten mußte: so waren die gereimten Lieder sehr geschickt, das Auswendiglernen zu befördern. Alle Sprüchwörter unsrer Alten zeigen davon. Diese hielten den Kern ihrer moralischen und politischen Klugheit in sich, und wurden der Jugend gleich mit der Muttermilch eingeflößet; aber zu desto größerer Erleichterung des Gedächtnisses in Reimen verfasset: Z.E. Freunde in der Noth Gehn hundert auf ein Loth. * * * Je krümmer Holz, ie besser Krück; Je ärger Schelm, ie besser Glück. * * * Auf einen groben Ast Gehört ein grober Qvast. u.d.gl. Doch die Sache ist so ausgemacht, daß sie keines fernern Beweises vonnöthen hat. 14. §. Wie nun die Griechen in ihrem Sylbenmaaße die Lateiner zu Nachfolgern bekommen haben: so haben auch die alten Deutschen ganz Europa reimen gelehret. Italien, Spanien und Gallien nahmen die Art derjenigen Völker an, die sich durch die Gewalt der Waffen ihrer bemächtigten. 1 Die Dänen, Schweden, Holl- und Engelländer sind selbst von deutschem Geschlechte, und haben also diese Kunst von ihren eigenen Vorfahren gefasset. Ja auch die Polen, eine Abkunft der alten Sarmater, beliebten die reimende Poesie. Nichts ist dabey mehr zu bewundern, als daß die Italiener, Spanier und Franzosen, die doch Abkömmlinge der Lateiner sind, nicht das regelmäßige Sylbenmaaß ihrer Vorfahren beybehalten; sondern selbiges entweder gar mit der deutschen Reimkunst vertauschet, oder doch damit verbunden haben. So hoch Dantes und Petrarcha in Welschland, Ronsard und Malherbe in Frankreich, wegen der durch sie gesäuberten Poesie ihres Vaterlandes, geschätzet werden: so seltsam muß es einem Verständigen vorkommen, daß diese große Geister ihren Landesleuten nicht gewiesen, wie man auch im Welschen und Französischen die lateinische Art zu Dichten nachahmen, und verschiedene Arten der Abwechselung langer und kurzer Sylben einführen könnte. Sie blieben nämlich bey der bloßen Abzählung der Sylben und dem Reime: wozu die Franzosen in den fünf und sechsfüßigen Versen noch einen Abschnitt hinzu thaten. Daher ist es denn vergeblich, wenn einige von unsern Landesleuten in der Poesie dieser Völker ein Sylbenmaaß suchen; oder ihre Poeten beschuldigen, daß sie dawider verstoßen: wie der ungenannte Verfasser der REFLEXIONS SUR LA VERSIFICATION FRANÇOISE gethan hat. Sie haben sichs noch niemals in den Sinn kommen lassen, daß ihre Sprache lange und kurze Sylben habe; 2 so leicht man ihnen solches durch die Aussprache selbst zeigen kann. Und wenn sie gleich viel von ihrer so genannten Cadance schwatzen: so ist es bey ihnen doch ein bloßes JE NE SÇAI QUOI? Sie wissen nämlich nicht zu sagen, woher dieselbe entsteht, können auch keine Regeln davon geben; und wollen sichs doch nicht sagen lassen, daß solches bloß von einer regelmäßigen Abwechselung langer und kurzer Sylben herrühret. Diese gelinget ihnen zuweilen von ohngefähr, ohne daß sie daran gedacht haben. Z.E. Ein jeder Franzose giebt zu, daß folgende Verse einen recht unvergleichlichen Wohlklang haben: QUOY? NOUS PLAYDONS, DIT-IL, TENDANT SES MAINS AU PORT, AUPRÉS DE CES VAISSAUX, ET L'ON ME FAIT CE TORT, DE ME LE DISPUTER! O DIEUX! EN LEUR PRESENCE, ULYSSE AVEC AJAX EST MIS EN CONCURRENCE! CE LÂCHE, QUI FUYOIT HECTOR ET SES BRÛLOTS, QUAND J'EN SOÛTINS L'EFFORT, AU MILIEU DE CES FLOTS. Aber niemand wird es gewahr, daß dieser Vers fast durchgehends aus lauter Jamben besteht; so, daß alle Sylben ihren natürlichen Accent behalten, den sie in ungebundner Rede haben. Eben das könnte man auch von Italienern und Spaniern erweisen, wenn es hieher gehörete. 15. §. Da nun alle diese Nationen, und die Pohlen noch dazu, bey dieser unvollkommenen Art Verse zu machen geblieben sind: so haben die Deutschen sie gewiß weit übertroffen. Unsre Poeten haben es durch die Zärtlichkeit ihres Gehöres bald gemerket, daß die regelmäßige Abwechselung langer und kurzer Sylben, dadurch die griechische und römische Poesie so vollkommen geworden, auch in unsrer Muttersprache statt haben könne; und daher hat man schon vor unserm großen Opitz allerley Gattungen des Sylbenmaaßes gebraucht. Z.E. Die Winsbeckinn, die am Hofe des Kaisers Barbarossa gelebt, hat die Ermahnung an ihren Sohn in lauter jambischen Versen beschrieben. Es heißt gleich von Anfang: Ein wiser Man hat einen Sun, Der was im lieb als mannigem ist, Den wolt er lernen rechte tun, Und sprach also: Min Sun du bist Mir lieb an allen falschen List, Bin ich dir sam du selbe dir so volge mir ze dirre Frist: Diewile du lebest es ist dir guot Ob dich ein Frömder ziehen sol, du weist nicht, wie er ist gemuot. In dieser ersten Strophe ist nur das Wort mannigem , diewile und lebest, wider das ordentliche Sylbenmaaß: Alles übrige ist recht. Wer sieht aber nicht, daß in der heutigen Aussprache in jenem das I, in den beyden letzten aber das eine E leichtlich verschlungen wird? Man sehe nur die Lieder an, so D. Luther schon vor 200 Jahren gemacht, so wird man ziemlich richtige jambische oder trochäische Verse darinnen finden. Ich darf zum Beweise nur den Glauben anführen, als wo beyde erwähnte Gattungen vermischt anzutreffen sind. ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – Wir gläuben all' an einen Gott, – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ Schöpfer Himmels und der Erden, Der sich zum Vater geben hat, Daß wir seine Kinder werden, – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ Er will uns allzeit ernähren, Allem Unfall will er wehren, ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – Er sorget für uns hüt' und wacht, Es steht alles in seiner Macht. Ein jeder wird hier unschwer sehen, daß alle ausgerückte und männlich gereimte Verse jambisch; alle eingerückte weibliche hergegen trochäisch sind: und das ganze Sylbenmaaß ist so richtig, daß nur in der letzten Zeile das einzige W ort alles , wider seine Natur, vorn kurz und hinten lang ausgesprochen werden darf. Und was darf es viel Beweises? Das einzige Exempel des ehrlichen Rebhuns , von dessen Klage des armen Mannes, ich in denen critischen Beyträgen einen ausführlichen Auszug gegeben, kann uns überzeugen, daß man zur Zeit der Reformation bereits mit ganzem Fleiße, jambische und trochäische Verse von allerley Länge gemacht habe. 16. §. Wären nun ihre Nachfolger in der Poesie auch den Spuren dieser großen Vorgänger gefolget, so würden wir lange vor Opitzen taugliche Verse im Deutschen bekommen haben. Da aber Hans Sachse und andere nach ihm, kein so zartes Gehör hatten, und bey der alten Art blieben; so mußte freylich der itzt gedachte Vater unsrer gereinigten Poesie von neuem die Bahn darinn brechen. Er nahm sich die Holländer zum Muster, als unter welchen schon Heins und Cats ihrem Vaterlande eben den Dienst geleistet hatten. Von diesen ahmte er nicht nur die Gedanken, sondern auch das Sylbenmaaß nach: und er konnte es dem ersten also auch in dieser Absicht nachrühmen, wie er that, wenn er an ihn schrieb: Daß deine Poesie der meinen Mutter sey. Diesem Vorgänger sind nun nach der Zeit alle deutsche Poeten gefolget: und also übertrifft nunmehro unsre deutsche Poesie an Kunst und Lieblichkeit des Wohlklanges, die Poesien aller Italiener, Franzosen und Spanier; weil wir nämlich den Reim unsrer Vorfahren mit dem majestätischen Sylbenmaaße der Griechen und Römer vereinbaret haben. Was ich aber hier von den Deutschen sage, das gilt auch von den Schweden, Dänen und Engeländern: wiewohl diese letztern auch noch zuweilen ohne Sylbenmaaß reimen; auch wohl gar ohne Reim und Sylbenmaaß dichten, und bloß auf die Länge der Zeilen sehen: wie Milton in seinem PARADISE LOST gethan hat; welche Art der Verse sie BLANK VERSES nennen. Exempel davon mag ich hier nicht anführen; weil ich gar zu weit von meinem Zwecke ausschweifen würde. 17. §. Dacier, in seiner Vorrede zu der von ihm übersetzten Dichtkunst Aristotels, ist der Meynung, die Religion sey die Hebamme der Poesie gewesen; und man habe die ersten Lieder bloß zum Lobe Gottes gemacht und abgesungen. Er hat dieses mit andern von seinen Landesleuten gemein, daß sie abergläubischer Weise, den Wissenschaften gern einen heiligen Ursprung geben wollen. Was ist es aber nöthig, die Poesie durch Fabeln in Ansehen zu setzen, da sie ohne das Liebhaber genug findet, wenn man gleich ihren Ursprung aus der Natur selbst herleitet? Meines Erachtens würde man nimmermehr auf die Gedanken gekommen seyn, Gott zu Ehren Lieder zu singen; wenn man nicht vorher schon gewohnt gewesen wäre, zu singen. Und ich glaube vielmehr, daß man durch die geistlichen Lobgesänge, eine an sich selbst gleichgültige Sache geheiliget; als durch die weltlichen Lieder, eine an sich heilige Sache entweihet habe. Ich muthmaße also, daß die Poesie etwa folgender maßen entstanden sey. 18. §. Wenn ein muntrer Kopf, von gutem Naturelle, sich bey der Mahlzeit, oder durch einen starken Trunk, das Geblüt erhitzet und die Lebensgeister rege gemacht hatte: so hub er etwa an vor Freuden zu singen, und sein Vergnügen auch durch gewisse dabey ausgesprochene Worte zu bezeigen. Er lobte die Süßigkeit des Weines, er pries den Berg, oder Stock, darauf er gewachsen; man erhob auch wohl das gute Jahr, die fruchtbare Zeit, oder diejenige Gottheit, die dergleichen Früchte hervorgebracht. Ein verliebter Schäfer, dem bey der langen Weile auf dem Felde, wo er seine Heerde weidete, die Gegenwart einer angenehmen Schäferinn das Herz rührete, und das Geblüt in eine Wallung setzte, bemühte sich, nach dem Muster der Vögel, ihr etwas vorzusingen, und bey einer lieblichen Melodie, zugleich seine Liebe zu erklären, ihr zu schmeicheln, ihre Schönheit zu loben, sich über ihre Kaltsinnigkeit und Unempfindlichkeit zu beklagen, oder die Liebe selbst zu erheben. Als nachmals der Aberglaube, den Gott Bacchus dem Weine, die Ceres den Feldfrüchten, die Pomona den Gärten, die Venus und ihren Sohn, der Liebe vorgesetzet hatte: so gerieth man auch allmählich auf das Lob der Götter. Dem Jupiter und allen übrigen Gottheiten wiederfuhr hernach gleiche Ehre, und solchergestalt wurde die Poesie gleichsam dem Gottesdienste geheiliget. 19. §. Von dem Lobe der Götter, kam man leicht auf das Lob der Helden, Erbauer der Städte, Stifter der Republiken, und Stammväter großer Geschlechter: wiewohl ich es auch für ganz möglich halte, daß man von dem Lobe der Helden, auf das Lob der Götter gekommen; oder vielmehr dieselben durch das Lob selbst vergöttert habe. Es ist nämlich bekannt, daß alle Götter der Heyden vormals Menschen gewesen seyn sollten, die nur wegen ihrer Vortrefflichkeit unter die Einwohner des Himmels wären aufgenommen worden. Bey solchen Lobliedern nun, schlichen sich auch die stachlichten Spottgesänge mit ein. Aristoteles gedenkt, daß man schon vor Homers Zeiten schimpfliche Lieder auf die Leute gemacht, und sie sehr anzüglich darinnen herumgenommen. Selbst Homer hat auf einen gewissen Müßiggänger, Margites, eine Satire gemacht. Ja Aventinus will in seiner deutschen Historie, daß, wie Thuiskon zu Anreizung der Nachkommen, die guten Thaten der Frommen, mit Liedern zu ehren befohlen: also hätte König Laber gebothen, man sollte auch von denen, die übels thäten, Lieder machen; und damit sie sich schämen und bessern möchten, selbige bey Nacht, wenn man das Licht angezündet hätte, auf öffentlicher Gasse vor den Häusern, absingen. Daher ist denn diese Art satirischer Lieder, Gesanglichter genennet worden. S. Morhofs Unterricht. Cap. VI. auf der 260. S. 20. §. Und so sehen wir denn nicht nur, daß die allerälteste Gattung der Poesie in Gesängen, Liedern und Oden bestanden; sondern auch in wie vielerley Gattungen sich dieselben allmählich eingetheilet. Ein Lied zum Lobe der Götter, hieß nachmals im griechischen Hymnus, oder Päan; ein Lied auf einen Helden, ENCOMIUM oder SCOLION; ein satyrisch Lied, DITHYRAMBUS; ein verliebtes Lied, MELOS oder THRENUS; und ein Trinklied, hieß eine Ode: wiewohl diese Namen auch oft in allgemeinerm Verstande gebraucht worden. Die ersten Poesien waren dergestalt alle zum singen gemacht; und die Musik gab ihnen das rechte Leben. 21. §. So gar als allmählich die Heldengedichte, Tragödien, Comödien und Schäfergedichte aufkamen, war noch der Gesang ein unentbehrliches Stück bey allen. Das Heldengedichte nämlich, entstund aus den Lobliedern auf Götter oder Helden: und Homerus soll seine Ilias, die er dem Achilles zu Ehren gemacht hatte, nach allen Rhapsodien, d.i. Stücken oder Büchern derselben, in Griechenland öffentlich abgesungen haben. Die Tragödien und Comödien entstunden aus den satirischen Spottliedern, die auf den Dörfern, an Festtägen, die Bauern zu vergnügen, von lustigen Köpfen gesungen wurden: wie nachmals aus eigenen Capiteln von diesen beyden Arten ausführlicher erhellen wird. Die Schäfergedichte entstunden aus den verliebten Liedern, welche sonderlich in Arkadien und Sicilien, als ein paar fruchtbaren und gesegneten Landschaften, mögen im Schwange gewesen seyn: weil nämlich der Ueberfluß an Lebensmitteln, die müßigen Schäfer daselbst, gar leicht zu diesem annehmlichen Affecte reizen konnte. 22. §. Bey allen diesen Gattungen der Poesien nun, verlohr sich allmählich das Singen. Die Heldengedichte Homers, sind wohl nach der Zeit, als Lykurgus oder Pisistratus sie in Ordnung gebracht, in Griechenland nicht allezeit gesungen, sondern oft nur gelesen worden; dafern man nicht das Lesen eines harmonischen Verses auch einen Gesang nennen will. In der Tragödie blieb nur der Chor musikalisch, der auch in der That lauter Oden sang. Alles übrige, was zwischen den Liedern des Chores eingeschaltet wurde, und aus einem bloßen Nebenwerke bald das Hauptwerk ward, pflegte nicht gesungen, sondern nur geredet zu werden: weswegen denn auch die jambischen Verse dabey gebraucht wurden, als welche mit der ungebundenen Sprache der Griechen sehr übereinkamen. Bey der Comödie war es anfänglich eben so, bis endlich der Chor, wegen seiner Schmähsucht, gar von der Obrigkeit verbothen ward, und also verstummen mußte, wie Horaz sagt. Was es aber bedeute, wenn die Aufschriften der terenzianischen Comödien melden, daß dieselben mit dieser oder jener Art von Pfeifen gespielt worden, das haben die Gelehrten noch nicht ausgemacht. Die Schäfergedichte des Theokritus und Virgils, mögen auch wohl nie alle seyn gesungen worden: denn da ihre Verfasser nicht wahre, sondern nur poetische Schäfer waren, so wurden sie nur zum bloßen Lesen gemacht. Ja selbst die Oden, welche Pindarus, Sappho, Anakreon und Horaz in so großer Menge gemacht, sind nicht alle zum Singen verfertiget worden. Man sehe nur z.E. die letztern an, und bemerke, bey was für verschiedenen Gelegenheiten sie verfertiget worden: so wird man selbst gestehen, daß die wenigsten darunter ein einzigmal mögen in die Musik gesetzt worden seyn. 23. §. Da nun dergestalt die Poesie, sich ohne die Ton- und Singekunst beliebt gemacht hatte, so war es kein Wunder, daß noch immer mehr und mehr unmusikalische Gedichte erfunden wurden. Dahin gehören nun die Satiren des Lucils, Horaz, Juvenals und Persius; die poetischen Briefe des Flaccus und Naso; die Elegien Catulls, Tibulls und des Propertius; die Sinngedichte Martials und andrer Lateiner: der Griechen voritzo nicht zu gedenken, die in allen diesen Stücken den Römern vorgegangen. Alle diese Gattungen konnten nicht mehr Lieder heißen: Poesien aber, Gedichte oder Verse blieben sie doch, als welchen letztern Namen Horaz auch seinen Briefen zugesteht; da er hingegen den ersten nur für die erhabenen Heldenlieder, Lobgedichte und Tragödien aufbehalten wissen will. Noch mehr entfernten sich von der rechten Art Hesiodus, der die tägliche Arbeit eines Landmannes, Empedokles, der die ganze Naturlehre, Aratus, der die Sternkunst, Lucretius, der gleichfalls die Naturwissenschaft, und Virgil, der den Feldbau in alexandrinischen Versen beschrieb. Allen dergleichen Werken spricht Aristoteles in seiner Dichtkunst den Namen der Gedichte ab: weil sie nämlich keine Nachahmungen oder Fabeln sind; ob sie gleich das äußerliche Ansehen der poetischen Schreibart beybehalten haben. Zu eben dieser Classe könnte man fast den Silius Italicus, Lucanus und Statius rechnen, deren jener den ganzen punischen, der andre den pharsalischen Krieg, und dieser das ganze Leben des Achilles beschrieben hat. Sie sind also nach dem Urtheile Aristotels, und des Paters le Bossu, mehr für Historienschreiber in Versen, als für Poeten zu halten: wie an seinem Orte ausführlich soll gewiesen werden. Und wo bleiben endlich alle EPITHALAMIA, GENETHLIACA und EPICEDIA der Alten, die gewiß allezeit zum lesen; niemals aber, oder doch sehr selten zum singen verfertiget worden. 24. §. Als bey der Wiederherstellung der freyen Künste in Europa, auch die Poesie wieder in Flor kam, hat man sich nicht an den alten Gattungen der griechischen und römischen Poesien gnügen lassen; sondern verschiedene neue, theils musikalische, theils unmusikalische Arten erfunden. Zu jenen gehören die Opern, die aus den finstersten Zeiten der Barbarey ihren Ursprung haben; ferner die Pastorale, Serenaten, Cantaten, Oratorien u.d.gl. Hierher aber die Stanzen, Sonnette, Madrigale, Rondeaux und andere Kleinigkeiten, die nicht viel werth sind. Die meisten davon sind von den Italienern erfunden, und freylich auch im Anfange zum Singen bestimmet gewesen. Die Stanzen sind Gedichte mit Strophen in langen Zeilen, die wir Gesänge nennen können; wie Tasso sein befreytes Jerusalem geschrieben hat, weswegen er auch die Abtheilungen davon, CANTO, nennet. Ein Sonnet ist gleichsam ein Lied, dessen erste zwey Strophen, jede von vier Zeilen, auf einerley Melodie, die letzte aber, die aus sechs Zeilen besteht, auf eine andere, gesungen werden kann; und also einer pindarischen Ode, mit Satz, Gegensatz und Nachsatz gleich kömmt. Ein Madrigal ist wie eine kleine Arie, oder ein französisches Trinklied; und ein Rondeau ist nicht viel was anders. Die Franzosen sind ihnen nebst den Engelländern und Holländern bald gefolget, und wir Deutschen geben ihnen gewiß in allen diesen Gattungen nichts nach. Wir haben Opern, Pastorale, Serenaden, Cantaten, Kirchenstücke, Oden, Arien, Sonnette, Madrigale, und Rondeaux die Menge aufzuweisen; obwohl diese letztern bey uns niemals gesungen seyn mögen. 25. §. Was die großen Gedichte der Alten betrifft, so haben wir gewiß in allen Arten etwas aufzuweisen, das, wo nicht ganz vollkommen, doch nicht so gar zu verwerfen ist, wenn man es mit den Gedichten der Ausländer vergleicht. Von Heldengedichten haben wir nicht nur unter den alten, den Theuerdank und Froschmäuseler; sondern auch einen habspurgischen Ottobert, die geraubte Proserpina und den sächsischen Wittekind. Sind diese noch nicht so gut als Homer, Virgil und Voltaire; so sind sie doch nicht schlechter, als das, was Marino, Ariost, Chapelain, St. Amand und Milton in diesem Stücke geliefert haben. Man muß sich nur über die sklavische Hochachtung alles dessen, was ausländisch ist, erheben, die uns Deutschen bisher mehr geschadet, als genutzet hat. Pietschens Sieg Carls des VI. den wir neulich ganz zu sehen bekommen haben, zeigt uns zwar, daß der Verfasser Fähigkeit genug gehabt, ein Heldengedichte zu machen; wenn ihm die Regeln desselben bekannt gewesen wären: aber selbst verdient es noch nicht, in diese Classe zu kommen. Neukirchs Telemach aber, ist nur eine Uebersetzung, und kann uns also zu keiner Ehre gereichen. In Trauerspielen, haben wir den Ausländern nicht nur den Gryphius, Hallmann und Lohenstein, sondern sehr viele andere neuere Dichter entgegen zu setzen, die sich seit zwölf Jahren, da diese Dichtkunst zum erstenmal erschienen (ich schreibe dieß 1741.) hervorgethan haben, und schon im Begriffe stehen, ans Licht zu treten. Thun es diese schon einem Corneille und Racine noch nicht in allem gleich, so haben sie auch viele Fehler dieser beyden Franzosen nicht an sich; und können es doch, theils mit den neuern Franzosen, theils sowohl mit den Welschen als Engländern aufnehmen, deren Schaubühne in sehr großer Verwirrung ist. In der Comödie haben wir nicht nur Dedekinds, Gryphii, Riemers, und Weisens, sondern eine große Menge andrer Stücke in Händen, die seit 200 Jahren bey uns gedruckt worden. Und sind diese gleichfalls mit des Moliere, und Des Touches Lustspielen nicht zu vergleichen, so dörfen wir doch weder den Welschen noch Engländern, das allergeringste nachgeben; es wäre denn in der Liebe unsers Vaterlandes, darinnen es uns jene unstreitig zuvor thun. Doch zeigen sich auch hier schon einige muntre Köpfe, die durch glückliche Proben uns Hoffnung machen, daß wir auch den Franzosen nicht lange mehr werden den Vorzug lassen dörfen. Man sehe das Verzeichniß unsrer Schauspiele vor meiner deutschen Schaubühne. 26. §. Ich komme endlich auf die Absichten, so die Erfinder und Fortpflanzer der Poesie vor Augen gehabt, deren Kenntniß uns in Untersuchung des wahren Wesens der Poesie, nicht ein geringes Licht geben wird. Man hat ja die alten Dichter allezeit für weise Männer gehalten, und läßt ihnen noch heute zu Tage diesen Ruhm unangetastet. Folglich wird mans ihnen wohl nicht streitig machen, daß sie auch Absichten bey ihren Arbeiten gehabt haben. So mannigfaltig nun dieselben gewesen seyn mögen, so leicht sind sie doch zu errathen. Ihre Gedichte sind ja die Mittel, wodurch sie dieselben zu erlangen gesucht, und wirklich erlanget haben: wozu also dieselben geschickt gewesen sind, das ist für einen Endzweck ihrer Verfasser anzusehen. 27. §. Die allerersten Sänger ungekünstelter Lieder, haben, nach der damaligen Einfalt ihrer Zeiten, wohl nichts anders im Sinne gehabt, als wie sie ihren Affect auf eine angenehme Art ausdrücken wollten, so daß derselbe auch in andern, eine gewisse Gemüthsbewegung erwecken möchte. Dahin zielten also ihre lustige und traurige, verliebte, lobende und spöttische Lieder ab: und diesen Endzweck erlangten sie auch, so oft sie ihren eigenen Affect theils durch bequeme Texte, theils durch geschickte Melodeyen, natürlich und lebhaft vorstelleten. Ein Saufbruder machte den andern lustig; ein Betrübter lockte dem andern Thränen heraus; ein Liebhaber gewann das Herz seiner Geliebten; ein Lobsänger erweckte seinem Helden Beyfall und Bewunderung, und ein Spottvogel brachte durch seinen beißenden Scherz das Gelächter ganzer Gesellschaften zuwege. Die Sache ist leicht zu begreifen, weil sie in der Natur des Menschen ihren Grund hat, und noch täglich durch die Erfahrung bestätiget wird. 28. §. Eine so wunderbare Kunst, brachte nun den geschicktesten unter ihren Meistern sehr viel Hochachtung zuwege. Man hörte solche treffliche Sänger gern, man lobte sie sehr, und hielt gar dafür, daß sie etwas mehr als Menschen seyn; oder zum wenigsten einen göttlichen Beystand haben mußten. Dieses ließen sich auch die Poeten gefallen, ja sie bemühten sich, einen so vortheilhaften Gedanken von ihrer Kunst nicht nur zu unterhalten, sondern auch je mehr und mehr zu bestärken. In diesem Vorhaben ließen sie sichs angelegen seyn, allerley annehmliche und reizende Sachen in ihre Lieder zu bringen, dadurch sie die Gemüther der Zuhörer noch destomehr an sich locken und gleichsam fesseln könnten. Nichts war dazu bey der einfältigen Welt geschickter, als kleine Historien oder Fabeln, die etwas wunderbares und ungemeines in sich enthielten. Man sieht es ja an kleinen Kindern, wie begierig sie nach der Erzählung ihrer Wärterinnen sind; und diesen unerfahrnen und neugierigen Creaturen waren die ältesten Völker ganz gleich. Das bezauberte nun gleichsam die sonst ungezogenen Gemüther. Die wildesten Leute verließen ihre Wälder, und liefen einem Amphion oder Orpheus nach, welche ihnen nicht nur auf ihren Leyern etwas vorspielten; sondern auch allerley Fabeln von Göttern und Helden vorsungen: nicht viel besser, als etwan itzo auf Messen und Jahrmärkten die Bänkelsänger mit ihren Liedern von Wundergeschichten, den Pöbel einzunehmen pflegen. 29. §. In dieser einmal erhaltenen Hochachtung, erhielten sich die nachfolgenden Dichter, durch die Schönheit des Ausdruckes und durch die untermischten weisen Lehren und Sittensprüche. Die Poeten redeten nicht die gemeine Sprache der andern Leute, sondern ihre Redensarten waren edel und erhaben, ihre Worte ausgesucht, ihre Sätze neu und wohlklingend: und ihr ganzer Vortrag ward bisweilen in einer verblümten oder gar allegorischen Schreibart abgefasset. So viel Witz und lebhafte Einbildungskraft sie dadurch bewiesen: so viel Verstand und hohe Weisheit, zeigten sie durch die trefflichen Sittenlehren und Lebensregeln, die sie in ihren Liedern mit vorbrachten. Die alten Poeten waren nämlich die ersten Weltweisen, Gottesgelehrten, Staatsmänner: oder umgekehrt, die ältesten Weltweisen bedienten sich der Poesie, das rohe Volk dadurch zu zähmen. Das war vor grauer Zeit die Weisheit jener Alten, Zu zeigen, was für gut und strafenswerth zu halten, Was recht und schändlich war; der Unzucht feind zu seyn, Den Beyschlaf abzuthun, den Ehstand einzuweihn, Die Städte zu erbaun, Gesetze vorzuschreiben, So mußte Ruhm und Preis den Dichtern eigen bleiben. Dergestalt wurden nun die ältesten Poeten für Gottesgelehrte, Staatskündige, Rechtsverständige, und Weltweise zugleich gehalten. Sie waren auch in der That alles in allem, und wurden also für Lehrer des menschlichen Geschlechts, für außerordentliche, ja recht göttliche Männer angesehen; die nothwendig alles was sie sungen, aus einer höhern Eingebung, nämlich von dem Beystande der Musen und des Apollo, herhaben müßten. 30. §. Alle diese Kunstgriffe hat Homer in seinen beyden Heldengedichten, Ilias und Odyssee, auf eine geschickte Art zu verbinden gewußt. Er erzählt wahre Geschichte; er erdichtet Fabeln von Göttern und Helden; er erregt die Affecten; er schreibt edel und erhaben; er lehrt und belustiget endlich seine Leser, auf eine so künstliche Art und Weise, daß man sich lange vergebens bemühet hat, seine rechte Hauptabsicht zu errathen. Ohne Zweifel aber hat er mit Fleiß alle Schönheiten der Poesie in einem Meisterstücke verknüpfen, die gemeine Wohlfahrt seiner Griechen befördern, und sich selbst dadurch in besondre Hochachtung setzen wollen. Er hat auch seinen Endzweck damit völlig erreichet; denn es ist bekannt, wie hoch derselbe zwey bis drey tausend Jahre her, von allen die ihn verstanden, geschätzet worden. Einige sind in dieser Hochachtung so weit gegangen, daß sie gar alle seine Fehler für schön ausgegeben, und alle seine Schnitzer canonisiren wollen. Andre aber haben zwar die Mängel erkannt, aber sie, wie es billig war, mehr seinen Zeiten, als ihm selbst beygelegt; und ihm dem ungeachtet doch das Lob eines recht großen, lebhaften und glücklichen Geistes, nicht abgesprochen. Man sehe des Herrn de la Motte Discurs, über den Homer, den er vor seiner französischen Ilias drucken lassen. Mit dem Virgil hat es eben die Bewandniß. 31. §. Die Tragödien und Comödien anlangend, so ist die Absicht ihrer Verfasser gewiß eben dieselbe gewesen. Man findet was wahres, aber auch was erdichtetes darinnen. Man suchet durch Exempel der Tugenden und Laster, die Zuschauer zu unterrichten. Die Erregung der Affecten ist hier noch weit lebhafter als in jenem, weil die sichtbare Vorstellung der Personen weit empfindlicher rühret, als die beste Beschreibung. Dadurch aber suchet man die Leidenschaften der Zuschauer zu reinigen. Die Schreibart ist, sonderlich im Trauerspiele so edel und erhaben, wie die Sachen selber sind: und an lehrreichen Sprüchen hat es eher einen Ueberfluß als Mangel. Selbst die Comödie lehret und unterrichtet die Zuschauer, obwohl sie das Gelächter erweckt; und also haben freylich auch ein Sophokles, Euripides, Menander und Terentius, Ehre genug durch ihre Poesien erlanget, und ihren Zweck, nämlich die Erbauung und Belustigung der Zuschauer dergestalt vollkommen erhalten. 32. §. Was die kleinen Gattungen der Gedichte anlangt, so sind dieselben freylich so vollkommen nicht. Einige erzählen nur; andere sind bloße Fabeln; noch andere klagen nur allein; und einige sind bloß zum Lehren gemacht. In einigen will man nur loben, und in andern schlechterdings spotten. Viele sind auch nur zum Scherze und zur Belustigung gemacht: und also haben sich die Verfasser derselben gleichsam in die Vollkommenheiten der größern getheilet. Sie erhalten dergestalt auch nur ein geringes Lob, weil zu einer einzigen poetischen Absicht, auch ein sehr seichter Geist und mäßiger Witz schon zulänglich ist. Daher bringen auch solche poetische Kleinigkeiten einer Nation nicht viel Ehre. Es muß was größers seyn, womit man sich gegen andre Völker breit machen, und ihren Dichtern Trotz biethen will. Indessen bleibt es doch in allen Gattungen der Gedichte bey dem Ausspruche des Horaz: Der wird vollkommen seyn, der theils ein lehrreich Wesen, Und theils was liebliches durch seinen Vers besingt; Zum theil dem Leser nützt, zum theil Ergetzung bringt. Ein solch Gedicht geht ab, wird weit und breit verführet, Bis es dem Dichter gar Unsterblichkeit gebiehret. Dichtk. v. 495. 33. §. Bey dem allen ist es nicht zu leugnen, daß nicht, nach dem Urtheile des großen Aristoteles, das Hauptwerk der Poesie in der geschickten Nachahmung bestehe. Die Fabel selbst, die von andern für die Seele eines Gedichtes gehalten wird, ist nichts anders, als eine Nachahmung der Natur. Dieß wird sie nun durch die Aehnlichkeit mit derselben, und wenn sie diese hat, so heißt sie wahrscheinlich. Die Wahrscheinlichkeit ist also die Haupteigenschaft aller Fabeln; und wenn eine Fabel nicht wahrscheinlich ist, so taugt sie nichts. Wie kann sie aber wahrscheinlich seyn, wenn sie nicht die Natur zum Vorbilde nimmt, und ihr Fuß vor Fuß nachgeht? Horaz schreibt: Die Fabel laute so, daß sie der Wahrheit gleicht, Und fordre nicht von uns, daß man ihr alles gläube: Man reiße nicht das Kind den Hexen aus dem Leibe, Wenn sie es schon verzehrt. Dichtk. v. 489. Diese Nachahmung der Poeten nun, geschieht entweder vermittelst einer sehr lebhaften Beschreibung, oder durch eine epische und dramatische Erzählung, oder gar durch lebendige Vorstellung desjenigen, was sie nachahmen. Und dadurch unterscheidet sich der Dichter von einem Maler, der nur mit Farben, und einem Bildhauer, der in Stein oder Holz seine Nachahmung verrichtet. Will man sagen, daß auch in ungebundener Rede solche Nachahmungen zu geschehen pflegen, die wir der Poesie zueignen; als wenn zum Exempel Aesopus prosaische Fabeln macht, oder Livius und andre Geschichtschreiber gewissen großen Männern solche Reden andichten, die sie zwar nicht von Wort zu Wort gehalten, aber doch wahrscheinlicher Weise hätten halten können: so werde ich antworten, daß sowohl Aesopus, als solche dichtende Geschichtschreiber, in so weit sie dichten, unter die Poeten gehören. Die Verse machen das Wesen der Poesie nicht aus, vielweniger die Reime. Können doch ganze Heldengedichte in ungebundener Rede geschrieben werden. Denn wer wollte es leugnen, daß nicht die prosaische Uebersetzung, welche die Frau Dacier vom Homer gemacht, noch ein Heldengedichte geblieben wäre, oder daß des Erzbischofs von Cambray Telemach kein poetisches Werk wäre? Kinder und Unwissende bleiben am äußerlichen kleben, und sehen auch eine scandirte und gereimte Prose für ein Gedichte, und jeglichen elenden Versmacher für einen Poeten an: Kenner aber halten es mit dem Horaz, der uns einen Poeten so beschreibt: – – – NEQUE ENIM CONCLUDERE VERSUM DIXERIT ESSE SATIS; NEQUE SI QUIS SCRIBAT VTI NOS, SERMONI PROPIORA, PUTES HUNC ESSE POETAM: INGENIUM CUI SIT, CUI MENS DIUINIOR, ET OS MAGNA SONATURUM, DES NOMINIS HUIUS HONOREM. LIB. I. SAT. 4. Fußnoten 1 Der gelehrte Rollin gesteht dieses offenherzig, im I. Theile seiner Manier die freyen Künste zu lehren und zu lernen, auf der 324. Seite: NOS LANGUES MODERNES, PAR OU J'ENTENDS LES LANGUES FRANÇOISE, ITALIENNE & ESPAGNOLE VIENNENT CERTAINEMENT, DU DEBRIS DE LA LANGUE LATINE PAR LE MELANGE DE LA LANGUE TUDESQUE, OU GERMANIQUE. LA PLÛPART DES MOTS VIENNENT DE LA LANGUE LATINE: MAIS LA CONSTRUCTION & LES VERBES AUXILIAIRES, QUI SONT D'UN TRES GRAND USAGE, NOUS VIENNENT DE LA LANGUE GERMANIQUE. ET C'EST PEUT-ÊTRE DE CETTE LANGUE-LÀ, QUE NOUS SONT VENÜES LES RIMES, & L'USAGE DE MESURER LES VERS, NON PAS DES PIÉS COMPOSÉS DE SYLLABES LONGUES & BREVES, COMME LES FAISOIENT LES GRECS & LES ROMAINS, MAIS PAR LE NOMBRE DES SYLLABES. Dieses mögen sich unwissende Sprachmeister merken. 2 Diesen Satz hat neulich ein gewisser Kunstrichter, dem man mehr Belesenheit in französischen Büchern hätte zutrauen sollen, geleugnet. Ich sehe mich also genöthiget, die Beweise, die ich der Kürze wegen übergangen hatte, bey dieser III. Ausgabe meiner Dichtkunst, beyzufügen. Der erste Zeuge sey der Herr von BEAUMARCHAIS, in seinen AMUSEMENTS LITTERAIRES auf der 18. Seite des II. Theils. TOUS, TANT QUE NOUS SOMMES AUJOURDHUI, schreibt er, DE PEUPLES VIVANS EN EUROPE, NOUS MANQUONS DANS NOS LANGUES, DE CETTE MULTITUDE, & DE CE MELANGE DE SYLLABES LONGUES ET BREVES, DONT L'ARRANGEMENT REGLÉ PAR L'ART, METTOIT TANT D'HARMONIE, DANS LES VERS DE L'ANCIENNE GRECE & DE ROME; & IL NE NOUS RESTE POUR-Y SUPPLÉER, QUE D'ASSEMBLER UNE CERTAINE QUANTITÉ DE SYLLABES. & DE FAIRE EN SORTE, QUE DES SONS SEMBLABLES FINISSENT TOUJOURS DEUX VERS VOISINS L'UN DE L'AUTRE. Hier sieht man fürs erste einen verwegenen Franzosen, der sich unterfängt, von allen europäischen Völkern zu urtheilen; da man doch sicher wetten könnte, daß er außer seiner Muttersprache, keine einzige andre heutige Sprache verstanden; und also gar nicht im Stande gewesen, von aller europäischen Völker Poesie zu urtheilen. Denn hätte er auch nur Italiänisch verstanden, so würde er wenigstens aus den Arien ihrer Opern gemerket haben, daß sie sich eben so gut, als die anakreontischen Oden scandiren, d.i. eine regelmäßige Abwechselung langer und kurzer Sylben haben. Hat er nun nicht einmal welsch gekonnt, so hat er noch viel weniger englisch, holländisch, deutsch, dänisch oder schwedisch gekonnt; als wovon sein Ausspruch höchst ungereimt ist. Zweytens sieht man aber wenigstens daraus, daß er in seiner Sprache kein Sylbenmaaß kennet, und von keiner regelmäßigen Abwechselung langer und kurzer Sylben weis. Doch vielleicht hat dieser Zeuge nicht Ansehen genug? Gut, auch Rollin und Lami stimmen überein. Der erste hat dieses zwar schon in der bereits angeführten Stelle gestanden; doch hier sagt ers noch deutlicher im 1. Theile seiner MANIERE D'ENSEIGNER ET D'ETUDIER LES BELLES LETTRES, ED. DE HOLL. p. 328. LA POESIE FRANÇOISE (ET IL FAUT DIRE LA MÊME CHOSE DE TOUTES CELLES, QUI SONT MODERNES) MANQUE ABSOLUMENT DE LA DELICATE ET HARMONIEUSE VARIETÉ DES PIÉS, QUI DONNENT À LA VERSIFICATION GRECQUE ET LATINE SON NOMBRE, SA DOUCEUR, & SON AGREMENT, ET ELLE EST FORÇÉE DE SE CONTENTER, DE L'ASSORTISSEMENT UNIFORME, D'UN CERTAIN NOMBRE DE SYLLABES D'UNE MENSURE ÉGALE POUR COMPOSER SES VERS. Lami aber im X. Capitel des III. Buchs seiner ART DE PARLER auf der 253. Seite schreibt. LA PRONONCIATION DES LANGUES VIVANTES DE L'EUROPE EST ENTIEREMENT DIFFERENTE DE CELLE DES LANGUES MORTES QUI NOUS SONT CONNUËS, COMME LE LATIN, LE GREC, ET L'HEBREU. DANS LES LANGUES VIVANTES ON S'ARRÊTE ÉGALEMENT SUR TOUTES LES SYLLABES; AINSI LE TEMS DE LA PRONONCIATION DE TOUTES LES VOYELLES SONT ÉGAUX, COMME NOUS LE FERONS VOIR. DANS LES LANGUES MORTES LES VOYELLES SONT DISTINGUEÉS ENTR' ELLES PAR LA QUANTITÉ DU TEMS DE LEUR PRONONCIATION. & C. Eben dergleichen Stellen könnten wir noch aus der Historie der Sevaramben, und aus verschiedenen andern französischen Schriftstellern anführen, wenn es nöthig wäre: Wiewohl sie alle insgesamt aus einer ihnen eigenen Vermessenheit und Selbstliebe allen andern europäischen Völkern dasjenige absprechen, was ihnen selbst gebricht; indem sie von unsern nordischen Sprachen, wie die Blinden von der Farbe, urtheilen. Das 2. Capitel Das II. Capitel. Von dem Charactere eines Poeten. 1. §. Nachdem wir den Ursprung und das allmähliche Wachsthum der Poesie kürzlich erwogen haben: so ist es nicht undienlich, von einem wahren Poeten einen Abriß zu machen, und ihn nach allen seinen Eigenschaften zu beschreiben. Man ist mit diesem Namen zu allen Zeiten gar zu freygebig gewesen; weil man nicht sattsam eingesehen, was für eine große Fähigkeit der Gemüthskräfte, wieviel Gelehrsamkeit, Erfahrung, Uebung und Fleiß zu einem rechtschaffenen Dichter gehören. Und das ist kein Wunder gewesen. Gemeiniglich haben sichs diejenigen angemaßet, den Titel eines Poeten auszutheilen, die einen viel zu seichten Verstand, und eine viel zu blöde Einsicht in das Wesen der wahren Dichtkunst gehabt. Der Pöbel hat sich allezeit ein Recht zueignen wollen, von poetischen Scribenten zu urtheilen: und dieses ist desto lächerlicher, da ihm die Beurtheilung prosaischer Schriften niemals zugestanden worden. Kann er nun hierinnen keinen gültigen Ausspruch thun, und die Verfasser derselben, weder für gute Historienschreiber, noch für Redner, Philosophen, Arzneyverständige oder Rechtsgelehrte erklären: wie wird er vermögend seyn, von Gedichten zu urtheilen, deren Einrichtung und Ausarbeitung desto schwerer zu prüfen ist; je mehr sie unter so vielen äußerlichen Schönheiten und Zierrathen, dadurch auch critische Augen zuweilen verblendet werden, verhüllet ist, ja tief verborgen liegt. Plinius schreibt an einem Orte; von Künstlern kann nur ein Künstler urtheilen. Man wird also mit der Poesie wohl nicht unbilliger umgehen wollen, als mit der Musik, Malerey, Baukunst und dem Bildschnitzen. Wer beruft sich aber in allen diesen Künsten auf das Urtheil des großen Haufens? Das würden schlechte Meister darinnen werden, die ihren Ruhm in dem Beyfalle eines eigensinnigen Volkes suchen wollten, welches ohne Verstand und ohne Regeln von ihren Sachen urtheilet, und dessen Geschmack die unbeständigste Sache von der Welt ist. 2. §. Es trifft freylich zuweilen zu, daß ein ganzes Land oder eine große Stadt sich an lauter regelmäßige Sachen gewöhnet, und so zu reden, eine zeitlang Geschmack daran findet. Aber dieser gute Geschmack kann nicht lange Zeit erhalten werden; wenn es nicht Kunstverständige darunter giebt, die dasjenige, was der gemeine Mann nach der sinnlichen Empfindung liebet, nach richtigen Grundregeln für gut und schön erkennen. Ohne solche Meister geht der gute Geschmack bald wieder verlohren, wie wir an den Beyspielen der Griechen und Römer, ja der neuern Welschen und Franzosen gesehen haben. Die Leichtsinnigkeit der menschlichen Gemüther, sucht allezeit eine Veränderung: und wie leicht geschieht es da, daß Leute von keiner Einsicht, an statt der wahren Schönheiten, die aus wirklichen Vollkommenheiten entstehen, auf scheinbare verfallen; die oft die bloße Sinnlichkeit eben so sehr belustigen, als die ersten. Alsdann verfällt alles in Verachtung, was vorhin mit gutem Grunde war hochgeschätzet worden. Der allgemeine Beyfall einer Nation kann also nicht eher von der Geschicklichkeit eines Meisters in freyen Künsten, ein gültiges Urtheil fällen, als bis man vorher den guten Geschmack derselben erwiesen hat. Dieses aber geschieht nicht anders, als wenn man zeiget: daß derselbe mit den Regeln der Kunst übereinstimmet, die aus der Vernunft und Natur hergeleitet worden. Ich habe hiermit beyläufig meinen Begriff von dem guten Geschmacke entdecket; einer Sache, davon zu itziger Zeit überall so viel Redens und Schreibens ist. Weiter unten wird mehr davon vorkommen; denn zu einem guten Poeten gehört auch ein guter Geschmack. Aus dem vorhergehenden aber schließe ich, daß wir die, zu einem wahren Dichter gehörigen Eigenschaften von denen lernen müssen, die das innere Wesen der Poesie eingesehen; die Regeln der Vollkommenheit, daraus ihre Schönheiten entstehen, erforschet haben, und also von allem, was sie an einem Gedichte loben und schelten, den gehörigen Grund anzuzeigen wissen. 3. §. Wenn man nun ein gründliches Erkenntniß aller Dinge Philosophie nennet: so sieht ein jeder, daß niemand den rechten Character von einem Poeten wird geben können, als ein Philosoph; aber ein solcher Philosoph, der von der Poesie philosophiren kann, welches sich nicht bey allen findet, die jenen Namen sonst gar wohl verdienen. Nicht ein jeder hat Zeit und Gelegenheit gehabt, sich mit seinen philosophischen Untersuchungen zu den freyen Künsten zu wenden, und da nachzugrübeln: Woher es komme, daß dieses schön und jenes häßlich ist; dieses wohl, jenes aber übel gefällt? Wer dieses aber weis, der bekömmt einen besondern Namen, und heißt ein Criticus. Dadurch verstehe ich nämlich nichts anders, als einen Gelehrten, der von freyen Künsten philosophiren oder Grund anzeigen kann. Diesen Begriff hat niemand besser ins Licht gestellet, als der berühmte Graf Schaftsbury, in seinem gelehrten Werke: CHARACTERISTIC'S OF MEN, MANNERS AND TIMES, im II. Theile des I. Bandes, ADVICE TO AN AUTHOR; welches Werk neulich von einer geschickten Feder ins Deutsche übersetzt worden. Was uns nun dergleichen Critici, solche philosophische Poeten, oder poesieverständige Philosophen sagen werden, das wird wohl ohne Zweifel weit gründlicher seyn, und einen richtigern Begriff von einem wahren Dichter bey uns erwecken; als was der große Haufe, nach einer betrüglichen Empfindung seines unbeständigen Geschmackes, zu loben oder zu tadeln pflegt. Denn ich bin hier gar nicht der Meynung des sonst so scharfsinnigen Cicero zugethan, der in seinem andern Buche vom Redner schreibt: OMNES TACITO QUODAM SENSU, SINE VLLA ARTE AUT RATIONE, QUAE SINT IN ARTIBUS AC RATIONIBUS RECTA AC PRAUA, DIIUDICANT. Vielmehr halte ichs mit dem Seneca, der an einem Orte seiner Schriften das Gegentheil behauptet: NON TAM BENE CUM REBUS MORTALIUM AGITUR, VT MELIORA PLURIBUS PLACEANT: ARGUMENTUM PESSIMI TURBA EST. 4. §. Unter den Griechen ist ohne Zweifel Aristoteles der beste Criticus gewesen, was nämlich die Redekunst und Poesie anlanget. Es ist ein Glück, daß seine Schriften von beyden Künsten nicht ganz verlohren gegangen; denn von der Dichtkunst haben wir freylich nur einen Theil übrig behalten. Indessen zeugen doch beyde Bücher, eben so wohl von dem durchdringenden Verstande dieses großen Weltweisen, als seine übrige Schriften. Er hat das innere Wesen der Beredsamkeit und Poeterey aufs gründlichste eingesehen, und alle Regeln, die er vorschreibet, gründen sich auf die unveränderliche Natur der Menschen, und auf die gesunde Vernunft. Haben gleich einige andere Kunstrichter und poetische Freygeister sein Joch abzuschütteln gesucht, und uns entweder von allen Regeln befreyen, oder ganz neue und willkührliche einführen wollen: so haben sie doch bey keinem Vernünftigen Beyfall gefunden. Nichts würde also für mich erwünschter seyn, als wenn dieser tiefsinnige Mann auch den ausführlichen Character eines wahren Poeten gemacht hätte: denn so dörfte man sich nur daran halten, und könnte sich selbst so wohl, als andre, nach Anleitung desselben, gehörig prüfen. Allein wir finden in seiner Poetik im I. II. und III. Capitel nur etwas weniges, das uns auf die rechte Spur helfen kann. Er lehrt nämlich gleich im Anfange derselben, daß die ganze Poesie nichts anders sey, als eine Nachahmung menschlicher Handlungen; und daß also der Unterscheid verschiedener Gedichte bloß auf die mancherley Arten der Nachahmung ankomme. Man könne aber die Handlungen der Menschen in gute und böse eintheilen; und die Sitten der Welt wären also nur durch diese beyden Eigenschaften unterschieden. Wer also Menschen abbilden wolle, der könne sie sich entweder besser, oder schlechter vorstellen, als sie sind; oder dieselben ganz ähnlich schildern. Dieses erläutert er durch das Exempel der Maler, und zieht es her nach auf verschiedene Arten der Poesie. Dieses giebt, meines Erachtens, Anleitung genug, wie man einen Poeten zu characterisiren habe. 5. §. Ich sage also erstlich: ein Poet sey ein geschickter Nachahmer aller natürlichen Dinge: und dieses hat er mit den Malern, Bildhauern, Musikverständigen u.a.m. gemein. Er ist aber zum andern, auch von ihnen unterschieden; und zwar durch die Art seiner Nachahmung, und durch die Mittel, wodurch er sie vollzieht. Der Maler ahmet sie durch Pinsel und Farben nach; der Bildschnitzer durch Holz und Stein, oder auch durch den Guß in allerhand Metallen; der Tanzmeister durch den Schritt und die Bewegungen des ganzen Leibes; der Tonkünstler durch den Tact und die Harmonie: der Poet aber thut es durch eine tactmäßig abgemessene, und sonst wohl eingerichtete Rede; oder welches gleich viel ist, durch eine harmonische und wohlklingende Schrift, die wir ein Gedichte nennen. Eben das hat uns Horaz oben zu verstehen gegeben, da er schrieb: RESPICERE EXEMPLAR VITAE MORUMQUE IUBEBO DOCTUM IMITATOREM , ET VERAS HINC DUCERE VOCES. Imgleichen: FICTA VOLUPTATIS CAUSSA SINT PROXIMA VERIS. Oder auch: AUT FAMAM SEQUERE, AUT SIBI CONUENIENTIA FINGE. 6. §. So fremde vielen diese Beschreibung eines Dichters vorkömmt, so vollständig und fruchtbar ist sie in der That. Ein Poet wird dadurch nicht nur von den Meistern obgedachter freyen Künste; sondern auch von den Liebhabern aller andern Theile der Gelehrsamkeit unterschieden. Ein Geschichtschreiber soll nicht nachahmen, was wir Menschen zu thun pflegen, oder wahrscheinlicher Weise gethan haben könnten, thun sollten, oder thun würden, wenn wir in solchen Umständen befindlich wären: sondern man fordert von ihm, daß er getreulich dasjenige erzählen solle, was sich hier oder da, für Begebenheiten zugetragen haben. Ein Redner soll nicht nachahmen, was andre Leute thun; sondern die Leute überreden, etwas für wahr oder falsch zu halten, und sie bewegen, etwas zu thun oder zu lassen. Ein Weltweiser ist gleichfalls von der Nachahmung entfernet, indem er uns die Gründe von der Möglichkeit aller Dinge untersuchen lehret. Wie die Rechtsgelehrsamkeit, Arzneykunst und andre Wissenschaften mehr, von der Poesie unterschieden sind, das wird ein jeder leicht abnehmen können. Der Dichter ganz allein, hat dieses zu seiner Haupteigenschaft, daß er der Natur nachahmet, und sie in allen seinen Beschreibungen, Fabeln und Gedanken, sein einziges Muster seyn läßt. 7. §. Es ist wahr; man macht hier verschiedene Einwürfe. Der Geschichtschreiber, sagt man, schildert ja auch diejenigen Personen, Sachen und Oerter ab; von welchen er uns Erzählungen macht. Er führt seine Helden wohl gar redend ein, und läßt sie oft Dinge sagen, die sie zwar hätten sagen können, aber in der That niemals gesagt haben: wie wir in griechischen und lateinischen Scribenten häufige Exempel davon vor Augen haben. Dieser Zweifel ist es schon werth, daß er beantwortet werde. Ich sage also fürs erste: nicht alles, was ein Geschichtschreiber thut; das thut er als ein Geschichtschreiber. Z.E. Er schreibt ja auch nach den Regeln der Sprachkunst: wer glaubt aber deswegen, daß die richtige Schreibart zum Wesen der Historie gehöre, und nicht vielmehr der Grammatik eigen sey? Ein Geschichtschreiber kann freylich wohl auch moralisiren, und politische Anmerkungen in seine Erzählungen mischen, wie Tacitus und andre gethan haben: gehört das aber eigentlich zur Historie? Und ist dieses deswegen nicht für eines Sittenlehrers und Staatskündigen eigentliche Pflicht zu halten? Eben so gehts mit den vielen Bildern, Charactern und erdichteten Reden, die in Geschichtbüchern vorkommen. Sie sind poetische Kunststücke, die ein Geschichtschreiber nur entlehnet, um seine trockene Erzählungen dadurch ein wenig anmuthiger zu machen. Er ist gleichsam, wie ein Bildschnitzer beschaffen, der die Gesichter und Kleidungen seiner Kunststücke, auch noch mit Pinsel und Farben übermalet: nicht als wenn das Malen eigentlich sein Werk wäre; sondern weil er einer andern Kunst Hülfe braucht, seine Arbeit zur Vollkommenheit zu bringen. 8. §. Fürs andre habens auch die Kunstrichter an einigen Geschichtschreibern vorlängst gemisbilliget, daß sie die Regeln der historischen Schreibart gar zu sehr aus den Augen gesetzet. Man lese nur nach, was einige von dem Florus, und le Clerc vom Curtius, wegen seiner gekünstelten Beschreibungen geurtheilet haben. Man hat kein Bedenken getragen, diesen Scribenten eine poetische Schreibart zuzueignen: welches sattsam zeiget, daß die lebhaften Beschreibungen eigentlich in der Dichtkunst zu Hause gehören; sonderlich, wenn sie, wie des Curtius seine, nur aus dem bloßen Witze des Scribenten herkommen. Und was soll ich von den Reden eines Thucydides, Xenophons, Livius, Sallustius, u.a.m. sagen? Man hat es längst erkannt, daß sie Proben von der dichtenden Einbildungskraft dieser Scribenten wären; dazu sie als Geschichtschreiber nicht wären verbunden gewesen. Sie haben aber hierinn lieber dem Homer nachahmen, dessen Schriften einen allgemeinen Beyfall hatten, als ihre eigne Pflichten in Betrachtung ziehen wollen. Und man hat sie deswegen mit recht getadelt; weil es einem aufrichtigen Verfasser historischer Nachrichten nicht zusteht; das geringste in den wahren Begebenheiten zu ändern, auszulassen oder hinzuzusetzen. Wie haben aber gedachte Scribenten diese Pflicht in solchen Reden beobachten können, die sie berühmten Leuten viele Jahrhunderte nach ihrem Tode angedichtet? Zum wenigsten hat Curtius dem scythischen Gesandten eine Anrede an Alexandern in den Mund gelegt; die derselbe, allem Ansehen nach, unmöglich so schön und künstlich hätte halten können. Was ich hier von der Historie zur Antwort gegeben habe, das läßt sich mit leichter Mühe, auf alle übrige Einwürfe, die man von andern Wissenschaften hernimmt, deuten, und gehöriger maßen anwenden. 9. §. Aristoteles hat es schon ausgeführt, wie natürlich es dem Menschen sey, alles was er sieht und höret, nachzuahmen. In unsrer zärtesten Jugend geht dieses schon an. Man sagt, die Kinder sind wie Affen; weil sie alles nachmachen, was die Erwachsenen thun. Man möchte aber mit besserm Rechte sprechen, die Affen sind wie Kinder: denn diesen gebührt sonder Zweifel im Nachahmen der Vorzug. Alles, was wir lernen und fassen, das fassen und lernen wir durch die Nachahmung. Das Gehen und Stehen, Reden und Singen, das Essen und Trinken, ja Lesen und Schreiben, entsteht bey uns aus keiner andern Qvelle. Die andern Thiere zwar, kennt jedes seine Kraft, Und weis auch von Natur von seiner Eigenschaft; Der Mensch allein, ihr Haupt, der Herr so vieler Sachen, Muß alles, was er thut, von andern lernen machen. Und daß er ißt und trinkt, redt, sitzt, steht, geht und liegt, Kömmt nur durch Unterricht, schläft auch nicht ungewiegt. Opitz im II. Buch der Trostged. Daraus leitet nun der tiefsinnige Weltweise den Ursprung der Poesie her. So viel ist gewiß, daß diejenigen Knaben, welche die größte Geschicklichkeit im Nachahmen an sich blicken lassen, auch die größte Fähigkeit zur Poesie besitzen. Zeiget sich aber jene sonderlich in der Malerey und Musik, imgleichen im Tanzen u.s.f.: so sieht man wohl, daß Kinder, die zu dergleichen Uebungen viel Naturell und Lust haben, auch zur Dichtkunst selbst, ein treffliches Geschicke erlangen können; wenn nur auch die Auferziehung sonst darnach eingerichtet ist. 10. §. Weil nun diese natürliche Geschicklichkeit im Nachahmen bey verschiedenen Leuten auch sehr verschieden ist; so daß einige fast ohne alle Mühe eine große Fertigkeit darinnen erlangen, andre hergegen bey vieler Quaal und Arbeit dennoch hinten bleiben: so hat man angefangen zu sagen, daß die Poeten nicht gemacht; sondern gebohren würden, daß sie den heimlichen Einfluß des Himmels fühlen, und durch ein Gestirn in der Geburt zu Poeten gemacht seyn müßten: das heißt in ungebundener Schreibart nichts anders, als ein gutes und zum Nachahmen geschicktes Naturell bekommen haben. Opitz schreibt: Es ist hier nicht genug, die arme Rede zwingen, Die Sylben über Hals und Kopf in Reime bringen, Der Wörter Henker seyn: Wer nicht den Himmel fühlt, Nicht scharf und geistig ist, nicht auf die Alten zielt, Nicht ihre Schriften kennt, der Griechen und Lateiner, Als seine Finger selbst, und schaut, daß ihm kaum einer Von allen außen bleibt; wer die gemeine Bahn Nicht zu verlassen weis, ist zwar ein guter Mann, Doch nicht gleich ein Poet. Opitz im I.B. der Poet. W. Unser Poet fordert also von einem Dichter, er solle den Himmel bey sich fühlen, ja scharf und geistig seyn. Das zielet ebenfalls auf das gute Naturell oder den fähigen Kopf eines Dichters. Rachel stimmt diesem bey: Denn wer nicht von Natur hiezu ist wie gebohren, Bey dem ist Kunst und Fleiß und Uebung auch verlohren. Hör, was der Römer spricht: Die Stadt giebt jährlich zwar Der Bürgemeister zwey: Jedoch nicht alle Jahr Kömmt ein Poet hervor. So viel hat das zu sagen, Wenn jemand will mit Recht das Lorberkränzlein tragen. Rachel Sat. der Poet. 11. §. Das ist nun, meines Erachtens, die beste Erklärung, die man von dem Göttlichen in der Poesie geben kann; davon so viel Streitens unter den Gelehrten ist. Ein glücklicher munterer Kopf ist es, wie man insgemein redet; oder ein lebhafter Witz, wie ein Weltweiser sprechen möchte: das ist, was oben beym Horaz, INGENIUM ET MENS DIUINIOR hieß. Die ser Witz ist eine Gemüthskraft, welche die Aehnlichkeiten der Dinge leicht wahrnehmen, und also eine Vergleichung zwischen ihnen anstellen kann. Er setzet die Scharfsinnigkeit zum Grunde, welche ein Vermögen der Seelen anzeiget, viel an einem Dinge wahrzunehmen, welches ein andrer, der gleichsam einen stumpfen Sinn, oder blöden Verstand hat, nicht würde beobachtet haben. Je größer nun die Scharfsinnigkeit bey einem jungen Menschen ist, je aufgeweckter sein Kopf ist, wie man zu reden pflegt: desto größer kann auch sein Witz werden, desto sinnreicher werden seine Gedanken seyn. Denn wo man viele Eigenschaften der Dinge angemerket, und auf alle Kleinigkeiten bey einer Person, Handlung, Begebenheit u.s.w. Acht gegeben hat: da kann man desto leichter die Aehnlichkeit einer solchen Person, Handlung, Begebenheit oder Sache mit andern dergleichen Dingen wahrnehmen. Die Einbildungskraft nämlich bringet, bey den gegenwärtigen Empfindungen, sehr leicht wiederum die Begriffe hervor, die wir sonst schon gehabt; wenn sie nur die geringste Aehnlichkeit damit haben. Alle diese Gemüthskräfte nun, gehören nicht in gemeinem, sondern in sehr hohem Grade für denjenigen, der geschickt nachahmen soll: und ein Poet muß dergestalt, sowohl als ein Maler, Bildschnitzer u.s.w. eine starke Einbildungskraft, viel Scharfsinnigkeit und einen großen Witz schon von Natur besitzen, wenn er den Namen eines Dichters mit Recht führen will. 12. §. Doch alle diese natürliche Gaben sind an und für sich selbst noch roh und unvollkommen, wenn sie nicht aufgeweckt, und von der ihnen anklebenden Unrichtigkeit gesaubert werden. Viele witzige Köpfe verrosten gleichsam bey ihrer guten Fähigkeit, aus Mangel der Anführung. Kinder, denen es an Unterricht fehlet, bleiben bey aller ihrer natürlichen Geschicklichkeit dennoch stecken: und wenn sie sich gleich unter andern ihres gleichen, durch ein lebhafteres Wesen hervorthun; so ist doch alle ihr Witz gleichsam ein ungebautes Feld, das nur wilde Pflanzen hervortreibet; ein selbst wachsender Baum, der nur ungestalte Aeste und Reiser hervorsprosset. Gerathen solche Leute in anwachsenden Jahren aufs Reimen, so werden sie Possenreißer, Pritschmeister, und alberne Reimenschmiede; die allerhand abgeschmackte Einfälle zusammen häufen, sich alles für erlaubt halten, und nur den Beyfall des Pöbels suchen. Sie folgen schlechterdings ihrer Phantasie, und dichten Qvodlibete, Opern, Romane, Pickelheringspossen, und andre phantastische Erfindungen in theatralischen Sachen, die weder Art noch Geschicke haben. Man kann aber junge Knaben beyzeiten aufwecken, und ihren Witz, so zu reden in die Falten rücken, wenn man ihnen bald allerley gute sinnreiche Schriften zu lesen giebt; wenn man sie auf die trefflichsten Stellen derselben aufmerksam machet; ihnen die Schönheit derselben recht vor Augen stellet, und durch ein vernünftiges Lob ihrer Verfasser, sie anspornet, nach gleicher Ehre zu streben. 13. §. Dieses thut man, wenn die Jugend ihren Verstand schon einigermaßen brauchen kann: der Grund aber kann noch früher dazu geleget werden, wenn man sie beyzeiten im Zeichnen und Reißen unterweisen läßt. Es glaubt niemand, was diese Uebung jungen Leuten für Vortheil schaffet; als wer sie mit philosophischen Augen ansieht. Wer einen vor Augen liegenden Riß nachmalen will, der muß sehr genau auf alle gerade und krumme Linien, Verhältnisse, Größen, Stellungen, Entfernungen, Erhebungen, Schattirungen und Strichlein, ja auf die allerkleinsten Puncte Achtung geben. Durch dergleichen Uebung und Bemühung erlangt man also einen hohen Grad der Aufmerksamkeit, auf jede vorfallende Sache; welche endlich zu einer Fertigkeit gedeihet, in großer Geschwindigkeit, und fast im Augenblicke viel an einer Sache wahrzunehmen; welche Fertigkeit wir vorhin die Scharfsinnigkeit genannt haben. Indem aber ein solcher Knabe sich ferner bemühet, seinen Riß, dem vorgelegten Musterbilde ähnlich zu machen: so muß er die Aehnlichkeiten zwischen beyden wahrnehmen lernen, das ist, seinen Witz üben. Fängt er endlich gar an, wirkliche Personen abzuschildern, oder Gegenden und Landschaften zu malen, die er wirklich vor sich sieht: so wird er noch fertiger. Am höchsten bringt ers endlich, wenn er aus seiner eigenen Erfindung ganze Historien wohl zu entwerfen, und auf eine sehr lebhafte, natürliche und folglich anmuthige Art auszumalen geschickt wird. Dergleichen Uebungen nun bilden unvermerkt poetische Geister. Denn dafern durch das Studiren, dergleichen jungen Leuten zugleich die Fertigkeit in der Sprache, die Kenntniß vieler Sachen, nebst den Regeln der gebundenen Schreibart beygebracht wird: so werden sie hernach eben so geschickt mit der Feder, als mit Pinsel und Farben, die Nachahmung natürlicher Dinge zu vollziehen wissen. 14. §. Denn das muß man nothwendig wissen, daß es mit Einbildungskraft, Scharfsinnigkeit und Witz bey einem Poeten noch nicht ausgerichtet ist. Dieß ist zwar der Grund von seiner Geschicklichkeit, den die Natur legt: aber es gehört zu dem Naturelle auch die Kunst und Gelehrsamkeit. Muß doch ein Maler, der was rechtes thun will, in der Meßkunst, Perspectiv, Anatomie, Mythologie, Historie, Baukunst, ja Logik und Moral was gethan haben; wenn ers zu einiger Vollkommenheit bringen will. So wird denn ein Poet, der auch die unsichtbaren Gedanken und Neigungen menschlicher Gemüther nachzuahmen hat, sich nicht ohne eine weitläuftige Gelehrsamkeit behelfen können. Es ist keine Wissenschaft von seinem Bezirke ganz ausgeschlossen. Er muß zum wenigsten von allem etwas wissen, in allen Theilen der unter uns blühenden Gelahrtheit sich ziemlicher maßen umgesehen haben. Ein Poet hat ja Gelegenheit, von allerley Dingen zu schreiben. Begeht er nun Fehler, die von seiner Unwissenheit in Künsten und Wissenschaften zeugen, so verliert er sein Ansehen. Ein einzig Wort giebt oft seine Einsicht, oder auch seine Unerfahrenheit in einer Sache zu verstehen. Ein einzig Wort kann ihn also in Hochachtung oder in Verachtung setzen; nachdem es entweder seine Gelehrsamkeit oder Unwissenheit an den Tag legt. Daraus folgt nun unfehlbar, daß ein Poet keine Wissenschaft so gar verabsäumen müsse, als ob sie ihn nichts angienge. Er muß sich vielmehr bemühen, von allen, zum wenigsten einen kurzen Begriff zu fassen; damit er sich, wo nicht in allen geschickt erweisen, doch mindstens in keiner einzigen auf eine lächerliche Art verstoßen möge. 15. §. Vielleicht wendet man mir ein: Ich machte den Begriff von einem Poeten zu groß und zu vollkommen; dergleichen Leute von allgemeiner Gelehrsamkeit hätte es wohl noch nie gegeben; inskünftige aber, würde man sie noch weniger zu gewarten haben, da die Anzahl der Wissenschaften und Künste fast täglich größer würde. Hierauf will ich zur Antwort geben, daß man nicht übel thue, wenn man eine Sache nach ihrer größesten Vollkommenheit abschildert. So haben die Stoiker ihren Weisen, die Lehrer der Redekunst ihren vollkommenen Redner, und die heutigen Weltweisen einen vollkommenen Philosophen beschrieben. Es ist gut, wenn man ein Ziel vor Augen hat, darnach man streben kann, wenn es gleich noch niemand erreichet hätte. Je näher man ihm kömmt, desto vollkommner ist man: und der am wenigsten davon entfernet bleibt, der ist am lobwürdigsten. Gesteht aber Seneca von dem stoischen Weisen, Cicero von einem vollkommenen Redner, und Herr Wolf von einem vollkommenen Philosophen, daß dergleichen noch niemals in der Welt zu finden gewesen: so wollen wir auch bekennen, daß noch kein Poet den höchsten Gipfel in seiner Kunst erreichet habe. Die Erfahrung hat es gewiesen. An den berühmtesten alten und neuen Dichtern haben scharfe Kunstrichter mit gutem Grunde so viel auszusetzen gefunden; daß man auch hier die menschliche Unvollkommenheit nur gar zu deutlich hat wahrnehmen können. Wie aber deswegen, weder die Stoiker nach Weisheit, noch die Redner nach Beredsamkeit, noch die Philosophen nach der philosophischen Erkenntniß zu streben aufgehöret haben: Also darf auch kein Liebhaber der Dichtkunst den Muth sinken lassen. Denn dieß gilt dahin nicht, daß diese Schwierigkeit Dich läßig machen soll. Der Gaben Unterscheid Der hebt nicht alles auf. Kannst du dem Ueberreichen, An seinem großen Schatz und Vorrath, nicht wohl gleichen: So ist dir wenig gnug. Spann alle Sinnen an, Wer weis, was nicht dein Fleiß dir mehr erwerben kann? Schreib wenig, wo nicht viel; doch das nach Arbeit schmecket: Ein kleines Werklein hat oft großen Ruhm erwecket. Zwey Zeilen oder drey, von Buchnern aufgesetzt, Sind billig mehr als dieß mein ganzes Buch geschätzt. Nur eine Fliege, wohl und nach der Kunst gemalet, Ist ihres Lobes werth, und wird sowohl bezahlet, Als nach des Lebens Maaß ein großer Elephant, Den nur ein Sudler hat geschmieret von der Hand. Kannst du kein Opitz seyn, kein theurer Flemming werden: O! es ist Raum genug vom Himmel bis zur Erden etc. Rachel Sat. der Poet. 16. §. Vor allen Dingen aber ist einem wahren Dichter eine gründliche Erkenntniß des Menschen nöthig, ja ganz unentbehrlich. Ein Poet ahmet hauptsächlich die Handlungen der Menschen nach, die von ihrem freyen Willen herrühren, und vielmals aus den verschiedenen Neigungen des Gemüths und heftigen Affecten ihren Ursprung haben. Daher muß derselbe ja die Natur und Beschaffenheit des Willens, der sinnlichen Begierde, und des sinnlichen Abscheues in allen ihren mannigfaltigen Gestalten gründlich einsehen lernen. Wie würde es ihm sonst möglich seyn, einen Geizigen, Stolzen, Verschwendrischen, Zänkischen, Verliebten, Traurigen, Verzagten u.s.w. recht zu characterisiren? Alle Bewegungen des Willens entstehen aus den Meynungen und Urtheilen des Verstandes, so wie diese in den verschiedenen Vorstellungen der Sinne ihren Grund haben. Der Poet muß also auch die Gemüthskräfte der vernünftigen Seele, und ihren verschiedenen, sowohl bösen als guten Gebrauch kennen; damit er thörichte Leute thöricht, und so ferner Abergläubische, Leichtgläubige, Ungläubige, Vernünftler, Grübler, Zweifler, Einfältige, Spitzfündige, Verschlagene, Dumme und Kluge nach ihrer gehörigen Art abzuschildern und nachzuahmen im Stande sey. Sind ferner die Handlungen der Menschen gut oder böse: So wird er nicht im Stande seyn dieselben recht zu beurtheilen, wenn er nicht das Recht der Natur, die Sittenlehre und Staatskunst gründlich versteht. Das ist nun diejenige Wissenschaft von den Charactern und Pflichten der Menschen, die Horaz in seiner obstehenden Dichtkunst so eifrig von einem Poeten fordert, und ihm zu wiederholten malen einschärfet. QUI DIDICIT PATRIAE QUID DEBEAT ET QUID AMICIS, QUO SIT AMORE PARENS, QUO FRATER AMANDUS, ET HOSPES, QUID SIT CONSCRIPTI, QUOD IUDICIS OFFICIUM, QUAE PARTES IN BELLUM MISSI DUCIS, ILLE PROFECTO REDDERE PERSONAE SCIT CONUENIENTIA, CUIQUE. 1 17. §. So nothwendig nun einem Poeten die Philosophie ist: so stark muß auch seine Beurtheilungskraft seyn. Es würde nichts helfen, witzig und scharfsinnig zu seyn, wenn der Witz übel angebracht würde, oder gar nicht rechter Art wäre. Eine gar zu hitzige Einbildungskraft macht unsinnige Dichter: dafern das Feuer der Phantasie nicht durch eine gesunde Vernunft gemäßiget wird. Nicht alle Einfälle sind gleich schön, gleich wohlgegründet, gleich natürlich und wahrscheinlich. Das Urtheil des Verstandes muß Richter darüber seyn. Es wird nirgends leichter ausgeschweifet, als in der Poesie. Wer seinen regellosen Trieben den Zügel schießen läßt, dem geht es wie dem jungen Phaeton. Er hat wilde Pferde zu regieren; aber sehr wenig Verstand und Kräfte sie zu bändigen, und auf der rechten Bahn zu halten: sie reißen ihn fort, und er muß folgen wohin sie wollen, bis er sich in den Abgrund stürzet. So ist es mit einem gar zu feurigen poetischen Geiste auch bewandt. Er reißt sich leicht aus den Schranken der Vernunft; und es entstehen lauter Fehler aus seiner Hitze, wenn sie nicht durch ein reifes Urtheil gezähmet wird. Statius, Claudianus, Lucanus und der tragische Seneca können uns unter den Lateinern zur Warnung dienen. St. Evremont hält den Brebeuf, der die Pharsale des Lucanus übersetzet hat, seinem Originale nicht nur gleich; sondern sagt gar, daß er denselben noch, an wildem Feuer der Einbildung, übertroffen habe. Von den Italienern und Spaniern hat uns Bouhours in hundert Exempeln die Früchte gar zu hitziger Geister gewiesen, die keine Prüfung der Vernunft aushalten. Unter den Engländern aber, die überhaupt sehr stark zu den Ausschweifungen der Phantasie geneigt sind, hat Milton, alles was man dadurch schwärmendes machen kann, in seinem verlohrnen Paradiese gewiesen. Von unsern Landesleuten mag ich kein Exempel anführen. Es ist bekannt, daß Hofmannswaldau und Lohenstein nebst einigen Neuern, dem verderbten italienischen Geschmacke gefolget sind, und ihr Feuer nicht allemal zu mäßigen gewußt haben. Viele von ihren Anbethern sind noch weiter gegangen, als sie: aber ich weis nur einen einzigen Neukirch, der bey zeiten umgekehrt, und wieder der Vernunft und Natur nachzugehen angefangen: wie bereits auf der 8. 9. S. des Vorb. aus dem sechsten Theile der Hofm. W. Ged. 101. S. angeführet worden. Man lese auch des Herrn von Brück Gedanken, von der Dichtkunst, im I.B. der deutschen Gesellschaft eigenen Schriften und Uebersetzungen, hin und wieder. 18. §. Außer allen diesen Eigenschaften des Verstandes, die ein wahrer Poet besitzen und wohl anwenden muß, soll er auch von rechtswegen ein ehrliches und tugendliebendes Gemüthe haben. Der Beweis davon ist leicht. Ein Dichter ahmet die Handlungen der Menschen nach; die entweder gut oder böse sind. Er muß also in seinen Schildereyen, die guten als gut, das ist schön, rühmlich und reizend; die bösen aber als böse, das ist häßlich, schändlich und abscheulich abmalen. Thäte er dieses nicht, und unterstünde er sich die Tugend als verächtlich, schädlich und lächerlich, das Laster hergegen als angenehm, vortheilhaft und lobwürdig zu bilden: so würde er die Aehnlichkeit ganz aus den Augen setzen, und die Natur derselben sehr übel ausdrücken. Moliere verdient in diesem Stücke viel Tadel, weil er in seinem Spotten nicht allezeit dieser Regel gefolget ist: wie Riccoboni in seinen REFLEXIONS SUR MOLIERE bemerket hat. Ich schweige noch, daß ein so schädlicher Scribent in einer wohlbestellten Republik nicht zu dulden wäre: worauf denn Plato gesehen haben mag, wenn er in der seinigen, wie man insgemein vorgiebt, 2 gar keine Dichter hat leiden wollen. Es hat nämlich zu allen Zeiten auch solche verderbte Versmacher gegeben, die, weil sie selbst übel gesittet gewesen und gottlos gelebt, auch andere durch ihre Gedichte zu allerhand Schande und Lastern gereizet haben. Sonderlich ist die Geilheit unzüchtigen Gemüthern allezeit ein Stein des Anstoßens geworden. Ein Ovidius und Catullus sind wegen ihrer unzüchtigen Gedichte, bey allen ihren Schönheiten, schädlich zu lesen. Selbst Horaz ist nicht überall so keusch in seinen Ausdrückungen als er wohl hätte seyn können; wenn er sich den züchtigen Virgil hätte zum Muster nehmen wollen. 3 Gleichwohl rühmt er in einem Schreiben an den Kaiser August, daß ein wahrer Poet, das Ohr eines Knaben, dessen Auferziehung er zu besorgen hat, von schändlichen Zoten abwende; und ihm vielmehr gute Sitten beyzubringen bemüht sey. OS TENERUM PUERI BALBUMQUE POËTA FIGURAT, TORQUET AB OBSCOENIS IAM NUNC SERMONIBUS AUREM. MOX ETIAM PECTUS PRAECEPTIS FORMAT AMICIS. ASPERITATIS ET INUIDIAE CORRECTOR ET IRAE, RECTE FACTA REFERT. LIB. II. EP. 1. 19. §. Da man sich nun lieber an Horazens Regel, als an sein Exempel hätte kehren sollen: so hat es doch allezeit solche unverschämte Zotenreißer gegeben, die ihren ganzen Witz in ärgerlichen Possen gesuchet, und nicht anders sinnreich oder angenehm zu dichten gewußt; als wenn sie die unzüchtigsten Reden in garstigen Allegorien, groben Zweydeutigkeiten und häßlichen Wortspielen zu Markte gebracht. Rachel hat sie in seiner oftgedachten Satire nachdrücklich abgemalet. Wenn nun ein grobes Holz, ein Eulenspiegelsgleichen, Läßt einen (Pfui dich an!) mit gutem Willen streichen, Bringt kahle Zoten vor, verschluckt ein ganzes Ey, Und rülzet ins Gelach und schmatzet in den Brey; Wenn er sich lustig macht mit solchen Bubenpossen, Die auch kein Hurenwirth sollt hören unverdrossen: Da lacht die Unvernunft, daß ihr die Luft entgeht, Und spricht wohl: Hey, das ist ein lustiger Poet! O allzu theurer Nam, für solche grobe Hachen! Kann denn ein fauler Stank so bald Poeten machen? Ein unverschämtes Wort? O! weit vom Ziel gefehlt! Das muß ein andrer seyn, der mit will seyn gezählt In diese werthe Zunft. Die keuschen Pierinnen Sind keinem Unflath hold und hassen grobe Sinnen. Opitz, Dach, die Gryphier, Canitz und andre von unsern besten Poeten, haben wohl niemals, auch in verliebten Gedichten, ein zartes Ohr geärgert. Hofmannswaldau und Lohenstein aber sind auch in diesem Stücke in die Fußtapfen der geilen Italiener getreten, die ihrer Feder so wenig, als ihren Begierden, ein Maaß zu setzen wissen: und diese Vorgänger haben sehr viel angehende Dichter verderbet. Die französische Nation verdienet hingegen viel Lob, daß die Schriften ihrer meisten Poeten (den Theophile und Rousseau ausgenommen) so rein von allen Unflätereyen sind, daß man auch fast keine einzige anstößige Stelle bey ihnen antreffen wird. 20. §. Boileau hat diese Regel in seiner Dichtkunst so wenig vergessen, daß er sie vielmehr zu verschiedenen malen wiederhohlet hat. Am Ende des III. Gesanges, wo er noch von der Comödie handelt: schließt er also: J'AIME SUR LE THEATRE UN AGREABLE AUTEUR, QUI SANS SE DIFFAMER AUX YEUX DU SPECTATEUR, PLAIT PAR LA RAISON SEULE, ET JAMAIS NE LA CHOQUE. MAIS POUR UN FAUX PLAISANT, À GROSSIERE ÉQUIVOQUE, QUI POUR ME DIVERTIR N'A QUE LA SALETÉ: QU'IL S'EN AILLE, S'IL VEUT, SUR DEUX TRETEAUX MONTÉ, AMUSANT LE PONT-NEUF DE SES SORNETTES FADES, AUX LAQUAIS ASSEMBLEZ JOUER SES MASCARADES. Wie er nun hier in Comödien an statt eines artigen Scherzes keine grobe Zweydeutigkeiten und Fratzen leiden will, indem er solche Poeten auf die neue Brücke zu Paris verweiset, wo sie ihr Fratzenzeug dem daselbst versammleten Lumpengesindel vorspielen könnten: also giebt er auch hernach im IV. Gesange die Regel, einen guten Character von sich selbst bey den Lesern zu machen, und sich nicht in eine üble Meynung bey ihnen zu setzen. Er könne nämlich diejenigen Scribenten nicht leiden, die in Versen die Ehrbarkeit an den Nagel hingen, und Verräther der Tugend würden; indem sie das Laster als liebenswürdig vorstelleten. QUE VOTRE AME ET VOS MOEURS, PEINTS DANS TOUS VOS OUVRAGES, N'OFFRENT JAMAIS DE VOUS QUE DE NOBLES IMAGES. JE NE PUIS ESTIMER CES DANGEREUX AUTEURS, QUI DE L'HONNEUR EN VERS INFAMES DESERTEURS, TRAHISSANT LA VERTU SUR UN PAPIER COUPABLE, AUX YEUX DE LEURS LECTEURS RENDENT LE VICE AIMABLE. Und nachdem er sich in etlichen Versen entschuldiget, daß er es einem Poeten nicht eben verbiethen wolle, gar nichts verliebtes zu schreiben; wie denn wohl einige Scheinheilige auch Roderichs und Chimenens keusche Liebe nicht auf der Bühne leiden wollten; sondern daß er nur den unflätigen Ausdruck derselben widerrathe, als ohne welchen auch die unzüchtigste Liebe keinen schamroth zu machen pflegt: so setzt er noch hinzu, daß der Poet selbst innerlich tugendhaft seyn müsse, wenn er allezeit keusch und rein schreiben wolle; weil er sich sonst unversehens verrathen würde. 4 Denn wessen das Herz voll ist, dessen geht der Mund über: UN AUTEUR VERTUEUX DANS SES VERS INNOCENS, NE CORROMPT POINT LE COEUR, EN CHATOUILLANT LES SENS. SON FEU N'ALLUME POINT DE CRIMINELLE FLAME. AIMEZ DONC LA VERTU! NOURRISSEZ EN VOTRE AME. EN VAIN L'ESPRIT EST PLEIN D'UNE NOBLE VIGUEUR, LE VERS SE SENT TOUJOURS DES BASSESSES DU CŒUR. 21. §. Diese tugendhafte Gemüthsart eines Poeten, muß sich zu allerletzt auch darinnen zeigen, daß er weder ein Schmeichler noch ein Lästerer werde. Beydes ist für einen vernünftigen und rechtschaffenen Mann eine viel zu niederträchtige Beschäfftigung. Gegen alles, was gut ist, und eine wahre Ehre bringen kann, eine Hochachtung zu bezeigen; das ist einem wahren Dichter niemals verwehrt. Vielmehr erfordert es seine Pflicht, die ihm, als einem redlichen Bürger obliegt, die Tugendhaften auf eine vernünftige Art zu loben, ihr Gedächtniß zu verewigen, und durch die Beschreibung ihrer ruhmwürdigen Exempel, theils die zu ihrer Zeit Lebenden, theils auch die Nachkommen, zu löblichen Thaten aufzumuntern. Eine wahre Ehrliebe ist eine ganz unschuldige Neigung, und giebt einen Sporn zu vielem Guten ab, wie in der Sittenlehre gewiesen wird. Diese aber wird durch nichts besser erwecket, als durch ein billiges Lob, welches denen wiederfährt, die sich wohl verhalten, ihrem Vaterlande dienen, gerecht, freygebig, bescheiden, mäßig, sparsam, leutselig, standhaft, dienstfertig und geduldig sind. Hier malet ein rechtschaffener Poet das an sich selbst schöne Wesen der Tugend, in der Person eines tugendhaften Mannes so liebenswürdig ab, daß es alle, die es sehen, in sich verliebt macht. So hat, z.E. unser großer Opitz in den Büchern von Widerwärtigkeit des Krieges, die Fürtrefflichkeit eines im Unglücke gelassenen und standhaften Mannes, unter dem Bilde des unüberwindlichen Ulysses abgeschildert. Wie aber dieser große Mann, gleich darauf die falsche Standhaftigkeit des berühmten Römers Cato, der sich selbst ums Leben gebracht, entblößet, und den nichtigen Schein seiner so gepriesenen Unerschrockenheit entdecket hat: also hat er durch sein Exempel gewiesen, daß ein rechtschaffener Dichter sich durch das äußerliche Ansehen gleißender Laster nicht müsse blenden lassen. Das thun aber die Schmeichler, theils aus Unverstand, theils aus Bosheit, und stiften eben durch dieß unvernünftige Lob viel Schaden. Vor Alters, wo mir recht, ward nie ein Held besungen, Wenn er nicht durch Verdienst sich in die Höh geschwungen: Und eine Redensart, die göttlich sollte seyn, Die ward zu solcher Zeit den Sklaven nie gemein. Wo lebt itzt der Poet, der dieß Geheimniß schonet? So bald er einen merkt, der ihm die Arbeit lohnet, Wird seinem Pegasus der Sattel aufgelegt, Der ein erkauftes Lob bis an den Himmel trägt! Den wir durch solche Post so oft zum Zorne reizen, Und öfter noch vielleicht als sich die Sterne schneuzen. Daß mehrentheils die Welt in träger Lust verdirbt, Und sich um wahren Ruhm so selten mehr bewirbt, Ist der Poeten Schuld. Der Weihrauch wird verschwendet, Und manchem Leib und Seel, um die Gebühr, verpfändet, Daß die Unsterblichkeit ihm gar nicht fehlen kann; Der als ein Erdenschwamm sich kaum hervorgethan, Und den sonst anders nichts vom Pöbel unterscheidet, Als daß ein blöder Fürst ihn an der Seite leidet: Da er für jedes Loth, das ihm an Tugend fehlt, Ein Pfund des eiteln Glücks und schnöden Goldes zählt. Canitz Sat. von der Poesie. 22. §. So groß nun die Niederträchtigkeit der Schmeichler ist; eben so groß ist die Bosheit der Lästerer. Jene wollen das Laster zur Tugend, wie diese die Tugend zum Laster machen. Sie folgen nicht der Billigkeit und Vernunft in Beurtheilung der menschlichen Eigenschaften; sondern ihrem Neide, ihrer Rachgier, oder wohl gar eigennützigen Absichten; wenn sie nämlich ihre Feder zum Dienste neidischer oder rachgieriger Leute misbrauchen. Sie werden dadurch Tagelöhner der Bosheit, und Feinde der Tugend; wiewohl sie selten im Stande sind, derselben wirklich zu schaden. Es ist ein ganz ander Werk mit der satirischen Poesie. Diese ist die Frucht einer gründlichen Sittenlehre, und hat ordentlich die Liebe der Tugend zur Mutter, und den Haß der Laster zum Vater. Die wahre Satire greift also nicht unschuldige, sondern schuldige Leute an: ja sie strafet das Böse an sich, ohne die Personen, die es an sich haben, zu nennen, oder auf eine anzügliche Art zu beschimpfen. Eben der Homer, der ein so herrliches Talent zum Loben gehabt, hat auch, nach dem Berichte Aristotels, auf einen gewissen Margites eine Satire gemacht, der weder ein Ackersmann, noch ein Winzer, noch ein Schäfer, das ist, gar kein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft war. Denn auf diese drey Lebensarten legte sich, bey der damaligen Einfalt der Welt, alles, was sein Brodt ehrlich erwerben wollte. Ein Mensch also, der keines von allen trieb, war ein Müßiggänger, und verdiente freylich wohl eine Satire. Daß ein alter König der Deutschen befohlen, auf die Lasterhaften gewisse satirische Lieder zu machen; ist in dem vorigen Capitel erinnert worden. Und also ist es gewiß, daß man die wahre Satire mit gottlosen Pasquillen oder Lästerschriften nicht zu vermischen habe. Jene ist die Seele aller Comödien, die doch in so vielen wohlbestellten Republiken, nicht ohne großen Nutzen geduldet, ja auf gemeine Kosten gespielet worden: diese aber sind Stifterinnen unzähliches Unheils, weswegen sie auch durch die Gesetze der Obrigkeit allezeit verbothen und scharf bestrafet worden. Rachel hat, im Schlusse seiner Satire vom Poeten, beyde sehr wohl unterschieden, welche Stelle ich hersetzen, und dadurch dieß Capitel beschließen will: Zuweilen sitzet er, hält der Vernunft entgegen Die Laster seiner Zeit, die irgend sich erregen; Schont aller Menschen zwar, doch keiner Thorheit nicht: Und ob sein Urtheil selbst ihm ins Gewissen spricht, So schweigt er mit Geduld, beseufzt die bösen Thaten, So kann die Wahrheit ihm zum höchsten Heil gerathen. Ist dieser Eßig scharf, so ist er doch gesund, Und beißt das faule Fleisch heraus bis auf den Grund. Gleichwie Machaon brennt und heilt mit klugen Händen: So mag auch ein Poet zwar strafen, doch nicht schänden. Und wer denn solchen Mann zu den Verläumdern schreibt, Der wisse, daß ihn selbst der Erzverläumder treibt. Es ist Poetenwerk, mit fremden Namen spielen, Und dergestalt mit Glimpf auf wahre Laster zielen. Nimmt aber jemand selbst sich solcher Laster an: Wer ist in aller Welt, der solches ändern kann? Hat jemand Codrus Art, der mag den Namen erben: Wer Hirsenpfriemer ist, mag Hirsenpfriemer sterben. Wenn beym Horatius einmal geschrieben steht: Gorgon stinkt wie ein Bock, Ruffin riecht nach Ziebeth; Da kann es ja gleich viel dem guten Dichter gelten, Wer will, mag sich Gorgon; wer will, Ruffinus schelten. Ein frommer eifert nicht, sein Herz das spricht ihn los: Wer schuldig ist, der schreyt, und giebt sich selber bloß. Wen sein Gewissen beißt, mag seine Thorheit hassen. Hab ich den Geck erzürnt? Ich kann es noch nicht lassen. Ich biethe rechten Trutz, dem, der mir solches wehrt: Wer Laster straft, der hat die Tugend recht gelehrt. Fußnoten 1 Ramsey in seiner Reise des Cyrus auf der 133. S. der englischen Auflage schreibt: TO REACH THE SUBLIME, THE POET MUST BE A PHILOSOPHER. THE MOST BEAUTIFULL FLOWERS, GRACES AND PAINTINGS ONLY PLEASE BY IMAGINATION, WITHOUT SATISFYING THE MIND, OR IMPROVING THE UNDERSTANDING. SOLID PRINCIPLES, NOBLE SENTIMENTS AND VARIOUS CHARACTERS MUST BE DISPERS'D THROUGHOUT, IN ORDRE TO DISPLAY TO US TRUTH, VIRTUE AND NATURE. MAN MUST BE REPRESENTED AS HE IS, AND AS HE APPEARS IN HIS NATIVE COLOURS, AND UNDER HIS DISGUISES; THAT THE PICTURE MAY RESEMBLE THE ORIGINAL IN WHICH THERE IS ALWAYS A CONTRAST OF VIRTUES AND IMPERFECTIONS. NEVERTHELESS IT IS NECESSARY, TO CONDESCEND TO THE WEACKNESS OF MANKIND. TOO MUCH MORALIZING DISGUSTS; TOO MUCH REASONING TIRES. WE MUST TURN MAXIMS INTO ACTION, CONVEY NOBLE SENTIMENTS BY SHORT HINTS, AND INSTRUCT RATHER BY THE MANNERS OF THE HERO, THAN BY HIS DISCOURSE. Das ist: Das Erhabene seiner Kunst zu erreichen, muß ein Poet ein Philosoph seyn. Die allerschönsten Blumen, Putzwerke und Malereyen, gefallen nur der Einbildungskraft, ohne der Vernunft eine Gnüge zu thun, oder den Verstand zu bessern. Feste Grundwahrheiten, edle Gedanken, und mancherley Gemüthsarten, müssen überall eingemischet werden; damit sie uns Wahrheit, Tugend und Natur entdecken mögen. Der Mensch muß vorgestellet werden, wie er in seinen natürlichen Farben und unter feinen Verhüllungen erscheint: damit die Malerey dem Originale ähnlich werde, worinnen allemal eine Vermischung von Tugenden und Unvollkommenheiten ist. Gleichwohl ist es nöthig, auch der Schwachheit der Menschen etwas nachzugeben. Zuviel Sittenlehre erwecket Ekel: zuviel Vernunftschlüsse fallen beschwerlich. Wir müssen also die Lehrsätze in Handlungen verwandeln, edle Gedanken in kurze Sprüche einkleiden, und mehr durch die Sitten des Helden, als durch seine Reden unterrichten. 2 S. des Herrn M. Schwaben Vorrede zu meinen Gedichten, der dieses Vorurtheil wiederleget hat. 3 Rapin sagt: TOM. II p. 124. § IX. IL EST VRAI QU'IL N' Y A QUE LES PETITS GENIES, QUI SOIENT SUJETS À DIRE DES IMPIETÉS OU DES ORDURES: HOMERE & VIRGILE N'EN ONT JAMAIS DIT: ILS ONT TOUJOURS ETÉS SEVERES & VERTUEUX, COMME DES PHILOSOPHES; & LES MUSES DES VERITABLES POËTES SONT AUSSI CHASTES & AUSSI HONNÊTES, QUE DES VESTALES. d.i. Es ist wahr, daß nur kleine Geister vermögend sind, Gottlosigkeiten oder Unflätereyen zu sagen. Homer und Virgil haben dieses niemals gethan; sie sind allezeit so strenge und tugendhaft gewesen, als Philosophen, und die Musen der wahren Dichter sind so keusch und so ehrbar, als vestalische Jungfern. 4 Die Entschuldigung die Catull hier machen will, wenn er sagt, der Poet müsse zwar keusch seyn, allein die Verse, die er macht, dürftens eben nicht seyn: CASTUM DECET ESSE PIUM POËTAM, VERSICULOS NIHIL NECESSE EST. ist so lächerlich, als ungereimt. Denn welcher schamhafte Mensch wird wohl unverschämt reden, oder gar schreiben? Das 3. Capitel Das III. Capitel. Vom guten Geschmacke eines Poeten. 1. §. Ob es gleich scheint, daß ich im vorigen alle gute Eigenschaften eines wahren Poeten erzählet habe: so ist doch noch etwas von großer Wichtigkeit übrig, das ich in einem besondern Capitel abhandeln will. Es ist in den neuern Zeiten sehr viel vom guten Geschmacke geredet und geschrieben worden. Man hat ihn gewissen Dichtern zugestanden, andern aber abgesprochen; und endlich gar die Regel gemacht: Ein Poet müsse einen guten Geschmack haben. Diese Regel nun nach meiner Art zu erklären, und zu erweisen, das ist meine Absicht in diesem Capitel. 2. §. Ich will mich hier nicht in die historische Untersuchung einlassen, wenn und wo das Wort Geschmack zuerst in dieser neuen Bedeutung genommen worden. Das haben schon andre vor mir gethan, deren Schriften ich mit Vergnügen und Vortheil gelesen habe. Ich weis auch, daß in Frankreich nur neulich der Pater Dubosc und Herr Rollin verschiedene Streitigkeiten darüber gehabt. Man kann diese Redensart nunmehro für eine bekannte und völlig eingeführte halten; und man darf sichs nur angelegen seyn lassen, sie im rechten Verstande zu gebrauchen. Diesen aber zu bestimmen, das ist nicht eines jeden Werk. Wem es damit gelingen soll, der muß erstlich die Kräfte der menschlichen Seelen, und sonderlich die Wirkungen des empfindenden und urtheilenden Verstandes aus der Weltweisheit verstehen. Hernach muß er eine Fertigkeit in der Vernunftlehre besitzen: so, daß er fähig ist, sich von jedem vorkommenden Dinge und Ausdrucke, nach den logischen Regeln, eine gute Erklärung zu machen. Endlich muß er sich auch in der Poesie, oder andern Künsten, davon etwa die Rede ist, wohl geübet haben. Ohne diese drey Stücke wird die Beschreibung des guten Geschmacks nicht zum besten gerathen können. Da es nun denen Franzosen, die bisher davon geschrieben, entweder an zweyen, oder doch zum wenigsten an einem von diesen dreyen Stücken gefehlet hat: so ist es auch kein Wunder, daß sie weder mit einander eins werden, noch uns Deutschen ein besseres Licht haben anzünden können. Unsre Landesleute haben die Sache mit viel größerer Geschicklichkeit angegriffen; und sie eben deswegen auch weit gründlicher auszuführen vermocht. 3. §. Zum ersten setze ich zum voraus, der Geschmack, im gemeinen und eigentlichen Verstande, sey die Fähigkeit, oder die Gabe unserer Zunge, die verschiedenen Wirkungen zu empfinden, die von Speise und Trank auf derselben verursachet werden, wenn sie davon sattsam berühret und durchdrungen worden. Unsre Sinne, in so weit sie körperlichen Gliedmaßen zukommen, sind nichts als Leidenschaften, und empfangen also nur die Eindrückungen der außer uns befindlichen Dinge. Daher eigne ich auch der Zunge bloß die Fähigkeit zu empfinden zu, welche nur was Leidendes ist; da hergegen eine Kraft etwas Thätiges angezeiget hätte. Diese habe ich für den Geschmack gehalten, in so weit er in der Seele ist, den ich also eine Kraft des Gemüthes nenne, vermöge welcher dasselbe die von Speise und Trank in den schwammigten Fäserchen der Zunge verursachten Veränderungen, sich vorstellen, und ihren Unterscheid beurtheilen kann. 4. §. Man wird mir ferner leicht einräumen, daß die Begriffe und Vorstellungen, welche wir uns von dem besondern Geschmacke verschiedener Speisen machen, bey aller ihrer Klarheit, dennoch nichts deutliches in sich haben. Wir sind bey gesunden Tagen gar wohl im Stande, das Süße vom Bittern, das Saure von dem Herben u.s.w. zu unterscheiden, und jedes mit seinem Namen zu nennen: und also sind die Begriffe von diesen Wörtern bey uns nicht dunkel. Wir sind hingegen nicht vermögend, das allergeringste zu antworten; wenn man uns fragt: worinnen der saure Geschmack vom bittern, dieser vom herben, scharfen u.s.f. unterschieden sey, und woran wir einen vor dem andern erkennen? Dieses zeiget, daß unsere Vorstellungen davon verwirrt, und eben so undeutlich sind, als die Begriffe von der rothen, blauen, grünen oder gelben Farbe. Und von eben dieser Undeutlichkeit kömmt es her, daß man das Sprüchwort gemacht hat: Vom Geschmacke müsse man nicht viel zanken. 5. §. Weiter nehme ich aus der gemeinen Sprache an, daß man denen, die den gesunden Gebrauch ihrer Zunge haben, den guten Geschmack nicht abzusprechen pflegt; so lange sie sagen, daß der Zucker süß, der Wermuth bitter, und der Eßig sauer schmeckt: denn darinnen kömmt die ganze Welt überein. Wer hergegen ein Gallenfieber hat, so, daß ihm alles ohne Unterscheid bitter schmeckt, dem eignet man einen verderbten Geschmack zu: weil er nicht mehr nach der Beschaffenheit der Sachen, sondern nach seiner verderbten Zunge urtheilet. Imgleichen pflegt es zu geschehen, daß sich gewisse Leute von Jugend auf gewöhnen, Kohlen, Kalk, Kreide u.d.gl. zu essen: daher es nachmals kömmt, daß sie in dem Genusse solcher abgeschmackten Dinge einen besondern Geschmack zu finden vermeynen; welchen aber niemand, der keine so verwöhnte Zunge hat, darinnen finden kann. Von solchen Leuten sagt man nun auch, daß sie einen verderbten, übeln, oder verkehrten Geschmack haben. Und so viel vom Geschmacke im eigentlichen Verstande. 6. §. Von dem metaphorischen Geschmacke unsrer Seelen bemerket man, daß man sich dieses Wortes fast ganz allein in freyen Künsten, und in etlichen andern sinnlichen Dingen bedienet: hergegen wo es auf die Vernunft allein ankömmt, da pflegt man dasselbe nicht zu brauchen. Der Geschmack in der Poesie, Beredsamkeit, Musik, Malerey und Baukunst; imgleichen in Kleidungen, in Gärten, im Hausrathe u.d.gl. ist sehr bekannt. Aber niemals habe ich noch vom Geschmacke in der Arithmetik und Geometrie, oder in andern Wissenschaften reden hören, wo man aus deutlich erkannten Grundwahrheiten die strengesten Demonstrationen zu machen vermögend ist. In solchen Wissenschaften aber, wo das deutliche und undeutliche, erwiesene und unerwiesene noch vermischt ist, da pflegt man auch wohl noch vom Geschmacke zu reden. Z.E. ich könnte wohl sagen: Ein theologisch Buch nach mosheimischem Geschmacke; ein Recht der Natur nach Puffendorfs Geschmacke; eine Arzneykunst nach Boerhavens Geschmacke. Aber hier muß ich anmerken, daß man den Geschmack nur in denjenigen Theilen solcher Disciplinen suchet, die noch ungewiß sind, und also nicht durchgehends beliebt werden. So bald eine Sache allgemeinen Beyfall erhält, und für was demonstrirtes gehalten wird: so bald hört man auch auf, sie zum Geschmacke zu ziehen. So werden die Sternseher nicht mehr sagen können, eine Astronomie nach Copernikanischem Geschmacke: weil dieses Systema bereits allenthalben für das einzige wahre erkannt und angenommen wird. 7. §. Diese Anmerkung ist von großem Nutzen. Sie lehrt uns nämlich, daß der metaphorische Geschmack, eben so wohl als der gemeine, nur mit klaren, aber nicht ganz deutlichen Begriffen der Dinge zu thun hat; und nur solche Dinge von einander unterscheidet, die man nach der bloßen Empfindung beurtheilet. Z.E. Ein Bürger bauet sein Haus, und läßt sich von etlichen Baumeistern Risse dazu machen. Sie gerathen alle anders; obgleich nun der Bauherr nichts von der Architectur versteht, so wählt er doch einen Riß vor allen übrigen, den er will ausführen lassen: und man sagt alsdann, er habe die Wahl nach seinem Geschmacke verrichtet. Fragt man ihn, warum er diesen und nicht einen andern Riß gewählet? so weis er nichts weiter zu sagen, als daß ihm dieser am besten gefallen habe; das ist, er habe ihn für den schönsten und vollkommensten gehalten: wie ich denn zum voraus setze, daß der Bauherr nicht ganz eigennützig zu bauen, sondern ein schönes Gebäude aufzuführen willens sey. Gesetzt aber, man legte einem andern, in der Baukunst sehr geübten mathematischen Kenner, die obgedachten Risse vor, mit dem Begehren, sich einen zu erwählen: so würde dieser sie gewiß alle nach architektonischen Regeln untersuchen, und zuletzt denjenigen allen übrigen vorziehen, der nach den Grundsätzen der Wissenschaft, die größte Vollkommenheit hätte. Hier würde man aber schwerlich sagen, dieser Meister und Kenner habe nach seinem Geschmacke gewählet; vielmehr würde es heißen: er habe die Risse nach den Regeln geprüfet, und vermöge seiner Einsicht befunden, daß der erwählte der beste gewesen. 8. §. Aus dieser bisher erläuterten Anmerkung erhellet nun, daß zwo Personen von einer Sache, aus verschiedener Erkenntniß, nämlich theils nach dem Geschmacke, theils aus Wissenschaft und Einsicht urtheilen: sodann aber, daß sie auch sowohl einerley, als zweyerley Urtheile fällen können. Wäre es im obigen Falle nicht leicht möglich, daß der ungelehrte Bürger sich von den verschiedenen Rissen eben den aussuchte, welchen auch hernach der bauverständige Kenner für den besten erklärete? Könnte aber auch nicht gerade das Widerspiel geschehen; daß ihm nämlich ein andrer Entwurf besser anstünde, an welchem hernach der Baumeister viel Fehler auszusetzen fände? Ein jeder sieht wohl, daß beydes möglich ist. Aber was folgt daraus? Dieses: 1) daß Leute, die nach dem bloßen Geschmacke urtheilen, sehr uneins seyn können: 2) Daß beyde Urtheile zugleich nicht wahr seyn können; weil sie nämlich widerwärtig sind: daß endlich 3) dasjenige Urtheil dem andern vorzuziehen sey, das mit den Regeln der Baukunst und dem Ausspruche eines Meisters in dieser Wissenschaft einstimmig ist. Die ersten beyden Folgerungen sind wohl unumstößlich: wegen der dritten aber, kann man auch nicht viel Zweifel tragen. Denn wie wäre es möglich, daß derjenige Riß der beste seyn könnte, der wider alle Regeln der Architektur gemacht wäre? Das wäre eben so, als wenn eine Musik schön seyn könnte, die wider alle musikalische Regeln liefe. Die Regeln nämlich, die auch in freyen Künsten eingeführet worden, kommen nicht auf den bloßen Eigensinn der Menschen an; sondern sie haben ihren Grund in der unveränderlichen Natur der Dinge selbst; in der Uebereinstimmung des Mannigfaltigen, in der Ordnung und Harmonie. Diese Gesetze nun, die durch langwierige Erfahrung und vieles Nachsinnen untersuchet, entdecket und bestätiget worden, bleiben unverbrüchlich und feste stehen: wenn gleich zuweilen jemand, nach seinem Geschmacke, demjenigen Werke den Vorzug zugestünde, welches mehr oder weniger dawider verstoßen hätte. 9. §. Nunmehro wird es leicht sein, die Beschreibung des guten und übeln Geschmackes zu machen. Jener ist nämlich der von der Schönheit eines Dinges nach der bloßen Empfindung richtig urtheilende Verstand, in Sachen, davon man kein deutliches und gründliches Erkenntniß hat: Dieser hergegen ist eben falls der Verstand, der nach der bloßen Empfindung von undeutlich erkannten Sachen urtheilet; aber sich in solchen seinen Urtheilen betrüget. 1 Ich rechne zuförderst den Geschmack zum Verstande; weil ich ihn zu keiner andern Gemüthskraft bringen kann. Weder der Witz noch die Einbildungskraft, noch das Gedächtniß, noch die Vernunft, können einigen Anspruch darauf machen. Die Sinne aber haben auch gar kein Recht dazu, man müßte denn einen sechsten Sinn, oder den SENSUM COMMUNEM, davon machen wollen; der aber nichts anders ist, als der Verstand. Ich sage aber, daß er ein urtheilender Verstand sey: weil diejenigen, die ihn wirklich zu Unterscheidung der Dinge anwenden, entweder äußerlich, oder doch innerlich den Ausspruch thun; dieß sey schön, und jenes nicht. Ich setze ferner, daß sich dieses Urtheil nur auf die bloße Empfindung gründet: und ich verstehe die innerliche Empfindung einer schönen Sache, die entweder wirklich außer uns vorhanden ist, oder von unsrer eignen Phantasie hervorgebracht worden: wie z.E. ein Maler sich in Gedanken einen Entwurf eines Gemäldes machen, und nach seinem Geschmacke von der Schönheit desselben urtheilen kann. 10. §. Es muß aber diese Empfindung einer solchen Sache uns nothwendig die Schönheit eines Dinges vorstellen: denn diese allein ist es, womit der Geschmack zu thun hat. Man entscheidet dadurch niemals eine andre Frage, als: ob uns etwas gefällt oder nicht? Das Wohlgefallen aber entsteht allezeit aus einer Vorstellung der Schönheit; sie mag nun eine wirkliche, oder eine vermeynte seyn. Diese Schönheit nun, wird zwar sehr klar, aber nur undeutlich, empfunden: weil derjenige, dem sie gefällt, nicht im Stande ist zu sagen, warum sie ihm gefällt? Zum wenigsten wird der größte Theil derselben keine Deutlichkeit haben. Denn so bald man von einer Schönheit zu zeigen vermögend ist, aus was für Vollkommenheiten dieselbe eigentlich entsteht: so bald wird der Geschmack von der Sache in eine gründliche Einsicht verwandelt, wie bereits oben gewiesen worden. Endlich unterscheide ich den guten Geschmack vom übeln, durch das Beywort richtig, welches ich zu dem Urtheile setze. Wer einen guten Geschmack hat, der muß richtig von der klar empfundenen Schönheit eines Dinges urtheilen: das ist, er muß nichts für schön halten, was nicht wahrhaftig schön ist; und nichts für häßlich erklären, was nicht häßlich ist. Der Probierstein dieses Urtheils darf nicht weit gesucht werden. Man findet ihn in den Regeln der Vollkommenheit, die sich für jede besondre Art schöner Dinge, a.d.s. Gebäude, Schildereyen, Musiken und s.w. schicken, und die von rechten Meistern derselben deutlich begriffen und erwiesen worden. Ich ziehe also hieraus den Lehrsatz, der in allen freyen Künsten von großem Nutzen seyn wird: Derjenige Geschmack ist gut, der mit den Regeln übereinkömmt, die von der Vernunft, in einer Art von Sachen, allbereit fest gesetzet worden. 11. §. Nach dieser allgemeinen Beschreibung und Erklärung des guten Geschmackes überhaupt, wird es leicht fallen, den guten Geschmack in der Poesie zu erklären. Es ist nämlich derselbe eine Geschicklichkeit, von der Schönheit eines Gedichtes, Gedankens oder Ausdruckes recht zu urtheilen, die man größtenteils nur klar empfunden, aber nach den Regeln selbst nicht geprüfet hat. Ich sage mit Bedacht nicht geprüfet hat: damit man weder diejenige Art der Leser oder Dichter ausschließe, die solches nicht thun kann; noch diejenige, die es wohl zu thun vermag, wenn sie sich Zeit und Mühe dazu nehmen kann, und will. Es geschieht nämlich sehr oft, daß auch diejenigen, die Einsicht genug in die Regeln der Dichtkunst haben, und alle dahin gehörige Stücke gründlich beurtheilen könnten; dennoch in der Geschwindigkeit, nach der bloßen, obwohl bereits geläuterten Empfindung urtheilen: so wie ein Musikverständiger es gleich aus dem Gehöre haben kann, ob ein andrer wider die Regeln der Tonkunst spielet. Ich habe aber diesen Geschmack weder auf die Dichter noch Leser insbesondre, und mit Ausschließung der andern, eingeschränket. Beyde haben zuweilen nichts mehr als Geschmack, und wissen die Regeln nicht: beyde aber brauchen auch zuweilen nur denselben, ob sie gleich die Regeln gar wohl wissen, und darnach urtheilen können. Und aus dieser Beschreibung ist es nunmehr leicht zu begreifen, daß ein jeder Poet von rechtswegen damit versehen seyn solle. 12. §. Es lassen sich aber aus dieser Erklärung alle die schweren Fragen beantworten, die von dem Geschmacke schon aufgeworfen worden. Man will erstlich wissen: Ob der Geschmack mit den Menschen gebohren, oder erst allmählich erlanget werde? Ich wollte dabey fragen: Ob der Verstand, Witz und Geist eines Poeten mit ihm gebohren würden? Denn eben das, was man hier antworten wird, das kann auch jenem Zweifel abhelfen. Wir bringen wohl nichts mehr, als die bloße Fähigkeit, mit uns zur Welt. Diese ist nun freylich bey verschiedenen Menschen größer oder kleiner, und thut sich entweder bald oder spät hervor: die Art der Auferziehung aber bringt sie allererst ins Geschicke. Sie muß erweckt, angeführt, von Fehlern gesaubert, und auf dem guten Wege so lange erhalten werden, bis sie ihres Thuns gewiß wird. Der Geschmack ist also dem Menschen eben so wohl was natürliches, als seine übrigen Gemüthskräfte. Ein jeder, der nur Sinne und Verstand hat, besitzt auch eine Geschicklichkeit von der Schönheit empfundener Dinge zu urtheilen. Und so lange diese letztern nicht ihre Natur und Eigenschaften verlieren, so lange wird ein jedes vernünftiges Wesen davon sagen können, ob sie ihm wohl oder übel gefallen. 2 13. §. Man will ferner wissen: ob gewissen Leuten der gute, andern aber der schlimme Geschmack angebohren sey? Ich antworte eben so, wie vorhin. So wenig einem eine gesunde, dem andern eine verderbte Vernunft angebohren ist: so wenig ist solches auch bey dem Geschmacke zu vermuthen. Die Fähigkeit neugebohrner Kinder ist zu allem gleichgültig. Man kann aus ihnen machen, was man will. Man erziehe es unter den Bauern, es wird bäurisch denken und reden; unter den Bürgern, es wird bürgerlich urtheilen; unter Soldaten, es wird kriegerische Dinge im Kopfe haben; unter Gelehrten, es wird nach Art studirter Leute vernünfteln und grübeln; bey Hofe, es wird sich von lauter Lustbarkeiten und Regierungssachen Chimären erdenken. Die Kinder sind auch hier, wie Affen. Wie mans ihnen vormachet, so machen sie es nach. Man lobe in ihrer zarten Jugend etwas; sie werdens bald hoch schätzen lernen. Man verachte etwas; sie werdens bald verwerfen lernen. Ihre ersten Urtheile richten sich nach den Urtheilen derer, mit denen sie immer umgehen. Der Ausspruch ihrer Aeltern oder Wärterinnen ist schon zulänglich, ihnen etwas, als schön oder häßlich einzuprägen: zumal wenn sie merken, daß man dabey seine Gedanken auf sie nicht richtet, sondern für sich davon urtheilet. So gewöhnet sich allmählich ihr Verstand durch die bloße Nachahmung, dieses weiß und jenes schwarz zu heißen. Und dadurch entsteht auch entweder ein guter oder übler Geschmack; nachdem diejenigen ihn haben, zu deren Schülern sie das Glücke gemacht hat, ehe sie noch geschickt waren, dieselben für ihre Lehrer zu erkennen. 14. §. So groß hier das Glück der Kinder ist, die von klugen Aeltern gebohren worden, und in die Hände vernünftiger Lehrmeister gerathen: so sehr ist es zu bedauren, daß die größte Anzahl derselben von Jugend auf verderbet wird. Die einfältigsten Weibspersonen legen den ersten Grund zu dem verderbten Geschmacke, den viele haben. Ihre verkehrte Art zu denken und von Dingen zu urtheilen, macht einen tiefern Eindruck in die Seele eines zarten Knaben, als mancher sich einbildet. Die gleichsam hervorkeimenden Gemüthskräfte sind nicht im Stande, ihre Thorheiten zu verwerfen: vielmehr nehmen sie auf guten Glauben das erste für das Beste an. Dieses wird mit der Zeit der Maaßstab aller ihrer übrigen Wirkungen. Was ihren ersten Eindrückungen gemäß ist, das nennen sie hernach recht und gut, schön und angenehm. Alles übrige ist falsch, böse, garstig, verdrüßlich. Was die ersten Lehrmeister oder die Aeltern eines Kindes bewundern und loben, schön, artig, oder sinnreich nennen, das lernen diese auch hochschätzen und verehren; es sey nun noch so schlecht und so abgeschmackt als es will. Warum? Sie habens von Kindesbeinen an nicht anders gelernt. Das ist meines Erachtens die erste Quelle des übeln Geschmackes, der in den meisten Ländern noch so allgemein ist. 3 15. §. Fragt man weiter, welches denn das Mittel sey, den guten Geschmack bey Erwachsenen zu befördern? So sage ich: nichts anders, als der Gebrauch der gesunden Vernunft. Man halte nichts für schön oder häßlich, weil man es so nennen gehöret; oder weil alle Leute, die man kennet, es dafür halten: sondern man untersuche es an und für sich, ob es auch so sey? Man muß seine eigne fünf Sinne zu Rathe ziehen: diese werden bald die falsche Schönheit von der wahren, den Firniß vom rechten Marmor, das Flittergold von dem echten unterscheiden, und allen Betrug entdecken lernen. Durch dieses Mittel hat vorzeiten Griechenland die Regeln der meisten freyen Künste erfunden, und dadurch den guten Geschmack auf etliche hundert Jahre bey sich unwandelbar gemacht. Die Malerey, Architektur, Schnitzkunst, Musik, Poesie und Redekunst sind daselbst erfunden und fast zur Vollkommenheit gebracht worden. Das macht, die Griechen waren die vernünftigsten Leute von der Welt. Alles philosophirte daselbst; alles urtheilte frey, und folgte seinem eigenen Kopfe. Daher entdeckte man nach und nach die wahrhaften Schönheiten der Natur. Man nahm sorgfältig wahr, wo Uebereinstimmung und Ordnung eine Vollkommenheit zuwege brachten; und wo hingegen die Verwirrung widerwärtiger Dinge eine Uebelstand erweckte. Die Tiefsinnigsten unter ihnen brachten, aus genauer Betrachtung wohlgerathener Meisterstücke, die Regeln heraus, aus welchen alle ihre Schönheit den Ursprung hatte. Und wie also dieselben nicht bloße Hirngespinste waren, sondern aus wirklichen Exempeln, die nach dem Urtheile der klügsten Köpfe für schön befunden worden, entworfen waren: also hat man auch zu aller Zeit gesehen, daß die Regeln und Exempel der Griechen, in allen freyen Künsten, die beste Anleitung zum guten Geschmacke gewesen sind. 16. §. Was ich hier von den Griechen gesagt habe, das kann auch mit gehöriger Veränderung von den Römern gesagt werden. Der Unterscheid ist dieser, daß diese ihren guten Geschmack den Griechen zu danken gehabt, und wie sie denselben spät bekommen, also auch nur kurze Zeit erhalten haben. Nachdem aber die barbarischen Völker, den ganzen Occident mit einem verderbten Geschmacke erfüllet hatten: so sind abermal die Griechen die einzigen gewesen, die den guten Geschmack in Italien wieder hergestellt haben. Von da hat er sich allmählich nach Deutschland, Frankreich, Holl- und England ausgebreitet, doch kaum irgendwo die völlige Oberhand bekommen können. Das sicherste Mittel, denselben zu erhalten ist also, wenn man sich an die Regeln hält, die uns von den Kunstverständigen und Meistern der Alten übrig geblieben. Wenn man die Reste von ihren Meisterstücken dargegen hält, so wird man gewiß finden, daß sie eine Schönheit an sich haben, die der Vernunft nothwendig gefallen muß: dafern man nur nicht in Vorurtheilen ersoffen, und in seine eigene Misgeburten allbereit verliebet ist. Dieses thun insgemein diejenigen, die ein tiefgewurzeltes Vorurtheil, für ihre Nation, oder für ihre Zeiten haben, und sich einbilden, ein jedes Volk habe seinen eigenen Geschmack; und jedes Jahrhundert auch. Da könnte nun dasjenige hier schön seyn, was dort häßlich ist etc. Doch davon will ich weiter unten reden. 17. §. Wie aber? Soll man sich denn immer mit Regeln schleppen, wenn man den guten Geschmack haben will? Das ist eine neue Frage. Nicht alle, die den guten Geschmack haben wollen: sondern nur die, welche ihn wieder herstellen wollen, müssen die Regeln der freyen Künste einsehen, darinnen sie etwas verbessern wollen. Es darf oft nur ein geschickter Kopf kommen, der auf die rechte Spur geräth: so gleich fällt die Schönheit seiner Werke aller Welt in die Augen. Die deutsche Poesie kann uns zum Muster dienen: alle unsere Versmacher steckten vor hundert Jahren noch in der tiefsten Barbarey. Der einzige Opitz hatte aus Griechen und Römern, Holländern und Franzosen, sich die Regeln des guten Geschmackes bekannt gemacht. Er folgte denenselben in seinen Gedichten, und verwarf alles, was seine Vorfahren gestümpelt hatten. Alsbald wachte ganz Deutschland auf. Ein so unvermuthetes Licht fiel sehr stark in die Augen, und da fieng eine Menge von Poeten an zu singen, die nur dem Exempel dieses großen Vorgängers folgeten, die Regeln der Alten aber nicht halb so gut kannten, als er. Sie bekamen also mehrentheils nur aus Lesung seiner Schriften den guten Geschmack, nicht aber aus Regeln; und es wäre zu wünschen, daß ihn nur viele seiner Landesleute, die sich im Lesen der Spanier und Welschen verderbet hatten, nicht bald darauf wieder verschlimmert hätten. 18. §. Fragt man, wie man einen jungen Menschen zum guten Geschmacke in der Poesie bringen könne? So gebe ich diese Antwort: Man gebe ihm von Jugend auf lauter Poeten von gutem Geschmacke zu lesen. Terenz, Virgil, Horaz, von den Lateinern; Petrarcha und Tasso, von den Italienern; Malherbe, Corneille, Boileau, Racine, Moliere, la Motte, Rousseau, Destouches und Voltaire, von den Franzosen: Heins und Cats, von den Holländern; Opitz, Dach, Flemming, Tscherning, beyde Gryphier, Canitz, Besser, Neukirch und Pietsch von unsern Landesleuten: das sind die Muster, die man jungen Leuten vorlegen muß. Man gehe aber dieselben mit ihnen durch; man mache sie aufmerksam auf die schönsten Stellen; man entdecke ihnen einigermaßen die Ursachen, warum sie so schön sind, und zeige ihnen, daß das Widerspiel häßlich gewesen seyn würde. Man bemerke ihnen auch die schlechten Stellen, die sich als Ueberbleibsele des übeln Geschmackes, auch bey allen oberwähnten Scribenten, noch hier und da finden. Dadurch wird man der Jugend unvermerkt eine Geschicklichkeit, wohl zu urtheilen beybringen, und durch die Gegenstellung schlechter Poeten bestärken. Nichts wird ihr hernach gefallen können, was nicht eine wirkliche Schönheit hat: und wenn sie gleich die innern Regeln der darinnen befindlichen Vollkommenheit nicht eingesehen; so wird sie doch fähig seyn, durch eine zärtliche Empfindung wahrzunehmen, ob dieselben in einem Gedichte, oder im Ausputze desselben beobachtet worden oder nicht? 19. §. Man hat endlich auch gefragt: ob ein Scribent sich nicht vielmehr dem Geschmacke seiner Zeiten, seines Ortes, oder seines Hofes; als den Regeln der Kunst, zu bequemen Ursache habe? Man meynt nämlich, die ersten Regeln der freyen Künste wären nur nach dem Geschmacke des atheniensischen Volkes entworfen; indem sich die Kunstrichter darinnen auf diejenigen Meisterstücke berufen und gegründet, die den allgemeinen Beyfall erhalten hatten. Warum sollen wir nun, spricht man, unsern Kopf nach dem atheniensischen Eigensinne richten? Was haben wir es nöthig, mit fremden Augen zu sehen, mit fremden Zungen zu schmecken, und nach einem fremden Leisten zu denken? Warum sollen wir heutiges Tages nicht das Recht haben, das für schön zu halten, was uns selbst gefällt; sondern dasjenige, was den alten Griechen vor zwey tausend Jahren gefallen hat? 20. §. Der Einwurf scheint wichtig zu seyn: denn er schmeichelt unsrer Eigenliebe. Er würde auch unauflöslich seyn, wenn es ein bloßer Eigensinn wäre, der eine Sache für schön erklärte. Hätten ferner die Athenienser weiter nichts zum voraus vor uns, und wären wir ihnen in allen Stücken gleich: so könnten wir uns ihnen mit Recht widersetzen. Allein beydes verhält sich ganz anders. Die Schönheit eines künstlichen Werkes, beruht nicht auf einem leeren Dünkel; sondern sie hat ihren festen und nothwendigen Grund in der Natur der Dinge. Gott hat alles nach Zahl, Maaß und Gewicht geschaffen. Die natürlichen Dinge sind an sich selber schön: und wenn also die Kunst auch was schönes hervorbringen will, so muß sie dem Muster der Natur nachahmen. Das genaue Verhältniß, die Ordnung und richtige Abmessung aller Theile, daraus ein Ding besteht, ist die Qvelle aller Schönheit. Die Nachahmung der vollkommenen Natur, kann also einem künstlichen Werke die Vollkommenheit geben, dadurch es dem Verstande gefällig und angenehm wird: und die Abweichung von ihrem Muster, wird allemal etwas ungestaltes und abgeschmacktes zuwege bringen. 21. §. Man versuche es doch, und berede einen Baumeister, Maler oder Musikverständigen einmal, daß seine architektonischen, perspectivischen und harmonischen Regeln nichts als einen lautern Eigensinn zum Vater hätten: die sechs Seulenordnungen wären eben so willkührlich, als die wunderseltsamen Zierrathe, in der gothischen Baukunst; die Lehre vom Gesichtspunkte, und der Entfernung in Gemälden wäre nur eine Phantasie; und die Gleichförmigkeit, oder Widerwärtigkeit der Töne, hätte nur die Einbildung zur Mutter. Man wird sich durch dergleichen Einwurfe, nur auslachenswürdig machen. Alle diese Künstler, wenn sie anders geschickte Leute sind, werden haarklein zu zeigen wissen, was für eine natürliche Nothwendigkeit in dem allen steckt, und uns den Grund ihrer Regeln, in der Empfindung und gesunden Vernunft, entdecken. In der Beredsamkeit und Poesie geht es nicht anders. Kann hier gleich das Verhältniß nicht mit Zahlen und Linien ausgedrücket, mit Zirkel und Lineal abgemessen, und so handgreiflich gemacht werden, als in den andern Dingen, wo man durch Hülfe der Meßkunst alles sehr ins Licht setzen kann: so folgt doch deswegen noch nicht, daß hier alles willkührlich sey. Unsre Gedanken sind so vieler Harmonie, Ordnung, Abmessung und Verhältniß fähig, als Figuren und Töne. Nur es gehören scharfsinnigere Köpfe dazu, die Schönheiten solcher Dinge, die man weder fühlen noch greifen kann, recht auszugrübeln, und in ihren ersten Qvellen zu untersuchen. Daher hat auch der tiefsinnigste von den alten Weltweisen sich zuerst darüber machen müssen, die Regeln der Dichtkunst und Redekunst zu entwerfen, welches vor ihm sich noch niemand unterstanden hatte. Diejenigen bleiben also nur an der äußersten Schale kleben, die sich einbilden, die poetischen Schönheiten wären ganz willkührlich; heute könnte dieß, und morgen was anders gefallen; in Rom könnte was häßlich seyn, was in Paris oder Londen unvergleichlich wäre. Nicht der Beyfall macht eine Sache schön; sondern die Schönheit erwirbt sich bey Verständigen den Beyfall. 22. §. Zweytens ist es auch ganz falsch, daß wir uns den Atheniensern mit Recht an die Seite setzen, oder ihnen gar die Stirne biethen könnten. Sie haben viele Vorzüge gehabt, deren wir uns nicht rühmen können. Sie sind das gescheidteste Volk auf dem Erdboden gewesen, das sich zu allererst aus der finstern Barbarey gerissen hat. Sie sind die Erfinder aller freyen Künste und Wissenschaften. Von ihnen haben alle andre Völker ihre Gesetze, Philosophie, Arzneykunst, Beredsamkeit, Poesie, Baukunst, Malerey und Musik gelernet; so vieler andern Künste zu geschweigen. Könnten wir nun eben das von uns rühmen, so möchten wir uns etwa ihrem Geschmacke widersetzen dörfen; müßten aber dennoch wohl zusehen, daß wir es nicht ohne Grund thäten. Da wir nun vermuthlich noch in der Barbarey stecken würden, wenn uns nicht die griechischen Bücher die Augen aufgethan hätten; indem wir alle Wissenschaften und freye Künste von ihnen gefasset: was für ein Recht haben wir denn wohl, uns wider unsre Lehrmeister aufzulehnen? 23. §. Ja, wird man sprechen: weil uns vieles gefällt, was jenen Alten nicht gefallen, und doch das Gefällige allezeit eine Schönheit zum Grunde hat; so fragt sichs, ob es nicht noch andre wirkliche Schönheiten in Kunstwerken geben könne, als die den Alten bekannt gewesen? Die Erfahrung zeigt aber allerdings, daß es dergleichen gebe. NON EADEM MIRAMUR: EO DISCONUENIT INTER MEQUE ET TE. NAM QUAE DESERTA ET INHOSPITA TESQUA CREDIS, AMOENA VOCAT, MECUM QUI SENTIT; ET ODIT QUAE TU PULCRA PUTAS. HOR. L.I. EP. XIV. Ich antworte, freylich entsteht das Wohlgefallen allezeit aus der Empfindung einer Schönheit: aber es giebt wahre, es giebt auch eingebildete Schönheiten. Diese erwecken freylich bey vielen eine Belustigung; aber nur so lange, als sie dieselben für Schönheiten ansehen. Oftmals lernen sie es begreifen, daß sie sich in ihrem Urtheile betrogen haben: und alsdann erwecket ihnen dasjenige Verdruß, was ihnen vorher wohlgefiel. Von ferne sieht oft eine Person sehr wohl aus: wenn wir sie aber in der Nähe erblicken, so ist sie häßlich. Aus der Baukunst, Musik und Malerey, kann man hier unzählige Erläuterungen geben. Wie oft gefällt hier nicht einem unwissenden Schüler etwas, das einem Kenner misfällt? Haben denn da beyde Urtheile wahre Schönheiten oder Ungereimtheiten zum Grunde? So müßte ja ein Ding zugleich schön und häßlich, zugleich wahr und falsch, zugleich weiß und schwarz seyn können? Wer soll sich aber nach des andern Urtheile bequemen? Soll der Meister dem Schüler, oder der Schüler dem Meister folgen? Ohne Zweifel wird derjenige bessern Grund von der Sache haben, der seinem Gegenpart die Unrichtigkeit seines Urtheils zeigen, und ihn dahin bringen kann, daß er seinen vorigen Ausspruch widerruft. Nun lasse man einen unerfahrnen Schüler seinem Meister, so lange er will, vorsagen, daß ein Fehler eine Schönheit sey: nimmermehr wird ers so weit bringen, daß jener seine Vernunft, Einsicht und Sinne verläugne, und daran einen Gefallen zu haben anfange, dessen Unordnung und Mishälligkeit er aus den Kunstregeln unumstößlich zu erweisen im Stande ist. Dem Schüler aber fehlt es nur am Unterrichte; so bald er die Natur der Sachen wird verstehen lernen, wird er sich schämen, daß er vorhin etwas bewundern können, was nur eine Scheinschönheit an sich gehabt; in der That aber ein Zusammenfluß unzählicher Ungereimtheiten gewesen. 24. §. So müssen sich denn die Poeten niemals nach dem Geschmacke der Welt, das ist, des großen Haufens, oder des unverständigen Pöbels richten. Dieser vielköpfigte Götze urtheilt oft sehr verkehrt von Dingen. 4 Er muß vielmehr suchen, den Geschmack seines Vaterlandes, seines Hofes, seiner Stadt zu läutern: es wäre denn, daß dieses schon vor ihm geschehen wäre. Es geschieht aber niemals ganz vollkommen; und es bleibt auch in dem gescheidtesten Volke allezeit ein Ueberrest des übeln Geschmackes zurücke. In Rom hatten Terentius und Lucretius schon einen ziemlich reinen und zarten Geschmack erwiesen. Doch klagt Horatius sowohl in seinem langen Briefe an den Kaiser, als in seiner Dichtkunst: daß die Römer noch an den plautinischen Zoten, und an Lucils unreinen Possen ein Belieben trügen. Bavius und Mävius fanden auch ihre Anbether. Hätten sich nun Virgilius und Varius nach dem Geschmacke der sonst so klugen Römer richten wollen, was würden sie für elendes Zeug haben schreiben müssen? Sie suchten also vielmehr mit ihren Werken wider den gemeinen Strom zu schwimmen, und waren zufrieden, daß sie wenigen Kennern gefielen. NON EGO VENTOSAE PLEBIS SUFFRAGIA CAPTO. Ich strebe nach dem Ruhm des eitlen Pöbels nicht. Schreibt Horaz an einem Orte. Noch viel ausführlicher hat er solches in seiner X. Satire des I. Buchs zu verstehen gegeben. 5 25. §. Eben das hat Boileau allezeit geklaget, wenn er den verderbten Geschmack seiner Pariser, die auch das elendeste Zeug vielmals schön nenneten und bewunderten, herunter gemacht hat. Er versichert, daß seine Zeiten sowohl an närrischen Scribenten als an närrischen Bewunderern fruchtbar gewesen; und setzt hinzu, daß Land und Stadt und Hof keinen Mangel daran gehabt. Die Herzoge und Prinzen selbst, hätten keine Ausnahme von der Regel gemacht. Das niederträchtigste Werk, habe bey den Hofleuten seine eifrige Verfechter, und ein jeder Narr einen noch größern gefunden, der ihn bewundert hätte. AINSI QU'EN SOTS AUTEURS, NOTRE SIECLE EST FERTILE EN SOTS ADMIRATEURS, ET SANS CEUX, QUE FOURNIT LA VILLE & LA PROVINCE, IL EN EST CHEZ LE DUC, IL EN EST CHEZ LE PRINCE. L'OUVRAGE LE PLUS PLAT À CHEZ LES COURTISANS, DE TOUT TEMPS RENCONTRÉ DE ZELEZ PARTISANS. ET POUR FINIR ENFIN PAR UN TRAIT DE SATIRE, UN SOT TROUVE TOUJOURS UN PLUS SOT, QUI L'ADMIRE. ART. POET. CH. I. Von unserm Opitz kann man ein gleiches erweisen. Er hätte lauter Hans Sachsen-Verse machen müssen, wenn er der Mode seiner Zeiten hätte folgen wollen. Er muß auch wohl nicht bey allen Deutschen so viel Beyfall gefunden haben, als er verdienete: denn er klagt ausdrücklich darüber, wenn er sich in dem Briefe an Zinkgräfen, den er in Paris geschrieben, über die Menge der elenden Poeten beschweret, und sich auf das Urtheil der Nachwelt berufet: Mein rechter Eifer brennet Nur wider dieses Volk, das die Poeten nennet, Bey dir und auch bey uns, an welchen um und an Ja nichts poetisch ist, als daß es lügen kann. Doch läßt uns diese Pest der Sprachen unvertrieben: Kein Vers vom Bavius und Mävius ist blieben: Der Venusiner-Schwan, der Preis von Mantua, Und Naso und Catull, die sind noch alle da. Laß du, o Zinkgräf, nur den guten Zweck nicht liegen, Zu helfen, wie du thust, die Finsterniß besiegen, Die deutscher Reden Zier bisher umhüllet hat. Kriegt gleich ein Nesselstrauch bey Rosen seine Statt; So blühen sie gleichwohl. Wir wollen nicht bedenken, Daß träge Hummeln sich an diesen Bienstock henken. Ein Körper bleibet doch, obgleich des Schattens Schein Sich größer macht als er. Die Zeit soll Richter seyn. I.B. der Poet. W. 26. §. Ich würde noch Neukirchs Exempel anführen, der nach Ablegung des hofmannswaldauischen und lohensteinischen Geschmackes sehr besorgte, daß sein verwöhntes Schlesien und das sonst so witzige Budorgis an seiner Poesie nichts Gefälliges mehr finden würde; wenn ich solches nicht schon in dem Vorberichte zu Horatii Dichtkunst gethan hätte. Ich will also nur noch ein Zeugniß aus Pietschen anführen. Dieser fand bey dem Antritte seines poetischen Lehramtes in Königsberg, den Geschmack der ganzen Stadt, durch die schwülstigen Gedichte eines gewissen Schlesiers, der durch die Musik berühmter geworden, als durch die Poesie, nämlich des Capellmeisters Neidhard und seiner Schüler, verwöhnet. Diese stopften insgemein ihre Sachen auf gut Lohensteinisch, ja noch weit ärger, voller Gelehrsamkeit; daher denn die meisten, die solche bewunderten ohne sie zu verstehen, sich einbildeten: Pietsch wäre mit seinen Gedichten, für nichts gegen Neidharden zu rechnen. Bey einer vornehmen Priesterleiche also, nahm jener Gelegenheit, diese Unart zu bestrafen, und den Liebhabern einer zusammengestoppelten Menge von Namen, und hochtrabender Ausdrückungen, ihren übeln Geschmack dadurch zu verweisen, daß er ihn selber nachahmete. Er hebt so an: Ihr Musen stimmet mir die abgespannten Seyten Nach dem verderbten Sinn der ungereimten Zeiten, Weil doch kein reines Lied verwöhnten Ohren klingt, Wenn man die Stimme nicht nach fremden Tönen zwingt: Wer liebt wohl ein Gedicht? Wenn nicht entfernten Sachen Die vielen Reihen bunt, den Einfall kraftlos machen? So lässet Neukirch auch gerechte Klagen tönen; »Soll ich im Alter mich mit fremden Lorbern krönen? Sonst trug der Tacitus der Reime schwaches Haus, Ich schmückt es noch dazu mit Sinnenbildern aus: Dort hatte Seneca, dort Plato was gesaget, Dort hat ich einen Spruch dem Plautus abgejaget. Damals gefiel ich noch! doch itzt sind meine Lieder Sehr matt und ohne Kraft und Schlesien zuwider: Denn mein entlehnter Glanz nahm durch den falschen Schein, Wie schlecht er immer war, viel hundert Leser ein.« So will auch Königsberg nur solche Dichter hören, Die ihren eignen Vers, durch fremde Namen stören. Alles dieses nun geht einzig und allein dahin, daß ein Poet sich an den Geschmack seiner Zeiten und Oerter nicht zu kehren, sondern den Regeln der Alten und den Exempeln großer Dichter zu folgen habe. 27. §. Woher der üble Geschmack des großen Haufens komme, das ist aus dem obigen leicht abzunehmen. Die schlechte Auferziehung ist sonder Zweifel die allergemeinste Quelle desselben, und dadurch werden auch die fähigsten Köpfe verwahrloset. Weil die Kinder durchgehends nur durch die Nachahmung urtheilen lernen: so gefällt ihnen gleich von Jugend auf das, was sie von ihren Aeltern, oder andern Leuten, denen sie was zutrauen, loben hören. 6 Die ersten Urtheile werden also unvermerkt eine Richtschnur der übrigen, und nachdem sie durch eine lange Gewohnheit gleichsam tief eingewurzelt sind, so können sie fast gar nicht mehr ausgerottet werden. Der Geschmack alter Leute läßt sich also schwerlich bessern. Sie bleiben fest bey ihren Meynungen, und schämen sich, dasjenige zu verwerfen, was sie ihr Lebenlang für schön gehalten haben. Man mag ihnen sagen, was man will: so bleiben sie doch auf ihrem Eigensinne: weil sie es für schimpflich ansehen, sich bey grauen Haaren in ihren Urtheilen zu ändern, und dadurch einzuräumen, daß sie so lange geirret und einen übeln Geschmack gehabt: zumal, wenn sie Leuten, die jünger sind als sie, recht geben, und folgen sollen. 7 28. §. Junge Leute hingegen können leichter ihren Geschmack ändern, wenn sie gleich bereits verwöhnet worden. Sie sind in ihrer Meynung noch so sehr nicht verhärtet; sie trauen ihren Urtheilen noch keine solche Unfehlbarkeit zu, daß sie nicht auch zuweilen falsch seyn könnten: sie geben also eher der gesunden Vernunft Gehör, und begreifen die Richtigkeit der Regeln gar leicht. Ja wenn man ihnen gleich nicht die Gründe des guten Geschmackes und die Qvellen wahrer Schönheiten entdecken und begreiflich machen kann; weil sie etwa nicht studiret haben, oder sonst die gehörige Fähigkeit nicht besitzen: so lernen sie doch aus der bloßen Empfindung endlich recht urtheilen. Man darf ihnen nur etwas Schönes zeigen, und sie aufmerksam darauf machen: so gleich werden sie es gewahr. Denn mehrentheils gefällt ihnen deswegen das Schlechte, weil sie noch nichts bessers gesehen haben: nicht anders, wie mancher bloß daher in eine mittelmäßige Gestalt verliebt ist, weil er noch keine Gelegenheit gehabt, eine rechte Schönheit kennen zu lernen. Man zeige nur einem solchen Liebhaber eine vollkommenere Person, als seine vermeynte Halbgöttin ist: er wird ihrer entweder gar vergessen; oder doch zum wenigsten den größten Theil seiner Hochachtung gegen dieselbe verlieren. 29. §. Und so hätte ich wohl meines Erachtens in diesem Capitel meinen Vorsatz ins Werk gerichtet, indem ich nicht nur einen deutlichen Begriff von dem Geschmacke überhaupt gegeben, sondern auch die Regeln des guten Geschmacks entdecket, und ihn dadurch von dem übeln unterschieden; ferner dieses gegen die Einwürfe vertheidiget, und endlich etliche zweifelhafte Fragen, die bey dieser Materie aufgeworfen worden, nach meinen Grundsätzen entschieden. Nunmehro sollte ich besondere Lehren geben, und zeigen, was denn in allerley Gedichten, Einfällen und Ausdrückungen dem guten oder übeln Geschmacke gemäß sey. Allein, dieses ist eine Arbeit, die alle folgende Capitel dieses Buches einnehmen wird, als in welchen ich stückweise die Regeln vortragen will, darnach die poetischen Schönheiten beurtheilet werden müssen. Man merke zum Beschlusse die Regel Horazens an: INTERDUM VULGUS RECTUM VIDET; EST VBI PECCAT. LIB. II. EP. 1. Oft hat der Pöbel recht, und oftmals fehlt er auch. Und, MAXIMA PARS VATUM – – – DECIPIMUR SPECIE RECTI. Der Dichter größter Theil betrügt sich durch den Schein. Fußnoten 1 Der große Leibnitz ist hier vollkommen meinet Meynung. In dem RECUEIL DE DIV. PIEC. DE MRS. NEWTON, CLARKE & C. schreibt er p. 285. LE GOUT DISTINGUÉ DE L'ENTENDEMENT, CONSISTE DANS LES PERCEPTIONS CONFUSES, DONT ON NE SAUROIT ASSEZ RENDRE RAISON. C'EST QUELQUE CHOSE D'APPROCHANT DE L'INSTINCT. LE GOUT EST FORMÉ PAR LE NATUREL & PAR L'USAGE: ET POUR L'AVOIR BON, IL FAUT S'EXERCER À GOUTER LES BONNES CHOSES, QUE LA RAISON & L'EXPERIENCE ONT DEJA AUTORISÉES; EN QUOI LES JEUNES GENS ONT BESOIN DE GUIDES. d.i. Der Geschmack, wenn er vom Verstande unterschieden ist, besteht in den verwirrten Empfindungen, davon man nicht wohl Rechenschaft geben kann. Er ist etwas, das mit dem Triebe übereinkömmt. Der Geschmack wird durch das Naturell und die Gewohnheit gebildet: und wenn er gut werden soll, so muß man sich üben, an guten Sachen ein Gefallen zu haben, die schon durch Vernunft und Erfahrung bestätiget worden. 2 Der berühmte Graf Schaftsbury ist hier gleichfalls meiner Meynung, wenn er MISC. T. III. p. 164. der Lond. Ausg. schreibt: NOW A TASTE OR JUDGMENT, T'IS SUPPOS'D, CAN HARDLY COME READY FORM'D WITH US INTO THE WORLD. WHATEVER PRINCIPLES OR MATERIALS OF THIS KIND WE MAY POSSIBLY BRING WITH US; WHATEVER GOOD FACULTYS, SENSES, OR ANTICIPATING SENSATIONS AND IMAGINATIONS MAY BE OF NATURES GROWTH, AND ARISE PROPERLY OF THEMSELVES, WTTHOUT OUR ART, PROMOTION OR ASSISTENCE: THE GENERAL IDEA WHICH IS FORM'D OF ALL THIS MANAGEMENT, AND THE CLEAR NOTION WE ATTAIN OF WHAT IS PREFERABLE AND PRINCIPAL IN ALL THESE SUBJECTS OF CHOICE AND ESTIMATION, WILL NOT, AS I IMAGINE, BY ANY PERSON BE TAKEN FOR INNATE. VSE, PRACTICE AND CULTURE MUST PRECEDE UNDERSTANDING AND WIT OF SUCH AN ADVANCED SIZE AND GROWTH AS THIS. A LEGITIMATE AND JUST TASTE, CAN NEITHER BE BEGOTTEN, MADE, CONCEIV'D, OR PRODUC'D, WTTHOUT THE ANTECEDENT LABOUR AND PAINS OF CRITICISM. d.i. Nun kann wohl unstreitig ein Geschmack oder Urtheil, schwerlich schon ganz fertig mit uns zur Welt kommen. Wir mögen auch noch solche Grundsätze oder Zubehörungen dieser Art, mit uns bringen: wir mögen noch solche gute Fähigkeiten, Sinne, oder vorläufige Empfindungen und Einbildungen, von der bloßen Natur haben, oder vor sich selbst wachsen sehen, ohn alle Kunst, Beförderung, oder Hülfe: so wird doch meiner Meynung nach, der allgemeine Begriff, der aus allen diesen Anstalten entsteht, und die klare Vorstellung, die wir in Sachen, die eine Wahl und Hochachtung verdienen, von dem Vorzuge, und der Fürtrefflichkeit haben, von niemanden für angebohren gehalten werden. Erfahrung, Uebung und Anführung müssen vor dem Verstande und Witze einer so hochgestiegenen Größe und von solchem Wuchse vorhergehen. Ein regelmäßiger und richtiger Geschmack kann weder gebohren, gemacht, begriffen, noch hervorgebracht werden, ohne die vorhergehende Arbeit der Beurtheilungskunst . 3 Herr Rollin schreibt hiervon im III. Buche, auf der 11. Seite sehr schön: LE GOÛT PUBLIC DEVIENT SUR CELA LA REGLE DES JEUNES GENS. ILS REGARDENT COMME ESTIMABLE, CE QUI EST ESTIMÉ DE TOUS. CE N'EST PAS LA RAISON, MAIS LA COUTUME QUI LES GUIDE. UN SEUL MAUVAIS EXEMPLE SEROIT CAPABLE DE CORROMPRE L'ESPRIT DES JEUNES GENS, SUSCEPTIBLES DE TOUTE SORTE D'IMPRESSIONS. d.i. Der allgemeine Geschmack des Volkes wird hier die Regel junger Leute. Sie sehen dasjenige für schätzbar an, was von allen hochgeschätzet wird. Nicht die Vernunft, sondern die Gewohnheit leitet sie. Ein einziges böses Exempel, ist vermögend den Verstand junger Leute zu verderben, die zu allen Eindrückungen fähig sind. 4 Seneca in seinem 94 Briefe schreibt: INDUCENDA EST IN OCCUPATUM LOCUM VIRTUS, QUAE MENDACIA, CONTRA VERUM PLACENTIA, EXSTIRPET; QUAE NOS A POPULO, CUI NIMIS CREDIMUS, SEPARET, AC SINCERIS OPINIONIBUS REDDAT. 5 NEQUE, TE VT MIRETUR TURBA, LABORES; CONTENTUS PAUCIS LECTORIBUS. AN TUA, DEMENS, VILIBUS IN LUDIS DICTARI CARMINA MALIS? NON EGO. NAM SATIS EST EQUITEM MIHI PLAUDERE – – MEN' MOUEAT CIMEX PANTILIUS? AUT CRUCIER, QUOD VELLICET ABSENTEM DEMETRIUS? AUT QUOD INEPTUS FANNIUS, HERMOGENIS LAEDAT CONUIUA TIGELLI? PLOTIUS & VARIUS, MECAENAS, VIRGILIUSQUE, VALGIUS, & PROBET HAEC OCTAVIUS OPTIMUS, ATQUE FUSCUS, & HAEC VTINAM VISCORUM LAUDET VTERQUE! AMBITIONE RELEGATA TE DICERE POSSUM POLLIO; TE MESSALLA TUO CUM FRATRE, SIMULQUE VOS BIBULI & SERUI, & SIMUL HIS TE, CANDIDE FURNI. COMPLURES ALIOS, DOCTOS EGO QUOS & AMICOS PRUDENS PRAETEREO, QUIBUS HAEC, SINT QUALIACUNQUE, ARRIDERE VELIM: DOLITURUS SI PLACEANT SPE DETERIUS NOSTRA. DEMETRI, TEQUE TIGELLI DISCIPULARUM INTER IUBEO PLORARE CATHEDRAS. HOR. SAT. X D.i. Bemühe dich nicht, schreibt er, von dem großen Haufen bewundert zu werden; und sey mit wenigen Lesern zufrieden. Bist du so thöricht, zu wünschen, daß von deinen Versen in den gemeinsten Spielgesellschaften geplaudert werde? Ich nicht! Genug, wenn die edlen Ritter mich ihres Beyfalls würdigen. – – Sollte ich mich um den schmutzigen Pantilius bekümmern? oder sollte ich mich qvälen, daß mich Demetrius hinterrücks durchzieht? oder daß der närrische Fannius, des Hermogenes Tischgast, mich schimpfet? Wenn nur Plotius und Varius, Mecänas und Virgilius, Valgius und Octavius, der gnädigste Kayser, nebst dem Fuscus, meine Schriften gut heißen, wenn nur beyde Visci mich loben. Ja ohne Ruhm zu melden, kann ich dich noch nennen Pollio, dich Messala mit deinem Bruder, und euch, Bibuler und Servier, nebst dem aufrichtigen Furnus, imgleichen viele andere, die ich, als gelehrte Leute, und gute Freunde, mit Fleiß vorbey gehe; denen ich aber mit diesen meinen geringen Sachen zu gefallen wünsche, und mich betrüben würde, wenn sie ihnen nicht so gut, als ich wünsche, gefallen sollten. Dich aber Demetrius, und dich, du guter Tigellius, lasse ich unter den Schulbänken des Frauenzimmers, denen ihr, als euren Schülerinnen gefallet, euer Unglück beweinen. 6 Sehr schön schreibt hievon Seneca im 1. Cap. DE VITA BEATA: NULLA RES NOS MAIORIBUS MALIS IMPLICAT, QUAM QUOD AD RUMOREM COMPONIMUR: OPTIMA RATI EA, QUAE MAGNO ASSENSU RECEPTA SUNT. – – – NEC AD RATIONEM, SED AD SIMILITUDINEM VIUIMUS. d.i. Kein Ding ist uns verderblicher, als daß wir uns nach der gemeinen Sage des Pöbels richten; und uns einbilden, das sey das Beste, was mit vielem Beyfalle aufgenommen wird. – – – Wir leben nicht nach der Vernunft, sondern behelfen uns mit dem Nachäffen anderer. 7 VEL QUIA NIL RECTUM, NISI QUOD PLACUIT SIBI, DUCUNT; VEL QUIA TURPE PUTANT, PARERE MINORIBUS, &, QUAE IMBERBES DIDICERE, SENES PERDENDA FATERI. HOR. L. II. EP. I. Entweder weil man nichts für recht und richtig hält, Als was man selber liebt, was seinem Sinn gefällt. Wo nicht, weil man sich soll nach jüngern Leuten richten, Und was man jung gelernt, im Alter selbst vernichten. Das 4. Capitel Das IV. Capitel. Von den dreyen Gattungen der poetischen Nachahmung, und insonderheit von der Fabel. 1. §. Die Nachahmung der Natur, darinnen, wie oben gewiesen worden, das Wesen der ganzen Poesie besteht, kann auf dreyerley Art geschehen. Die erste ist eine bloße Beschreibung, oder sehr lebhafte Schilderey von einer natürlichen Sache, die man nach allen ihren Eigenschaften, Schönheiten oder Fehlern, Vollkommenheiten oder Unvollkommenheiten seinen Lesern klar und deutlich vor die Augen malet, und gleichsam mit lebendigen Farben entwirft: so daß es fast eben so viel ist, als ob sie wirklich zugegen wäre. Dieses nun mit rechter Geschicklichkeit zu verrichten, das ist eine gar feine Gabe: und man hat es dem Homer zu großem Lobe angemerket, daß ein berühmter griechischer Maler, der eine Minerva zu schildern willens war, zu dem Ende erst in der Ilias die Beschreibung dieser Göttinn nachgeschlagen, sie durchgelesen, und sich dadurch eine lebhafte Abbildung von ihr gemachet. Solche Malerey eines Poeten nun, erstrecket sich noch viel weiter, als die gemeine Malerkunst. Diese kann nur für die Augen malen, der Poet hergegen kann für alle Sinne Schildereyen machen. Er wirket in die Einbildungskraft, und diese bringt die Begriffe aller empfindlichen Dinge fast eben so leicht, als Figuren und Farben hervor. Ja er kann endlich auch geistliche Dinge, als da sind innerliche Bewegungen des Herzens und die verborgensten Gedanken beschreiben und abmalen. Nur ist hierbey zu merken, daß ein Dichter seine Absicht niemals vergessen muß. Ein jedes endliches Ding hat zwo Seiten, eine gute und eine böse. Will man nun ein Ding loben, so muß man die erste; will man es aber tadeln, so muß man nur die andre abschildern. In beyden Bildern wird Wahrheit seyn, wenn man der Natur folget, und die Sache nicht zu hoch treibt. Hierwider aber pflegen so wohl Lobdichter, als Satirenschreiber zu verstoßen, die insgemein in beydem kein Maaß zu halten wissen. 2. §. Doch diese Art der poetischen Nachahmung ist bey aller ihrer Vortrefflichkeit nur die geringste: weswegen sie auch Horaz im Anfange seiner Dichtkunst für unzulänglich erkläret, einen wahren Poeten zu machen. Wenn ich die besten Bilder von der Welt in meinen Gedichten machen könnte, so würde ich doch nur ein mittelmäßiger oder gar nur ein kleiner Poet zu heißen verdienen: dafern ich nämlich nichts bessers zu machen wüßte. Ja ich könnte wohl gar ein verdrüßlicher Dichter und Scribent werden, wenn ich meinen Lesern mit unaufhörlichen Malereyen und unendlichen Bildern einen Ekel erweckte. 1 Boileau hat diesen Fehler am Scuderi schon angemerkt und verworfen, wenn er im I. Ges. seiner Dichtkunst geschrieben: UN AUTEUR QUELQUE FOIS TROP PLEIN DE SON OBJET, JAMAIS, SANS L'EPUISER, N'ABANDONNE UN SUJET. S'IL RENCONTRE UN PALAIS, IL M'EN DEPEINT LA FACE, IL ME PROMENE APRÉS DE TERRASSE EN TERRASSE; ICI S'OFFRE UN PERRON, LÀ REGNE UN CORRIDOR, LÀ CE BALCON S'ENFERME EN UN BALUSTRE D'OR. IL CONTE DES PLAFONDS LES RONDS & LES OVALES, CE NE SONT QUE FESTONS, CE NE SONT QU'ASTRAGALES. JE SAUTE VINGT FEUILLETS, POUR EN TROUVER LA FIN, ET JE ME SAUVE A PEINE AU TRAVERS D'UN JARDIN. FUYEZ DES CES AUTEURS L'ABONDANCE STERILE! ET NE VOUS CHARGEZ POINT D'UN DETAIL INUTILE, TOUT CE QU'ON DIT DE TROP, EST FADE ET REBUTANT. L'ESPRIT RASSASIÉ LE REJETTE À L'LNSTANT; QUI NE SÇAIT SE BORNER, NE SCEUT JAMAIS ÉCRIRE. Wie viele Dichter haben nicht bey uns wider diese Regeln verstoßen; die uns wohl gar ganze Bücher voller Beschreibungen und gekünstelter Schildereyen aufgedrungen haben. So muß man denn auch in diesem Stücke Maaß zu halten wissen; theils, daß man unnöthige und überflüßige Bilder seinem Leser nicht aufdringe; theils bey einem an sich nöthigen Abrisse nicht gar zu sorgfältig alle Kleinigkeiten auszudrücken bemüht sey. Virgil wird deswegen gelobt, weil er in Beschreibungen so bescheiden gewesen. Er hat wohl zehnmal Gelegenheit gehabt, den Regenbogen abzumalen: und was würde uns da ein poetischer Maler von Profeßion, nicht mit seinen Farben geqvälet haben! Aber der bescheidne Virgil sagt nichts mehr, als: MILLE TRAHENS VARIOS ADUERSO SOLE COLORES. 3. §. Die andre Art der Nachahmung geschieht, wenn der Poet selbst die Person eines andern spielet, oder einem, der sie spielen soll, solche Worte, Geberden und Handlungen vorschreibt und an die Hand giebt, die sich in solchen und solchen Umständen für ihn schicken. Man macht z.E. ein verliebtes, trauriges, lustiges Gedichte im Namen eines andern; ob man gleich selbst weder verliebt noch traurig, noch lustig ist. Aber man ahmet überall die Art eines in solchen Leidenschaften stehenden Gemüthes so genau nach, und drückt sich mit so natürlichen Redensarten aus, als wenn man wirklich den Affect bey sich empfände. Zu dieser Gattung gehört schon weit mehr Geschicklichkeit, als zu der ersten. Man muß hier die innersten Schlupfwinkel des Herzens ausstudirt, und durch eine genaue Beobachtung der Natur den Unterscheid des gekünstelten, von dem ungezwungenen angemerket haben. Dieses aber ist sehr schwer zu beobachten, wie die Fehler sattsam zeigen, die von den größten Meistern in diesem Stücke begangen worden. Daß Virgilius in seinen Schäfergedichten nicht immer glücklich damit gewesen, das hat der italienische Kunstrichter, Ludewig Castelvetro, dessen critische Werke Argelati vor einigen Jahren herausgegeben hat, sehr gründlich erwiesen. In Fontenellens Gedanken, von Schäfergedichten, wird man auch den Theokritus oft ganz billig getadelt finden. Herr Fontenelle selbst wird in dem englischen Guardian gleicher Fehler, und zwar nicht ohne Grund beschuldiget, wie an dem gehörigen Orte ausführlicher gedacht werden soll. Daß nicht auch unter unsern Deutschen es viele hierinnen sollten versehen haben, daran ist gar kein Zweifel. 4. §. Die Klaggedichte, die Canitz und Besser, auf ihre Gemahlinnen gemacht, werden sonst als besondere Muster schön ausgedruckter Affecten angesehen. Man kann sie auch gar wohl unter diese Art der Nachahmung rechnen, ob sie gleich ihren eignen Schmerz, und nicht einen fremden vorstellen wollen: denn so viel ist gewiß, daß ein Dichter zum wenigsten dann, wann er die Verse macht, die volle Stärke der Leidenschaft nicht empfinden kann. Diese würde ihm nicht Zeit lassen, eine Zeile aufzusetzen, sondern ihn nöthigen, alle seine Gedanken auf die Größe seines Verlusts und Unglücks zu richten. Der Affect muß schon ziemlich gestillet seyn, wenn man die Feder zur Hand nehmen, und alle seine Klagen in einem ordentlichen Zusammenhange vorstellen will. Und es ist auch ohnedem gewiß, daß alle beyde oberwähnte Gedichte eine gute Zeit nach dem Tode ihrer Gemahlinnen verfertiget worden: da gewiß die Poeten sich nur bemühet haben, ihren vorigen betrübten Zustand aufs natürlichste auszudrücken. Ob ich nun wohl nicht leugne, daß diese treffliche Stücke des berühmten Amthors Klagen, in gleichem Falle, weit vorzuziehen sind: so könnte doch ein scharfes Auge, auch in diesen zweyen Meisterstücken, noch manchen gar zu gekünstelten Gedanken, und gezwungenen Ausdruck, entdecken; den gewiß ein wahrer Schmerz nimmermehr würde hervorgebracht oder gelitten haben. Was hier von dem Schmerze gilt, das muß von allen Affecten verstanden werden. Hofmannswaldaus Heldenbriefe, sollen verliebt geschrieben seyn; haben aber den Affect, den der Poet nachahmen wollen, sehr schlecht getroffen, und tausend bunte Einfälle und Zierrathe angebracht, die sich für keinen wahrhaftig Verliebten schicken. Man darf nur dargegen halten, was Günther im I. Theile seiner Ged. an seine Geliebte geschrieben, wo alles der Natur viel gemäßer ist: so wird man leicht selbst wahrnehmen, was eine geschickte Nachahmung der Natur ist, und was ein kaltes und frostiges Gewäsche in der Poesie heißt. 5. §. Auf dieser Kunst nun beruhet fast die ganze theatralische Poesie, was nämlich die Charactere einzelner Personen, ihre Reden in einzelnen Scenen, und ihre Handlungen anlangt. Denn hier muß ein Poet alles, was von dem auftretenden Helden, oder was es sonst ist, wirklich und der Natur gemäß hätte geschehen können, so genau nachahmen, daß man nichts unwahrscheinliches dabey wahrnehmen könne. In Heldengedichten, und allen übrigen Arten, wo man auch zuweilen andre redend einführet, hat eben dieses statt, wie an seinem Orte stückweise soll erwiesen werden. Horatius hat in seiner Dichtkunst zu verschiedenen malen daran gedacht, und nicht nur die Regel gegeben, wie man den Achilles, die Medea, den Ixion, die Jo u.s.w. abbilden und aufführen solle; daß ein Greis und ein Jüngling, ein Argiver und Babylonier, ein Kaufmann und Bauer, eine Matrone und eine Amme nicht auf einerley Art reden und handeln müssen; sondern auch gewiesen, wo man die Kunst gute Charactere zu machen, lerne; nämlich aus der Sittenlehre und der Erfahrung. Diese zeiget uns die herrschenden Neigungen der Kinder, Jünglinge, Männer und Alten: jene hergegen lehret sowohl die Natur der Affecten, als die Pflichten aller Menschen in allen Ständen. Dieß will auch unsre deutsche Dichtkunst des Herrn von Brück, aus der deutschen Gesellschaft I. Theile eigner Schriften und Uebersetzungen auf der 9. Seite. – Du mußt fleißig Acht auf alle Dinge haben, Auf Tugend, Wissenschaft, auf des Gemüthes Gaben, Auf Zeit, Geschlecht und Stand, auf Glück und Herzeleid, Auf Sitten und Gestalt, auf Reden Art und Zeit. Ein junger freyer Kerl, ein alter karger Knicker, Ein tugendhafter Mann, ein schelmischer Berücker, Ein ganz verbuhlter Thor, ein unerzognes Kind Sehn unterschiedlich aus; drum male wie sie sind. – – – – – – – – – – – Die Aehnlichkeit ergetzt, und nicht der Farben Menge, Die Schönheit ohne sie heißt nichtiges Gepränge: – – – – – – – – – – – – Kurz, wenn dein Abdruck nur dem Urbild ähnlich ist, So glaube, daß du dann ein guter Maler bist. Und auf der 20. und 21. Seite heißt es: Wirst du die Eigenschaft des Knechts und Edlen wissen: So wird auch jeglicher ganz anders reden müssen, Weil jeder anders denkt; und dieses zeigt den Grund: Dieß ists, dieß leget dir die Wörter in den Mund. Stellst du nun Knechte vor, so mußt du knechtisch denken, Wie Meister von der List, von Lügen und von Schwänken. Dann findest du zugleich das eigentliche Wort, Das sich zur Sache schickt, und kömmst auch leichtlich fort. Wird aber Sokrates im Schauspiel aufgeführet, So wird ein strenger Ernst und große Kunst verspüret. Da giebt sichs von sich selbst, daß der ganz anders spricht; Denn jenes Ausdruck paßt zu den Gedanken nicht. 6. §. Wer nun hierinnen wohl geübet ist, und sonst scharfsinnig genug ist, auf die Wahrscheinlichkeit in allen Stücken recht Achtung zu geben; der wird in seiner Nachahmung unfehlbar glücklich fortkommen müssen: da hingegen ein Fremdling in dem allen, alle Augenblicke Fehler begehen, und lauter unähnliche Schildereyen verfertigen wird. Ich schließe bey dem allen den Witz und die Urtheilungskraft nicht aus: denn jener ist diejenige Gemüthskraft, die mit den Aehnlichkeiten der Dinge zu thun hat, und folglich auch die Abrisse ihren Vorbildern ähnlich machen, oder diese in jenen nachahmen muß. Ohne diese hergegen wird man ohnfehlbar in den Fehler verfallen, den dort Canitz an den meisten unsrer Poeten tadelt; wenn er den Virgil als einen glücklichen Nachahmer der Natur, im Absehn auf den Charakter der Dido, erhebet. Es heißt: Man redt und schreibt nicht mehr, was sich zur Sache schicket, Es wird nach der Natur kein Einfall ausgedrücket, Der Bogen ist gefüllt, eh man an sie gedacht; Was groß ist, daß wird klein, was klein ist, groß gemacht: Da doch ein jeder weis, daß in den Schildereyen, Nur bloß die Aehnlichkeit das Auge kann erfreuen; Und eines Zwerges Bild die Artigkeit verliert, Wenn es wird in Gestalt der Riesen aufgeführt. Wir lesen ja mit Lust Aeneas Abentheuer: Warum? Stößt ihm zur Hand ein grimmig Ungeheuer, So hat es sein Virgil so künstlich vorgestellt, Daß uns, ich weis nicht wie, ein Schrecken überfällt; Und hör ich Dido dort von Schimpf und Undank sprechen, So möcht ich ihren Hohn, an den Trojanern rächen. So künstlich trifft itzund kein Dichter die Natur! Sie ist ihm viel zu schlecht: Er sucht ihm fremde Spur; Geußt solche Thränen aus, die lachenswürdig scheinen, Und wenn er lachen will, so möchten andre weinen. 7. §. Doch auch diese so schwere Gattung der Nachahmung, machet nicht das Hauptwerk in der Poesie aus. Die Fabel ist hauptsächlich dasjenige, was der Ursprung und die Seele der ganzen Dichtkunst ist. 2 Selbst unsre Muttersprache lehrt uns dieses; wenn wir die Poesie, die Dichtkunst , und ein poetisches Werk, ein Gedichte nennen. Ich weis wohl, daß vor Alters dichten , nur so viel als denken und nachsinnen geheißen: z.E. das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse etc. Allein in neuern Zeiten heißt es gewiß, etwas ersinnen, oder erfinden, was nicht wirklich geschehen ist. Sachen nämlich, die wirklich geschehen sind, d.i. wahre Begebenheiten, darf man nicht erst dichten: folglich entsteht auch aus der Beschreibung und Erzählung derselben kein Gedichte, sondern eine Historie oder Geschichte; und ihr Verfasser bekömmt nicht den Namen eines Dichters , sondern eines Geschichtschreibers. Die pharsalische Schlacht also, die Lucanus in Versen beschrieben hat, kann nichts anders als eine Historie in Versen heißen: die Fabeln des Aesopus hergegen, obwohl sie nur in ungebundener Schreibart abgefasset worden, sind Gedichte. Und wer die Fähigkeit nicht besitzt, gute Fabeln zu erfinden, der verdient den Namen eines Poeten nicht; wenn er gleich die schönsten Verse von der Welt machte. Phädrus wäre derowegen wohl ein Versmacher, aber kein Dichter gewesen: wenn er nur die äsopischen Fabeln in Verse gebracht, aber selbst keine erfunden hätte. 8. §. Wenn Aristoteles sagen will, was die Fabel in einem Gedichte eigentlich sey, so spricht er: Es sey die Zusammensetzung oder Verbindung der Sachen . Der Pater Bossu in seinem Tractate vom Heldengedichte, läßt sich an dieser Erklärung gnügen, und versteht durch die Sachen, so in einer Fabel verbunden werden sollen, das Wahre und das Falsche . In der That muß eine jede Fabel was Wahres und was Falsches in sich haben: nämlich einen moralischen Lehrsatz, der gewiß wahr seyn muß; und eine Einkleidung desselben in eine gewisse Begebenheit, die sich aber niemals zugetragen hat, und also falsch ist. Allein er scheint mir den Verstand des Philosophen nicht recht eingesehen zu haben. Die Sachen müssen auf das Zubehör der Fabel, als da sind, die Thiere, Menschen, Götter, Handlungen, Gespräche, u.s.w. gedeutet werden. Diese Dinge müssen verknüpfet und verbunden werden, so daß sie einen Zusammenhang bekommen, und alsdann entstehet eine Fabel daraus. Hätte dieses Bossu gesehen, so würde er es nicht nöthig gehabt haben, eine andere Beschreibung davon zu geben, die noch weniger Stich hält, als die obige. Denn da er sagt: Die Fabel sey eine Rede, welche unter den Allegorien einer Handlung ihre Lehren verbirget und zu Besserung der Sitten ersonnen worden ; so ist bey dieser Erklärung sehr viel zu erinnern. Denn I. ist es bekannt, daß die Fabel nicht nur eine Rede, sondern auch eine Schrift seyn kann: und also hätte die Fabel besser eine Erzählung heißen mögen. Hernach aber machen nicht alle Allegorien, die da lehrreich und unterrichtend sind, eine Fabel aus. Die Ode Horatii ist bekannt, wo der Poet die römische Republik unter dem Bilde eines Schiffes anredet, und ihr viel heilsame Regeln, in einer beständigen allegorischen Rede giebt. Wer hat aber diese Ode jemals zu den Fabeln gezählet? Wollte man sagen, hier wäre keine allegorische Handlung vorhanden: so würde man antworten, daß nach seinem eigenen Geständnisse, nicht zu allen Fabeln eine Handlung nöthig sey. Er selbst, führet im folgenden dergleichen an; nämlich, da die Fliege an dem Rade eines großen und schleunig fortgezogenen Wagens sitzt, selbst nichts thut, sondern nur sagt: Ey, welch einen großen Staub mache ich nicht ! 9. §. Ich glaube derowegen, eine Fabel am besten zu beschreiben, wenn ich sage: sie sey die Erzählung einer unter gewissen Umständen möglichen, aber nicht wirklich vorgefallenen Begebenheit, darunter eine nützliche moralische Wahrheit verborgen liegt. Philosophisch könnte man sagen, sie sey ein Stücke von einer andern Welt. Denn da man sich in der Metaphysik die Welt als eine Reihe möglicher Dinge vorstellen muß; außer derjenigen aber, die wir wirklich vor Augen sehen, noch viel andre dergleichen Reihen gedacht werden können: so sieht man, daß eigentlich alle Begebenheiten, die in unserm Zusammenhange wirklich vorhandener Dinge nicht geschehen, an sich selbst aber nichts Widersprechendes in sich haben, und also unter gewissen Bedingungen möglich sind, in einer andern Welt zu Hause gehören, und Theile davon ausmachen. Herr Wolf hat selbst, wo mir recht ist, an einem gewissen Orte seiner philosophischen Schriften gesagt, daß ein wohlgeschriebener Roman, das ist ein solcher, der nichts Widersprechendes enthält, für eine Historie aus einer andern Welt anzusehen sey. Was er nun von Romanen sagt, das kann mit gleichem Rechte von allen Fabeln gesagt werden. Weil aber diese Erklärung unphilosophischen Köpfen vielleicht Schwierigkeiten machen könnte: so bleibe ich bey der ersten, die nach dem gemeinen Begriffe aller, die nur deutsch verstehen, eingerichtet ist. Ich erläutere sie durch das bereits erwähnte Exempel. Die Begebenheit ist daselbst, daß ein großer Wagen auf einem staubigten Wege, von vier oder mehr hurtigen Pferden geschwinde hingerissen wird; eine Fliege an dem Rade desselben sitzet, und sich schmeichelt, sie selbst habe allen diesen Staub erreget. Diese Begebenheit ist unter gewissen Umständen möglich. Wenn nämlich nur ein angespannter Wagen fähret, und eine Fliege, die daran sitzt, so viel Verstand hat, daß sie über den ringsum aufsteigenden Staub ihre Betrachtungen anstellen kann: so geht es gar wohl an, daß sie so eitel seyn, und sich selbst für die Ursache einer so großen Staubwolke ansehen kann. Die moralische Lehre endlich, die darunter verborgen liegt, ist diese: Ein Stolzer ist so thöricht, daß er sich selbst und seinen Verdiensten, Dinge zuschreibt, die von ganz andern Ursachen herrühren und seine Kräfte unzählichemal übersteigen. 10. §. Man kann die Fabeln in unglaubliche, glaubliche und vermischte eintheilen. Jene sind die, wo man unvernünftige Thiere oder wohl gar leblose Dinge so reden und handelt läßt, als wenn sie mit menschlicher Vernunft begabt wären. Ein Exempel davon finden wir so gar in der Schrift, wo Abimelechs Bruder, im Buche der Richter, seinen Landsleuten erzählet: wie die Bäume sich einen König erwählet, der sie mit Feuer verzehret, und also, ihrer thörichten Wahl halber, sattsam bestrafet hätte. Die andre Art sind die glaublichen Fabeln, wo lauter Menschen und andre vernünftige Wesen vorkommen; bey denen es nichts Unglaubliches ist, daß sie mit Verstande reden und handeln können. Dergleichen ist abermal in der Schrift die Fabel Nathans vom reichen und armen Manne, deren jener diesen seines einzigen geliebten Schäfleins beraubete: imgleichen die Fabeln vom verlohrnen Sohne, vom armen Lazarus u.d.g. Die dritte Art, nämlich der vermischten Fabeln, entsteht, wenn darinnen theils unvernünftige, theils vernünftige Dinge redend und handelnd vorkommen. Dergleichen würde die Begebenheit Bileams mit seiner Eselinn seyn, wenn dieses nicht wirklich geschehen seyn sollte. Wir finden aber in den äsopischen Fabeln unzählige solche, wo theils vernünftige Menschen, theils Thiere und Bäume angeführet werden: zugeschweigen, daß Homerus in seiner Ilias einmal ein Pferd mit seinem Herrn hat reden lassen. 3 Ein Exempel von meiner Erfindung steht in den vernünft. Tadl. von dem Veilchenstocke, der Tulpe und der Blumengöttinn Flora. Imgleichen von dem Manne, seinem Hunde und der Katze; und im II. Theile derselben vom Pferde und Esel: wiewohl diese vielleicht unter die natürlichen zu zählen sind. Endlich auch im II. Theile des Biedermanns vom Hasen, der sich in den Löwenstand erheben ließ. 11. §. Dadurch aber, daß wir die erste Art der Fabeln unglaublich nennen, widersprechen wir der obigen Erklärung noch nicht; darinnen wir behaupteten, die Fabel sey eine mögliche Begebenheit. Es kann ja eine Sache wohl möglich, aber in der That bey der itzigen Ordnung der Dinge sehr unglaublich seyn. Diese Verknüpfung der wirklich vorhandenen Dinge hält ja nämlich nicht alle mögliche Dinge in sich, wie die Weltweisen darthun. Es wären andre Verbindungen endlicher Wesen eben sowohl geschickt gewesen, erschaffen zu werden, wenn es Gott gefallen hätte. Dem Dichter nun, stehen alle mögliche Welten zu Diensten. Er schränket seinen Witz also nicht in den Lauf der wirklich vorhandenen Natur ein. Seine Einbildungskraft, führet ihn auch in das Reich der übrigen Möglichkeiten, die der itzigen Einrichtung nach, für unnatürlich gehalten werden. Dahin gehören auch redende Thiere, und mit Vernunft begabte Bäume; die zwar, so viel uns bekannt ist, nicht wirklich vorhanden sind, aber doch nichts widersprechendes in sich enthalten. Man lese hier zum Beweise Hollbergs unterirrdische Reise nach; wo man beydes antreffen wird. Wie nun ein Poet hier alle Sorgfalt anwenden muß, daß er seinen Fabeln auch einen gewissen Grad der Wahrscheinlichkeit gebe: also fragt sichs, wie das in dem so genannten Unglaublichen möglich sey? Und hier ist es nicht zu leugnen, daß in der gegenwärtigen Verknüpfung der Dinge nicht leicht was zu ersinnen ist, dadurch die Sprache der Bäume, oder der Thiere wahrscheinlich wird. Allein einem Poeten ist es erlaubt, eine Fabel durch die andre wahrscheinlich zu machen; und er darf also nur überhaupt dichten: Es sey einmal eine Zeit gewesen, da alle Pflanzen und Thiere hätten reden können. Setzt man dieses zum voraus; so läßt sich hernach alles übrige hören. Man sehe das folgende VI Capitel nach. 12. §. Ferner können die Fabeln eingetheilt werden, in epische und dramatische. Jene werden bloß erzählet, und dahin gehören nicht nur die Ilias, Odyssee und Aeneis; sondern alle Romane, ja so gar die äsopischen Fabeln. Diese hergegen werden wirklich gespielet, und also lebendig vorgestellt. Dahin rechnet man also alle Tragödien, Comödien und Schäferspiele, imgleichen alle kleine dramatische Gedichte, die wirklich auf einer Schaubühne aufgeführet werden können. Man sieht gar leicht, daß dieser andre Unterscheid sich auf den ersten gründet. Denn die theatralischen Fabeln leiden nichts, als was wahrscheinlich ist, wie Horatius in seiner Dichtkunst sehr fleißig erinnert: hingegen die epischen können gar wohl auch unwahrscheinliche Fabeln von Thieren und leblosen Dingen brauchen. Tausend Dinge lassen sich gar wohl erzählen; aber den Augen läßt sich nichts vorstellen, als was glaublich ist. Die vormaligen Zeiten der Einfalt des menschlichen Geschlechts, haben so viel von Zaubereyen, und Wundergeschichten erzählet und geglaubt, und auf die Nachwelt fortgepflanzet; daß es uns nicht schwer ist, zu glauben, daß durch eine übermenschliche Kraft, alles möglich ist, was nur nicht widersprechend ist. So wird des Homers redendes Pferd, nur durch die Kraft der Minerva möglich, oder glaublich, wenn man es in die alten Zeiten setzet. Wer aber entweder dasselbe, oder Bileams Eselinn auf die Schaubühne bringen, und sie dadurch gleichsam in unsre Zeiten versetzen wollte: Dem würde Horaz zurufen: QUODCUMQUE OSTENDIS MIHI SIC, INCREDULUS ODI. 13. §. Weiter können die Fabeln, theils im Absehen auf ihren Inhalt, theils im Absehen auf die Schreibart, in hohe und niedrige eingetheilet werden. Unter die hohen gehören die Heldengedichte, Tragödien und Staatsromane: darinnen fast lauter Götter und Helden, oder königliche und fürstliche Personen vorkommen, deren Begebenheiten in einer edlen Schreibart entweder erzählet oder gespielet werden. Unter die niedrigen gehören die bürgerlichen Romane, die Schäfereyen, die Comödien und Pastorale, nebst allen äsopischen Fabeln: als worinn nur Bürger und Landleute, ja wohl gar Thiere und Bäume in einer gemeinen Schreibart redend eingeführet oder beschrieben werden. Von diesen letztern könnte man mit einigem Scheine fragen, ob sie auch zur Poesie gehöreten? Von der Comödie hat Horaz ihres niedrigen Ausdruckes halber, solches in Zweifel gezogen: IDCIRCO QUIDAM, COMOEDIA NEC NE POËMA ESSET, QUAESIUERE: QUOD ACER SPIRITUS AC VIS NEC VERBIS NEC REBUS INEST, NISI QUOD PEDE CERTO DIFFERT SERMONI, SERMO MERUS. SAT. IV. L.I. Wiewohl aus dem obigen ist leicht darauf zu antworten. Die hohe Schreibart ist zwar eine gute Eigenschaft eines Poeten, und in gewissen Gedichten unentbehrlich: aber sie allein machet noch keinen Dichter, wenn keine Fabel da ist, die darinnen vorgetragen wird. Diese hergegen bleibt, was sie ist, nämlich eine Fabel, ein Gedichte, wenn man sie gleich in der gemeinen Sprache erzählt. Sie zeigt also sattsam, daß ihr Verfasser ein Dichter gewesen, der auch wohl erhaben hätte schreiben können, wenn er gewollt hätte, und wenn es sich in dieser Art von Gedichten hätte thun lassen. Horatius selbst trägt diesen Zweifel, wegen der Comödie, nur als etwas Fremdes vor. Einige, spricht er, haben gefragt etc. Er giebt ihnen aber deswegen nicht recht; zumal da er in seiner Dichtkunst selbst erinnert, daß auch in der Comödie zuweilen die pathetische, feurige und erhabene Schreibart statt findet: wenn nämlich ein Chremes zu schelten und für Zorn zu pochen und zu poltern anfängt: INTERDUM TAMEN ET VOCEM COMOEDIA TOLLIT, IRATUSQUE CHREMES TUMIDO DELITIGAT ORE. 14. §. Die Fabeln können noch ferner in vollständige und mangelhafte eingetheilet werden. Jene erzählen diejenige Begebenheit ganz, die zu der darunter versteckten Sittenlehre gehöret: diese hergegen brechen ab, wenn die Begebenheit kaum in die Hälfte gekommen ist. Zu Exempeln einer ganzen oder vollständigen können alle die obigen dienen, die wir schon angeführet haben: denn die Erzählung geht daselbst so weit, als nöthig ist, und das Gemüthe bleibt am Ende derselben ganz ruhig; weil man den Zweck einsieht, warum sie erzählet worden. Eine mangelhafte und halbe Fabel aber war die, von dem Schatten des Esels, darüber der Eseltreiber und der Reisende in einen Streit geriethen; welche Demosthenes seinen Mitbürgern erzählte, als sie in einer wichtigen Rede, welche die Wohlfahrt ihres Staats anbetraf, sehr unachtsam waren. Denn als er ihnen dieselbe erzählet hatte, und sie alle aus ihrer vorigen Nachläßigkeit ermuntert und begierig worden waren, den völligen Verlauf seiner Geschichte zu vernehmen: so hörte er mit gutem Bedachte auf, schwieg stille, und wollte sich aus der Versammlung begeben. Weil aber die Fabel nur halb fertig war, so konnten sich die Zuhörer dadurch nicht zufrieden stellen: darum riefen sie ihn zurücke, und verlangten, daß er ihnen auch den Ausgang der ganzen Begebenheit erzählen sollte. Dabey nahm er denn Gelegenheit, ihnen ihre Leichtsinnigkeit vorzurücken, die sich um Kleinigkeiten so ernstlich, um die wichtigsten Dinge aber, die er in seiner Rede vorgetragen hatte, so wenig bekümmert und aufmerksam bezeigete. 15. §. Bey dieser Abtheilung der Fabeln muß man sich vor einem Misverstande hüten. Eine ganze Fabel erfodert nicht allemal den völligen Umfang aller Begebenheiten, die einigen Zusammenhang mit einander haben: sondern es ist genug, daß sie alles dasjenige enthält, was zu der Sittenlehre, die man vortragen will, unentbehrlich ist. Z.E. Die Ilias Homers ist eine Fabel vom Zorne des Achilles, und den traurigen Wirkungen desselben. Daher ist diese Fabel ganz, wenn der Poet zeigt: wie und woher dieser Zorn entstanden, nämlich von der Beleidigung, die Agamemnon diesem Helden zugefügt; ferner wie sich derselbe geäußert, nämlich durch die Enthaltung vom Streite, da Achilles ruhig auf seinem Schiffe geblieben; weiter, wie schädlich derselbe gewesen, weil die Griechen in seiner Abwesenheit allezeit den kürzern gezogen, Achilles selbst aber seinen besten Freund Patroklus eingebüsset; endlich wie dieser Zorn ein Ende genommen, da der Held, aus Rachgier gegen den Hektor, seines alten Grolls vergessen, den Hektor erschlagen, und also den Trojanern großen Abbruch gethan. Diese Fabel war zulänglich, die moralische Wahrheit von der schädlichen Uneinigkeit benachbarter Staaten, die Homerus in seinem Gedichte lehren wollen, in ein völliges Licht zu setzen. Es war dabey nicht nöthig, den Ursprung des trojanischen Krieges oder den Ausgang desselben zu zeigen; vielweniger von den beyden Eyern der Leda anzufangen, aus deren einem Helena, als die einzige Ursache des Krieges, war gebohren worden. Dieses wäre eine gar zu große Fabel geworden, und Horaz lobt deswegen den Homer, daß er solches nicht gethan hat. NEC REDITUM DIOMEDIS AB INTERITU MELEAGRI, NEC GEMINO BELLUM TROIANUM ORDITUR AB OUO: SEMPER AD EUENTUM FESTINAT. 16. §. Diejenigen Poeten haben also keinen rechten Begriff von der Fabel gehabt, die sich eingebildet, sie müßte so vollständig seyn, daß weder forne noch hinten das geringste daran fehlte. Dahin gehört Statius, der den ganzen Lebenslauf des Achilles in ein Gedichte gebracht; und bey den Griechen der Verfasser der kleinen Ilias, dessen Aristoteles gedenket, welcher gleichfalls den ganzen trojanischen Krieg in eins gezogen, davon uns die große Ilias nur ein Stücke von anderthalb Monaten erzählet. Dahin gehört auch Milton, der in dem verlohrnen Paradiese nicht nur den Fall Adams, und seine Ursache, nämlich die Verführung Satans; sondern auch die Schöpfung der Welt, ja was vor derselben vorgegangen, nämlich den Fall Lucifers erzählet. Vielweniger werden die Verwandelungen des Ovidius für ein einzig Gedichte können angesehen werden; als worinn eben so wenig, als in den äsopischen Fabeln, eine einzige moralische Fabel zum Grunde liegt. Die Ilias ist einem königlichen Pallaste, voller Zusammenhang, Ordnung und Schönheit gleich: Die Verwandlungen des Ovidius aber sind einer ganzen Stadt zu vergleichen, die aus so vielen Bürgerhäusern zusammen gesetzt ist, als Fabeln sie enthält; welche nicht mehr Verknüpfung mit einander haben, als daß sie an einander stoßen und mit einer Ringmauer umgeben sind. Die äsopischen Fabeln könnte man nach eben dieser Allegorie ein großes Dorf nennen, darinn jede Fabel eine Bauerhütte vorstellet, die eben so viel, ja noch mehr Thiere, als Menschen in sich zu halten pflegt. 17. §. Noch eine Abtheilung der Fabeln ist nöthig anzumerken, da sie nämlich in Haupt- und Nebenfabeln unterschieden werden. Dieser Unterscheid findet sonderlich in Heldengedichten, Romanen und theatralischen Stücken statt. Daselbst ist eine die größeste und wichtigste, die im ganzen Gedichte zum Grunde liegt, und gar wohl ohne die übrigen bestehen könnte. Auf diese kömmt denn hauptsächlich die Schönheit des ganzen Werkes an, weil sie eigentlich zum Zwecke des Verfassers führet, und die moralische Absicht desselben unmittelbar befördert. Dergleichen war die oben angeführte Hauptfabel der Ilias. Dergleichen ist auch in Sophoklis Antigone, welche Opitz verdeutschet hat, die Grausamkeit Kreons, der den Körper des Polynikes, eines Sohns des Oedipus und der Iokasta, unter freyen Himmel werfen, und die Prinzeßin Antigone, die sich ihres todten Bruders annahm, und ihn begrub, in eine Höle versperren ließ; darüber er denn nicht nur seinen Sohn Hämon, sondern auch seine Gemahlinn Euridice, einbüßete, und endlich selbst in Verzweifelung und Raserey fiel. Die Neben-oder Zwischenfabeln aber sind alle die Einschiebsel und beyläufigen Erzählungen gewisser kleinerer Begebenheiten, die mit der größern einigermaßen zusammenhangen, und theils zur Verlängerung, theils zur Abwechselung, theils auch zum Verstande der Hauptfabel etwas beytragen. Dergleichen sind in der Ilias unzähliche von Göttern und Helden, die Homer überall eingestreuet hat; in der Aeneis die Begebenheiten von der Dido, und den Lustspielen, die Aeneas seinem Vater zu Ehren angestellet hat; in dem Gottfried die Liebesgeschichte von Sophronia und Olindo; im Don Quixote der kleine Roman von Cardenio, und dem eifersüchtigen Bruder; im Telemach die Historie vom ägyptischen Könige Sesostris; in der Banise die Eroberung verschiedener Städte, und die dabey verübten Grausamkeiten, u.d.m. 18. §. Bey allen diesen poetischen Fabeln fragt sichs nun: Ob sie nothwendig moralische Absichten haben müssen? Man antwortet darauf, daß es freylich wohl möglich sey, Fabeln zur bloßen Belustigung zu ersinnen; dergleichen manches Mährlein ist, das die Ammen ihren Kindern erzählen, ja dergleichen die meisten Romanschreiber in ihren Büchern ausbrüten, auch viele unzeitige Comödienschreiber auf der Schaubühne ausgehecket haben; sie mögen nun Welsche, Franzosen, Engländer oder Deutsche seyn. Allein da es möglich ist, die Lust mit dem Nutzen zu verbinden, und ein Poet nach der bereits gegebenen Beschreibung auch ein rechtschaffener Bürger und redlicher Mann seyn muß: so wird er nicht unterlassen, seine Fabeln so lehrreich zu machen, als es ihm möglich ist; ja er wird keine einzige ersinnen, darunter nicht eine wichtige Wahrheit verborgen läge. Denn OMNE TULIT PUNCTUM, QUI MISCUIT VTILE DULCI, LECTOREM DELECTANDO PARITERQUE MONENDO. HOR. ART. POET. Die alten Griechen sind uns hier mit guten Exempeln vorgegangen. Alle ihre Fabeln stecken voller Sittenlehren, und es war eine so gemeine Sache, daß ihre Poeten erbauliche Fabeln schrieben, und auf der Bühne vorstellen ließen, daß man auch allezeit sagte: Eine Fabel, das ist eine Tragödie oder Comödie NB. lehren : VEL QUI PRAETEXTAS, VEL QUI DOCUERE TOGATAS. HORT. ART. POET. 19. §. So ist z.E. die Fabel der Odyssee beschaffen, wie Aristoteles selbst uns den Auszug davon macht. Ein König ist viele Jahre aus seinem Hause abwesend. Neptun verfolgt ihn, und beraubt ihn aller seiner Gefährten. Indessen ist bey ihm zu Hause alles in Unordnung: sein Vermögen wird verschwendet; seine Gemahlinn und sein Prinz stehen in Gefahr. Endlich aber kömmt er nach vielen Ungewittern glücklich an, erkennet etliche von den Seinigen, erlegt durch ihren Beystand seine Feinde, und bringt alles wieder in Ordnung. So ist auch die Fabel vom Oedipus, dem berühmtesten Trauerspiele, das bey den Alten ge macht worden, beschaffen. Oedipus bittet die Götter um die Abwendung der Pest, wodurch Thebe verwüstet wurde. Das Orakel antwortet: Man müsse den Tod des Königes Lajus an dessen Mördern rächen. Er untersuchet derowegen die Sache; findet aber nicht nur, daß er selbst der Thäter sey, sondern gar ein Sohn des Lajus gewesen, und folglich an der Iokasta, dessen Witwe, seine eigene Mutter geheirathet habe. Darüber bestraft er sich selbst, indem er sich die Augen ausreißt, ins Elend geht, und also seinem Volke die Gesundheit wieder herstellet. Wer sieht hier nicht, daß beyde Fabeln vollkommen moralisch sind, und die wichtigsten Lehren in sich fassen? wenn man sie gleich nur überhaupt ansieht, und der überall eingestreuten Sittensprüche nicht einmal wahrnimmt. In der ersten lehrt der Poet, die Abwesenheit eines Herrn, aus seinem Hause oder Reiche sey sehr schädlich: in der andern aber, daß die Vorhersehung der Götter untrüglich sey, und durch keine menschliche List und Vorsicht irre gemacht werden könne. Ein jeder, der nur seinen eigenen Augen trauet, wird also keines fernern Beweises nöthig haben, und die Einwürfe selbst beantworten können, die le Clerc in seinen Parrhasianis dawider gemacht, und die ich neulich den critischen Beyträgen, ins deutsche übersetzt, eingeschaltet habe. 20. §. Wie greift man indessen die Sache an, wenn man gesonnen ist, als ein Poet ein Gedichte oder eine Fabel zu machen? Dieses ist freylich das Hauptwerk in der ganzen Poesie, und also muß es in diesem Hauptstücke nicht vergessen werden. Vielen, die sonst ein gutes Naturell zur Poesie gehabt, ist es bloß deswegen nicht gelungen, weil sie es in der Fabel versehen haben. Sie haben die Charaktere, die Sitten, die Gedancken, die Gemüthsbewegungen, und die Ausdrückungen bisweilen sehr wohl eingerichtet: allein die Begebenheiten sind unwahrscheinlich, seltsam, ja widersprechend, den Zeiten und Oertern und sich selbst nicht gemäß gewesen. So viel schlechte Heldengedichte, Tragödien, Comödien und Romane sind gemeiniglich nur in diesem Stücke mangelhaft: so vieler kleiner Fabeln, in andern Gattungen der Poesie, voritzo nicht zu gedenken. Es ist also der Mühe schon werth, daß wir uns bekümmern, wie man alle Arten der Fabeln erfinden, und regelmäßig einrichten könne? 21. §. Zu allererst wähle man sich einen lehrreichen moralischen Satz, der in dem ganzen Gedichte zum Grunde liegen soll, nach Beschaffenheit der Absichten, die man sich zu erlangen, vorgenommen. Hierzu ersinne man sich eine ganz allgemeine Begebenheit, worinn eine Handlung vorkömmt, daran dieser erwählte Lehrsatz sehr augenscheinlich in die Sinne fällt. Z.E. Gesetzt, ich wollte einem jungen Prinzen die Wahrheit beybringen: Ungerechtigkeit und Gewaltthätigkeit wären abscheuliche Laster. Diesen Satz auf eine angenehme Art recht sinnlich und fast handgreiflich zu machen, erdenke ich folgende allgemeine Begebenheit, die sich dazu schicket; indem man daraus die Abscheulichkeit des gedachten Lasters sonnenklar sehen kann. Es war jemand, wird es heißen, der schwach und unvermögend war, der Gewalt eines Mächtigern zu widerstehen. Dieser lebte still und friedlich; that niemanden zu viel, und war mit dem wenigen vergnügt, was er hatte. Ein Gewaltiger, dessen unersättliche Begierden ihn verwegen und grausam machten, ward dieses kaum gewahr, so griff er den Schwächern an, that mit ihm, was er wollte, und erfüllete mit dem Schaden und Untergange desselben seine gottlose Begierden. Dieses ist der erste Entwurf einer poetisch-moralischen Fabel. Die Handlung, die darinn steckt, hat die folgenden vier Eigenschaften. 1) Ist sie allgemein, 2) nachgeahmt, 3) erdichtet, 4) allegorisch, weil eine moralische Wahrheit darinn verborgen liegt. Und so muß eben der Grund aller guten Fabeln beschaffen seyn, sie mögen Namen haben, wie sie wollen. 22. §. Nunmehro kömmt es auf mich an, wozu ich diese Erfindung brauchen will; ob ich Lust habe, eine äsopische, comische, tragische, oder epische Fabel daraus zu machen? Alles beruht hierbey auf der Benennung der Personen, die darinn vorkommen sollen. Aesopus wird ihnen thierische Namen geben, und ohngefähr sagen: Ein Schäfchen, welches ganz friedlich am Strome stund, und, seinen Durst zu löschen, trinken wollte, ward von einem Wolfe angefallen, der am obern Theile eben desselben Wassers soff, und seiner von ferne ansichtig wurde. Dieses räuberische Thier beschuldigte das Schaf, es hätte ihm das Wasser trübe gemacht; so, daß er nicht hätte trinken können: und wiewohl sich dasselbe, durch die Unmöglichkeit der Sache, aufs beste entschuldigte; so fragte der Wolf doch nichts darnach, sondern griff es an, und fraß es auf. Wollte jemand diese thierische, und folglich unglaubliche Fabel, in eine menschliche und desto wahrscheinlichere verwandeln: so dürfte man nur diejenige nachschlagen, die dort Nathan dem Könige David erzählet. Ein armer Mann, wird sie lauten, hatte ein einzig Schäfchen, welches er sehr lieb hatte: sein reicher Nachbar hergegen besaß große Heerden. Dieser letztere nun bekam Gäste, und weil er sie zwar wohl aufzunehmen, aber doch von seinen eigenen Schafen keins zu schlachten, willens war: so schickte er zu seinem Nachbar, und ließ ihm sein einzig Schäfchen mit Gewalt nehmen, es schlachten und seinen Gästen zubereiten. Dieses ist eben so wohl eine äsopische Fabel, als die obige. 23. §. Wäre ich willens, eine comische Fabel dar aus zu machen, so müßte ich sehen, daß ich das Laster der Ungerechtigkeit als ein lächerliches Laster vorstellen könnte. Denn das Auslachenswürdige gehört eigentlich in die Comödie, das Abscheuliche und Schreckliche hergegen läuft wider ihre Absicht. Ich müßte es also bey einer kleinen Ungerechtigkeit bewenden lassen, deren Unbilligkeit zwar einem jeden in die Augen fiele, die aber doch kein gar zu großes Mitleiden erwecken könnte. Die Personen, müßten hier entweder bürgerlich, oder zum höchsten adelich seyn, denn Helden und Prinzen gehören in die Tragödie. Derjenige aber, der das Unrecht thäte, müßte endlich darüber zum Spotte und Gelächter werden. Die Namen würden nur dazu erdacht, und man dörfte sie nicht aus der Historie nehmen. Ich sage also: Herr Trotzkopf, ein reicher, aber wollüstiger und verwegener Jüngling, hat einen halben Tag mit Schmausen und Spielen zugebracht; geräth aber des Abends in ein übelberüchtigtes Haus, wo man ihm nicht nur alle seine Baarschaft nimmt, sondern auch das Kleid vom Leibe zieht, und ihn so entblößt auf die Gasse hinausstößt. Er fluchet und poltert eine Weile vergebens, geht aber endlich, mit dem bloßen Degen in der Hand, Gasse auf, Gasse nieder; in dem Vorhaben, dem ersten, dem besten, mit Gewalt das Kleid zu nehmen, und also nicht ohne Rock nach Hause zu kommen. Es begegnet ihm Herr Ruhelieb, ein friedfertiger Mensch, der von einem guten Freunde kömmt, und etwas spät nach Hause geht. Diesen fällt er an, nöthiget ihn nach dem Degen zu greifen, entwaffnet, ja verwundet ihn ein wenig, und zwinget ihn also das Kleid auszuziehen und ihm zu geben. Kaum hat er selbiges angezogen, um damit nach Hause zu gehen, so stehen an der andern Ecke der Straße ein paar tüchtige Kerle, die von Herrn Ruheliebs Feinden erkauft worden, denselben wacker auszuprügeln. Diesen fällt Herr Trotzkopf in die Hände, und ob er gleich Leib und Seele schweret, daß er nicht derjenige sey, dafür sie ihn ansehen: so wird er doch wacker abgestraft; so, daß er aus Zorn und Ungeduld, Kleid, Hut und Perrücke wieder von sich wirft, und ganz braun und blau nach Hause läuft. 24. §. Weil diese Fabel zu einer vollständigen Comödie noch zu kurz ist, so müßte man etliche Zwischenfabeln dazu dichten. Herr Trotzkopf müßte irgend eine Liebste haben, der er von seiner Herzhaftigkeit vorgesagt hätte. Diese müßte nun durch das nächtliche Lärmen aufgeweckt werden, und irgend zum Fenster hinaus sehen, auch an der Stimme ihren Liebhaber erkennen. Oder es könnte sonst ein Patron desselben solches gewahr werden, der von seiner bösen Lebensart nichts gewußt hätte. Es müßten noch mehr Personen an der Sache Theil nehmen, um dadurch die Aufzüge zu füllen, und die Begebenheit wahrscheinlich zu machen. Kurz, die Abtheilung und Auszierung müßte nach den Regeln gemacht werden, die im andern Theile, wo von der Comödie insbesondre gehandelt wird, vorkommen sollen. So viel ist indessen gewiß, daß in dieser Fabel noch immer jene erstere allgemeine zum Grunde liegt, und die moralische Wahrheit, von der Gewaltthätigkeit, allegorisch in sich begreift. 25. §. Die Tragödie ist von der Comödie nur in der besondern Absicht unterschieden, daß sie an statt des Gelächters, die Verwunderung, das Schrecken und Mitleiden zu erwecken suchet. Daher pflegt sie sich lauter vornehmer Leute zu bedienen, die durch ihren Stand, Namen und Aufzug mehr in die Augen fallen, und durch große Laster und traurige Unglücksfälle solche heftige Gemüthsbewegungen erwecken können. Ich werde also sagen: Ein mächtiger König sah, daß einer seiner Unterthanen ein schönes Landgut hatte, welches er gern selbst besessen hätte. Er both ihm anfänglich Geld dafür: als jener es aber nicht verkaufen wollte, brauchte er Gewalt und List. Er ließ den Unschuldigen durch erkaufte Kläger, falsche Zeugen und ungerechte Richter vom Leben zum Tode bringen, seine Güter aber unter seine Kammergüter ziehen. Dieses ist der Grundriß zu einer tragischen Fabel, woran nichts mehr fehlt, als daß man noch in der Historie etliche Namen suche, die sich zu dieser Fabel einigermaßen schicken. Mir fällt hier gleich der König Achab ein, der den Naboth auf solche ungerechte Art um seinen Weinberg gebracht hat. Hier könnte man die Jesabel ihre Rolle auch spielen lassen, imgleichen der Ehgattinn Naboths etwas zu thun geben: so würde die Fabel zu einer Tragödie lang genug werden, und sowohl einen Abscheu gegen die Ungerechtigkeit Achabs, als ein Mitleiden gegen den unschuldig leidenden Naboth, erwecken. Die besondern Regeln des Trauerspiels werden gleichfalls im II. Theile in einem eigenen Capitel vorkommen. 26. §. Endlich folgt die epische Fabel, die sich für alle Heldengedichte und Staatsromane schicket. Diese ist das fürtrefflichste, was die ganze Poesie zu Stande bringen kann, wenn sie nur auf gehörige Art eingerichtet wird. Ein Dichter wählt also dabey in allen Stücken das beste, was er in seinem Vorrathe hat, ein so großes Werk damit auszuschmücken. Die Handlung muß wichtig seyn, das ist, nicht einzelne Personen, Häuser oder Städte; sondern ganze Länder und Völker betreffen. Die Personen müssen die ansehnlichsten von der Welt, nämlich Könige und Helden und große Staatsleute seyn. Die Fabel muß nicht kurz, sondern lang und weitläuftig werden, und in dieser Absicht mit vielen Zwischenfabeln erweitert seyn. Alles muß darinn groß, seltsam und wunderbar klingen, die Charactere, die Gedanken, die Neigungen, die Affecten und alle Ausdrückungen, das ist, die Sprache oder die Schreibart. Kurz, dieses wird das Meisterstück der ganzen Poesie. Aus dieser Ursache werde ich also meine obige Fabel so einkleiden: Ein junger Prinz, in welchem eine unersättliche Ehrbegierde brennet, suchet sich durch die Macht der Waffen einen großen Namen zu machen. Er rüstet derowegen ein gewaltiges Heer aus, überzieht erst die benachtbarten kleinen Staaten mit Krieg, bezwingt sie, und wird dadurch immer mächtiger. Durch List und Geld trennet er die Bündnisse seiner stärkern Nachbarn, greift sie darauf einzeln an, und bemeistert sich aller ihrer Länder. Da er nun endlich so groß geworden ist, als es möglich war, aber auch zugleich ein Abscheu aller Welt geworden, fällt seine Hoheit auf eine schmähliche Art, und er nimmt ein klägliches Ende. 27. §. Diese Hauptfabel eines Heldengedichtes nach den besondern Regeln desselben einzurichten, ist dieses Orts noch nicht. Ich merke nur dieses an, daß sie nicht zum Lobe der Hauptperson, sondern zur Schande derselben gereichen würde; und darinn ist sie von den berühmten Heldengedichten der Alten unterschieden. Meine allererste allgemeine Fabel, und der darinn zum Grunde gelegte Lehrsatz ließ solches nicht anders zu: die Regeln des Heldengedichtes aber verbiethen solches nicht; wiewohl ich es selber für rathsamer achte, löbliche, als strafbare Handlungen zu verewigen. Nichts mehr fehlt bey der also gestalteten Fabel, als die Benennung der Personen. Das steht aber wiederum bey mir. Ich suche in der Historie dergleichen Prinzen, die sich zu meiner Absicht schicken, und mein Vaterland insbesondre angehen. Wäre ich ein Grieche von Geburt, so würde ich mir den Xerxes wählen, der nach vielen Gewaltthätigkeiten aus der marathonischen Schlacht elendiglich entfliehen müssen. Wäre ich ein Persianer, so würde ich den großen Alexander nehmen, der nach Eroberung von halb Asien zu Babylon ein frühes Ende genommen. Wäre ich ein Römer, so würde Hannibal mein Held werden, der mit Schimpf und Schande aus Italien entweichen müssen, als Scipio seine Hauptstadt Carthago in Africa belagerte. Wäre ich ein alter Gallier, so könnte Attila die Hauptperson meines Gedichtes abgeben, der in den catalaunischen Feldern aufs Haupt geschlagen worden. Weil ich aber itzo in Deutschland lebe; so dörfte ich nur Ludewig den XIV. und dessen bey Hochstädt gedämpften Uebermuth in meinem Gedichte beschreiben. Ich würde demselben den Titel des herrschsüchtigen Ludewigs, oder des eingebildeten Universalmonarchen geben: so hätte es in diesem Stücke seine Richtigkeit, und die Nebenfabeln, sammt allen dazu gehörigen Personen müßten, nach Beschaffenheit der Umstände und Geschichte, bequemet, und also aufs wahrscheinlichste eingerichtet werden. 28. §. Aus dem allen erhellet nun sonder Zweifel, wie man mit Grunde der Wahrheit sagen könne, daß die Fabel das Hauptwerk der ganzen Poesie sey; indem die allerwichtigsten Stücke derselben einzig und allein darauf ankommen. Es ist aber auch daraus abzunehmen, mit wie vielem Grunde Aristoteles von der Dichtkunst sagen können, daß sie weit philosophischer sey, als die Historie, und viel angenehmer, als die Philosophie. Ein Gedichte hält in der That das Mittel zwischen einem moralischen Lehrbuche, und einer wahrhaftigen Geschichte. Die gründlichste Sittenlehre ist für den großen Haufen der Menschen viel zu mager und zu trocken. Denn die rechte Schärfe in Vernunftschlüssen ist nicht für den gemeinen Verstand unstudirter Leute. Die nackte Wahrheit gefällt ihnen nicht: es müssen schon philosophische Köpfe seyn, die sich daran vergnügen sollen. Die Historie aber, so angenehm sie selbst den Ungelehrten zu lesen ist, so wenig ist sie ihnen erbaulich. Sie erzählt lauter besondre Begebenheiten, die sich das tausendstemal nicht auf den Leser schicken; und wenn sie sich gleich ohngefähr einmal schickten; dennoch viel Verstand zur Ausdeutung bey ihm erfordern würden. Die Poesie hergegen ist so erbaulich, als die Moral, und so angenehm, als die Historie; sie lehret und belustiget, und schicket sich für Gelehrte und Ungelehrte: darunter jene die besondre Geschicklichkeit des Poeten, als eines künstlichen Nachahmers der Natur, bewundern; diese hergegen einen beliebten und lehrreichen Zeitvertreib in seinen Gedichten finden. 29. §. Ein jeder sieht wohl, daß die gemeinen Romane in einer so löblichen Absicht nicht geschrieben sind. Ihre Verfasser verstehen oft die Regeln der Poesie so wenig, als die wahre Sittenlehre: daher ist es kein Wunder, wenn sie einen verliebten Labyrinth in den andern bauen, und eitel Thorheiten durcheinander flechten, ihre wollüstige Leser noch üppiger zu machen, und die Unschuldigen zu verführen. Wenn sie erbaulich seyn sollten, müßten sie nach Art eines Heldengedichtes abgefasset werden, wie Heliodorus, Longus, Cervantes und Fenelon einigermaßen gethan haben. Zieglers Banise ist bey uns Deutschen noch der allerbeste Roman, das macht, daß er in wenigen Stücken von den obigen abweicht; kann auch daher von verständigen und tugendliebenden Gemüthern noch mit einiger Lust und Nutzen gelesen werden. 4 Von neuern französischen kann man den reisenden Cyrus, den Sethos, und die Ruhe des Cyrus dazu nehmen, wiewohl sie in der Dauer der Fabel, von der Regel abweichen. Von lustigen Heldengedichten sind auch Hudibras, der Pult des Boileau, die geraubte Haarlocke, und die Tänzerinn mit hieher zu rechnen. 30. §. Indessen darf niemand denken, die Fabel wäre bloß in den großen Gattungen der Gedichte brauchbar, und müßte also nicht für etwas allgemeines ausgegeben werden. Man kann sie überall anwenden, und in allen kleinern Arten der poetischen Werke mit Nutzen einmischen. In Oden, Elegien, Schäfergedichten und Satiren, ja auch in poetischen Briefen, haben die Alten und Neuen sich ihrer Dichtungskraft mit gutem Fortgange bedienet. Deswegen aber leugne ich nicht, daß nicht die erstern und unvollkommenern beyden Gattungen der Nachahmung, nämlich die Beschreibungen und Ausdrückungen der Gemüthsbeschaffenheiten, in diesen kleinern Gedichten gleichsam herrschen sollten. Eben darum aber sind sie auch für geringer zu halten, als die großen poetischen Werke, wo die Fabel zum Grunde liegt. Wer jene geschickt verfertiget, der heißt zwar auch ein Dichter, in so weit er der Natur nachahmet; aber ein Dichter von weit geringerer Fähigkeit, als einer, der, in großen moralischen Fabeln, die Handlungen der Menschen auf eine so vollkommene Art vorzustellen vermögend ist. Wer ein gut Naturell und Lust zur Poesie hat, der fängt vom Kleinen an; strebt aber mit einer löblichen Ehrliebe nach dem Vollkommensten. Wer diesen Gipfel nicht erreichen kann, der bescheidet sich auch, daß er kein großer Poet ist, und begnügt sich, wenn er unter den kleinen Dichtern einiges Lob verdienet. Unser Vaterland hat auch in der That noch nicht viel große Poeten hervorgebracht: weil wir in den großen Gattungen der Gedichte noch kein recht gutes Original aufzuweisen haben. Mit Uebersetzungen aber ist es nicht ausgerichtet. Wenn ich gleich die Ilias und Odyssee, und die Aeneis noch dazu, in die schönsten deutschen Verse übersetzte: so würde ich dadurch eben so wenig ein Poet, als die Frau Dacier durch ihre ungebundne französische Uebersetzung eine Dichterinn geworden ist. Es muß etwas Eigenes, es muß eine neue poetische Fabel seyn, deren Erfindung und geschickte Ausführung mir den Namen eines Dichters erwerben soll. Es ist aber nunmehro mit vieler Wahrscheinlichkeit zu hoffen, daß wir bald mehr dergleichen vortreffliche Geister unter unsern Landesleuten erleben werden. Fußnoten 1 Der Pater Bossü in seinem Tractate vom Heldengedichte auf der 276 S. schreibt davon so: NOUS POUVONS ENCORE METTRE AU NOMBRE DES MATIERES, QUI NE SONT PAS POETIQUES, LES DESCRIPTIONS DE PALAIS, DE JARDINS, DE BOCAGES, DE RUISSEAUX, DE NAVIRES, & DE CENT CHOSES NATURELLES & ARTIFICIELLES; LORSQUE CES DESCRIPTIONS SONT FAITES UN PEU TROP AU LONG, D'UNE MANIERE SIMPLE, PROPRE & SANS ALLEGORIE. C'EST CE, QU'HORACE NOMME DES LAMBEAUX ÉCLATANS QUE LES POETES PLACENT QUELQUESFOIS TRES-MAL, PENSANT QUE CES FAUTES SERONT DE BEAUX ORNEMENS DE LEURS OUVRAGES. CELA EST BON EN DE PETITS POEMES. d.i. Unter die Materien, die nicht poetisch sind, können wir auch die Beschreibungen von Pallästen, Garten, Gebüschen, Flüssen, Schiffen, und hundert andern natürlichen und künstlichen Dingen zählen, wenn sie ein bischen zu lang, schlechtweg, und ohne Allegorie gemacht sind. Das nennt Horaz glänzende Lappen, welche die Poeten oftmals sehr übel anbringen, und glauben, diese Fehler würden ihre Gedichte zieren. Dieß ist gut in kleine Gedichte. 2 Wie Aristoteles im VI. Capitel seiner Poetik schreibt: ἀρχὴ [μὲν οὗν] καὶ οἷον ψυχὴ [ὁ] μῦθος. 3 Τὸν δ᾽ ἄρ᾽ ὑπὸ ζυγόφι προσέφη πόδας αἰόλος ἵππος Ζάνθος [ἄφαρ δ᾽ ἤμυσε καρήατι∙ πᾶσα δὲ χαίτη ζεύγλης ἐξεριποῦσα παρὰ ζυγὸν οὖδας ἵκανεν∙ αὐδήεντα δ᾽ ἔθηκε θεὰ λευκώλενος Ἥρη∙] καὶ λίην σ᾽ ἔπι νῦν γε σαώσομεν ὄβριμ᾽ Ἀχιλλεῦ∙ ἀλλά τοι ἐγγύθεν ἧμαρ ὀλέθριον∙ οὐδέ τοι ἡμεῖς αἴτιοι, ἀλλὰ θεός τε μέγας καὶ Μοῖρα κραταιή. Iliad. L. XIX. D.i. Hierauf antwortete ihm neben dem Joche sein schnelles Pferd Xanthus: – – – Tapferer Achilles, dießmal zwar wollen wir dich noch beym Leben erhalten: Aber ehestens wird der Tag deines Todes herbeyrücken; und daran werden nicht wir Schuld haben, sondern ein großer Gott und das mächtige Verhängniß. 4 Siehe die Beurtheilung desselben in der critischen Beyträge II. Bande. Das 5. Capitel Das V. Capitel. Von dem Wunderbaren in der Poesie. 1. §. Im ersten Hauptstücke ist schon beyläufig gedacht worden, daß sichs die ältesten Dichter hätten angelegen seyn lassen, sich bey dem einfältigen Haufen ein Ansehen zu erwerben, und von ihm bewundert zu werden. Nun bewundert man nichts Gemeines und Alltägliches, sondern lauter neue, seltsame und vortreffliche Sachen. Daher mußten auch die Poeten auf etwas Ungemeines denken, dadurch sie die Leute an sich ziehen, einnehmen und gleichsam bezaubern könnten. In den ältesten Zeiten nun, war dieses eben nicht zu schwer. Den unwissenden Leuten war alles, was man ihnen vorsingen oder sagen konnte, sehr neu und seltsam: denn sie hatten noch nichts bessers gesehen oder gehört. Allein in den folgenden Zeiten hat es den Dichtern mehr Mühe gemacht. Je aufgeklärter die Zeiten wurden, desto schwerer ward es auch, das Wunderbare zu erfinden, und die Aufmerksamkeit dadurch zu gewinnen. Der Grund dieser Bemühung aber steckt in der menschlichen Neugierigkeit; und die Wirkungen habens gewiesen, daß sie nicht vergebens gewesen. An sich selbst aber ist dergleichen Mittel, die Leute aufmerksam zu machen, ganz erlaubt: wenn man nur den Endzweck hat, sie bey der Belustigung zu bessern und zu lehren. 2. §. Nun kann man wohl freylich die Fabel selbst, davon wir im vorigen Hauptstücke gehandelt haben, von dem Wunderbaren nicht ausschließen. Die äsopischen Fabeln insonderheit sind von der Art, daß sie Kindern und Einfältigen sehr wunderbar vorkommen; bloß weil es neu und seltsam zu hören ist, daß Thiere, Bäume und andere leblose Dinge vernünftig geredet haben sollen. Die Fabeln von Göttern sind völlig von eben der Gattung. Es dünkete den alten Heiden sehr wundersam zu seyn, wenn sie höreten, daß die größten himmlischen und irdischen Götter zwar sonst eben so, als wir Menschen, gleichwohl aber viel mächtiger, stärker, künstlicher, witziger und weiser, ja gar unsterblich wären, wie sie Hesiodus und Homerus beschrieben. Dieses letzte nahm die damalige Einfalt wunder, da es doch vielmehr das erste hätte thun sollen: Und sie hatten einige Ursache dazu, weil die ersten Poeten sehr unrichtige Begriffe von der Gottheit gehabt, die der Vernunft nothwendig lauter Anstoß und Aergerniß geben mußten. Die menschlichen Fabeln, die in Heldengedichten, Schauspielen und Schäfergedichten hauptsächlich herrschen, scheinen anfangs nicht viel Wunderbares in sich zu begreifen: weil lauter Personen darinn vorkommen, die gewöhnlicher Weise in der Welt zu reden und zu handeln pflegen. Allein die Verwirrungen dieser Fabeln, die mannigfaltigen unvermutheten Zufälle, die ihren Hauptpersonen begegnen, die großmüthigen oder verzagten Entschließungen, die sie dabey fassen, und andre solche Stücke mehr, machen eine sonst ganz wahrscheinliche Fabel oft so wunderbar, als ob Bäume und Thiere mit einander geredet hätten; oder als ob ein halb Dutzend Götter sichtbar erschienen wären. 3. §. Wir können also, nach dieser Anleitung, das Wunderbare in drey Gattungen eintheilen, davon die erste alles, was von Göttern und Geistern herrühret; die andre alles, was von Glück und Unglück, von Menschen und ihren Handlungen entsteht; die dritte, was von Thieren und andern leblosen Dingen kömmt, in sich begreift. Alle drey Arten setzen den Leser oder Zuschauer eines Gedichtes in Erstaunen, wenn sie nur wohl ersonnen, und glücklich angebracht worden: alle drey müssen auch nach gewissen Regeln eingerichtet werden, wenn sie nicht kindisch und lächerlich herauskommen sollen. 4. §. Das erste Wunderbare, was die Götter verursachen, ist wohl zweifelsohne der Beystand, den sie dem Poeten selbst leisten sollen. Wir finden, daß die Alten, nicht nur die Musen, sondern auch wohl andre Gottheiten, als den Jupiter, Phöbus, Bacchus, Mars, imgleichen die Venus, Diana, Sonne etc. angeruffen haben: doch haben die erstern allezeit den Vorzug behalten, daß man sie für die eigentlichen Gehülfinnen der Dichter angenommen hat. Daher entstunden nun die häufigen Anruffungen derselben, die wir in allen Arten der Gedichte antreffen. Die Poeten achteten sichs für eine Ehre, von den Musen getrieben und begeistert zu seyn, oder es wenigstens zu heißen: ja sie begaben sich fast alles Antheils, den sie an ihren Sachen hatten, um nur für göttlich erleuchtete Männer gehalten zu werden, die gleich den Propheten, nicht von sich selbst, sondern aus höherer Eingebung geredet und geschrieben hätten. Bey der Einfalt der ältesten Völker, war auch dieses etwas leichtes. Die dummen Leute, die irgend eines mittelmäßigen Poeten Verse höreten, dachten so gleich: das gienge nicht natürlich zu, daß ein solcher Mensch, wie sie, dergleichen ungemeine Dinge aus seinem eigenen Kopfe vorbringen könnte. Der Schluß war also richtig: haben sie es nicht von sich selbst; so hat es ihnen ein höheres Wesen, eine Gottheit, oder eine Muse eingegeben. Wir finden selbst in der Vertheidigungsrede des Sokrates beym Plato, daß Sokrates von den Poeten sagt: sie pflegten viele herrliche und schöne Sprüche und Sachen zu sagen; doch wären sie daher den Propheten gleich, die auch treffliche Dinge sagten, aber selbst dasjenige nicht verstünden, was sie redeten. Dergestalt könnte wohl so gar dieser Weltweise die Poeten für begeisterte Leute gehalten haben. Und warum das nicht? Zum wenigsten hat es mit ihren göttlichen Trieben eben so viel Richtigkeit gehabt, als mit seinem Geiste, der ihn allezeit gewarnet haben soll. Wenn nun die Poeten, diesem gemeinen Wahne zu folgen, fleißig die Musen anriefen: so klang es in den Ohren des Pöbels so andächtig, als wenn heutiges Tages die Prediger Gott um seinen Beystand zu ihrer Arbeit anflehen; und folglich machte es dem Dichter ein gutes Ansehen. Und daher mag es vielleicht gekommen seyn, daß so gar Lucretius, der doch keine Vorsehung oder Wirkung der Götter in der Welt glaubte, eben das Buch, von der Natur der Dinge, darinn er diese Lehre vorzutragen willens war, mit einer Anruffung der Göttinn Venus angefangen hat. 5. §. Wie aber alle Dinge großen Misbräuchen unterworfen sind, so geht es auch mit dem Anruffen der Musen. Die heidnische Mythologie ist niemals systematisch vorgetragen worden: daher ist es denn geschehen, daß auch die alten Poeten vielfältig wider ihr eigen Fabelsystema verstoßen haben, indem sie die Musen zur Unzeit angeruffen. Man kann an allen Gedichten die Forme von der Materie, oder die äußere Gestalt von dem Innhalte unterscheiden, und dabey verschiedene Fehler anmerken, die von den Poeten begangen worden. Der Forme nach ist ein Gedichte entweder groß, oder klein; entweder episch, oder dramatisch; entweder in erhabener Schreibart abgefaßt, oder in einer niedrigen und gemeinen Art des Ausdruckes geschrieben. Da wird es nun leicht zu begreifen seyn, daß ein Poet wohl in großen, epischen und erhabenen: aber nicht in kleinen, dramatischen und niedrigen Gedichten die Musen anruffen müsse. Die Ursache ist bald zu finden. Die Kräfte eines Menschen, von gutem aufgewecktem Kopfe, langen zur Noth, auch nach der Einfältigsten Geständnisse, schon zu, ein Sonnet, ein Madrigal, eine Arie, kleine Ode, Satire, ja auch wohl Elegien, Briefe und Schäfergedichte zu verfertigen. Was ist es also nöthig, in solchen Kleinigkeiten den göttlichen Beystand der Musen zu suchen? 6. §. Sollte man es nun wohl denken, daß auch die allerbesten Dichter des Alterthums, eine so deutliche Wahrheit nicht erkannt haben sollten? Gleichwohl ist es leicht zu erweisen: und man muß sich also auf ihre Exempel nicht beruffen, um unsre Regel umzustoßen. Die Alten sind nämlich auch Menschen gewesen, und haben also irren können. Z.E. Virgil scheint dieses nicht allezeit bedacht zu haben, indem er in seinen Eklogen gar oft die Musen anrufft; da doch diese Art von Gedichten so was schweres, und erhabenes nicht an sich hat. Z.E. SICELIDES MUSAE, PAULLO MAIORA CANAMUS. VOS QUAE RESPONDERIT ALPHESIBOEUS, DICITE PIERIDES. NON OMNIA POSSUMUS OMNES. Horaz ist hierinn viel bescheidner gewesen, weil er wohl unzähliche kleine Oden, Briefe und Satiren gemacht, ohne die Musen ein einzigmal anzuruffen. Nur wenn er etwas größeres machen will, dergleichen die IV. Ode des III. Buches ist, so hebt er an: DESCENDE COELO, & DIC AGE TIBIA, REGINA LONGUM CALLIOPE MELOS. Oder wenn er eine Jubelode abfasset, so wendet er sich an verschiedene Gottheiten. Siehe sein Carmen saeculare. PHOEBE SILUARUMQUE POTENS DIANA, LUCIDUM COELI DECUS, O COLENDI SEMPER, & CULTI, DATE QUAE PRECAMUR TEMPORE SACRO. & C. Hieraus ist nun leicht zu schließen, daß die heutigen Poeten, die in allen elenden Hochzeit- und Leichenversen der Musen Hülfe haben wollen, die Hoheit dieser Göttinnen schlecht verstehen, wenn sie sich einbilden, daß sie sich um ihrer elenden Kleinigkeiten wegen viel bemühen würden. Es würde auch bey so vielem magern Zeuge nicht leicht zu besorgen seyn, daß man ihre Einfälle für etwas Uebermenschliches halten möchte. 7. §. Die epischen Gedichte heißen hier alle diejenigen, darinn der Poet selber redet, ob er gleich zuweilen auch andre redend einführet. Hierinn geht es nun freylich an, daß er die Musen nach Beschaffenheit der Sachen anruffen könne. Sie mögen nun von ernsthafter, oder lustiger, oder scherzhafter Art seyn. So hat Homer so wohl in der Ilias, als in der Batrachomyomachie, Virgil so wohl in der Aeneis, als in s. CULEX, so wohl Tasso im Gottfried, als Tassoni, in dem geraubten Siegel; so wohl Milton im Paradiese, als Buttler im Hudibras; so wohl Chapelain in der Jungfer von Orleans, als Scarron in der Gigantomachie eine gewisse Muse angeruffen. Allein in dramatischen Gedichten oder Schauspielen, wo der Poet gar nicht zum Vorscheine kömmt, sondern lauter andere Personen die Fabel spielen läßt, da ist es gar wider alle Wahrscheinlichkeit, daß eine von denselben, entweder für sich, oder im Namen der andern, den Beystand der Musen anrufen soll. Denn sie werden ja nicht als Poeten vorgestellet, die etwas dichten wollten; sondern als schlechte Menschen, die aus eignen Kräften nach Veranlassung der Umstände reden und handeln. Diese Regel ist auch von den Alten und Neuern so wohl beobachtet worden, daß man nichts weiter davon hinzusetzen darf. 8. §. Die erhabne Schreibart, ist von der gemeinen Art zu reden durch die edlen, geistreichen und feurigen Ausdrückungen sehr unterschieden, wie man im folgenden zeigen wird. Wenn also ein Poet recht was Hohes schreibt, welches ihm nicht ein jeder vermögend ist nachzuthun: so sieht man wohl, daß er sich des Beystandes der Musen mit guter Wahrscheinlichkeit rühmen, sie auch deswegen mit Recht darum anrufen könne. So hat z.E. Neukirch in dem schönen Trauergedichte auf die Königinn in Preußen, Charlotte, und Pietsch in dem Gesange auf den Prinz Eugen sich der Anrufung mit gutem Rechte bedienet; weil beyde in der erhabenen Schreibart abgefaßt sind. Auch Günther, in seiner langen Ode auf diesen Helden, würde nicht darum zu tadeln seyn, wenn er nur nicht oft in die allerniedrigste Schreibart gesunken wäre. Schreibt man aber ein kurzes Gedichte, oder sonst eine Kleinigkeit, in der gemeinen Sprache des Pöbels, die nichts Edles, nichts Feuriges, nichts Ungemeines hat: so wäre es abermal lächerlich zu sagen, daß er solches mit Hülfe der Musen verfertiget hätte; welche sich gewiß von ihren Hügeln so tief nicht herunter zu lassen pflegen. Es versteht sich aber, daß hier so wohl die scherzhaften Heldengedichte, als größere poetische Werke ausgenommen seyn müssen; zumal sie zuweilen wohl gar eine edle Schreibart haben. 9. §. Ihrem Inhalte nach, sind die Gedichte entweder unter die historischen oder dogmatischen, oder auch unter die prophetischen zu rechnen. Hier fragt sichs nun, ob alle drey Gattungen, oder nur eine davon für die Musen gehöret? Von den historischen ist wohl kein Zweifel: denn die Musen sind Töchter der Mnemosyne; dadurch die Fabel unfehlbar anzeiget, daß die Wissenschaft alter Geschichte ihnen eigen sey. Die Spuren davon findet man überall in den Poeten; zu geschweigen, daß Clio insbesondre der Historie vorgesetzet worden. Man muß dabey bemerken, daß die Musen sich nicht um gemeine und überall bekannte Dinge anrufen lassen, die man auch ohne ihre Hülfe wissen kann. Es würde ungereimt seyn, wenn ich sie ersuchte, mir die Thaten Alexanders oder Cäsars zu offenbahren, davon alle Bücher voll sind. Es müssen verborgene, und ganz ins Vergessen gerathene Dinge seyn, dabey man sich ihren Beystand ausbittet. So machts Homer am Ende des ersten Buchs seiner Ilias. Er bittet die Musen, ihm alle die Armeen und ihre Heerführer zu entdecken, die sich bey Troja versammlet, welche damals gewiß kein Mensch mehr zu nennen wußte. Freylich hat er sie selbst nach der Wahrscheinlichkeit erdichtet: aber seine Erzählung würde nicht so viel Glauben gefunden haben, wenn er sich nicht gestellet hätte, als ob ihm die Musen solches eingegeben. Denn man hätte gleich gefragt, woher er doch alle die Nachrichten hätte? 10. §. Eben so hats Virgil gemacht. Er will gleich im Anfange seiner Aeneis wissen, warum doch Juno so erzürnt gewesen, welches gewiß ein bloßer Mensch nicht wissen konnte: darum schreibt er, nach Amthors Uebersetzung: Inzwischen gieb mir erst, o Muse, zu erkennen, Warum der Himmel doch so heftig konnt entbrennen? Warum Junonens Zorn, durch ihres Eifers Macht, Auch selbst die Frömmigkeit in solche Noth gebracht, In so gehäufte Noth? Ist das auch wohl zu loben, Daß selbst die Götter so vor Wuth und Rache toben? Darauf fängt er an, Dinge zu erzählen, die unter den Göttern im Himmel und auf Erden vorgegangen, und die vielleicht noch keinem in den Sinn gekommen waren; aber doch nach der heidnischen Theologie nichts Unmögliches oder Unglaubliches in sich hielten. Eben so macht ers an verschiedenen Orten mitten im Gedichte, wo er bald eine, bald die andre Muse, bald alle zugleich um die Offenbarung gewisser Umstände aus alten Geschichten anrufet. Z.E. im VII. B. NUNC AGE, QUI REGES, ERATO, QUAE TEMPORA RERUM, QUIS LATIO ANTIQUO FUERIT STATUS; ADUENA CLASSEM CUM PRIMUM AUSONIIS EXERCITUS ADPULIT ORIS? EXPEDIAM, ET PRIMAE REUOCABO EXORDIA PUGNAE. Und bald darauf in eben dem Buche: PANDITE NUNC HELICONA, DEAE, CANTUSQUE MOUETE, QUI BELLO EXCITI REGES? QUAE QUEMQUE SECUTAE COMPLERINT ACIES? QUIBUS ITALA IAM TUM FLORUERIT TERRA ALMA VIRIS, QUIBUS ARSERIT ARMIS? ET MEMINISTIS ENIM DIUAE, ET MEMORARE POTESTIS; AD NOS VIX TENUIS FAMAE PERLABITUR AURA. Im IXten Buche rafft er die Calliope insbesondre an; wie vorhin die Erato. VOS O CALLIOPE PRECOR, ADSPIRATE CANENTI, QUAS IBI TUNC FERRO STRAGES, QUAE FUNERA TURNUS EDIDERIT; QUEM QUISQUE VIRUM DEMISERIT ORCO; ET MECUM INGENTES ORAS EUOLUITE BELLI: ET MEMINISTIS ENIM DIUAE, ET MEMORARE POTESTIS. Und abermal bey solcher Gelegenheit in demselben Buche: QUIS DEUS, O MUSAE, TAM SAEUA INCENDIA TEUCRIS AUERTIT? TANTOS RATIBUS QUIS DEPULIT IGNES: DICITE. PRISCA FIDES FACTO, SED FAMA PERENNIS. 11. §. Was die dogmatischen Sachen anlangt, so wird wohl freylich in ungebundner Schreibart niemand den Beystand der Musen anruffen: wo er nicht eben so ungereimt handeln will, als Valerius Maximus, der im Anfange seiner zusammengestoppelten Histörchen den Kaiser Tiberius, als eine Gottheit anrufft, ihm in seiner Arbeit beyzustehen, die doch so leicht war, daß sie keines Beystandes bedorfte; oder als Varro, der ein Buch vom Ackerbaue schreibet, und im Anfange desselben die Feldgötter anruffet, ihm zu helfen, da er doch solches von sich selbst schon ausführen konnte. Allein was in poetischer Schreibart von den dogmatischen Dingen ausgearbeitet worden, als des Aratus Gedichte von der Sternwissenschaft, Lucretii Bücher von der Naturlehre, Virgils Bücher vom Feldbaue, Opitzens Gedichte vom Berge Vesuv, von Ruhe des Gemüths u.d.gl. da fragt sichs, ob man die Musen oder sonst eine Gottheit anruffen solle: im Falle nämlich, daß das Werk so groß und so wohl geschrieben ist, daß man Ursache dazu hat. Ueberhaupt sind die Musen nicht Göttinnen der Weisheit oder der Wissenschaften; sondern der Poesie, der Musik und der Geschichte, mit einem Worte, der freyen Künste. Man muß also billig von ihnen nichts fodern, als was ihnen zugehört. Die Vernunftschlüsse gehören für die weise Pallas; der Feldbau für die Feldgötter, als Sonn und Mond, Bacchus und Ceres, für die Faunen und Nymphen, für den Pan und Neptun, für die Minerva u.s.w. Alle diese rufft Virgil in seinen GEORGICIS zu Hülfe: ja er setzt endlich noch gar den Cäsar dazu, als der vielleicht auch nach seinem Tode ein Feldgott werden könnte. Lucretius, wie ich bereits oben gedacht, hat auch die Göttinn Venus, als die Vorsteherinn der Erzeugung angeruffen; welches ihm als einem Dichter, nicht übel genommen werden kann: ohngeachtet es ihm, als einem epikurischen Weltweisen, der keine Vorsehung und Hülfe der Götter in menschlichen Dingen glaubte, sehr schlecht anstund, dergestalt wider sein eigen Lehrgebäude zu handeln. Opitz endlich, hat die Natur oder vielmehr den Urheber aller Dinge um seinen Beystand angeruffen, welches einem christlichen Poeten allerdings wohl ansteht. 12. §. Horaz hat in der XI. Ode des III. Buches den Mercur als einen Gott der Beredsamkeit um seinen Beystand angeruffen, als er ein recht bewegliches und herzrührendes Liebeslied machen wollte. Dieses scheint der Form nach unrecht zu seyn, weil Mercur weder Verse noch Liebeslieder machen kann. Allein, dem Inhalte nach, geht es doch an. Denn zu geschweigen, daß derselbe die Musik versteht und dazu singt; wie Horaz anführt: so ist er ja ein Gott der Beredsamkeit, der ihm alle die Vorstellungen und Bewegungsgründe eingeben konnte, die er nöthig hatte, das Gemüth seiner geliebten Lyde zu gewinnen. Denjenigen Fehler aber kann ich nicht entschuldigen, wenn Virgil im IV. Buche seines Gedichtes vom Feldbaue schreibt: QUIS DEUS HANC, MUSAE, QUIS NOBIS EXTUDIT ARTEM; VNDE NOUA INGRESSUS HOMINUM EXPERIENTIA COEPIT? Was bekümmern sich die Musen um die Bienenzucht? Und wie konnte sich der Poet einbilden, die Göttinnen der freyen Künste, würden die Kunstgriffe des Feldlebens herzuzählen wissen? Pan und Ceres möchten ihm davon Nachricht gegeben haben: es wäre denn, daß man sagen wollte, die Musen wüßten dieses nur als eine bloß historische Sache zu erzählen. Noch vielweniger aber kann folgendes aus der III Ekloge gelten. PIERIDES, VITULAM LECTORI PASCITE VESTRO. Denn wie kann mans immermehr den Musen zumuthen, den Helikon zu verlassen, und Viehhirtinnen zu werden? Große Leute fehlen auch; aber ihr Versehen, muß uns behutsam machen. 13. §. Wir kommen auf die prophetischen Sachen, darinn manchmal ein Poet etwas Künftiges vorhersagt. Hier fragt sichs, ob man es von den Musen fordern könne, dem Poeten dergleichen bevorstehende weitentfernte Begebenheiten vorherzusagen? Die Mythologie lehret aber nirgends, daß sie Sybillen oder Wahrsagerinnen gewesen: folglich muß ein Dichter, der etwas prophezeihen will, den Apollo zu Hülfe ruffen, und diesen weissagenden Gott um die Offenbarung des Zukünftigen anruffen. Und aus diesem Grunde kann abermal Virgil eines Fehlers beschuldiget werden, weil er in der IV. Ekloge die sicilianischen Musen, das ist, die Schäfermusen des Theokritus, im Anfange des Gedichtes anruffet, etwas höhers hören zu lassen, als sie sonst gewohnt wären. SICELIDES MUSAE, PAULO MAIORA CANAMUS, NON OMNES ARBUSTA IUUANT HUMILESQUE MYRICAE. Denn zu geschweigen, daß die Schäfermusen auf ihren Haberröhren und Schalmeyen unmöglich einen Trompetenklang erzwingen können; und er also die Calliope, als eine Heldenmuse, hätte anruffen müssen: so zeiget auch der Verfolg der Ekloge, daß dieses Hohe, welches er von ihr fordert, nichts anders als eine Prophezeihung von den bevorstehenden glücklichen Zeiten gewesen; die allen Auslegern so viel Schwierigkeiten gemacht hat. Wie haben die Musen ihm dieses immermehr einzugeben vermocht? Wie sind sie auf einmal der Pythia ins Amt gefallen, und zu Prophetinnen geworden? Wenn man dichten könnte, was sich nicht mit einander reimet, so könnte mans auch keinem Maler verübeln, wenn er auf einen Pferdehals einen Menschenkopf setzen, Flügel anfügen, und endlich einen Fischschwanz dazu malen wollte: welches doch alle Welt, mit Horazen, für auslachenswürdig erklären würde. Was noch sonst bey Anruffung der Gottheiten, in den Heldengedichten insbesondre, zu sagen ist, das soll an gehörigem Orte vorkommen. 14. §. Ich fahre nun zu den andern Arten des Wunderbaren fort, so von den Göttern herrühret: und das sind die Wunderwerke, die durch ihre unmittelbare Wirkung geschehen. Die Poeten haben sich derselben in Heldengedichten und Tragödien sehr häufig bedienet, sind aber nicht allezeit glücklich damit gewesen. Ovidius hat gar ein ganzes Buch mit solchen poetischen Wundern angefüllet, und die Sache aufs höchste getrieben: so, daß seine Verwandlungen auch bey den Heiden selbst alle Wahrscheinlichkeit überstiegen haben. Es ist wahr, daß man in allen Religionen den Göttern und Geistern mehr Macht zugestanden hat, als bloßen Menschen; und daß es daher nicht umgereimt ist, in Fällen, wo sichs der Mühe verlohnet, zu dichten, es wäre ein Wunderwerk von Gott geschehen. Wer aber hierinn sein Urtheil nicht zurathe zieht, der wird handgreiflich verstoßen. Die göttliche Macht erstreckt sich auf alles Mögliche; aber auf nichts Unmögliches: daher muß man sich nicht auf sie beruffen, seine ungereimte Einfälle zu rechtfertigen. Der Schild des Achilles, den Homerus beschreibt, gehört unter diese Classe. Denn weil es nicht möglich ist, so viel seltsame und widersinnische Dinge auf eine Fläche von solcher Enge und Beschaffenheit zu bringen; was sich auch die Frau Dacier und ihr Kupferstecher für Mühe darüber gegeben: so sollte auch von rechtswegen Vulcans Kunst nicht zu Bescheinigung eines solchen falschen Wunders gebraucht worden seyn; wie im folgenden Capitel ausführlicher soll gezeiget werden. Virgil ist auch voll solcher Wunder, die nicht zum besten angebracht, oder übel ausgesonnen sind. Die gestrandeten Schiffe verwandeln sich in Seenymphen. Ein Baum läßt Blut fließen, da er in die Rinde gehauen wird, und derjenige, der darunter begraben liegt und halb verfault ist, muß anfangen zu reden. Aus dem Baume, im Eingange der Höllen, ist ein güldner Ast gewachsen. Die Vögel prophezeihen mit menschlicher Stimme und Sprache u.a.m. Alle diese Wunder sind entweder ohne Noth, oder nicht mit genugsamer Wahrscheinlichkeit erdacht. 1 15. §. Was die heidnischen Poeten von ihren Göttern für Wunderdinge haben geschehen lassen; das haben die christlichen Dichter den Engeln und Teufeln zugeschrieben. Daher kommen die vielfältigen Zauberhistorien, die in so vielen Ritterbüchern und Romanen, ja selbst im Tasso und andern seinen Landesleuten vorfallen. Die Meynungen der Critikverständigen sind hiervon sehr uneins. Es ist gewiß, daß man diese Leute mit der herrschenden Meynung ihrer abergläubischen Zeiten eben sowohl entschuldigen kann; als die alten Poeten, wegen der Fabeln von ihren Göttern, in Betrachtung der heidnischen Theologie, entschuldiget werden. Aber es ist auch eben so unleugbar, daß es besser sey, sich solcher Arten des Wunderbaren zu bedienen, die allen Zeiten und Orten gemein sind und bleiben. Wer kann sich itzo des Lachens enthalten, wenn Tasso in seinem IV. Buche den Teufel mit solchen Hörnern, dagegen alle Berge und Felsen nur wie kleine Hügel zu rechnen sind; ja gar mit einem langen Schwanze abmalet, und ohne Maaß und Ziel allerley tolle Zaubereyen von seinem Anhange geschehen läßt. Wer merkt die Ausschweifung nicht, wenn des Raimunds Schutzengel im VII. Buche, aus der himmlischen Rüstkammer, einen diamantnen Schild von solcher Breite holet, daß er vom Caucasus, bis an den Atlas, alle Länder und Meere damit bedecken könnte. Miltons Erfindungen sind nicht viel besser ausgesonnen. Satan, der ganze Feldweges lang ist, erfindet in dem Streite mit dem Michael und seinen Engeln die ersten Carthaunen, und braucht sie mit solchem Erfolge, daß ganze Geschwader von himmlischen Geistern dadurch zu Boden geworfen und zurücke getrieben werden. Endlich, da diese betäubten Streiter wieder zu sich selbst kommen, reißen sie ganze Gebirge, (denn auch Berge giebt es in dem miltonischen Himmel vor Erschaffung der Welt,) aus ihren Wurzeln, und werfen sie den Teufeln mit solcher Wuth an die Köpfe, daß sie taumelnd zu Boden stürzen, und also der Sieg sich wieder auf die gute Partey zu lenken beginnet. Dieses Wunderbare ist viel zu abgeschmackt für unsre Zeiten, und würde kaum Kindern ohne Lachen erzählet werden können. 16. §. Eben dahin rechne ich die Zauberey, die Voltaire in seine Henriade gebracht, dadurch ein jüdischer Hexenmeister der Königinn, Heinrich den vierten, als den künftigen Reichsfolger ihres Sohnes, herbannen muß. Und dieses thue ich mit desto größerm Rechte, weil eben dieser Poet in seinem Discurse vom Heldengedichte den Tasso und Milton deswegen getadelt hat, daß sie solche Zaubereyen und Teufeleyen in ihre Gedichte gemenget: da er sich doch eben dieses Fehlers nothwendig bewußt seyn mußte; wie der englische Criticus, der sein Heldengedichte geprüfet, gar wohl erinnert hat Denn was war es nöthig, solche Zauberkünste und Alfanzereyen in einer neuen Schrift wieder aufzuwärmen; nachdem sie fast durchgehends lächerlich geworden, und auch von den Einfältigsten nicht mehr geglaubet werden. Die CONTES DE FÉES dienen ja nur zum Spotte und Zeitvertreibe müßiger Dirnen, und witzarmer Stutzer: führen aber auch nicht die geringste Wahrscheinlichkeit bey sich. Ein heutiger Poet hat also große Ursache in dergleichen Wunderdingen sparsam zu seyn. Die Welt ist nunmehro viel aufgeklärter, als vor etlichen Jahrhunderten, und nichts ist ein größeres Zeichen der Einfalt, als wenn man, wie ein andrer Don Quixote, alles, was geschieht, zu Zaubereyen machet. 2 Ich gedenke dieses trefflichen Buches mit Fleiß allhier; weil dessen Verfasser Cervantes sehr viel dazu beygetragen hat, daß die abentheurlichen Fabeln aus Ritterbüchern und Romanen allmählich abgeschaffet, oder doch weit behutsamer, als vormals geschehen, eingerichtet worden. 17. §. In theatralischen Gedichten findet das Wunderbare, welches von Göttern herrühret, auch statt. Es erscheinet zuweilen eine Gottheit auf der Bühne, zuweilen verrichtet sie ein Wunderwerk, diesem oder jenem Helden aus der Noth zu helfen. Bald wird etwas prophezeihet, bald gezaubert; alles dieses gehört zum Wunderbaren der Schaubühne. Daß die Heiden in ihren Schauspielen sich zuweilen vermischter Fabeln bedienet haben, darinne so wohl Götter, als Menschen, vorkommen, das ist ihnen gar nicht zu verdenken. Homer war gleichsam ihre Bibel, und darinnen stunden sehr viel Erscheinungen der Götter beschrieben, die in alten Zeiten geschehen seyn sollten. Es war also ihrer Theologie eben so wohl gemäß, dieselben zu glauben; als der Unsrigen, daß im alten Testamente den Gläubigen vielmals Engel erschienen sind. Wer bey uns von Adam und Eva, von Loth, von Abraham und Jacob, von David, Nebucadnezar, Daniel und Tobias Schauspiele machte; der würde eher getadelt werden, wenn er die Engel wegließe, als wenn er sie beybrächte. Das erste Weltalter hat bey allen Völkern das Vorrecht, daß man ihm gern viel Wunderbares zuschreibt: ja was man itzo seinen eigenen Augen nicht glauben würde, das dünket den meisten sehr möglich und wahrscheinlich; wenn es nur vor drey oder vier tausend Jahren geschehen seyn soll. Man lese hier nach, was Herr Fontenelle in seinem Discurse vom Ursprunge der Fabeln, den ich in den eigenen Schriften und Uebersetzungen der deutschen Gesellschaft verdeutschet habe, für Ursachen davon gegeben hat. Es habens derowegen auch die Griechen und Römer schon beobachtet, daß sie zwar diejenigen Fabeln ihrer Schauspiele, die aus den ältesten Zeiten hergenommen sind, mit einigen göttlichen Erscheinungen und Wundern ausgeschmücket: aber in denen, die sie aus neuern Zeiten entlehnet, haben sie sich derselben aufs sorgfältigste enthalten. Daher hat auch Horaz die Regel gemacht: NEC DEUS INTERSIT, NISI DIGNUS VINDICE NODUS INCIDERIT. 18. §. In der That erfordert es nicht viel Verstand, alle Augenblick einen Gott vom Himmel kommen zu lassen, um dem Schauspiele auszuhelfen, wenn es widerwärtig ablaufen will; wo nicht ein höherer Beystand dazu kömmt. Das heißt mehrentheils den Knoten zerschneiden, aber nicht auflösen. Und darinn verstoßen gemeiniglich unsere Opernschreiber. Weil sie ihre Schauspiele gern so wunderbar machen wollen, als es möglich ist: so denken sie fleißig auf Maschinen, das ist, auf göttliche Erscheinungen, Verwandlungen, und andre poetische Seltenheiten, welche die Augen des Pöbels blenden. Und weil sich dieselben nicht in alle Fabeln schicken wollen, so werden sie mit den Haaren dazu gezogen: damit nur ja etwas vom Himmel herunter komme, wie man zu reden pflegt. Wenn nun ihre Stücke noch aus der ältesten heidnischen Fabel hergekommen sind, darinn solche Erscheinungen längst das Bürgerrecht erhalten haben; so kann man ihnen ihre Wundersachen noch gelten lassen: dafern sie nur der obigen Regel des Horaz nachkommen, und nicht ohne Noth die Götter bemühen; auch nicht in allen Opern die Maschinen für unentbehrlich halten wollen. Wenn ich aber dieses den Opern einräume, so will ich es den andern Schauspielen darum nicht gestatten. Des Plautus Amphitryo und des Moliere seiner stellen uns den Jupiter und Mercur, auf eine sehr unwahrscheinliche Art vor. In dem französischen Timon, den man in der deutschen Gesellschaft III. Th. auch übersetzt findet, ist gleichfalls die Erscheinung Mercurs, und die Verwandlung des Esels in einen Menschen ein solches Wunderbares, welches keine Entschuldigung findet, wenn man es den Augen vorstellt. 19. §. Eben das kann von den Zaubereyen und bösen Geistern gesagt werden. Auch ein seichter Witz ist geschickt, einen Hexenmeister auf die Schaubühne zu stellen, der einen Zaubersegen nach dem andern hermurmelt, einen astrologischen Ring mit Characteren verkauft, diesen unsichtbar, jenen unbeweglich, einen andern unkenntlich macht, ja wohl gar ein halb Dutzend junge Teufel herzubannet. Das Mährchen von D. Fausten hat lange genug den Pöbel belustiget: Und man hat ziemlicher maßen aufgehört, solche Alfanzereyen gerne anzusehen. Daher muß denn ein Poet große Behutsamkeit gebrauchen, daß er nicht unglaubliche Dinge auf die Schaubühne bringe, vielweniger sichtbar vorstelle. Die italiänische Schaubühne, und das THEATRE DE LA FOIRE zu Paris wimmeln von solchen Hexereyen: ja auch das bessere französische Theater fängt schon an auf solche Alfanzereyen zu verfallen, wie man aus einigen neuern Stücken z.E. LE ROI DE COCAGNE, und L'ORACLE, erhellet. Horaz hat dieses auch längst verbothen, wenn er will, daß man die Progne nicht in einen Vogel, den Cadmus nicht in eine Schlange verwandeln solle; imgleichen, daß niemand auf der Schaubühne einer Hexe das aufgefressene Kind lebendig wieder aus dem Leibe solle ziehen lassen. Das wäre eben so viel, als wenn ich Bileams Eselinn redend einführen, oder den Edelmann vor den Augen des Schauplatzes zum Schweine wollte werden laßen. Wer nicht weis, wie lächerlich dieses ist, der darf nur den Peter Squenz des Andreas Gryphius nachlesen, wo so gar die Wand und der Brunn, der Mond und der Leue, als redende Personen aufgeführet werden. Da kann es denn wohl mit Recht heißen: QUODCUNQUE OSTENDIS MIHI SIC, INCREDULUS ODI. Denn es ist gewiß, daß dergleichen Dinge, die man bey einer bloßen Erzählung eben nicht für ungereimt gehalten haben würde, ganz und gar ungläublich herauskommen, wenn wir sie mit eigenen Augen ansehen, und also das Unmögliche, so darinn vorkömmt, in voller Deutlichkeit wahrnehmen können. 20. §. In andern kleinern Gedichten gehören hauptsächlich die Fabeln unter das Wunderbare. So fängt Horaz die 19te Ode des andern Buches an. Er erzählt, wie er den Bacchus auf einem entlegenen Felsen sitzend gesehen, wo er die Nymphen und bockfüßigten Satiren Lieder gelehret habe. BACCHUM IN REMOTIS CARMINA RUPIBUS VIDI DOCENTEM, (CREDITE POSTERI!) NYMPHASQUE DISCENTES & AURES CAPRIPEDUM SATYRORUM ACUTAS. Oder man erzählt eine Verwandlung, die sich irgend womit zugetragen haben solle, oder noch zutragen werde; wie ebenfalls Horaz thut, wenn er in der XX. Ode des II. Buchs sagt, daß er selbst zum Schwane werden, und sich hoch über alles erheben wolle. Dergleichen Dinge nun klingen zwar wunderbar; sind aber darum nicht ungereimt: zumal wenn ein allegorischer Verstand darunter verborgen liegt, den ein jeder leicht finden kann. Man merkt es also gleich, was der Poet damit im Sinne gehabt, und wenn nur sonst nichts Widersinnisches in der Fabel vorkömmt, so wird man sie nicht verwerfen. Fehlte aber dieser, so würde man auch aus solchen Fabeln nicht viel zu machen haben: wie z.E. aus Lucians wahrhaften Lügen, aus den CONTES DES FÉES, der Fabel von den honigsüssen Lippen, in den Belustigungen des Verstandes und Witzes; u.d.gl. 21. §. Es dörfen aber unsere neue Fabeln deswegen nicht alle auf heidnische Art herauskommen. Man kann allegorische Personen darinn aufführen, die nach ihrer Art characterisiret werden, ohne an die Götter der Griechen und Römer zu denken. Wir sind es längst gewohnt, von Tugenden und Lastern, von den vier Jahreszeiten, den verschiedenen Altern des Menschen, den Welttheilen, Ländern und Städten, ja Künsten und Wissenschaften, als von so vielen Personen zu reden: daher können ja nach solcher Anleitung unzählige Fabeln erdacht werden, die allegorischer Weise etwas bedeuten. Deßwegen aber dörfen doch die alten bereits bekannten Namen aus der Mythologie nicht ganz verworfen werden. Man weis es längst, daß Mars den Krieg, Pallas die Weisheit, Apollo die freyen Künste, Venus die Liebe, Hymen den Ehestand, Ceres den Sommer, Flora den Frühling, Pomona den Herbst, Bacchus den Wein, Neptunus die See, Aeolus den Wind, Juno den Stolz, Plutus den Reich thum, u.s.w. vorstellen. Die Zesianer waren also lächerlich, daß sie die ganze Mythologie verwarfen, und dadurch dem Poeten hundert artige Allegorien entzogen. Wer sich nur nicht in gar zu tiefe Fabeln des Alterthums steckt, wenn er auch von Ungelehrten verstanden werden will; der ist deswegen nicht zu tadeln. Auf die Namen kömmt es nicht an; und es ist ja besser, daß man bey dem, was schon eingeführt ist, bleibet, als daß sich ein jeder eine neue Sprache machet. Die Sternseher haben es mit den Benennungen der Gestirne, die sie von den Alten bekommen, auch so gemacht, und uns dadurch ein gutes Exempel gegeben. 22. §. Von dem Wunderbaren, das von den göttlichen und andern geistlichen Dingen herrühret, kommen wir auf das Wunderbare, was von den Menschen und ihren Handlungen entsteht. Diese sind entweder gut oder böse; entweder gemein oder ungemein; entweder wichtig oder von keiner Erheblichkeit. So wohl das Gute als das Böse kann wunderbar werden, wenn es nur nicht etwas gemeines und alltägliches, sondern etwas ungemeines und seltsames ist; imgleichen wenn es von großer Erheblichkeit zu seyn scheint, welches aus dem Einflusse zu beurtheilen ist, den es in die Welt hat. Ein König ist also weit mehr zu bewundern, als ein Bürger; und ein hoher Grad der Tugend und des Lasters mehr, als ein geringerer, der uns gar nichts neues ist. Da nun die Poesie das Wundersame liebet, so beschäfftiget sie sich auch nur mit lauter außerordentlichen Leuten, die es entweder im Guten oder Bösen aufs höchste gebracht haben. Jene stellt sie als lobwürdige Muster zur Nachfolge; diese aber, als schändliche Ungeheuer, zum Abscheue vor. Eine mittelmäßige Tugend, rühret die Gemüther nicht sehr. Ein jeder hält sich selbst für fähig dazu, und also machen dergleichen wahre oder erdichtete Exempel wenig Eindruck: wenn gleich sonst alle poetische Künste in Beschreibung oder Vorstellung derselben angewandt wären. Mit den Lastern gehts eben so. 23. §. Daher sucht sich ein kluger Poet lauter ungemeine Helden und Heldinnen, lauter unmenschliche Tyrannen und verdammliche Bösewichter aus, seine Kunst daran zu zeigen. Ein Achilles mit seinem unauslöschlichen Zorne; ein Ulysses und seine unüberwindliche Standhaftigkeit; ein Aeneas und seine ausnehmende Frömmigkeit; ein Oedipus in seinen abscheulichen und unerhörten Lastern; eine Medea in ihrer unmenschlichen Raserey; ein August mit seiner außerordentlichen Gnade gegen einen rebellischen Cinna; eine ehrliebende Chimene mit ihrem tapfern Roderich, u.d.m. Das sind Menschen und Thaten, die wunderbar sind, und ohne alle Beyhülfe andrer Seltsamkeiten die Leser oder Zuschauer eines Gedichtes entzücken können. Die Geschichte sind voll von solchen Helden und Handlungen: und ein verständiger Poet kann leicht Namen finden, treffliche Bilder großer Tugenden und Laster zu entwerfen; wenn er nur moralische Einsicht genug besitzet, dieselben recht zu bilden. Weil aber seichte Geister und ungelehrte Versmacher dazu nicht fähig sind: so geschieht es, daß man uns anstatt des wahrhaftig Wunderbaren mit dem Falschen aufhält; anstatt vernünftiger Tragödien, ungereimte Opern voller Maschinen und Zaubereyen schreibet, die der Natur, und wahren Hoheit der Poesie zuweilen nicht ähnlicher sind, als die geputzten Marionetten, lebendigen Menschen. Solche Puppenwerke werden auch von Kindern und Unverständigen als erstaunenswürdige Meisterstücke bewundert und im Werthe gehalten. Vernünftige Leute aber können sie ohne Ekel und Gelächter nicht erblicken, und würden lieber eine Dorfschenke voll besoffener Bauren in ihrer natürlichen Art handeln und reden, als eine unvernünftige Haupt- und Staatsaction solcher Opermarionetten spielen sehen. 24. §. Die oben erzählten Exempel des Wunderbaren habe ich aus den berühmtesten Heldengedichten und Trauerspielen gezogen. Man darf aber nicht denken, diese Gattungen der Gedichte wären allein der Sitz des Wunderbaren in der Poesie. Denn ob sie gleich hauptsächlich zu ihrer Absicht haben, die Leser und Zuschauer durch die Bewunderung und durch das Schrecken zu erbauen; so ist doch deswegen das Lustspiel mit den übrigen Arten der Gedichte davon nicht ausgeschlossen. Auch hier kann man das Seltene, das Ungemeine dem andern vorziehen, und seine Gedichte dadurch beliebt machen. Nur die Natur und Vernunft muß, wie allenthalben, also auch hier, nicht aus den Augen gesetzet werden. Z.E. Wenn ich in einer Comödie einen Geizhals vorstelle, so muß ich freylich keinen mittelmäßigen Geiz abbilden, den noch viele für eine Sparsamkeit ansehen könnten; sondern ich muß alles zusammen suchen, was ich an verschiedenen kargen Leuten bemerket habe, und aus diesen Stücken einen vollkommenen Geizhals zusammen setzen: wie jener Maler aus den vier schönsten Personen einer ganzen Stadt die Schönheit abmerkte, die er einer Minerva zu geben, willens war. Ich könnte also meinen Geizhals das Gold von den Pillen schaben, und alles übrige thun lassen, was Canitz in seiner Satire vom Harpax gesagt hat. Da wäre noch alles wahrscheinlich; so seltsam es auch wäre, und so wunderbar es aussehen würde. Aber wenn ich den Harpax so mistrauisch vorstellete, daß er seinen Bedienten, die von ihm giengen, allezeit die Hände und Taschen besuchte, ehe er sie herausließe; ja ihm wohl gar, nach Aufweisung beyder Hände, die Worte in den Mund legte: Ey die dritte Hand ? Das, dünkt mich, hieße das Wunderbare in diesem Laster aufs höchste treiben; und ein jeder würde dieses zwar für einen leichtfertigen Einfall des Poeten, aber für kein wahres Nachbild der Natur ansehen. 25. §. So gehts auch in dem Affecte der Liebe, des Zornes, der Traurigkeit u.s.w. Das Wunderbare muß noch allezeit in den Schranken der Natur bleiben und nicht zu hoch steigen. Was ist gemeiner, als daß man in Romanen, in Schauspielen und andern verliebten Gedichten die Buhler, so rasend abbildet, daß sie sich alle Augenblick erhenken, erstechen und ersäufen wollen? Was ist aber auch ausschweifender als dieses? Daher ist es denn gekommen, daß diese Art des eingebildeten Wunderbaren schon längst lächerlich geworden, und nur der Poesie zum Schimpfe gediehen ist. Das Seltsame in allen Arten muß noch natürlich und glaublich bleiben, wenn es die Bewunderung, nicht aber ein Gelächter erwecken soll. Die Traurigkeit wird ebenfalls auf eine solche Art ausschweifend, wenn der Poet nicht stets die Natur vor Augen hat. Es ist so schwer, einen hohen Grad derselben poetisch vorzustellen, als abzumalen. Da nun Timantes die Klugheit gebraucht, bey dem Opfer der Iphigenia, den Vater dieser Prinzeßinn mit verhangenem Gesichte zu malen: so muß sich ein Dichter dieses zur Lehre dienen lassen. Aus Furcht, den Schmerz eines außerordentlich Betrübten unnatürlich zu machen, muß er ihn lieber durch eine geschickte Verhölung, oder durch ein gänzliches Stillschweigen und Verstummen ausdrücken. Des Herrn von Bessers Schmerz über seine Kühleweininn, ist mir allezeit gar zu geschwätzig vorgekommen: und es scheint mir nicht glaublich, daß ein außerordentliches Leid so viel auserlesene Rednerkünste leiden könne. Er erschöpfet seine ganze Einbildungskraft, seinen Jammer auszudrücken; und das Unglaublichste ist dabey, daß er diese seine Klage zu der Zeit gehalten habe, da er eben das Leichengefolge auf der Gasse gesehen, wie ausdrücklich darinnen steht. Gieng er denn irgend nicht mit zu Grabe? Oder hatte er auf der Gasse Zeit, sie so sinnreich zu beklagen? Der Affect hat bey dem Verluste einer ungemeinen Ehgattinn ungemein und wunderbar seyn sollen: er ist aber unglaublich geworden. Besser hat als ein künstlicher Poet; nicht als ein trostloser Witwer geweinet. 26. §. Ich will hiemit diesen ganzen Ausdruck der Traurigkeit nicht verwerfen: es ist so viel Schönes darinn, als in irgend einem Klaggedichte, welches wir haben. Wer aber eine recht seltsame Klagrede poetisch abgefaßt lesen will, der schlage Salomon Franken nach, wo er die Susanna von ihrem Manne und ihren Kindern Abschied nehmen läßt. Er bemüht sich, einen so gerechten Schmerz einer unschuldig Verurtheilten in seiner höchsten Vollkommenheit vorzustellen, und ihn recht wunderbar zu bilden; verfällt aber darüber ins Abgeschmackte: wie es gemeiniglich denen geht, die etwas unternehmen, dem sie nicht gewachsen sind. Ich will doch ein Stücke davon hersetzen: so hebt sie auf der 52. S. an: Nun du, du wirst es, du! du! Gott, du wirst es rächen, Dir, schreyt Susanna, dir, Herr, ist mein Herz bekannt. Weh! weh! weh! über – – und als sie mehr will sprechen, Sinkt sie in Ohnmacht – – – – Hätte der Poet es dabey bewenden lassen, so hätte man es für eine glückliche Nachahmung der Natur angesehen, und die Größe ihres ungemeinen Schmerzens aus der sie überfallenden Ohnmacht geschlossen. Allein der Poet wollte das Heulen und Weinen eines wehmüthigen Weibes noch besser abschildern: darum läßt er sie wieder aufleben, und mit achtzig langen Versen einen ziemlich ausführlichen Abschied von den Ihrigen nehmen: Ach gute Nacht, mein Mann! ach gute Nacht! o Schmerzen! Ach Liebster, nimm doch! ach! die Kinder wohl in acht. Und, süße Mutter, du, als die du unterm Herzen Mich, ach! getragen hast, viel tausend gute Nacht! Ach gute Nacht, o Welt! du Kerker voller Buben, Du ungetreues Haus! vor deinen Augen zwar Bin ich itzund verdammt: doch wird auch nach der Gruben Mein' Unschuld wunderlich noch werden offenbar. Ach gute Nacht! ach! ach! ach! gute Nacht, o Schmerzen! Ach Liebster! nimm doch ach! die Kinder wohl in acht: Und süße Mutter du, als die du unterm Herzen Mich, ach! getragen hast; viel tausend gute Nacht! Nun, gut'! ach! gute Nacht! ach gute Nacht! o Sorgen, Ey! Ey! daß! ach! daß Gott! ach Gott! daß Gott erbarm! Ihr zarten Kinder! ach! auch euch ist noch verborgen, Was ihr itzund verliert. O Schmerz! o Gram! o Harm! Ich muß in bester Blüt euch lassen. Ach! o Scheiden! Ach! ach! wie schwer! ach! schwer! wie! ach! wie schwer bist du! O Schmach! ach Weh! o Schmach! o Schmach! die ich muß leiden, O Schmach! du kränkest mich am meisten noch darzu. etc. etc. 27. §. Das ist nun allererst der vierte Theil des Aechzens und Wehklagens; darüber einem Zeit und Weile lang wird, wenn man es hintereinander durchlesen will. Die ersten vier Zeilen giengen noch an, weil sie einen kurzen Abschied von Mann und Mutter in sich enthalten; der ziemlich natürlich ist. Die andern viere, die an die Welt gerichtet sind, kommen schon künstlicher heraus. Denn die Welt einen Kerker voller Buben zu nennen, das ist für ihre Traurigkeit gar zu studiert. Warum sagt sie nicht lieber zu den beyden Alten: ihr ehrvergeßnen Buben! das war meines Erachtens leichter von ihr zu vermuthen, da ihr der Abschied so schwer ward, und die Aeltesten allein Schuld daran hatten. In den folgenden vier Zeilen kommen die ersten viere von Wort zu Wort wieder vor, und das läuft wider die Natur und wird also unglaublich. Wie ist es möglich, eine und dieselbe Klage, die aus sechs und dreyßig Wörtern besteht, zweymal hinter einander zu wiederholen, ohne eine Sylbe darinn zu ändern. Ja! wenn Susanna Frankens Verse auswendig gelernt, und sie als eine Comödiantinn auf der Schaubühne hergesagt hätte! Es kömmt eben so heraus, als die Wiederholungen, die im Homer vorkommen, womit die Kunstrichter niemals zufrieden gewesen. Das folgende insgesammt ahmet zwar das unterbrochene Reden und Schluchzen eines weinenden Weibes einigermaßen nach: aber es überschreitet das Maaß, und erwecket anstatt der Verwunderung und des Mitleidens lauter Ekel. Es ist auch un möglich, daß eine Klage, die mit Thränen und häufigen Seufzern, ja bey gehemmtem Athemholen verrichtet wird, so lange dauren könne; welches ein jeder selbst wahrnehmen wird, wenn er die ganze Stelle nachliest. Ich will itzo nicht untersuchen, ob der Poet wohlgethan, daß er die Unschuld und Tugend so kleinmüthig und verzagt zum Tode geführt hat: denn warum hat er sie nicht lieber standhaft und großmüthig gebildet? Ich erinnere nur, wie leicht man aus Begierde zu dem Ungemeinen und Wunderbaren zu gelangen, ins Abgeschmackte und Ekelhafte verfallen könne. So wahr ists, was Horaz sagt: QUI VARIARE CUPIT REM PRODIGIALITER VNAM, DELPHINUM SILUIS APPINGIT, FLUCTIBUS APRUM. IN VITIUM DUCIT CULPAE FUGA, SI CARET ARTE. 28. §. Ich könnte noch von dem Wunderbaren, das in Glücks- und Unglücksfällen vorkömmt, allhier handeln. Dieses betrifft ebenfalls die Menschen, und gehöret also in diese Classe. Die Begebenheiten, davon die Poeten ihre Gedichte verfertigen, müssen auch in der That eben sowohl seltsam und ungemein seyn, als die Personen und Handlungen derselben. Es muß ihren Helden viel Unvermuthetes begegnen, welches bald zu ihren Absichten behülflich ist, bald denselben zuwiderläuft. Theils entsteht dieses aus den Wegen der göttlichen Vorsehung, die Großen und Kleinen oft einen Strich durch ihre Rechnung macht, und ihnen ganz andere Wege zeiget, als sie zu gehen gedacht: theils aber kömmt es auch unmittelbar von andern Leuten her. Diese hindern oft einander in ihren Verrichtungen und Absichten; es sey nun unwissend, oder mit gutem Bedachte: und daher entstehen so viel plötzliche Veränderungen, daß man darüber erstaunet, ob es gleich alles ganz natürlich zugeht. Eben dahin rechne ich die Verkleidung und Entdeckung gewisser Personen, die bisweilen einer Sache schleunig einen andern Ausschlag giebt; die Ankunft abwesender Personen, der Tod der Kranken, oder das unvermuthete Leben derer, die man für Tod gehalten. Auch Processe, die man gewinnt oder verliert, Erbschaften, die man thut, Testamente, Heirathen, Briefe, u.d.m. verursachen oft recht wunderbare Zufälle. Doch weil in allen diesen Stücken hauptsächlich die Intrigue, der Knoten, oder die Verwirrung der Fabeln besteht, die in Schauspielen hauptsächlich vorkömmt: so muß ich es bis dahin versparen. 29. §. Die dritte und letzte Gattung des Wunderbaren ist diejenige Art desselben, die auf Thiere und leblose Dinge ankömmt. Diese braucht nun ein Poet am wenigsten, weil er sich mehrentheils mit den Menschen beschäfftiget, und das Uebrige nur in so weit braucht, als es hierzu dienlich seyn kann. Neue Gattungen von Thieren zu dichten, ist wohl kaum erlaubt, weil es doch nur Chimären werden könnten, die in einem bekannten Lande keinem glaublich vorkämen. Die Rabinnen und Mahometaner beschreiben solche große Vögel und Fische, daß man ihre lächerliche Phantasie mehr; als die Misgeburten derselben bewundert. Aus weit entlegenen Ländern läßt sich zuweilen etwas Wunderbares entlehnen: man muß aber wohl zusehen, daß man nichts Ungereimtes mit einstreue, was unglaublich ist. Siam und Perou, Ceylon und Japan, sind schon mit solchen lügenhaften Wundern angefüllet worden: daß die Einwohner dieser Länder große Ursache hätten, uns mit den Chinesern für einäugigte zu halten; weil wir solche Narrenpossen von ihren Ländern schreiben und glauben. Das beste und vernünftigste Wunderbare ist, wenn man auch bey Thieren und leblosen Dingen nur die Wunder der Natur recht nachahmet, und allezeit dasjenige wählt, was die Natur am vortrefflichsten gemacht hat. Es kömmt hier alles auf gute Beschreibungen recht außerordentlich schöner, großer, erschrecklicher und schlechter Sachen an; denn die mittelmäßigen werden nichts Wunderwürdiges abgeben. Beschreibet man eine Gegend, einen Garten, ein Gebäude, einen Wald, einen Berg, eine Höle, eine Heerde Vieh, eine Jagd u.d.m. So muß dieses alles nach der Absicht des Poeten in seiner Vollkommenheit geschildert werden. Nur die edelsten Dinge muß man der Phantasie des Lesers vormalen, um dieselbe zu gewinnen. 30. §. Zuweilen treibt man in Oden und Heldengedichten die hyperbolischen Ausdrückungen so hoch, indem man von leblosen oder unvernünftigen Dingen redet, daß es recht wunderbar klinget. Deswegen aber will ich nicht sagen, daß ein Poet immer mit Gold und Perlen, Rubinen und Diamanten um sich werfen; lauter Adler und Löwen, Panther und Tyger bey sich führen, lauter Jasmin, Nelken und Zibeth streuen, lauter Ambrosin und Nectar auftragen, oder sonst alle Kostbarkeiten Indiens verschwenden solle. Diesen Misbrauch hat der sel. Hofr. Neukirch in dem Gedichte schon lächerlich gemacht, welches im Vorberichte zu der übersetzten horazischen Dichtkunst großentheils eingerücket worden. Imgleichen lese man den deutschen Antilongin nach, den Herr M. Schwabe aus dem englischen übersetzt, und mit Exempeln aus unsern Poeten erläutert hat. Davon wird aber in dem Capitel von den verblümten Ausdrückungen mehr vorkommen. Die ovidianischen und äsopischen Fabeln könnten auch einigermaßen hieher gezogen werden, weil jene den Ursprung vieler Thiere und Blumen u.s.w. anzeigen; diese aber viel Wunderbares von solchen Geschöpfen erzählen. Allein weil hiervon schon oben gehandelt worden, so ist eine Wiederholung hier unnöthig. Ob man aber auf der Schaubühne Drachen, Löwen, Bären, und andre Thiere vorstellen dörfe, oder solle, davon lese man den Zuschauer im I. und II. Theile nach, der die Opern mit diesen lächerlichen Dingen, an verschiedenen Orten verspottet hat. 31. §. Die Gestirne sind endlich noch übrig, von denen die Poeten auch viel seltsames und ungemeines zu erzählen pflegen. Die Cometen, die sich sehen lassen, haben bey ihnen gemeiniglich eine böse Bedeutung, und einen wunderbaren Einfluß. Die Sonn- und Mondfinsternisse werden von den Alten sehr schrecklich beschrieben; ja die Ungewitter, Erdbeben, Schiffbrüche und Sturmwinde, machen auch einen großen Theil des Wunderbaren in ihren Schriften aus. Was die ersten Stücke anlangt, so muß man freylich die Alten entschuldigen; wenn sie sich aus den himmlischen Zeichen zu viel gemachet haben. Man verstund dazumal die Naturlehre sehr schlecht: allein itzo würde es eine Schande für den Poeten seyn, wenn er uns viel von dem Einflusse des Himmels reden, und seine Leser mit langen Beschreibungen eines Nordlichts, fallenden Sterns, oder einer Sonn- und Mondfinsterniß, aufhalten wollte. Auch klingt die gewöhnliche Opersprache sehr lächerlich, wenn es immer heißt, die Sterne, der Himmel, und seine Lichter hätten dieses oder jenes gethan: es wäre denn, daß man darunter das Verhängniß oder die Vorsehung verstehen könnte. Die Leute in Gestirne zu verwandeln, das geht heute zu Tage nicht mehr an, nachdem der ganze Himmel so genau überzählt ist, daß man keinen etwas großen Stern finden kann, der nicht schon vorhin bekannt gewesen wäre, es müßte denn zum Scherze seyn, wie Pope in seinem Lockenraube, Belindens Haar zum Sterne werden lassen. Erschiene aber irgend ein neuer Stern, so könnte freylich ein Poet dichten, daß dieses oder jenes dazu Gelegenheit gegeben hätte. 32. §. Die letztern Stücke aber, die oben erwähnet worden, kann ein Dichter mit gutem Fortgange brauchen. Ungewöhnliche Witterungen, Schiffbrüche, fruchtbare und unfruchtbare Jahre, pestilenzialische Seuchen, Feuersbrünste, Verheerungen des Krieges, hohe Gebirge, schöne Thäler voller Dörfer und Heerden, u.d.gl. sind freylich sehr wunderbar, wenn sie nur natürlich beschrieben werden. Das ist aber die Kunst! In Opitzens Vesuv und Zlatna, imgleichen in seinem Trostgedichte von Widerwärtigkeit des Krieges, stehen ganz unvergleichliche Exempel davon. Auch Dach und Flemming sind große Meister darinn gewesen, die man sicher nachahmen kann. Von den alten, ist Homer sonderlich darinn zu loben, daß er auch den natürlichsten Dingen, durch seine Beschreibungen ein wunderbares Ansehn zu geben gewußt, worinn Virgil und Ovidius, ihm ziemlich gut nachgefolget sind. Diesen Meistern muß man die Kunst ablernen. Fußnoten 1 NATURAM INTUEAMUR, HANC SEQUAMUR: ID FACILLIME ARRIPIUNT ANIMI, QUOD AGNOSCUNT. sagt Quintil. im III. Capitel des 8. Buches, d.i. Man schaue auf die Natur, und dieser folge man: denn das dringt am tiefsten in die Gemüther, was sie einsehen. 2 Man kann auch hieher ziehen, was Quintilian in einer andern Absicht geschrieben: ABOLITA & ABROGATA RETINERE, INSOLENTIAE CUIUSDAM EST, & FRIUOLAE IN PARUIS IACTANTIAE. d.i. Abgeschaffte und vergessene Dinge beybehalten wollen, ist eine Art von Verwegenheit, und eine muthwillige Pralerey in Kleinigkeiten, zu nennen. Siehe das VI. Capitel des ersten Buchs. Das 6. Capitel Das VI. Capitel. Von der Wahrscheinlichkeit in der Poesie. 1. §. Aus dem vorigen Capitel wird man zur Gnüge ersehen haben, daß das Wunderbare in der Dichtkunst nicht ohne Unterscheid statt findet: Es muß auch glaublich herauskommen, und zu dem Ende weder unmöglich noch widersinnisch aussehen. Daher kömmt es denn, daß man auch im Dichten eine Wahrscheinlichkeit beobachten muß, ohne welche eine Fabel, Beschreibung, oder was es sonst ist, nur ungereimt und lächerlich seyn würde. Ich verstehe nämlich durch die poetische Wahrscheinlichkeit nichts anders, als die Aehnlichkeit des Erdichteten, mit dem, was wirklich zu geschehen pflegt; oder die Uebereinstimmung der Fabel mit der Natur. Horaz hat gleich im Anfange seiner Dichtkunst die Thorheit eines Malers verspottet, der in einem Gemälde einen Menschenkopf auf einen Pferdehals setzen, einen Vogelkropf mit bunten Federn hinzufügen, und den Leib aus Gliedmaßen verschiedener anderer Thiere zusammen flicken wollte. Die Ursache dieser seiner Regel aber ist keine andre, als weil solch ein Bild wider alle Wahrscheinlichkeit laufen würde. Es thut auch der Einwurf dieser Vorschrift keinen Eintrag, den er sich im Namen gewisser poetischen Freygeister machet. PICTORIBUS ATQUE POËTIS QUIDLIBET AUDENDI SEMPER FUIT AEQUA POTESTAS. Denn, wie schon oben in den Anmerkungen der Uebersetzung dieser Stelle erinnert worden, so beantwortet er denselben gleich darauf so, daß er die Freyheit im Dichten in gebührende Grenzen einschränket. SCIMUS, & HANC VENIAM PETIMUSQUE DAMUSQUE VICISSUN: SED NON VT PLACIDIS COËANT IMMITIA; NON VT SERPENTES OUIBUS GEMINENTUR, TIGRIBUS AGNI. Was heißt das anders gesagt, als daß ein Poet in seinen Fabeln beständig die Regeln der Wahrscheinlichkeit vor Augen haben müsse? 2. §. Vielleicht denkt jemand, dieses sey demjenigen zuwider, was in dem Capitel von der Fabel schon gesagt worden. Wir theilten da die Fabeln in glaubliche, unglaubliche und vermischte ein, und rechneten zu den unglaublichen die meisten äsopischen, wo nämlich die unvernünftigen Thiere redend eingeführet werden. Soll nun die Wahrscheinlichkeit in allen Gedichten herrschen, so wird man etwa sprechen: so müssen ja alle diese thierische Begebenheiten ganz verworfen und aus der Poesie verbannet werden. Allein man muß hier die poetische Wahrscheinlichkeit in eine unbedingte und eine bedingte Wahrscheinlichkeit abtheilen. Jene findet sich freylich in den äsopischen Fabeln nicht, wenn Bäume und Thiere als vernünftige Menschen handelnd eingeführet werden. Nach dem gemeinen Laufe der Natur pflegt solches nicht zu geschehen; daher pflegt man auch Kindern bey Erzählung solcher Fabeln vorherzusagen: sie hätten sich damals zugetragen, als die Thiere noch reden konnten; wodurch man ihnen zugesteht, daß solche Begebenheiten freylich, nach der itzigen Beschaffenheit der Thiere, keinen Schein der Möglichkeit an sich hätten. 3. §. Deswegen aber kann man doch diesen Fabeln die hypothetische Wahrscheinlichkeit nicht absprechen, die unter gewissen Umständen dennoch statt hat, wenn gleich so schlechterdings keine vorhanden wäre. Daß z.E. die Bäume sich einen König wählen können, das ist an sich selbst, in dieser Welt, weder möglich noch wahrscheinlich: gleichwohl macht dort im Buche der Richter Jotham eine schöne Fabel dar aus, der es an ihrer hypothetischen Wahrscheinlichkeit nicht im geringsten mangelt. Denn man darf nur die einzige Bedingung zum voraus setzen, daß die Bäume etwa in einer andern Welt Verstand und eine Sprache haben: so geht alles übrige sehr wohl an. Es wird möglich und wahrscheinlich seyn, daß sie in ihrer Wahl auf den Oelbaum fallen werden, und daß der Oelbaum solches abschlagen und sagen wird: Soll ich meine Fettigkeit lassen etc. Es wird möglich seyn, daß sie ferner auf den Feigenbaum gerathen können; und daß dieser ihnen gleichfalls eine abschlägige Antwort geben wird: Soll ich meine Süßigkeit lassen etc. u.s.w. Hier thun weder die Bäume überhaupt, noch jeder ins besondre etwas, das nach der einmal angenommenen Bedingung unmöglich wäre. Ein Oelbaum redet, wie ein Oelbaum, und ein Feigenbaum, wie ein Feigenbaum reden würde, wenn beyde den Gebrauch der Sprache hätten. Hier ist also nichts Widersprechendes in der Begebenheit, folglich auch nichts Unwahrscheinliches. Daß nun dergleichen hypothetische Wahrscheinlichkeit in der Fabel zulänglich sey, das habe ich oben in der Beschreibung derselben schon sattsam angezeiget; und daß Homerus dieselbe beobachtet habe, zeiget Horatius, wenn er von ihm schreibet: ATQUE ITA MENTITUR, SIC VERIS FALSA REMISCET, PRIMO NE MEDIUM, MEDIO NE DISCREPET IMUM. 4. §. Will man hiervon in Aristotels Poetik das IXte und XXVste Capitel nachschlagen, so wird man finden, daß seine Gedanken eben dahinaus laufen; ohngeachtet er sich zuweilen harter Ausdrückungen bedienet. Le Clerc, in seinen Parrhasianis hat sich sonderlich darüber aufgehalten, daß dieser Philosoph gesagt: Die poetische Wahrscheinlichkeit gehe zuweilen bis aufs Unvernünftige . Allein, wer das Exempel ansieht, welches Aristoteles davon gegeben, nämlich da Achilles den Hektor dreymal rund um die Stadt Troja getrieben, die Armeen aber indessen stockstille gestanden, wie Homer in der Ilias erzählt: so wird man wohl sehen, daß dieses so ungereimt nicht ist, als es wohl scheint. Freylich ließe sich solches auf der Schaubühne nicht wahrscheinlich vorstellen, wie Aristoteles selbst gesteht. Allein in einem Heldengedichte, wo man nur die Erzählungen liest, da kann es wohl wahrscheinlicher klingen; sonderlich, wenn der Poet das Unglaubliche dabey künstlich zu verstecken weis. Zum wenigsten hat Homer diese Kunst gewußt; denn er erzählt diese Fabel so künstlich, daß man mit den Gedanken ganz auf die beyden Helden verfällt, und die beyden Armeen darüber ganz vergißt. So wird denn die Wahrscheinlichkeit zum mindesten in so weit erhalten, als dieselbe von einem Leser des Heldengedichtes verlanget wird: gesetzt, daß die Sache an sich selbst wunderlich genug aussehen würde. Ueberdem darf man sich nur erinnern, daß uns auch die alten Geschichtschreiber mehr als eine solche Begebenheit erzählen, da die Heerführer, vor den Augen ihrer Heere sich in einen hitzigen Zweykampf eingelassen, und nicht eher nachgelassen, als bis einer von beyden auf dem Platze geblieben. 5. §. Ueberhaupt ist von der Wahrscheinlichkeit dieses anzumerken, daß oft eine Sache, die an sich unglaublich und unmöglich aussieht, durch den Zusammenhang mit andern Begebenheiten, und unter gewissen Umständen nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich und glaublich werden könne. Dahin gehören, zum Exempel, viele Fabeln, wo die Götter oder andre Geister darzwischen kommen. Diesen trauet man ja größere Kräfte zu, als bloßen Menschen. Wenn nun dieselben einem Helden, oder sonst einem von ihren Lieblingen zu gefallen, etwas außerordentliches unternehmen, das man sonst nicht glauben würde; so wird dieses eben dadurch wahrscheinlich, wenn es nur nicht an und für sich selbst unmöglich ist. Hierwider hat nun Homer gewiß verstoßen, wenn er den Vulcan solche künstliche Werke verfertigen läßt, die ganz unbegreiflich sind. Er macht Dreyfüsse oder Stühle, die von sich selbst in die Versammlung der Götter spazieren. Er schmiedet goldene Bildseulen, die nicht nur reden, sondern NB. auch denken können. Er macht endlich dem Achilles einen Schild, der eine besondere Beschreibung verdient. Erstlich ist er mit einer so großen Menge von Bildern und Historien gezieret, daß er zum wenigsten so groß müßte gewesen seyn, als des Tasso diamantner Schild, aus der himmlischen Rüstkammer, dessen oben gedacht worden. Fürs andre sind seine Figuren auf dem Schilde lebendig, denn sie rühren und bewegen sich, so, daß man sich selbige wie die Mücken vorstellen muß, die rund um den Schild schweben. Fürs dritte, sind zwo verschiedene Städte darauf zu sehen, die zwo verschiedene Sprachen reden, und wo zween Redner sehr nachdrückliche und bewegliche Vorstellungen an das Volk thun. Wie ist es möglich, das alles auf einem Schilde auch durch eine göttliche Macht zuwege zu bringen? Kurz, Homerus hat sich versehen, und die Wahrscheinlichkeit nicht recht beobachtet. 6. §. Eben das kann man von seinen Göttern sagen, die er noch viel ärger, als die unvollkommensten Menschen geschildert hat. Sie sind wie Menschen gebohren, verheirathen sich wie Menschen, und vermehren ihre Geschlechter wie Menschen. Sie sind allen unsern Leidenschaften, Krankheiten, ja gar der Gefahr des Todes unterworfen. Sie werden verwundet, vergießen Blut, und haben so gar einen Balbier nöthig. Sie zanken sich, drohen einander Schläge, und verspotten sich, wie die kleinen Kinder. Es ist wahr, daß zu Homers Zeiten, die Lehre von Gott noch in dicken Finsternissen gestecket hat. Die Philosophen hatten sich noch nicht auf die Untersuchung der göttlichen Natur geleget: und von einer Offenbarung wußte man nichts. Was uns also heute zu Tage sehr unwahrscheinlich vorkömmt, das konnte damals dem Volke sehr wahrscheinlich klingen. Dem ungeachtet hätte doch Homerus die Gottheiten nicht so verächtlich abbilden sollen, als er gethan hat. Man hielt sie zwar größtentheils für gewesene Menschen, aber doch für solche, die vergöttert, das ist, in einen vollkommnern Zustand versetzet worden. Dieses hätte also auch aus ihren Beschreibungen und Thaten erhellen müssen, damit man desto mehr Ehrerbiethung gegen sie bey sich empfunden hätte. Da nun dieses der Poet nicht gethan, so sind einige auf die Gedanken gekommen: er habe mit Fleiß die Götter so lächerlich beschrieben, theils das Lob seiner Helden destomehr zu erheben, theils, die ernsthaften Thaten derselben mit etwas lustigem abzuwechseln, und also dem Ekel seiner Leser zuvorzukommen. 7. § Kommen wir auf seine Helden, so hat man auch da ein vieles bemerket, was wider die Wahrscheinlichkeit läuft. Etliche rechnen das Hauptwerk des ganzen Gedichtes, nämlich den trojanischen Krieg hieher, und meynen, es sey ungereimt, zu glauben: daß sich zwey tapfere Völker, um eines schönen Weibes willen, zehn Jahre lang die Köpfe zerschmeißen würden. Allein dieses geschieht ohne Grund. Man muß der alten Zeiten, und ihrer Sitten kundig seyn. Das Rauben der schönen Weiber war damals so ungewöhnlich nicht. Europa, Medea u.a. waren aus Asien nach Europa entführet worden: dieses zu rächen, hohlte sich Paris die Helena. Es hatte sich also in diesen Krieg der Ehrgeiz und die Rachgier mit eingemischet. Die Griechen wollten stärker als die Trojaner, und diese tapferer als jene seyn; und die gute Prinzeßinn Helena kam fast darüber ins Vergessen. Andre können es nicht verdauen, wenn der große Held Achilles seinen Gästen selbst eine Mahlzeit zubereitet, die Küche bestellet, aufträgt, und zu Tische dient. Allein, sie müßten zuförderst beweisen, daß man sich damals schon, nach unserm heutigen Ceremoniel, durch Edelknaben, Kammerdiener und Lakeyen aufwarten lassen, oder einen eigenen Mundkoch gehalten hätte. Die Einfalt der alten Zeiten macht dergleichen Verhalten des Achilles so wahrscheinlich: so ungereimt es heutiges Tages klingen würde, wenn man einen Marlborough, oder Prinz Eugen dergestalt beschreiben wollte. 8. §. Indessen wäre es sehr gut, wenn man den Homer überall so leicht entschuldigen könnte. Allein, wenn er seine Helden mitten im hitzigsten Gefechte zusammen kommen, und halbe Stunden lang mit einander zanken läßt, als wenn sie weder Spieß noch Schwerdt in Händen hätten: so kann man nicht leicht einen Vorwand finden, ihn zu rechtfertigen. Sie schimpfen einander aufs ärgste, ein jeder pralt dem andern seine Abkunft, seine Waffen und Thaten vor: ja sie erzählen einander wohl gar die Geschlechtregister ihrer Pferde, daß einem Leser Zeit und Weile darüber lang wird. Das schicket sich nun für wütende Soldaten, und für solche herzhafte Kriegsleute gar nicht, als seine Helden waren. Warum schlagen sie nicht lieber zu? Warum verderben sie die Zeit mit einem unnöthigen Geplauder? Hier läuft alles wider die Natur menschlicher Affecten, die zu allen Zeiten einerley gewesen; und Homer kann auf keine Weise gerettet werden. Eben diese Unwahrscheinlichkeit herrschet in den langen Anreden, die Hektor, z.E. an seine vier Pferde hält. 1 Scheint es hier nicht, als wenn Homerus seine Pferde den Menschen gleich gemacht hätte; indem er sie auf eben die Art durch die Beredsamkeit lenken läßt, als ob sie Verstand und Freyheit hätten? Und wer kann also glauben, daß hier die Regeln der Wahrscheinlichkeit beobachtet worden? 9. §. Es ist Zeit, auf den Virgil zu kommen, und einige Fehler anzumerken, die er dawider begangen. Von den Wundern, die er hier und da eingestreuet hat, ist schon im vorigen Capitel gedacht worden. Nur das muß ich hinzusetzen, daß Voltaire, in seinen Gedanken vom Heldengedichte, diesen Poeten dadurch hat entschuldigen wollen, daß schon Dionysius von Halicarnaß, in seiner Historie sowohl der Harpyen, als des Celeno und des Königes Cacus gedacht; und daß Virgil also Wahrscheinlichkeit genug für sich gehabt habe. Allein, erstlich ist es gewiß, daß dieser Geschichtschreiber, seinem eigenen Geständnisse nach, sein Buch allererst zwanzig Jahre nach geendigten Bürgerkriegen in Italien geschrieben; als Virgil schon zehn oder zwölf Jahre todt gewesen: so, daß eher Dionysius den Poeten, als dieser jenen gelesen und gebrauchet haben kann. Gesetzt aber, zweytens, es wäre so, wie Voltaire meynt: so würde doch eine unglaubliche Sache nicht wahrscheinlicher, wenn sie gleich ein fabelhafter Geschichtschreiber erzählet hätte. Zum Exempel, wer auch in Versen alles anbringen wollte, was Herodotus erzählet, der würde lächerlich dadurch werden. Die Verwandlung der Schiffe in Seenymphen, die er vermuthlich nur aus der gemeinen Sage der Leute hergenommen, hätte er auch ersparen können: und meines Erachtens hilft es nichts, daß er den Vers hinzugesetzt: – – PRISCA FIDES FACTO, SED FAMA PERENNIS. Denn warum mußte er alle Mährchen, die er selbst nicht glaubte, in sein Heldengedichte bringen? 10. §. Weit ärger hat indessen Virgil wider die Wahrscheinlichkeit verstoßen, da er den Aeneas zur Dido nach Africa kommen, und die neuangelegte Stadt Carthago hat besuchen lassen. Es ist bekannt, wie unmöglich dieses nach der Zeitrechnung ist; indem Dido allererst zwey bis dreyhundert Jahre nach des Aeneas Ankunft in Italien, gelebt hat. Wenn das angienge, so müßte es auch erlaubt seyn, daß Gott mit den Kindern Adams ein Examen aus Luthers Catechismo angestellet, wie Hans Sachse in einer schönen Tragödie gethan; oder, daß Adam selbst auf seinem Sterbebette ein Testament gemacht, und darinn anbefohlen, an Gott Vater, Sohn und heiligen Geist zu glauben; wie Loredano in dem Leben Adams schreibt. Es ist wahr, daß man in Rom die alte Chronologie so genau nicht gewußt, und daß also der Pöbel diesen Fehler Virgils nicht wahrgenommen hat. Allein, in solchen Stücken muß ein Dichter mehr auf einen verständigen Richter, als auf eine Stadt voll unwissender Leute sehen: weil der Tadel, den er bey jenem verdient, ihm weit mehr schaden, als der Beyfall von diesen nützen kann. Ich übergehe hier die entsetzlich lange Erzählung, die Virgil seinen Helden bey der Dido einen Abend machen läßt: wo es gewiß viel wahrscheinlicher ist, daß sie darüber eingeschlafen seyn, oder doch fleißig gejähnet haben würde; als daß sie ihm so geduldig, und ohne ein Wort darzwischen zu reden, zugehöret haben sollte. Ich verschweige auch noch viel andere Unwahrscheinlichkeiten dieses Poeten, und komme auf die Fehler einiger Neuern in diesem Stücke. 11. §. Camoens, den ich nur aus dem Auszuge kenne, den uns Herr Voltaire in seiner Abhandlung vom Heldengedichte gegeben hat, ein neuer portugiesischer Poet, hat auf eine besondre Art wider die Wahrscheinlichkeit verstoßen, wenn er die heidnischen Götter und das Christenthum vermischet hat. Verasco, sein Held, ruffet Christum in einem Gebethe an: und an statt dessen kömmt ihm die Göttinn Venus zu Hülfe. Die Absicht der ganzen Schiffahrt, die er beschreibt, soll die Ausbreitung der christlichen Religion seyn: indessen regieren Jupiter, Bacchus und Venus die ganze Reise, und das Unternehmen des Verasco. Unter andern sagt dieser Held einmal zu einem wilden Könige, dem er seine Geschichte erzählet: O König, urtheile nun, ob Aeneas und Ulysses so weit gereiset, als ich, und so viel Gefährlichkeiten ausgestanden, als ich? gerade, als wenn die Africaner von Virgils und Homers Schriften etwas wissen könnten. 12. §. Alonzo, ein Spanier, in seinem Gedichte Auracana genannt, darinn er seine eigene Heldenthaten wider ein mexicanisches Volk beschrieben, hat sich, nach Voltairens Auszuge ebenfalls sehr oft versehen. Z.E. Er marschirt einmal des Nachts mit seinen Soldaten, um den Feind unversehens zu überfallen: und da erhebt sich unter ihnen zum Zeitvertreibe ein Gespräch vom Virgil, und sonderlich von der Dido. Alonzo ergreift diese Gelegenheit, aus den alten Geschichten, den Poeten zu widerlegen, und der armen Dido ihre Ehre zu retten: und die Abhandlung einer so wichtigen Sache geräth so lang, daß sie zwey ganze Bücher des Heldengedichtes anfüllet. Ob dieses soldatische Unterredungen sind, womit sie sich auf dem Marsche in feindlichen Landen belustigen, das mag ein jeder selbst beurtheilen. Zum wenigsten müßte mehr, als ein Don Alonzo bey der Armee gewesen seyn, wenn dieses einige Wahrscheinlichkeit haben sollte. 13. §. Tasso, der die beyden vorigen unendlich weit übertrifft, hat nichts destoweniger oft wider die Wahrscheinlichkeit gesündiget. Der Zauberer Ismeno, räth im andern Buche ein Marienbild in eine türkische Moschee zu tragen, um dadurch die Ungläubigen unüberwindlich zu machen. Diese Vermischung des Christenthums mit der türkischen Religion wahr scheinlich zu machen, bemüht sich zwar Tasso sehr; indem er sagt, Ismeno wäre ein abgefallener Christ gewesen: QUESTI HOR MACONE ADORA, E FU CHRISTIANO, MA I PRIMI RITI ANCOR LASCIAR NON PUOTE; ANZI SOVENTE, IN USO EMPIO E PROFANO, CONFONDE LE DUE LEGGI A SE MAL NOTE. Er schiebt es also auf die Unwissenheit und den Aberglauben des Zauberers, daß er einen so wunderlichen Anschlag giebt. So wahrscheinlich er aber dadurch den Anschlag macht: so unwahrscheinlich bleibt es noch, daß ihm der König Aladin von Jerusalem, nebst der mahometanischen Priesterschaft, werde Gehör gegeben haben. Die Bewegungsgründe, womit er jenen zu bereden suchet, sind folgende: HOR QUESTA EFFIGIE LOR DI LÀ RAPITA, VOGLIO, CHE TU DI PROPRIA MAN TRASPORTE, E LA RIPONGA ENTRO LA TUA MESCHITA. IO POSCIA INCANTO, ADOPRERO SI FORTE, CH'OGNI HOR, MENTRE ELLA QUI FIA CUSTODITA, SARA FATAL CUSTODIA A QUESTE PORTE; TRA MURA INESPUGNABILI AL TUO IMPERO SICURA FIA, PER NOVO ALTO MISTERO. SI DISSE, E'L PERSUASE, ETC. Aber ein jeder mag selbst urtheilen, ob es glaublich sey, daß ein Mahometaner, dem Schwarzkünstler zu gefallen, eine seiner Religion so widerwärtige Sache gethan haben würde? 14. §. Allein das ist nicht das Aergste. Armide ist noch eine größere Hexe als Ismeno. Sie verwandelt wohl zehn christliche Prinzen in Fische, und ein Papagey muß allerhand verliebte Liederchen singen, die er NB. selbst gemacht hat. Das übertrifft fast noch die homerischen Erzählungen von der Circe; ist aber um destoweniger zu entschuldigen, da es in einer weit erleuchtetern Zeit geschrieben worden, als jenes. Noch mehr, Rainaldo kann aus den Händen eines mahometanischen Zauberers nicht anders, als durch die schwarze Kunst eines christlichen Hexenmeisters befreyet werden. Dergestalt muß es nun sowohl türkische, als christliche Teufel geben, die einander zuwider sind: und die Gewalt der christlichen muß der mahometanischen Teufel ihrer, weit überlegen seyn. Das heißt ja, ein rechtes Belieben an Teufeleyen haben, und dadurch, zum wenigsten außer Italien, alle Wahrscheinlichkeit aus den Augen setzen. Kurz, es ist dem guten Tasso nichts schweres, die Messe, Beichte und Litaney mit Beschwerungen und Teufelskünsten; den Michael samt allen Engeln mit dem Pluto und der Alekto; das ist, den Himmel mit der Hölle, das Christenthum mit dem Heidenthume und dem mahometanischen Aberglauben, durch einander zu mischen. 15. §. Ich kann nicht umhin, noch ein paar Proben, von der seltsamen Begierde, das Wunderbare in Hexereyen zu suchen, aus diesem Poeten anzuführen. Ubaldo wird zu einem alten und heiligen Beschwerer gesandt, der ihn bis in den Mittelpunct der Erden bringt: wo er mit seinem Gefährten an einem Strome ganz voller Edelgesteine spazieren geht. Von da schickt man ihn nach Askalon zu einer alten Vettel, die ihn auf einem Schifflein in die canarischen Inseln versetzet. Unter Gottes Beystand kömmt er, einen bezauberten Ring in Händen habend, glücklich daselbst an, und führet den tapfern Rainald bis ins christliche Lager mit sich zurück. Aber zu was Ende? Die Zauberkunst muß diesen Helden so viel tausend Meilen weit zurück bringen; bloß weil ihn die Vorsehung bestimmet hatte, etliche alte Bäume, in einem von Gespenstern beunruhigten Walde, zu fällen. 16. §. Im Anfange befiehlt Gott dem Erzengel Michael, die in der Luft umher schwärmenden Teufel in die Hölle zu stürzen; weil sie lauter Ungewitter machten, und ihm die Donnerkeile allezeit, den Mahometanern zum Besten, auf die Christen lenketen. Michael thut es, und gebeut ihnen, sich niemals in die Händel der Christen zu mengen. Sogleich gehorsamen sie, und versenken sich in den Abgrund. Aber es dauret nicht lange. Der Zauberer Ismeno hat mehr Gewalt, als Michael. Denn auf seinen Wink kommen sie wieder heraus, und wissen den göttlichen Befehl durch gewisse künstliche Ausflüchte ungültig zu machen. Sie erschrecken die Christen im Walde, durch allerley fürchterliche Larven. Tancredo findet seine Clorinde in eine Fichte verzaubert, und durch den Hieb verwundet, den er dem Baume gegeben. Armide siehet dieses hinter einem Myrthengebüsche zu, ob sie gleich zu derselben Zeit auch in Aegypten ist: und der Poet berichtet uns gleichwohl gar nicht, wie auch die künstlichste Zauberinn an zweyen Orten zugleich seyn könne? 17. §. Ariost, ein Landsmann des Tasso, hat denselben an seltsamer Unwahrscheinlichkeit weit übertroffen, und zum wenigsten dadurch verdienet, daß er von vielen Italienern demselben vorgezogen wird. Sein rasender Roland ist bekannt, und soll eben sowohl ein Heldengedichte heißen, als das befreyte Jerusalem. Dieser Held war aus Eifersucht über die schöne Angelica zum Narren geworden, weil sein Nebenbuhler Medor glücklicher bey ihr gewesen, als er. Astolph, ein andrer Ritter, befand sich eines Tages im irdischen Paradiese, auf dem Gipfel eines hohen Berges, wohin ihn ein geflügelter Löwe getragen hatte. Daselbst traf er den heiligen Johannes an, welcher ihm zu wissen that, daß er den Roland von seiner Raserey zu befreyen, eine Reise nach dem Monden thun müsse. Astolph bedenket sich nicht lange, seine irrende Ritterschaft, auch außer der Erdkugel fortzusetzen: und alsbald ist ein feuriger Wagen da, der den Apostel und Ritter durch die Luft wegführt. Wie erstaunet Astolph nicht, als er bey seiner Annäherung gewahr wird, daß der Mond weit größer ist, als er sonst aussieht; und daß er endlich Land und Wasser, Berge und Ströme, Seen und Städte, ja so gar Nymphen gewahr wird, die sich in den Wäldern mit der Jagd belustigen. Man sollte denken, Ariost wäre den neuern Philosophen zugethan gewesen, die den Mond sowohl für eine bewohnte Weltkugel halten, als die Erde: allein das Folgende wird sattsam zeigen, daß man ihm diese Ehre nicht anthun könne. Er findet auch ein seltsames Thal im Monden, wo alles anzutreffen ist, was auf der Erde verlohren gegangen; es mochte nun seyn was es wollte: Kron und Zepter, Geld und Gut, Ehre und Ansehen, gute Hoffnung, verschwendete Zeit, die Allmosen der Verstorbenen, die Lobgedichte auf große Herren, und so gar die Seufzer der Verliebten. 18. §. Bey so vielen Wunderdingen, die der Ritter daselbst antraf, war denn auch eine unglaubliche Menge verlornes Verstandes daselbst zu finden. Da stunden unzähliche Gläser mit einem subtilen Wässerchen angefüllet, auf deren jedem der Name dessen geschrieben war, dem der Verstand zugehörete. Unter so vielen Gläsern solcher Leute, die Astolph allezeit für sehr klug gehalten hatte, und die doch so ziemlich voll waren, fand er auch sein eigen Gläschen; welches er sogleich erhaschte: und mit Erlaubniß des Apostels zog er seinen Verstand, wie ungarisch Wasser, durch die Nase wieder in sich. Das Glas Rolands traf er endlich auch an: er bemächtigte sich desselben, um es mit sich zurücke zu nehmen; weil dieses der Zweck seiner Reise war. Er fand, daß dasselbe sehr schwer zu tragen war, weil Roland kaum etliche Tropfen davon übrig behalten, und sonst die Art desselben eben nicht die feineste gewesen seyn mochte. Hiebey fängt nun Ariost an, einen verliebten Seufzer an seine Schöne zu thun, dergleichen er mitten in seinem Heldengedichte zu thun pflegt. Er sagt ihr, daß er seinen Verstand auch zwar verlohren hätte; aber daß er ihn nicht so weit würde zu suchen haben. Er schwebe auf ihren Augen und Lippen herum, und er bäthe sich deswegen nur die Erlaubniß aus, denselben mit seinen Lippen wieder zu haschen. Genug von Ariosts Phantasien, die gewiß eher den Träumen eines Kranken, wie Horaz spricht, als der vernünftigen Dichtung eines Poeten ähnlich sehen: weil weder Wahrscheinlichkeit, noch Ordnung darinn anzutreffen ist. 19. §. Was soll ich von dem Marino sagen, dessen Schriften eben so voll unwahrscheinlicher Dinge sind, als seiner Landsleute? Zur Probe darf ich nur die entsetzliche Abbildung nehmen, die er im Anfange seines Kindermordes von dem Satan gemacht hat. Er liegt im Abgrunde ohne Grund, an einer scheußlichen Kette, von hundert in einander geschlungenen Schlangen. Sein Kleid und Thron, ist ein unauslöschlich Feuer. Sein vormals leuchtender Mantel, ist nunmehr aus Flammen und Finsterniß gewebet. Sieben Hörner hat er auf dem Haupte, darum sich lauter Hydren und Cerasten gewickelt haben, die gleichsam die Edelsteine in seiner Krone ausmachen. In seinen Augen flammt ein rothes und trübes Licht, und seine Blicke gleichen den Cometen und Blitzen. Gestank und Finsterniß dampfet aus seiner Nase, sein Hauch ist dem Wetterstrale, und sein Seufzen dem Donner ähnlich. Dadurch sowohl, als durch seine feurige Blicke zündet er selbst den Holzstoß an, (der doch vorher schon brannte) welcher unverbrennlich ist, und doch alles verzehret. Seine von Geifer und Rost angefressene Zähne klappern und machen ein groß Geräusche, durch ihr Knirschen; und sein Schwanz schlägt in der Glut, auf die Schuppen seiner stählernen Gliedmaaßen. 20. §. Bey diesem höllischen Tyrannen stehn drey Furien, (damit ja das Heidenthum wieder ins Christenthum gemischt werde) ihn auf ewig auf die Folterbank zu spannen, und mit ihren Natterstreichen unaufhörlich zu geißeln. Ihre Haare sind magre Schlangen, sein Zepter ist von Stahl: und kurz, er ist so abscheulich, daß er vor sich selbst sowohl, als vor seinem Reiche einen Abscheu hat. Nun fängt der Poet an, diesen gefallenen Geist aus der heidnischen Mythologie zu schimpfen, und ihn bald einen Narciß, bald einen Phaeton zu nennen, und die strenge Richterhand des wahren Gottes, mit einem fabelhaften Phlegeton zu vermengen. Die Sybillen und Orakel, werden bald darauf von der Jungfer Maria und der Elisabeth abgelöset: und auf die Geburt Christi muß der Friedensgöttinn Tempel einfallen. Endlich holt der Poet noch nach, daß Satan auch Flügel gehabt, die er als die größten Schiffsegel ausgedehnet hätte, um vor dem bethlehemitischen Sterne zu entfliehen; aber er wäre durch ein stählernes Gebiß in seinem ewigen Gefängnisse fest behalten worden. 21. §. Ob nun eine solche Schilderey des Satans, die halb christlich, halb heidnisch ist; ihn bald zum Könige und bald zum Sklaven macht; bald andere schlagen, bald selbst gefoltert und gepeitschet werden läßt; ihm Hörner und Klauen, einen Schwanz und stählerne Schuppen giebt; ihn mit Feuer und Schlangen zugleich umgiebt; ja bekleidet auch nackend zugleich, auf dem Throne und auf der Folterbank zugleich vorstellt u.s.w. ja ferner alles übrige durch einander menget; ob diese Beschreibung wahrscheinlich sey, sage ich, das lasse ich meine Leser selbst urtheilen. Mir kömmt es vor, daß der Dichter aus großer Begierde recht was Wunderbares zu machen, die Regel des Horaz vergessen: AUT FAMAM SEQUERE, AUT SIBI CONUENIENTIA FINGE SCRIPTOR. Imgleichen: FICTA VOLUPTATIS CAUSSA SINT PROXIMA VERIS, NEC QUODCUNQUE VOLET POSCAT SIBI FABULA CREDI. Es ist nicht genug, daß man sagt, die Maler pflegten ja den Satan dergestalt abzubilden; und also wäre es schon wahrscheinlich, daß Satan so aussähe. Denn was haben doch die Maler nicht für ungereimte Sachen abgeschildert? Wollte ein Poet ihnen folgen: so würde er auch Troja und Jerusalem mit Carthaunen beschießen, und mit Mörsern bombardiren dörfen, wie man es in vielen Holzschnitten alter Bücher wahrnehmen kann. Wie wollte man aber dieses mit den alten Geschichten zusammen reimen? 22. §. Ich komme auf den Milton, der in englischer Sprache ein Heldengedichte vom verlohrnen Paradiese geschrieben hat; welches uns vor etlichen Jahren in der Schweiz im Deutschen geliefert worden. Dryden, ein andrer englischer Poet, zieht ihn dem Homer und Virgil in einer Sinnschrift vor: THE FORCE OF NATURE COULD NO FURTHER GO, TO MAKE A THIRD, SHE JOIN'D THE FORMER TWO. Er hat sich aber auch nicht aller Fehler in diesem Stücke enthalten können, so große Fähigkeit er auch sonst im Dichten erwiesen hat. Erstlich erklärt er alle heidnische Gottheiten für Teufel, die unter verschiedenen Namen von den Heiden wären angebethet worden: hernach berufft er sich auf den Raub der Proserpina, als auf eine wahre Geschicht. Wer hätte es denken sollen, daß in der biblischen Materie vom Falle der Engel das Heidenthum statt finden würde? Am seltsamsten sieht sein Pandämonium aus, das ist der Ort, wo die Teufel mit einander zu Rathe gegangen. Satan hatte sie schon einmal in einem weiten Felde zusammen beruffen, und eine Anrede an sie gehalten; und also schien es vergebens zu seyn, daß er noch ein besonderes Gebäude hätte, wo er mit ihnen rathschlagen könnte. Aber der Poet scheint ein Belieben getragen zu haben, sein Pandämonium nach der dorischen Ordnung zu bauen, es mit allerley Verzierungen, als Karnießen und goldnen Blumen ausschmücken. Diese Erfindung scheint sich nun zwar nicht aufs beste für einen ernsthaften Milton zu schicken: aber noch schöner kommt es heraus, wenn sich alle seine Teufel in Zwerge verwandeln müssen, damit sie nur in dem gar zu engen Gebäude, Platz finden mögen. Lucifer indessen, mit seinen vornehmsten Bedienten, behalten ihre natürliche ungeheure Größe; daher der gemeine Pöbel böser Geister nur in Gestalt kleiner Pygmäen erscheinen muß. Wenn das nicht das Lächerliche aufs höchste getrieben heißt: so weis ich nicht mehr, was wahrscheinliche oder unwahrscheinliche Erdichtungen seyn sollen. 23. §. Noch eine Fabel ist indessen werth, aus diesem Dichter angemerket zu werden. Die Sünde wird aus dem Gehirne Satans, als eine Minerva aus dem Haupte Jupiters gebohren. Satan aber zeuget von dieser seiner Tochter abscheulicher Weise ein Kind, nämlich den Tod: und dieses rasende und schmutzige Ungeheuer beschläft wieder seine Mutter, so wie es der Vater mit seiner Tochter gemacht hatte. Aus dieser neuen Blutschande wird ein ganzes Nest voll Schlangen erzeuget, die in den Schooß ihrer Mutter kriechen, und alle die Eingeweide verzehren, daher sie entsprossen sind. Ob eine so schmutzige und wahrhaftig abscheuliche Allegorie Wahrscheinlichkeit genug habe, will ich abermal nicht selbst beurtheilen, sondern einem jeden seine Gedanken davon lassen. Zum wenigsten sieht man nicht, warum die Sünde mit dem Tode noch einmal verbothener Weise hat zuhalten müssen. Dieses hat in der Sache selbst keinen Grund mehr, und scheint von dem Poeten nur zur Vergrößerung der Abscheulichkeiten ersonnen zu seyn. Eben dadurch verliert nun seine Fabel die Wahrscheinlichkeit: weil man es nicht begreifen kann, warum der Tod noch die Schlangen habe zeugen müssen? Nicht besser geht es mit dem Paradiese der Narren, wo die Mönche, Capuciner, Indulgenzien, Bullen und Reliquien auf den Flügeln des Windes herumspazieren; Petrus aber mit seinen Schlüsseln an der Himmelsthür steht. Wie konnten alle diese Dinge zu der Zeit vorhanden seyn, da das Paradies verlohren gegangen? Für den Ariost würden sich solche Thorheiten besser, als für einen Milton geschicket haben. Ich übergehe hier noch die Abwechselung des Tages und der Nacht, im Himmel vor Erschaffung der Welt, die Weltgegenden, Berg und Thal, ja einen Boden voller Metalle, daraus die Teufel allerley künstliche Dinge machen, zum Exempel, Carthaunen und Schießpulver, womit sie die Engel zerschmettern, die Thore und Schildwachten an der göttlichen Residenz, und tausend andre Possen mehr. Siehe der Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache etc. I. Band, wo ein Auszug aus diesem Gedichte zu finden ist. 24. §. Nun könnte ich noch zu ein paar neuern Heldengedichten der Engländer, nämlich dem Könige Arthur, den Richard Blackmore gemacht, und dem Leonidas, den uns vor kurzem Herr Glover geliefert hat, fortschreiten. Allein, je neuer die Zeiten werden, und jemehr die Vernunft aufgeklärt wird, desto reiner werden solche Werke von allen Fehlern wider die Wahrscheinlichkeit. Ich mag mich also bey Kleinigkeiten nicht aufhalten, und komme auf die Franzosen. Es ist Schade, daß Voltaire in seinem neuen Heldengedichte darinn er es allen vorigen, in Beobachtung und Wahrscheinlichkeit, zuvorgethan, nicht gänzlich von Fehlern hat frey bleiben können. Ich will hier nicht an die Fabel gedenken, da er Heinrich den Vierten, seinen Held, gleich im Anfange seines Gedichtes eine Reise nach Engeland thun läßt, um sich den Beystand der Königinn Elisabeth zuwege zu bringen. Dieses ist ja freylich in der Historie nicht gegründet, und also nicht wirklich geschehen: allein, es ist doch wahrscheinlich; weil Heinrich gleichsam etliche Monate in einer solchen Stille zugebracht, daß man indessen von ihm nichts aufgezeichnet findet. Hier stund es nun dem Poeten frey, seinem Helden, der ohnedem in Frankreich nichts versäumete, außer Landes was zu thun zu geben. Er zaubert ihn aber nicht etwa in die canarischen Inseln, und wieder zurück; wie Tasso es mit seinem Rainald macht: sondern er läßt ihn natürlicher Weise über den Canal zwischen Frankreich und Engeland schiffen u.s.w. 25. §. Ich frage nur, ob der alte Greis, den er so gleich auf der englischen Küste in einer Einöde antreffen, und seinem Helden sein ganzes künftiges Schicksal vorhersagen läßt; ob diese Fabel, sage ich, Wahrscheinlichkeit genug für sich habe? Der Einsiedler muß ein Prophet werden, und zwar ein wirklich von Gott erleuchteter Prophet, dergleichen die im alten Testamente gewesen. Er sagt ausdrücklich: CE DIEU, QU'IL ADOROIT, PRIT SOIN DE SA VIEILLESSE, IL FIT DANS SON DESERT DESCENDRE SA SAGESSE, ET PRODIGUE ENVERS LUI DE SES TRESORS DIVINS, IL OUVRIT À SES YEUX LE LIVRE DES DESTINS. Ich weis nicht, ob diese vier Zeilen es wahrscheinlich und glaublich machen können: daß Gott die Bücher des Verhängnisses einem Eremiten werde eröffnet haben; welches er ohne Noth niemals gethan, auch niemals zu thun versprochen hat. Um so viel mehr aber ist mir dieser neue Prophet ärgerlich anzuhören, da er, als ein eifriger Papist, die protestantische Religion für einen Irrthum ansieht; den Uebertritt Heinrichs des IV. zur römischen Kirche eine Erleuchtung nennet, u.s.w. DE DIEU, DIT LE VIEILLARD, ADORONS LES DESSEINS, ET NE L'ACCUSONS PAS DES FAUTES DES HUMAINS. J'AI VÛ NAITRE AUTREFOIS LE CALVINISME EN FRANCE, FOIBLE, MARCHANT DANS L'OMBRE, HUMBLE DANS SA NAISSANCE. JE L'AI VU SANS SUPPORT, EXILÉ DANS NOS MURS, S'AVANCER À PAS LENTS PAR CENT DETOURS OBSCURS. ENFIN, MES YEUX ONT VU DU SEIN DE LA POUSSIERE CE FANTÔME EFFRAYANT LEVER SA TÊTE ALTIERE, SE PLACER SUR LE TRÔNE, INSULTER AUX MORTELS, ET D'UN PIED DEDAIGNEUX RENVERSER NOS AUTELS. LOIN DE LA COUR ALORS EN CETTE GROTTE OBSCURE, DE MA RELIGION JE VINS PLEURER L'INJURE. LÀ QUELQUE ESPOIR AU MOINS CONSOLE MES VIEUX JOURS; UN CULTE SI NOUVEAU NE PEUT DURER TOUJOURS. DES CAPRICES DE L'HOMME IL A TIRÉ SON ÊTRE, ON LE VERRA PERIR, AINSI QU'ON I'A VU NAITRE ETC. ETC. 26. §. Ob nun ein Prophet, der die gereinigten Wahrheiten des Evangelii für ein Ungeheuer schilt, sie einen neuen Gottesdienst nennet, und ihren Ursprung aus dem menschlichen Eigensinne herleitet, und ihnen einen baldigen Untergang drohet: ob ein solcher ein wahrer Prophet seyn könne; das mögen alle Protestanten, davon halb Europa voll ist, selbst bedenken. Gleichwohl verkündiget unser Einsiedler alles vorher, als ob er die Geschichte Heinrichs des IV. schon zum voraus gelesen hätte. Man darf nicht sagen, es könne von einem katholischen Poeten nicht gefordert werden, daß er als ein Protestant schreiben solle. In Frankreich werde dieser Eremit wahrscheinlich genug seyn etc. Ich antworte: Voltaire hat in so vielen Stellen seines Gedichtes, welches gewiß viel zu der Schönheit desselben mit beyträgt, genugsam zu verstehen gegeben, daß er kein so blinder Papist sey, als mancher wohl denken möchte. Hat er nun selbst das Herz gehabt, viel Sätze einfließen zu lassen, die seinen Religionsverwandten so sehr misfallen haben, daß er das Land deswegen räumen müssen: warum hat er nicht vollends diesen Einsiedler, der doch die Creatur seiner Einbildungskraft ist, so gebildet, daß er überall und nicht nur in Frankreich wahrscheinlich herausgekommen? 27. §. Ich komme auf die Hexerey der Verschwornen, die er im fünften Buche seines Gedichtes beschrieben hat; und davon schon oben gedacht worden. Es kann seyn, daß die damalige Königinn von Frankreich, eine Liebhaberinn der Zauberkunst gewesen; und es kann seyn, daß ihr Exempel viele ihrer Unterthanen nach sich gezogen. Es ließe sich daher auch mit einiger Wahrscheinlichkeit dichten, die sechzehn Häupter der Rebellen hätten zu einem Schwarzkünstler ihre Zuflucht genommen, um das Schicksal ihres Reichs zu erfahren. Dieß finstre unterirdische Gewölbe, alle die abergläubischen Zurüstungen des jüdischen Hexenmeisters, kurz, alles, was vorhergeht, und sich bloß auf die thörichte Phantasie der Menschen gründet, ist in meinen Augen nicht unwahrscheinlich. Aber, daß der Poet auf eine so verdammliche Begierde das Künftige zu wissen, auf solche gotteslästerliche und ruchlose Beschwerungen und Zauberformeln, eine Erhörung ihres Wunsches erfolgen läßt, das kann ich ihm nicht vergeben. Gott bestärket diese abergläubische Rotte in ihrer Thorheit. Was der Zauberer nicht vermag, das thut derjenige, den er gelästert hat: und was das Aergste ist, durch ein wahrhaftes Wunderwerk, dabey er die Gesetze der Natur aufheben muß. So sagt der Poet: AUX MAGIQUES ACCENTS, QUE SA BOUCHE PRONONCE, LES SEIZE OSENT DU CIEL ATTENDRE LA REPONSE: A DEVOILER LEUR SORT ILS PENSENT LE FORCER; LE CIEL, POUR LES PUNIR, VOULUT LES EXAUCER, IL INTERROMPT POUR EUX LES LOIX DE LA NATURE. DE CES ANTRES MUËTS SORT UN TRISTE MURMURE, MILLE ÉCLAIRS REDOUBLEZ DANS LA PROFONDE NUIT, POUSSENT UN JOUR AFFREUX, QUI RENAIT & QUI FUIT. AU MILIEU DE CES FEUX HENRI BRILLANT DE GLOIRE, APPAROIT À LEURS YEUX SUR UN CHAR DE VICTOIRE ETC. Wo hat man nun ein Exempel von dergleichen Begebenheiten gehört oder gesehen, da Gott an statt des Satans einem Hexenmeister seinen Wunsch erfüllet; ihn dadurch in seiner Thorheit gestärket, und also der Ehre seines eigenen Namens selbst Hindernisse in den Weg gelegt hat? Herr Voltaire, der sonst solche gesunde Begriffe von dem höchsten Wesen hat, sollte sich hier wohl etwas behutsamer aufgeführt haben; damit er die Regeln der Wahrscheinlichkeit, die er andern so wohl vorzuschreiben weis, selbst nicht aus den Augen gesetzt hätte. 28. §. Ich habe mich bisher in Bemerkung der Fehler allein bey den berühmten Heldengedichten der ältern und neuern Zeiten aufgehalten, und würde noch ein deutsches Heldengedichte vornehmen müssen; wenn eins vorhanden wäre, das sich der Mühe verlohnte. Wir haben zwar den Wittekind, den uns Postel verfertiget hat: allein dieser verdient eben so wenig eine Critik, als des Chapelains Mägdchen von Orleans, oder des St. Amand erretteter Moses, in Frankreich. Zudem wird er fast von niemanden gelesen, und also ist es nicht zu besorgen, daß sein Exempel andre verführen werde. Man sehe indessen, was von dem habspurgischen Ottobert in den critischen Beyträgen der deutschen Gesellschaft geurtheilet worden. Ich komme also noch mit wenigem auf die Fehler, die in dramatischen Poesien wieder die Wahrscheinlichkeit begangen werden. Die Alten sind davon eben so wenig frey, als die Neuern, und wenn wir sie gleich loben, so wollen wir nicht alles Schlechte damit gut heißen, das ihnen zuweilen entwischet ist. Sophokles soll uns bey den Griechen mit seinem Oedipus zum Beyspiele dienen, daß er auch habe fehlen können: wenn gleich die Fabel überhaupt und das ganze Stück seinen Werth behält. 29. §. Der Schauplatz öffnet sich durch einen Chor thebanischer Bürger, die vor den Altären auf ihren Knien liegen, und von den Göttern das Ende ihres Unglücks erbitten wollen. Oedipus, ihr König, erscheint mitten unter ihnen, und sagt: Ich bin Oedipus, der in aller Welt so berühmt ist. Was ist die Ursache, meine Kinder, weswegen ihr hieher gekommen? Ist es hier wohl wahrscheinlich, daß die Thebaner ihren Herrn nicht gekannt; und daß er es also nöthig gehabt zu sagen, wer er sey? oder sollte es der König eines Volkes nicht wissen, daß eine Pest in seinem Lande wüte? Der Hohepriester antwortet ihm indessen im Namen des Volks: Du siehst hier Jünglinge und alte Männer vor dir . Ich, der ich dich anrede, bin der Oberpriester Jupiters. Deine Stadt ist wie ein Schiff, das von Ungewittern bestürmt wird etc . Und hier fängt er ihm an die Pest zu beschreiben, die im Lande damals wütete. Sollte hier wohl Oedipus wiederum den Hohenpriester nicht gekannt haben? Indem die Beschreibung der Pest noch währet, kömmt Creon, der Jokasta Bruder, den man an das Orakel geschickt hatte, eine göttliche Antwort wegen der Landplage zu vernehmen. Dieser redet den Oedipus an: Herr , spricht er, wir haben vormals einen König gehabt, der Lajus hieß. Ich weis es , erwiedert jener, ob ich ihn gleich niemals gesehen habe. Er ist erschlagen worden , versetzt Creon, und Apollo will, daß wir seine Mörder zur Strafe ziehen sollen. Ist denn Lajus zu Hause oder im Felde erschlagen worden ? fragt Oedipus hierauf. 30. §. Hier sieht nun wohl abermal ein jeder, es sey gar nicht wahrscheinlich, daß Creon eine so bekannte Sache, als der Tod des Königs Lajus in Theben seyn mußte, demjenigen, als was Unbekanntes würde erzählet haben, der an seiner Stelle schon etliche Jahre regieret hatte: vielweniger, daß Oedipus sich in so langer Zeit nicht mehr um die Art seines Todes bekümmert haben würde. Doch er fährt fort, zu fragen, ob denn aus der Anzahl der Gefährten, die bey dem erschlagenen Könige gewesen, niemand wieder zurücke gekommen? Einer, der wirklich mit zugegen gewesen, giebt zur Antwort, daß es von einer Menge von Straßenräubern geschehen; da es doch von einer einzigen Person, nämlich vom Oedipus selbst geschehen war. Wie war es nun möglich, eine so falsche Antwort zu geben, da man bey Entdeckung der Wahrheit nicht das geringste zu besorgen hatte? Oedipus vernimmt endlich, daß Phorbas, einer von den damaligen Gefährten des Lajus noch lebe; und von diesem hätte er leicht völlige Nachricht einziehen können. Allein, er läßt ihn, wider alles Vermuthen, nicht einmal zu sich fordern. Auch der Chor, der ihm allezeit Anschläge giebt, denkt nicht daran; sondern räth ihm, lieber den Tiresias fordern zu lassen. Endlich in der vierten Handlung kömmt Phorbas. Ohne Zweifel denkt man hier, Oedipus werde ihn mit großer Ungeduld fragen: Wie es mit dem Tode des Königes bewandt gewesen? weil er so begierig war, seinem Volke zu helfen. Aber nichts weniger, als das. Die Tragödie endigt sich, ehe Phorbas ein Wort von dem Tode seines Herrn zu reden bekommen hat. 31. §. Dieß mag zu einer Probe genug seyn, daß Sophokles die Wahrscheinlichkeit nicht genau beobachtet habe. Wer sich ausführlicher darum bekümmern will, der kann die Critik nachlesen, die Voltaire über die drey Oedipos, nämlich den griechischen, des Corneille französischen, und seinen eigenen gemacht hat. Imgleichen kann man die Critik über den Cid, von der französischen Academie, in dieser Absicht zu rathe ziehen; welches Stück auch in der deutschen Schaubühne I. Theile befindlich ist. In eben diesem Theile steht auch mein Cato, von welchem in den critischen Beyträgen eine Beurtheilung, nebst einer Antwort zu lesen ist. Man sehe auch in eben diesen Beyträgen, was von dem gedrückten und erquickten Jacob, imgleichen vom Trauerspiele Polyeuktes, dem dresdenischen Telemach, und Herodes dem Kindermörder, endlich auch von Schakespears Cäsar, hin und wieder geurtheilet worden. Die Liebhaber der Opern mögen St. Evremonts Gedanken darüber nachschlagen, die in den Schriften der deutschen Gesellschaft übersetzt zu lesen sind. Und überhaupt von theatralischen Poesien kann man nachlesen, was Cervantes im Don Quixote, einen gewissen Canonicus, davon hat sagen lassen. Die Wahrscheinlichkeit in Schäfergedichten anlangend, darf man nur Fontenellens Discurs, der auch bey den Gesprächen, von mehr, als einer Welt, von mir übersetzt anzutreffen ist, imgleichen den Guardian davon besehen. Die Satire betreffend, sehe man Muralts Briefe über die Franzosen nach, wo er des Boileau Satire über Paris untersuchet hat. 32. §. Ich sehe es schon vorher, daß viele diese beyde letzte Hauptstücke mit scheelen Augen werden angesehen haben. Es wird wenigen von unsern deutschen Poeten gefallen, daß man sich die Freyheit nimmt, die Gedichte der größten Meister so scharf zu prüfen. Man wird sagen, es schicke sich nicht, aller Leute Geschmack nach seinem eigenen Leisten zu messen. Was mir nicht gefiele, das könnte deswegen doch andern gefallen, und also auch schön seyn. Und endlich wäre ich der Mann nicht, der sich über die größten Meister zum Richter erheben könnte. Allein ich antworte auf dieses letzte, daß ich mir meiner Schwachheit selbst schon bewußt bin. Ich habe selbst kein Heldengedicht geschrieben, und gebe mich also für keinen Poeten aus, der allen denen gleich zu schätzen, geschweige denn vorzuziehen wäre, die ich beurtheilet habe. Allenfalls ist es auch gar nicht nöthig, selbst was bessers machen zu können, wenn man andre nach den Kunstregeln beurtheilet. Sind denn Aristotels Rhetorik und Poetik deswegen zu verwerfen, weil ihr Urheber selbst weder ein großer Redner, noch ein Poet gewesen? Seine Regeln sind doch richtig, und seine Urtheile von so vielen poetischen und oratorischen Werken seiner Zeit bleiben wohl gegründet; so lange Vernunft und Geschmack in der Welt seyn wird. Zudem habe ich mir ja keine neue Gesetze und Kunstregeln ausgesonnen; ich sage nur Anfängern in der Poesie, was ich von den Alten für poetische Regeln gelernet habe, und wie man die Gedichte darnach prüfen müsse. Horaz machte es auch so: FUNGAR VICE COTIS; ACUTUM REDDERE QUAE FERRUM VALET, EXSORS IPSA SECANDI. MUNUS & OFFICIUM, NIL SCRIBENS IPSE, DOCEBO: VNDE PARENTUR OPES, QUID ALAT FORMETQUE POETAM? QUID DECEAT, QUID NON? QUO VIRTUS, QUO FERAT ERROR? 33. §. Den Freunden des willkührlichen Geschmacks aber aufs erste zu antworten, so gebe ich ihnen eine treffliche Stelle des englischen Grafen Schaftsbury zu überlegen, die ich, weil das Buch nicht überall zu haben ist, hersetzen will. 2 Ueberdas aber gebe ich es ihnen zu bedenken, ob sie auch demjenigen das Wort reden wollen, der in der Unterscheidung der Metalle sich auf den Augenschein allein verlassen, Gold, Messing, Silber und Zinn für einerley halten, und sich über denjenigen erzürnen wollte, der bey dem Einkaufe solcher Waaren sich des Probiersteins bedienete, oder eine Goldwage zu rathe zöge. Meines Erachtens werden sie so billig seyn, und die Behutsamkeit dieses letztern, der Einfalt des erstern vorziehen: weil nicht die Farbe, sondern der innere Gehalt, und die Schwere den wahren Werth der Metalle entdecket. Dasselbe Urtheil nun muß ja billig von dem menschlichen Witze und seinen Früchten gefället werden. Es muß nicht auf den bloßen Glanz und Schimmer feiner Werke ankommen; weil nicht alles Gold ist, was da gleißet. Was nicht bey der gesunden Vernunft die Probe oder den Strich hält, das kann nicht für vollgültig genommen werden. Die Regeln der Kunstrichter aber, die gehörig erwiesen worden, sind der poetische Probierstein, der das Zweifelhafte entscheiden, und die wahren Schönheiten so sehr ins Licht setzen, als die falschen Putzwerke und wesentlichen Unrichtigkeiten sinnreicher Schriften beschämen kann. Fußnoten 1 Xanthus und Podargus, heißt es, und du Ethon und Lampus, hier habt ihr die schönste Gelegenheit, mir alle die Mühe zu vergelten, die Andromacha, des großmüthigen Ektions Tochter, an euch gewandt hat, indem sie euch täglich selbst gefüttert, und lieber euch, als mir, das Brodt und den Wein von meinem Tische gegönnet hat. Wie oft hat sie mich verlassen, um euch zu besuchen? Die Pferde der Götter sind selbst niemals besser gehalten worden. Zeiget denn eure Erkenntlichkeit itzo, verfolget den Feind aufs schleunigste, schonet euch nicht, eilet, damit ich den Schild Nestors bekomme, der ganz von dichtem Golde ist, und dessen Ruhm bis an die Sterne steiget; wie auch den wunderwürdigen Küraß Diomeds, der ein Meisterstück des künstlichen Vulcans ist. Erobern wir diese preiswürdige Beute, so ist kein Zweifel, die Griechen werden sich diese Nacht auf ihre noch übrige Schiffe begeben, und unser Ufer verlassen. 2 FOR THIS REASON WE PRESUME NOT ONLY TO DEFEND THE CAUSE OF CRITICS ; BUT TO DECLARE OPEN WAR AGAINST THOSE INDOLENT SUPINE AUTHORS , P ERFORMERS , READERS , AUDITORS , ACTORS OR SPECTATORS ; WHO MAKING THEIR HUMOUR ALONE THE RULE OF WHAT IS BEAUTIFUL AND AGREEABLE, AND HAVING NO ACCOUNT TO GIVE OF SUCH ODD FANCY , REJECT THE CRITICIZING OR EXAMINING ART , BY WHICH ALONE THEY ARE ABLE, TO DISCOVER THE TRUE BEAUTY AND WORTH OF EVERY OBJECT. ACCORDING TO THAT AFFECTED RIDICULE WHICH THESE INSIPID REMARKERS PRETEND TO THROW UPON JUST CRITICKS , THE ENJOYMENT OF ALL REAL ARTS OR NATURAL BEAUTYS, WOU'D BE INTIRELY LOST. EVEN IN BEHAVIOUR AND MANNERS WE SHOU'D AT THIS RATE BECOME IN TIME AS BARBAROUS, AS IN OUR PLEASURE AND DIVERSIONS. I WOU'D PRESUME IT, HOWEVER, OF THESE C RITICK-HATERS , THAT THEY ARE NOT YET SO UNCIVILIZED, OR VOID OF ALL SOCIAL SENSE AS TO MAINTAIN: THAT THE MOST BARBAROUS LIFE, OR BRUTISCH PLEASURE, IS AS DESIRABLE AS THE MOST POLISHD OR REFIN'D. FOR MY OWN PART, WHEN I HAVE HEARD SOMETIMES MEN OF REPUTED ABILITY JOIN IN, WITH THAT EFFE MINATE PLAINTIVE TONE OF INVECTIVE AGAINST CRITICKS , I HAVE REALLY THOUGHT, THEY HAD IT IN THEIR FANCY, TO KEEP DOWN THE GROWING GENIUS OF THE YOUTH, THEIR RIVALS, BY TURNING THEM ASIDE FROM THAT EXAMINATION AND SEARCH, ON WHICH ALL PERFORMANCE, AS WELL AS GOOD JUDGMENT DEPENDS & C. TOM. III. seiner CHARACTERISTICS MISC. III. C. 2. P. 165. D. i. Aus dieser Ursache, wollen wir nicht allein die Sache der Critikverständigen, vertheidigen; sondern auch allen den nachläßigen und gleichgültigen Schriftstellern, Verfassern, Lesern, Zuhörern, Comödianten und Zuschauern einen offenbaren Krieg ankündigen, die ihre Einfälle allein zu einer Regel der Schönheiten und Annehmlichkeiten machen; und da sie von diesem ihrem Eigensinne, oder ihrer wunderlichen Phantasie keine Red und Antwort geben können, die Critik, oder Untersuchungskunst verwerfen; wodurch sie doch allein geschickt werden könnten, die wahre Schönheit und den rechten Werth jedes Dinges zu entdecken. Nach der erzwungenen Auslachenswürdigkeit, die solche abgeschmackte Leute wahren Criticis aufbürden wollen, würde das Belustigende von allen Künsten und natürlichen Schönheiten verlohren geben. So gar in Trachten und Sitten würden wir zu diesen Zeiten so barbarisch werden, als wir in unsern Ergetzungen und Lustbarkeiten sind. Doch will ichs von diesen Feinden der Critik hoffen, sie würden nicht so unhöflich, oder von aller Menschlichkeit so entfernt seyn, zu behaupten: daß das allerunmenschlichste Leben, und ganz viehische Belustigungen, eben so hoch, als die artigsten und feinesten Vergnügungen zu schätzen wären. Meines theils, wenn ich zuweilen Männer von bekannter Geschicklichkeit, mit einem weibischen und kläglichen Tone, wider die Kunstrichter habe eifern hören; so habe ich wirklich gedacht: Sie hättens im Sinne, den anwachsenden Geist junger Leute, die ihnen nacheifern, niederzuschlagen; indem sie dieselben von derjenigen Untersuchung und Prüfung abzuwenden suchen, ohne welche eine tüchtige Arbeit so wenig, als ein richtiges Urtheil bestehen kann. Das 7. Capitel Das VII. Capitel. Von poetischen Worten. 1. §. Wir haben oben gewiesen, daß ein Dichter seine Nachahmung durch eine harmonische und wohlklingende Rede ins Werk richte. Die Rede nun ist ein Ausdruck unserer Gedanken, der durch die Worte geschieht, welche entweder einzeln, oder mit andern zusammengenommen ihre Bedeutungen haben. Diese letztern bekommen den Namen der Redensarten, und davon wird in dem folgenden Capitel gehandelt werden. Hier will ich nur von der ersten Gattung handeln, und theils ihren mannigfaltigen Unterscheid, theils ihren vernünftigen Gebrauch in der Poesie zeigen. 2. §. Fürs erste ist es bekannt, daß die Sprachverständigen, sowohl in der deutschen Sprache, als in der lateinischen, achterley Gattungen von Wörtern bemerket haben, die zur Ausdrückung und Verbindung unsrer Gedanken nöthig sind. Wir haben Nennwörter , womit wir theils die Sachen, theils ihre Eigenschaften anzeigen, z.E. Kopf, Hand, Buch; gelehrt, geschickt, gründlich, u.d.gl. Wir haben Fürwörter , die anstatt der vorigen gebraucht werden können, um gewisse Wiederholungen zu ersparen. Z.E. Ich, du, er; der, die, das; dieser, diese, dieses, u.s.w. Wir haben Zeitwörter , um das Thun oder Leiden gewisser Dinge zu bedeuten: als schreiben, lesen, hören, lernen, u.d.gl. und die werden wiederum in ihre Classen abgetheilet. Wir haben Mittelwörter , die von den vorigen etwas, und von den Nennwörtern auch etwas an sich haben, und also zwischen beyden das Mittel halten. Z.E. Das Wort verworfener deutet erstlich auf ein vergangenes Leiden, das einer Sache, die verworfen worden, wiederfahren; hernach aber auch die Eigenschaft, z.E. eines schlechten Reimes: Ein verworfener Reim. Wir haben ferner Nebenwörter , dadurch die Bedeutungen der Hauptwörter entweder eingeschränket oder vergrößert, oder sonst auf gewisse Weise bestimmet werden; als z.E. wohl schreiben, recht reimen, schön denken, stark rühren. Wir haben Vorwörter , welche man bey den Nenn- und Fürwörtern nöthig hat, ihre Verhältnisse unter einander anzuzeigen: Als von Rom, nach Paris; bey uns, zu ihm, über die Wolken, im Staube, unter dem Pöbel. Wir haben Verbindungswörter , die den Zusammenhang unsrer Begriffe anzeigen, als da sind: und, auch, aber, denn, weil, dafern, u.d.gl. Endlich auch Zwischenwörter , die gemeiniglich zum Ausdrucke gewisser Gemüthsbewegungen und anderer kleiner Umstände dienen, die zu den vorigen nicht gebracht werden können. Als: Ach! O! Hey! Sa, Sa! St! Wohlan! lustig! u.d.m. 3. §. Aller dieser Gattungen von Wörtern kann ein Poet eben so wenig, als die Geschichtschreiber und Redner entbehren. Ohne Zeichen kann er seine Gedanken nicht ausdrücken; und keine Art derselben ist bequemer, als die obigen Arten der Wörter. Allein er bedienet sich oftmals gewisser Freyheiten, die in andern Schriften nicht erlaubt seyn würden. Ich würde hier Regeln und Exempel davon geben müssen, wenn sich solches nicht bequemer bey den folgenden Abtheilungen der Wörter thun ließe. Man kann nämlich dieselben überhaupt, entweder als veraltete, oder als übliche, oder als neugemachte Wörter ansehen, und dabey fragen: welche von diesen eigentlich für einen Poeten gehören? Die andern Unterschiede der Wörter, z.E. einheimische und ausländische, niedrige und hohe, ehrbare und schändliche, matte und nachdrückliche, sollen auch an ihrem Orte beyläufig berühret werden. 4. §. Was die altfränkischen Wörter betrifft, so finden wir sie in den Schriften, die vor und um die Zeiten der Reformation Lutheri, ja bis auf Opitzens Zeiten, verfertiget worden. Man darf nur den Theuerdank, Hans Sachsens und anderer solcher alten Meistersänger Schriften nachsehen: so wird man die Proben ganz häufig finden. Z.E. im Theuerdank steht gleich von Anfang beschaffen für geschaffen, (nach welcher Form auch unsere Canzellisten noch beschehen für geschehen, zu setzen pflegen,) Gemahel für Gemahlinn, Künigein für Königinn, Befilh für Befehle, bestet für bestattet, von nahenden für nahen, einhelligklich für einhällig, endtschüttet für beschützet, abgan für abgehen, morgenich vor morgende, Faulkeit für Faulheit, Ruck für Rücken, oft und dick für vielmals, Gehueren für Geweihe oder Gehörne eines Hirschen; benuegich für vergnügt, öffen für eröffnen, kecklichen für beherzt etc. Doch genug, denn sonst müßte ich ein ganz Wörterbuch machen. Wer mehrere wissen will, kann sich in Herrn Wachters und Frischens deutschen Wörterbüchern, oder auch in Leibnitzens und Eckards COLLECTANEIS ETYMOLOGICIS nicht weniger in den critischen Beyträgen hin und wieder umsehen. Man sieht es wohl, daß in einigen diesen Wörtern die Rechtschreibung altfränkisch ist; von einigen auch ganz und gar ungewöhnlich geworden. Zuweilen ist auch wohl das Geschlecht verändert, als wenn z. Exempel im Theuerdank steht das Jeiaid , anstatt daß wir itzo die Jagd sagen. Wenn man aber in noch ältere Zeiten zurücke geht, so findet man gar unverständliche Wörter, die man auch im Zusammenhange nicht errathen kann. Was heißt z.E. in folgenden Zeilen das letzte Wort? Vnnd mit ganzen trewen Warnen Ihr müßt die Königinn erarnen. Theuerd. Unzählicher anderer, die im Ottfried, Willeram, Stricker, Winsbeck und dergleichen alten Schriften vorkommen, zu geschweigen, die man in Schilters Werke nachsehen kann. 5. §. Hier fragt sichs nun, ob ein Poet sich solcher alter Wörter bedienen könne? Von der letzten Art kann man wohl kein Bedenken tragen, mit Nein zu antworten. Denn was einen unverständlich machet, das muß man mit Fleiß vermeiden. Von den ersten aber ist es ebenfalls nicht anders. Durch die seltsame Figur, die solche Wörter itzo in unsern Augen machen, würde ein Gedichte nur lächerlich werden; oder, wenn sie oft vorkämen, so würde ein Vers nur rauh und grob davon aussehen. Diejenigen von unsern Dichtern, verdienen also eben sowohl getadelt zu werden, die sich solcher verlegener Wörter bedienen, als die lateinischen Poeten, die sich aus dem Plautus, Pacuvius, Lucretius u.a.d. die seltsamsten Wörter aussuchen, ihre Gedichte damit auszuputzen: worüber Accursius sie in einem eigenen Gespräche verspottet hat, darinn er einen Oscier und einen Volscier redend eingeführet hat. Ich habe einen Geistlichen gekannt, der sich aus D. Luthers Schriften die allerältesten Wörter und Redensarten anmerkte, und seine Predigten damit ausstaffirte. Seine Meynung war dabey, sich als ein eifriger Schüler Luthers zu bezeigen: aber, eine so seltsame Nachahmung, machte ihn nicht nur unverständlich, sondern auch lächerlich. Einem Poeten würde es nicht besser gehen, wenn er dergleichen thun wollte: es wäre denn, daß er mit Fleiß die Schreibart der Alten, in einem sogenannten Knittelreime, nachahmen wollte; da es denn nicht nur erlaubt, sondern auch eine Schönheit seyn würde, alles recht altfränkisch zu machen. 6. §. So viel ist indessen gewiß, daß man in gewissen alten Büchern zuweilen Wörter findet, die sich auch zu unsern Zeiten noch sehr wohl brauchen lassen: obwohl sie seit funfzig oder hundert Jahren aus der Mode gekommen. Z.E. Das Wort Geschwader , ESCADRON, ist heutiges Tages fast nicht mehr zu hören; gleichwohl haben wir kein bessers an dessen Stelle erfunden; man wollte denn Schwadronen sagen. Nun haben zwar gewisse neuere, dieses Wort von einer Schiffsflotte zu brauchen angefangen, aber mit schlechtem Beyfalle, weil es sich dazu nicht schickt. Das Wort Buhlschaft ist noch von Opitzen und Flemmingen gebraucht worden, dasjenige anzuzeigen, was die Franzosen MAITRESSE, und die Halbdeutschen eine COURTESIE nennen. Die Verliebungen , LES AMOURS, ist gleichfalls ein Wort, welches wir nicht besser auszudrücken im Stande sind: ich finde es aber in einem Buche von 1648. gebraucht. Wenn sich nun ein Poet dieser und dergleichen Wörter mit Verstande und mäßig bedienet, so kann man ihn nicht tadeln; sondern hat vielmehr Ursache, ihm verbunden zu seyn, daß er ein geschicktes Wort aus dem Staube der Vergessenheit wieder hervorgezogen hat, darein es ohn alle seine Schuld gerathen war. 7. §. Wegen der üblichen Wörter, scheint es bey einem Poeten keine Schwierigkeit zu haben: allein man kann doch verschiedene gute Anmerkungen darüber machen, indem nicht alles was üblich ist, von gleichem Schrote und Korne ist. Zum ersten sind dieselben entweder gemein, so, daß sie auch den einfältigsten Leuten geläufig sind: oder sie sind ungemein und seltsam; weil sie nur unter den Gelehrten zu Hause sind, oder in ihren Büchern vorkommen. Ein Poet hat nach Anleitung des ersten Capitels die Absicht, sich durch eine edle Art des Ausdruckes in Hochachtung zu setzen und gleichsam die Sprache der Götter zu reden. Daher muß er denn nicht die allergemeinsten; sondern die ungemeinsten Wörter brauchen: zumal wenn er in seinem eigenen Namen schreibet. Wenn z.E. gemeine Leute sagen: Der Kopf thut mir wehe : so spricht etwa der Poet: Ein Schmerz durchdringt mein Haupt . Jenes hört man täglich, darum klingt es nicht edel: dieses hört man selten; darum ist es edler und erhabener. Dieses sollten sich alle die niederträchtigen Versmacher gesagt seyn lassen, die sich mit ihren pöbelhaften Reimen bis in die Sprache der Diener und Mägde herunter lassen. Sie wollen deutlich und lustig schreiben; aber ihre Hippokrene führt ein schlammigtes Wasser bey sich, welches oft gar stinkend ist. Indessen muß man durch die edlen Worte und Ausdrücke, nicht ein hochtrabendes und auf Stelzen gehendes Wesen verstehen. Viele wissen hier keinen Unterscheid zu machen. Weil sie das niedrige fliehen, so versteigen sie sich über alle Wolken. PROFESSUS GRANDIA, TURGET, sagt Horaz von solchen schwülstigen Geistern. Sie ersinnen sich von den gemeinsten Sachen seltsame Redensarten, die alles mehr verdunkeln als erheben. Dadurch suchen sie die Einfältigen zu betrügen, daß sie hinter dem Nebel unverständlicher Worte wer weis was schönes zu sehen glauben; da es doch die schlechteste Sache von der Welt ist. Es ist ein anders, hochtrabend schreiben; ein anders aber, sich im Kothe wälzen. Das Mittel ist das beste. 8. §. Doch sind die gemeinen Wörter auch nicht ganz zu verwerfen. In gewissen Gattungen der Gedichte, wo das Natürliche mehr herrschen muß, würde es ein Uebelstand seyn, lauter gesuchte Ausdrückungen zu brauchen. Z.E. In einem Schäfergedichte, Briefe, zärtlichen oder lustigen Liebesliede, imgleichen in einer Satire oder Comödie, sind die gewöhnlichsten Wörter gemeiniglich die besten. Die Ursachen davon werden in den besondern Regeln von diesen Gattungen vorkommen. So gar die ganz niederträchtigen und pöbelhaften Worte können einem Poeten nicht ganz verbothen werden, wenn sie nur nicht wider die Ehrbarkeit laufen. Er muß ja zuweilen dergleichen Personen redend einführen, die gewiß auf keine andere Art ihre Gedanken von sich geben können. Der berühmte Spanier, Cervantes, hat dieses sehr wohl beobachtet, wenn er seinen Sanscho Pansa, als einen Bauerkerl, ganz abgeschmackt, und in lauter bäurischen Sprüchwörtern reden läßt. Alle Wörter aber, die Unflätereyen bedeuten, alles, was wider den Wohlstand läuft, alles was guten Sitten zuwider ist, das muß der Poet auch bey den allerniedrigsten Ausdrückungen zu vermeiden wissen, wie in den Anmerkungen zur Dichtkunst Horatii schon erwiesen worden. Ich weis also nicht, ob Rachel allemal zu entschuldigen seyn wird, wenn er sich in seinem satirischen Eifer so sehr herunter läßt, daß er sich auch schmutziger Redensarten bedienet. Z.E. in seiner Satire von Gut und Böse, heißt es bald anfangs: Woher hast du o Held den Ursprung doch genommen, Du bist der Mutter, traun! nicht aus der Nasen kommen, Wie ein gemeiner Rotz. Doch was man dem vorigen Jahrhunderte noch übersehen könnte, das würde in dem itzigen unerträglich seyn. 9. §. Unter die üblichen Wörter möchte mancher auch wohl die ausländischen, sonderlich lateinischen und französischen rechnen wollen: weil nämlich nichts gewöhnlicher ist, als dieselben mit in unsere Sprache zu mischen, wenn wir reden. Dieses Uebel ist auch so neu nicht, als man wohl denken sollte, sondern schon vor hundert und mehr Jahren, hat sich Opitz in seiner deutschen Poeterey darüber beschweret. »So steht es auch zum heftigsten unsauber«, schreibt er, »wenn allerley lateinische, französische, spanische und welsche Wörter in den Text unserer Rede geflickt werden; als wenn ich sagen wollte: Nehmt an die COURTOISIE und die DEVOTION, Die euch ein CHEVALIER MA DONNA thut erzeigen, Ein handvoll von FAVOR petirt er nur zu Lohn, Und bleibet euer Knecht und SERVITEUR ganz eigen. Wie seltsam nun dieses klinget«, fährt er fort, »so ist nichts destoweniger die Thorheit innerhalb kurzen Jahren so eingerissen, daß ein jeder, der nur drey oder vier ausländische Wörter, die er zum öftern nicht verstehet, erwischt hat, bey aller Gelegenheit sich bemühet, dieselben herauszuwerfen.« Er erweiset seinen Satz durch das Exempel der Lateiner, welche fast kein einzig griechisch Wort in ihre Verse gemischt: ausgenommen wo Juvenalis theils über das römische Frauenzimmer gespottet, die aus Galanterie ihren Buhlern auf griechisch liebkoseten; theils einmal ein gewisses Laster, welches er aus Schamhaftigkeit nicht lateinisch nennen wollen, griechisch ausgedrücket hat. 10. §. Seiner Regel sind alle gute Poeten unsers Vaterlandes gefolget, bis einige neuere, als Weise, Philander, und Amaranthes von der angeführten Reinigkeit abgewichen. Daß aber auch vor diesen noch andere in gleichen Fehler verfallen sind, erhellet daraus, daß verschiedene patriotische Geister ihren Eifer wider die Sprachenmengerey durch die schärfsten Stellen erwiesen haben. Andreas Gryphius hat in sei nem Horribilicribrifax sowohl diesen Großsprecher, als seinen Gegner Daradiridatumtarides, das Welsche, Spanische, Französische; den Schulfuchs Sempronius hergegen, das Griechische und Lateinische, auf eine lächerliche Art ins Deutsche mischen lassen, um andern einen Abscheu davor zu erwecken. Rachel hat sich gleichfalls bemühet, eine so üble Gewohnheit abzuschaffen, und in seiner ofterwähnten Satire, der Poet, folgender Gestalt geschrieben: Es war ein neu Gespräch allmählich aufgekommen, Und hatte mit der Zeit ganz überhand genommen, Daß eine Zunge nur, ein deutscher Mann allein, Aus nüchterm Munde sprach, Französisch, Welsch, Latein. Und daß der späten Welt die Art nicht mag gebrechen, So hört doch, wie ich selbst hab einen hören sprechen. Ein braver Capitain, ein alter Freyersmann, Hub seinen Mengelmuß mit diesen Worten an: CA MAITRE! machet mir EN FAÇON der Franzosen, Für gut CONTENTEMENT ein paar geraumer Hosen. Ich selber bin mir gram, mir knorrt der ganze Leib, Daß ich JUSQU'À PRESENT muß leben ohne Weib. Was hab ich nicht gethan? Was hab ich nicht erlitten, O Cloris! dein AMOUR und Schönheit zu erbitten? Weil dein ECLAT so weit die andern übergeht, Als wenn ein Diamant bey einem Kiesel steht. SOLEIL DE NOTRE TEMS! O Auszug aller Tugend! O himmlischer TRESOR! etc. etc. Dieß war die güldne Kunst zu reden und zu schreiben; Nun denk ihm einer nach, wenn dieses sollte bleiben, So wie der Anfang war, bey jedermann gemein; Welch eine Sprache sollt in Deutschland endlich seyn? So hat die Barbarey sonst das Latein zerstücket, Und Gothisch, Wendisch, Deutsch mit Macht hineingeflicket. Dadurch kam allererst der Mischmasch auf die Welt, Den Frankreich, Welschland selbst und Spanien behält. Der Gentleman hat auch sein Theil davon bekommen, Ein Wörtlein hier und dar, von allem was genommen; Und eben dieses wär den Deutschen auch geschehn, Wenn nicht mit allem Ernst da wäre zugesehn, Der Lapperey gewehrt, das gute Deutsch erzwungen, Das nichts erbetteln darf von fremder Völker Zungen. etc. etc. Er fährt noch weiter fort, und stellet so gar einen Geistlichen vor, der das Evangelium vom Hauptmanne zu Capernaum in einer neumodischen Sprache auf der Kanzel vorgetragen, welches wohl werth ist, gelesen zu werden. Dieser Rachel selbst ist in diesem Stücke so gewissenhaft, daß er in der Vorrede zu seinen zehn Satiren (in 12. vom Jahr 1700.) ausdrücklich erinnert; daß er zwey oder drey lateinische, vielleicht auch so viel französische Wörter mit eingeschoben, nicht unwissend, daß solches im Deutschen kein geringer Solöcismus ist. Er habe es aber mit Fleiß gethan, derer zu spotten, die sich auf solche Weise hervorthun wollten: wie es auch die Lateiner mit denen gemacht, die halb lateinisch, halb griechisch hätten reden wollen. Was könnte ich nicht noch aus Laurenbergs plattdeutschen Scherzgedichten für Zeugnisse anführen; wenn es nöthig wäre, eine so ausgemachte Sache noch weitläuftiger zu erweisen. 11. §. Ein deutscher Poet bleibt also bey seiner reinen Muttersprache, und behänget seine Gedichte mit keinen gestohlnen Lumpen der Ausländer. Aber wie hält es mit den eigenen Namen der Personen, Städte, Flüsse, Länder und Berge? Diese kann man unmöglich vermeiden. Denn wer kann allen solchen Dingen deutsche Benennungen geben, die doch verständlich wären? Man läßt also diese Namen, nach Opitzens Regel, aus dem VI. Cap. seiner Poeterey, unveränderlich durch alle Abfälle; wenn es sich thun läßt. Z.E. Ich will mein Glücke tragen, So lang ich kann und mag, will setzen auf der Wagen Der grauen Ewigkeit, durch meiner Leyer Kunst, Die braune Flavia . Opitz. Nicht Flaviam, u.d.m. Zuweilen geht es an, daß man von langen Namen die letzten Sylben weg läßt, und also ein Wort von deutscher Endung draus macht. Als z.E. Homer, Herodot, Plutarch, August, Virgil, Lucian, Terenz, Ovid, Marin, u.s.w. Alsdann lassen sich bey den meisten auch die Veränderungen der Abfälle machen, z.E. Homers Gedichte, Herodots Historie, Plutarchs Schriften, Lucians Spöttereyen etc. Kann man aber durch die Endung nicht alle Abänderungen andeuten, wie es z.E. mit der Gebendung und Klagendung zu gehen pflegt; so setzt man den Artikel vor, dem Herodot, den Homer, u.s.w. 12. §. Bey etlichen aber will auch das erste nicht angehen. Als bey Terenz und Horaz kann ich unmöglich sagen, des Terenzes, des Horazes: sondern da bin ich genöthiget, entweder die lateinische Endigung, oder die deutsche Verkürzung unverändert zu behalten, und den Abfall durch den Artikel anzudeuten. Gewisse Namen haben an sich schon deutsche Endungen, als Solon, Alexander, Hannibal u.d.gl. Und diese können ohne alle Aenderung nach Art deutscher Wörter gebraucht werden. Die Endigungen us, as und es, imgleichen die Namen, die ein a, o, oder einen andern lauten Buchstaben zum Ausgange haben, sind am schlimmsten nach deutscher Art zu brauchen. Denn man kann nicht sagen, des Julius's, Epaminondas's, Praxiteles's Sylla's, Cicero's etc. berühmte Namen. Die Engelländer machens in ihrer Sprache so, und im Deutschen habens einige nachthun wollen; aber noch keine Nachfolger gefunden. Es ist also am rathsamsten, alle die Wörter entweder zu lassen, wie sie sind, und den deutschen Artikel vorzusetzen, oder den verkürzten Zeugefall der Lateiner, z.E. Cicerons, Catons, u.d.gl. zu gebrauchen; oder sie nach Gelegenheit gar auf lateinische Art zu verändern. Z.E. Simon Dach schreibt fast vor hundert Jahren so: Hier muß sich mit schönen Flüssen, Hippokrene selbst ergießen, Mein Parnaß ragt hier hervor; Hier kann Sokrates gebiethen, Und die Kunst des Stagiriten, Hebet hie das Haupt empor. Plato, Tullius, Euklides, Maro, Flaccus, Aristides, Und der Aerzte Fürst, Galen, Kriegen hier ein neues Leben, Ja man sieht noch hier erheben, Palestinen, Rom, Athen. Worinnen man fast von allen obigen Regeln zulängliche Exempel antreffen wird. Nur muß man hier allemal das Lächerliche zu vermeiden wissen, und nicht etwa Mecänen mit Maronen, vergelten; in welcher Endung dieses Wort Castanien andeutet. Und so viel von üblichen oder gewöhnlichen Wörtern. 13. §. Was die neuen Wörter anlanget, so fraget sichs, ob man dergleichen machen könne oder dörfe? Man versteht hier durch neue Wörter entweder ganz neue Sylben und Töne, die man sonst in unserer Sprache nicht gehöret hat, oder nur eine neue Zusammensetzung alter Sylben und Wörter, die nur auf diese neue Art noch nicht verbunden worden. Die lateinischen Poeten haben dergleichen neue Wörter zuweilen mit gutem Glücke gewaget. Z.E. Horaz brauchet, TERGEMINIS, DECERTARE, DISSOCIABILIS, DEPRAELIANTES, DEREPTUS,IRUPTUS, u.d.gl. Doch da ich in seinen ersten XV. Oden nicht mehr, als diese sechs finden kann, so sieht man, wie bescheiden er damit umgegangen. In den folgenden Zeiten aber, als Geschmack und Witz in Rom aus der Art schlugen, ist man viel verwegener damit geworden, wie Seneca, Lucan und Claudian zeigen. Ob dieses auch im Deutschen möglich sey, daran ist wohl kein Zweifel: ja es ist bey uns viel möglicher und leichter, als im Italiänischen und Französischen; weil unsre Sprache mehr Aehnlichkeit mit der alten griechischen hat, als alle heutige europäische Sprachen. Diese aber war überaus geschickt, durch die Zusammensetzung, recht vielsylbige neue Wörter zu machen; wie uns die Kunstnamen in der Zergliederungskunst, und die Dithyramben der alten Poeten sattsam zeigen. Z.E. Hegesander hat dieß spöttische Epigramma auf die alten Sophisten gemacht; und darinn mit Fleiß ausgeschweifet. Ὀφρυανασπασίδαι, ῥινεγκαταπηξιγένειοι, σακκογενειοτρόφοι καὶ λοπαδαρπαγίδαι, εἱματανωπερίβαλλοι, ἀνηλιποκαιβλεπέλαιοι, νυτκιλαθραιοφάγοι, νυτκιπαταιπλάγιοι, μειρατιεξαπάκαι ταὶ συλλαβοπευσιλαληταὶ, δοξοματαιόσοφοι, ζηταρετησιάδαι. 14. §. Ob unsre Muttersprache es auch so weit bringen könne, das haben die Pegnitzschäfer und Zesianer nicht unversuchet lassen wollen. Die ersten hießen ihren nürnbergischen Strom, die holdrin nende und würbelfriedige Pegnitz ; Ihre Geister, hochsteigend feuerbrünstige Geister ; den Ton ihrer Flöten, der schleifenden Pfeifen lustschlirfendes Tönen ; Ihre Wiesen: die von der kunstahmenden Natur hügelartig erhobenen schamarirten Wasen ; Ihre Schafe, die wolligten wollenbehäreten Heerden ; Die Ziegenböcke, die mit zottigten Bärten bebärteten Böcke u.d.gl. Fiengen sie aber gar an, die Natur gewisser Dinge mit ihren neuen Wörtern nachzuahmen; so waren sie ganz unvergleichlich. Z.E. Es dirdilir, dirdilir, dirdirlirliret die Lerche, Es klappern und bappern und blappern langbeinigte Störche, Es krekken, krerekken und quekken grüngelblichte Frösche, Sie lechzen und ächzen und krächzen mit hellem Gedrösche, Es lispeln und wispeln und frischpeln krystalline Brünnen, Und spritzen und schwitzen und nützen mit bräußlichtem Rinnen. Desgleichen von andrer Art. Es wallt das Fluthgelall, die schnellen Wellen schwellen, Die helle Wellenzell hüllt den krystallnen Wall, Der Wollenhüter billt, die Lämmerhälse schellen, Doch schallt vor allen wohl der helle Gegenhall. Noch was schöners, dergleichen nicht immer vorkommt. Der kekke Lachengekk koaxet, krekkt und quakkt, Des Krüppels Krükkenstock krokkt, grakkelt, humpt und pakkt, Des Gukkuks Gukken trotzt den Frosch und auch die Krükke, Was knikkt und knakkt noch mehr? Kurz, hier mein Reimgeflikke. Alle diese Blümchen sind aus Claji Pegnitzschäferey entlehnet. 15. §. Ein andrer Landsmann von ihm, Floridan genannt, kann die Kunst eben so gut. In seiner selig entseelten Margaris Lieb- und Lobandenken, so er im Pegnitzgefilde bey frölicher Frühlingszeit traurig angestimmet , heißt gleich der Anfang des ersten Trauerhirtenspiels so: Das schöne Himmelblau lacht von den Bogenschanzen , Das Weltaug äugelt ab, die güldnen Flittern danzen Und kreuzen durch die Luft etc. Also sagte und klagte (wie es ferner heißt) der betrübte Schäfer Floridan, von seinem gewöhnlichen Lustwandelweg sich an der Pegnitz forttragen lassend. Seine Sinne schwarzeten in die Wette mit seinen Kleidern etc. Seine Wangen und Augen hatten die Farben gewechselt etc. Er öffnet ein paar Thränenbrunnen etc. Aus ihrem Schmerzensthau und Herzregen lässet er die ihm damals viel zu goldne Sonne, Wolken machen, und den schwarzen Himmel mit saphirnen Cartinen verhängen etc. Hernach redet er die Bächlein poetisch an, und will sich mit ihrer Lust belüsten . Entweiche Nachtigall, Du süsse Baumsiren ! Sing dort in jenem Thal Die Federbuhlen an. Mich sollen Wüsteneyen Mit ihrem Eulgeheul hörn in die Wette schreyen. Indem hernach eine Lerche über ihm tiriliret , bildet er sich ein, sie ruffe: Margaris, Margaris, Margaris etc. weis aber nicht, ob er von dieser geflügelten Luftharfe gehöhnet oder getröstet wird. Doch erinnert er sich dabey seiner unter den himmlischen Engellerchen schwebenden gottlobenden Margaris etc. etc. 16. §. Was könnte ich nicht aus Zesens Schriften für treffliche Proben anführen? Ich dörfte nur seinen hochdeutschen helikonischen Rosenthal, das ist, der höchstpreiswürdigen deutschgesinneten Genossenschaft erster oder neunstämmiger Rosenzunft Erzschrein , durchblättern, und alle die seltsamen Misgeburten von Wörtern und Redensarten, die er ausgehecket hat, anmerken, oder auch seine helikonische Hechel ein wenig nachschlagen, die in dem VII. Bande der critischen Beyträge im XXVII. Stücke beleuchtet worden. Allein das obige kann genug seyn, die Art dieser Sprachkünstler und Worthelden kennen zu lernen. Nichts mehr ist zu bewundern, als daß selbst Opitz, bey so vieler Einsicht in die Natur unsrer Sprache, sich durch das Exempel der Holländer zu einer gar zu großen Kühnheit verleiten lassen. Er übersetzt z.E. aus Heinsii Poesien folgende Zeilen von Wort zu Wort, die dem Weingotte zum Lobe gereichen: Nachtläufer, Hüftesohn, Hochschreyer, Lüftenspringer, Gutgeber, Liebesfreund, Hauptbrecher, Löwenzwinger, Herzfanger, Herzendieb, Mundbinder, Sinnentoll, Geistrührer, Wackelfuß, Stadtkreischer, Allzeitvoll. Eben dergleichen neue Namen und Wörter findet man in seinem Lobe des Kriegsgottes Mars, und an andern Orten. Er hat z.E. die Nacht eine Kummerwenderinn u.d.m. genennet; welches endlich so übel nicht klinget, als die vorigen, und also schon zu dulden wäre. Seine Nachfolger, z.E. Lohenstein u.a.m. haben sich auch zuweilen großer Freyheiten bedienet, die ich keinem nachzuahmen rathen wollte: ob sich gleich vor kurzem einige Verderber des guten Deutsch gefunden, und jungen Leuten ein böses Exempel gegeben haben. 17. §. Sonderlich hat man sich bemühet, alle Wörter, die nur einigermaßen dem Lateine ähnlich waren, oder wirklich daraus herstammeten, auf eine wunderliche Art zu übersetzen: gerade, als wenn die Lateiner vormals alle griechische Namen oder dergleichen andre entlehnte und hergeleitete Wörter so heftig verabscheuet hätten. Daß man sich bemühet, alles, was sich deutsch geben läßt, deutsch auszudrücken, das ist allerdings löblich. Unsere Sprache ist weder so arm, als sich einige, die nicht viel Deutsches gelesen haben, einbilden; noch so ungeschickt, daß man nicht auch neue bequeme Wörter darinn bilden könnte, selbst die Kunstwörter der meisten Wissenschaften zugeben; wie man seit zehn oder zwanzig Jahren gesehen hat. Allein Dinge, die keinen andern Namen haben, als der aus einer fremden Sprache genommen ist, umzutaufen; und dadurch unverständlich zu werden: das ist gewiß tadelhaft. Man giebt es zu, daß Nase von NASUS, Ohr von AURIS, Arm von ARMUS, Fenster von FENESTRA, Tisch von DISCUS, Fisch von PISCIS, Wind von VENTUS, Spiegel von SPECULUM, Glas von GLACIES, Fuß von πούς, Thüre von θύρα, Thier von θηρίον, Maus von μῦς, Vater von πατήρ, Mutter von μήτηρ, Thron von θρόνος, Kirche von κυριακή, herstamme; so vieler andern Wörter zu geschweigen, die ganz fremde sind, als Körper, Kamin, Kammer, Kloster, Kanzel, Mönch, Kaiser, Prinz, Provinz, Natur, Tempel, Exempel, Register, Magister, Doctor, Titel, Capitel, Bibel, Prophet, Evangelist, Apostel, Epistel u.d.m. Allein diese und dergleichen Wörter haben eben dadurch, daß sie allgemein worden, und auch von dem Pöbel verstanden werden, das deutsche Bürgerrecht erhalten; so, daß man sich lächerlich machen würde, wenn man sie ganz verbannen wollte. Rachel hat sich abermal nicht enthalten können, diese Hirsenpfriemer, wie er sie nennet, lächerlich zu machen. In seiner oft angezogenen Satire heist es: Auch sieh dich eben vor, daß deine Arbeit nicht, Sey allzusehr genau und sorglich eingericht. Nach Hirsenpfriemers Art, wenn er also darf setzen: Der Erzgott Jupiter, der hatte, sich zu letzen, Ein Gastmahl angestellt. Die Weidinn gab das Wild, Der Glutfang den Toback. Der Saal ward angefüllt. Die Obstinn trug zu Tisch in einer vollen Schüssel Die Freye saß und spielt auf einem Herzensschlüssel, Der kleine Liebreiz sang ein Dichtling auf den Schmaus, Der trunkne Heldreich schlug die Tageleuchter aus, Die Feurinn kam darzu aus ihrem Jungferzwinger Mit Schnäbeln angethan. Apollo ließ die Finger Frisch durch die Seyten gehn. Des Heldreichs Waldhauptmann Fieng lustig einen Tanz mit den Holdinnen an. Je! daß ich doch so schreib! Dieß Elend ist entsprungen, Vom gutem Vorsatz her, weil man mit fremden Zungen Die edle Muttersprach zu schänden aufgehört, Und unsre Deutschen hat das reine Deutsch gelehrt! 18. §. Aus dem allen erhellet deutlich genug, daß man sich vor dergleichen neuen Wörtern, so viel möglich ist, zu hüten habe. Unsre Sprache ist an sich selbst reich genug. Wir könnten zur Noth andern Völkern eine Menge der besten Ausdrückungen abtreten, und würden doch keinen Mangel leiden dörfen. Man kann auch alle seine Gedanken gar leicht mit üblichen und gewöhnlichen Redensarten zu verstehen geben, wenn man nur will, und fleißig die besten deutschen Scribenten gelesen hat. Diese Begierde nun, unsre Mundart zu bereichern, macht einen oft unverständlich und rauhe; oftmals auch gar lächerlich. Hierinnen habens auch wohl große Männer versehen. Z.E. Bessern, der doch sonst so bescheiden in seinen Ausdrückungen ist, ist doch einmal der seltsame Vers entfahren, der eben von keinem guten Geschmacke zeiget: Der sonnengierige Benister hoher Hügel. Der Adler – – – Wer sollte sichs wohl einbilden, daß dieses einen Adler bedeute, wenn ers nicht selbst dazu gesetzt hätte? Aber wer hätte es auch geglaubt, daß diese Zeile aus seiner Feder geflossen wäre? Gleichwohl steht sie auf der 19. S. der ersten Auflage seiner Gedichte. Dergleichen Exempel müssen uns behutsam machen. Allein Leute, die lieber viel schreiben, als zuvor die besten, ja auch viele nur mittelmäßige Scribenten unsers Vaterlandes lesen wollen; denken immer, sie müßten unsere Muttersprache noch erst bereichern. Daher hecken sie täglich neue Misgeburten aus, sie flicken zusammen, verlängern und verkürzen unsre Wörter ohne alle Noth, in Meynung: alsdann würden sie erst für große Dichter gehalten werden, wenn man in ihren Schriften viel neues finden würde. Diese Sucht fäng itzo, da die Liebe zu unsrer Muttersprache wieder ein wenig rege geworden, fast allenthalben an zu herrschen; und es könnte bey uns leicht ein so allgemeines Uebel daraus werden, als es in Frankreich itzo geworden. Denn auch daselbst ist schon eine so seltsame Sprache aufgekommen, daß ein sinnreicher Kopf, diesem Uebel zu steuren, das DICTIONAIRE NEOLOGIQUE zu schreiben veranlasset worden; darinn alle muthwülige Wörtermacher gestriegelt werden. Es wäre zu wünschen, daß sich auch in Deutschland jemand fände, der sich unsrer Muttersprache auf eine so nachdrückliche Art annähme, und sonderlich die schweizerischen Sprachverderber zu rechte wiese, die sich wohl gar für Verbesserer des guten Geschmacks ausgeben wollen: man sehe wie Herr D. Triller in seiner I. Fabel, diese Worthecker ausgelachet hat. Ich kann nicht umhin dieselbe ihrer Schönheit wegen, hieher zu setzen. Auf einem höckrichten und hart besteinten Rücken, Woran zehn stachlichte Gewächse zu erblicken, Schlich eine Selbsthausträgerinn Ohnfüßig, langsamschnell dahin. Ein hart geschnäbeltes schwarzweißlichtes Gefieder, Und Menschenstimm Nachahmerinn, Lief doppelfüssig auch daselbsten hin und wieder. Und regte gegentheils gar schnell Die aufgezogne Uhr der schlanken Unterseulen, Die ihrem fleischern Bau grundlosen Grund ertheilen. Kurz, ihr scharfklauicht Fußgestell Doch durch ihr blitzendes und pfeilgeschwindes Eilen Brach diese Tänzerinn die eine Von den hausstützenden mit Haut bezognen Seulen, In einem engen Mund von einem offnen Steine. Da sprach die Hörnerstreckerinn Zu ihr mit wohlgehirntem Sinn: Laß die augustische Lehrweisheit bey dir gelten: Schnellspringigkeit geräth gar selten. 19. §. Doch kann man einem deutschen Poeten freylich nicht alle neue Wörter verbiethen. Das hieße seinem Pegasus die Flügel gar zu kurz verschneiden, wenn man allezeit bey der gewöhnlichen Art zu schreiben, bleiben müßte. Eine edle Kühnheit steht uns zuweilen sehr wohl an, und gewisse Verwegenheiten gerathen manchem so wohl, daß man eine besondere Schönheit darinnen findet. Doch ist nicht ein jeder so glücklich, daß er Beyfall damit verdienet; weil nicht ein jeder ein so zärtliches Gehör hat, das Leidliche von dem Unerträglichen zu unterscheiden. Es ist hier mit unsern Poeten so, wie mit den Lateinischen. Plautus und Lucretius haben sich in diesem Stücke sehr vergangen; Virgil und Horaz aber haben sich bey ihren neuen Wörtern sehr vernünftig erwiesen. Ein MARE VELIUOLUM, OCULI IRRETORTI, OCEANUS DISSOCIABILIS, EMIRARI, VENTI DEPRAELIANTES, und andere solche poetische Redensarten mehr, kommen bey ihnen vor; die in ungebundner Schreibart nicht gebräuchlich sind, und doch in den zärtlichen Ohren des güldnen Alters der lateinischen Sprache nicht widerwärtig geklungen haben. Unsre ersten guten Poeten geben mir eine Menge von Exempeln an die Hand, da sie es glücklich gewagt haben, neue Wörter zu machen. So legt sich der Phönix nieder, Stirbet und verjüngt sich wieder Durch den Zimmetbrand verzehrt. Und man sollte furchtlos stehn? Deine Mark hat dich besiegt, Die von Leid und Angst durchfahren , Blutig und mit freyen Haaren Dir zu sehr vor Augen liegt. Edle Mark, gebrauch dich sein, Eile, daß sein Gnadenschein, Bald und satt dich mag beglänzen . Die gelehrte Castalis Hat mein Flügelroß gewiß Selber wollen baden. Der, der hier so hoch tritt her, Der ists, den die Ehrendünste Und die leichten Hofegünste Machen auf den Schein so schwer. Etwa wie ein Tausendschönchen, Das gemalte Lenzensöhnchen , Mit dem frühen Tag entsteht. Hier stehn die verweinten Alten, Beyder Herzen sind zerstückt . Die gestirnten Himmelsscheiben Wollen gleichsam stehen bleiben Ueber euch und eurer Zier. Recht, denn soll der Himmelgurt , Der den Schnee hat zur Geburt, So viel thun bey Liebessachen. Du hättest mit gelehrter Hand Das schnelle Ziel gezwungen, Und sie durch künstlichen Verstand Vom Grabe weggesungen . Hier wäre mein Pallast, hier wollt ich lesen können Das süsse Himmelnaß etc. Derselbe. 20. §. Ich bin müde, dergleichen neue Wörter zu suchen, sonst wollte ich sie auch in andern Büchern, in Pietschen und Günthern gar häufig finden: wiewohl der letzte bey weiten so kühn darinnen nicht gewesen, als der erste; der auch wohl zuweilen die Sprachähnlichkeit aus den Augen gesetzet hat, welches eben nicht zu billigen ist. Ich will nur noch dieses erwähnen, daß, wenn gute Poeten in ihren Gedichten den Schall gewisser natürlichen Dinge haben nachahmen wollen, sie gleichwohl lieber bekannte und verständliche Wörter, als seltsame und neuausgedachte Töne dazu gebraucht haben. Z.E. Wenn Nic. Peuker, seinem Namen zu Ehren, den Paukenschall liebt, und sein Buch gar die Paucke betitelt, so macht er folgenden Vers: Mein Paukenschlag, das Bomdibidibom Rufft: Friedrich Wilhelm komm! Mach uns ein Freudenlied, das Bumdibidibum , Und Tarantantara macht schon die Ohren stumm. Hingegen finde ich, daß Opitz in seinem Gedichte von der Ruhe des Gemüths den Lerchengesang so ausgedrücket hat: Die Lerche schreyet: dir, dir lieber Gott allein, Singt alle Welt, dir, dir, dir will ich dankbar seyn. Und Flemming ahmt den Gesang einer Nachtigall auf eben so eine vernünftige Art nach, wenn er in der dritten Ode des III-ten Buchs schreibt: Die gelehrten Nachtigallen Schreyn euch zu mit lautem Schallen: Glück, Glück, Glück! du trautes Paar, Dir, dir, dir, gilt unser Singen etc. Eben so machen sie es, wenn sie andere Gattungen der Töne auszudrücken suchen. Da sieht man keine unerhörte, neugebackene Menge nichtsheißender Sylben; sondern zwar ausgesuchte und der Natur gemäße, aber ungezwungene und sparsam angebrachte Wörter. Ein vollkommenes Exempel giebt mir wiederum Flemming in der angeführten Stelle. Daß die Elster heller rauschet, Daß mit Buhlerinnen tauschet Manch verliebtes Wasservolk; Daß die Büsche sänfter brausen, Daß die Lüfte linder sausen, Und uns trübet keine Wolk etc. Hier sieht man, wie klüglich der Poet im ersten Verse das starke Rauschen eines Stroms, im vierten das sanfte Brausen der Gebüsche, und im fünften das lindeste Sausen der Lüfte nachgeahmet; aber so, daß es scheint, als ob es von ohngefähr gekommen wäre. 21. §. Aus einzelnen Wörtern werden Redensarten, wenn man sie zusammen setzet, und seine Gedanken dadurch ausdrücket. Zu den Nennwörtern rechnet man nun insgemein die Beywörter, die in gebundner und ungebundner Rede von großer Wichtigkeit sind, und also eine besondere Abhandlung erfordern. In der That besteht eine große Schönheit der poetischen Schreibart, in wohlausgesuchten und wohlangebrachten Beywörtern. Es kann auch ein Dichter viel Witz und Urtheil, aber auch eben so viel Einfalt und Thorheit blicken lassen, nachdem er dieselben wohl zu brauchen weis oder nicht. Ein gutes Beywort erhebt oft eine ganze Zeile, und macht einen sonst gemeinen Gedanken neu und scheinbar. Ein niedriges oder ungeschicktes hingegen, schlägt den besten Vers nieder, und verderbet auch den schönsten Einfall zuweilen. Es ist also wohl nöthig, in etwas davon zu handeln. 22. §. Die Beywörter an sich bedeuten theils die Eigenschaften der Dinge, die ihnen allezeit beywohnen; theils auch nur die zufälligen Beschaffenheiten. Z.E. Die heiße Glut, der gelinde West. Da ist die Glut immer heiß, sowohl als das Wasser immer naß ist: der Westwind aber ist nicht allezeit sanft, sondern auch zuweilen ungestüm. Nun fragt sichs, in welchen Fällen man Beywörter von jener oder dieser Art brauchen müsse? Von der ersten Gattung könnte man denken, daß sie ganz überflüssig seyn würden: weil es nichts gesagt zu seyn scheinet, wenn man spricht, der runde Zirkel, die weiße Kreide, der harte Stein etc. Allein man betrügt sich: ein Poet kann auch diese Art der Beywörter nicht entbehren. Er will oft seinem Leser oder Zuhörer die Sachen von einer gewissen Seite zu betrachten geben. Sagte er nun den bloßen Namen derselben nur allein: so würde man zwar an die ganze Sache überhaupt, aber nicht an die Eigenschaft insbesondere gedenken, die der Poet erwogen haben will; oder sich doch dieselbe nur dunkel vorstellen. Denn ein Ding hat viele Eigenschaften, die uns nur verwirrt in Gedanken schweben, wenn wir nichts als seinen Namen hören. Z.E. Der Stein ist dicht oder locker, hart oder weich, schwer oder leicht, dauerhaft oder mürbe und zerbrechlich, leblos, unbeweglich u.s.w. Weil aber in diesem oder jenem Falle der Leser seine Gedanken nur auf eine oder die andere Eigenschaft richten soll, um des Poeten Meynung zu verstehen: so muß ein Beywort dabey stehen, dadurch er dazu veranlasset werden kann. Z.E. Da steht er wie der todte Stein , In den sich Loths Gemahl verkehret. Oder: Wenn Sysyphus den schweren Stein Mit hochbemühten Armen wälzet etc. Oder: Ein dichter Stein wird durch die Flammen Zu Kalk und Aschen ausgebrannt, etc. Oder: Schreibt sein Lob in festen Stahl Grabt es in die härtsten Steine etc. Oder: Die Rabenmutter war ein unbewegter Stein: Es schien die harte Brust ein wilder Fels zu seyn, Der keine Fühlung hat. 23. §. Aus dieser einzigen Anmerkung wird man schon zur Gnüge die Regel abnehmen können: daß kein Beywort in der Poesie vergebens oder müßig da stehen müsse. Ganze Zeilen mit Beywörtern anzufüllen, die nichts oder doch sehr wenig zur Absicht des Poeten beytragen, das zeigt keinen sonderlichen Verstand: aber wohl eher eine Armuth an Gedanken an. Ordentlich soll auch kein Wort mehr als ein Beywort haben, welches sich zur Sache schicket, und entweder zum Verstande unentbehrlich ist; oder doch einen besondern Zierrath abgiebt, indem es eine angenehme Vorstellung bey dem Leser erweckt, dadurch er lebhaft gerühret und desto mehr eingenommen wird. Das zeigt also mehrentheils einen Mangel an Einfällen, wenn man so lange allerley Beywörter zusammen raffet, bis ein ganzer, ja zuweilen wohl gar etliche Verse damit vollgestopfet worden. Wie wurde das klingen? Der große, gütige, gerechte, liebe Gott, Kann böse, sündige, verderbte Menschen leiden etc. So elend dieses klingt, so breit machen sich wohl gewisse neuere, die in Beschreibungen ihre poetische Stärke suchen, mit ihren langgedehnten und aufgehäuften Beywörtern. Man nehme ihnen dieselben weg, so streicht man drey viertel von ihren Versen aus, und es bleibt ihnen kaum die Hälfte von ihren Gedanken übrig. Canitz, hat diesen Fehler an den hochtrabenden Beschreibungen des Gewitters bemerket, und verspottet: Der Donnerschwangre Dampf beschwärzt das Luftrevier; Der Stralbeschwänzte Blitz bricht überall herfür; Der grause Donner brüllt, und spielt mit Schwefelkeilen. Der Leser wird betrübt, beginnet fortzueilen, etc. 24. §. Hiernächst sind die Beywörter entweder gemein, so daß sie einem jeden einfallen; oder sie sind neu und unvermuthet. Z.E. Wenn einer ein Frauenzimmer schön nennet, so ist nichts gemeiner als dieß Beywort; obwohl die Sache so gemein nicht ist. Wenn aber Opitz ein paar von seinen Buhlschaften beschreiben will, so hat er ganz andere Beywörter, die er ihnen giebt. Die sittsamen Geberden, Die geile Höflichkeit, der abgeführte Sinn, Und was mich sonsten hielt, ist alles mit ihr hin. Dann hat mich endlich auch in Dacien gefangen Die lange Vandala. Itzt, da ich ihr entgangen, Und die Begierlichkeit mich wenig meistern kann; Steckt Flavia mich noch durch neues Feuer an, Die wilde Flavia mit ihren schwarzen Augen. Mich dünkt, ein jeder wird hier leicht gewahr werden, was diese so besondere Beywörter dem ganzen Verse für einen ungemeinen Geist und Nachdruck geben, den sie von andern bekannten und oft gebrauchten nimmermehr hätten erwarten können. Simon Dach, in seiner Ode, auf die Geburt eines preußischen Prinzen 1648. schreibt: Was? der brückenreiche Pregel Hebt durch Flaggen, Mast, und Segel Sein beschilftes Haupt empor etc. Und bald hernach: Wachs o Kind! die grünen Wälder Und die Frucht der schwangern Felder Wächst zum Wohlgefallen dir. In einem andern Gedichte finde ich bey ihm, die fruchtbeschwerten Aeste, ein starkbeeistes Haar; dem Pregel giebt er im Winter, einen harten Rücken, dem Churfürsten Friedrich Wilhelm, ein ahnenreiches Haus. 25. §. Flemming ist in dergleichen Künsten noch fast erfahrner gewesen. Er beschreibt in einer Ode eine Frühlingsnacht folgender gestalt: Alles braucht sich seiner Ruh. Sehet, wie die Saat sich bücket, Die verwachte Rose nicket, Und thut itzt ihr Auge zu. Und die taumelnden Cypressen Haben ihrer selbst vergessen. Die gekühlte Luft schleicht aus Und haucht auf die trucknen Matten, Thauende, gesunde Schatten: Und das frohe Sternenhaus Geußt den schlummernden Gewächsen, Neue Kraft in ihre Flechsen. Alle diese Beywörter sind so auserlesen und sinnreich, daß ich mich nirgends entsinne, was schöners in dieser Gattung gefunden zu haben. Weil sie aber fast alle gleichnißweise zu verstehen sind, so gehören sie eigentlich nicht in dieses Capitel. Imgleichen in seinen langen Versen, ist ein großer Vorrath davon. Auf der 60. S. stehen, der böse Krebs, der so grimme Eifer, die lose Welt, der böse Himmel, die freyen Sinne, eine linde Luft, darauf folgt: Der Himmelreiche Plato, Der frische Seneca, der Weisheitvolle Cato, Die haben ihn zuvor durch sich beherzt gemacht, Daß er in dickster Angst, als höchster Wollust lacht, Wenn aller Pöbel weint. Was könnte ich nicht noch aus Tscherningen, Risten, Siebern, Franken, Schochen, und Canitzen, als den besten Geistern des vorigen Jahrhunderts, für schöne Proben anführen, wenn es nöthig wäre? Doch es ist Zeit auf das itzige zu kommen. 26. §. Eben so glücklich in Beywörtern ist Amthor, Z.E. auf der 187. S. Der Nordwind hat der Bäume Zweigen Den grünen Vorhang abgestreift, Die kahlen Gipfel stehn bereift, Des Jahres Alter anzuzeigen. Das Laub entfleucht der kalten Lufft Und suchet die beliebte Grufft: Vielleicht nur in den stillen Gründen, Vor ihren Stürmen Schutz zu finden. Das ist die erste Strophe von einer Hochzeitode: in den andern finde ich noch das leichtbedeckte Vogelheer, laue Sümpfe, warme Nester, viergefüßte rauche Schaaren, neu geputzte Waffen, ein reichbehaarter Balg, der erstarrte Körper, mit weicher Hand ein hartes Eisen (den Ofen) befühlen; todte Funken, eine lindgemachte Glut, ein holdbelebter Schooß, in seinen federweichen Grüften, ein froher Schlummer, die kalten Schatten, ein frostig Weh, der weiße Liebesschnee, keusche Lüste, die geschloßne Decke, ein starrer Leib, die geweihten Anmuthsflammen, immerfrisches Oel, ein helles Tugendlicht, u.s.w. Was könnte man nicht noch aus Bessern, Heräus, Neukirchen und Günthern, für Proben anführen. Allein ich will nur noch ein paar aus, Pietschen hersetzen. In dem Gesange auf den Eugen finde ich, unter andern die räuberische Zeit, dauerhafte Musen, den belorberten Eugen, imgleichen den unsterblichen Eugen u.d.gl. 27. §. Bey dem allen fragt es sich, ob es angehenden Poeten zu rathen sey, sich dergleichen schöne Beywörter und andere poetische Redensarten zu sammeln, oder dieselben in gedruckten Sammlungen nachzuschlagen und zu brauchen? Wir haben eine Menge solcher Handbücher, die ich alle hier namhaft machen wollte, wenn ich ihren Gebrauch für nöthig hielte. Zwar einem solchen Reimschmiede, Der keine Griffe weis, und mit dem Hübner spielt, Und keinen Funken Trieb in seinen Adern fühlt, wie Günther schreibt, thun dergleichen Bücher zuweilen gute Dienste. Allein, das sind eben die Leute nicht, die dem Vaterlande durch ihre Poesie Ehre bringen werden: und also wäre es besser, daß man ihnen den Weg zum Reimen und Sylbenhenken nicht erleichterte. Geistreiche Köpfe brauchen solche Gängelwägen nicht, ihre Muse zu leiten. Poeten zu lesen, und bey ihren schönen Ausdrückungen den Witz, der darinnen stecket, zu überdenken, das rücket uns freylich den Kopf zurechte. Ein Feuer zündet das andere an, und man wird selber allmählich geschickt, guten Mustern zu folgen. Allein ein Chaos von allerley zusammengestoppelten Blümchen nachzuschlagen, und bey jeder Zeile, die man schreibt, einen poetischen Trichter in Händen zu haben, daraus man Wörter sucht, Gedanken auszudrücken, die man noch nicht hat; das heißt gewiß schlecht poetisiret. Gemeiniglich bekömmt auch ein Beywort seine ganze Schönheit aus dem Zusammenhange, darinn es stehet. In einer solchen Schatzkammer aber findet man nichts, als DISIECTI MEMBRA POËTAE. HOR. die verstümmelten Glieder eines zerrissenen Poeten; die nunmehro dasjenige nicht mehr sind, was sie an ihrem rechten Orte gewesen. Wie kann also ein Ausdruck, außer seiner rechten Stelle, seine Anmuth und seinen Nachdruck behalten? 28. §. Nun muß ich auch auf die Wortspiele kommen, die vorzeiten überall so beliebt gewesen; zu unsern Zeiten aber ganz lächerlich geworden. Wenn ich durch ein Wortspiel eine jede Wiederholung eines Wortes oder einer Sylbe verstehen wollte, so würde ich in der That viele poetische Schönheiten verwerfen müssen. Z.E. Wenn Flemming auf der 129. S. schreibt: Wohl dem, der so verdirbt! Wer eh stirbt, als er stirbt, der stirbt nicht, wenn er stirbt. So kann ich dieß unmöglich ein verwerfliches Wortspiel nennen. Denn der Poet hat lauter wahre und wohlgegründete Gedanken im Kopfe, die er am allerbesten auf diese Art auszudrücken dachte. Es ist wahr, daß das Wort sterben hier in dreyerley Bedeutung genommen wird. Denn ehe sterben , als man stirbt; das heißt eigentlich, seinen Lüsten absagen, und die Welt verschmähen, ehe noch die Seele vom Leibe getrennet wird. Und nicht sterben , wenn man stirbt, heißt so viel, als in der Welt in gutem Andenken bleiben, ja auch der Seelen nach ewig leben; wenn man gleich dem Körper nach entseelet worden. Also könnte man freylich hier sagen, der Poet hätte mit dem Worte sterben gespielet, und es bald in eigentlichem, bald in verblümten Verstande genommen. Allein gesetzt, daß man dieses ein Wortspiel heißen wollte, welches denn eine willkührliche Sache ist: so könnte es doch kein verwerfliches Wortspiel heißen. Denn der Gedanken in der ganzen Zeile ist richtig, deutlich und auf eine sinnreiche Art ausgedrückt. Man hätte ihn weder kürzer fassen, noch dem Leser in so wenigen Sylben mehr gute Betrachtungen veranlassen können. Alle Bedeutungen, die endlich das Wort stirbt , bekömmt, sind gewöhnlich; und der Leser darf sich also keine Gewalt thun, einen unerhörten Sinn desselben zu errathen. 29. §. Ganz anders wird es sich, meines Erachtens, bey folgenden Proben von Wortspielen verhalten, die ich aus eben dem Poeten nehmen will. Er setzt z.E. 367. S. Schaffet, daß sich Selbsten müssen Die geküßten Küsse küssen . 386. S. Frey ist freyen , wie es heißt, Frey will seyn ein freyer Geist, Freyt denn! freyet nach Belieben etc. 393. S. Als der gute Tityrus Denen kaum erwachten Schläfern, Seinen treuen dreyen Schäfern, Brachte seinen lieben Gruß. Hier glaube ich nun, wird wohl ein jeder begreifen, daß diese Wortspiele nichts als leere Schellen sind, die nur im Gehöre klingen, dem Verstande aber keinen neuen Gedanken veranlassen. Denn was soll es heißen, daß sich die geküßten Küsse küssen? Ein Kuß kann ja nicht geküßt werden, weil er im Küssen erst entsteht, und sogleich aufhört zu seyn. Vielweniger kann er selber küssen. Dieses sind also Töne ohne Sinn. Und was hat das Freyseyn mit dem freyen zu thun? Wenn gleich das eine Wort von dem andern abstammete; so wäre es doch noch kein Grund, das Freyen aller Kinder ihrer Willkühr zu überlassen. In allen diesen Wiederholungen ähnlicher Wörter stecket weiter nichts, als die Gleichheit des Tones, die so leicht einen Ekel, als Wohlklang erwecken kann. Das dritte Exempel ist vollends eine sehr läppische Art des Spieles. Ein Buchstabe muß durch seine Aehnlichkeit mit dem andern der ganzen Zeile eine vermeynte Schönheit geben. Die obigen Spiele sind mir also eben so lächerlich, als folgende Misgeburt eines Pegnitzschäfers vorgekommen: Ihr Matten voll Schatten begrasete Wasen, Ihr närbigt und färbigt geblümete Rasen, Ihr buntlichen Sternen, Ihr Felderlaternen, Hört wieder die Lieder von Schäferschalmeyen etc. Ihr trägen Goldbächlein, ihr hellen Glasquellen, Ihr schwällende Wellen, ihr Süberfluthzellen, Ihr Pegnitznajaden In sumpfigten Pfaden, Nehmt dieses, nehmt hiesig erneurende Lieder etc. 30. §. Es giebt noch eine Art der Wortspiele, darauf sich gewisse Leute Wunder was einbilden. Es sind die Anspielungen auf Namen, wo ich so reden darf; dabey sie einen besondern Witz zu bezeigen vermeynen. Flemming hat es uns auch an solchen Exempeln nicht fehlen lassen, welche ich, der Hochachtung unbeschadet, die ich sonst gegen ihn habe, zu dem Ende anführe, damit man sehe: wie sich auch Leute, denen es an Witz und Geist sonst nicht fehlet, in dergleichen Kleinigkeiten verlieben können. Auf der 364 S. steht ein Lied auf eine Hochzeit Johann Weinmanns, mit Magd. Wasserführerinn. Da heißt nun eine Strophe: Schöne Braut, gedenkt zurücke, Und erwegt des Himmels Gunst, Der euch, helfe Gott zu Glücke! Einen Weinmann , eure Brunst, Einen Weinmann , der euch liebet, Für den Wasserführer giebet. Welch eine Wohlthat Gottes! einen Mann zu bekommen, der vom Weine den Namen hat; nachdem man einen verlohren, der ihn vom Wasser herleitete. Ohne Zweifel wird die gute Frau bey dem ersten lauter Wasser, und beym andern lauter Wein getrunken haben. Die 17te Ode in seinem III. Buche ist auf Nicl. von Höveln und Elis. Niehusens Hochzeit gemacht, und darinnen spielt er so unsauber: Höfelt euer neues Haus Bräutgam aus etc. Dieses läuft nun gar wieder die Ehrbarkeit, wird aber von schmutzigen Versmachern desto lieber nachgemacht. In der 19ten Ode desselben Buchs, auf Dan. Gläsers und Mar. Reimininn Hochzeit, steht folgende letzte Strophe: Braut, gedenket unterdessen, Daß an euch was gläserns ist, Bräutgam, thut auch nicht vergessen, Was ihr nun fort reimen müßt. Daß ihr mögt nach kurzen Tagen Neue Reim und Gläser tragen. 31. §. Wer nun in allen dergleichen Kindereyen Schönheiten zu sehen meynet, dem kann man seinen Geschmack wohl lassen: aber wer etwas wahres und gründliches dem scheinbaren vorziehen will und kann, der wird besser thun, wenn er alle diese Klapperwerke sorgfältig vermeidet. Die Exempel großer Leute, die sich zuweilen auf die Art vergangen, machens nicht aus. Man hat freylich in Virgils Schäfergedichten dergleichen eins gefunden: DIC, QUIBUS IN TERRIS, ET ERIS MIHI MAGNUS APOLLO, TRES PATEAT CAELI SPATIUM NON AMPLIUS VLNAS? Dieses Räthsel besteht bloß in der Zweideutigkeit des Wortes CAELI, welches entweder von CÄLIUS herkommt, und also das Grab eines gewissen CAELII zu verstehen giebt: oder von CAELUM ein Abfall ist, und also die Breite des Himmels andeutet. Allein der Poet kann leicht damit entschuldiget werden, daß er sein Räthsel in den Mund eines einfältigen Schäfers leget, der auf dem Dorfe leicht etwas für schön halten konnte, was doch Virgil selbst für was schlechtes hielt. Nur wäre es zu wünschen, daß Martial und andere neuere Verfasser von Sinngedichten, als z.E. Ovenus sich nicht ohne solchen Vorwand, in eben diese Spielwerke verliebet hätten. Ihre Gedichte wimmeln aber von solchen Einfällen, und gefallen mittelmäßigen Köpfen oft darum, warum sie ihnen misfallen sollten. Ja junge Leute ahmen oft diesem falschen Witze desto lieber nach, je leichter er ihnen fällt, wenn sie noch keinen bessern Vorrath guter Gedanken haben. 32. §. Von Opitzen und andern Poeten unsers Vaterlandes, darf man mir also destoweniger einen Einwurf machen. Ich weis wohl, daß sie sich zuweilen von dem verderbten Geschmacke ihrer Zeiten, gleichsam wieder ihren Willen haben hinreißen lassen. Ihr Exempel aber, kann uns keine Regel machen: weil es mit keinen guten Gründen unterstützet ist. Wir folgen vielmehr der Vorschrift des Boileau, der in seiner Dichtkunst ausdrücklich die Wortspiele verworfen hat. Denn er erzählt, wie anfänglich die Spitzfündigkeken und zweydeutigen Worte aus Italien gekommen, und erstlich in die Sinngedichte, hernach, da der Pöbel dadurch verblendet wurde, in Madrigalen, Tragödien, Elegien, Schäfergedichten, ja gar vor Gerichte und auf der Kanzel eingeführet worden. ON VIT TOUS LES BERGERS DANS LEURS PLAINTES NOUVELLES, FIDELES À LA POINTE, ENCOR PLUS QU'À LEURS BELLES, CHAQUE MOT EUT TOUJOURS DEUX VISAGES DIVERS; LA PROSE LA REÇÛT AUSSI-BIEN QUE LES VERS; L'AVOCAT AU PALAIS EN HERISSA SON STILE, ET LE DOCTEUR EN CHAIRE EN SEMA L'EVANGILE. Hierauf sagt er, die Vernunft hätte endlich die Augen aufgethan, und sie einmal für allemal aus ernsthaften Schriften verbannet, sie allenthalben, für unehrlich erkläret, und ihnen kaum in Sinngedichten, doch mit dem Bedinge, einen Platz vergönnet, daß sie mit den Gedanken und nicht mit Worten spielen möchten. Darauf hätten zwar allenthalben die Unordnungen aufgehört: doch wären bey Hofe Possenreißer geblieben; abgeschmackte Lustigmacher, unselige Pickelheringe, altfränkische Verfechter grober Wortspiele. LA RAISON OUTRAGÉE ENFIN OUVRIT LES YEUX, LA CHASSA POUR JAMAIS DES DISCOURS SERIEUX, ET DANS TOUS CES ÉCRITS LA DECLARANT INFAME, PAR GRACE LUI LAISSA L'ENTRÉE EN L'EPIGRAMME: POURVEU QUE SA FINESSE, ÉCLATANT À PROPOS, ROULAST SUR LA PENSÉE, & NON PAS SUR LES MOTS. AINSI DE TOUTES PARTS LES DESORDRES CESSERENT, TOUTESFOIS À LA COUR LES TURLUPINS RESTERENT, INSIPIDES PLAISANS, BOUFFONS INFORTUNÉZ, D'UN JEU DE MOT GROSSIER PARTISANS SURANNEZ. 33. §. Was könnte ich nicht aus des Grafen Schafftsbury Schriften, und aus dem Zuschauer für Stellen anführen, darinn sie über den verderbten Geschmack ihrer Landesleute in diesem Stücke die heftigsten Klagen führen. Siehe von diesem letzten das 58. Blatt des I. Bandes. Allein es ist genug gesagt, wenn ich nur noch die Probe eines guten Gedankens, die von einigen vorgeschlagen wird, werde angemerkt haben. Man sagt: alles, was sich in eine fremde Sprache übersetzen läßt, und gleichwohl noch die vorige Schönheit behält, das ist ein gründlicher und richtiger Gedanke; was aber alsdann sich selbst nicht mehr ähnlich sieht, das ist zu verwerfen. Nun trifft dieses zwar nicht allemal ein, indem manche Wortspiele in mehr als einer Sprache angehen: allein in Ermanglung einer bessern, will ich mich nicht bemühen, diese Regel umzustoßen. Ein Kopf, der richtig denken gelernt hat, wird auch nicht leicht eine Anweisung dazu brauchen. Das ist endlich noch anzumerken, daß man zum Gelächter und irgend eines lustigen Einfalls wegen, wohl zuweilen ein Wort in anderm Verstande nehmen, und zum Scherze brauchen kann, ohne so den guten Geschmack dadurch zu verletzen. Boileau selber erlaubt dieses in folgender Stelle: CE N'EST PAS QUELQUE FOIS, QU'UNE MUSE UN PEU FINE, SUR UN MOT EN PASSANT NE JOUE & NE BADINE, ET D'UN SENS DETOURNÉ N'ABUSE AVEC SUCCÉS: MAIS FUYEZ SUR CE POINT UN RIDICULE EXCÉS, ET N'ALLEZ PAS TOUJOURS D'UNE POINTE FRIVOLE, ALGUISER PAR LA QUEUË UNE EPIGRAMME FOLLE. Wie viel gezwungene Spitzfindigkeiten müßten wir nicht aus unsern meisten Poeten ausmustern; wenn wir des Boileau Vorschrift in diesem Stücke folgen wollten? Das 8. Capitel Das VIII. Capitel. Von verblümten Redensarten. 1. §. Der größte Zierrath poetischer Ausdrückungen besteht freylich in den tropischen, uneigentlichen und verblümten Worten und Redensarten. Man setzt dieselben dem eigentlichen Ausdrucke entgegen, der alle Wörter in ihrer natürlichsten und einfältigsten Bedeutung braucht. Dieses ist die allergemeinste Art zu reden und zu schreiben, die auch den allerschlechtesten Köpfen nicht schwer ankömmt. So leicht und verständlich sie ist, wenn sie nur nach den Regeln der Sprachkunst richtig bleibt: so trocken, so mager und wässerigt ist sie auch. Sie hat kein Feuer, keinen Geist, kein Leben in sich, und ist sehr geschickt, einen, der sie höret oder liest, einzuschläfern. Diejenigen Poeten unsers Vaterlandes, die sich mehr auf ein fließendes Sylbenmaaß, als auf gute Gedanken beflissen haben, sind in dieser Art des eigentlichen Ausdruckes fast zu tief herunter gesunken. Sie wollten die hochtrabende lohensteinische Schreibart meiden, und fielen in den gemeinen prosaischen Ausdruck: so, daß endlich ihre Gedichte nichts, als eine abgezählte Prose geworden. Es hat von ihnen geheißen: SECTANTEM LEUIA NERUI DEFICIUNT ANIMIQUE; Ich will hieher nur Chr. Weisen und Bessern rechnen, welche gewiß in diesem Stücke vielmals gar zu natürlich geschrieben. Von dem erstern kömmt mir in seinen reifen Gedanken auf der 175 S. ohngefähr folgendes in die Hand: Wer itzo fünfzig Jahr in seinem ganzen Leben Zurücke legen kann, dem scheint es trefflich viel: Die Welt nimmt täglich ab, und will fast Abschied geben, Jemehr die Jahrzahl wächst, je kürzer wird das Ziel. Derhalben welchen Gott mit dieser Gnade segnet, Daß er in seiner Eh noch funfzig Jahr vollbringt, Dem ist ein Wunderwerk und solch ein Glück begegnet, Das unter hunderten kaum einem halb gelingt. Hier steht dergleichen Mann, ein Priester, greis von Haaren etc. Aus dem letztern fällt mir, beym Aufschlagen, das Beylagersgedichte von Alexandern und Roxanen in die Augen, wo Jupiter im Vorspiele sich so hören läßt: Daß Ehen auf Erden Von Menschen vorgenommen werden, Kommt nicht von Menschenvorsatz her: Es ist mein Thun, der ich die Welt regiere, Es ist ein Werk vom Jupiter. Lernt, Sterbliche, daß ich die Herzen führe; Daß Ehen zwar auf Erden Vollzogen; aber nur von mir beschloßen werden. 2. §. Was ist nun in diesen beyden Stücken poetisches, außer dem Sylbenmaaße und den Reimen? Sind es nicht lauter gemeine Gedancken, gemeine Wörter und Redensarten, und gemeine Bedeutungen derselben? Wie hätte man sich eigentlicher ausdrücken, und den natürlichen Verstand der Worte genauer beybehalten können, als hier geschehen ist? Man darf nur eine kleine Veränderung damit vornehmen, so, daß das Sylbenmaaß verschwindet, und der Reim wegfällt: so bleibt nichts als eine sehr magre Prosa übrig. Wir wollen mit dem ersten die Probe machen: »Wer itzo in seinem ganzen Leben fünfzig Jahre zurücke legen kann, dem scheint es trefflich viel zu seyn. Die Welt nimmt alle Tage ab, und will uns fast Abschied geben. Jemehr die Jahrzahl zunimmt, je kürzer wird auch das Ziel. Welchen Gott derohalben mit dieser Gnade segnet, daß er noch funfzig Jahre in seiner Ehe vollbringt, dem ist ein solch Wunderwerk und Glück wiederfahren, das kaum einem unter hunderten halb zu gelingen pflegt.« etc. Nun möchte ich gern wissen, wo hier das poetische Wesen stecket; worinn sich der Geist und Witz eines Dichters gewiesen hätte? Alles dieses hat meines Erachtens ein jeder denken und schreiben können, der niemals einen Poeten gesehen oder gelesen, ja kein Wort von Poesie reden gehört hat. In der besserischen Stelle redet der Gott Jupiter ebenfalls in der gemeinsten Sprache, wenn man nur das klingende Sylbenmaaß und die Reime wegschaffet. »Daß auf Erden von den Menschen Ehen vorgenommen werden, das kömmt nicht vom Vorsatze der Menschen her. Es ist ein Werk Jupiters; es ist nur mein Thun, der ich die Welt regiere. Lernet ihr Sterblichen, daß ich die Herzen lenke, und daß die Ehen auf Erden zwar vollzogen, aber nur von mir beschlossen werden.« 3. §. Vielleicht halten viele dafür, daß dieses eben die rechte Schönheit der vernünftigen Poesie sey, ganz natürlich zu reden, und sich von allen schwülstigen Redensarten zu enthalten. Allein wir wollen uns erstlich erinnern, daß Horaz uns vor beyden Fehlern gewarnet, und weder zu hoch über allen Wolken noch leerer Luft zu schnappen, noch im Staube zu kriechen, sondern die Mittelstraße zu halten, und auf dem erhabenen Parnaß zu gehen, befohlen hat. PROFESSUS GRANDIA, TURGET; SERPIT HUMI, TUTUS NIMIUM TIMIDUSQUE PROCELLAE: IN VITIUM DUCIT CULPAE FUGA, SI CARET ARTE. Fürs andere ist es längst, auch von Rednern, angemerket worden, daß der uneigentliche Ausdruck durch verblümte Redensarten, so gar der ungebundnen Rede eine besondere Anmuth giebt. Cicero z.E. lehrt im dritten Buche vom Redner im 38. Capitel ausdrücklich, daß die uneigentlichen Bedeutungen der Wörter zwar zu allererst aus Mangel und Dürftigkeit der Sprachen aufgekommen; hernach aber auch zur Anmuth und Zierde gebraucht worden: wie man auch die Kleidungen anfänglich zur Bedeckung unsrer Blöße, nachmals aber zur Pracht ausgesonnen und eingeführet hat. Er erweiset es durch verschiedene verblümte Reden, die auch bey den lateinischen Bauern gewöhnlich gewesen; dergleichen etwa bey uns folgende wären: Der Wald ist mir ausgestorben ; der Baum hat den Krebs ; die Zweige kriegen schon Augen ; die Saat steht geil ; der Acker ist fett ; das Getreyde brandig , u.d.gl. Darauf erinnert er, daß es außer diesen gemeinen Arten verblümter Reden, noch eine verwegnere Gattung gebe, die nicht aus dem Mangel der Sprache; sondern aus einem feurigen Witze entsteht, und der Rede viel Glanz und Schönheit zuwege bringet; welches er denn mit vielen poetischen Exempeln erläutert. 4. §. Ich will desgleichen thun, um die Sache in ein völliges Licht zu setzen. So schreibt Flemming auf der 362. S. Der verliebte Himmel lächelt, In die gleich erwärmte Luft, Welche gleichsam Küsse fächelt , Auf der schwangern Erden Kluft, Die bald beyden, so sie liebet, Tausend schöne Kinder giebet. Wer sieht hier nicht einen weit edlern poetischen Ausdruck; in verblümtem Verstande gebrauchte Worte, und kühne Redensarten? Der Himmel muß verliebt heißen, welches man sonst nur von verständigen Wesen sagt. Die Luft muß Küsse fächeln; weil sie so lieblich ist, als eine freundliche Schönheit, wenn sie einen Geliebten küssen will. Die Erde ist schwanger, weil die Gewächse gleich einer Frucht im Mutterleibe, in ihr verborgen liegen, ehe sie im Frühlinge ausbrechen. Sie muß den Himmel und die Luft lieben; welches wiederum nur im verblümten Verstande angeht: weil sie sich nämlich bey der Gegenwart des freundlichen Himmels, mit ihrem Laube und Grase schmücket; wie eine verliebte Dirne gegen die Ankunft ihres Liebsten. Endlich giebt sie tausend schöne Kinder, das ist, in der eigentlichen Sprache zu reden, Blumen und Früchte. Und wer sieht hier nicht, daß diese Strophe durch ihre verblümten Redensarten weit schöner und geistreicher geworden, als wenn sie aus lauter eigentlichen Ausdrückungen bestanden hätte? Noch eins zum Ueberflusse, aus eben dem Poeten, auf der 353. S. Die verlebte Welt wird jünger , Und streicht mit verliebtem Finger, Ihre Runzeln von der Haut. Seht, seht, wie sie aus den Feldern, Aus den Auen, aus den Wäldern, Mit verbuhlten Augen schaut. 5. §. Hieraus erhellet ja wohl deutlich genug, was ein poetischer Geist, was eine edle Art zu denken, und ein feuriger ungemeiner Ausdruck sey. Dieß ist die Sprache der Poeten, dadurch sie sich von der magern prosaischen Schreibart unterscheiden. Mail versuche es, und zertrenne auch hier das Sylbenmaaß; man verstecke die Reime, wie man will: es wird doch ein poetischer Geist daraus hervorleuchten. Daß aber dieses die rechte Probe des poetischen Geistes sey, das lehrt uns Horaz, der in der IV. Satire seines I.B. ausdrücklich sagt, daß seine und des Lucilii Verse nichts poetisches mehr an sich behielten, so bald man durch die Versetzung der Worte ihnen das Sylbenmaaß genommen. Weit anders verhalte es sich mit dem Ennius, der die poetische Schreibart in seiner Gewalt gehabt. Denn wenn man gleich die Worte: Nachdem die scheußliche Zwietracht die eisernen Pfosten und Thore des Krieges erbrochen , noch so sehr versetzen wollte: so würde man doch allezeit die Glieder eines zerlegten Poeten darinn antreffen. Es ist werth, daß ich das lateinische davon hersetze. 1 Ich muß nur erwähnen, daß Horaz durch diese Anmerkung erweisen wollen, eine Satire verdiene nicht den Namen eines Gedichtes. Denn kurz vorher hatte er sich ausdrücklich aus der Zahl der Poeten ausgeschlossen, in so weit er nur ein Satirenschreiber war. 2 Ein Poet muß also einen großen Witz, einen göttlichen Geist und einen erhabnen Ausdruck haben, wenn man ihn mit diesem Namen beehren soll. 6. §. Und freylich zeiget sich der Witz eines Poeten hauptsächlich in der glücklichen Erfindung verblümter Redensarten. Denn ist derselbe eine Kraft der Seelen, das Aehnliche leicht wahrzunehmen: so merket man, daß in jedem uneigentlich verstandenen Worte ein Gleichniß steckt, oder sonst eine Aehnlichkeit vorhanden ist, weswegen man eins für das andere setzt. Das belustiget nun den Leser eines solchen Gedichtes. Er sieht nicht nur das Bild, darunter ihm der Poet eine Sache vorstellet, sondern auch die Absicht desselben, und die Aehnlichkeit zwischen beyden; und da sein Verstand auf eine so angenehme Art mit so vielen Begriffen auf einmal beschäfftiget ist, so empfindet er nicht nur wegen der Vollkommenheit des Poeten, dessen Schrift er liest, ein Vergnügen; sondern er belustiget sich auch über seine eigene Scharfsinnigkeit, die ihn fähig macht, alle Schönheiten des verblümten Ausdruckes, ohne Mühe zu entdecken. Z.E. Amthor schreibt auf der 125 Seite: Itzt schwindet allgemach, Der Schatten lange Nacht, und läßt der Thürme Zinnen, Ein frohes Morgengold gewinnen. Der alte Nordwind giebt dem jungen Zephir nach, Die Erde wird der lüstern Sonnen Braut, Die ihren Bräutigam stets näher treten schaut. Sie schmückt sich schon zur neuen Hochzeitfeyer: Weil Phöbus ihren Wittwenschleyer, Den Schnee und Eis ihr umgethan, Aus heißer Brunst nicht ferner dulden kann. Diese Stelle kann für ein Muster des guten verblümten Ausdruckes angesehen werden. Das frühe Morgengold auf den Zinnen der Thürme, ist das goldfarbigte Licht der Morgenröthe, und der hervorbrechenden Sonnenstralen, die sich an den Thurmspitzen zuerst zeigen. Der Nordwind wird, seiner Kälte halber, einem alten Manne, und der warme Zephir einem Jünglinge verglichen. Die Erde wird wegen ihres Putzes im Frühlinge, als eine Braut, und die Sonne, als ihr lüsterner Bräutigam vorgestellt: weil sie so unverwandt nach derselben ihre Stralen schießet, als ein verliebter Freyer bey seiner Liebsten zu thun pflegt. Der Schnee des vergangenen Winters, muß endlich, seiner Farbe halber, einen Witwenschleyer abgeben, den die brünstige Sonne ihr vom Angesichte gezogen hat. Wer hier nicht den Reichthum eines poetischen Witzes wahrnimmt, der muß gewiß keinen Geschmack an schönen Dingen finden können. 7. §. Ein jeder sieht aber von sich selber wohl, daß hier fast nichts anders, als die Metaphora vorgekommen, welche sonst bey den Lehrern der Redekunst die erste und hauptsächlichste Gattung verblümter Redensarten ist. Diese war auch den Alten, z.E. dem Aristoteles, einzig und allein bekannt, und die übrigen hat man erst nach der Zeit angemerket. Cicero nennt die Metaphore TRANSLATIO; beyde Wörter haben eine sehr allgemeine Bedeutung, und schicken sich auch so gar für die Metonymie, Synekdoche und Ironie. Deutsch müßte man sie eine Versetzung, oder einen Wechsel nennen; denn dieses drückt die Natur der Sache ziemlich aus: die Metonymie aber, als die andre Gattung verblümter Redensarten, könnte eine Namensänderung heißen. Doch wir müssen sie alle nach der Ordnung durchgehen, und mit Exempeln aus unsern Poeten erläutern. Ich kehre mich also an die stolzen Kunstrichter nicht, die es für eine zu geringschätzige Arbeit halten, sich mit Registern von Tropen und Figuren aufzuhalten. Man sieht es nämlich aus ihren eigenen Schriften wohl, daß sie sich mit den Regeln und deutlichen Begriffen dieser Zierrathe der guten Schreibart, nichts zu schaffen gemacht. Ihr Exempel also soll uns eher behutsam, als nachläßig in diesem Stücke machen. 8. §. Die Metaphore ist also eine verblümte Redensart, wo man anstatt eines Wortes, das sich in eigentlichem Verstande zu der Sache schicket, ein anderes nimmt, welches eine gewisse Aehnlichkeit damit hat, und also ein kurzes Gleichniß in sich schließt. Zum Exempel, Flemming schreibt in einer Ode auf der 363. S. die demantenen Gewässer , und bald hernach gedenkt er der buhlerischen Sterne. Wir haben schon oben die verwachte Rose, die taumelnden Cypressen , die gesunden Schatten und schlummernden Gewächse aus eben diesem Poeten angeführet. Dieses sind lauter metaphorische Ausdrückungen. Im eigentlichen Verstande hätte man sagen müssen: die klaren Gewässer, die blinkenden Sterne, die verwelkte Rose, die hin und her wankenden Cypressen; die kühlen Schatten; und die ruhigen Gewächse. Aber der Poet führet uns durch seine geistreiche Beywörter auf ganz andere Begriffe. Die allernächsten Wörter sind ihm zu schlecht; er holet sich von weitem ganz ungemeine Gedanken her, die sich aber zur Sache schicken, und dem Verstande sehr angenehme Bilder machen, wenn er die Aehnlichkeit derselben einsieht. Eben dergleichen finde ich in Pietschens Hochzeitode auf Prof. Bäyern in Petersburg, meinen nunmehr seligen Freund, sehr häufig. Z.E. in dieser Strophe: Die holden Wangen deiner Braut, Muß eine keusche Röthe färben, So, wie man sonst den Himmel schaut, Wenn die verlebten Tage sterben. Des Jungferstandes letzter Schein, Ist ein nicht fehlender Prophete, Der Tag wird heiß und heiter seyn, Nach einer schönen Abendröthe. 9. §. Eben dergleichen Metaphoren können auch in selbstständigen Nennwörtern und Hauptwörtern, ja fast in allen andern vorkommen. Z.E. Canitz schreibt: Ists ihm nicht mehr vergönnt, zu küssen eine Docke, Die ihre freche Stirn mit Thürmen überhäuft etc. Da ist das Wort Thürme , für den hohen Kopfputz gebraucht, der vor zwanzig oder dreyßig Jahren Mode gewesen. Eben so hat Heräus auf der 248. S. die großen Perrucken beschrieben. Der weißbestäubte Busch, der ganze Leiber deckt. Imgleichen Opitz, nennt ein Frauenzimmer ein Bild; wegen der Schönheit, die man in Bildern am vollkommensten finden kann. Auf der 165. S. der Poet. Wäld. Hier geht ein schönes Bild, Wo nichts zu spüren war, als ungezähmtes Wild. Von Hauptwörtern mögen folgende Exempel dienen. Heräus sagt, ein Fleißiger habe Minuten zu zählen: Wie diesem, dessen Fleiß Minuten hat zu zählen, Der kömmt, den guten Tag zu biethen und zu stehlen. Um das Zählen ist es einem Fleißigen wohl nicht zu thun: aber es heißt hier beobachten, ja theuer und werth halten, weil man solche Dinge genau nachzuzählen pflegt. Das Stehlen schicket sich hier gleichfalls so eigentlich nicht zum Tage. Aber es heißt hier unbrauchbar machen; weil man Sachen, die uns gestohlen werden, nicht mehr zu seinem Nutzen anwenden kann. Opitz schreibt auf der 166. Seite der poetischen Wälder. Ich kenne den Weg auch. Sehr oft hab ich gemessen Den grünen Helikon, bin oben auf gesessen, Durch mich wird itzt das Thun in Deutschland aufgebracht, Das künftig trotzen kann der schönsten Sprachen Pracht. Wer diesen Zweck erlangt, der darf nicht unten kleben, Und wär er zehnmal todt, so soll er dennoch leben, Gott herbergt selbst in ihm, ja was er denkt und schafft, Reucht nach Unsterblichkeit, schmeckt nach des Himmels Kraft etc. Den Helikon messen , heißt hier darauf gehen: weil man mit Schritten zu messen pflegt. Die schönsten Sprachen trotzen , heißt hier, ihnen an Schönheit gleich gehen. Unten kleben , heißt hier, unten bleiben ; leben heißt, unvergeßlich seyn; herbergen , heißt, in etwas anzutreffen seyn; nach Unsterblichkeit riechen , und nach des Himmels Kraft schmecken , heißt, nur jenes und dieses zu verstehen geben, und an sich spüren lassen. Und diese Exempel können davon genug seyn. 10. §. Wenn die Metaphore länger, als in einem Worte fortgesetzt wird, so heißt sie eine Allegorie . Z.E. Flemming schreibt von einem Bräutigam: Viel tausend, tausend feuchte Küsse, Bethauen die vermählte Hand: Damit der Liebe trächtigs Land, Hinkünftig nicht vertrocknen müsse. Die Liebe wird hier als ein besäeter Acker vorgestellet, der eines nassen Thaues benöthiget ist, damit er nicht verdorre: Und diesen findet der Poet in den feuchten Küssen des Bräutigams. Canitz beschreibt die Reizungen der bösen Lüste unter dem Bilde des ersten Sündenfalles: Wir hören überall Verführungsschlangen pfeifen, Wir wollen hier und da nach fremden Aepfeln greifen, Wie wässert uns der Mund? die Hand wird ausgestreckt. Amthor beschreibt den Christenwandel unter dem Bilde des israelitischen Zuges nach Canaan auf der 308. Seite: Der Proben harter Strich macht seinen Werth bekannt, Man kömmt durchs rothe Meer nur ins gelobte Land, Und muß durch manchen Kampf den Heldenmuth beweisen. Es trägt Arabiens bestäubte Wüsteney Nur Hunger, Durst und Angst auf allen Wegen bey, Durch die der Wandrer muß nach Zions Höhen reisen. Pietsch gleichfalls, wenn er die Beschaffenheit des kaiserlichen Heeres bey Belgrad beschreibt: Der Adler wacht indeß auf einem sichern Hügel, Und streckt mit reger Kraft die ausgedehnten Flügel Vor seiner Wohnung aus, um die er anfangs schwebt Eh ihn der volle Flug aus seinen Grenzen hebt. Bald schießt er schnell herab, wenn er den Drachen findet, Der sich, auf seinen Stoß um seinen Schnabel windet, Doch den verdrehten Balg hält seine Klaue fest, Bis er ihn abgestreift im Blute liegen läßt, Als Sieger in den Kreis des fernen Mondes steiget, Und seinen Donnerkeil den blassen Hörnern zeiget. 11. §. Es muß aber eine gute Metaphore oder Allegorie I) eine wahre Aehnlichkeit in sich haben, die in den Sachen und nicht in bloßen Worten anzutreffen ist, Z.E. Wenn ich den Himmel ein Engelland nennen wollte, so wäre es nichts: denn hier käme es bloß auf das Wort Engel an. Z.E. Neukirch hat in dem vortrefflichen Gedichte auf die Königinn in Preußen, Charlotte, dieses Wortspiel gebraucht, indem er den König Friedrich so redend einführet: Und wer bewundert nicht das, was du jüngst gesprochen? Mein Kronprinz, war dein Wort, beschloß vor wenig Wochen, Nach Engeland zu gehn; doch seht, er läßt es seyn, Und seine Mutter geht ins Land der Engel ein. Ich weis aber zu seiner Entschuldigung nichts mehr zu sagen, als daß dieses vielleicht in der That ein Einfall des Königs selbst gewesen seyn muß: daher der Poet ihn denn auch dem Könige in den Mund gelegt hat; um demselben die Ehre der Erfindung nicht zu rauben. Und spricht er gleich, daß man dieses Wort des Königes bewundere: so glaube ich doch nicht, daß ihm dasselbe so schön vorgekommen sey, weil er selbst nirgend dergleichen angebracht. Aber an manchem großen Herrn, ist in solchen Dingen oft etwas ein Wunder, welches man auch an einem Schüler nicht dulden würde. Doch ich besinne mich, daß auch Neukirch von Wortspielen so frey nicht gewesen, als er wohl hätte seyn sollen. Z.E. in dem Gedichte auf die geschützten Nachtigallen, heißt es: Denn sprach er, was man itzt im Kriege großes schaut, Ist, daß uns Friedrich Fried , Ehr und Reich erbaut. wiewohl ich dieses schon in dem vorigen Capitel hätte anführen sollen. Wenn aber Canitz schreibt: Sein Hof wird ihm ein Hof etc. So vergleicht er wirklich den Rittersitz eines Landjunkers, mit einem Hofe, und dieses ist also kein Wortspiel zu nennen. 12. §. II) Muß sie nicht von solchen Dingen hergenommen seyn, die eine Sache verächtlich oder lächerlich machen können; es wäre denn, daß man mit Fleiß satirisch schreiben wollte. Cicero z.E. tadelt einen Scribenten, weil er gesagt hatte, durch den Tod Catons wäre die Republik entmannet oder verschnitten worden. III) Muß das Gleichniß nicht gar zu weit hergesucht seyn, so, daß man es leicht verstehen kann. Aristoteles verwirft in dieser Absicht den Ausdruck eines alten Poeten, der den Xerxes einen persianischen Jupiter genennet hatte. Und dahin könnte man die pralerischen Metaphoren der portugiesischen Redner rechnen, die in dem II. Theil der vern. Tadlerinnen XL. St. angeführet worden, wie auch unzähliche im Milton und seinen Nachahmern. Endlich IV) müssen die Metaphoren, so viel möglich, alles sinnlicher machen, als es im eigentlichen Ausdrucke seyn würde. Daher dienen alle die Redensarten und Wörter sehr, die das Gesicht, das Gehör, das Gefühl, den Geruch und Geschmack angehen. Vor allen Dingen aber sind die sichtbaren Dinge sehr geschickt, lebhafte Metaphoren zu geben. Die oben schon so häufig angeführten Exempel können dieses sattsam erweisen. Es ist aber auch an sich selbst leicht zu begreifen: denn die Einbildungskraft bringt die Begriffe desto klärer hervor, je stärkere Eindrückungen man davon sonst gehabt. Nun wirken aber die meisten Sinne sehr stark in die Seele; sonderlich aber wirkt das Gesicht bey Empfindung des Lichts und der Farben sehr klare, von Figuren und Größen aber auch deutliche Begriffe. Ein Wort also, welches dahin gehöret, kann auch eine unsichtbare Sache gleichsam sichtbar machen, wenn es in verblümtem Verstande dazu gebrauchet wird. 13. §. Die andere Art verblümter Reden, ist die Metonymie , welche man mit dem Longolius ein Namenlehn nennen könnte. Man setzet aber dar inn entweder die Ursache, und meynet die Wirkung derselben: als wenn ich einen Scribenten für seine Schriften nenne: Der reiche Seneca an Witz und an Vermögen, Der schlaue Tacitus, und was noch ist zugegen, Muß allzeit um mich seyn. Opitz. Oder umgekehrt, die Wirkung für die Ursache, als wenn ich den Pan die Furcht der Nymphen nennte: Phyllis schickt Silvanen Kränze, Alle Nymphen führen Tänze, Ihre Furcht, der geile Pan, Geht nicht minder stets im Reihen etc. Dach. Oder die Hauptursache an statt eines Nebendinges: und zwar erstlich, das Behältniß für das Enthaltene, als wenn ich den Helikon setze, und die Musen meyne. Der ganze Helikon ist schon um diese Zeit, Um seine Bücher her, und dichtet allbereit, Das, was man rühmen muß. Flemming. Zweytens der Besitzer an statt seines Eigenthums, als wenn man den Phöbus an statt der poetischen Triebe setzt, die ihm angehören. Phöbus ist bey mir daheime, Diese Kunst der deutschen Reime, Lernet Preußen erst von mir etc. Dach. Drittens, der Feldherr für seine Soldaten, als wenn man sagt, der Kaiser wird geschlagen, da es doch die Soldaten sind. Hier möchte man gedenken, Das Glücke hätte dir Ergetzung sollen schenken, Und Rast nach solcher Müh: allein es saget Nein! Der Kaiser von Byzanz muß auch geschlagen seyn. Opitz. Viertens, das Zeichen für die bezeichnete Sache, als wenn man den Zepter nennt, und ein Königreich meynt. Bleibt Friedrich nur gesund, und hat sein Zepter Segen, Was ist mir an Namur und Pignerol gelegen? Canitz. Fünftens, die Sachen in der Zeit, an statt der Zeit selbst, als wenn man den Mondwechsel für die Monate setzt: Neunmal hat nun Phöbe gleich, Ihre Hörner eingezogen, Und die Nächte blind gemacht, Seit sie dir gab gute Nacht, Flemming. Oder man setzt ein Nebending an statt der Hauptsache, und da zwar erstlich das Enthaltene für das Behältniß. Z.E. der Ort, wo man der Fürsten Gnade sucht, für den Hof. Jedennoch, wenn du dir und auch zugleich den deinen, Willst mehr zu gute thun, so mußt du da erscheinen, Wo man der Fürstenhuld, (weil doch des Höchsten Schluß Sie groß, uns klein gemacht,) in Demuth suchen muß. Canitz. Zweytens, das Zeichen für das Bezeichnete, als wenn man, die Schamhaftigkeit zu beschreiben, sagte, den Hut in die Augen drücken. Du darfst, o freyer Held, den königlichen Hut Nicht in die Augen ziehn: Wohin man itzo siehet, Da sieht man auch dein Lob. Opitz. Drittens, die Zeit, für das, was darinn geschieht, zum Exempel für die schlechten Poeten, die darinn leben: Wie manchmal zürn ich nicht mit unsrer armen Zeit, Die itzt fast gar nicht mehr der Nachwelt Urtheil scheut. Günther. Viertens die Tugend oder Laster, anstatt der Leute, die sie ausüben, z.E. der Neid für die Neider. Der Neid vergiftet zwar das allerschönste Haus, Und die Verläumdung sticht die angenehmsten Früchte. Gryphius. Fünftens, die Gemüthsregung anstatt ihres Gegenstandes; als wenn man einen frölichen Tag seine Freude nennt: Preis der Tage, Wunsch der Frommen, Meine Freude, sey willkommen! Dach. Sechstens, das vorhergehende für das Nachfolgende, z.E. wenn ich sagte, bis die Sonne untergeht; anstatt zu sagen; bis es Nacht wird. Bis der Gott der güldnen Gluten, Der die braunen Mohren brennt, In die hesperischen Fluthen, Freygelaßnes Zügels rennt. Flemming. Siebentens, das nachfolgende anstatt des vorhergehenden, z.E. die warme Frühlingsluft, für das, was darauf erfolget. Die erfreuten Heerden springen, Das verlebte Jahr wird jung, Die gelehrten Vögel singen, Wald und Feld ist auf den Sprung. Und die Schooß der alten Erden, Will aufs neue schwanger werden. Flemming. 14. §. Die dritte Gattung verblümter Redensarten heißt Synekdoche , auf deutsch nach Longolii Benennung ein Auszug : diese hätte gar leicht unter der Metonymie können begriffen werden, wenn es nicht unsern Vorfahren anders gefallen hätte. Sie ist wiederum vielerley, denn man setzt entweder das Ganze für den Theil; z.E. die Welt für ein kleines Land in derselben. Ihr, die des Höchsten Rath bestimmt, Der Welt mit Stahl und Bley zu dienen, Günther. Oder den Theil fürs Ganze, als wenn ich den Hals für die ganze Person setze. Er hat daselbst bekannt, Du hättest seinen Hals und Ehr in deiner Hand. Opitz. Oder eins für viel: Als z.E. ein Sinn, wenn von vielen Personen die Rede ist, die doch viel Sinne haben. Andre werden sich befleißen, Die ein größrer Sinn erhöht, Welchen Phöbus näher geht, Als mir abgelegnem Preußen etc. Dach. Oder viel für Eins. Z.E. Die Lüfte für die Luft. Die gestirnten Lüfte scherzen, Tausend Kerzen, Tausend lichte Fackeln stehn. Flemming. Oder eine gewisse Zahl für die Ungewisse. Z.E. Wenn du, großer Siegesfürst! Hunderttausend Cherubinen, Zu Gefährten haben wirst, Werden dir die Feinde dienen. Chr. Gryph. Oder eine sogenannte volle Zahl, für eine größere oder kleinere. Zum Exempel: Thu, o Churfürst, nach Belieben, Such in Hufen, zehnmal sieben? Nein! auch zwanzig nicht einmal. Andre mögen nach Begnügen Auch mit tausend Ochsen pflügen, Mir ist gnug ein grünes Thal. Dach. Oder etwas viel größeres für das kleinere, welche Art man Hyperbole nennet. Z.E. Wenn man die Thränen einen Bach nennet: Betrachte nur den Thränenbach, Worinn das Herz der Aeltern schwimmet: Wo noch in dir Erbarmung glimmet, So gieb doch ihren Seufzern nach. Amthor. Das ist nicht genug. Eben derselbe bedient sich dieser Vergrößerung noch kühner, wenn er in demselben Gedichte an ein verstorbenes junges Frauenzimmer den ganzen Belt toben läßt. Er redet den Tod an; Schau, wie der Belt beginnt zu toben, Daß du solch einen theuren Stein, Zu seiner Nymphen höchster Pein, Aus ihrer Krone weggeschoben. Hier könnte es leicht seyn, daß diese Vergrößerung einigen gar zu verwegen vorkäme. Denn was will man auf eine Prinzessin größeres sagen? Zugeschweigen, daß man nicht sieht, was das für eine Krone der Nymphen gewesen, darinn die Todte einen Edelgestein abgegeben? Die Allegorie ist nicht gar zu richtig. 15. §. Ueberhaupt aber geht man in Vergrößerung der Dinge gemeiniglich zu weit, und überschreitet dadurch die Regeln der Klugheit. An Malherben hat schon Bouhours eine sehr unerträgliche Vergrößerung der Thränen Petri getadelt, die ich, ihrer Seltsamkeit halber, aufs allergenaueste übersetzt habe, und hier mittheilen will. Da hub sich sein Geschrey gleich als ein Donner an, Sein Seufzen war ein Sturm, der Eichen fällen kann, Und die gelinde Fluth von den vergoßnen Zähren, Verglich sich einem Strom, der von den Bergen läuft, Die Felder überschwemmt, ja Dorf und Stadt ersäuft, Und fast die ganze Welt in eine See will kehren. Wer nun dieses nicht für ausgeschweift erkennen will, der muß in der That nicht viel Nachsinnen oder Geschmack von einer Sache haben. Opitz hat uns diese Art hochgetriebener Vergrößerungen in der Sprache eines schmeichlenden Buhlers lächerlich zu machen gesucht, den er auf der 161. S. im IV. B.s. poet. W. so entwirft. Er redet ein Frauenzimmer an: Sie thun wohl einen Eid, wiewohl nicht ohne Lachen, Daß eure Augen auch die Sterne finster machen, Und daß sie heller sind denn alles Firmament, Ja daß die Sonne selbst auch nicht so heftig brennt. Sie schweren hoch und sehr, daß Gott euch auserlesen, Vor aller Zierlichkeit und allem schönen Wesen, Und sagen: selig sey das Jahr und denn die Zeit, In der ihr, große Zier der Welt! gebohren seyd. Sie sprechen wohl dabey, daß ihr mit euren Blicken, Ein härter Herz als Stein vermöget zu entzücken. Daß aus America die beste Spezerey, Mit eurem Athem weit nicht zu vergleichen sey. Daß solche Hände nicht gemalet werden könnten, Daß gegen ihnen, Schnee zu gleichen sey der Tinten; Daß jedes Zähnlein sey ein köstlicher Demant, An welchen die Natur all ihre Kunst gewandt; Und daß die Lippen auch, die mehr als Rosen blühen, Weit weit den edelsten Corallen vorzuziehen; Und daß der starke Mars durch eurer Zungen Schein, Die Waffen abzuthun bereitet würde seyn. Beliebt es euch hernach von Venus was zu singen; Die Winde könnet ihr mit eurer Stimme zwingen: Und wenn ihr weiter euch auch zu der Lauten findt, Ist Orpheus ungelehrt und gegen euch ein Kind. Wenn ihr im Felde seyd, wohin man euch sieht gehen, Da sieht man alsobald die schönsten Blumen stehen. In Summa, die Natur hat dieß an euch gethan, Daß eure Trefflichkeit kein Mensch beschreiben kann. Wie möcht ich aber wohl so falsch erdachtes sagen, Und die Aufschneiderey mit Langmuth nur ertragen? Ich glaube, welcher sich nimmt solcher Lügen an, Der Feder und Papier auch schamroth machen kann. Was Opitz hier in der verliebten Sprache für unerträglich gehalten, das hat Canitz in der Beschreibung des Kriegeswesens, und in den Klagen der Verstorbenen, als einen Fehler angemerkt. In seiner Satire von der Poesie heißt es: Fällt das geringste vor in diesen Kriegeszeiten, So dünkt mich, hör ich schon die Wetterglocke läuten. Ein Flammenschwangrer Dampf beschwärzt das Luftrevier, Der stralbeschwänzte Blitz bricht überall herfür, Der grause Donner brüllt und spielt mit Schwefelkeilen. Der Leser wird betrübt, beginnet fortzueilen, Bis er ins Trockne kömmt; weil doch ein Wolkenguß, Auf solchen harten Knall nothwendig folgen muß, Und läßt den armen Tropf der Welt zur Strafe reimen, Wie ein Beseßner pflegt in seiner Angst zu schäumen. Geht wo ein Schulregent in einem Flecken ab, Mein Gott! wie rasen nicht die Dichter um sein Grab? Der Tod wird ausgefilzt, daß er dem theuren Leben, Nicht eine längre Frist als achtzig Jahr gegeben. Die Erde wird bewegt, im Himmel Lärm gemacht, Minerva, wenn sie gleich in ihrem Herzen lacht, Auch Phöbus und sein Chor, die müssen wider Willen, Sich traurig, ohne Trost, in Flor und Boy verhüllen. Mehr Götter sieht man oft auf solchem Zettel stehn, Als Bürger in der That mit zu der Leiche gehn. 16. §. Mit der Verkleinerung, ( Litote oder Tapeinosis ) ist es eben so bewandt. Sie sagt allemal weniger, als in der That wahr ist; doch so, daß sie dadurch in keinen Irrthum stürzet. Z.E. Günther beschreibt seine Armuth so: Ich darf mich ohnedas voritzo nicht beschweren, Als ließen Tisch und Schlaf mich wenig Zeit entbehren. Fünf Bissen in den Mund, so ist die Tafel gar; Die Glieder auf die Bank, das Halstuch um das Haar, So bin ich in dem Bett und völlig ausgezogen. Die Hüfte glaubt es nicht, doch wird sie oft betrogen. Die Synekdoche setzt auch wohl zuweilen die ganze Art eines Dinges für eine besondere Gattung desselben. Z.E. Das Licht überhaupt für die Sonne: Willkommen, schönes Licht! Das aus dem Himmelspunct der Abyssinen In Nordens kalten Zirkel bricht. Kaum war dein heißer Stral bey uns erschienen etc. Amthor. Oder die besondre Gattung für die ganze Art. Z.E. Wenn ich Mandeln und Muscaten statt aller andern Leckerbissen setzte: Wiewohl ein solcher Held, der nur sein theures Blut, Zum Aderlassen spart, nicht große Wunder thut; Und wenn ihm nichts gefehlt als Mandeln und Muscaten Wohl eh aus Blödigkeit hat Stadt und Land verrathen. Canitz. Auf eben die Art setzt man zuweilen die Namen gewisser Personen, anstatt allgemeiner Benennungen solcher Leute. Welche Art nebst der folgenden eine Antonomasie heißt. Z.E. Geh Breßlau! denke nach, was der Verlust bedeute, Dein Piccart, dein Galen, dein Kepler, dein Caßin, Dein Galileus stirbt. Dieß, was gelehrte Leute Für deinen Schmuck geschätzt, ist leider itzt dahin. Gryph. Oder man braucht anstatt der eigenen Namen gewisser Dinge die allgemeine Benennung, die sich für sie schickt. Z.E. Wenn man ein Pferd meynte, und ein Vieh nennte. Versuchs, gieb ihm ein Amt, sechs Viehe vor den Wagen, Und sechse hinten drauf; sieh, was er dann wird sagen. Heräus. Imgleichen wie Canitz einen Weisen nennet, und den Horaz meynt, dessen Vers, BEATUS ILLE QUI PROCUL NEGOTIIS, er anführt: Ja, sprichst du folge dem, was jener Weise schreibt: Wohl dem, der weit entfernt von fremden Händeln bleibt etc. 17. §. Endlich kömmt noch die vierte Gattung verblümter Redensarten, die man die Ironie oder Verspottung zunennen pflegt. Man saget darinn gerade das Gegentheil dessen, was man denket; doch so, daß der Leser aus dem Zusammenhange leicht begreift, was die wahre Meynung ist. Z.E. Bey einem Hochzeitmahl, da kommen oft geflogen Des künstlichen Papiers bis vier und zwanzig Bogen: Ein schöner Vorrath traun! besonders zu der Zeit Wenn etwa Heu und Stroh nicht gar zu wohl gedeiht. Rachel. Zuweilen wird die Ironie sehr heftig, und bekömmt alsdann den Namen Sarkasmus oder Diasyrmus ; nachdem sie nämlich gegen Todte oder Lebendige ihren beißenden Hohn ausstößt. Z.E. Opitz spottet des Glückes, im Absehen auf die Standhaftigkeit des Ulysses dergestalt: Du kannst, Fortune, ja den werthen Helden zwingen, Hinab ins tiefe Meer, bis an den Hals, zu springen: Du kannst ja wider ihn vermischen Luft und Flut, Kannst fordern, wenn du willst, sein Leben, Gut und Blut! Daß aber er vor dir die Knie auch solle beugen, Viel weinen, kläglich thun, sich wie ein Weib bezeigen, Sein Leben, seine Zeit verdammen für und für, Sein Herze lassen gehn; das stehet nicht bey dir! Hierher gehört auch die spöttische Wiederholung der Worte seines Gegners, die sonst Mimesis , oder das Nachspotten genennet wird. Z.E. In des Sophokles Antigone spricht Kreon mit seinem Sohne Hämon, nach Opitzens Uebersetzung: KREON. Und ist denn dieß nicht recht, wenn ich mein Reich will ehren? HÄMON. Schön ehren! denn du greifst der Götter Ehr itzt an. Und bald darauf: KREON. Willst du durch Drohen mich noch mehr und mehr erherben? HÄMON. Was Drohen? wo man Rath und That nicht will verstehn. 18. §. Das wären nun die hauptsächlichsten Gattungen und Arten, der gewöhnlichen verblümten Redensarten, wodurch die poetische Schreibart, sowohl als die ungebundne, einen besonderen Glanz und eine ausnehmende Schönheit bekömmt. Doch kann man leicht denken, daß dieselben, nach Beschaffenheit der Materien und besondern Umständen, allerley verschiedene Gestalten annehmen; so daß sie auch zuweilen ganz eigene Namen bekommen. Der Witz der Dichter ist sehr unterschieden, und seine Geburten sind es nicht minder. Hat nun gleich ein Dichter in diesem Stücke eine etwas größere Freyheit, als ein Redner oder Geschichtschreiber; welche ihm deswegen zukömmt, weil er gleichsam in einer Begeisterung, oder aus Eingebung der Musen redet: so muß er doch die gesunde Vernunft dabey niemals aus den Augen setzen. Nicht alle verblümte Redensarten lauten in klugen Ohren schön, und man kann zuweilen gar nicht sagen, warum dieses oder jenes so anstößig klinget. Darinn zeiget sich aber hauptsächlich der gute Geschmack eines Poeten, daß er eine geschickte Wahl unter den poetischen Ausdrückungen zu machen wisse, die ihm seine erhitzte Einbildungskraft an die Hand giebt. Man kann auch nicht eine jede verblümte Redensart in allen Gattungen der Gedichte brauchen. Was im Schäfergedichte schön ist, das schickt sich in ein Heldengedichte nicht: und was in einer erhabnen Ode ungemein klinget, das wird für Satiren, Briefe und Elegien viel zu prächtig seyn. Die tragische Schreibart geht fast immer auf Stelzen, d.i. sie redet fast durchgehends verblümt: die comische hergegen geht barfuß, ich meyne, sie braucht die gemeine Sprache der Bürger; doch nach Beschaffenheit ihrer besonderen Charactere. Alle diese allgemeine Regeln werden in dem andern Theile weitläuftiger ausgeführt vorkommen. 19. §. Nichts aber ist bey der verblümten Schreibart mehr zu vermeiden, als die Dunkelheit. Gewisse Leute verstecken sich in ihren Metaphoren so tief, daß sie endlich selbst nicht wissen, was sie sagen wollen. Man sieht alle ihre Gedanken nur durch einen dicken Staub oder Nebel. Der klärste Satz wird durch ihren poetischen Ausdruck verfinstert: da doch der Gebrauch verlümter Reden die Sachen weit lebhafter vorstellen und empfindlicher machen sollte. Nicht nur im vorigen Jahrhunderte hat die marinische Schule den dunkeln Wust in die Dichtkunst gebracht; sondern auch itzo will uns die miltonische Secte von neuem überreden: Nichts sey schön, als was man kaum verstehen, oder doch mit vielem Nachsinnen und Kopfbrechen kaum errathen kann. Es ist wahr, daß Unverständige zuweilen eine so blendende Schreibart destomehr bewundern, je weniger sie dieselbe verstehen: allein Kenner gehen auf den Kern der Gedanken, und wenn derselbe gar nicht, oder doch kaum zu errathen ist, so schmeißen sie ein solch Gedichte beyseite. Sonderlich thun sie dieses, wenn gar, über den schwülstigen Ausdrückungen, die Sprache Noth leidet, welches oft zu geschehen pfleget. Denn manchen vermeynten schönen Gedanken anzubringen, nehmen sich die Herren Poeten die größten Freyheiten, wider alle Regeln der Sprachkunst, und einer reinen Mundart. Ich schließe daher diese Regel mit des Boileau Worten. ART. POET. CH. I. IL EST CERTAINS ESPRITS, DONT LES SOMBRES PENSÉES SONT D'UN NUAGE ÉPAIS TOUJOURS EMBARASSÉES; LE JOUR DE LA RAISON NE LES SAUROIT PERCER: AVANT DONC QUE D'ECRIRE, APRENEZ À PENSER! SELON QUE NOTRE IDÉE, EST PLUS OU MOINS OBSCURE, L'EXPRESSION LA SUIT OU MOINS NETTE OU PLUS PURE. CE QUE L'ON CONÇOIT BIEN S'ENONCE CLAIREMENT, ET LES MOTS, POUR LE DIRE, ARRIVENT AISEMENT. 20. §. Auf die Menge verblümter Redensarten, und die ungeschickte Vermischung derselben in einer Schrift, kömmt hauptsächlich derjenige Fehler der poetischen Schreibart an, den man das Phöbus oder den Schwulst zu nennen pflegt. Die Franzosen haben diesen Namen einer schwülstigen Art des Ausdruckes, so viel mir wissend ist, zuerst beygelegt, und die Engelländer nennen dieselbe einen Bombast. Es scheint die Benennung der erstern ihren Ursprung hauptsächlich von dem Misbrauche zu haben, vermöge dessen manche Poeten, auch bey den schlechtesten Dingen, die Vergleichungen von der Sonne herzunehmen pflegen. Der scharfsinnige Bayle hat diese böse Gewohnheit in seinen Briefen 3 sehr sinnreich durchgezogen. Er merkt aus der Historie von der Stiftung der königlichen großbrittannischen Societät der Wissenschaften an, daß man daselbst von der Arbeit ihrer Mitglieder in der Naturwissenschaft, auch den Rednern und Dichtern den Vortheil versprochen, daß sie künftig auch von den Pflanzen und Mineralien ihre Vergleichungen würden hernehmen können; und daß die Sonne endlich zur Ruhe kommen würde, nachdem sie allein, so viel in den Gleichnissen hätte ausstehen müssen. Allein er setzet hinzu, dieses sey eben nicht zu hoffen, und die Sonne würde, dem ungeachtet, wohl die große Vorrathskammer der Gleichnisse bleiben. Die Poeten und alle Urheber verliebter Seufzer würden lieber sterben, als in diesem Stücke ihre Gewohnheit ändern wollen. Dieses wäre nun einmal das Schicksal dieses schönen Gestirnes, daß man allerley Arten der Leute auf seine Unkosten lobete: so gar, daß auch wohl übelberüchtigte Buhlerinnen ein Verlangen darnach trügen. Davon er aus dem Theophile ein Sinngedichte anführt: CETTE FEMME, QUI M'IMPORTUNE VEUT QU'ON LA COMPARE AU SOLEIL: IL EST COMMUN, ELLE EST COMMUNE, CEST TOUT CE, QU'ILS ONT DE PAREIL: 21. §. Mit diesem Fehler der hochtrabenden Schreibart ist sehr nahe, das von vorerwähnten Nationen sogenannte Galimatias, oder Nonsens verwandt, welches nichts anders ist, als eine ungereimte und unverständliche Vermischung widereinanderlaufender verblümter Redensarten, aus welchen es zuweilen unmöglich ist, einen Verstand herauszubringen. Von unsern Deutschen hat, wie mich dünkt, Christian Gryphius zuerst den Uebelstand dieses Fehlers an unsern Poeten, sonderlich seinen eigenen Landesleuten, Hofmannswaldau und Lohenstein, wahrgenommen: und die Quellen desselben in der Nachäffung der Italiener und Spanier gefunden. 4 Gryphius unterscheidet aber hier mit großem Verstande die alten Italiener von den neuern, und diese von den Franzosen. Petrarcha ist bey dem guten Geschmacke der alten Römer und Griechen geblieben; und ihn hat sich Opitz unter andern zum Muster genommen. Tasso und Guarini hielten sich noch ziemlich auf der alten Spur, und ob sie wohl schon viel von ihren Concetti oder gleißendem Flittergolde einstreueten: 5 so blieb doch das meiste in ihren Gedichten gut und untadelich. Ariost aber und Marino sind von der guten Art ganz und gar abgewichen: wie nicht nur Bouhours in seiner MANIERE DE BIEN PENSER DANS LES OUVRAGES D'ESPRIT in vielen Exempeln gewiesen; sondern auch Herr König in seiner Untersuchung vom guten Geschmacke bey den canitzischen Gedichten ausführlich dargethan hat. Diese marinische Schule nun hat auch in unseren Vaterlande viel Anhänger gefunden, und das hat Gryphius in der angezogenen Stelle schon bedauret. 22. §. Doch auch aus den Spaniern ist dieses Verderben einigermaßen herzuleiten, so, wie schon in Rom durch den Lucan und Seneca, der gute Geschmack des güldnen Alters sich verderbet hat. Gratian ist im vorigen Jahrhunderte durch die hochtrabende Art seiner Schriften ein solcher Verführer der witzigen Köpfe geworden. Denn ob er gleich nur in ungebundner Rede geschrieben, so hat er doch in seinen Schriften, z.E. in dem Criticon, einen ausschweifendern Witz gewiesen, als unzähliche Dichter gehabt haben. Daß Lohenstein einen besondern Geschmack an demselben gefunden, zeiget der staatskluge Ferdinand desselben, den er ins Deutsche übersetzt, und in seinen übrigen Schriften nachgeahmet hat. Will man ein Exempel von seiner Art haben, so lese man nur das Gedichte auf den Tod And. Gryphii, von der Höhe des menschlichen Geistes, darinn er fast allen seinen Witz und alle seine Einbildungskraft verschwendet hat. Doch ein paar Strophen sollen uns zur Probe dienen, wie diese Schreibart aussieht. So hebt er an: Wohin hat sich der Geist der Menschen nicht geschwungen, Die kleine Welt reicht hin, wie weit die große gränzt: Denn ist der spröde Leib gleich nur von Dohn entsprungen So sieht man doch, daß Gott aus diesen Schlacken glänzt. Daß itzt was himmlisches beseele das Gehirne, Der Ursprung sey von Gott, das Wesen vom Gestirne. Die Sonne der Vernunft, das Auge des Gemüthes Macht uns zu Herrn der Welt, zu Meistern der Natur. Der Panther dämpft für ihr das Schäumen des Geblüthes, Sie nimmt der Schlang ihr Gift, durch einen kräftgen Schwur. Sie lehrt uns Drachen kirrn, und auf den Löwen reiten, Die Adler übereiln, und Crokodilln bestreiten. Er müht sich Gottes Werk und Wunder nachzuäffen, Es theilt ein Dädalus mit Flügeln Luft und Wind; Bachan kann in der Luft Gewölk und Regen schaffen: Albert ein redend Haupt, Camill ein lechzend Kind. Archytas lehrt aus Holz geschnitzte Tauben fliegen, Und Bertholds Büchse will für Blitz und Donner siegen. Die Elemente selbst sind Mägde des Verstandes etc. 23. §. Dieß ist nun ein rechtes Meisterstück, durcheinander gewirrter Metaphoren und anderer übelausgesonnener, verblümter Ausdrückungen; kurz, ein rechtes Galimatias, mit etlichen Phöbus durchflochten. Nichts destoweniger hat sich unser Vaterland, eine geraume Zeit her, in dergleichen gefirnißte Verse aufs äußerste verliebt gehabt: und man hat keinen für einen Poeten halten wollen, der nicht diese hochtrabende Sprache reden können, die doch oft weder der Verfasser, noch seine Leser, mit allen ihren Sinnen haben erreichen können. Ein rechter Held aus der lohensteinischen Schule, war auch in meinem Vaterlande nur vor wenigen Jahren noch, der seiner Musik wegen berühmte Capellmeister Neidhard, ein gebohrner Schlesier, der durch seine übersteigende Schreibart unzählige Leute eingenommen, und viel junge Leute verführet hatte; wie ich schon oben angemerkt habe. Es kann nicht schaden, eine Probe davon hieher zu setzen, die mehr als irgend etwas einen Abscheu davor erwecken kann. Dieß Gedichte ist 1710 auf D. Wenzeln gemacht, und hebt an: Der Witz des Alterthums, aus dessen reicher Pracht, Die jüngern Gold und Bley zu Doctorringen stehlen, Hat auch aus weiser Kluft den Ring herausgebracht, Den Ruhm der Sterblichen der Nachwelt zu vermählen. Man wusch den todten Leib in einer Balsamsee, Und meynte so den Zahn der Fäulniß zu zerreiben: Man wollte That und Lob den Steinen einverleiben, Und thürmte deren Rumpf fast an die Wolkenhöh. Die meisten spitzten sich den Griffel kluger Schriften, Den Todterblaßten Ruhm, sich selbsten Dank zu stiften. Doch weil der Glieder Bau, des Marmors Silber-Grieß, Der Blätter leichten Zeug die Zeiten niederlegen: So suchte man dabey, Held, Waffen, Schild und Spieß Der hellsaphirnen Burg des Himmels einzuprägen. Drum schimmert Herkules, Alkmenens Götterkind, In einer Heldentracht von acht und zwanzig Sternen, Und lässet auch ein Kind aus seinen Stralen lernen, Daß Klug- und Kühnheit Gold, zu Ehrenkleidern spinnt. So wird sein Ehrenruf bey heitrer Nacht verjunget, So oft sich TeEus Ball um seinen Kreispunct schwinget etc. So ist nun das ganze ziemlich lange Gedichte mit unendlich vielen weitgesuchten und übereinander gehäuften Metaphoren und Allegorien durchwirkt und vollgestopft, daß es bloß um der Seltenheit halber werth wäre, wieder aufgelegt zu werden. 24. §. Damit es meiner Abhandlung aber doch nicht an allen Exempeln von neuern Blümchen fehlen möge: so will ich dieselben aus einem neuern, zu Altdorf, nur im 1727. Jahre gedruckten Bogen entlehnen; weil ich in demselben alles beysammen finde, was ich sonst mit vieler Muhe würde zusammen suchen müssen. Folgende Redensarten nun, halte ich für lauter Phöbus, wenn der Poet schreibt: Titans frohes Licht strale mit neuen Blitzen , und mache die sapphirne Burg zu Hiacinthen . Ein Trauriger heißt ihm ein solcher, der Aegyptens finstre Nacht statt Gosens Sonne küsset . Die Lilie lacht mit reinstem Silber; ihr bemilchter Thron macht die Perlen schamroth, und ihr Atlas sinkt ins Verwe sungsreich. Auf den Blättern der Blumenköniginn, die von Cytherensblut den Ursprung haben soll, blühet Rubin und Purpur. Die klare Luft schneyt ambrirte Perlen. Man soll uns einst in Edens güldnen Auen mit buntgefärbtem Pracht, als helle Sterne schauen , u.d.m. Das Galimatias will ich aus dem Schlusse dieses Gedichtes hernehmen, und da es Gryphius wohl ein Mischmasch genennet hat: so will ich einen jeden fragen, ob man wohl mehr verschiedene Dinge in 16 Zeilen hätte durcheinander mengen, oder dem Scheine nach mit einander reimen können, als dieser Poet wirklich gethan hat? Denn da finde ich Canaan, güldne Blumen, Titans Stralen, der Thetis Wellen, Wetter, Orcan, Purpur, Regengüsse, Schmuck, Lenz, Sonne, schmaragdne Felder, Perlenwasser, Schnee und Eis, holde Blumen, Rosenblut, Frost, Dornen, bittre Aloe, der Myrrhen herbes Pech, öde Coloquinten, das gelobte Land des Himmels, Nesseln, die Sternenhöhe, Zuckerbrodt, Ambrosin, Nectar, diamantne Auen, Honigseim und Alicant, ja damit nichts vergessen würde, so kommt zuletzt auch Ambra und Zibeth noch nach. Wir müssen nunmehro die Stelle selbst sehen. Hier ist das Canaan, das güldne Blumen trägt, Wo Titans Stralen nie in Thetis Wellen steigen. Kein Wetter, kein Orcan darf ihren Purpur bleichen. Hier ist kein Regenguß, der ihren Schmuck zerschlägt. Hier ist kein solcher Lenz, der bald die Sonne zeigt, Und das schmaragdne Feld mit Perlenwasser tränket, Bald aber Schnee und Eis statt holder Blumen schenket, Hier wird der Rosenblut durch keinen Frost gebleicht. Von Dornen weis man nichts; die bittre Aloe, Der Myrrhen herbes Pech, die öden Coloquinten, Sind im gelobten Land des Himmels nicht zu finden, Die Nesseln sind verbannt von dieser Sternenhöh. Hier ist nur Zuckerbrodt und süßer Ambrosin, Der Nectar fließet hier durch diamantne Auen, Hier ist nur Honigseim und Alicant zu schauen, Weil Ambra und Zibeth die Blumen überziehn. 25. Das beste Mittel wider den schwülstigen Geist, ist das Lesen der alten Lateiner und der neuern Franzosen. Wer sich die Schönheiten des Terenz, Virgils, Horaz und Juvenals, bekannt und geläufig gemacht hat; wer den Boileau, Racine, Corneille und Moliere mit Verstande gelesen, und ihre natürliche Schönheit der Gedanken kennen gelernet; wer endlich den Longin vom Erhabenen, Bouhours von der Art in sinnreichen Schriften wohl zu denken: und Werenfels, (DE METEORIS ORATIONIS) des POPE ART OF CRITICISM, und den deutschen Antilongin mit Bedacht gelesen hat; der wird gewiß unmöglich auf eine so seltsame Art des poetischen Ausdruckes verfallen: gesetzt, daß er noch so erhaben zu schreiben gesonnen wäre. Fußnoten 1 NON SATIS EST PURIS VERSUM PERSCRIBERE VERBIS, QUEM SI DISSOLUAS, QUIUIS STOMACHETUR. & C. HIS, EGO QUAE NUNC; OLIM QUAE SCRIPSIT LUCILIUS, ERIPIAS SI TEMPORA CERTA MODOSQUE, & QUOD PRIUS ORDINE VERBUM EST. POSTERIUS FACIAS, PRAEPONENS ULTIMA PRTMIS, NON VT SI SOLUAS: POSTQUAM DISCORDIA TETRA BELLI FERRATOS POSTES PORTASQUE REFREGIT; INVENIES ETIAM DISIECTI MEMBRA POETAE. 2 PRIMUM EGO ME ILLORUM, DEDERIM QUIBUS ESSE POETAS, EXCERPAM NUMERO; NEC ENIM CONCLUDERE VERSUM, DIXERIS ESSE SATIS; NEQUE SI QUIS SCRIBAT VTI NOS, SERMONI PROPIORA, PUTES HUNC ESSE POETAM. INGENIUM CUI SIT, CUI MENS DIUINIOR, ATQUE OS MAGNA SONATURUM, DES NOMINIS HUIUS HONOREM. 3 T. I. p. 32. 33.34. 4 Ich weis wohl, schreibt er, daß viele unsrer Landsleute den heutigen Welschen und Spaniern unzeitig nachäffen, und sich mit ihren nicht selten merklich abschießenden Farben ausputzen. Wenn aber die ehrlichen Leute ja nicht, wie es doch wohl seyn sollte, bey den alten Griechen und Römern in die Schule gehen, und von ihnen etwas lernen möchten: So würde es doch zum wenigsten gar wohl gethan seyn, wenn sie die reine und doch zugleich hohe Schreibart, derer sich die Welschen im vergangenen Jahrhunderte, und noch itzt die Franzosen bedienen, etwas mehr in acht nähmen; und vielmehr den rechten Verstand einer Sache, als zwar köstlich lautende, aber vielmals wenig oder nichts bedeutende Worte, und den hieraus entspringenden Mischmasch , welchen man in Frankreich Galimatias und Phöbus zu heißen pflegt, beliebten. 5 Siehe des Herrn von St. Evremond Lustspiel SIR POLITICK WOULD BE, nach, wo er einen italienischen Abt in lauter solchen CONCETTI, oder spitzfindigen Einfällen redend einführet, und dadurch diese Schreibart zum Gelächter machet. Das 9. Capitel Das IX. Capitel. Von poetischen Perioden und ihren Zierrathen. 1. §. Eine Periode überhaupt ist eine kurze Rede, die einen, oder etliche Gedanken in sich schließt, und für sich selbst einen völligen Verstand hat. Ich nenne sie eine kurze Rede, um dadurch anzuzeigen, daß sie sich zu einer langen, wie ein Theil zum Ganzen, verhält: denn aus vielen Perioden entsteht erst eine gebundene oder ungebundene Schrift. Zudem ist die Kürze einer Periode eine besondere gute Eigenschaft derselben, wie bald soll gewiesen werden. Ich sage ferner, daß eine Periode einen oder etliche Gedanken in sich schließe, um dadurch die einfachen Perioden von den Zusammengesetzten zu unterscheiden. Jene bestehen nur aus einem einzigen Satze, darinn man von einer Sache etwas bejahet, verneinet, bewundert, fraget, oder in Zweifel zieht. Diese hergegen entstehen aus der Verbindung etlicher solcher Sätze, die ihrer Natur nach mit einander zusammen hängen; es sey nun, auf was für eine Art es wolle. Endlich fordre ich von einer Periode, daß sie einen völligen Verstand haben solle: damit das Gemüth am Ende derselben einigermaßen befriedigt und ruhig seyn könne. Denn wenn an dem völligen Sinne einer Rede etwas fehlet; so kann man noch nicht stille stehen: sondern die Gedanken eilen weiter, und wollen die völlige Meynung der Rede fassen; welches allezeit mit einiger Unruhe verknüpft ist. Diese Unruhe nun, ist dem Gemüthe eines Lesers oder Zuhörers allezeit unangenehm, und daher sehnt er sich immer nach einer Befriedigung; die er nicht anders, als beym Schlusse eines Satzes erhält. 2. §. Die Poeten haben die Ehre, daß sie die ersten Erfinder der Perioden sind, und daß die Meister der ungebundnen Schreibart ihnen die Kunst haben ablernen müssen. Wie man nämlich überhaupt eher in Versen, als in Prosa geschrieben hat: so ist auch die poetische Schreibart eher ins Geschicke gebracht worden, als die prosaische. Die Poeten, Museus, Orpheus und Linus, ja selbst Homer und Hesiodus haben lange vor dem Pherecydes gelebt; welcher zu allererst auf die Gedanken gekommen seyn soll, daß man auch ohne ein gewisses Sylbenmaaß schreiben könne. Und da man auch in diesen alten Dichtern, sonderlich im Homer, eine periodische Schreibart antrifft: so weis man hergegen unter den viel neuern prosaischen Scribenten den Isokrates zu nennen, der zu allererst in ungebundner Rede Perioden zu machen, angefangen. Cicero giebt uns in seinem dritten Buche vom Redner Nachricht davon. Die Stelle verdient, daß ich sie an führe: »Die Alten hielten dafür, man müsse in der ungebundnen Rede auch Verse machen, das ist, ein gewisses wohlklingendes Sylbenmaaß beobachten. Denn sie verlangten, daß man nicht sowohl durch gewisse Zeichen der Abtheilung, als vielmehr in der Rede selbst, durch die Worte und Sätze, in gewissen Stellen einen Schluß machen solle nicht zwar unserer Müdigkeit, sondern dem Athemholen zu statten zu kommen. Und das soll vornehmlich Isokrates aufgebracht haben, damit er die ungeschickte Schreibart der Alten, der Anmuth und des Gehöres wegen, zu einem Wohlklange bringen möchte. Denn vermittelst dieser zwey Stücke, haben die Musikverständigen, welche vorzeiten mit den Poeten einerley waren, den Vers und Gesang zur Belustigung ausgekünstelt: damit sie sowohl durch das Sylbenmaaß, als durch die Stimme, belustigen, und dem Ekel der Ohren zuvor kommen möchten. Diese beyden Stücke nun, ich meyne den Wechsel der Stimme, und die Abtheilung der Rede, in geschlossene Sätze, haben sie, so viel es sich hat thun lassen, aus der Poesie auch in die Beredtsamkeit einzuführen, für rathsam gehalten.« 3. §. Wir sehen aus dieser Stelle das innerste Wesen der Perioden, und begreifen zugleich, wie die ersten Dichter auf diese Erfindung gekommen sind. Sie suchten das Ohr zu vergnügen, und den Leuten beym Anhören ihrer Gedichte keinen Ueberdruß zu erwecken. Dahin gehörte nun eine wohlklingende Rede, die in einem Athem ausgesprochen, und doch wohl verstanden werden konnte. Sie maßen also alle ihre Zeilen ab, brachten das Sylbenmaaß darinnen auf, und schlossen, so viel möglich war, jeden Gedanken in einen, zween oder drey Verse; so viel man nämlich in einem Athem bequem aussprechen konnte. Daher entstunden nun die poetischen Perioden. Ein Exempel macht die Sache deutlich. Simon Dach schreibt auf eines Liefländischen Herzogs mit einer Brandenburgischen Prinzeßin Beylager 1643. Ich bin so fremde nicht in meinem Vaterlande Dem, der nur etwas hält von Tugend und Verstande. Mein Churfürst, sagt man mir durch gründlichen Bericht, Erkennt, ob ich ein Lied geschrieben oder nicht? So kundig bin ich ihm. Hier sieht ein jeder, daß in diesen fünftehalb Zeilen der Verstand sich dreymal schließt. Erst machen zwey und zwey Zeilen einen völligen Satz aus, hernach ist eine halbe Zeile ein ganzer Satz; der sich zwar auf das vorhergehende bezieht, aber doch für sich verstanden werden kann. Noch eins aus demselben Gedichte. Mir dringet längst zu Ohren, Ja auch ins Herze selbst der süssen Sänger Schall. Ich höre längst von fern die Heerpauk und den Hall Der zwölf Trompeten gehn. Für Freuden seh ich springen Die Bergstadt Ottokars, und alles wieder klingen. Der reiche Pregel reckt sein nasses Haupt empor, Horcht, was da sey, und läuft geschwinder, als zuvor, Dem frischen Hafe zu. Hier sieht man wieder, daß der Verstand dieser acht Zeilen sich viermal geschloßen hat, nämlich da, wo die Puncte stehen. Und folglich besteht dieses Stücke aus vier Perioden. 4. §. Will man dagegen sehen, wie ein Vers aussieht, darinn keine Perioden sind, so darf ich nur ein Stück aus einem alten Meistersänger anfuhren. Z.E. Der alte Uebersetzer Homers, Joh. Spreng, erzählt im Anfange des ersten Buches wie der Priester Chryses seine Tochter wiedergefordert habe. Dann dieser Priester Lobesam Bald für die Schiff der Griechen kam, Und wollt sein liebe Tochter haben Dieselb erledigen mit Gaben, Bracht deren gar ein große Zahl Für die Kriegsobersten zumal Von Gold und Silber auch ein Kron Apollinis, des Gottes fron Ein güldin Zepter in der Hand Ersucht die Griechen mit Verstand Fürnehmlich Agamemnonem Und Menelaum ganz bequem Die beyden König hochgebohrn Des Atrei Söhn auserkohrn Als hochverständig und großmüthig Fing an und sprach mit Worten gütig: Ihr beyde Fürsten hochgedacht Und auch der Griechen große Macht etc. Ich müßte noch ganze Seiten ausschreiben, wenn ich hier ein Ende finden wollte: So gar hängt alles an einander, daß man nirgends stille halten oder aufhören kann. Es hat aber auch unter neuern Poeten Leute gegeben, die nicht anders geschrieben haben, als ob die Periode in Versen ein verbothenes Kunststück wäre. Sonderlich in den ungemischten alexandrinischen Versen halten es einige nicht nur für erlaubt, sondern wohl gar für eine Schönheit: wenn sie alles aneinander hängen, und wohl dreyßig ja vierzig lange Zeilen wegschreiben, darinne man nirgend still stehen kann; wo man nicht durch das Athemholen den Zusammenhang der Worte und Gedanken unterbrechen will. 5. §. Eine solche Schreibart nun, ist in ungebundner Rede schon verwerflich, vielweniger wird sie sich für einen guten Poeten schicken, der noch körnichter, nachdrücklicher und kräftiger schreiben soll, als ein Redner. Die große Weitläuftigkeit ist ein Zeichen schlecht verdaueter Gedanken, und übelgefaßter Ausdrückungen. Sie macht die deutlichste Sache dunkel, und den besten Leser matt und müde. Seine Gedanken werden mit gar zu vielen Dingen überhäuft; und wenn er hofft, daß ihm die folgende Zeile den völligen Sinn des Satzes entdecken werde: so wird er von neuem, aus einem Labyrinthe in den andern gestürzet, daraus er nicht eher, als nach unzähligen Umschweifen den Ausgang finden kann. Wenn man denn endlich an einen Ruhepunct gekommen ist, so weis man selbst nicht mehr, was man im Anfange gelesen hat: so gar ist man, durch die Verwirrung unzählicher Gedanken und Ausdrückungen, überhäufet worden. Günther hat zuweilen seiner Einbildungskraft, etwas zu sehr den Lauf gelassen, z.E. wenn er so schreibt: Der bettelt geht und kömmt, und kann vor Angst nicht ruhn Bis daß ich Flavien erbärmlich vorgeleyert, Wie, da sie gestern spät das Sonntagszinn gescheuert, Ihr aufgestreifter Arm die Schwanenhaut entblößt, Und ihm dadurch die Milch der Hoffnung eingeflößt, Daher in seiner Brust ein neuer Aetna brennte, Dem auch ihr Schüsselfaß die Glut nicht löschen könnte. Doch könnte es auch wohl seyn, daß er diese Stelle mit Fleiß, und satirischer Weise so matt und weitschweifig gemacht, als ob er den Canzleystil nachahmen wollte. 6. §. Wiewohl nun dergestalt die Deutlichkeit eine Haupttugend poetischer Perioden ist; diese aber nicht leicht ohne eine beliebte Kürze erhalten werden kann: so will man dadurch noch nicht alle weitläuftige Sätze in Versen verworfen haben. Es giebt freylich zuweilen lange Perioden, die eine Menge kleiner Abtheilungen haben. Weil sie aber alle einander ähnlich sind, und an und für sich selbst verstanden werden können; so entsteht keine Dunkelheit daraus in der ganzen Rede. Z.E. wenn Neukirch in dem schönen Lobgedichte auf die Königinn in Preußen, Sophien Charlotten, ihre Eigenschaften ins Kurze fassen will; so macht er eine Periode von acht Zeilen, die aber aus so kurzen und ähnlichen Theilen besteht, daß sie ganz deutlich bleibt. Charlott! ach kann ich auch dieß große Wort noch sprechen, Charlotte liegt erblaßt! und unsre Augen brechen Zugleich vor kalter Angst. Wir sehen nichts als Nacht, Und gleichwohl sehen wir Europens Zierd und Pracht, Des größten Helden Lust, der Damen Preis und Krone, Das mütterliche Haupt von einem Königssohne, Minervens Ebenbild, der keuschen Liebe Sitz, Und alles, was jemals Natur, Verstand und Witz Nur herrliches gezeugt, nur schönes kann erdenken, Ins Haus, ins schwarze Haus der bleichen Schaar versenken. Man hat also sonderlich darauf zu sehen, daß in dergleichen langen Sätzen die Theile nicht nur an sich selbst deutlich, sondern auch unter einander ähnlich seyn mögen. Denn diese Aehnlichkeit macht, daß man die vorigen Stücke bey dem folgenden nicht aus dem Sinne verliert, und bey dem letzten nicht anders denkt, als ob nur eine einzige Eigenschaft, Bedingung, Ursache, Vergleichung oder Folgerung vorhanden gewesen wäre. 7. §. Die andere gute Eigenschaft einer Periode ist, wenn darinnen die natürliche Wortfügung unsrer Muttersprache eben sowohl, als in ungebundner Rede, beobachtet wird. Diese Regel ist seit Opitzens Zeiten bey unsrer Nation für bekannt angenommen worden: und es haben sie so gar diejenigen nicht verworfen, die doch in ihren Schriften vielfältig darwider verstoßen haben. Sie entschuldigen sich allenfalls mit der poetischen Freyheit, der sie sich doch durch den, der obigen Regel gegebenen Beyfall, begeben hatten: oder sie meynen doch, um eines guten Gedankens halber, stehe es ihnen frey, die Sprache zu verstümmeln. Einige aber meynen gar, es bestehe die Schönheit der poetischen Schreibart in solchen Verkehrungen der Wörter; indem man sich dadurch von der prosaischen Rede sehr entfernen könnte. Siehe die Vorrede zu dem schweizerischen Milton. Bey den alten Lateinern und Griechen hat man sich in diesem Stücke so sehr nicht binden dörfen, und man hält insgemein dafür: es wäre ihren Poeten eine jede Versetzung der Wörter und Redensarten gleichgültig gewesen. Allein ich habe bisher noch keinen Beweis davon zulänglich befunden. In Aristotels Poetik c. 23. finde ich, daß ein damaliger Geschichtschreiber, Ariphrades, die Versetzung der Wörter an den tragischen Poeten getadelt; unter andern, wenn sie das Vorwort nach seinem Nennworte gestellet: Z.E. δωμάτων ἀπὸ, DOMO EX, an statt EX DOMO. Wiewohl nun Aristoteles, aus gar zu großer Gelindigkeit, hier die Vertheidigung der Poeten über sich nimmt, und sie gar deswegen lobet, daß sie von der gemeinen Art zu reden abgewichen: so schließe ich doch daraus, daß es in der griechischen Sprache nicht gleichviel gewesen, wie man die Wörter geordnet; und daß auch bey ihnen ein zartes Ohr von einem guten Poeten gefordert habe, bey der natürlichen Wortfügung zu bleiben. 8. §. Von den Lateinern ist es eben so gewiß, daß man nicht alle mögliche Versetzungen bey den Poeten habe dulden können. Z.E. der Vers Virgils: ARMA VIRUMQUE CANO, TROIAE QUI PRIMUS AB ORIS ITALIAM FATO PROFUGUS LAUINAQUE VENIT LITTORA &c. hätte gat leicht auch folgendergestalt ins Sylbenmaaß gebracht weiden können: ARMA VIRUMQUE CANO, PROFUGUS QUI PRIMUS AB ORIS ITALIAM TROIAE VENIT, LAUINAQUE FATO LITTORA. Doch glaube ich, daß dem Virgil und allen Römern über einer so seltsamen Versetzung der Wörter die Ohren würden weh gethan haben. Und doch ist es leicht möglich, noch eine weit ärgere Unordnung in diese Wörter zu bringen, dabey endlich der ganze Verstand der Zeilen verschwinden würde. Zum Exempel: ARMA CANO PRIMUS TROIAE LAUINA VIRUMQUE ITALIAM PROFUGUS QUI LITTORA VENIT AB ORIS FATO. Oder so: ARMA CANO TROIAE, PROFUGUS QUI LITTORA VENIT, ITALIAM LAUINA VIRUMQUE PRIMUS AB ORIS FATO. Es ist daher wohl gewiß, daß in lateinischen Poesien eben so wohl die gewöhnliche Ordnung der ungebundnen Rede hat beobachtet werden müssen, als im Deutschen. Und wenn sich ja die Poeten aus Noth zuweilen eine Freyheit herausgenommen, so ist es an ihnen mehr geduldet, als gelobet worden. Man kann hiernach in den Parrhasianis dasjenige prüfen, was Clericus in den Gedanken von der Poesie geschrieben hat. 9. §. Bey den Franzosen hat Pater CERCEAU in einem besondern Tractate zu behaupten gesucht: Das Wesen der poetischen Schreibart bestünde in einer bloßen Versetzung der Wörter. Er führet aus ihren besten Poeten die Stellen an, die bloß darum edel und poetisch klingen; weil man wider die gemeine Art das hinterste vorn, und das vorderste hinten gesetzet hat. Nun weis ich zwar, was ihm der Pater Buffier in seiner neuen Anleitung zur Poesie drauf geantwortet hat: nichts destoweniger aber scheint er so ganz unrecht nicht zu haben. Denn einmal ist es gewiß, daß die französischen Poeten sich vieler solcher Versetzungen bedienen, die kein prosaischer Scribent bey ihnen brauchet; welches sie eben den Anfängern so schwer macht. Zweytens ist es auch gewiß, daß eine Zeile ein ganz neues Ansehen bekömmt, so bald eine etwas ungewöhnlichere Ordnung in die Redensarten gebracht worden; welches ich bald mit deutschen Exempeln erläutern will. Darinn aber kann ich ihm nicht beyfallen, wenn er die verblümten Redensarten für nichts poetisches ansehen will: da doch der häufige Gebrauch derselben, selbst in Fenelons Telemach, die Schreibart viel zu edel macht, als daß es eine prosaische heißen sollte. Die Critici haben vorlängst die reichen Beschreibungen im Curtius, und gewisse verwegene Metaphoren im Florus, für einen poetischen Ausdruck ausgegeben, obgleich dieselben nicht in Versen abgefasset gewesen. Und Quintilian im VI. Capitel seines VIII. Buchs gesteht ausdrücklich, daß die Poeten mehr Freyheiten in verblümten Redensarten hätten, als andere Scribenten. 10. §. Ich bleibe also fürs erste bey unserer alten Regel, und sage, ein Poet müsse eben die Wortfügung beybehalten, die in ungebundner Rede gewöhnlich, oder doch zum wenigsten erlaubt ist, Z.E. Der schwarze Schäfer steht bey einer hohen Linden, Gelehnet auf den Stab, und schneidet in die Rinden Der Liebsten Namen ein. Bald schwingt er in die Höh Ein treues Hirtenlied von seiner Galathee. Opitz von R. des Gem. Hier sieht ein jeder wohl die Versetzungen der Worte, die man in ungebundner Rede nicht gemacht haben würde. In der andern Zeile würde ich gesagt haben: Auf seinen Stab gelehnt, und schneidet der Liebsten Namen in die Rinden ein. Bald schwingt er ein treues Hirtenlied von seiner Galathee in die Höhe. Wer nun die obige Regel in aller ihrer Schärfe annimmt, der muß den angeführten Vers ganz verwerfen. Eben so wird es mit der folgenden Stelle gehen: Er darf sein Hütlein nicht stets in der Hand behalten, Wenn er nach Hofe kömmt, und vor der Thür erkalten, Eh, als er Audienz (Verhör ist viel zu schlecht) Zuwege bringen kann und ungerechtes Recht. Eben daselbst. Hier sieht man wiederum, daß fast alles in ungebundner Rede anders stehen müßte. »Wenn er nach Hofe kömmt,« würde ich gesagt haben, »darf er sein Hütlein nicht stets in der Hand behalten und vor der Thüre erkalten, ehe er Audienz und ungerechtes Recht zuwege bringen kann.« Allein meines Erachtens wären diese und dergleichen Versetzungen an einem Poeten noch wohl zu dulden; wenn sie nur niemals widriger klangen. Es giebt aber viel ärgere, die man gar nicht leiden kann; weil sie der Art unserer Sprache gar zu sehr zuwider laufen. Z.E. Lohenstein im Ibrahim Sultan schreibt: Ich kann mehr den Gestank der schwarzen Unzuchtkerzen Des Ibrahims vertragen nicht, Es muß sich mein Crystall von seiner Bosheit schwärzen, Stambuldens Glanz verliern ihr Licht. Und so geht es in unzähligen Stellen: Denn wie verkehrt klingt brechen ab, schlingen ein, zünden an, sprechen zu, streichen an, brennen an, tauschen ein, und andre Arten der Versetzungen mehr, die in dem ersten Auftritte dieses Trauerspiels zu finden sind. 11. §. Eben dergleichen kann man fast in allen unsern Dichtern anmerken, die bis auf Chr. Weisen geschrieben haben, auch so gar Hofmannswaldauen und Bessern nicht ausgenommen, die doch, ich weis nicht wie? ihrer Reinigkeit halber in Ruff gekommen sind. Dahin gehöret auch das thun , welches die Alten so oft eingeflicket haben. Z.E. Opitz von R. des Gem. Ein frisches Haselhuhn, Nach dem die Bürger sonst die Finger lecken thun. Dahin gehört die Trennung gewisser Wörter durch ein anderes darzwischen geschobenes: Z.E. Er wird mir auch verzeihen, Daß ich frey öffentlich, als Herold, aus darf schreyen . etc. Opitz. Dahin gehört die Veränderung der Geschlechter, da das weibliche ins männliche, oder beydes ins Ungewisse, dem Verse zu gut, verwandelt wird. Z.E. Opitz. An dem ein schönes Quell mit Rauschen hin und wieder, Fleußt heller noch als Glas, da es von Rechtswegen eine schöne Quelle hätte heißen sollen. Dahin gehört auch die Abkürzung gewisser Wörter. Z.E. Lohenstein sagt vom Frauenzimmer Die keusch - und kältsten brennen, Wo Fürstenblicke falln . 12. §. Dahin gehöret ferner die Ausdehnung einiger Wörter, die bloß des Sylbenmaaßes halber zu geschehen pflegt; Z.E. Genade, Gelücke, Gelauben, Grabestein, abe, nichtes, Großemutter, etc. Dahin gehöret auch die unnöthige Vorsetzung einer Sylbe, vor ein sonst gewöhnliches Wort: Z.E. Lohenstein. Dessen Eid Nichts minder ihn verknüpft, auf die Ergetzlichkeit Des Sultans, als aufs Heil des Reiches vorzusinnen . Hier ist das vor augenscheinlich umsonst angeflickt, und ändert die Bedeutung des Wortes eben so wenig, als in dem Niedersächsischen vorfinden ; welches nichts mehr, als finden heißt, und nur einen unnöthigen Zusatz bekommen hat. Hieher gehört endlich, wenn man forn eine Sylbe den Wörtern abbeißt, z.E. raus vor heraus. Der streichet pralend raus , was ihm in nächsten Tagen Für reiche Töchter sind zur Heirath angetragen. Canitz. Und vor diesem so ungereimten Fehler hat sich auch Günther, der doch sonst so rein schreibt, als man es wünschen kan, nicht allezeit in acht genommen. Und wie viel 'rein für herein, 'rauf für herauf, 'rab für herab, nein für hinein, 'nauf, 'nab, 'nüber, 'nunter, 'rüber, 'runter, etc. findet man nicht bey einigen Neuern, die gewiß nicht bedenken, daß kein Mensch in ungebundner Rede jemals so geschrieben. Pflegt gleich die Geschwindigkeit im Reden die erste Sylbe fast zu verbeißen, so ist es darum doch im Schreiben nicht schön. Die Nachläßigkeit der Ausländer, z.E. der Welschen, der Engländer und Holländer macht es nicht gut. Was in ihrer Sprache angeht, das schickt sich darum für unsre nicht. Eben dahin gehört auch das Wörtchen vor , welches einige anstatt zuvor, oder vormals, zu brauchen pflegen: da sie doch leicht sonst , vormals , oder vorhin , an seiner Stelle brauchen könnten. 13. §. Nun weis ich zwar, daß Aristoteles, in dem bereits angeführten Capitel seiner Poetik, die Verlängerung und Verkürzung der Wörter, in der hohen poetischen Schreibart dulden, ja gar für eine Schönheit derselben halten wollen, dadurch man sich von der gemeinen Art entfernen könnte. Allein da sich der alte Euklides ausdrücklich über den Homer beschweret, daß er solches gethan hat: so sehe ich daraus, daß solche gewaltsame Verstümmelung der Wörter auch in Griechenland anstößig gewesen; wie denn auch die neuen Dichter jenen darinnen nicht nachgeahmet haben. Denn in der That ist es wahr, daß es keine Kunst seyn würde, Verse zu machen: wenn es einem frey stünde, nach seiner Phantasie die Wörter auszudehnen und zu verkleinern, wie dieser alte Criticus gesagt hat. Die Belustigung, die man im Lesen eines Verses hat, fällt auch großenteils weg, wenn man sieht, daß der Poet nicht vermögend ist, die Sprache mit seinem Sylbenmaaße in guter Harmonie zu erhalten. Horaz vergleichet einen guten Poeten mit einem Seiltänzer. Was belustiget uns an einem solchen mehr, als daß derselbe auf einem so schmalen Stege mit solcher Gewißheit und Sicherheit einhergehet; ja gar die höchsten Luftsprünge macht, die sonst niemand auf dem flachen Boden nachmachen könnte. Man gebe aber demselben nur einen Steg, der eines Fußes breit ist: so gleich wird unsre Ergetzlichkeit verschwinden; weil es keine so große Kunst mehr seyn wird, darauf zu gehen. So ist es auch mit einem Versmacher bewandt. Sein richtiges Sylbenmaaß ist das Seil, darauf er ohne Fehltritt einhergehen muß. So oft er vorbey tritt, ist es uns zuwider; nicht anders, als wenn der Seiltänzer vom Seile fällt. Er muß gar die verwegensten Sprünge in seinen Gedanken und Ausdrückungen machen können, dabey man denken sollte: nun würde er gewiß seiner Richtschnur verfehlen! und doch wider Vermuthen in seinen engen Schranken bleiben. Dadurch wird nun der Leser überaus vergnüget. So bald man ihm aber eine größere Freyheit, die Sprache zu verstümmeln, verstattet, sogleich wird es gar keine Kunst mehr seyn, Verse zu machen; und man möchte ihm zurufen, was Boileau von einem solchen Stümper schreibt:»Er martert sich fast zu Tode über seinen Versen: warum schreibt er denn nicht lieber in ungebundener Schreibart?« IL SE TÜE À RIMER; QUE N'ECRIT IL EN PROSE? 14. §. Denn in der That ist es besser, gar keine Verse als schlimme zu machen und zu lesen, weil man sich ohne diese gar wohl behelfen kann. Ich weis wohl, daß es Leute giebt, die alles, was sich nur reimet, für Verse, und zwar für gute Verse halten. Allein es sind auch Leute darnach, deren Hofpoet zu seyn ich nicht begehre. Sie verstehen bey aller ihrer äußerlichen Hoheit des Standes, oder Pracht und Lebensart, kaum so viel, daß sie ihren Namen recht schreiben können. Von diesen nun einen Beyfall zu erhalten, das ist auch denen keine Ehre, die sich doch viel damit wissen; wenn sie alle Kenner der wahren Dichtkunst, für den Pöbel auf dem Parnaß erklären: bloß, weil sie es vorhersehen, daß ihre Arbeit deren Beyfall nicht erhalten wird. Horaz hat den römischen Lucil und andere alte Lateiner, die sich dergleichen Freyheit genommen, in etlichen Satiren ausgelachet und verworfen: obgleich der römische Pöbel, dem alles gleichviel war, und der die regelmäßigen Ausdrückungen von den unrichtigen nicht zu unterscheiden wußte, sehr viel Werks aus ihren Versen machte. Er giebt zu, daß er scherzhaft (FACETUS) und EMUNCTAE NARIS, ein aufgeräumter Kopf gewesen: aber er nennt ihn hart in Versen, und sagt, daß dieselben sehr unsauber flössen. DURUS COMPONERE VERSUS! NAM FUIT HOC VITIOSUS: IN HORA SAEPE DUCENTOS VT MAGNUM, VERSUS DICTABAT, STANS PEDE IN VNO. CUM FLUERET LUTULENTUS, ERAT QUOD TOLLERE VELLES. GARRULUS ATQUE PIGER, SCRIBENDI FERRE LABOREM, SCRIBENDI RECTE. SAT. IV. L.I. Man sieht aus dieser Stelle auch, daß nicht bloß die Geschwindigkeit im Versemachen Schuld an solchen Fehlern gehabt: sintemal er sehr schwatzhaft und gar zu faul gewesen, sich Zeit und Mühe genug über einer Sache zu nehmen. Man sehe die X. Satire dieses Buches nach, wo er noch ausführlicher davon handelt. 15. §. Ich enthalte mich hier, alle altfränkische Fehler der Poeten, die vor Opitzen gelebt haben, anzuführen. Das stahn , gahn , lahn und han , lobesam, wohlgemuth und zu dieser Frist bedarf keiner Regel mehr; indem es auch von den schlechtesten Dichtern nicht mehr gebraucht wird. Eine andre Bewandniß hat es noch mit den Hülfswörtern, die man zu den Hauptwörtern setzet. Einige lassen dieselben gern aus; andere aber behalten sie gar zu sorgfältig bey. Allein es ist leicht ein Unterscheid zu machen. Wann die Wörter haben und seyn wirklich nur Hülfswörter sind, und bey andern Zeitwörtern vorkommen: alsdann darf man sich kein Bedenken machen, sie nach Erforderung der Umstände auszulassen; wenn nur keine Dunkelheit daraus entsteht. Z.E. Canitz. Der, weil ein schwarzer Punct im Würfeln ausgeblieben, Zuletzt aus dem Besitz der Güter wird getrieben. Da ist in der ersten Zeilen das Wörtchen ist ausgelassen, aber ohne Fehler: weil ohne dieß, das Wort ausgeblieben schon die Sache ausdrückt, und das ist also nur ein Hülfswort war. Aber in der andern Zeile hätte das wird unmöglich ausgelassen werden können, weil sie sonst unverständlich geworden wäre. So gehts auch in allen Fällen, wo das haben ein bloßes Hülfswort ist. Z.E. Opitz schreibt: Was kann ein Herr, ein Fürst, ein König bessers lesen, Als was vor uns und ihm geschehen und gewesen; Wie manches stolze Reich entsprungen und verkehrt, Wie Völker itzt geblüht, und wieder durch das Schwerdt Den Untergang geschaut. Hier ist zuletzt bey geblüht , und geschaut , das haben ohne Fehler ausgelassen; so wie in der andern Zeile, bey geschehen und gewesen , das ist . Nur bey der dritten kann ichs nicht gut heißen, daß zwey ungleiche Wörter, entsprungen und verkehrt , verbunden worden, da sie doch nicht einerley Hülfswort haben können; weil das erste ist , das andere aber worden hätte haben sollen. Und dieses worden hätte gar nicht ausbleiben müssen, um den Verstand recht auszudrücken. Verkehrt kann auch wirksam, und nicht nur leidend erkläret werden: nachdem entweder hat oder worden darunter verstanden wird; und diese Zweydeutigkeit kömmt hier vor. 16. §. Wenn aber die Wörter haben und seyn an und für sich was bedeuten, und rechte Zeitwörter abgeben: alsdann ist es sehr ungeschickt, dieselben auszulassen. Z.E. Opitz im Vesuvius schreibt; Verzeihe mir mit Gnade, Daß ich unangesagt mit Schriften dich belade, Die gar zu schlecht für dich. Ich weis etc. Und bald hernach in diesem Gedichte: Alsdann kann erst ein Mensch sich einen Menschen nennen, Wenn seine Lust ihn trägt, was über uns , zu kennen. Hier ist in der ersten Stelle das Wort sind , und in der andern das ist ausgelassen. Gleichwohl sind dieselben hier als rechte Hauptwörter anzusehen; ohne die man den Satz unmöglich verstehen kann. Solchen Stellen unsrer ehrlichen Alten, die doch unrein sind, folgen viele Neuere nach, und verderben dadurch die Sprache aufs äußerste; zumal wenn sie gar das hat und haben in dergleichen Fällen ersparen wollen. Was ich aber an Opitzen entschuldigen muß, das werde ich gewiß an keinem andern loben, er sey auch wer er wolle; und wenn er noch so körnigt, dunkel und miltonisch schriebe, ja mit lauter Räthseln sinnträchtiger und gedankenschwangerer Wortriesen aufgezogen käme. 17. §. Noch einerley Frage fällt wegen der Hülfswörter vor, ob man sie nämlich ohne Unterscheid vor, oder hinter ihr Hauptwort setzen könne. Z.E. Wär es zu jener Zeit, da man auf Tuch und Rinden, In Cederöl getränkt, auf Helfenbein und Linden, Und Bley, und Darm, und Erz, und Wachs, und Leder schrieb, Und solches alles zwar mit großen Kosten trieb: So würde Caßius sich eher lassen lenken, Und nicht, wie er gethan, auf tausend Bücher denken, Die man dennoch zu nichts sonst tauglich hat erkannt, Als daß man sie sammt ihm zu Asche hat verbrannt. Franke. Hier findet man in der fünften Zeile das Hülfswort lassen , vor sein Hauptwort lenken gesetzt, welches doch in ungebundner Rede hinten gestanden haben würde. Imgleichen steht in beyden letzten das hat ebenfalls vorne, da es doch nach prosaischer Ordnung hinten seyn sollte. Allein man sieht wohl, daß dieses wider die obige Regel läuft, und also für keine Schönheit, sondern für einen Uebelstand zu halten ist. Noch eins aus eben dem Poeten: Es würde der Lucil wohl eher sich ermüden, Und nicht zweyhundert Vers in einer Stunde schmieden, Und zwar auf einem Fuß. Ich selber ließ es seyn, Und zöge meine Schrift zuzeiten enger ein: Wann nicht der leichte Griff, da man mit großem Frommen Auf Lumpen schreiben kann, nunmehr wär aufgekommen. Hier ist abermal wär in der letzten Zeile auf der unrechten Stelle: denn es sollte heißen, aufgekommen wäre. Gesetzt nun, daß dieses nur ein kleiner Fehler ist, den man an einem alten und großen Poeten leicht übersieht, wenn er nur nicht oft kömmt: so ist es doch ein Fehler, der einer Entschuldigung bedarf, und den man lieber zu vermeiden sucht, wenn man ohne Tadel reden will. 18. §. Eine von den allervornehmsten Tugenden, eines guten poetischen Satzes, ist die Deutlichkeit desselben. Diese muß in gebundener Rede eben sowohl, als in ungebundner statt haben, und ohne dieselbe würde ein Poet kein Lob verdienen. Es entsteht sonst die Deutlichkeit aus Wörtern und Redensarten, die jedermann geläufig und bekannt sind, auch in ihrem natürlichen und eigentlichen Verstande gebraucht werden: sodann aber auch aus einer ordentlichen und gewöhnlichen Wortfügung, die der Art einer jeden Sprache gemäß ist. Wären aber diese Stücke zur Deutlichkeit eines Satzes ganz unentbehrlich: so würde folgen, daß ein Poet entweder keine neue Wörter, verblümte Redensarten und neue Wortfügungen machen müsse; oder daß er unmöglich deutlich würde schreiben können. Denn wir haben schon oben gewiesen, daß man in gebundner Rede nicht die gemeinsten und bekanntesten, sondern ungemeine, zuweilen auch alte, zuweilen gar neuzusammengesetzte Wörter, und viel verblümte Redensarten anbringen solle: um edler und erhabner als ein prosaischer Scribent, zu schreiben. Und wir werden bald hören, daß man auch in der Wortfügung viele Neuerungen wagen könne, um sich dadurch von der gemeinen Art zu reden zu entfernen. Allein bey diesem allen kann die Deutlichkeit gar wohl bestehen. Ein Wort kann gar wohl verständlich seyn, wenn es gleich nicht von dem Pöbel täglich gebraucht wird. Ein altes Wort ist auch nicht allemal unverständlich, wenn es nur kein Provinzialwort ist, das außer den engen Grenzen einer Landschaft nicht gilt; wenigstens kann es durch den Zusammenhang ganz deutlich werden. Neugemachte Wörter sind auch sehr wohl zu verstehen, wenn sie nur aus bekannten regelmäßig zusammen gesetzt; und nach der Aehnlichkeit unserer Mundart eingerichtet worden. Die verblümten Redensarten, wenn sie glücklich ausgesonnen werden, geben dem Verstande noch mehr Licht, als die eigentlichen; wenn man sie nur nicht gar zu häufig brauchet. Denn Aristoteles in seiner Poetik hat ausdrücklich angemerkt, daß aus gar zu vielen Metaphoren lauter Räthsel entstehen. 19. §. Zuweilen werden bey dem Scheine der größten Deutlichkeit die verblümten Redensarten so wunderlich durch einander geflochten; daß sie gar nicht verstanden werden können. Z.E. Besser in einem Singespiele läßt den Mars, der nebst den andern Göttern bey der Flora zu Gaste gebethen worden, und etwas späte erscheint, also sprechen: Mars, der Gott der Kriegesheere, Folgt der Göttinn aus dem Meere, Folget seiner Venus nach. Wart, Aurora! wart, Aurora! Mars kömmt auch zum Fest der Flora, Schleuß noch nicht dein Schlafgemach. Hier verstehe ich weder was Mars, noch was der Poet haben will. Denn außer dem überflüßigen Titel, den er sich giebt, und den alle Götter, zu denen er kömmt, lange wußten, nennt er seine Venus eine Göttin aus dem Meere; welcher Name sich viel besser für die Thetis geschicket hätte. Hernach ruft er Auroren, und verlangt, sie solle ihr Schlafgemach noch nicht schließen, weil er auch zum Feste der Flora käme. War denn das Fest der Flora in Aurorens Schlafkammer angestellt? oder wollte Mars sonst bey ihr seine Herberge auf etliche Minuten nehmen? Was heißt es ferner, das Schlafgemach schließen? Ohne Zweifel schläft Aurora des Nachts, und also muß sie frühe herauseilen, ihrem Phöbus vorzugehen. Da wird es nun dem Mars gleich viel gelten, ob sie ihre Schlafkammer offen läßt oder zuschließt; weil er ohne dem nichts darinn zu thun hat. Des Abends aber die Aurora in ihr Schlafgemach zu führen, das würde eben so viel seyn, als wenn jemand den Nordwind von Süden, oder den Zephir von Osten herkommen ließe. Mit einem Worte, der obige Vers ist ohne Verstand, und besteht aus schönen Worten und verblümten Redensarten, die nichts heißen. 20. §. Ich habe mit Fleiß aus Bessers Schriften ein solch Exempel angeführet, den man seiner natürlichen Schreibart, und richtigen Gedanken halber so vielmal gelobet; daß er sich endlich selbst für unsern besten Poeten gehalten, und alles andre vor und neben sich verachtet hat. In andern, die noch erhabener schreiben, würde ich unzählige solche Stellen finden, die entweder noch unverständlicher seyn, oder doch gute Räthsel abgeben würden. Z.E. wenn Lohenstein die Sonne den Almosenmeister Gottes , den Menschen eine Mappe dieses großen Alles nennet, und hernach bald der göttlichen Vorsehung in die Speichen tritt, bald die Deichsel dem Vaterlande zukehret: so sind dieses lauter unverständliche Räthsel, welche man nicht errathen würde, wenn nicht theils ausdrücklich dabey stünde, was sie bedeuten sollten, theils aber der Zusammenhang solches zeigte. Siehe dessen Rede auf den Herrn von Hofmannswaldau und die Beurtheilung derselben in dem I. Bande der critischen Beyträge. Dieses alles zeiget, meines Erachtens, wie nöthig es sey, bey dem verblümten Ausdrucke seiner Gedanken vor allen Dingen auf die Deutlichkeit zu sehen, und sich ja nicht durch den Schein einer falschen Hoheit in das Phöbus oder Galimatias stürzen zu lassen. Einige Neuere haben uns in diese Wolken und Nebel wieder zu verhüllen gesucht, und dieses zwar unter dem Scheine einer größern Scharfsinnigkeit. Sie haben uns die gemeinsten Gedanken durch dunkle Ausdrückungen schwer zu verstehen gemacht: damit wir glauben sollten, sie hätten uns neuerfundne und vorhin unerhörte Dinge gesagt. Einfältige haben sich betrügen lassen, sind aber nicht besser angekommen als Ixion, der statt einer Göttinn eine Wolke umarmete. Ein Exempel aus Neidharden, macht die Sache deutlich. In einem Gedichte auf einen Grafen zu Waldburg, hebt er so an: Weg, halbverfaulter Schall erblaßter Schafsgedärme, Das auf der Folterbank des Griffbrets Zeter pfeift, Verhaßter Trödelkram, was kreischt doch dein Geschwärme, Wenn dein geschlängelt S den Speichel in sich säuft. Was vor ein Aberwitz flößt deinen Sclaven ein Daß Rachen, Faust und Kopf der Wollust zinsbar seyn, Da unsre Christenheit in Sack und Asche winselt, Was macht ein Lachen sich durch Heisers VIVAT breit, Da Petrus ängstlich weint, und Christus Eli schreyt. Ja was? entweiht man so, den Wald, die Burg die Glieder, So kaum die Mattigkeit mit Lispeln eingewiegt? Was regt die Schnattergans so Gurgel als Gefieder, Wenn ein erlauchter Schwan, das Haupt zur Ruhe biegt? Wer Hand und Rücken nur an Ofenkacheln reibet, Und wem ein brauner Schluck die Kehle schlüpfrig macht, Dem träumt nicht wie der Frost der schwarz beeisten Nacht. An Haar und Kleidern mehr, als Fidelharz bekleibet. Jedoch der Vorwitz spricht: was? ich will doch bestehn: In fremden Schuhen kann man leicht spazieren gehn. 21. §. Nichts ist übrig, als daß ich versprochenermaßen noch zeige, was für Versetzungen der Wörter in unsrer Sprache, der Deutlichkeit unbeschadet, noch möglich sind; und was für eine Zierde die poetische Schreibart davon bekömmt. Man bildet sich insgemein ein, die guten Poeten folgten der ungebundnen Wortfügung aufs allergenaueste: allein ich habe bisweilen das Gegentheil bemerket und wahrgenommen, daß sie viele neue und oft recht verwegene Versetzungen machen; die zwar ungewöhnlich, aber doch nicht unrichtig klingen, und also überaus anmuthig zu lesen sind. Sonderlich habe ich diese Kühnheit an den Meistern in Oden wahrgenommen, darunter ich Opitzen, Dachen, Flemmingen, Tscherningen, Kaldenbachen, Franken, Amthorn und Günthern nennen kann. Die Exempel, die ich aus ihnen anführen will, werden sattsam zeigen, wie edel der poetische Ausdruck dadurch wird: weit gefehlt, daß er entweder unrichtig, oder doch dunkel werden sollte. Wenn Opitz sagen will: Grüne wohl, du starke Raute, dieses Gift der Zeiten, weiche deinen süssen Bitterkeiten, welche nichts bezwingen soll; so kehrt ers um, und singt im II. B. der P.W. viel munterer also: Starke Raute, grüne wohl! Deinen süssen Bitterkeiten, Welche nichts bezwingen soll, Weiche dieses Gift der Zeiten; Dieses Gift, das gar zu viel Herz und Haupt durchdringen will. Bald darauf will er in einer andern Ode sagen: Wie Phöbus der Wolken blaue Tracht zu malen pflegt: so blinkt der Stern von Mitternacht mit güldnen Stralen. Allein er singt weit edler in einer andern Wortfügung: So blinkt mit güldnen Stralen Der Stern von Mitternacht; Wie Phöbus pflegt zu malen Der Wolken blaue Tracht. 22. §. Dach will in einer Ode, die ich in Kindermanns deutschem Poeten p. 222. finde, sagen: Mein Aufenthalt war sonst nirgends zu finden, als nur bey den hohen Linden, durch den grünen Wald. Ich liebte ohn Unterlaß eine Quelle, ein frisches Gras etc. allein er ordnet seine Worte weit lebhafter, wenn er so schreibt: Sonsten war mein Aufenthalt Nirgends nicht zu finden, Als nur durch den grünen Wald, Bey den hohen Linden. Eine Quell, ein frisches Gras, Liebte ich ohn Unterlaß: Da ich denn gesungen, Daß die Bäum erklungen. Flemming will seiner Anemonen im Vten Buche der Oden sagen: Ach! dieß einige, war von allen meinen Plagen, noch übrig, daß ich das schwere Liebesjoch abgeschieden tragen muß; allein der Affect, darinn er steht, bringt eine ganz neue Wortfügung zuwege: Ach! Einzig dieß war übrig noch, Von allen meinen Plagen, Daß ich das schwere Liebesjoch Muß abgeschieden tragen. Kaldenbach in seinem Klaggedichte auf Opitzen, will sagen: Die betrübte Galathee gieng an des süssen Neckars Rande, in tieferregtem Weh; als Coridon, durch einen grimmigen Riß, sie und ihre Felder in einsamwüstem Stande ließ. Aber das poetische Feuer hat ihn dieses folgendermaßen versetzen gelehret. An des süßen Neckars Rande Gieng, in tief erregtem Weh, Die betrübte Galathee; Als, in einsam wüstem Stande, Corydon, durch grimmen Riß, Sie und ihre Felder ließ. 23. §. Tscherning in einem Gedichte an Fabricius von Danzig, will Preußenland also anreden: Für das grimme Blut und Rauben, werden Pickelhauben, Helm und Harnisch, Spieß und Schwerdt, besser in den Ackerzeug verkehrt. Denn, weil wir mit dem Eisen kriegen, so muß das Feld öde liegen. Aber weit edler hat er die Worte so geordnet: Besser werden Pickelhauben, Helm und Harnisch, Spieß und Schwerdt, Für das grimme Blut und Rauben, In den Ackerzeug verkehrt: Denn das Feld muß öde liegen, Weil wir mit dem Eisen kriegen. Johann Franke hätte in der Ode auf Hofmanns, Bürgermeisters zu Frankfurth, Hochzeit, in ungebundner Rede sagen müssen: Jene Grabschrift, die Paternus gestiftet, wird dort um Nemaus, wie ein Wunderwesen gelesen: daß die Parce in seiner Ehezeit, ohn allen Zank und Streit zwey und dreyßig Sonnen (Jahre) abgesponnen habe. Allein er kehret alles um, und doch ist es nicht unrecht; sondern recht lebhaft gerathen. Als wie ein Wunderwesen, Wird jene Grabeschrift Um Nemaus dort gelesen, Die der Patern gestift: Daß zwey und dreyßig Sonnen In seiner Ehezeit Die Pare hab abgesponnen, Ohn allen Zank und Streit. Amthor, in der aus dem Rousseau übersetzten Ode auf die Weltbezwinger, hätte die Helden so anreden müssen: Ihr stolzen Krieger, laßt einmal sehen, worauf sich eure Tugend stützt, und wo euch dann das Herz im Leibe sitzt, wenn sich das Glück verdrehen will. Allein er hat es weit edler so gesetzt. Laßt einmal, stolze Krieger, sehen, Worauf sich eure Tugend stützt? Wo, wenn das Glück sich will verdrehen, Euch dann das Herz im Leibe sitzt? 24. §. Ich könnte auch aus unsern übrigen Poeten noch unzählige Stellen anführen; dieses zu behaupten: wenn die bereits erwähnten nicht schon zulänglich wären. Ich will aber lieber noch eine Anmerkung machen, und den Grund dieser aus erlaubten Versetzungen entspringenden Schönheit entdecken. Einmal ist es gewiß, daß auch unsre Prose sehr vielerley Versetzungen leidet, davon aber eine immer besser klinget, als die andere. Z.E. des Herrn von Canitz Trauerrede auf die brandenburgische Prinzeßinn Henriette, hebt so an: »Fürsten sterben zwar eben so, wie andere Menschen. Doch haben sie zu solcher Zeit vor andern ein großes voraus.« Diesen Satz hätte man, unserer Mundart unbeschadet, auch so vortragen können: Zwar sterben die Fürsten eben so, wie andere Menschen: doch haben sie vor andern zu solcher Zeit ein großes voraus. Imgleichen in dem nächstfolgenden Satze: »Was ihr Tod nach sich zieht, giebt nicht nur eine Veränderung in einem Hause oder Geschlechte, sondern auch zugleich in unzählich vielen Seelen.« Hier hätte das Wort, eine Veränderung , noch an zwo verschiedene Stellen gesetzt werden können, nämlich nach Geschlechte , und ganz am Ende. In andern Stellen dieser Rede würden sich noch mehrere erlaubte Versetzungen vornehmen lassen. 25. §. Fragt man nun ferner, welche Ordnung der andern in zweifelhaften Fällen vorzuziehen ist? so sage ich erstlich: die, welche am besten klinget. Das Urtheil der Ohren entscheidet die Schwierigkeit am besten: denn auf das Gehör des Scribenten kömmt es hauptsächlich an, wenn die Schreibart des einen wohlfließend und harmonisch ist; des andern Ausdruck aber rauh und widerwärtig lautet. Es ist aber, außer dem Wohlklingen, zweytens auf den Affect zu sehen. Das Feuer der Gemüthsbewegungen erlaubt uns nicht allezeit auf die gewöhnliche Ordnung der Wörter zu sinnen: es bricht heraus, und fängt oft den Satz in der Mitten an. Z.E. Ein ruhiges Gemüthe wird sprechen: alle dein Bitten ist umsonst, ich werde es nimmermehr leiden. Du sollst den Tag nicht erleben etc. Allein einen Zornigen wird die Heftigkeit seiner Leidenschaft so sagen lehren: Umsonst ist alle dein Bitten! Nimmermehr werde ichs leiden! Den Tag sollst du nicht erleben! Dergleichen Versetzungen machen eine Rede sehr feurig und lebhaft: und weil dieß in allen Affecten zu geschehen pflegt, die Poeten aber oft selbst darinnen stehen, oft andre Personen, die aufgebracht gewesen, redend einführen, oder ihnen nachahmen; so ist es kein Wunder, daß sie dergleichen nachdrückliche Versetzungen mit gutem Bedachte anzubringen suchen. 26. §. Oft will man den Nachdruck eines Wortes, durch den Ton der Aussprache anzeigen, der sich aber an einer Stelle nicht so gut, als an der andern hören läßt: daher versetzt man dasselbe an einen Ort, wo es sonst nicht hingehöret. Z.E. wenn ich schriebe: Ich will dir zu Liebe sterben. So würde es lange so kräftig und nachdrücklich nicht klingen, als wenn ich sagte: Dir zu Liebe will ich sterben. Dahin gehört Günthers Stelle aus dem bekannten Liede: Will ich dich doch gerne meiden etc. In den Wäldern will ich irren, Vor den Menschen will ich fliehn. Hier hätte ja der Poet natürlicher Weise sagen können: Ich will in den Wäldern irren, Ich will vor den Menschen fliehn. Flemming ist auch in dergleichen Versetzungen glücklich gewesen. Z.E. auf der 420sten S. schreibt er: Achtmal hat nun, als ich zähle, Phöbe volle Hörner kriegt. Denn von Rechtswegen hätte es heißen sollen: Phöbe hat nun, als ich zähle, Achtmal volle Hörner kriegt. Aber, wer sieht nicht, daß er dadurch den Nachdruck seiner Worte geschwächet, und die Schönheit des Verses nur verderbet haben würde? 27. §. Endlich dienet die Versetzung zuweilen, den Leser eines Gedichtes recht aufmerksam zu machen, weil man von den Nebenumständen den Anfang macht, und den Hauptsatz allererst nachfolgen läßt. Z.E. fängt Besser seine Ruhestatt der Liebe so an: In diesen brennenden und schwülen Sommertagen Ließ Chloris sich einmal in ihren Garten tragen. Hier hebt er von der Zeit an, da er doch von der Person hätte den Anfang machen können. So sagt auch Canitz: In meinem Schülerstand, auf den bestaubten Bänken Hub sich die Kurzweil an. Da hätte er ja von der Kurzweil anfangen können: allein diese Versetzung setzt den Leser in Aufmerksamkeit, und macht ihn begierig zu wissen, was denn in dem Schülerstande geschehen seyn werde? Imgleichen schreibt Flemming auf den Namenstag einer Jungfer dergestalt: Daß der Lenz die Welt umarmet, Daß der Erden Schooß erwarmet, Daß die Nächte werden klein, Daß der Wind gelinder wehet, Daß der lockre Schnee vergehet, Das macht euer Sonnenschein. Wo man augenscheinlich sieht, daß der natürliche Anfang hätte heißen müssen: Euer Sonnenschein macht, daß der Lenz etc. Eben so hätte Rachel folgende Zeilen Zu einem sammtnen Rock die groben Leinwandhosen, Wer hätt' es sonst erdacht, als Narren und Franzosen? natürlicher Weise ganz umgekehrt ordnen müssen: wenn er sie nicht dergestalt viel nachdrücklicher befunden hätte. Ueberhaupt könnte man die Worte Horatii hieher ziehen, wiewohl er sie in anderer Absicht geschrieben: IN MEDIAS RES, NON SECUS AC NOTAS, AUDITOREM RAPIT. 28. §. Doch verlange ich mit dem allen der unverschämten Frechheit der Sprachverderber keineswegs Thür und Thor zu öffnen, die ohne Verstand und Nachsinnen das unterste zu oberst kehren, und doch für gute Poeten angesehen seyn wollen. Die Versetzungen sind nicht aus Noth erlaubt, um das Sylbenmaaß vollzustopfen; denn dieß gehört für die elendesten Stümper: sondern nur alsdann steht es frey, sich derselben zu bedienen, wenn ein besonderer Nachdruck, oder eine neue Schönheit des Ausdruckes daraus entsteht. Wer dieses nicht in Acht nimmt, und ohne Scheu, wider die Natur unsrer Mundart, alle Regeln der Sprachkunst aus den Augen setzt, der verdient, ein Pohl oder Wende genennt zu werden, der nicht einmal Deutsch kann, geschweige, daß er ein Poet zu heißen verdienen sollte. Denn das werden lauter Soloecisimi und ἀκυρολογίαι, die kein Kenner seiner Muttersprache ertragen kann: wenn gleich manche Neulinge den Mangel ihres Geistes und Witzes, den sie bey der ordentlichen Wortfügung nicht zeigen können, nur durch die Verhunzung der deutschen Sprache zu verbergen suchen. Wallisius sagt dieses zwar seinen englischen Poeten nach, daß sie die Grammatik sehr aus den Augen setzten: und ein gebohrner gelehrter Engländer, hat mir solches insonderheit vom Milton bekräftiget; dessen vornehmste Schönheiten in grammatischen Schnitzern bestünden. Bey uns hergegen, wird keine solche Frechheit gelten, die nicht auch in ungebundner Rede, im Affecte, zu dulden ist. Eben so seltsam würde es seyn, wenn man die Wortfügung fremder Sprachen in der unsrigen anbringen wollte; welches vielen, die mehr Französisch als Deutsch können, sehr leicht zu entfahren pflegt. Z.E. wenn ich schreibe: Die Augen über das Feld ausspazieren lassen ; oder: Einem Frauenzimmer den Hof machen , weil die Franzosen sprechen: PROMENER SES YEUX SUR LES CHAMPS, und FAIRE SA COUR À UNE DAME. Das sind lauter handgreifliche BARBARISMI in unsrer Mundart, die kein Mensch versteht, der nicht französisch kann: wohin denn auch die Mittelwörter gehören, die auch von einigen geschwornen Participianern, sehr unverschämt gebraucht werden. Schlüßlich, ein Poet muß überall die Regel des Boileau beobachten: SUR TOUT, QU'EN VOS ECRITS LA LANGUE REVERÉE, DANS VOS PLUS GRANDS EXCÉS, VOUS SOIT TOUJOURS SACRÉE. EN VAIN VOUS ME FRAPPEZ D'UN SON MELODIEUX; SI LE TERME EST IMPROPRE, OU LE TOUR VICIEUX, MON ESPRIT N'ADMET POINT UN POMPEUX BARBARISME, NI D'UN VERS EMPOULE L'ORGUEILLEUX SOLECISME, SANS LA LANGUE, EN UN MOT, L'AUTEUR LE PLUS DIVTN EST TOUJOURS, QUOIQU'IL FASSE, UN MÉCHANT ECRIVAIN. Das 10. Capitel Das X. Capitel. Von den Figuren in der Poesie. 1. §. Die Abhandlung von den Figuren gehöret eigentlich für die Meister der Redekunst, und ich könnte also meine Leser dahin verweisen, oder gar zum voraus setzen, daß sie sich darum schon bekümmert haben würden. Allein fürs erste hat die gebundne Schreibart eben so viel Recht dazu, als die ungebundne, ja noch wohl ein größeres. Sie hat sich nicht nur dieser Zierrathe bedienet, ehe diese noch erfunden worden: sondern sie pfleget sich auch damit weit häufiger zu putzen, als dieselbe. Hernach kann man nicht allezeit zum Grunde setzen, daß die Liebhaber der Dichtkunst sich vorher in der Redekunst fest gesetzt haben sollten. Dieser Gattung Lesern zu gefallen, habe ich mein Buch lieber vollständiger machen, als sie auf einen anderweitigen Unterricht in diesem Stücke verweisen wollen. 2. §. Einige neuere Lehrer der Beredsamkeit haben mit großem Eifer wider den Unterricht von Figuren, der in allen Rhetoriken vorkömmt, geschrieben. Sie haben dafür gehalten: man könnte diese ganze Lehre ersparen, und dörfte die Jugend mit so vielen griechischen Namen nicht plagen; zumal da sie daraus nichts mehr lernte, als wie man eine Sache, die auch dem einfältigsten Pöbel bekannt wäre, benennen könnte. Zu dieser Zahl ist noch neulich ein schweizerischer Kunstrichter getreten, der anstatt der Figuren, ein unverständliches Mischmasch, und eine sclavische Nachahmung des, in seiner eignen Sprache barbarischen Miltons einzuführen wünschte. Man giebt es zu, daß viele Schullehrer der Sache zuviel gethan, und sich gar zu lange dabey aufgehalten haben. Man giebt auch zu, daß die griechischen Namen oft eine unnöthige Schwierigkeit verursachen, und daß man besser thäte, wenn man an ihrer Stelle deutsche einführete. Man gesteht auch endlich, daß die Natur selbst lebhafte Leute in Figuren reden lehret, die sonst ihr lebenkng keine Anleitung dazu bekommen haben. Aber aus dem allen folget noch nicht, daß die Lehre von Figuren aus den Anweisungen zur Wohlredenheit gar zu verbannen sey. Wenn man etwa ein kleines Capitel dazu widmet; wenn man sich bemühet, die Namen derselben leicht und deutlich zu machen; wenn man endlich ihren Gebrauch und Misbrauch unterscheiden lehret: so ist man, meines Erachtens, wohl nicht zu schelten. Zu geschweigen, daß nur die muntersten Köpfe von sich selbst auf die Figuren gerathen, wenn sie wovon reden oder schreiben. Die an dern, die nicht so viel Feuer haben, würden sich darauf gar nicht besinnen; wenn man ihnen nicht auf die Spur helfen wollte. Wenn man ihnen aber gute Exempel davon vorlegt, und die Schönheit derselben empfindlich macht: so werden sie auch entzündet, und sie bemühen sich hernach, ihre schläfrige Schreibart auch ein wenig zu erwecken und anzufeuren. 3. §. Es giebt aber zweyerley Figuren. Einige bestehen nur in einzelnen Worten, andre aber in ganzen Sprüchen oder Sätzen: daher hätte ich von den erstern schon nach dem sechsten Capitel handeln können. Wir wollen sie hier durch einander nennen, beschreiben und mit Exempeln aus unsern Poeten erläutern. Ich will der Ordnung des berühmten P. Lami hierinn folgen, welche er in seiner Redekunst beobachtet hat. Dieser hat die innere Natur der Figuren sehr wohl eingesehen. Er hält sie für eine Sprache der Affecten, für einen Ausdruck starker Gemüthsbewegungen, und vergleichet sie mit den verschiedenen Gesichtszügen oder Lineamenten; daran man gleichfalls die innere Gemüthsbeschaffenheit eines Menschen von außen abnehmen kann. Die Vergleichung ist glücklich und wohl angebracht: denn in der That sind die Figuren etwas mehr, als bloße Zierrathe. Die ganze Stärke einer Rede zeiget sich darinn, weil sie ein gewisses Feuer in sich enthalten, welches auch den Lesern oder Zuhörern, durch eine geheime Kunst, Funken ins Herz wirft, und sie gleichergestalt entzündet. Daher vergleicht sie Lami, zweytens, auch mit den verschiedenen Stellen und Bewegungen eines lebhaften Fechters, der sich dadurch zu schützen, und seinem Gegner Abbruch zu thun suchet. Die heftige Rede, die Virgil der Dido zugeeignet hat, kann überhaupt hier zum Beweise dienen. Lami hat sie in einer französischen Uebersetzung zu dem Ende angeführt, und ich will sie nach der Verdeutschung Amthors hieher setzen: weil sie ein Muster wohlangebrachter Figuren abgeben kann, und eben diejenige ist, von welcher Canitz dort geschrieben: Wir lesen ja mit Lust Aeneas Abentheuer. Warum? Stößt ihm zur Hand ein grimmig Ungeheuer; So hat es sein Virgil so künstlich vorgestellt, Daß uns, ich weis nicht wie, ein Schrecken überfällt: Und hör ich Dido dort von Hohn und Undank sprechen; So möcht ich ihren Schimpf an den Trojanern rächen. 4. §. So lautet indessen die Rede selbst, die von dem Poeten der erzürnten und verzweifelten Dido, nach der schnellen Abfahrt des Aeneas, in den Mund geleget worden. Sollt eine Göttinn sich wohl deine Mutter nennen, Und ein Trojanerheld dich für sein Blut erkennen? Nein! Du Verräther leugst! Ein harter Fels und Stein, Der grimme Caucasus muß selbst dein Vater seyn. Ein freches Tygerthier hat dir die Brust gereichet, Das durch Hirkaniens verbrannte Wüste streichet. Ich rede, was ich muß; verstellen hilft mir nicht, Weil aller Hoflhungsgrund auf ewig mir gebricht. Hat dieser heiße Bach, der meine Wangen nässet, Ihm auch den kleinsten Hauch von Seufzern ausgepresset? Wirft sein verstockter Sinn auch wohl noch einen Blick, Durch diese Fluth erweicht, auf seine Braut zurück? Mein Leid ist tausendfach! Was soll ich erst betrauren? Ich weis, selbst Juno wird mich armes Weib bedauren, Ich weis, daß Jupiter sich drüber hat entrüst, Daß die verdorbne Welt so voller Falschheit ist. Ein Bettler! der durch Sturm an meinen Strand gekommen, Wird, von mir Thörichten, zum König aufgenommen? Der Schiff und Gut verlohr, und nur durch meine Hand, Nebst seinem nackten Volk, des Lebens Rettung fand? Ich berste fast für Zorn! Der Schmerz bringt mich zum Rasen. Nun hat Apollo ihm was neues eingeblasen, Ein Traum aus Lycien was anders prophezeiht; Ja selber Jupiter ihm drohend angedeut, Er solle seinen Fuß in andre Länder tragen: Ja recht! Gott wird wohl viel nach deinem Schwärmen fragen! Der Himmel, welchen nichts in seiner Ruhe stört, Hat seine Sorgen itzt auf deine Fahrt gekehrt. Doch lauf! ich halt dich nicht; ich will nicht widersprechen, Nur fort! und säume nicht, die Wellen durchzustechen. Such dein Italien, das dir so wohl gefällt, Und wo die Hoffnung dir ein neues Reich bestellt: Ich weis, der Himmel wird gerecht und heilig bleiben, Und dein verschlagnes Schiff an Klipp und Syrten treiben, Da wird die wilde Fluth ein Rächer meiner Pein, Da wird dein letztes Wort: Ach Dido! Dido! seyn. Ja wird der kalte Tod den warmen Geist verjagen, Soll mein Gespenste dich doch allenthalben plagen. Du sollst, du kannst, du wirst der Strafe nicht entgehn, Und ich will deine Quaal auch in der Gruft verstehn! Wer aus einer so herzrührenden Rede den Nachdruck der Figuren nicht begreifen kann, der muß wenig Empfindlichkeit und Nachsinnen besitzen. Wer aber überführt seyn will, daß dieses rührende Wesen bloß von den Figuren herrühre, der darf nur eine andre Uebersetzung von der lateinischen Stelle machen, darinn alles schlechtweg gesagt wird: sogleich wird alles Feuer, alle Heftigkeit und alle Lebhaftigkeit daraus verschwinden; und man wird es kaum glauben können, daß es dieselbe Rede sey. 5. §. Lami fängt die Figuren mit dem Ausruffe (EXCLAMATIO) an, weil diese die natürlichste ist, und in vielen Affecten zuerst hervorbricht. Denn es giebt einen Ausruf, in der Freude, Traurigkeit, Rachgier, imgleichen im Schrecken, Zagen, Verzweifeln, Trotzen, u.d.gl. Nun giebt es zwar gewisse Formeln, die eigentlich dazu bestimmt sind, als Ach! O! Weh! Wohlan! Hey! Sa, Sa! Ha! u.a.m. Allein es werden so viel andre Redensarten dazu gebraucht, daß ihre Zahl nicht zu bestimmen ist. Z.E. Jammer! Lustig! Frisch auf! Herzu! Ich Armer! Mich Unglückseligen! Trotz sey dir gebothen etc. etc. Ein Exempel giebt mir Flemming auf der 201 Seite. Als aber gleich der Krieg, Erbarm es Gott, der Krieg! mit welchem wir uns Deutschen, Von so viel Jahren her nun ganz zu tode peitschen, Mein liebes Meißen traf. Canitz auf der 43. Seite der neuen Auflage. O kindischer und toller Wahn, Der bey mir eingerissen! Opitz im IV. Buche der Poet. W. schreibt an Nüßlern, von seiner Flavien: Ach! daß ihr frecher Sinn Mich, der ich ihrer Huld vielmehr als würdig bin, So wenig gelten läßt! ach, ach! daß kein Vergießen Der Thränen, und kein Wort, kein Seufzen etc. Neukirch in seinem Gedichte auf die Königinn in Preußen, schreibt gleichfalls: Ach leider! allzu viel, zu viel auf einen Schlag! Wer ist, der unser Leid nur halb ergründen mag? Und Pietsch in seinem Gesange auf den Prinz Eugen sagt: Wie seltsam leitest du der Deutschen kühnes Heer! Der Zug des Hannibals war lange nicht so schwer. 6. §. Die andre Figur ist der Zweifel , (DUBITATIO) dar mit man entweder bey sich ansteht, ob eins oder das andre zu glauben oder zu thun sey; oder sich doch so stellet, als ob man sich nicht entschließen könnte. Die Heftigkeit der Gemüthsbewegungen setzt uns oft in den Stand, daß man weder aus, noch ein weis: denn ehe man mit dem Entschlusse noch fertig ist; so fällt uns augenblicklich etwas anders ein, welches das vorige wieder zunichte macht. Canitz giebt uns ein schönes Exempel in der Ode auf seine Doris. Er hat in der vorhergehenden Strophe die verflossenen Stunden zurücke geruffen; besinnt sich aber bald anders, und singt: Aber nein! eilt nicht zurücke, Sonst entfernen eure Blicke Mir den längstgewünschten Tod, Und benehmen nicht die Noth. Doch, könnt ihr mir Doris weisen; Eilet fort! Nein: haltet still! Ihr mögt warten, ihr mögt reisen, Ich weis selbst nicht, was ich will. Zuweilen zweifelt man zwar selber nicht; will aber durch einen verstellten Zweifel die Zuhörer zum Nachsinnen bebewegen. So zweifelt Günther in seiner Sterbeode, wem er seine Leyer vermachen soll: Sage, du begriffne Leyer! Wem ich dich vermachen darf? Viele wünschen dich ins Feuer; Denn du rasselst gar zu scharf. Soll ich dich nun lodern laßen? Nein, dein niemals fauler Klang Ließ mich oft ein Herze fassen, Und verdienet bessern Dank. Soll ich dich dem Phöbus schenken? Nein, du bist ein schlechter Schmuck, Und an den Parnaß zu henken, Noch nicht ausgespielt genug. Opitz würde dich beschämen, Flemming möchte widerstehn: Mag dich doch die Wahrheit nehmen, Und damit hausiren gehn. 7. §. Die III. kann der Wiederruff (CORRECTIO oder EPANORTHOSIS) seyn, wenn Leute ihr Wort, das sie schon gesagt, wieder zurücke nehmen; weil es ihnen zu schwach vorkömmt, und sie also ein heftigers heraus stoßen wollen. Z.E. Opitz in einem Hochzeitwunsche auf der 77 S. der Poet. W.v. 133. Der (Gott) lasse mich erfahren, Und hören oft und sehr, Was hören? Sehn vielmehr, Daß dich, von Jahr zu Jahren, Was dir giebt dieser Tag, Mit Frucht bereichern mag. Zuweilen hat man auch wohl etwas zu frey herausgesagt, will also das ausgestoßene Wort wieder zurücke nehmen, und ein bessers an die Stelle setzen. So läßt z.E. Günther den Apollo in einer Cantate, wo er mit dem Mercur um den Vorzug streitet, folgendergestalt reden: So, hör ich, soll dein Judasspieß, Dein Zepter, wollt ich sagen, Mehr Frucht und Vortheil tragen, Als meiner Künste Paradies? Hieher kann man auch rechnen, wenn der Poet, dasjenige, was er gesagt, zwar nicht zurücke nimmt, aber doch widerlegt, weil es ihm von andern getadelt werden möchte. Z.E. So schreibt Neukirch in seinen geschützten Nachtigallen. Das eingeworfne Bonn, das wüste Kaiserswerth, Die ungarische Schlacht, den Schutz der Niederlande, Belief er alles zwar mit eifrigem Verstande: Doch Mauren, sprach er, hat schon Cäsar umgekehrt. 8. §. Die IV. ist das Verbeißen , (ELLIPSIS) oder Abbrechen einer Redensart, die man nur anhebt, aber nicht völlig endiget. Sie entsteht, wenn der Affect so heftig ist, daß der Mund und die Zunge den geschwinden Gedanken der Seele nicht folgen kann, und also mitten in einem Satze abbrechen und dem neuen Gedanken des Geistes plötzlich folgen muß. Amthor hat aus dem Virgil das bekannte QUOS EGO! des Neptuns, sehr gut übersetzt, womit er die Winde bedroht; aber miten in dem Dräuworte inne hält. Und sprach: Macht euch der Glanz der Ahnen so verwegen? Dürft ihr, mir unbewußt, die kühnen Flügel regen? Daß Erd und Himmel fast sich durch einander mischt, Und der erhitzte Schaum bis an die Wolken zischt? Euch soll! – – doch laßt uns nur der Wellen Macht beschränken. Ein schön Exempel giebt auch Besser in seiner Ruhestatt der Liebe, wo er die erwachte Chloris so reden läßt: Du bist des Stranges werth! Hilf Himmel! was ist das? Hast du den Witz verlohren? Ist dieß die stete Treu, die du mir zugeschworen? Hast du der Chloris Zorn so wenig denn gescheut, Daß du so freventlich ihr Heiligthum entweiht? Daß du – – welch eine That ! Sie konnte nicht mehr sprechen, Und wollte sich an ihm mit ihren Thränen rächen. Nur nehme man sich in Acht, daß man diese Figur nicht so lächerlich anbringe, als Neidhard in dem Gedichte auf D. Wenzeln: Hier schlug nun Gottes Zorn, in dich, du Ceder ein, Da mancher Haselstrauch von Lumpenvolke blühte, Bis Wurzel, Stamm und Ast, bis Herze, Fleisch und Bein Vor Gift, als Aetnens Schooß vor Harz und Schwefel, glühte. Als endlich Uhr und Zeit die sechste Stunde maß, Da kam der Schlangenwurm des Todes hergeschossen, Und stach – – – – – – – – – – –. – – – – – – – – – – – – – – Weg Feder, brich du Herz, umnebelt euch ihr Augen etc. 9. §. Die V. könnte zur vorigen gerechnet werden, und heißt das Hemmen (APOSIOPESIS), wenn eine schleunige Veränderung des Entschlusses, der angefangenen Rede Einhalt thut. Canitz in seinem Gedichte von der Poesie läßt erst seinen poetischen Trieb zu Vertheidigung derselben reden; hernach fällt er demselben ins Wort: Was mich nun dergestalt in Unschuld kann ergetzen, Wozu mich die Natur – – Halt ein! verführter Sinn, Drum eben straf ich dich, weil ich besorget bin, Es möchte, was itzund noch leicht ist zu verwehren, Sich endlich unvermerkt in die Natur verkehren. Imgleichen schreibt Günther, in dem Gedichte auf Herrn Hofrath Budern: Recht so! fängt Augenblicks ein junger Momus an, Dem nächst noch vom Orbil das Leder weh gethan: Recht so! was Henker nützt der ganze Musenplunder? Pack ein, verwegnes Volk! Vom Maro brenn ich Zunder, Vom Plato Fidibus. Ja wenn auch ohngefähr, Der Schatz von Heidelberg in meiner Beute wär, Racketen macht ich draus und kochte Chocolade. Ein Quentchen Mutterwitz gilt – – – Sachte, guter Freund, Der Satz war eben nicht so bös und stark gemeint, Ein Narr verschüttet nur das Kind mit sammt dem Bade. 10. §. Die VI. ist die Versetzung (HYPERBATON) eines Worts oder Gedankens von seiner natürlichen Stelle; die aber nicht aus der Unfähigkeit des Poeten, sondern aus der Heftigkeit des Affects herrühret, der dem Gemüthe nicht Zeit läßt, an die ordentliche Wortfügung zu denken. Wir haben im vorigen Capitel schon davon geredet, wollen doch aber noch ein paar Exempel geben: Er, mein Leben, du, mein Leben, Euer beyder Leben, ich. Ich durch Euch, und ihr durch mich, Wollen bis ans Blaue schweben. Hier versetzt Flemming das Wort Ich, in der andern Zeile von seiner natürlichen Stelle: denn es hätte ordentlicher Weise vorn stehen sollen, Ich, euer beyder Leben; aber im Affecte ist es ans Ende gekommen. Noch ein schöner Exempel steht auf der 66. S. Der Majen Sohn flog aus vom ewigen Pallaste, Durchsuchte Luft und Welt, bis er den Mars erfaßte: Dich, sprach er, fodert ab, durch mich, des Vaters Rath, Komm mit und säume nicht, es ist vorhin zu spat! Ja, sprach Mars, alsobald! ließ drauf die Feindschaft fangen, Stracks wurden neben sie an Eichen aufgehangen, Zank, Zwietracht, Mord, Betrug, Den Krieg trat er zu Koth, Und stieß mit eigner Faust den Haß und Frevel todt. 11. §. Die VH. ist das Uebergehen (PRAETERITIO), worinn man sich stellet, als wollte man etwas nicht anführen, welches man aber eben dadurch erwähnet. Z.E. Flemming in seinen poet. W. 225. Ich wollte Meldung thun, zu was für großen Dingen, Ihr nur gebohren seyd, durch List und Neid zu dringen, Die Zeiten zu verschmähn durch Urtheil und Verstand; Hielt eure Gegenwart mir hier nicht Mund und Hand. Und Neukirch in seinem Gedichte, auf den Tod der gelehrten Königinn in Preußen, er redet von dem Könige: Sein unerschöpfter Muth ist weit genug erklungen, Seit dem ihm Noth und Recht die Waffen abgedrungen. Dem Franzen schüttert noch die kaum erlaufne Haut, Wenn er auf Schwabens Feld betrübt zurücke schaut, Und an den Tag gedenkt, da Ludwigs große Thaten, Mit Schrecken, in die Nacht der Finsterniß gerathen, Und auf einmal verlöscht. Was Preußen da gethan, Das zeigen, schweig ich gleich, viel andre besser an. Dießmal betracht ich nicht, wie unser König blitzet, Wenn ihn der Feinde Trotz, der Freunde Schmach erhitzet, Nein, sondern wie er selbst halb todt darnieder liegt etc. Pietsch endlich in einem Vermählungsgedichte, auf eine Königl. Preuß. Prinzeßinn, die itzige Markgräfinn von Anspach: Ich bilde nun nicht Heer und Schlacht, Noch dein berufnes Heldenwesen. Den Schimmer deiner Waffen Macht, Den fremde Staaten sich zum Muster auserlesen; Ich schreibe nicht wie Preußen kriegt, Weil diesesmal die Liebe siegt etc. 12. §. Die VIII. ist die Wiederholung (REPETITIO) gewisser Wörter und Redensarten, wodurch die Rede einen sehr großen Nachdruck bekömmt. Wenn nämlich das Gemüth in einer heftigen Bewegung ist, und gern will, daß man seine Meynung wohl fassen solle: so ist es ihm nicht genug, daß er die Sache einmal sagt; sondern er sagts zwey, dreymal nach einander, damit man ja den Nachdruck seiner Worte recht einsehen möge. Es geschieht aber diese Wiederholung auf vielerley Art. Zuweilen wird im Anfange ein und dasselbe Wort zweymal gesetzet, und das heißt Epizeuxis . Z.E. Opitz im andern Buche von Widerw. des Krieges schreibt von der Freyheit: Sie fordert Widerstand, Ihr Schutz, ihr Leben ist der Degen in der Hand. Sie trinkt nicht Muttermilch: Blut ! Blut muß sie ernähren; Nicht Heulen, nicht Geschrey, nicht weiche Kinderzähren. Die Faust gehört dazu. Zuweilen wiederhohlt man dasselbe Wort im Anfange etlicher Theile desselben Satzes, und das ist die Anaphora . Z.E. Flemming in einem Hirtenliede: Her Palämon! her Florelle! Her Amint! her Sylvius! Meliböus her! zur Stelle, Singt mir eins auf Tityrus. Noch ein Exempel aus Racheln kann nicht schaden: Er meidet das Latein, Ein jeglich ander Wort muß nur französisch seyn: Französisch Mund und Bart, französisch alle Sitten, Französisch Tuch und Wams, französisch zugeschnitten. Was immer zu Paris die edle Schneiderzunft, Hat neulich aufgebracht, auch wider die Vernunft, Das nimmt ein Deutscher an. Zuweilen wiederhohlt man den Anfang eines Satzes in verschiedenen folgenden Sätzen, und das heißt auch Anaphora . Z.E. Günther auf der 33. Seite des I. Th. Da setzet sich mein Geist im Umsehn keine Schranken; Da sinnt er hin und her, da spielt er mit Gedanken; Da seh ich in mir selbst die Händel dieser Welt, Den bösen Lauf der Zeit im Spiegel vorgestellt; Da find ich nichts als List, und weder Treu noch Glauben, Da seh ich Narren blühn und kluge Leute schrauben etc. 13. §. Oder man wiederhohlt zuweilen ein Wort, das am Ende eines Satzes gestanden, im Anfange des darauf folgenden, welches Anadiplosis heißt. Z.E. Flemming auf der 131. S. Und mitten in dem Wesen, Da es am ärgsten war, seyd, Vater, ihr genesen. Genesen seyd ihr nun, und denkt nicht einmal dran, Was euch der arge Feind für Dampf hat angethan. Oder umgekehrt, das, was am Anfange eines Satzes gestanden, kömmt am Ende desselben zu stehen, und wird Epanalepsis genannt. Z.E. Opitz auf der 61. S. im II. B. der poet. W. Werthes Paar, vermengt die Brunst, Liebt und gebet, gebt und liebet . Was euch heißt des Himmels Gunst, Der euch selbst zusammen giebet: Noch ein besser Exempel davon, steht auf der 62. S. der poet. W. II. B. Das kann ein Weibesbild! Bald will sich der ertränken, Für unerhörter Brunst, und jener will sich henken; Die rothen Augen sind mit Thränen angefüllt, Voll Seufzens ist die Brust: Das kann ein Weibesbild! Hieher gehören denn auch die Wiederholungen, da man in ganzen Strophen die ersten Zeilen und Wörter, am Ende derselben noch einmal brauchet, welches sonderlich in musikalischen Stücken angenehm fällt, und Symploce heißen kann. Ich will aus Bessern von der 425 S. folgendes Exempel geben, wo wegen des Wohlklanges noch viele andere Wiederholungen vorkommen. Sey froh! sey froh! Elenora, Sey froh! du neue Flora, Sey nunmehr glücklicher nach überstrebtem Leide; Der Himmel kröne dich mit steter Frühlingsfreude, Die Blumen schütten sich zu allen Zeiten aus, Auf dich und dein erlauchtes Haus. Wir ehren dich, o neue Flora, Wir ehren dich, Eleonora, Sey glücklich, neuerwählte Flora, Eleonor' Eleonora. 14. §. Die IX. ist die Verstärkung , (PARONOMASIA) wenn man zwar ein Wort oder eine Redensart, die schon da gewesen, wiederhohlt; aber mit einem Zusatze, der noch einen besondern Nachdruck verursachet, z.E. wenn Canitz schreibt: Ein Baum wars, nur ein Baum, dran solche Früchte saßen, Die dort der erste Mensch sollt unbetastet lassen. Uns aber ist noch mehr zu halten auferlegt; Weil hier ein ganzer Wald so viel Verbothnes trägt. Hier ist das Wörtchen nur eigentlich dasjenige, so den ganzen Nachdruck giebt, da sonst die Wiederholung hier sehr kalt gewesen seyn würde. Imgleichen wenn Opitz sagt: Das Thier, das edle Thier, Das alle Thiere zwingt, der Erden Lob und Zier, Kömmt bloß und arm hieher. II. B. der Trostged. wo gewiß dieser Zusatz, das edle Thier dem ganzen Satze ein weit größeres Gewicht giebt. Imgleichen hebt Neukirch sein Gedichte auf die Nachtigall so an: Als neulich Seladon , der arme Seladon , Voll Kummer, Angst und Schmerz die abgekränkten Glieder Im Grünen niederwarf etc. wie wir denn auch oben schon die Zeile aus ihm hatten: Ins Haus, ins schwarze Haus der bleichen Schaar versenken. Und Opitz in seinem Gedichte an Seußiussen: Wird solches nicht sein Buch, sein edles Buch erweisen? 15. §. Die X. Figur ist der Ueberfluß , (PLEONASMUS) wenn man viel mehr sagt, als nöthig ist. Sie entsteht wiederum aus der Heftigkeit des Affects, welcher alles zusammen nimmt, die Leser oder Zuhörer aufs handgreiflichste zu rühren und zu überzeugen. Man giebt insgemein die Exempel Ich hab ihn nicht mit Augen gesehen; ich bin nicht mit meinem Fuße hingekommen; wir habens mit unsern Ohren gehöret etc. Wenn Canitz in dem Harpax diesen Geizhals das Gold von den Pillen schaben, und sich selbst die Pulver stehlen läßt, so sind es zwar Vergrößerungen; aber kein Pleonasmus zu nennen: denn dieser muß in Worten bestehen. Allein wenn Neukirch in dem oft angeführten Gedichte auf die Königinn in Pr. schreibt: Wie, wenn an harten Klippen Ein starkes Schiff anstößt etc. Oder wenn Pietsch in einem Gedichte auf seinen König sagt: Komm, Landesvater, komm! zeuch ein bey dunkler Nacht etc. So ist im ersten Falle ein jeder Fels hart , und im letzten jede Nacht dunkel zu nennen, und folglich beydes überflußig. So schreibt auch Opitz in einem Gedichte an Seußiussen, von der Fama: Und will das schöne Werk, auf ihrem lichten Wagen Bis in das Schlafgemach der rothen Sonnen tragen. Allein, da dergleichen Redensarten so viel nicht vorkommen, so kann man folgende Art mit gutem Rechte hieher rechnen. Z.E. wenn Günther seine Liebste auf der 264. S. im I. Theile so anredet: Kind, Engel, Schwester, Schatz, Braut, Taube, Freundinn, Licht, Mein Stern, mein Trost, mein Herz, mein Anker und mein Leben! Ach sage doch, wie man recht nett und zierlich spricht, Die Liebe will dir gern den besten Titel geben. 16. §. Zur XIten kann die Verdoppelung (SYNONYMIA) einer und derselben Sache, die aber mit ganz andern Worten geschieht, gezogen werden. Einer, der im Affecte steht, bemüht sich seinen Lesern und Zuhörern die Sachen recht einzuprägen und einzutrichtern. Daher sagt er ihnen auch wohl einerley Ding etlichemal, nur immer mit andern Ausdrückungen. An statt eines Exempels könnte hier aus Bessers Ruhestatt der Liebe, die lange und vielmalige Beschreibung des Schooßes seiner Geliebten dienen: ich will aber lieber folgendes hieher setzen, wo er sich und seine Kühlweininn auf verschiedene Art beschreibet auf der 227. Seite. Zwo Seelen, durch ein Feur wie Wachs zuhauf geronnen, Zwey Herzen, die vermischt ein Wesen nur gewonnen, Zween Menschen, die vereint ein Leben nur gefühlt, Und deren jeder sich für eine Hälfte hielt. Dergleichen Stellen denn in diesem Gedichte fast unzähliche vorkommen, aber alle Proben des zärtlichen Affects abzulegen geschickt sind. Mann könnte auch folgende Stelle aus Günthern hieher rechnen, die man sonst eine Zusammenhäufung (CUMULUM) nennen möchte. Er beschreibt einen Büchersaal: Was Memphis, was Athen, was Rom, Großgriechenland, Was Salem, was Byzanz, die Thems, der Cimberstrand, Gethan, gelehrt, geglaubt, gemeynt, gewußt, gelogen; Das kömmt, daß sammlet sich, das lebt, das dauret hier, Auf Bildern, Rinden, Bley, Stein, Leder und Papier, Und wird der blinden Nacht der Barbarey entzogen. Ich wollte aber deswegen dieser und andern dergleichen Stellen lieber den letztern Namen geben, als den ersten, und also eine besondere Figur daraus machen, weil in der That alle die angebrachten Wörter ihre eigene ganz besondere Begriffe erwecken, und, nur obenhin angesehen, gleichviel zu bedeuten scheinen. Ein solcher Kunstgriff aber ist von großem Nachdrucke, andern eine Sache sehr lebhaft vor Augen zu malen. 17. §. Die XII. Figur kann auf Deutsch eine Schilderung (HYPOTYPOSIS S. ICON) heißen, weil sie einen so lebhaften Abriß von einer Sache macht, als ob sie wirklich vorhanden wäre. Das macht die starke Einbildungskraft, welche sich im Affecte die deutlichsten Bilder von sinnlichen Sachen hervorbringet, die oft den wirklichen Empfindungen an Klarheit nichts nachgeben, und also abwesende oder vergangene Sachen als gegenwärtig vorstellet. Die Zunge folgt den Gedanken, und beschreibt, was im Gehirne vorgeht, eben so munter, als ob es wirklich außer ihr zugegen wäre. Z.E. Günther in seiner Ode auf den Prinzen Eugen, macht unter vielen andern sehr deutlichen Bildern, auch diese prophetische Schilderung: Was zieht sich für ein Vorhang weg? Ich seh den Schauplatz später Zeiten. Dort hör ich einen Scanderbeg, Dort seh ich einen Gottfried streiten. Die Palmen ziehn sich um sein Haupt, Man heult, man schlägt, man jauchzt, man raubt. Kein Kreuzzug macht ein solches Lärmen. Der Erden größt- und dritter Theil, Zerreißt der Saracenen Seil Und würgt den Hund mit seinen Därmen. Der Nil erschrickt, Damascus brennt, Es raucht auf Askalons Gebirgen, Und durch den ganzen Orient Herrscht Unruh, Hunger, Pest und Würgen. Der Jordan steht wie Mauren da, Als kam ein andrer Josua: Er kömmt auch, doch aus deutschem Saamen. Wie heißt er? Ja, die Schickung winkt, Und raubt mir, weil der Vorhang sinkt, Stand, Vorwitz, Schauplatz, Held und Namen. Pietsch aber hat in einer Ode auf die Charisische Hochzeit die Flucht der Daphne vor dem Apollo ganz ungemein abgeschildert, davon ich nur eine Strophe hersetzen will: Sie starrt und wurzelt in der Erden; Apollons Hand berührt sie kaum, So sieht er sie zum Lorberbaum, Den schlanken Leib zum Stamme werden. Der Arme hingestrecktes Paar Verliert sich in durchflochtnen Zweigen, Und ihres Hauptes flatternd Haar Muß den begrünten Schmuck gespitzter Blätter zeigen. 18. §. Nun folgt XIII. die Beschreibung (DESCRIPTIO) welche von der vorigen darinn unterschieden ist, daß jene in der Entzückung Dinge abmalet, die nicht zugegen sind; diese hergegen wirklich vorhandene Sachen zwar lebhaft und munter, aber nicht so hitzig und handgreiflich, als jene, vorstellet. Ich wähle mir, zum Exempel, eine Beschreibung die Simon Dach von dem Prospecte gemacht hat, der sich auf dem königsbergischen Residenzschlosse, von dem großen sogenannten moscovitischen Saale, westwerts zeiget; weil ich mich dabey einer sehr angenehmen Gegend meines Vaterlandes erinnern kann: Die Schloßkirch hält allhier ein schön Gemach erbaut, Recht oben über ihr: Von daraus wird geschaut Ein gut Theil Königsbergs, die Fahrt der schmalen Segel, Die hin und wieder gehn, krumm, wie der krumme Pregel; Indem er erst genug das grüne Feld durchschweift, Und in das frische Haf ermüdet endlich läuft, Nicht weit von Hafestrom. Du siehst zur linken Seiten, Am Hafe Brandenburg, und Balga gar von weiten. Zur Rechten, um die Wiek, eräuget sich die Stadt Fischhausen, welche mich so sehr ergetzet hat, Durch ihren Rosenbusch: der zwar nicht Rosen traget; Der Anmuth aber viel in seinen Sträuchen heget, Die meine Freude sind. Der Sonnen heißer Schein Dringt sich im Sommer nicht zu seinen Schatten ein. O wildverwachsner Ort! Du Stadt, da meine Reime Zu Haus und Bürger sind, du hegst die schönen Träume, Für uns Poetenvolk. Wie wohl ist der daran! Der solch ein Eigenthum für sich besitzen kann. – – – – – Du siehest hier zunächst das alte Lochstätt stehn, Wo vor der Zeit das Haf pflag durch ein Tief zu gehn, Bis in die wilde See. Itzt wird daselbst gepflüget, Und reiches Korn gesät. Der Zeit, die alles füget, Und Sachen den Beginn, auch Maaß und Ende giebt, Nichts aber ewig läßt, hat dieses so beliebt. Ich will noch ein anders aus Opitzen hersetzen, darinn er sich selbst als einen Verliebten beschreibt. Es steht im IV. B. der poet. W. auf der 179. S. Ich weis nicht, was ich denke, So seltsam ist ihr Sinn. Wenn ich mich zu ihr lenke, So wird sie stolz davon. Wenn ich mich halten kann, Und komme nicht zu ihr, so lockt sie selbst mich an. – – – – – Die Bücher stinken mir. Ich fieng schon an zu melden, Aus fürstlichem Befehl, des unverzagten Helden Von Promnitz hohes Lob. Das schläft nun ganz und gar. – – – – – Die Laute, meine Lust, Die Unmuthtrösterinn, weis itzund nichts zu singen, Als nur von Flavien. – – – – – – – – Hier ist mein Aufenthalt, hier irr ich hin und wieder Und rede mit mir selbst. Dann setz ich bald mich nieder, Bald steh ich wieder auf, und wenn ich müde bin, Vom Klagen und vom Gehn, so streck ich mich dahin, Bey einem dicken Baum. – – – – – – – – Ich eil, ich wart, ich zürn, ich weis nicht, was ich treibe, Was mein Begehren ist. Zugleich in einem Leibe Haß ich die Härtigkeit, und liebe die Gestalt. – – – – – Die Leute sehn mir nach, daß ich, indem ich gehe, Itzt eile, wie der Wind, itzt wieder stille stehe, Und daß die Röthe mir bald unter Augen steigt, Und meine blasse Farb an ihrer statt sich zeigt. Der Leib geht nur allhier. Man soll mich vielmal fragen, Ich werde kaum ein Wort, und doch nichts rechtes sagen. Im Wachen träumet mir. Tobt das Gewissen sehr, Bey welchem es sich regt; die Liebe plagt mich mehr. Ich kann nicht seyn ohn sie, und wenn ich zu ihr komme, Mit Reden wohl gefaßt, so stock ich und verstumme: Die Zunge steht gehemmt, das Herze ganz verzagt, 5 Bebt wie der Espenlaub; und wenn es hoch sich wagt, Wie sein Bedünken ist, so stielt es aus der Pforten Des Mundes einen Kuß, den sie mit solchen Worten, (Ich weis nicht, sind sie falsch?) hernach zu bessern pflegt, Daß sich das Blut dadurch in allen Adern regt. 19. §. Die XIV. mag die Zergliederung (DISTRIBUTIO) heißen, und besteht aus einer ausführlichen Erzählung aller Theile, die bey einer Sache vorkommen; wodurch denn dieselbe dem Gemüthe sehr deutlich und ausführlich vorgestellet wird. Das Exempel soll mir Günther geben, der auf der 330. S. im I. Theile, die Verderbniß der Welt folgendergestalt beschreibt: Da schreckt mich hier und dort Krieg, Hunger, Pest und Brand; In Ehen, Zank und Haß, in Freundschaft, Unbestand; Im Tempel Hochmuth, Geiz, Verläumdung, Wechselbänke; In Schulen Finsterniß und leeres Wortgezänke, In Themis Heiligthum ein goldnes Spinnennest, Das magre Fliegen fängt und Hummeln schwärmen läßt; Im reich'sten Contoir, viel Fluch an schönen Wänden; Und endlich überhaupt in groß und kleinen Ständen, Das Leben und die Zeit der hundert zwanzig Jahr, Eh Noah mit dem Bau des Kastens fertig war. Ein anders giebt Heräus in seiner Beschreibung der Lappländer, wenn er die Unruhe unserer Städte gleichsam auf den Fingern herzählet, auf der 250. Seite. Bey Nacht der Glockenklang, der Wächter rauhes Schreyen, Verliebter Geigen Ton; der feigen Raufer Dräuen; Besoffener Gekreisch; wenn Hund und Katze plerrt, Ein jähes Feuerlärm; ein Dieb, der sich versperrt: Am Tag ein krummes Horn, der Kutschen ewigs Rollen, Des Haufens Polterwerk, das im Gedräng erschollen, Der Hämmer Klapperschall, was Vieh und Karren treibt, Verkauf- und Trägerruf, und was noch übrig bleibt. Noch ein schöner Beyspiel giebt Pietsch in der Hochzeitode auf Professor Bäyern, wenn er zeigen will, daß die Liebe überall herrsche: Der Seelen überwundne Schaar Fällt dir als Siegerinn zu Füßen, Und auf dein flammendes Altar Läßt Peru süßen Balsam fließen. Man sieht der Spezereyen Last Den Mohren auf die Kohlen heben: Denn weil du ihn entzündet hast, Muß er dem Feuer Nahrung geben. Der harte Mars senkt Schild und Schwerdt, Sein steifer Harnisch muß sich bücken; Die Thetis eilt, den Opferheerd Mit Perlenmuscheln auszuschmücken: Die Flora zinst der Rosen Blut Bey purpurreichen Anemonen; Pan wirft den Stab in deine Glut Und Phöbus unverwelkte Kronen. So brennt das waffenvolle Feld, Der Krieg vermischt sich deinen Flammen, Und wenn dein Brand die See befällt, Schlägt die gekochte Fluth zusammen. Die Gärten sind der Lüste Thron Den kühlen Wald erhitzt die Liebe; Der Musen Höhe rauchet schon, Wie ihre Brust, von deinem Triebe. 20. §. Zum XVten folgt der Gegensatz , (ANTITHESIS) wo man widerwärtige Dinge gegen einander stellt, um das eine desto mehr ins Licht zu setzen. So beschreibt Opitz seinen verwirrten Zustand in der Liebe auf der 180. Seite der poet. W. im IV. B. Ich fürcht und hoffe doch, ich bitt und schweig auch stille; Ich bin wie kaltes Eis, und fühle Glut die Fülle; Ich lös' und binde mich; ich wünsche frey zu seyn, Und wenn ich denn frey bin, so geh ich wieder ein. Folgende Art ist noch gewöhnlicher, da man etwas leugnend aus dem Wege räumt, um etwas anders festzusetzen. Besser erklärt uns so, was er an Callisten verlohren habe: Ich klage nicht an ihr die prächtige Gestalt, Die Anmuth des Gesichts, des Mundes Morgenrosen, Der Augen holden Ernst gebiethend liebzukosen, Ihr langgekrolltes Haar, das meine Sinne band, Die schwanenweiße Brust, die atlasweiche Hand, Nicht die Geschicklichkeit der schlankpolirten Glieder: Verhängniß, gieb sie mir nur ungestalter wieder! Ich klage bloß an ihr, was keine Misgunst sieht, Ihr groß und edles Herz, ihr redliches Gemüth, Den englischen Verstand, die Sorgfalt, mir in allen, Vergnügt in Lieb und Leid, beständig zu gefallen. Imgleichen schreibt Pietsch in dem Gesange auf den Prinz Eugen, also: Doch wie entfernet ist des Himmels hoher Schluß Von des Tyrannen Traum! Wie reimt Eugenius Sich mit der Türken Sieg und Christen Flucht zusammen? Die ausgedehnte Macht schwächt zwar mit Stahl und Flammen Und mörderischer Faust des kleinen Heeres Zahl; Nicht unsers Helden Muth. Sein Arm und Herz ist Stahl. Sein Degen macht den Feind, nicht ihn die Furcht zur Leichen: Eh muß ihr ganzes Heer als sein Gesicht erbleichen. 21. §. Die XVIte Figur ist das Gleichniß , (SIMILE) wodurch man, anstatt von der Hauptsache zu reden, von einer andern ähnlichen zu sprechen anfängt, um die erstere dadurch ins volle Licht zu setzen. Z.E. Amthor hat aus dem IVten Buch der Aeneis das Gleichniß von dem verwundeten Hirsche folgendermaßen übersetzt, auf der 481. S. Die arme Dido brennt, sie läuft durch alle Gassen, Und kann sich selbst nicht mehr in der Verwirrung fassen. Wie, wenn durch Cretens Busch des Hirten blinder Schuß Der Hindinn sichre Brust gar plötzlich rühren muß, Und jener selbst nicht weis, was seine Faust verrichtet, Da doch das arme Wild durch Holz und Felder flüchtet, Und mit der bangen Flucht Dictäens Wälder schreckt, Obschon ihm Tod und Pfeil in seiner Seite steckt. Eben so hat es Pietsch in dem Gedichte auf den Prinz Eugen gemacht: Er fliegt dem Feinde nach: doch ist der Unterscheid, Daß ihn die Großmuth treibt, den Feind die Furchtsamkeit, Der wie ein Habichtschwarm mit ängstlichem Bemühen Dem Adler sich entzieht und suchet zu entfliehen. Hier ist das Gleichniß der Hauptsache nachgesetzt. In dem folgenden aber, so ich aus Canitzen geben will, steht es vorn, und die Deutung wird zuletzt gemacht. Wenn der geringste Lerm im nechstgelegnen Wald Um eine stille Trift der blöden Schafe schallt, Und eins erst schüchtern wird; beginnt ein ganzer Haufen, Durch Blatt, Gebüsch und Strauch dem Flüchtling nachzulaufen: So traut das kluge Thier, der Mensch, ihm selber nicht, Sein eigner Tacht verglimmt, er folget fremdem Licht; Dadurch verirrt er sich etc. 22. §. Der P. Lami unterscheidet davon zum XVII. die Vergleichung (COMPARATIO), welche seiner Meynung nach mit der vorigen sehr übereinkömmt, aber gemeiniglich noch lebhafter zu werden pflegt, als jene. Ein Exempel giebt mir Flemming, der hierinn sehr glücklich gewesen. Es steht auf der 131. Seite. Was ist es, soll ich sprechen, Wohl anders, seit der Zeit, als wenn die Klippen brechen, Die Aeolus verwahrt? Die Winde reißen aus, Und brausen durch die Welt. Da krachet manches Haus, Manch edler Bau zerbricht. Wir haben es gesehen, Ach leider! allzusehr, wie uns bisher geschehen, Wie uns der Kriegessturm hat hin und her geweht, Die Städte durchgesaust, die Dörfer umgedreht, Daß nichts ihm ähnlich ist. Eben so lebhaft ist die folgende Stelle aus Rachels VI. Satire, wo er die hohen Hofbedienten mit Schieferdeckern vergleichet. Wer neben dieser Pracht auch merket die Gefahr, Und nimmt so manchen Fall des hohen Glückes wahr, Den kömmt ein Schrecken an. Gleichwie wir furchtsam stehen, Und auf dem hohen Thurm den kühnen Decker sehen: Nicht einer klimmt ihm nach; wir danken Gott allein, Daß wir der Erden nah und an dem Boden seyn! Noch heftiger ist abermal Pietsch in dem angezogenen Gedichte, wenn er den Sturm und den Donner zur Vergleichung braucht. Es heißt: Wie, wenn der strenge Nord die starken Flügel hebt Und aus der Höhle steigt, der feste Grund erbebt, Wenn er den rauhen Ton läßt durch das Land erschallen, Bis Thürme, Thor, Pallast, Schloß, Haus und Hütten fallen: Wie dieser Mauren Graus die Menschen niederschlägt, Die sein gedrehter Hauch im Wirbel aufwärts trägt, Wenn er die Wälder selbst aus ihren Wurzeln drenget Und Stein, Baum, Thier und Mensch, in einen Klumpen menget: So reibt des Helden Arm die Saracenen auf. etc. 23. §. Es folgt itzo das Aufhalten (SUSPENSIO) als die XVIII. Figur, wenn man nämlich eine Rede ganz von weitem anfängt und eine gute Weile durch viel Umschweife fortführet; daß der Leser oder Zuhörer nicht gleich weis, was der Poet haben will, sondern das Ende erwarten muß, wo sich der Ausgang zum Labyrinthe von sich selbst zeiget. Dieser Kunstgriff ist sehr gut, die Leute aufmerksam zu machen. Exempel machen die Sache deutlich, Günther schreibt auf der 87. S. im II. Th. Daß noch die ganze Welt in ihren Angeln geht, Das Meer die Grenzen hält, die Erde feste steht, Die Sterne und ihr Haus nicht in den Abgrund schießen, Die Sonne Licht und Tag mit Mond und Menschen theilt, Der kleine Bär am Pol nicht zu dem großen eilt, Die Elemente sich nicht in einander gießen, Die Tugend Kinder zeugt, der Purpur sich verjüngt, Geschlechter unverrückt bis auf die Nachwelt bleiben, Ja daß der Weisheit nicht der Tod zu Grabe singt, Dieß alles ist mit Recht der Liebe zuzuschreiben. Noch ein anders steht in Flemmingen: Der Sonnen güldnes Rad begunnt hervorzusteigen, Und seinen Lebensglanz der muntern Welt zu zeigen, Zu der Zeit, wenn das Dorf zu Felde pflegt zu gehn, Und die erwachte Stadt allmählich aufzustehn. Das rege Federvolk das sang mit süssen Stimmen Den jungen Tag laut an; der Fisch der gieng zu schwimmen Aus seinen Ufern vor; der Frosch, der Wäscher, rief; Es war schon alles auf: Nur ich lag noch und schlief. 24. §. Zur XIXten Figur machet man die Personendichtung (PROSOPOPOEIA), welche leblosen Dingen solche Eigenschaften zuschreibet, die nur beseelten, ja vernünftigen Geschöpfen zukommen. Es werden aber gemeiniglich die Flüsse, Winde, Meere, Steine, Jahreszeiten, ja ganze Städte und Länder dergestalt in Personen verwandelt; ja man führt auch Tugenden und Laster, Leidenschaften u.d.m. redend ein: so daß dieses eine Figur ist, die zu viel schönen Erfindungen Anlaß giebt. Simon Dach führet den königsbergischen Pregelstrom, in einem Gedichte auf die Geburt eines preußischen Prinzen, dergestalt auf: Was! der brückenreiche Pregel, Hebt durch Flaggen, Mast und Segel, Sein beschilftes Haupt empor. Und nachdem er angesehen, Was und warum es geschehen, Läuft er schneller als zuvor. Flemming ist in dieser Figur sehr kühn gewesen, sonderlich in seinen Oden. Er sagt von einem Strome, den er kurz zuvor sein schilficht Haupt erheben lassen, daß er dreymal laut solle gelacht haben. Von der Erde spricht er im Frühlinge: Sie streicht mit verliebtem Finger Ihre Runzeln von der Haut. Der Lenz kömmt gegangen, und umarmet die Welt, die erwachte Rose thut ihr Auge zu, und die Cypressen taumeln ihm, wenn es Abend wird. Die Morgenröthe kömmt in der Anemonen Tracht, in den purpurbraunen Wangen, als die Vertreiberinn der Nacht, vor der Sonnen hergegangen, und nimmt bey seiner Ankunft schamroth den Abschied. Und noch anderwärts sagt er, in einer Beschreibung des Winters: Der beschneyte Hornung stehet, Und streicht seinen Eisbart auf. 25. §. Sehr nahe ist damit die XX. Figur verwandt, welche man die Sprachdichtung (SERMOCINATIO) nennen kann. Es wird darinn ein Abwesender, ein Todter, oder gar etwas Lebloses redend eingeführet: und dieses muß mit vieler Kunst, auch nur im größten Affecte geschehen. Denn wie es viel Nachdruck hat, wenn es wohl geräth, und als was außerordentliches den Zuhörer in Erstaunen setzt: so kömmt es auch sehr kalt und lächerlich heraus, wenn es ungeschickt bewerkstelliget wird. Ein Exempel giebt mir Opitz, der im II. Buche seiner Trostgedichte den Ulysses so redend einführet: O! sagt er, schwimme fort, was nicht will bey mir halten, Mein Herze, mein Verstand soll doch mit mir veralten, Mein unerschöpfter Muth, mein guter treuer Rath, Der nicht ein kleines Theil gethan vor Troja hat, Der bleibt so lang als ich. Laß alles von mir laufen, Bunt über Ecke gehn, Freund, Gut, Knecht, Schiff ersaufen! Es muß seyn ausgelegt, dieß ist der Reise Zoll: Um mich, und meinen Sinn steht alles recht und wohl. Das Unglück hat mir ja von außen was genommen, Zum Herzen aber ist es mir so wenig kommen, So wenig als das Meer; das leichter diese Welt, Als mein Gemüthe mir wird haben umgefällt. So bricht der große Mann, der Held etc. Canitz giebt mir eben dergleichen Exempel in der Ode auf seine Doris, welche er in der letzten Strophe redend einführet: Wie geschieht mir? darf ich trauen? O, du angenehmes Grauen! Hör ich meine Doris nicht, Die mit holder Stimme spricht: »Nur drey Worte darf ich sagen, Ich weis, daß du traurig bist: Folge mir, vergiß dein Klagen, Weil dich Doris nicht vergißt.« Noch ein schönes Exempel giebt Pietsch, wenn er den Pregelstrom in Königsberg redend einführt, Der Pregel siehet dieß mit starren Augen an Und seufzet, daß er nichts dem König opfern kann: Ach, Friedrich! klaget er, ich kann dich nicht erhöhen, Daß Segel, Schiff und Mast, durch meinen Hafen gehen, Daß Fama meinen Ruhm durch alle Länder trägt, Daß noch kein wilder Sturm auf meine Brücken schlägt, Daß keine trübe Zeit die klare Fluth verderben, Und kein verschwendet Blut die reinen Wellen färben, Und mich entweihen kann, machst du, o Friedrich! etc. 26. §. Ferner zählt Lami unter die Figuren auch XXI. die Denk - und Lehrsprüche . Dieses sind allgemeine Sätze, die bey Gelegenheit besonderer Fälle angebracht werden, und nützliche Regeln, kluge Sittenlehren, oder sonst sinnreiche und kurzgefaßte Aussprüche in sich halten. Zuweilen sind sie etwas weitläuftiger, und könnten Betrachtungen heißen, Z.E. Tscherning schreibt auf der 166. S. Dein Sinn war in der Welt, Du wußtest, daß sie mehr in ihren Armen hält, Als wo der Grenzstein liegt. Wer nie vom Vater kommen, Nie keinen fremden Ort in Augenschein genommen, Der weis kaum, wo er lebt, und führt bestürzten Wahn, Sieht dieses Haus der Welt mit halben Augen an. Der Tugend Heimat ist der Raum, so weit vom Morgen Des Tages Vater geht: bis wo er für die Sorgen, Der Menschen stille Ruh durch seine Schwester schickt, Die denn der Wolken Tuch mit Sternen überstickt. Hier sieht ein jeder, daß bey Gelegenheit der ersten drey Zeilen alles übrige als ein Lehrspruch beygefüget worden. Weil es aber etwas langweilig ist, so kann es besser eine moralische Betrachtung heißen. Von der kurzen Art mag folgendes Exempel eine Probe geben. Es steht in Joh. Frankens irdischem Helikon auf der 94. S. Ein Sinn, der Feuer hat, hat immer was zu schaffen, Bald schärft er seinen Witz, bald schärft er seine Waffen: Zwey Dinge machen uns berühmet und bekannt, Der Degen und das Buch, der Adel und Verstand. Allhier begreift man leicht, daß diese Sprüche weit nachdrücklicher klingen, weil sie so kurz gefasset worden. Ja, daß sie zuweilen noch weit kürzer in einer, oder einer halben Zeile eingeschlossen seyn können, wird unter andern folgendes Exempel aus Rachels VI. Sat. Gut und Böse zeigen: auf der 66. Seite. Wie soll man denn, sprichst du, vor Gott den Höchsten treten? Wie soll man, sage mir, und warum soll man bethen? Dafern du Rath begehrst, so bitte das allein; Was er, der höchste Gott, vermeynet gut zu seyn. Er weis es, was dir dient. Er meynet dich mit Treuen . Er schenket etc. 27. §. Von eben solcher Gattung sind auch zum XXIIsten die Schlußsprüche , (EPIPHONEMA) womit man ein ganzes Gedicht, oder eine Strophe desselben, auf eine nachdrückliche Art, mit einem denkwürdigen Satze, oder sinnreichen Gedanken endiget. Z.E. Opitz beschließt sein Gedicht an Zinkgräfen, wo er von der Poesie gehandelt hat; und sich wegen der elenden Versmacher tröstet, folgender gestalt: Ein Körper bleibet doch, obgleich des Schattens Schein Sich größer macht als er. Die Zeit soll Richter seyn . Hier ist der Schluß durch die Kürze so schön geworden: er kann aber wiederum auch bey der weitläuftigern Schreibart doch von gutem Nachdrucke fallen, wenn er desto nachdenklicher und sinnreicher ist. Amthor beschreibt die Liebe alter Männer, und schließt die Strophe so: Auf der 165. S. Viel seltner sieht es aus, wenn sich ein greiser Bart, Wie gleichwohl oft geschieht, an Mädgenfleisch verbrennet: Da muß die Brille weg, der Wadenstrumpf herbey, Und daß der Runzeln Grund womit bedecket sey, Der eingesperrte Schatz aus allen Kasten springen, O Thorheit! sich durchs Geld zur Knechtschaft einzudringen. Und noch auf andre Art schließt Pietsch in einem Gedichte auf seinen König: Held, dieses ist das Heer, das deine Herrschaft ziert, Held, dieses ist der Tag, der dich der Welt gebiehrt. Dein milder Gnadenstral ist auch auf mich geflossen, Du hast dich auf dein Land und auch auf mich ergossen. Doch wird durch deinen Ruhm mein Trieb nicht offenbar, Mein Weihrauch dampfet nicht auf deinem Brandaltar. Es blühe dir das Glück! Ich will dein Lob verschweigen: Ich zeige dir dein Heer, was kann ich größers zeigen ? 28. §. Es folgt XXIII. die Frage , (INTERROGATIO) die sich von sich selbst versteht, und so zu reden, die gemeinste, aber auch eine von den kräftigsten Figuren ist. Zuweilen ist sie nur einfach, und dann hat sie so viel Nachdruck nicht, als wenn sie vielmal hinter einander gesetzt wird. Die große Weitläuftigkeit macht eine Frage auch nur matt: je kürzer aber ihre Theile oder Glieder werden, und je hurtiger sie auf einander folgen, desto schärfer dringt sie ein; ja sie stürmt fast auf die Gemüther los. Z.E. Canitz in seiner Satire von der Poesie: Was fehlt? was ficht dich an? Was ists? Was macht dich toll? Ein Wort. Was für ein Wort? das hinten reimen soll. Eben auf die Art fangt Opitz sein Schreiben an Nüßlern mit etlichen Fragen hinter einander an: Auf der 177. S. der 20 poet. W. Ist das der freye Sinn? Sind dieses die Gedanken, Der unbewegte Muth, so vormals ohne Schranken, Voll himmlischer Begier, den Weg der Tugend gieng? Ist das des Phöbus Sohn, dem ganz sein Herze hieng, Das Schloß der Ewigkeit in kurzem zu ersteigen? Günther hat zwar diese Figur selten gebraucht, doch finde ich auf der 825. S. der Ausgabe von 1735. folgendes: Muß denn der Sonnen Gold im Aufgang untergehn? Merkt man im Februar auch schon Aprillenwetter? Verliert im schönsten May der frische Baum die Blätter? Wie wird es um den Herbst denn allererst entstehn? O du verworfne Zeit! was führst du nicht für Sitten? etc. 29. §. Etwas ungewöhnlicher ist XXIV. die Anrede , (APOSTROPHE) an Leblose, Todte, Abwesende, oder auch wohl an gegenwärtige Leute und Dinge, welche mit einer großen Heftigkeit geschieht, und nur in hitzigen Bewegungen des Gemüthes statt findet. Z.E. Flemming auf der 363. S. redet den Maymonat an: Sey gegrüßt, du Fürst der Zeiten, Du des Jahrs Apell, o May! etc. In einer andern Ode wendet er sich an den Mond und Abendstern: Sieh sie an, die Weberinn, Fromme Cynthie, und höre, Du auch, züchtige Cythere, Unsrer Nächte Heroldinn! Anderwärts redet er die bunten Matten, die Thäler, Germanien, die Liebe, die Musen u.s.w. an. Pietsch redet eben so lebhaft den Tag an, den er besingen will: Tag! meines Königs Glanz krönt dich mit Stral und Licht, Du brauchst den matten Schein der Morgenröthe nicht etc. Und was ist gewöhnlicher, als daß die Poeten gar sich selbst, oder wie sie reden, ihren Geist und Sinn anzureden pflegen? Z.E. Canitz in dem obgedachten Gedichte von der Poesie schreibt: Auf, säume nicht, mein Sinn! ein gutes Werk zu wagen. Und abermal: Verdammte Poesie! mein Sinn, laß dich bedeuten, Eh ich dir Niesewurz darf lassen zubereiten, etc. Und weil die Musen in der That nichts anders, als den poetischen Trieb des Dichters bedeuten, so gehört auch folgende Art der Anreden hieher, wenn z.E. Heraus schreibt: Still, Musen! still, wohin? Ihr fanget an zu rasen. Ihr wißt, daß ich ein Blatt und nicht ein Buch bestellt. 30. §. Zum XXV. kömmt die Wiederkehr (EPISTROPHE) da man die Schlußworte des einen Satzes etlichemal am Ende anderer Sätze wiederholet. Dahin gehören die Oden, wo die letzten Zeilen allezeit bey jeder Strophe wieder vorkommen, doch so, daß sie sich auch dazu schicken. Z.E. Flemming hat auf der 371. S. im III. Buche seiner Oden die 8te so gemacht, daß jede Strophe sich schließet: Pflücket Blumen, windet Kränze, Führet liebe Lobetänze. Eben so hat Opitz die dritte von seinen Oden bey jeder Strophe folgendermaßen beschloßen: Ein jeder lobe seinen Sinn, Ich lobe meine Schäferinn. Es ist aber auch nicht nothwendig, daß dieses nur in Oden am Ende jeder Strophe geschehe: man kann vielmehr auch in langen Versen, an bequemen Orten, zum Beschlusse einer kurzen Rede, zwey oder mehrmals nach einander, einerley Schlußworte wiederholen: davon ich folgendes Exempel aus einem Schäfergedichte hersetzen will, das auf den Tod der Silvia in dem einen Theile der hoffmannswald. Gedichte steht, und wo immer der Vers wiederholt wird: Ach Himmel, Erd und Luft erhöret meine Lieder, Gebt meine Sylvia, gebt meine Liebste wieder. 31. §. Das Befragen (COMMUNICATIO) wird zum XXVI. an die Zuhörer oder gar an sonst wen gerichtet, und ist also jederzeit mit der Anrede verknüpfet: allein es zieht sie auch allezeit zu Rathe, und giebt es ihnen selbst zu erwegen, ob sich die Sache nicht so oder so verhalte, als man gesagt hat, oder es gern haben will. Z.E. Besser läßt den Seladon die Chloris dergestalt anreden und sie um ihre eigene Meynung befragen: Ach Chloris! wolltest du, daß ich gewichen wäre? Bedenke doch die Schmach, und deiner Schönheit Ehre. Ich hatte ja die Macht der Lieblichkeit verhöhnt, Wenn ich nicht deine Schooß mit meiner Hand gekrönt. Eben so redet Günther seine Geliebte im I. Theile auf der 261. Seite an: und nachdem er sie angeredet, Kind , bilde dir einmal zwo fromme Seelen ein etc. und ihr einen glücklichen Ehstand beschrieben, setzt er hinzu: Was meynst du zu der Eh, die solche Früchte bringt? Nicht wahr? die Lebensart ist besser als drey Kronen? Was hilft der güldne Strick, der viel zusammen zwingt, Wenn er und sie hernach bey Basilisken wohnen? Was helfen jenen Freund zehn tausend Schürzen Geld, Wovon sein dummes Weib ein dutzend Schwäger hält. 32. §. Das Geständniß (CONFESSIO) ist die XXVII. Figur, worinn man selbst einen Einwurf macht, und denselben bald eines theils zugiebt; doch aber seine Antwort nicht schuldig bleibt. Rachel macht sich in seiner Satire, der Poet, diesen Einwurf: Was soll ich aber machen, Mit denen, die so gern den Bettelsack belachen? Wo ein Poete wohnt, da ist ein ledig Haus, Da hängt, spricht Güldengreif, ein armer Teufel aus. Geduld! was will man thun? Man muß es zwar gestehen, Wer zu dem Reichthum eilt, muß anders was ersehen, Als Versemacherkunst etc. Eben dergleichen ist jener Einwurf, den sich Canitz in seiner Satire vom Hofleben macht: wenn er dem jungen Dankelmann räth, sich durch die Heirath einer schlechten Person, in die Gunst eines Großen zu setzen. Verachte mit Vernunft den Wahn der eiteln Welt, Wird doch der Ueberfluß im Horne vorgestellt. Ja, sprichst du, ihr Geschlecht! Ach! laß den Irrthum fahren, Sieh unsern Nachbar an etc. Und Pietsch schreibt auf das Rastische Begräbniß: Man weis, stimmt gleich der Mund erfahrner Männer ein, Daß Flecken am Gestirn und manchen Frauen seyn. Die wie Vesuvius, Glut aus dem Busen blasen, Vom Anfang ihrer Eh bis an das Ende rasen. Doch wenn ein reifer Geist die Unglücksquelle sucht etc. 33. §. Es folgt XXVIII. das Einräumen , (EPITROPHE) wenn man jemanden mehr zugesteht, als er fordern kann, ja mehr, als man selbst glaubt; nur um desto schärfer wider ihn zu streiten. Ein Exempel nehme ich aus Canitzens Uebersetzung der Satire vom Adel. Sein tapferes Geschlecht mag durch berühmte Sachen, Die ältsten Chroniken zu dicken Büchern machen; Gesetzt, daß jenen Schild, der sein Geschlechte ziert, Vorlängst schon ein Capet mit Liljen ausgeziert. Wozu will er uns doch den leeren Vorrath weisen? Wenn er von seinem Stamm, den die Geschichte preisen, Der Welt nichts zeigen kann, als ein verlegnes Blatt, Daran das Pergament der Wurm geschonet hat. Oder wie Pietsch schreibt: Ihr Ottomannen laßt die Pforten eisern seyn, Auch in das härtste Stahl, dringt dieser Blitz hinein; Steigt steile Felsen an, ihr seyd doch nicht beschützet: Ein kugelfreyer Wall mit Bäumen unterstützet, Von Mann und Waffen voll, den Sumpf und Fluth umschleußt, Und alles was man sonst unüberwindlich heißt, Eur Eid, eur Mahomet mag sich entgegen setzen, Das alles wird Eugen nicht unbezwinglich schätzen. Den Beschluß macht Lami zum XXIX. mit der Umschreibung (PERIPHRASIS), wodurch man unanständige Sachen, oder Dinge, die man nicht so gleich heraus sagen will, zu lindern oder höflicher zu sagen pflegt. Ein Exempel giebt uns Opitz, wenn er sagen will, wohin die Poesien der Stümper kommen. Nicht zwar, wie jene thun, die heute etwas schreiben, Das morgen dahin kömmt, wo es zu kommen werth, Da, wo man an die Wand den bloßen Rücken kehrt. 34. §. Obwohl nun der oftgedachte Scribent es bey diesen Figuren bewenden läßt: so erinnert er doch, daß es freylich noch verschiedne andre gebe, so diesen an Schönheit und Nachdruck nichts nachgeben. Die Wahrheit dessen zu erweisen, will ich noch ein Paar hersetzen, um das halbe Schock vollends vollzumachen. Man merke also zum XXX. das Aufsteigen (GRADATIO), wenn man gleichsam stuffenweise von einer geringen Sache zu etwas höherm fortschreitet, und also immer was wichtigers sagt. Z.E. Opitz will in seinem Trostgedichte im II. Buche die Hinfälligkeit der Dinge beschreiben, und thut es so: Was wollen wir uns denn um dessentwegen grämen, So andern wiederfährt, und der Natur uns schämen? Die Welt kann nicht bestehn, die Länder nicht in ihr, In Ländern keine Stadt, in keinen Städten wir. Imgleichen auf der 67. S. seiner poetischen Wälder: Pan aber schläfet nicht, Er geht, er ruft, er schreyt mit sehnlichem Verlangen; Daß seine Stimm erschallt, durch Berge, Wald und Thal. 35. §. Zum XXXI. endlich kömmt der Eidschwur , eine von den stärksten Figuren; die also auch nur in lebhaften Affecten vorkommen kann. Es schweren aber die Poeten bey tausend Sachen, die sonst eben keine große Verbindlichkeit machen. Z.E. Flemming läßt eine Gärtnerinn so schweren. So wahr ich vor dir steh, Herzliebster Hortulan, etc. Noch ein schöner Exempel giebt mir eben dieser Poet auf der 201. Seite, welche Stelle ich ihrer Schönheit wegen ganz hersetzen will: Ich schwer es, Vaterland! bey Kindespflicht und Treuen, Dein Lob ists, welches mich heißt keine Mühe scheuen. Ich könnte ja sowohl, als etwa jener thut, Auch um die Ofenbank mir wärmen Muth und Blut, Nach Wunsche stehn geehrt, mich meines Wesens nähren, Und meiner Aeltern Gut in stiller Lust verzehren, So schlecht und klein es ist. So hast dus auch nicht Noth, Daß ich für Gott und dich mich lasse schlagen todt, In einer tollen Schlacht. Ich habe nichts gelernet, Das groß von weitem steht, und nur alleine fernet; Bin lichtem Scheine feind. Besser, in seinem schönen Schäferliede von Seladon und Leonoren, läßt seinen Schäfer folgenden Eid thun: Ich schwere dir bey meiner Heerde, Daß ich dich ewig lieben werde. Und Günther in seinem Schreiben, an den König August, hat eben die Figur mit großem Nachdrucke angebracht. Es heißt: Du hörest freylich nicht, wie vieler Wunsch und Sehnen Dich in Person erhöht. Doch schwer ich bey der Hand, Die deiner Würdigkeit die Krone zuerkannt, Daß so viel tausend sind, die unter Stroh und Hütten Für dein gesalbtes Haupt in mancher Mundart bitten. Genug endlich von Figuren; obgleich sie dieses lange nicht alle sind. Denn wer kann sie alle zählen? Muntre Köpfe bringen täglich neue Arten hervor; und das beste ist, daß man sie oft machen kann, ohne ihren Namen zu wissen. Das 11. Capitel Das XI. Capitel. Von der poetischen Schreibart. 1. §. Nachdem wir nun alles Zubehör der poetischen Schreibart insbesondre nach einander erwogen haben: so müssen wir auch sehen, was aus Zusammenfügung alles dessen in der Poesie für ein Ganzes entsteht. Dieses ist die poetische Schreibart, die wir in diesem Capitel abhandeln wollen. Was die Schreibart überhaupt sey, ist nach so vielen andern, auch von mir, in meiner Redekunst schon abgehandelt worden. Ich habe daselbst gewiesen, daß sie der Vortrag vieler zusammenhangenden Gedanken sey, welcher durch solche Sätze und Redensarten geschieht, daraus man ihre Verknüpfung deutlich wahrnehmen kann. Diese Erklärung gab mir damals Anlaß zu folgern, daß es in der Schreibart hauptsächlich auf die Art zu denken ankomme, und daß ein Scribent in seinen Schriften, wo nicht seine Gemüthsbeschaffenheit, zum wenigsten doch die Fähigkeit seines Verstandes abschildere. Denn kein Mensch kann besser schreiben, als er vorher gedacht hat. Ein wüster und leerer Kopf kann gar nichts; ein verwirrter nichts ordentliches, ein schläfriger nichts lebhaftes; ein finstrer Geist nicht deutlich; ein niederträchtiges Gemüth nicht edel; ein närrischer Phantast nicht vernünftig schreiben. Es ist also eine vergebliche Sache, wenn sich viel junge Leute auf eine schöne Schreibart legen wollen; ehe sie recht denken gelernt haben. Der Kopf muß erst recht in die Falten gerückt, von Unwissenheit, Irrthümern und Vorurtheilen befreyet, mit Wissenschaften, Liebe der Wahrheit und Erkenntniß des Guten erfüllet werden: so wird hernach die Feder schon von sich selbst folgen: VERBAQUE REM PRAEUISAM NON INUITA SEQUENTUR. HORAT. 2. §. So deutlich dieses einem jeden in die Augen leuchtet; so sehr muß man sich wundern, daß es noch Leute giebt, die es in Zweifel ziehen, und sich bemühen zu behaupten: es käme bloß auf die Wörter und Ausdrückungen an, wenn etwas hoch, oder sinnreich, oder niedrig klänge. Man sollte es nicht denken, daß auch Scribenten, die eine ziemliche Einsicht blicken lassen, auf solche Einfälle gerathen könnten. Man sage mir doch einen niedrigen Gedanken, mit solchen Worten, daß er hoch, nicht nur scheine, sondern in der That sey; man sage mir auch einen hohen oder scharfsinnigen Gedanken, ohne Zusatz andrer Einfälle, mit solchen Worten, daß er niedrig herauskomme: so will ich mich gern gefangen geben. Was hatte z.E. jenes genuesischen Dogen Antwort in Paris, auf diese Frage: Was ihm daselbst am merkwürdigsten vorgekommen wäre? hohes in Worten an sich, als er schlechtweg: Ich! erwiederte? Und wie hätte man ein niedriger Wort ersinnen können, einen so edlen Gedanken niederzuschlagen, als dieser war: daß ein genuesischer Doge, der den König in Frankreich, im Namen seiner Republik um Vergebung bitten muß, die seltsamste Sache sey, die man in Paris sehen könne. Gleichwohl bleibt er unverändert; und man sage dieses, wie man will, so wird es ein edler Gedanke für denjenigen bleiben, der ihn zuerst gehabt, und zu rechter Zeit gesagt hat. Eben das wollte ich von allen andern Exempeln des Hohen zeigen, wenn es nöthig wäre, Leute zu widerlegen, die nur aus einem Kützel, andern zu widersprechen, etwas Seltnes behaupten wollen. Man sehe indessen in den Anmerkungen zum französischen Longin, und in der gelehrten Dissertation unsers Herrn Wollen von diesen Worten Mosis, die Streitigkeiten nach, die Boileau über die Hoheit der mosaischen Worte: Es werde Licht, und es ward Licht; mit verschiedenen Gelehrten gehabt hat. 3. §. So viel war von der Schreibart überhaupt allhier zu wiederholen nöthig. Die poetische insbesondere anlangend, so ist es leicht daraus zu muthmaßen, wie dieselbe von der prosaischen unterschieden seyn werde: nämlich nicht in Worten allein; sondern hauptsächlich in der Art zu denken. Wäre jenes, so könnte man zur Noth aus einem poetischen Lexicon, dergleichen Bergmann, Männling, Hamann u.a.m. geschrieben; oder im Lateinischen aus einem GRADU AD PARNASSUM ein Poet werden. Man dörfte nur an statt der prosaischen Redensarten poetische Blümchen darinn aufschlagen, und dieselben zusammen flicken: so würde ein Gedichte daraus werden. Aber weit gefehlt, daß dieses angehen würde; so könnte höchstens nichts anders, als eine poetische Misgeburt daraus entstehen. In einer solchen Schrift würde hernach manches entstehen, was ihr Verfasser niemals gedacht hätte: kurz, es würde gar keine gesetzte Schreibart heraus kommen, weil dieses Geflicke kein Ausdruck von dem Verstande seines Meisters heißen, kein Vortrag zusammenhangender Gedanken seyn würde. Siehe des seligen Herrn Hofraths Pietsch Dissertation von dem Unterschiede der poetischen und prosaischen Schreibart, darinn er verschiedene Regeln und Exempel, die unverwerflich sind, gegeben hat. 4. §. Will also ein Poet poetisch schreiben, so muß er auch zuvor poetisch denken lernen. Wie denken aber die Poeten, wird man vielleicht fragen? Machen sie es nicht eben so, als andere Leute, die einen gesunden Verstand und ihre fünf Sinne haben? Oder, will man ihnen etwa was Göttliches beymessen? Die Frage kann und muß mit einigem Unterschiede beantwortet werden. Fürs erste denken die guten Poeten freylich eben so, als andere vernünftige Leute. Thäten sie dieses nicht, so würden sie rasend oder närrisch seyn: und Demokritus würde Recht gehabt haben, wenn er zur Poesie nur unsinnige Köpfe erfordert hat, wie Horaz berichtet: – – – EXCLUDIT SANOS HELICONE POETAS DEMOCRITUS. – Nein, ein wahrer Dichter muß ja so wohl, als ein ander Mensch, ja noch mehr, als alle, die sich nicht ins Schreiben mischen, eine gesunde Vernunft, richtige Begriffe von Dingen, und eine große Kenntniß von Künsten und Wissenschaften haben. Nach dieser seiner Gemüthsbeschaffenheit nun müssen auch alle seine Gedichte schmecken. Jede Zeile muß, so zu reden, zeugen, daß sie einen vernünftigen Vater habe. Kein Wort, ja wenn es auch der Reim wäre, muß einen übeln Verdacht von dem Verstande dessen erwecken, der es geschrieben hat. Daher ist auch derjenigen ihre Meynung verwerflich, die den Wein zu ihrer Hippokrene erwählen, und sich einbilden, sie könnten im Rausche die besten Gedichte machen. Flemming war ganz andrer Meynung, als er schrieb: Die trefflichen Poeten, Die Rächer der Natur, die können Tod, dich tödten; Sind Gift, dein Gegengift! Sie können nicht vergehn, Und machen andere, so fallen, wieder stehn. Nicht solche, welche stets mit Rennen, Betteln, Laufen, Die große Lügnerey um kleines Geld verkaufen: Daher wir redlichs Volk so kommen in Verdacht, Und oftmals mehr, als arg, so werden ausgemacht; Wenn sie den schandbarn Lohn in Völlerey verschwenden, Und also unser Reich und ganzen Orden schänden. Nein! schont der edlen Kunst, und sparet euer Gold, Ihr, die ihr Kluge seyn, wie Reiche heißen wollt. Die sinds nicht, die man sucht. Was können doch die Sinnen, Die satt an Hunger sind, an Durste voll, beginnen? Was soll ein Kopf doch thun, der stets vom Biere treuft, Und seinen dürren Sinn im Weinfaß hat ersäuft, Und ganz und gar verschwendt? Was Todte soll erwecken, Muß selber lebend seyn, nach Seel und Himmel schmecken. Das will auch Boileau, wenn er schreibt: QUELQUE SUJET QU'ON TRAITE, OU PLAISANT, OU SUBLIME, QUE TOUJOURS LE BONSENS S'ACCORDE AVEC LA RIME. – – – – AIMEZ DONC LA RAISON! QUE TOUJOURS VOS ECRITS EMPRUNTENT D'ELLE SEULE & LEUR LUSTRE & LEUR PRIX. 5. §. Ich will noch ein deutsches Zeugniß aus unserm Rachel anführen, der ausdrücklich in diesem Puncte die Vertheidigung der Poeten in einer Satire über sich genommen hat. Er klaget erstlich dem Tscherning seine Noth, daß man die Poesie, die doch unter funfzigen kaum fünfen glücket, ihm zum Vorwurfe gemacht habe. Hierauf setzt er hinzu: Daß aber man so gar das Gute darf beschmeißen, Daß ein Poet ein Narr, ein Narr Poet muß heißen, Das thut der Unverstand. Weil mancher Büffel zwar Hat einen großen Kopf, doch Bregen nicht ein Haar. Er giebt darauf zwar zu, daß die Poeten allezeit aufgeräumte Köpfe gewesen, und zuweilen einen lustigen Einfall nach dem andern vorgebracht hätten: doch unterscheidet er sie von unflätigen Possenreißern, die auch nur von dem Pöbel, der gar nicht zu urtheilen weis, und von denen, die ihm auch wohl bey Höfen an Sitten und Gedanken gleich sind, unter die Poeten gemischet worden. Alsdann setzt er hinzu, was er von einem Dichter fordert: Wer ein Poet will seyn, der sey ein solcher Mann, Der mehr als Worte nur und Reime machen kann; Der aus den Römern weis, aus Griechen hat gesehen, Was für gelehrt, beredt und sinnreich kann bestehen; Der nicht die Zunge nur, nach seinem Willen rührt, Der Vorrath im Gehirn, und Salz im Munde führt ; Der durch den bleichen Fleiß aus Schriften hat erfahren, Was merklichs ist geschehn vor vielmal hundert Jahren; Der guter Wissenschaft mit Fleiß hat nachgedacht, Mehr Oel als Wein verzehrt, bemüht zu Mitternacht; Der endlich aus sich selbst was vorzubringen waget, Was niemand noch gedacht, kein Mund zuvor gesaget; Der zwar dem besten folgt, doch außer Dieberey: Daß er dem Höchsten gleich, doch selber Meister sey; Dazu gemeines Zeug und kahle Fratzen meidet, Und die Erfindung auch mit schönen Worten kleidet; Der keinen lahmen Vers laßt unterm Haufen gehn, Viel lieber zwanzig würgt, die nicht für gut bestehn. Nun wer sich solch ein Mann mit Recht will lassen nennen, Der muß kein Narr nicht seyn. etc. 6. §. Wie nun an dieser Wahrheit zum wenigsten niemand zweifeln wird, der die Schriften der besten Poeten, sonderlich der Alten, mit Verstande gelesen hat: also müssen wir auch zum andern sehen, was denn nunmehro die poetische Art zu denken von der prosaischen unterscheidet? Die Vernunft kann und soll es nach dem vorigen nicht seyn: was wird es denn wohl anders, als der Witz oder der Geist seyn können? Und in der That macht diese Gemüthskraft, nachdem sie bey einem stärker, als bey dem andern ist, einen großen Unterscheid in den Gedanken. Zwar ohne dieselbe ist kein Mensch zu finden. Ein jeder hat ein gewisses Maaß davon bekommen, ohne welches er sich so gar in Vernunftschlüssen nicht würde behelfen können; wie in der Logik erwiesen wird. Allein bey einigen ist sie sehr lebhaft und stark. Gewisse Geister haben viel Scharfsinnigkeit, wodurch sie gleichsam in einem Augenblicke hundert Eigenschaften von einer Sache, die ihnen vorkömmt, wahrnehmen. Was sie wahrnehmen, das drücket sich, wegen ihrer begierigen Aufmerksamkeit tief in ihr Gedächtniß: und so bald zu anderer Zeit etwas vorfällt, das nur die geringste Aehnlichkeit damit hat; so bringt ihnen die Einbildungskraft dasselbe wiederum hervor. So ist ihnen denn allezeit eine Menge von Gedanken fast zugleich gegenwärtig: das Gegenwärtige bringt sie aufs Vergangene; das Wirkliche aufs Mögliche, das Empfundene auf alles, was ihm ähnlich ist, oder noch werden kann. Daher entstehen nun Gleichnisse, verblümte Ausdrücke, Anspielungen, neue Bilder, Beschreibungen, Vergrößerungen, nachdrückliche Redensarten, Folgerungen, Schlüsse, kurz, alles das, was man Einfälle zu nennen pflegt, und die alle insgesammt aus einem solchen lebhaften Kopfe entstehen. Dergleichen Geister nun nennet man poetische Geister, und durch diese reiche Gemüthskraft unterscheidet sich ihre Art zu denken von der ordentlichen, die allen Menschen gemein ist. 7. §. Wir wollen die Sache durch ein Exempel erläutern. Gesetzt, ein Geschichtschreiber wollte erzählen, daß ein Land durch die drey bekannten Plagen, Krieg, Hunger und Pest angegriffen worden. Er wird solches etwa folgender Gestalt ins Werk richten: »Nachdem der Krieg in dem guten Reiche ein Ende genommen hatte, und die feindlichen Völker abgezogen waren, folgte ein anderes landverderbliches Uebel nach. Die verwüsteten Aecker trugen keine Früchte, weil niemand da war, der sie bauen wollte: und also entstund eine Theurung, die bey dem Armuth nothwendig eine Hungersnoth nach sich ziehen mußte. Auch das war es noch nicht alles. Eine pestilenzialische Seuche machte das Elend des geplagten Landes vollkommen, und beraubte es vollends seiner noch übrigen Einwohner.« Das heißt nun, meines Erachtens, eine historische Schreibart, die das, was sie sagen will, deutlich und ordentlich, richtig und zierlich, nicht niederträchtig, aber auch nicht prächtig vorträgt. Wie wird sich nun ein Poet in gleichem Falle ausdrücken? Amthor soll uns solches zeigen, oder er hat es vielmehr schon auf der 324. Seite seiner Gedichte gewiesen. Er schreibt: Kaum hatte Mavors Raserey Den ungeschlachten Durst gekühlet, Und deine Felder durchgewühlet; So trat ihm ein Gefährte bey. Der Mangel ward vom Krieg gebohren; Weil in der Furchen ödem Grund, Mehr Blut als warmer Regen stund, Gieng aller Aecker Zier verlohren. Dein Elend soll vollkommen seyn! Zween Feinde hatten dich bestritten: Noch hast du nicht genug erlitten, Drum schießt der dritte mit herein. Morbona bricht durch alle Riegel, Sie steigt aus einer Todtengruft Und rühret die vergifte Luft Durch ihre schwarzgemalte Flügel. Du wohlgeplagtes Land und Stadt! Was kann wohl deinen Aengsten gleichen? Wer zählet die gestreckten Leichen, Die Mortens Wuth geschlachtet hat? Du kannst die frechen Seelen lehren, Was das bedrängte Leben sey: Und bringst durch tausend Zeugen bey, Wie sehr die Lust sich kann verkehren. 8. §. Nun halte man dieses mit jenem vorigen gegen einander, so wird es sich sonnenklar zeigen, worinn der Unterscheid der Gedanken bestehe. Dem Poeten sind tausend Dinge eingefallen, daran der Geschichtschreiber nicht gedacht; bey dem Kriege nämlich, der Gott des Krieges, und dessen Blutdurst, imgleichen die Felder, die von einem Heere durchgraben und verderbet worden. Weil die Hungersnoth aus dem Kriege entstanden ist, so fällt es ihm ein, daß die Kin der von ihren Aeltern entstehen: und er braucht also dort das Wort gebohren, welches ein ganzes Gleichniß anzeigt. Wenn er die unfruchtbaren Aecker bedenkt: so sieht er, anstatt des Regens, das Blut in den Furchen laufen. Da vorher von Feinden die Rede gewesen, so sieht er, daß auch der Hunger ein Feind des Landes heißen könne; weil er den Kriegsleuten darinn ähnlich ist, daß er Schaden stiftet. Er zählt also schon zween Feinde, und da ihm die Pest noch vor Augen schwebt, davon er reden soll: so macht er sie zum dritten Feinde, weil er eben die Aehnlichkeit daran bemerkt. Die Seuche bringt ihn auf die Morbona: diese läßt er, ihrer Natur gemäß, aus der Gruft steigen, und, weil sie sehr fürchterlich ist, mit schwarzen Flügeln durch die vergiftete Luft fahren. Hierauf sieht er ihre traurige Wirkungen: er entsetzt sich, und bricht in voller Entzückung in eine heftige Anrede und etliche Fragen aus; beschließt aber endlich mit einer Lehre, die aus der Sache fließt, und seine vorige Beschreibung erbaulich macht. Das mag ein Muster einer vollkommen schönen poetischen Schreibart abgeben: Denn OMNE TULIT PUNCTUM, QUI MISCUIT VTILE DULCI, LECTOREM DELECTANDO PARITERQUE MONENDO. 9. §. Ich habe mit gutem Bedachte eine Stelle zum Beyspiel gewählt, darinn das poetische Wesen in voller Stärke zu sehen ist, damit man es desto handgreiflicher spüren und wahrnehmen möchte: denn freylich giebt es verschiedene Grade derselben. Die eine ist an Einfällen und Gedanken reicher, die andre ärmer; nachdem entweder ihr Verfasser mehr oder weniger Geist und Witz besessen hat; oder in einer gewissen Art von Gedichten anbringen gekonnt und gewollt. Woraus entsteht sie aber in diesem so vollständigen Exempel anders, als aus den häufigen und kühnen Metaphoren, Metonymien und andern verblümten Redensarten; aus lebhaften Beschreibungen, kurz angebrachten Gleichnissen, und feurigen Figuren, die den innern Affect des Poeten abschildern? Niemand sage mir, daß man dieses alles auch in Prosa thun könne. Freylich kann es geschehen; aber es wird auch alsdann eine ungebundene poetische Schreibart seyn. Kein guter prosaischer Scribent hat jemals so viel Zierrathe zusammengehäufet: und wenn er es gethan, so haben alle Critici gesagt, er schreibe poetisch. Es läuft auch wider die Absichten, die sich z.E. ein Geschichtschreiber vorsetzen muß. Sein Zweck ist, die nackte Wahrheit zu sagen, das ist, die Begebenheiten, die sich zugetragen haben, ohne allen Firniß, ohne alle Schminke, zu erzählen. Thäte er das nicht, so würden seine Leser nicht wissen, ob sie ihm glauben sollten, oder nicht. Seine große Begierde, schön zu schreiben, würde ihnen einen Argwohn beybringen, ob er nicht die Liebe zur Wahrheit aus den Augen gesetzt? Das ist das Urtheil, so man vom Curtius mit Grunde zu fällen pflegt. Man traut seinen Nachrichten nicht; weil sie gar zu schön klingen. Florus hat es noch ärger gemacht. Seneca, Apulejus, Sidonius Apollinaris, Martianus Capella, Tertullianus sind unter den Alten in übelm Ruffe: Barclajus aber in seiner Argenis, und unzähliche andre, die in lebendigen Sprachen, auch in neuern Zeiten geschrieben haben, sind auch unter diejenigen gezählet worden, die nicht nur poetisch, sondern ganz hochtrabend, schwülstig, ja unsinnig gedacht und geschrieben haben. Wer die Proben von ihrer Schreibart beysammen sehen will, der darf nur Werenfelsens DISSERT. DE METEORIS nachschlagen, welche man auch in dem I. Buche der eigenen Schriften und Uebersetzungen der deutschen Gesellschaft übersetzt nachlesen kann, als die hier einem jeden unentbehrlich ist. 10. §. Nachdem wir nun einmal wissen, worinn die poetische Schreibart besteht, so müssen wir sie auch in ihre Classen eintheilen. Ich darf aber auch hier nur bey den dreyen Arten bleiben, die ich in meiner Redekunst schon angegeben: Nämlich eine ist die natürliche oder niedrige; die andre ist die sinnreiche oder so genannte hohe, die von andern auch die scharfsinnige oder geistreiche genannt wird; und die dritte ist die pathetische, affectuöse oder feurige und heftige Schreibart. Alle drey müssen wir erklären, mit Exempeln erläutern, und von ihren Afterschwestern unterscheiden lernen. Ich weis wohl, daß es gewisse Klüglinge giebt, die in dieser Eintheilung, ich weis nicht, was für ein Mischmasch finden wollen. Sie bilden sich ein, was nicht nach ihrem unreifen Sinne ist, oder vielmehr was denenjenigen, deren Sprachrohr sie abgeben, nicht gefällt, das sey nicht richtig. Imgleichen giebt es noch andre, die mit einer unnöthigen, mehr als metaphysischen Genauigkeit, die Dinge ohne Nutzen vervielfältigen, und wohl zwanzigerley Schreibarten aushecken: wie man im siebenten Bande der critischen Beyträge sehen kann. Allein es wird leicht fallen, ihre ungegründete Urtheile abzufertigen. 11. §. Erstlich dünkt es ihnen, natürlich müßten alle Gattungen der Schreibart seyn; und also könnte man keine besondere Art daraus machen. Wer sieht aber nicht die muthwillige Zunöthigung in diesem Einwurfe? Freylich sind alle Arten des Ausdruckes demjenigen, der sie brauchet, natürlich. Auch ein Pritschmeister redet in seinen garstigsten Possen, dadurch er die Großen belustigen will, seiner Natur gemäß, das ist alber und schmutzig. Auch ein Phantast redet seinem schwülstigen Gehirne gemäß, so wie es ihm natürlich ist; und so weiter. Allein wer hat denn hier das Natürliche dem Uebernatürlichen entgegen zu setzen gedacht? Wird denn der Natur nicht weit öfter die Kunst entgegen gestellt? Die sinnreiche Schreibart aber sowohl, als die pathetische ist weit künstlicher, als die niedrige; wie ein jeder, der sie nur halb kennet, mir zugestehen wird. Mann darf auch nur einen Blick in meine Redekunst thun, wo ich davon gehandelt habe, so wird dieses von sich selbst in die Augen fallen. Dasjenige nämlich, was man im gemeinen Leben, wo man nur auf die Sachen und nicht auf die Worte denkt, in der Historie, in dogmatischen Büchern u.d.gl. braucht, das heißt natürlich: weil man darinn nicht künstelt, sondern zufrieden ist, wenn man sich so deutlich und richtig ausgedrücket hat, daß man leicht verstanden werden kann. Alles übrige, was mit Fleiß ausstudiret wird, das ist künstlicher. Es ist aber auch leicht zu denken, daß man hier nur die schöne Natur versteht, der alle Künstler nachzuahmen pflegen; nicht aber die häßliche, die sich in der Sprache des Pöbels, die demselben natürlich ist, zeiget. Eben darum habe ich sie nicht die gemeine Schreibart nennen können. 12. §. Zum andern will man den Grund dieser Abtheilung wissen: und weil es diesen tiefsinnigen Kunstrichtern so schwer fällt, denselben zu finden; so will ich ihn hieher setzen. Ein Redner oder Dichter will seine Zuhörer entweder schlechterdings unterrichten und lehren, oder er will sie belustigen, oder er will sie endlich bewegen. Mehr Absichten kann er bey der Schreibart nicht haben. Ist das erste, so bedient er sich des natürlichen oder niedrigen Ausdruckes, da man sich der gewöhnlichsten Redensarten und Ausdrückungen gebrauchet. Dieses thun also die Historienschreiber, wenn sie von rechter Art sind, und die dogmatischen Scribenten; auch wohl die Redner in ihren Eingängen, Erklärungen und Beweisen. Ist das andre die Absicht des Scribenten; so muß er allerley sinnreiche Gedanken auf eine eben so sinnreiche Art vortragen; und das thun insgemein Redner, wenn sie hier und da Erläuterungen, gute Einfälle, Lehrsprüche, u.d.gl. in ihren Reden einmengen; sonderlich aber die Poeten, wenn sie bittere Lehren oder Wahrheiten angenehm machen wollen. Will aber ein Schriftsteller endlich das letzte: so muß er die Gemüthsbewegung, die er in andern erwecken will, selbst annehmen, und so feurig und heftig, oder affectuös und pathetisch, als welches einerley ist, reden, daß sein Leser oder Zuhörer auch entzündet wird; wie solches Horaz in seiner Dichtkunst gelehret hat: SI VIS ME FLERE &C. Da hat man nun den Grund meiner Eintheilung; die ich doch nicht einmal für meine Erfindung ausgebe, indem sie schon von so vielen geschickten Kunstrichtern, gebrauchet worden, mit denen ich lieber irren, als mit andern recht haben will. 1 13. §. Die natürliche oder niedrige Schreibart eines Poeten unterscheidet sich zwar von der ungebundenen Rede durch einige oben benannte Zierrathe der Gedanken. Doch erhebt sie sich nicht sehr, verschwendet ihre Blumen nicht, sondern ist mit einem mäßigen Putze zufrieden. Ihr eigentlicher Sitz ist in poetischen Erzählungen, in Briefen, in Satiren, in Lehrgedichten, ungleichen in Gesprächen: wenn die Beschaffenheit der Personen, die sich mit einander besprechen, es zuläßt, daß sie besser reden mögen, als man insgemein spricht. Ein Exempel von Erzählungen giebt uns Canitz in seiner Fabel auf die Tadelsucht: Merk auf, ich bitte dich, wies jenem Alten gieng, Der, um die Welt zu sehn, noch an zu wandern fieng, Sein Esel war sein Pferd, sein Sohn war sein Gefehrte, Doch als der sanfte Ritt kaum eine Stunde währte, Da rief ein Reisender ihn unterwegens an: Was hat euch immermehr das arme Kind gethan, Daß ihrs laßt neben euch mit schwachen Füssen traben? Drum stieg der Vater ab, und wich dem müden Knaben. Doch als er dergestalt die Liebe walten ließ, Sah er, daß man hernach mit Fingern auf ihn wieß. Ihr könntet ja mit Recht, hört er von andern Leuten, Zum wenigsten zugleich mit eurem Buben reiten. Er folgte diesem Rath, und als er weiter kam, Erfuhr er, daß man ihm auch dieß für übel nahm. Es schrie ein ganzer Markt: Ihr thut dem Thiere schaden! Man pflegt nicht so, wie ihr, sein Vieh zu überladen. Der Alte, der noch nie die Welt sowohl gekannt, Kehrt eilig wieder um, wie ers am besten fand, Und sagte: Sollt ich mich in alle Leute schicken, So packten sie mir gar den Esel auf den Rucken. 14. §. Dieses ist nun die poetische Art, Fabeln zu erzählen, der sich, im Lateinischen, Phädrus als ein Meister bedienet hat. Virgil, in seiner Aeneis, hat sich eben derselben bedienet, so oft er selber was erzählet, und keinen andern redend einführet. Amthor hat in seiner Uebersetzung die edle Einfalt dieses Lateiners völlig erreichet, darum will ich eine Probe gleich aus dem ersten B. wo es heißt: VRBS ANTIQUA FUIT ETC. hersetzen: Ein alter Wunderbau, den man Carthago hieß, Worinn der Tyrier sich häuslich niederließ, Durch Krieg und Frieden groß, lag der berühmten Tyber, Und dem Lateinerland zur Seiten gegen über. Man sagt, daß Juno ihn vor allen hochgeschätzt, Ja Samus Götterhaus ihm selber nachgesetzt. Hier war der Waffenplatz für ihre Macht ersehen, Hier sollte Spieß und Schild nebst ihrem Wagen stehen: Ja träfe das Geschick mit ihren Wünschen ein, So sollten Ost und West Carthagen zinsbar seyn. Und dennoch mußte sie die trübe Zeitung hören, Es würde Trojens Blut der Tyrer Schlösser stören. Und ein gefürchtet Volk, von dessen Kronengold Und seiner Waffen Blitz die Welt erschüttern sollt, Auch selbst den Lybier von seinem Thron verdringen: Nichts würde diesen Schluß der strengen Parcen zwingen etc. Da nun dieses die rechte Schreibart ist, die sich zu einem Heldengedichte schickt, welches eine Erzählung seyn muß: so kann man leicht urtheilen, daß weder Lucan, noch Statius, noch Claudianus in diesem Stücke den rechten Weg gegangen sind. Alle diese schreiben viel zu hochtrabend, als daß ihre Schreibart einer vernünftigen Erzählung ähnlich sehen sollte. Sie gehen immer auf Stelzen; ja mit dem Horaz kann man von ihnen sagen: NUBES ET INANIA CAPTANT. 15. §. Wir wollen doch eine Probe aus dem Lucan ansehen, um uns durch den Augenschein selbst überführen zu lassen, und die Uebersetzung, die Hofrath Pietsch gemacht hat, hinzusetzen: BELLA PER EMATHIOS PLUS QUAM CIUILIA CAMPOS, IUSQUE DATUM SCELERI CANIMUS, POPULUMQUE POTENTEM IN SUA VICTRICI CONUERSUM VISCERA DEXTRA, COGNATASQUE ACIES; ET RUPTO FOEDERE REGNI CERTATUM, TOTIS CONCUSSI VIRIBUS ORBIS IN COMMUNE NEFAS; INFESTISQUE OBUIA SIGNIS SIGNA, PARES AQUILAS, ET PILA MINANTIA PILIS. QUIS FUROR? O CIUES! QUAE TANTA LICENTIA FERRI GENTIBUS INUISIS LATIUM PRAEBERE CRUOREM? CUMQUE SUPERBA FORET BABYLON SPOLIANDA TROPAEIS AUSONIIS, UMBRAQUE ERRARET CRASSUS INULTA: BELLA GERI PLACUIT NULLOS HABITURA TRIUMPHOS. HEU QUANTUM POTUIT TERRAE PELAGIQUE PARARI, HOC QUEM CIUILES HAUSERUNT SANGUINE DEXTRAE! VNDE VENIT TITAN ETC. Die Uebersetzung aber lautet so: Das unfruchtbare Blut, so durch die Bürgerkriege, Ematien befleckt, der frechen Bosheit Siege, Des starken Volkes Hand, das sein entblößtes Schwerdt, So sonst die Barbarn schlug, auf seine Brüste kehrt, Des Reiches Band getrennt, zwey Blutsverwandte Freunde Zum Streit erhitzet hat, die als erboßte Feinde, Mit aller Kraft gekämpft, als die empörte Welt, Zwey starker Heere Macht zum Treffen aufgestellt. Als Fahn auf Fahne stieß, als Schild auf Schilde stießen, Und selbst der Römer Arm mit scharfen Bürgerspießen Den Adlern drohete; dieß, dieß beschreiben wir. Rom! was umnebelt dich? Ach! wie gerathet ihr, Ihr Bürger in die Wuth, den alten Ruhm zu schänden? Der Römer edles Blut so schimpflich zu verschwenden, Und gebt, was übrig bleibt, verhaßten Völkern Preis etc. In eben der aufgeblasenen und unnatürlichen Schreibart fährt der Poet unaufhörlich fort. das macht, er hat lauter übersteigende Gedanken, seltsame Vorstellungen von gewöhnlichen und gemeinen Dingen, weit gesuchte Gegensätze, starke Figuren u.s.w. welches sich alles für Erzählungen nicht schickt. Vom Statius und Claudianus habe ich schon auf der 22. S. in den Anmerkungen zur Horazischen Dichtkunst die Proben angeführet, welche Stelle man nachschlagen kann. 16. §. Es ist nicht zu leugnen, daß nicht in dieser Schreibart, sonderlich Lucans, viel Feuer, Einbildungskraft und Zierrathe zusammen gehäufet anzutreffen seyn sollten. Dieses kann man den Bewunderern desselben einräumen, ohne deswegen auf ihre Seite zu treten. Es fragt sich nur, ob dieses alles mit Verstande und an dem rechten Orte angebracht worden? Heldengedichte müssen entweder keine Erzählungen seyn, oder, die Schreibart derselben muß anders eingerichtet werden, als Lucan sie eingerichtet hat. Horaz schreibt davon gleich im Anfange seiner Dichtkunst: INCOEPTIS GRAUIBUS PLERUMQUE ET MAGNA PROFESSIS. PURPUREUS LATE QUI SPLENDEAT VNUS ET ALTER, ASSUITUR PANNUS; CUM LUCUS ET ARA DIANAE, ET PROPERANTIS AQUAE PER AMOENOS AMBITUS AGROS, AUT FLUMEN RHENUM, AUT PLUUIUS DESCRIBITUR ARCUS: SED NUNC NON ERAT HIS LOCUS. Eben hierinn ist auch Milton tadelhaft, dessen Erzählungen fast durchgehends gar zu verblümt, stolz und prächtig sind. Er verschwendet tausend Bilder, Gleichnisse und Beschreibungen. Er bringt, gleich dem lohensteinischen Arminius, alle seine Gelehrsamkeit und Belesenheit an, und verfällt auf langwierige Ausschweifungen, die den Sinn des Lesers zerstreuen. Tasso und Voltaire, können die Kunst zu erzählen unzähligemal besser, als dieser Engländer. 17. §. Was die Briefe anlangt, die poetisch abgefaßt werden, so haben sie eben diese natürliche Schreibart nöthig. So hat Horaz die Seinigen geschrieben; ja ich könnte auch den Ovid hier anführen, wenn dessen Sendschreiben nicht alle zu den Elegien gehöreten. Im Französischen ist Boileau ein Meister darinnen: im Deutschen aber hat Opitz diese Schreibart sehr wohl inne gehabt. Flemming und Canitz habens ihm gleich gethan; Neukirch und Günther aber haben ihn weit übertroffen. Ich will zur Probe aus Neukirchs Schreiben der Aurora, an den König von Preußen, etwas hersetzen. Ich schreibe, König, hier, was man bey Hofe klagt, Was meinen Ruhm verletzt, wie fast ein jeder sagt. Ach! zürne nicht zu früh, denn unsers Geistes Triebe, Sind zwar voll Eifersucht, allein auch voller Liebe. Es ist nichts grausames, womit du uns beschwerst, Wir klagen, daß du dich für andre selbst verzehrst, Daß du ein König bist, und doch in deinen Landen Kein Diener je gelebt, der früher aufgestanden. Die Hirten sind erstaunt, die Musen schämen sich Denn beyde finden schon, so bald sie wachen, dich. Mein Phöbus, der dir doch so herzlich wünscht zu dienen, Ist selber, wie du weist, stets viel zu spät erschienen, Und fuhr mich heute noch mit rauhen Worten an, Daß ich der Wolken Flor nicht früher abgethan. Was Phöbus an mir straft, geb ich mit gleichem Blicke Der Ordnung der Natur und dieser Welt zurücke. Was nützt mir, sprech ich oft, der hellen Flügel Schein, Wenn Helden flüchtiger als Licht und Flügel seyn? Allein, was die Natur mich läßt zur Antwort hören, Ist dieß, ich möchte doch nicht ihr Gesetze stören etc. Hier herrscht ebenfalls das natürliche ungekünstelte Wesen der poetischen Schreibart; obwohl alles edel und artig gedacht und gesaget worden. 18. §. Doch man muß die natürliche Schreibart durchaus nicht mit der niederträchtigen vermischen. Sie sind wie Tag und Nacht von einander unterschieden, obgleich viele hier keinen Unterscheid bemerken können. Sie meynen, wenn sie sich einer niedrigen Schreibart bedienten, so stünde ihnen alles frey; zumal, wenn sie etwas scherzhaftes sagen wollten. Daher kommen nun die niederträchtigen Scherze, oder vielmehr Fratzen unsrer Dichter. Z.E. aus vielen hunderten eines solchen Meisters nur ein Paar zur Probe zu geben: Hier stellt sich ein Ducatenhuster ein; Das wird für mich auch wohl nicht übel seyn, Doch bey der hölzernen Zutschkann voll Bier Wirst du wohl fluchen: Denn mich bedeucht, du wirst viel lieber dir Ein hübsch Paar fleischerne Zutschkannen suchen. Oder dieses: Es kömmt, weil du allhier den weiten Schuß gethan, Ein Kober, der gefüllt mit Eyern, für dich an: Doch, kannst du sie entrathen; So schick den ganzen Korb an die Castraten. Auch Günther ist bey seiner unedlen Lebensart sehr oft auf diese niederträchtige Schreibart gerathen; und das zwar nicht nur in Satiren, darinn er außer Racheln auch wohl die Alten zu Vorgängern gehabt; sondern in Briefen und andern Gedichten, darinn man wohl etwas edlers von ihm hätte fordern können. Ich will hier nur aus seiner Heldenode auf den Prinz Eugen etwas anführen, welches das ganze Gedichte verstellt. Er beschreibt einen Soldaten, der aus Ungarn kömmt, und in einer Dorfschenke seine Thaten erzählt: Dort spitzt ein voller Tisch das Ohr Und hört, wie Nachbars Hans erzähle: Hans ißt, und schneidet doppelt vor Und schmiert sich dann und wann die Kehle. Seht, spricht er, Schwäger, seht nur her, Als wenn nun dieß die Donau wär: Hier macht er einen Strich mit Biere: Da streiften wir, da stund der Feind; Hier gieng es schärfer, als man meynt! Gott straf! ihr glaubt mirs ohne Schwüre. 19. §. Von Erzählungen dieser Art will ich aus Riederers Fabeln Aesopi die LXV. hersetzen, wiewohl sie alle gleich geschickt dazu wären. Es heißt: Ein Fuchs, der Bauren schuldger Diener, Da, wenn es an ein Stehlen geht; Stahl einem solchen viele Hüner, Und machte sie im Huy labet. Der Bauer suchte sich zu rächen, Und durfte doch kein Wörtlein sprechen. So edel erzählt nun unser nürnbergischer Phädrus. Das heißt ja abgeschmackt, und nicht natürlich, es wäre denn, daß jenes auch gewissen Leuten in der Natur steckte: zum wenigsten aber würde es alsdann keine schöne Natur seyn; die sich doch Maler und Dichter billig nachzuahmen bemühen sollen. Von Briefen beruffe ich mich auf Canitzens Gedichte, auf der 122. S. der neuen Auflage. Es ist des Herrn von Brand Antwortschreiben, auf des Herrn von Canitz unvergleichliches Schreiben vom Landleben, und hebt so an: Mein allerliebster Freund und werthester Herr Bruder, Der du im Blumberg itzt versammlest deine Fuder, Der du, wie Tityrus, dort in dem Schatten liegst, Und zählest, was für Korn du in die Scheunen kriegst. Du dürftest dich fürwahr so künstlich nicht bemühen, Mich durch ein schön Gedicht hinaus aufs Land zu ziehen. Es braucht, willst du mich sehn, von dir ein einzig Wort, Dein Landgut ist für mich ein allzulieber Ort, Ich weis schon, wie man da die Stunden kann vertreiben, Die Feldlust hättest du nicht nöthig zu beschreiben etc. Das ist ja wohl gegen die canitzische natürliche Schreibart lauter kaltes und ungesalzenes Wasser; ich will sagen, eine elende, magre Prosa, die so nothdürftig in Sylbenmaaß und Reime gebracht worden. Und so viel von der niederträchtigen oder pöbelhaften Schreibart. 20. §. Die andere Gattung ist die sinnreiche Schreibart, die auch von vielen die prächtige genennet wird; die aus lauter verblümten Redensarten, neuen Gedanken, sonderbaren Metaphoren, Gleichnissen und kurzgefaßten Sprüchen besteht; die aber alle bey der Vernunft die Probe aushalten. Eine solche Schreibart nun ist sehr künstlich, und kann daher kaum in einer einzigen Gattung von Gedichten durchgehends herrschen. Gar zu viel Licht blendet die Augen; gar zu starke Töne betäuben das Gehör, und gar zu sehr gewürtzte Speisen erwecken einen Ekel. Gar zu viel Zierrathe in Gedichten machen einen Leser auch überdrüßig, wenn sie unaufhörlich in einem Zusammenhange fortgehen. Sollte aber ja noch eine Art seyn, wo sie am meisten brauchbar wäre, so müßte es ein Lobgedichte seyn, und zumal eine Heldenode. Hier redet der Poet selbst durchgehends, er hat wichtige Dinge vor sich, und kan Leser vermuthen, die seine sinnreiche Sprache verstehen werden. Daher kann er daselbst seine ganze Kunst sehen lassen, wie auch Pindarus und Horaz sehr oft gethan. Das obige Exempel aus Amthorn von den drey Landplagen gehörte hieher. Auch Flemming ist in gewissen Oden stark darinn. Z.E. auf der 479. S. schreibt er von einem bevorstehenden Türkenkriege: Deucht michs, oder seh ichs schon, Wie die lauten Feldposaunen, Und die donnernden Karthaunen Untermengen ihren Ton, Daß des Bosphors seine Wellen Furchtsam sich, als Steine, stellen. Der entfärbte Hellespont Schlingt in sich die blassen Heiden, Fahnen, Spieße, Schwerdt und Scheiden, Führt der bebende Propont: Sions Wurzeln, Jebus Spitzen Werden zitternd vor uns schwitzen. 21. §. Ferner kann diese Schreibart in Trauerspielen auch gebraucht werden, ausgenommen, wenn irgend eine schlechte Person auftritt; oder wenn ein Affect die pathetische Schreibart erfordert. In dem Heldengedichte dient diese Schreibart nur gleichsam zum Gewürze, welches theils der Poet, theils seine Helden, die er redend einführet, ganz sparsam mit einstreuen, wenn es die Umstände an die Hand geben. In den Trauerspielen geben uns, außer den alten Griechen, die neuern Franzosen, Corneille und Racine, die schönsten Exempel: wiewohl Fenelon, in seinen Gedanken von der Tragödie, den ersten einer gar zu schwülstigen Art des Ausdrucks beschuldiget hat. In Heldengedichten aber kann, nächst dem Homer und dem Virgil, auch Tasso und Voltaire zum Muster dienen. In Satiren kann endlich auch zuweilen was scharfsinniges vorkommen, zumal wenn der Poet ins Moralisiren kömmt. Horaz, Juvenal, Boileau, Rachel, Canitz, Neukirch und Günther sind darinne zu Mustern zu nehmen. Statt aller Exempel von der wahren scharfsinnigen Schreibart kann Neukirchs Trauergedichte auf die Königin von Preußen Charlotte eins an die Hand geben. Es herrscht eine richtige Hoheit der Gedanken darinn, und wenn man das eine Wortspiel von Engelland am Ende wegnimmt, so ist es ohne Fehler. Ich habe schon oben hin und wieder verschiedene Stücke daraus angeführt, werde auch das ganze Gedichte im II. Theile dem Capitel von Lobgedichten beyfügen. Hier mag ein Stück aus Pietschen die Stelle vertreten, der gleichfalls in dieser Schreibart eine große Stärke hat. So schreibt er in dem Gedichte auf den Grafen Truchses zu Waldburg. Ihr, die ihr unsern Geist, mit hohen Trieben rührt, Und auf die Trauerbahn die matten Dichter führt; Das Schrecken bindet mich, wie kann ich Worte binden? Mein Schmerz verliehrt die Kunst, helft sie mir wieder finden! Ein Irrthum der Natur vermischet Tag und Nacht, Weil ein Gewölke schon den Mittag finster macht. Wie? läßt der Frühling auch Eis um das Herze fühlen, Wenn Blut und Jugend noch in allen Adern spielen? Hat, wo der stolze Bau der Ehrenbogen steht, Zugleich der rauhe Tod sein Siegesmaal erhöht? Der, wenn sein Mordaltar von trüben Flammen glühet, Auch von der Fürsten Schooß die fetten Opfer ziehet. Auch dieses Gedichte werde ich vielleicht im andern Theile ganz einrücken. Eben einen so vernünftig-erhabenen Ausdruck kann man in Opitzens und Flemmings Lobgedichten, auf hohe Häupter, ungleichen in Günthers Oden, zumal in der auf Graf Sporken, darinn kein sonderlicher Affect steckt, antreffen. 22. §. Wie nun diese Schreibart große Schönheiten an sich hat, so ist es kein Wunder, daß sie viel Liebhaber gefunden hat. Ein jeder Poet hat vor einiger Zeit recht sinnreich oder hoch, wie mans insgemein zu nennen pflegt, schreiben wollen: Allein da so wenigen von Natur die Federn dazu gewachsen gewesen, so ist es den meisten wie dem Ikarus gegangen, der so hoch flog, daß ihm die Flügel schmolzen, und er also gar herunter fiel. Von der wahren Hoheit der Schreibart hat Longin ein eigen Buch geschrieben, und von der falschen Hoheit habe ich schon Werenfelsens Dissertation DE METEORIS gelobt. Diese beyden Schriften muß man mit großem Fleiße lesen, wenn man sich auf einem so glipfrichten Stege, als der ist, so nach dem Parnaß führet, nicht versehen will. Es ist nirgends leichter, Fehltritte zu thun, als hier; denn es kömmt mehr auf den Geschmack, als auf Regeln hier an. Bouhours selbst, der vernünftigste Criticus in Frankreich, wie er selbst von den gelehrtesten Engelländern genennet worden, hat zwar in seiner MANIERE DE BIEN PENSER eine Menge fehlerhafter Stellen angemerkt und verworfen; aber selten die Ursachen und Regeln seiner Urtheile angeben können. Und so geht es auch denen, die uns im Deutschen haben lehren wollen, was Longin durch das Erhabene versteht; als welche, außer vielen Schmeicheleyen gegen einige noch lebende Dichter, und manchen vergällten Censuren, wider andere, denen ihre Schutzgötter nicht wohl wollen, nicht viel deutliches zuwege gebracht haben. 23. §. Unter den alten lateinischen Poeten ist dieser falschen Hoheit halber Lucanus schon oben erwähnet worden; und man kann ihm noch den tragischen Seneca an die Seite setzen. Das macht, beyde waren Spanier von Geburt, und liebten von Natur die schwülstige Art des Ausdruckes. Unerhörte Vergrößerungen kosten ihnen nichts. Z.E. Lucanus schreibt im V. Buche. TUNC QUOQUE TANTA MARIS MOLES CREUISSET IN ASTRA, NI SUPERUM RECTOR PRESSISSET NUBIBUS VNDAS. d.i. Auch damals würde die ungestüme See bis an die Sterne aufgeschwollen seyn: wenn nicht Jupiter die Wellen mit den Wolken beschweret und niedergedrücket hätte. Wer sieht hier nicht die Unmöglichkeit sowohl des ersten, als des andern ein? Das ist ihm noch nichts. Den Cato scheut er sich nicht, allen sei nen Göttern entgegen zu setzen, ja vorzuziehen, indem er ihn zum Gönner und Beförderer der guten und gerechten Sache des Pompejus macht; den Göttern aber Schuld giebt, daß sie dem boshaften Cäsar beygestanden hätten. Es heißt gleich im ersten Buche: NEC QUEMQUAM JAM FERRE POTEST CAESARUE PRIOREM, POMPEIUSUE PAREM. QUIS IUSTIUS INDUIT ARMA? SCIRE NEFAS. MAGNO SE IUDICE QUISQUE TUETUR. VICTRIX CAUSSA DIIS PLACUIT; SED VICTA CATONI. Des stolzen Cäsars Geist kann keinen höhern leiden, Pompejus nichts ihm gleich. Wer hat nun wohl von beyden Das beste Recht zum Streit? die Antwort fällt hier schwer, Weil beyde durch den Schutz sehr großer Richter kriegten: Den Sieger schützte Gott, und Cato den Besiegten. Muß denn nun die Begierde hoch zu denken und zu schreiben einen Poeten zu der Ausschweifung verleiten, daß er einem bloßen Menschen mehr Weisheit, liebe zur Gerechtigkeit, und mehr Billigkeit, als der Gottheit selbst zuschreiben dörfe? Gesetzt, daß es auch nur eine heidnische wäre. Die Stoiker wußten ihren weisen Mann nicht höher zu loben, als wenn sie ihn Gott ähnlich machten, ja ihn einen Freund der Götter nennten. Lucanus aber erhebt den Cato auf den göttlichen Thron, und setzt die Götter nicht etwa an die Stelle Catons; denn das wäre zu viel Ehre für sie: nein, an die Stelle der ungerechten Richter, die allen Bösewichtern beystehen Denn er sagt gleich im Anfange, daß er IUS SCELERI DATUM besingen wolle: wie das ärgste Bubenstück, verstehe Cäsars Herrschsucht, Recht bekommen, oder gesieget habe. Wer hier nicht der gesunden Vernunft Platz geben will, der muß in der Bewunderung Lucans ganz und gar ersoffen seyn. 24. §. Nicht besser klingen viele Stellen, ja ganze Tragödien des Seneca. Man darf nur das Buch aufthun, um eine dergleichen schwülstige Schreibart anzutreffen. Ich will nur eine Stelle aus dem Herkules Oetäus anführen, welche Tragödie ihm auch zugeschrieben wird. Herkules will in die Zahl der Götter aufgenommen werden, und muß folgendergestalt den Jupiter anreden: QUID TAMEN NECTIS MORAS? NUMQUID TIMEMUR? NUMQUID IMPOSITUM SIBI NON POTERIT ATLAS FERRE CUM CAELO HERCULEM? ETC. DA, DA TUENDOS IUPITER SALTEM DEOS. ILLA LICEBIT FULMEN A PARTE AUFERAS, EGO QUAM TUEBOR. SIUE GLACIALEM POLUM SEU ME TUERI FERUIDAM PARTEM IUBES HAC ESSE SUPEROS PARTE SECUROS PUTA. Ich will nur eine prosaische Uebersetzung davon geben: »Was säumst du noch lange, Jupiter? Fürchtest du dich etwa vor mir? Oder wird Atlas den Herkules mit dem Himmel zugleich nicht ertragen können? Gib, gib mir, o Jupiter, zum wenigsten das Amt, die Götter zu beschützen. Derjenige Theil des Himmels, den ich vertheidigen werde, wird deiner Donnerkeile nicht bedürfen. Du magst mir nun entweder den kalten Nordpol, oder die hitzige Mittagsgegend anvertrauen: so kannst du versichert seyn, daß die Götter unter meinem Schütze sicher seyn sollen.« Das ausschweifende Wesen dieser Rede zu entdecken, ist gar nicht nöthig; und ich würde dem Verstande meiner Leser viel zu wenig zutrauen, wenn ich ihnen in einer so handgreiflichen Sache behülflich seyn wollte. 25. §. Im Deutschen kann uns Lohenstein die Muster einer so schwülstigen Schreibart geben. Seine Tragödien sind überall damit angefüllt, und er verdient deswegen der deutsche Seneca zu heißen. In dem Schauspiele Ibrahim Sultan hebt der thracische Bosphor so asiatisch, oder vielmehr übersteigend und schwülstig an zu sprechen: Befremdets euch, ihr Völker holder Sitten, Daß des erzürnten Bosphors Schlund, Den Strand verlaßt, wo Thrax und Türke wüten, Für des unwirthbarn Meeres Mund, Der Donau süße Lipp und grüne Fluth zu küssen? Es ist nichts seltsames mein unterirdisch Lauf: Es schleußt ja die Natur des Abgrunds Röhren auf, Auch Strömen, daß ihr Glas kann unter Meeren fließen. In Plotens Inseln trinkt man ein moreisch Quell, Und in Sultanien rinnt, was zu Mecha quillet, Des Alfeus Silber ist in Elis nicht so hell, Als wo er seine Brunst mit Arethusen stillet. Wie soll der Erde Kluft denn mir verschlossen seyn, Mir, der ich selbst das Röhr bin aller Meere? Weil Calpens Meerschlund nichts dem Ocean flößt ein, Was nicht der Meere Brunn, das schwarze Meer, gebähre. etc. So fährt nun dieser Vorredner unaufhörlich fort, und treibt seine Scharfsinnigkeit aufs höchste, wenn er endlich so ausbricht: Mit was für neu und ungewohnten Stralen, Seh aber ich Burg, Stadt und Land gekrönt? Ja einen neuen Stuhl mit Purpur aufgethrönt? Der Donau Haupt mit Myrtenkränzen pralen? Sich ihren Sand in Gold, ihr Schilf in Zuckerrohr, Sein Schmelz in Diamant, den Schaum in Perlen kehren? Was leuchtet aus Tyrol für ein Gestirn hervor? Kann sein Erztreich Gebürg auch Sonnen nun gebähren? Hier sind alle lohensteinische Schönheiten beysammen zu finden. Stralen , Purpur , Myrten , Kränze , Gold, Zucker , Schmelz , Diamant, Schaum, Perlen , Gestirne , das sind gewöhnliche Zierrathe seiner Schreibart: hier aber, damit gar nichts zu einem Phöbus fehlen möchte, hat er uns auch noch etliche Sonnen , und zwar aus einem Erzgebirge gebähren wollen. 26. §. Ich weis wohl, daß es noch hin und wieder große Liebhaber dieser falschen Hoheit giebt, die wohl gar die Härtigkeit der lohensteinischen Gedichte, mit einer ihrem Helden anständigen Schreibart, so entschuldigen: Es sey kein Wunder, daß die perlenschwangere Lohe in ihrem Laufe ein solches Geräusche mache; weil sie nämlich Goldkörner bey sich führe und über so viele Corallenstauden und Edelgesteine wegrieseln müsse. Denn wie der Meister es gemacht, so sind ihm auch seine Schüler nachgefolget. Z.E. Neidhard, den ich schon etlichemal angeführt habe, ist ein großer Meister in solchem Mischmasche des falschen Sinnreichen. In seinem Gedichte auf eben den Grafen zu Waldburg, den Pietsch besungen, schreibt er so: Verkehrtes Volk, die ihr den Kiel In Daumenstöcke schraubet, Und nicht bey dieser Folter glaubet, Der Dinte Blut sey öfters Kinderspiel. Du Plato magst der Luft die Städte schenken, Du Morus, kannst, dein Name zeigt es schon, Dir zehn Utopien erdenken, Und sonst wer mag nach Severambern schreyn. Vernunft spricht ja: Erfahrung nein! Und bald darauf heißt es: Die Augen, so, getreuer Graf, In deinen Pfauenfedern spielen, Vermögen nicht der Untreu Schlaf zu fühlen; So wenig, als der Polstern untergeht. Dein Apfel, den das Reich bekreuzt, Haßt, gleichwie du die Ecken des Betrugs, Und kennt kein Ende seines Zugs: Und noch in einem andern Gedichte auf eine Rectorwahl in Königsberg schrieb er: Umschränke dich, du Kreis gestirnter Welt, In Eins mit drey und sechzig Nullen, Der Sammelplatz, der meiner Brust gefällt, Wird nicht in einen Kreis verhüllet, Den Archimedens Sandmaaß füllet. Wer sieht aber nicht das ausschweifende Wesen, eines solchen Witzes, der es von seinen Lesern fordert, daß sie alle seine Räthsel verstehen, und sich mit lauter falschen Gedanken und weithergesuchter Gelehrsamkeit sollen abspeisen lassen. Wiewohl nun diese Putzwerke mit den herrlichen Namen der Realien beehrt zu werden pflegen: so findet doch ein Liebhaber der Vernunft hier, was Horaz verworfen hat: VERSUS INOPES RERUM NUGASQUE CANORAS. 27. §. Noch ist zum dritten die pathetische, oder affectuöse, hitzige und heftige Schreibart übrig, deren Namen sattsam ihre Art anzeigen. Sie entsteht aus allen Gemüthsbewegungen, und ist gleichsam die Sprache derselben. Sie ändert sich nach Beschaffenheit derselben, und ist bald kurz und abgebrochen, bald etwas weitläuftig; allezeit aber voller Figuren, und verwegenen Ausdrückungen. Sie hält nicht viel von sinnreichen Einfällen, Gleichnissen oder andern Künsten. Sie folgt einer hitzigen Unbedachtsamkeit, die in allen Affecten herrscht, und keinem Zeit läßt auszustudieren, was er sagen will. Sie scheint auch mehr zu donnern und zu blitzen, als zu reden; weil alles unvermuthet, herausfährt, und man zuweilen nicht begreifen kann, wo alles mit einander hergekommen. Sie meidet alle Verbindungswörter, und ist zufrieden, wenn die Sachen einigermaßen zusammen hangen. Und in dieser Schreibart hat vielmals das sogenannte Hohe seinen Sitz, davon Longinus uns ein ganz Buch geschrieben hat. Ein Exempel davon zu geben, will ich hier eine Stelle aus Pietschen, in dem Gedichte auf Carl den VI. anführen. Es redet der durch einen Traum erschreckte Achmet, den Großvezier sehr beweglich an: – – – Es ist um uns geschehen! Was hab ich doch gehört! Was hab ich doch gesehen! Kein falscher Schatten hat mich Schlafenden bethört, Ach! allzuviel gesehn! ach! allzuviel gehört! Die Unterwelt erstaunt vor jener Donner Knallen, Von welchen unser Heer und Temeswar gefallen. Der große Solymann, der Muselmänner Held, Hat sich und meinen Fall mir lebhaft vorgestellt. Mich dünkt, ich seh ihn noch! mir zittern alle Glieder, Er siehet meine Schmach und schlägt die Augen nieder. Mich dünkt ich seh ihn noch! etc. Er treibt, er feurt mich an, dem Feinde vorzubeugen; Ich soll den Weg zur Flucht ihm durch den Säbel zeigen. Allein wer weis, ob nicht der Anblick meiner Pracht Den Streit noch hitziger, den Sieg noch größer macht! Ach! gar zu später Schluß! was hab ich doch gesehen! Was hab ich doch gehört! es ist um uns geschehen. 28. §. Der Sitz dieser pathetischen Schreibart ist anfänglich in Oden, wo der Poet selbst im Affecte steht, und sich voller Feuer ausdrückt. Ein Exempel giebt Günthers Ode auf den Eugen, die fast durchgehends diesen Character beobachtet hat. Sein Affect ist daselbst die Freude, Verwunderung, und heftige Begierde, seines Helden große Thaten zu loben. Er sieht ihn gleichsam vor seinen Augen verschwinden, und feuret seine Muse an, ihm nachzueilen: Eugen ist fort! Ihr Musen, nach! Er eilt und schlägt und siegt schon wieder. Diese abgebrochene kurze Art des Ausdruckes, ist in der That eine glückliche Nachahmung des stärkesten Affects. Die ganze Ode ist voll solcher Stellen, und weil sie in aller Händen ist, so will ich nur aus einem widrigen Affecte etwas hersetzen. Es ist solcher die Traurigkeit, und davon will ich das Exempel aus Canitzens Ode auf seine Doris nehmen. Diese ist gleichfalls ganz beweglich gesetzt, und drücket den zärtlichsten Schmerz sehr natürlich und beweglich aus. Er fängt unter andern einmal ganz unvermuthet an: Hälfte meines matten Lebens! Doris! ist es ganz vergebens, Daß ich kläglich um dich thu? Andere schöne Stellen habe ich schon in den vorhergehenden Capiteln daraus angemerket: ich will hier nur noch eine hersetzen, die mir einen Tadel zu verdienen scheint. Es ist folgen/de: Alles das hab ich verlohren! Ach wie werd ich Traurens-voll! Hat mein Unstern sich verschworen, Daß ich sterbend leben soll? Die letzte Zeile ist es, was mir nicht gefällt. Sterbend leben, ist viel zu künstlich, für einen wahrhaftig Betrübten. Es ist eine gesuchte Antithesis; ein verwerfliches Spiel der Gedanken, das sich zum wenigsten in keinen Affect schicket. 29. §. Zum andern schickt sich die pathetische Schreibart in die Elegien, wo man entweder Verstorbene beklagen oder was verliebtes schreiben will: denn dazu gehört eigentlich die Elegie. Ovidius und Tibullus sind hierinn rechte Meister gewesen. Nichts ist beweglicher zu lesen, als ihre Klagschreiben und verliebte Briefe. Alles ist herzrührend, und die Kunst scheint weit davon entfernt zu seyn; herrscht aber um desto mehr darinn. Ich wüßte fast im Deutschen nicht, wer sich in Elegien recht hervorgethan hätte. Hofmannswaldaus Heldenbriefe sollten hier zwar zu Mustern dienen; ungleichen haben Ziegler und Lehms, uns von biblischen Historien dergleichen gemacht: allein ich fühle mein Lebenlang keinen Affect, wenn ich sie lese. Und wie wäre es möglich, da sie mit lauter Spielen der Phantasie, mit lauter Ambra und Zibeth, Rosen und Nelken, Mosch und Jesmin, und Muscateller ausstaffiret sind, und tausend andere bunte Einfälle haben, die keinem Affecte natürlich sind. Ich will also die Zuflucht zu Neukirchen nehmen, der in seinem Gedichte auf die Nachtigall eine recht bewegliche Elegie mit eingerücket hat. Ich will nur folgende Stelle hersetzen, die mich allezeit gerühret hat, worinn der Poet die Nachtigall um ihren Vorspruch bittet. Es heißt: O Tochter Pandions, o süße Philomele! Erbarme, wo du kannst, dich meiner Traurigkeit, Und wirf nur einen Blick auf meine Dornenhöle, Wenn dein Verhängniß dich mit Rosen überstreut. Ich ärgre mich zwar nicht an deinen guten Tagen, Ich gönne dir sehr gern des Hofes Sonnenschein; Es mag dich Friederich auf seinen Händen tragen, Dein Trinken Nectarsaft, die Speise Zucker seyn: Denn du hast alles dieß auf Erden wohl verdienet etc. Bitt aber, Schönste, nur für mein betrübtes Leben Und trag zu rechter Zeit mich deinem Churfürst an: Vielleicht will Gottes Hand durch einen Vogel geben, Was weder Witz noch Kunst, durch Müh erhalten kann. Du darfst nicht allererst nach meinem Kummer fragen, Doch frage, wo du willst, nur Bäume, Gras und Stein: Die alle werden dir, die alle werden sagen, Daß meine Seufzer nichts als Ehr und Tugend seyn; Und daß ich darum mich in heißen Thränen bade, Weil meine Poesie mit Schimpfe betteln geht; Und jede Wissenschaft in deines Friedrichs Gnade, Sie aber noch allein in keinen Diensten steht. Mein Flehen ist gerecht! ach! aber auch vergebens: Denn dein beglückter Stand kennt meine Seufzer nicht; Und der erinnert sich gar selten fremdes Lebens, Der täglich so, wie du, bey Hofe Blumen bricht. 30. §. Drittens hat die pathetische Schreibart in Heldengedichten statt: nicht zwar wenn der Poet selbst erzählet, denn da muß die natürliche herrschen; wohl aber, wenn er andre Personen, die im Affecte stehen, redend einführet. Exempel kann man im Virgil nachsehen, wo sie sehr häufig vorkommen: wie denn auch im vorigen Capitel, nach Amthors Uebersetzung, eines von den allerbesten, und im 26 §. dieses Capitels eins aus Pietschen befindlich ist, welches man aufschlagen mag. Doch will ich noch eins nach Amthors Uebersetzung aus dem I. Buche der Aeneis anführen. Aeneas im Ungewitter auf der See, Hebt die gefaltne Hand zu seinen Göttern auf Und spricht: O höchstes Glück! der seinen Lebenslauf Vor dem gemeinen Feind auf Trojens Mauren schließet, Und für der Väter Heil das Heldenblut vergießet. O tapfrer Diomed! Der Griechen höchste Zier, Ach fiel ich doch, vor dir auf Trojens Blutrevier! Wo Hektors Wunderarm Achillen mußte weichen, Sarpedons Riesenbau des Lebens Segel streichen, Und wo Simoens Strom durch seiner Wirbel Zwang Blut, Körper, Schild und Helm begierig in sich schlang etc. Auch die Antwort des Großveziers in Pietschens VI. Carl, ist vortrefflich: Nein! Kaiser, nein, es steht dein unbewegter Thron! So brach der Großvezier mit einem kühnen Ton, Durch die Verzweifelung, die Achmets Brust bestricket: Die Pfeiler deines Reichs hat noch kein Feind verrücket; Wer glaubt, daß sein Gewicht aus Schwachheit sinken kann? Nein, die beherrschte Welt setzt tausend Schultern an. Die ungeheure Zahl der Arme, die dich schützen, Sind Seulen deines Stuhls, die deine Herrschaft stützen. Versammle deine Macht, verdopple nur dein Heer, Dein Volk vermehre sich, so wie der Sand am Meer. Es müsse Stal und Glut und Schrecken mit sich tragen. Wer es nicht zählen kann, der wird es nimmer schlagen. 31. §. Viertens schicket sich diese Schreibart in die Schauspiele. Da kommen unzählige Gelegenheiten vor, die Personen in vollen Affecten aufzuführen; und da können sie nicht nachdrücklicher, beweglicher und durchdringender reden, als in dieser pathetischen Art des Ausdruckes. Hier kann man Terentii Comödien, imgleichen in meiner deutschen Schaubühne, den Menschenfeind, die Spielerinn, den Verschwender, u.a.m. nachschlagen, und die Tragödien zu Hülfe nehmen. Sonderlich lese man im Cato den Auftritt, wo Cäsar mit dem Cato spricht; in der Iphigenia, den Auftritt des Agamemnons, mit dem Achilles und mit der Clytemnestra im II. Aufzuge. In der Alzire und Cornelia, wird man gleichfalls die allervortrefflichsten Proben finden, wenn man in jener die Scene des Zamores mit dem Gusmann, in dieser aber, der Cornelia ihre mit dem Grachus, und mit dem Bürgermeister Opimius, nachlesen will. Schwache Geister, können diese Schreibart auch hier nicht erreichen, und lassen alle ihre Helden gar zu sinnreich reden. Sie können nicht weinen, ohne die spitzfindigsten Klagen dabey auszuschütten, und wenn sie verzweifeln, so geschieht es allezeit mit großer Scharfsinnigkeit. Lohenstein hat es in seiner Sophonisbe durchgehends so gemacht, weswegen er mit Rechte getadelt worden. Seneca hat ebenfalls tausend Fehler wider diese Regeln begangen: indem er seinen Personen durchgehends mehr Belesenheit und Scharfsinnigkeit beygelegt, als es die Wahrscheinlichkeit erlaubte. 32. §. Das wäre nun kürzlich, was man von der poetischen Schreibart überhaupt, und ihren besondern Gattungen sagen kann. Die angeführten Scribenten werden das übrige hinzusetzen, wenn man sie nachschlagen will. Ich sollte noch kürzlich von den Gattungen der Schreibart handeln, die in Schäfergedichten, Satiren, Scherzgedichten, u.s.w. herrschet. Allein das alles spare ich in die Capitel des andern Theils dieser Dichtkunst, wo ins besondere davon gehandelt werden wird. Ueberhaupt schließe ich dieses Capitel mit Horazens Worten: SCRIBENDI RECTE, SAPERE EST ET PRINCIPIUM ET FONS: REM TIBI SOCRATICAE POTERUNT OSTENDERE CHARTAE, VERBAQUE PRAEUISAM REM NON INUITA SEQUENTUR. Fußnoten 1 Siehe B. Neukirchs Anleitung zu deutschen Briefen im V. Cap. des IV. B. p. 603. S. auch des Herrn Rollins Manier die freyen Künste zu lehren auf der 29. S. COMME IL-Y-A TROIS DEVOIRS PRINCIPAUX DE L'ORATEUR, QUI SONT D'INSTRUIRE, DE PLAIRE, & DE TOUCHER; IL Y A AUSSI TROIS GENRES D'ELOQUENCE. & C. & C. Und selbst GIBERT, den man wider meine Eintheilung anfuhren will, ist meiner Meynung, wenn er sagt, die Rede habe drey Eigenschaften: LA SIMPLICITÉ, L'AGREMENT, & L'ELEVATION. Daher käme LE SIMPLE, L'AGREABLE, LE SUBLIME. Auch Cicero und Quintilian haben das DOCERE, DELECTARE und MOUERE für die drey Pflichten eines Redners ausgegeben. Das 12. Capitel Das XII. Capitel. Von dem Wohlklange der poetischen Schreibart, dem verschiedenen Sylbenmaaße und den Reimen. 1. §. Nichts ist in diesem allgemeinen Theile der Dichtkunst noch übrig, als die Abhandlung von dem Wohlklange, der in der poetischen Schreibart mehr, als in prosaischen Sachen beobachtet werden muß. Unter diesem allgemeinen Ausdrucke begreife ich alles, was an den Versen ins Gehör fällt; die Abwechselung langer und kurzer Sylben, den Abschnitt, die Schlußpuncte in den Strophen, die Reime, und wo sonst noch etwas die Ohren kützeln, und dadurch das Gemüth eines Lesers oder Zuhörers belustigen kann. Die Musik allein nehme ich aus, als welches eine eigene Kunst ist, die auch ohne die Poesie bestehen kann: es wäre denn, daß man auch die Harmonie eines wohl ausgesprochenen Verses, nach Art der Alten, einen Gesang nennen wollte. Zwar hat auch die ungebundne Schreibart ihren gewissen Wohlklang, davon Cicero in seinen Gesprächen vom Redner, Quintilian, und nach ihnen fast alle Lehrer der Beredsamkeit ausführlich zu handeln pflegen. Wenn man es genau untersuchet, woher derselbe entsteht, so findet man: daß es nichts anders, als die angenehme Abwechselung gewisser lautenden und stummen Buchstaben; imgleichen die Vermischung langer und kurzer Sylben sey, die, hinter einander ausgesprochen, einen lieblichen Klang verursachen. Wie viel in der Wohlredenheit darauf ankomme, das ist bekannt. Oftmals werden die Zuhörer einer so harmonischen Rede dadurch mehr, als durch die besten Gründe gerühret und eingenommen; zumal, wenn der Redner eine liebliche Stimme hat, und bey einer deutlichen Aussprache aller Sylben und Buchstaben die Töne derselben geschickt, d.i. den Sachen und dem Affecte gemäß zu verändern weis. Außer obgedachten Scribenten kann man auch das XVI. Capitel des I. Theils meiner ausführlichen Redekunst nachsehen, wo im 13. u.f. §. davon gehandelt worden. 2. §. Wie nun die gebundne Schreibart eher, als die ungebundne ins Geschicke gebracht worden, also können wir auch den Wohlklang der Poesie nicht von dem Wohlklange der Redner herleiten. Es ist bereits oben bey andrer Gelegenheit gedacht worden, daß Cicero das Gegentheil angemerket, wenn er erzählt, daß Isokrates den Poeten vieles abgelernet, was zur Lieblichkeit einer Rede etwas beytragen kann. Die Ursache setzt er auch hinzu; nämlich, weil die ersten Dichter zugleich Sänger und Spielleute gewesen, und ihre Verse also zur Belustigung der Ohren gemacht: so hätten sie eher Anlaß gehabt, auf die Harmonie zu sehen. Die Musik hilft uns also den Ursprung des poetischen Wohlklanges erklären. Ich habe schon in dem ersten Capitel erwähnet, daß die ersten Melodeyen eine gewisse Anzahl der Sylben, oder eine abgemessene Länge der Zeilen, in den Liedern erfordert haben; wodurch sie geschickt geworden, darnach abgesungen zu werden. Das war nun der allergeringste Grad des poetischen Wohlklanges, der auch bey den gröbsten Völkern statt gefunden. Es ist aber gleichwohl dem Gehöre angenehm, wenn alle Abschnitte einer Rede, die nach einander folgen, fast einerley Länge haben: so, daß die Zunge nach gewissen bestimmten Pulsschlägen, gleichsam zu einer periodischen Ruhe kömmt. So sind die Psalmen der Hebräer, auch so gar in unsrer deutschen Uebersetzung noch beschaffen: daher es denn kömmt, daß sie auch so prosaisch nach einer gewissen freyen Melodie gesungen werden können. Die ältesten griechischen Poeten haben freylich ihre Sylben schon genauer nachgezählt, als die orientalischen: allein mehr läßt uns doch die Rauhigkeit, der alles in seinem ersten Ursprunge unterworfen ist, von ihren ersten Liedern nicht hoffen. 3. §. Niemand hat den Ursprung und die wahre Beschaffenheit des poetischen Wohlklanges besser untersucht und ins Licht gesetzt, als Isaac Voßius, in seinem Tractate DE POEMATUM CANTU & VIRIBUS RHYTHMI, den er zu Oxfort im THEATRO SHELDONIANO 1673. in gr. 8. herausgegeben. Er behauptet gleichfalls darinn auf der 2. Seite, daß die ersten griechischen Verse, nach der meisten Schriftsteller Meynung, keine Füsse, und keinen Wohlklang gehabt, und folglich ganz rauh gewesen. Er führt den Quintilian zum Zeugen an, dessen Worte man unten 1 sehen wird. Und darauf fährt er fort, die Natur und den Ursprung des Sylbenmaaßes zu erklären. Er vertheidiget dasselbe gegen seine Verächter, die sich einbilden, es sey angenehmer, wenn ein Vers wie ein Fluß in einem geraden Ufer fortschieße; wo er kein Hinderniß antrifft, als wenn er gleichsam Schrittweise, über so viel im Wege stehende Felsen sprudeln müßte. Allein er zeigt aus einer Anmerkung Cicerons, daß diejenigen die Natur des Schönen nicht verstehen, die dafür halten, daß etwas ganz Einträchtiges ohne Abtheilung, Unterschied, und Abwechselung gefallen könne. 2 Doch weil wir unter unsern Deutschen keinen Widerspruch hierinn zu besorgen haben, so halte ich mich hierbey nicht auf. Nur setzen wir hier voraus, daß das Gehör und die Aussprache selbst die alten Griechen gelehret, daß nicht alle Sylben gleichviel Zeit brauchten. Dieses mochte nun von dem Tone der Selbstlauter, oder von der Zahl und Art der Mitlauter herkommen; so merkte man doch, daß die eine Sylbe kurz, und die andre lang ausgesprochen ward: daher sie denn in kurze und lange eingetheilet wurden. 4. §. Der andere Grad des Wohlklangs entstund wohl damals, als man bey dem Singen solcher aufs genaueste abgezählten Zeilen, wahrnahm, daß zu einer jeden Zeile nach Beschaffenheit der dazu gehörigen Melodie, auch eine gewisse Abwechselung solcher kurzer und langer Sylben gehörete. Dieses bemerkten diejenigen am ersten, die das zarteste Gehör hatten, und es unangenehm fanden, wenn auf eine Sylbe, dahin der Accent fiel, eine kurze Note; auf eine kurze Sylbe hergegen, die man in der Aussprache fast nicht hörete, im Singen eine lange Note traf. Dieses suchte man nun mit größter Sorgfalt zu vermeiden, und daher mußte man darauf denken, daß ein Vers dem andern, und eine Strophe der andern ganz ähnlich würde: so bald nämlich dieses nicht war, so wollte es diesem zärtlichen Volke nicht klingen; wie es denn wirklich ein gutes Ohr verletzt. Wer da wissen will, wie seltsam dieses klinget, der darf sich nur von einem Franzosen ein paar Liederchen vorsingen lassen. Denn wer sonst ihres Singens nicht gewohnt ist, der wird ihnen fast keine Zeile verstehen können, ob er sie gleich sonst im Reden versteht: und das kömmt daher, weil ihre Poesie von keiner regelmäßigen Abwechselung langer und kurzer Sylben weis, wie ich schon oben im I. Capitel dargethan habe. Da muß es nun nothwendig geschehen, daß ein ganz kurzes E zuweilen sehr lang ausgedehnet; eine sehr lange Sylbe hingegen geschwinde überhüpfet oder verschlucket wird. Was das für eine Undeutlichkeit in der Aussprache machet, das ist nicht zu sagen: man muß es aber selbst hören, wenn man es recht völlig begreifen will. 5. §. Z.E. das bekannte Lied aus dem DU FRENY: UN FOU, QUI VEUT FAIRE L'HABILE, DIT QU'EN LISANT IL PRETEND TOUT SAVOIR &C. das kann nach der Melodie, die fast allen Franzosen bekannt ist, nicht anders gesungen werden; als daß die letzte Sylbe von FAIRE, die doch nach der richtigen Aussprache so kurz, als möglich ist, lang wird. Das Wort PRETEND aber, welches natürlich wie ein Jambus ausgesprochen wird, ein Trochäus werden muß; weil die Musik es so mit sich bringt, daß auf die kurzen Sylben lange, und auf die langen Sylben kurze Noten treffen. Hat nun der Poet die Melodie vorher gewußt, ehe er sein Lied gemacht, so hat er ein elendes Gehör gehabt, daß er diesen häßlichen Uebelklang nicht gemerkt; oder er ist so faul gewesen, daß er seine Redensarten nicht nach der Musik richten wollen. Hat aber der Musicus, zu einer schon fertigen Ode die Melodie gesetzt: so kann ich es ihm zwar zurechnen, daß er sich nicht nach der ersten Strophe gerichtet, und den Sylben ihr Recht wiederfahren lassen. Aber in allen übrigen Strophen hat er keine Schuld, weil die französischen Poeten keine einzige Strophe, im Absehen auf diesen Wohlklang, der andern gleich machen. Ob nun dieses der französischen Nation, die sich auf eine gewisse feine Zärtlichkeit ihrer Empfindungen soviel zu gute thut, zu Ehren gereicht, das lasse ich unparteyische Kenner beurtheilen. Wenigstens kann sie sich nicht rühmen, daß sie ein solch empfindliches Ohr habe, als die alten Griechen, oder auch wir Deutschen haben; denen ein solch barbarisches Singen, wider den Ton der Aussprache rauh und unerträglich vorkömmt. Vossius in dem angezogenen Tractate DE POEMATUM CANTU hat dieses auf der 37. und 38. S. in einem Exempel aus dem Horaz gewiesen. Er vergleicht die Ode; AUDIUERE LYCE, DII MEA VOTA; DII AUDIUERE LYCE; FIS ANUS, & TAMEN VIS FORMOSA VIDERI, LUDISQUE & BIBIS IMPUDENS. &C. mit einer französischen Uebersetzung, darinn keine einzige Strophe mit der andern einerley Wohlklang hat; und davon ich nur die erste hersetzen will: MES VOEUX SONT CONTENS ISABELLE, OUI LES DIEUX DE LEUR GRACE ONT CONTENTÉ MES VOEUX; TE VOILA VIEILLE, & CEPENDANT TU VEUX FAIRE ENCORE LA BELLE. So sehr ich nun hierinn billige, was dieser große Kunstrichter von dieser ungeschaffenen Poesie urtheilt; so sehr muß ich mich beschweren, daß er, da er doch ein Holländer war, und den bessern Wohlklang der niederdeutschen Verse wußte, mit denen auch unsere hochdeutschen Gedichte übereinkommen, dennoch alle heutigen Völker einer solchen barbarischen Dichtkunst beschuldiget hat. 3 6. §. Bey dem allen wollen die guten Franzosen es nicht begreifen, daß ihre Sprache lange und kurze Sylben habe. Auch Rollin in seinem so berühmten Werke, das er von der Poesie und andern freyen Künsten herausgegeben, gesteht zwar Italienern und Spaniern zu, daß sie Verse ohne Reime machen könnten: weil sie nämlich noch etwas von der alten Art der lateinischen Sprache in ihren Mundarten beybehalten hätten, dadurch sie geschickt wären, einen gewissen harmonischen Klang in ihre Verse zu bringen. Aber seinen Franzosen, meynt er, sey es nicht möglich, Verse ohne Reime zu dulden; weil sie lauter gleich lange Sylben in ihrer Sprache hätten, und keine Accente im Reden hören ließen. Ich glaube, man kann halb taub seyn, und doch den ehrlichen Rollin aus dem bloßen Gehöre widerlegen. Z.E. Die erste Zeile aus des Boileau Ode auf die Eroberung Namurs: – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ QUELLE DOCTE & SAINTE YVRESSE! wird von allen Franzosen als eine trochäische Zeile von vier Füssen ausgesprochen, eben so, wie die erste Zeile aus Canitzens Ode auf seine Doris: Soll ich meine Doris missen? Nun versuche mans, und verkehre entweder in der Aussprache die Accente, in die jambische Art zu scandiren: ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – QUELLE DOCTE & SAINTE YVRESSE. Und frage einen Franzosen, ob das recht ausgesprochen sey? oder man spreche alle Sylben gleichlang, das ist, lauter Spondäen aus, folgender gestalt: – – – – – – – – QUELLE | DOCTE & | SAINTE Y | VRESSE. so wird er entweder taub seyn, oder den Unterscheid hören müssen. Denn es kann in seinen Ohren unmöglich anders klingen, als wenn ich die canitzische Zeile entweder so lesen wollte: ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – Soll ich meine Doris missen? oder so: – – – – – – – – Soll ich meine Doris missen? 7. §. Durch diese kleine Ausschweifung will ich nur zeigen, wie nothwendig die alten griechischen Poeten auf die regelmäßige Vermischung langer und kurzer Sylben haben gerathen müssen. Ihr Gehör sagte es ihnen, was lang oder kurz war, und aus dem Klange urtheilten sie, welche Sylbe sich zum Anfange einer Zeile, bey einer gewissen Gesangweise besser schickte. Weiter brauchten sie kein Geheimniß zu Erfindung ihrer mannigfaltigen Arten des Sylbenmaaßes. Die gemeinste Aussprache aller Leute gab es ihnen an die Hand und wenn sie ihre Verse lasen, so geschah es nach der prosodischen Scansion; nicht aber nach den ungereimten Accenten, die wir heute zu Tage über die griechischen Verse setzen. Hätten sie zum Exempel den ersten Vers Hesiodi, Μοῦσαι πιερίηθεν, ἀοιδῆσιν κλείουσαι nach der Art unserer heutigen Schulmeister ausgesprochen: so hätten sie ihrer natürlichen Sprache Gewalt angethan; und folglich auch im Lesen eines Verses, kein Vergnügen empfinden können. Der Accent in dem andern Worte steht nämlich auf einer Sylbe, die nach allen Regeln kurz ist, und sollte vielmehr auf der folgenden η stehen. Imgleichen steht im letzten Worte das Strichlein überm ει, wo es eben so wenig hingehört. Das ου ist hier lang, und der Doppellaut muß nach Art zweyer kurzen Sylben, e und i, ausgesprochen werden. Und dieses giebt einen unumstößlichen Beweis ab, daß die griechischen Accente, die der Prosodie zuwider laufen, nichts taugen. 8. §. Daß dieses auch in der lateinischen Sprache gelte, kann ganz augenscheinlich erwiesen werden. Unsre prosaische Aussprache taugt nichts, weil wir die Länge und Kürze der Sylben nicht so ausdrücken, wie sie in ihren Poeten befindlich ist. Das gemeine Volk in Rom, das von der Länge und Kürze der Sylben keine Regeln gelernet hatte, konnte es nach dem Zeugnisse Cicerons hören, wenn ein Poet eine kurze Sylbe lang, oder eine lange kurz gebraucht hatte. 4 Nun sage mir jemand, wie das möglich gewesen wäre, wenn nicht die lateinischen Sylben ihre Länge und Kürze, bloß nach der gewöhnlichen Aussprache der Römer gehabt; davon also der Pöbel sowohl, als der Poet, nach dem Gehöre urtheilen können. Aber unsere lateinische Sprachmeister wollen gern in der Prosodie der Alten besondere Geheimnisse finden, und durch künstliche Regeln die Länge und Kürze der Sylben ausmachen. Bey unserer verderbten Aussprache des Lateins, die lange Sylben kurz, und kurze lang zu machen pflegt, thun sie uns dadurch zwar gute Dienste: wie wollen sie es aber beweisen, daß auch Virgil eine Prosodie habe lernen müssen? Es war also mit den alten Sprachen nicht anders beschaffen, als mit den heutigen, die ein Sylbenmaaß in ihrer Poesie haben; und fast alle deutscher Abkunft sind. Ihre vornehmste prosodische Regel war eben so, wie bey uns, diese: Ein Poet richte sich in der Scansion nach der gemeinen Aussprache . Dieses könnte noch weitläuftiger erwiesen und von etlichen kleinen Einwürfen befreyet werden, wenn ich eine lateinische Prosodie zu schreiben im Sinne hätte. Man lese aber, was Vossius am angeführten Orte auf der 29. und 30. S. davon geschrieben, so wird man völlig überzeuget werden. 9. §. Unter den vielfältigen Gattungen des Sylbenmaaßes, die von Griechen und Lateinern erdacht und gebraucht worden, ist zwar keine einzige, die sich nicht auch in unsrer, ja in allen andern Sprachen nachmachen ließen. Wir, und alle übrige Völker haben lange und kurze Sylben, die sich in ungebundner Rede auf tausendfältige Art durch einander mischen lassen. Was hindert es denn, daß wir dieselben nicht auch auf eine einträchtige Art, nach einer beliebig angenommenen Regel sollten abwechseln können? Daß unsre Nachbarn dieses nicht erkennen wollen, oder nicht gewahr werden, das gereicht uns zu keinem Nachtheile: vielmehr haben viele von unsern Dichtern und Kunstrichtern hier alles mögliche gethan. Sonderlich haben Gesner, Clajus, von Birken, Heräus und Omeis sichs angelegen seyn lassen, die Möglichkeit vieler Arten des Sylbenmaaßes in unsrer Muttersprache zu erweisen, und allerley Exempel davon gegeben. Allein, daß sie nicht Beyfall und Nachfolger gefunden, das kömmt meines Erachtens daher, weil die Harmonie der gar zu gekünstelten Abwechselungen der Füsse nicht so leicht ins Gehör fällt; da man auch im Lateinischen Mühe hat, eine ungewöhnliche Art von Versen recht zu scandiren. 10. §. Man ist also im Deutschen vor Alters fast bey den jambischen Versen allein geblieben; weil dieselben unsrer Sprache am natürlichsten sind. Die Artikel vor den Nennwörtern, und die Fürwörter vor den Zeitwörtern geben lauter steigende Zeilen an die Hand: so vieler tausend zusammengesetzter Wörter, davon unsre Sprache voll ist, nicht zu gedenken, die ordentlich von vorne mit einer kurzen Sylbe verlängert werden, und also Jamben ausmachen. Z.E. Verstand, Gemüth, Vernunft, Geduld, genug, worauf, vorhin, betrübt, verdammt, erheben, gestorben, verlangen, besonders, entkräften, unmöglich, ausführlich, u.s.w. Daß nun dergleichen Verse vor Alters in Deutschland, entweder mit Fleiß, oder von ungefähr, nach dem bloßen Gehöre gemachet worden, das habe ich bereits oben im ersten Capitel aus Luthers Liedern, ja aus Winsbeks Ermahnung an seinen Sohn erwiesen. Ja, man findet auch wohl in ältern Poeten unsers Vaterlandes, z.E. im Ottfried, die Spuren davon. 11. §. Die trochäischen sind zwar so sehr nicht Mode geworden, doch unsrer Sprache eben so natürlich, als jene Gattung. D. Luther hat schon zu seiner Zeit den Lobgesang Ambrosii: Nun komm der Heiden Heiland, durchgehends in dergleichen Art von Versen übersetzt: welches zwar aus diesem Anfange nicht erhellet, aber in dem ganzen Liede unleugbar ist; wenn man nur etliche harte Stellen der damaligen rauhen Mundart nachsehen will. Z.E. ist folgende Strophe ihm gut gerathen: Der du bist dem Vater gleich, Führ hinaus den Sieg im Fleisch, Daß dein ewge Gotts-Gewalt, In uns das krank Fleisch erhalt. So gar im Ottfried findet man unzählige trochäische Zeilen, ja zuweilen vier, fünf, sechs hintereinander: welches gewiß dem Poeten nicht ungefähr gekommen seyn kann; sondern um des Wohlklanges halber, den er in dergleichen Versen bemerket hat, mit Fleiß geschehen seyn mag. Es giebt gelehrte Männer, die dafür halten, diese Art des Sylbenmaaßes sey unsrer Muttersprache viel natürlicher, als die jambische. Sie berufen sich auf die einfachen Nennwörter derselben, die gewiß entweder einsylbig sind, und also in allen Abänderungen mit einer langen Sylbe anfangen, und mit einer kurzen endigen, als, von Haupt, Hand, Fuß, Häupter, Hände, Füße , oder zwey Sylben haben, wie z.E. Glaube, Liebe , Hoffnung , Vater, Mutter , und also auch fast lauter Trochäen machen. Ja selbst die Hauptwörter im INFINITIUO, gehören zu denen, die gleichfalls trochäisch klingen; als, leben, sterben, essen, trinken etc . Allein, dem sey wie ihm wolle, so viel ist gewiß, daß trochäische Gedichte uns Deutschen nicht schwerer fallen können, als jambische. Unsre Sprache hat fast eben so viel lange als kurze Sylben, und da sich dieselben hier sowohl, als in der jambischen Art, in gleicher Anzahl befinden müssen: so läuft es auf eins hinaus, was man für Verse machen will. 12. §. Das daktylische Sylbenmaaß ist das dritte, das bey uns von August Buchnern eingeführet worden, der aber selbst gesteht, daß er es nicht erfunden, sondern schon bey den Alten angetroffen. Es erfordert, wie bekannt ist, zweymal so viel kurze als lange Sylben, und ist daher so leicht nicht, als die beyden obigen Gattungen. Wir finden auch daher vor Opitzen wohl nicht leicht eine ganz daktylische Strophe in unsern alten Poeten; ja auch nach seiner Zeit hat es wenigen damit gelingen wollen. Christian Weise und Günther sind oft sehr glücklich darinn gewesen; so, daß ihnen diese Art ganz ungezwungen und ohne Anstoß geflossen. Man hat sie aber mehrentheils nur zu kleinen Arien von einer oder zwey Strophen; ja wohl gar nur zu einzelnen Zeilen in jambischen oder trochäischen Versen gebraucht. Sie klingen an sich selbst sehr lustig und springend, und sind daher zur Abwechselung in Cantaten, oder andern musikalischen Stücken bisweilen sehr bequem; zumal, wenn man gewisse heftige Affecten dadurch auszudrücken Gelegenheit hat. Doch die Wahrheit zu sagen, sind sie außer diesen Fällen für unsere männliche Sprache ein wenig zu kindisch, ob sie gleich dem Frauenzimmer und jungen Leuten sehr zu gefallen pflegen. Zur Noth könnten sie dienen, den Italienern, die sich auf die Zärtlichkeit ihrer Sprache so viel einbilden, zu zeigen, daß man bey uns eben sowohl fließende und liebliche Sylben zusammen bringen könne, die einem Sänger gleichsam von sich selbst über die Zunge weglaufen. Man müßte sich aber alsdann mit Fleiß aller rasselnden und rauschenden Wörter enthalten; hergegen viele von den lautenden und andern gelinden Buchstaben, als b, d, f, l, m, n, w, anzubringen suchen, als welche einer Zeile eine große Gelindigkeit und Lieblichkeit zuwege bringen. Wer Exempel verlanget, der kann sie von allen Arten in Hübners poetischem Handbuche finden. 13. §. Die vierte Art der Verse bey uns besteht aus den amphibrachischen Füßen, wie schon Omeis in seiner Dichtkunst angemerket hat. Ein Amphibrachis ist, wie das Wort zeigt, ein dreysylbigter Fuß, dessen mittelste Sylbe lang, beyde Ende aber kurz sind. Wir habe eine Menge von Wörtern im Deutschen, die von solcher Beschaffenheit sind. Z.E. von Zeitwörtern : ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ erheben, verachten, gebähren, vernichten, von Nennwörtern , Gesunde, Betrübte, Gedanken, Gedichte; von andern Wörtern , derselbe, desgleichen, unendlich, gewaltig, erheblich, ab scheulich, etc. Wenn nun solche Füsse zusammengesetzt werden, so entsteht folgende Art von Versen, die ich aus dem Menantes nehmen will: ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ Das laß ich | wohl bleiben, | daß ich mich | verliebe,| Ich liebe | mich selber, | und schone | mein Geld, etc.| Günthers Uebersetzung aus dem Secundus, ist von eben der Art. Wie nun diese Versart sehr wohl und lustig klinget, so ist sie auch von unsern Dichtern in kleinen Arien und Oden, sehr fleißig gebraucht worden. Nun weis ich zwar, daß einige Anleitungen zur deutschen Poesie, diese amphibrachische Art, mit zur daktylischen schlagen wollen; weil der Klang derselben sehr damit übereinkömmt. Allein, da sie doch allemal gestehen müssen, daß hier vorne immer eine Sylbe zu viel ist, die nicht zum daktylischen Verse gehöret: so ist es ja besser, ein jedes Kind bey seinem Namen zu nennen. Denn außer daß man die Verwirrung dergestalt besser vermeidet, so gewinnt unsre Sprache und Dichtkunst auch dadurch eine mehrere Aehnlichkeit mit der griechischen und lateinischen, welches ihr in Ansehung der übrigen heutigen Sprachen allerdings einen Vorzug giebt. Jemehr wir nämlich die Füße und Verse der Alten nachahmen können, destomehr Wohlklang und Harmonie hat unsre Sprache und Verskunst aufzuweisen. 14. §. Die fünfte Art der Füsse, die unsere Sprache an die Hand giebt, sind die anapästischen. Ein Anapäst besteht aus dreyen Sylben, davon die beyden ersten kurz, und die dritte lang ist. An solchen Wörtern nun fehlt es uns abermal nicht. Z.E. ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪∪ – Potentat, Majestät, ungemein, überaus, allemal, ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – sintemal, unverwehrt, jedermann, nimmermehr, u.d.gl. Nun scheint es zwar, als ob die ersten Sylben dieser Wörter auch lang ausgesprochen werden könnten; wie sie denn auch wirklich von den Poeten in jambischen und trochäischen Versen lang gebraucht zu werden pflegen: allein dieses zeiget nur, daß wir im Deutschen eben sowohl, als im lateinischen, SYLLABAS ANCIPITES, Sylben von ungewisser Länge haben; die man theils lang, theils kurz brauchen kann. Ein rechter anapästischer Vers sieht also im Deutschen etwa so aus, wie Omeis das Exempel dazu giebt: ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – Gute Nacht, | gute Nacht, | ruhet wohl | bis zum Ta | ge, Ruhet sanft, | ohne Furcht, | ohne Scheu, | ohne Pla | ge. Diese Art ist indessen etwas schwerer, als die vorhergehende, bloß, weil man einige Mühe hat, eine Rede mit zwo kurzen Sylben anzufangen. In der Mitte aber haben sie nicht mehr Schwierigkeit, als die daktylischen, oder amphibrachischen; weil sie nicht mehr kurze Sylben erfordern, als dieselben. Eben daher sind auch in den gemeinen poetischen Anweisungen diese anapästischen Verse mit zu den daktylischen geschlagen worden; die aber ein paar überflüssige Sylben vorne hätten. Allein, da ihre Scansion ganz anders klingt, und vielmehr Bewegung, ja eine recht heftige, plötzliche Gemüthsart ausdrückt, die dem daktylischen Wohlklange ganz entgegen steht: so thut man viel besser, daß man sie ganz besonders läßt, und auch dadurch den Reichthum unsrer Dichtkunst vor der welschen und französischen behauptet. 15. §. In den bisherigen fünf Arten der poetischen Füsse, habe ich an allen deutschen Lehrern der Prosodie Vorgänger gehabt. Allein, da es meine Absicht ist, unsre Dichtkunst auch im Absehen auf den Wohlklang der Verse, der eine so erstaunliche Kraft in den Gemüthern der Menschen hat, und bisweilen rechte Wunder thut, vollkommener zu machen: so halte ich es für nöthig, zu zeigen, daß es uns Deutschen auch an andern Arten der Füsse nicht fehle, die bey den Alten mit so vielem Vortheile gebrauchet worden. Und wenn ich mit dieser Bemühung nichts mehr ausrichte, als daß ich anwachsenden muntern Köpfen ein wenig das Ohr schärfe, auf den verschiedenen Wohlklang der Sylben und Wörter acht zu geben, und, wenn es auch nur zur Lust wäre, einige Versuche damit zu machen: so soll mich die Arbeit nicht dauren. Es ist eine Schande, daß unsre so großen Verfechter des Alterthums, die sich für das Griechische und Lateinische bald todtschlagen lassen, uns gleichwohl in Schulen oder in Schriften, die sie davon verfertigen, keinen Begriff von dem verschiedenen Wohlklange der alten Gedichte, beybringen, der doch die Griechen und Römer fast bezaubert hat. Und da unsere Sprache durch die Länge und Kürze ihrer Sylben, geschickt ist, sich der Lieblichkeit der gelehrten Sprachen, durch diese so mannigfaltige Harmonie mehr und mehr zu nähern: so sehe ich nicht, warum wir unsern Dichtern in den bisher gewöhnlichen Versarten ein Ziel stecken, und ihnen nicht vielmehr ein, PLUS ULTRA, zuruffen sollten. 16. §. Ich hebe also billig von den Spondäen an, als welche Art von Füssen noch zu den zweysylbigten gehöret. Ein Spondäus aber besteht aus zwoen langen Sylben, und geht also auf eine recht gravitätische ernsthafte Art einher, ohne wie die Jamben oder Trochäen, auf einem Beine zu hinken. Ernstlich von der Sache zu reden, so hat diese spondäische Art nicht so viel Bewegung und Hitze in sich, als die andern obbemeldten Füsse, die auch aus kurzen Sylben bestehen: sondern sie ist gleichsam eine Abbildung einer recht stoischen Ruhe, und Gelassenheit. Sie geht, gleich einem Spanier, mit lauter majestätischen Schritten einher, und füllt das Ohr mit eitel vollklingenden Tönen. Es fehlt uns auch im Deutschen an Wörtern nicht, die hier zu Exempeln dienen können: zumal unsre zusammengesetzten Wörter schicken sich sehr gut dazu. – – – – – – – – Z.E. Großmuth, Unmuth, Sanftmuth, Handwerk, – – – – – – – – – – Hofrath, Vormund, Werkstatt, Vortrab, Nachsicht, – – Sonntag, etc. Ja auch dreysylbige haben wir, darinnen zwo nach einander lang sind; als – – ∪ – – ∪ – – ∪ – – ∪ vorhaben, aufstehen, mitnehmen, vorgehen, – – ∪ – – ∪ – – ∪ nachfolgen, Großvater, ausnehmend, u.d.gl. Wollte man nun ganze Verse aus lauter solchen Füssen zusammen setzen, so würde dieses eben so traurig und hölzern herauskommen, als wenn ein Tanz durchgehends aus lauter sogenannten PAS GRAUES bestünde. Es haben daher auch weder die Griechen noch die Lateiner, ganz spondäische Verse gebraucht; wohl aber die Spondäen unter die Jamben, Trochäen und Daktylen gemenget: um dieselben etwas ernsthafter und langsamer zu machen, als sie sonst gewesen seyn würden. Von den Jamben sagt dieses Horaz in seiner Dichtkunst ausdrücklich: TARDIOR VT PAULLO GRAUIORQUE VENIRET AD AURES, SPONDAEOS STABILES IN IURA PATERNA RECEPIT. Und wir selbst pflegen, dieses zu thun, wenn wir jambische Verse machen, zumal im Anfange derselben. Z.E. wenn Pietsch schreibt: Held, ich umschränke mich, dieß Blatt ist viel zu klein etc. so ist unstreitig die erste Sylbe, Held , eine lange Sylbe, und macht also mit dem Worte ich , welches hier lang gebraucht ist, einen Spondäus; dieser aber vertritt die Stelle eines Jambus. 17. §. So erlaubt uns nun dieses, nach dem Beyspiele der Alten, ist und bleiben muß, so billig wäre es gleichwohl, daß man sich künftig auch dieser Erlaubniß nur mäßig bediente. Die Lateiner haben sich hierinn das Maaß gesetzet, daß sie in den sechsfüßigen Jamben, sich den andern und vierten Fuß von Spondäen frey behalten wollen: COMMODUS & PATIENS (IAMBUS), NON VT DE SEDE SECUNDA CEDERET AUT QUARTA SOCIALITER. Viele von unsern deutschen Poeten haben diese Regel in ihren jambischen Versen nicht beobachtet; und daher sind ihre Verse so steif und so rauh geworden, daß man sie vor großer Härte, nicht lesen oder hören mag. Ja selbst auf den erlaubten Stellen, ist es nicht einmal rathsam, gar zu oft mit den Spondäen aufgezogen zu kommen. Unsre Sprache ist bey weitem so gelinde nicht, als die lateinische war. Diese hatte so wenig Mitlauter in ihren Sylben, daß man einen sechsfüßigen Vers aus lauter Jamben fast im Augenblicke aussprechen konnte. Man nahm, so zu reden, immer zwey Füsse zugleich in den Mund, und nannte ihn daher TRIMETRUM, als ob er nur drey Füsse hätte; da es doch sechse waren. PES CITUS, VNDE ETIAM TRIMETRIS ACCRESCERE IUSSIT NOMEN IAMBEIS, CUM SENOS REDDERET ICTUS. Weil nun im Deutschen an Mitlautern eher ein Ueberfluß, als Mangel zu besorgen ist: so muß man auch die Erlaubniß, zuweilen einen Spondäus einzumengen, nur mäßig brauchen, und sich lieber auf reine Jamben befleißen, wenn man was liebliches schreiben will. Jemehr Spondäen ein Vers oder Gedichte von jambischer oder trochäischer Art hat, desto härter und ungehobelter klingt er. IN SCENAM MISSOS MAGNO CUM PONDERE VERSUS, AUT OPERAE CELERIS NIMIUM CURAQUE CARENTIS, AUT IGNORATAE PREMIT ARTIS CRIMINE TURPI. 18. §. Ferner werden die Spondäen von Griechen und Lateinern auch unter die daktylischen Füsse gemenget, und daraus entsteht die sogenannte heroische, oder alexandrinische Versart. Die Liebhaber und Kenner der lateinischen Dichter kennen dieselbe ohne mich schon: allein um der deutschen Leser willen muß ich sie beschreiben. Ein sogenannter Hexameter besteht aus sechs Füssen, davon die ersten viere ohne Unterschied spondäisch, oder daktylisch seyn können; der fünfte nur muß immer ein Daktylus, und der sechste immer ein Spondäus, oder höchstens ein Trochäus seyn. Ein Exempel hat uns Luther in der Bibel gegeben: – ∪∪ – – – – – – – ∪ ∪ – ∪ Und Isa | ac scher | zet mit | seinem |Weibe Re | becca. Daß man nun solche Verse im Deutschen machen könne, das hat schon beynahe vor zwey hundert Jahren Conrad Gesner eingesehen. 5 Allein das Exempel, das er giebt, ist ihm nicht sonderlich gerathen, weil er die rechte Länge der Sylben nicht beobachtet hat. Er setzt das Vater unser so: O Va | ter un | ser, der | du dein' |ewige Wohnung Erhöhst | in Him |mein, dein | Namen |werde ge | heiligt. Wer sieht aber nicht, daß er hier die beyden letzten Sylben von Vater und unser lang gebrauchet hat; da sie doch nach dem Urtheile aller Ohren kurz ausgesprochen werden. Eben so ist es ihm in Namen gegangen. Das Wort erhöhst , hat er auch als einen Spondäus gebraucht, da es doch ein Jambus ist: und bey solchen Unrichtigkeiten ist es kein Wunder, daß ihm diese Art nicht hat klingen wollen; zugeschweigen, daß die Sprache damals noch zu rauh war, und lange nicht einen solchen Ueberfluß geschmeidiger Redensarten hatte, als itzo. Den GRAECISMUS in Himmeln will ich nicht einmal erwähnen, der uns diese Probe noch häßlicher machet, weil er die Zeile ganz undeutsch machet. Wie aber, wenn man das Vater Unser so übersetzte? Hör uns, Vater und Herr, der du den Himmel bewohnest, Daß dein Name bey uns über alles geheiliget werde, Daß dein herrliches Reich bey uns auf Erden erscheine, Und dein Wille von uns, eben so, als im Himmel geschehe. Gib auch das tägliche Brodt, und vergib uns die sündlichen Schulden, Wie wir auch unseres Theils den Schuldenern gerne vergeben. Wende Versuchungen ab, und rett uns aus Gnaden, vom Uebel, Denn dein ist das Reich, ja göttliche Macht und Herrlichkeit, Amen. 19. Doch da dieses heroische Sylbenmaaß ohn alle Reime deutschen Ohren noch gar zu fremde geklungen, so sind einige von unsern Dichtern auf die Vermischung der Hexameter mit Pentametern, oder auf die Elegie der Lateiner verfallen; die sie auch durch die Beybehaltung der Reime angenehmer zu machen gesucht. Schon Sigmund von Birken, ein Pegnitzschäfer, hat in seiner Prosodie einen Versuch damit gemacht, der ihm aber nicht sonderlich gelungen ist. Nächst ihm hat Omeis in seiner Reim- und Dichtkunst folgendes Exempel gegeben, welches nicht übel klinget: Was ein menschliches Herz, von innen und außen betrübet, Werde durch Gottes Gewalt, künftig und itzo verjagt. Was ihr redet und thut, das werde von beyden geliebet, Bis der Tod zugleich beyden das Leben versagt. Heraus ist nicht minder glücklich in dieser Art gewesen. Auf der 68. S. seiner Gedichte, steht ein Gedichte auf Carln den VI. welches so anhebt: Mächtigster Herrscher der Welt, vom Himmel die Fürsten zu richten, Einig erwähleter Fürst, unüberwindlicher Held: Gönne der eifrigen Pflicht dieß nimmer gesehene Dichten, Von nicht gesehenem Ruhm, welchen dein Adler erhält. Zeuget der Friede den Krieg durch tapfre Beschützung der Rechte etc. Hieraus sieht man fürs erste, daß Heräus, um diesen neuen Versuch beliebt zu machen, fast lauter daktylische Füsse gebraucht; hernach, daß er wie Omeis den Reim der Deutschen beybehalten hat. Allein, meines Erachtens, würde man mit der Einführung dieser Gattung des Sylbenmaaßes dergestalt nichts gewinnen. Daktylische Verse hat man längst gemacht; aber sie klingen zu weich: die Spondäen müssen sie männlicher machen. Die Reime haben uns in den andern Arten genug zu schaffen gemacht: in dieser neuen müßten wir das Herz fassen, endlich einmal ungereimte Verse zu machen. Wir wollen also noch eine Probe sehen, die zwar eine Elegie ist, aber nicht reimet. Es ist eine Uebersetzung des VI. Psalms: Strafe mich nicht, o Herr, in deinem erschrecklichen Zorne, Züchtige mich doch nicht, Vater, aus Eifer und Grimm! Sey mir gnädig, o Herr, denn ich bin schwach und erschrocken: Heile mich, himmlischer Arzt, meine Gebeine sind schwach. Herzlich erschrocken ist mir die kümmerlich ächzende Seele; Ach wie so lange, mein Gott, ach wie so lange bist du? Wende dich, Herr, und rette mir bald die Seele, das Leben: Hilf mir, so wahr du ein Gott voller Erbarmungen bist. Denkt man im Tode wohl dein? wer dankt dir im Schlunde der Hölle? O so erbarme dich doch, weil mich die Erde noch trägt! Ich bin müde von Gram, und schwemme mein Bette bey Nachte, Wenn mein thränender Guß Lager und Decke benetzt. Meine Gestalt verfällt, vor Trauren und Kummer und Zagen; Denn von täglicher Angst rückt auch das Alter heran. Weichet von hier, ihr Frevler! entweicht. Gott höret mein Weinen, Ja, der Herr hört mein Flehn, höret mein ängstlich Gebeth. Schämt euch, ihr Feinde, dabey; erschreckt und kehrt euch zurücke! Werdet zu schanden, und flieht; weichet nur plötzlich von mir. 20. §. Ich weis wohl, daß dieses manchen Ohren noch ziemlich fremde und unangenehm klingen wird. Allein denen, die einen lateinischen Vers Tibulls oder Ovids in dergleichen Sylbenmaaße, ohne alle Reime schön finden, ist es in Wahrheit eine Schande; wenn sie eben diesen majestätischen Wohlklang, den sie dort bewundern, nur im Deutschen, entweder nicht hören, oder doch verwerfen wollen. Meines Erachtens fehlt nichts mehr, als daß einmal ein glücklicher Kopf, dem es weder an Gelehrsamkeit, noch an Witz, noch an Stärke in seiner Sprache fehlt, auf die Gedanken geräth, eine solche Art von Gedichten zu schreiben, und sie mit allen Schönheiten auszuschmücken, deren sonst eine poetische Schrift, außer den Reimen, fähig ist. Denn wie ein Milton in Engeland ein ganz Heldengedicht ohne alle Reime hat schreiben können, welches itzt bey der ganzen Nation Beyfall findet; und wie in Italien der Cardinal Bentivoglio den ganzen Statius in solche reimlose Verse übersetzt hat: so wäre es ja auch im Deutschen nicht unmöglich, daß ein großer Geist was neues in Schwang brächte. Ich bin versichert, wenn uns nur Opitz etliche Exempel von dieser Art gelassen hätte, man würde ihm ohne alles Bedenken häufig darinn gefolget seyn. Diesen Mangel einigermaßen zu ersetzen, will ich noch folgende Probe von der heroischen Art hersetzen. Rom und Athen war sonst ganz reich an Meistern und Künsten, Doch was nützte die Zahl philosophischer Lehrer und Schüler, Welche man irgend gesehn? O! was für ein thörichtes Wesen, Was für ein albernes Zeug ward täglich in Tempeln getrieben? Pallas erschrak, und Jupiter selbst, der Vater der Götter Hatte nur Abscheu davor. Schwärmt, schwärmt nur, ihr rasenden Pfaffen! Opfer und Räuchwerk ist nichts, wenn tausend Laster euch drücken. Prüfet euch selbst, forscht Sitten und Herz, ja Sinn und Gedanken: Dienet ihr Gott, oder euch? Seht, wie das Gewissen euch ängstet! Reinigt den Geist, sucht Weisheit und Zucht, lernt alles erdulden, Dämpft erst tapfer und frisch die eignen Begierden und Lüste, Dann zeigt andern den Weg und lehret sie tugendhaft wandeln, Nüchtern, gerecht, großmüthig und milde das Leben erfüllen: Dann wird die Ehre der Weisheit bestehn, dann wird man bekennen, Daß ihr durch Klugheit u. Witz vor Barbarn den Vorzug gewonnen. 21. §. Doch auch die heroischen Verse und Elegien sind noch nicht alles, was wir im Deutschen nachahmen können. Einige Meister unsrer Dichtkunst, haben fast alle oder doch die meisten und besten Arten, der griechischen und lateinischen Oden, im Deutschen zu machen, versucht: und ich darf mich nur auf meine Vorgänger berufen, wenn mein Ansehen zu klein ist, die Möglichkeit davon zu zeigen. Zwar was die anakreontischen anlanget, so sind dieselben ohne alle Schwierigkeit. Sie bestehen nur aus jambischen, oder trochäischen kurzen Versen, die wir täglich zu machen pflegen; nur daß sie sich nicht reimen dörfen, wie die unsrigen: und ich habe selbst in meinen Gedichten etliche Oden Anakreons, in eben der Versart, die er gebraucht hat, in eben soviel Zeilen und Sylben übersetzt; worauf ich mich hier beziehen kann. Außer diesen aber sind uns ja auch die Sapphischen Verse im Deutschen schon bekannt. In dieser Art besteht jede Zeile, aus einem Trochäus, einem Spondäus, einem Dactylus, und noch zween Trochäen. Nach dreyen Zeilen wird ein Adonischer Vers angehänget, der nur einen Dactylus und Spondäus erfordert. Das Sylbenmaaß sieht so aus. – ∪ | – – | – ∪ ∪| – ∪ | – ∪ | – ∪ | – – | – ∪ ∪| – ∪ | – ∪ | – ∪ | – – | – ∪ ∪| – ∪ | – ∪ | – ∪ ∪ | – – Unter unsern Kirchengesängen, ist das Lied, Herzliebster Jesu, was hastu verbrochen, nach dieser Art gemachet; aber nicht überall getroffen. Clajus in seinem Leiden Jesu, hat folgendes Exempel mit Reimen gegeben: Welche | Regen- | Wolke hat | dich ver | stecket? Hast du | Dich mit | Trauerflor | über | decket? Deiner | Schwester | silberbe | zäumte | Pferde, Leuchten | der Erde.| Nun hat zwar Omeis einen Fuß von jedem Verse weggelassen, und diese neugebackene Art dennoch sapphische Verse nennen, ja sie für lieblicher ausgeben wollen, Allein, ich bleibe lieber bey der wahren sapphischen Art, und glaube, wie eben dieser Omeis anmerket, daß sie sich sehr wohl würde hören lassen, wenn sie von einem geschickten Tonkünstler recht in die Musik gesetzt, und abgesungen würde. Ein schönes Exempel sehe man in den Belustigungen, des Verstandes und Witzes im I. Stücke, des I.B. 22. §. Hier sieht ein jeder, daß es auch angeht, im Deutschen adonische Verse zu machen, die alle so aussehen und klingen, wie die letzte Zeile in der sapphischen Versart. Sie bestehen nämlich aus einem Daktylus, und einem Spondäus, oder an der Stelle dieses letztern, einem Trochäus und klingen in scherzhaften Sachen sehr lieblich. Z.E. Gereimte , – ∪ ∪ – – Artige Jugend, Liebe die Tugend. Lachen und Scherzen Reize die Herzen Nimmer, der Erden Sclaven zu werden; Nimmer zum Ziele Lockender Spiele; Nimmer zum Triebe Schändlicher Liebe. Wangen und Stirnen Buhlender Dirnen, Reizender Schönen Gleichen Sirenen, Welche mit Singen Menschen verschlingen. oder ungereimte . Reizende Musen! Edle Göttinnen Reizet doch immer Alles auf Erden Euch zu verehren. Reizet und locket Junge Gemüther, Liebliche Künste, Singen und Spielen, Dichten und Reimen, Fleißig zu lernen, Eifrig zu üben, Andre zu lehren, Allen zu preisen; Und die Verderbniß Roher Verächter Stolz zu verachten. 23. §. Doch auch dabey bleibet es nicht. Unsre Dichtkunst erstreckt sich auch auf die phaläcische Versart, davon gleichfalls Omeis schon gehandelt hat. Diese hat fünf Füße, davon der erste ein Spondäus, der andere ein Daktylus, die übrigen drey aber Trochäen sind. Sie sieht so aus: | – – | – ∪ ∪| – ∪ | – ∪ | – ∪ | Auf Ger | manien! | soll dein | alter | Schimmer, Itzt so jämmerlich Dampf und Schatten leiden? Soll dein Kaiserthum, deutscher Häuser Zierde, Aus Nachläßigkeit, dir entrissen werden? Und der Nachbarinn, die dich tödlich hasset, Ewigs Eigenthum, stetes Vorrecht heißen? Aermstes Oesterreich! wie bist du gefallen! Hättst du Gallien nicht so viel getrauet! Die Verheißungen Ludwigs verschmähet, Frankreichs Herrschbegier allezeit erwogen: So würd itzo noch deine Wohlfahrt blühen. Man nennt sonst diese Verse, von der Anzahl der Sylben, auch Hendecasyllaben; d.i. eilfsylbigte Verse; und sie hat ihre besondre Schönheiten, die man leicht inne werden würde, wenn man sie in Uebung bringen, und nach den besten Mustern der Alten einrichten wollte. 24. §. Auf eben diese Art würde man noch viele andre Versarten der Alten, z.E. choriambische und alcaische, nachmachen können: wenn es meine Absicht wäre, eine deutsche Prosodie zu schreiben. Ich habe hier nur mit einigen Exempeln die Möglichkeit zeigen wollen, in unsrer Sprache die besten Arten des griechischen und lateinischen Sylbenmaaßes und Wohlklanges zu erreichen; die zwar von unsern Vorfahren schon eingesehen worden, allein fast wieder ins Vergessen gerathen ist. Ist man aber in diesem Jahrhunderte in so vielen Stücken von den Vorurtheilen unsrer Vorfahren abgewichen, so zweifle ich nicht, daß es auch in diesem Stücke noch wohl möglich seyn werde, unsrer Dichtkunst eine mehrere Mannigfaltigkeit zu verschaffen. Und gesetzt, daß alle diese Vorschläge nur wenige Proben hervorbrächten, und gewissermaßen critische Speculationen blieben; so würden sie doch allemal dienen können, zu zeigen, daß der wahre NUMERUS, oder Wohlklang der alten rhythmischen Poesie, nicht so gar mit den alten Sprachen verlohren gegangen, als wohl Voßius und einige andre ausländische Kunstrichter, als Lami, Rollin, Rapin, u.s.w. vorgeben: daß er nicht, wenigstens in unsrer Muttersprache noch vorhanden wäre. Ich sage damit nicht, daß man im Welschen, Französischen und Spanischen, nicht eben das würde thun können. Nein, ich glaube fest, daß es in allen Sprachen von der Welt angehen muß, wenn nur das Ohr der Dichter zart genug ist, diesen Wohlklang wahrzunehmen. Z.E. die ersten Verse des Boileau aus der VII. Satire, würde ich so scandiren, wie es die Aussprache mit sich bringt ∪ – ∪ – ∪ – ∪ ∪ – ∪ DE TOUS LES ANIMAUX QUI S'ELEVENT ∪ – DANS L'AIR, Und also würde er aus drey Jamben und zween Anapästen bestehen. Doch was geht mich die französische Poesie an? Sie mag ja durchaus kein Sylbenmaaß haben, und will mit Fleiß in der Barbarey bleiben: und Horaz schreibt: INUITUM QUI SERUAT, IDEM FACIT OCCIDENTI. 25. §. Vielleicht denkt jemand, dieses gienge doch insgesammt nur auf die Abschaffung der Reime los; allein das sey ja schon, was die jambischen ungereimten Verse anlanget, vielfältig versuchet worden; da uns von Bergen, Miltons verlohrnes Paradies in deutschen ungereimten Versen geliefert, Veit Ludewig von Seckendorf aber, Lucans pharsalischen Krieg auf diese Art ins Deutsche übersetzt: allein man habe auch wohl aus der Erfahrung gesehen, daß diese Neuerung weder Beyfall noch Nachfolger gefunden. Ich antworte hierauf: der große Seckendorf ist zwar sonst ein gelehrter Mann; aber in der Poesie von der Stärke nicht gewesen, daß er dergleichen ungewöhnliche Sachen hätte ins Werk richten können. Wer dieses thun sollte, der müßte ein Dichter von der ersten Größe und in allen andern Stücken unverbesserlich seyn. Allein dem ungeachtet glaube ich doch, daß er mehr würde ausgerichtet haben, wenn an seinen Versen nichts mehr, als der Reim gefehlet hätte. Man sehe aber nur folgende Probe davon an; so wird mans gewahr werden. Es mag gleich der Anfang des ganzen Gedichtes dazu dienen, davon wir im vorigen Capitel den Grundtext gelesen haben: Den mehr als Bürgerkrieg, im Feld Emathiens Geführt, beschreiben wir, wie Unrecht recht bekommen, Des starken Volkes Hand voll Siegs in sein Geweide Verkehrt und aufgestellt zwey Blutsverwandte Heere, Den Bund ums Reich getrennt, mit aller Macht gekämpft, Der aufgerührten Welt zu gleicher Ungebühr, Da feindlich wider sich gestoßen Römerfahnen, Auf Römerfahnen los, auch Adler widerstunden, Den Adlern gleicher Art, auch Bürgerspieße drehten Sich wider Bürgerspieß. 26. §. Hier sieht man wohl, daß außer der großen Genauigkeit, womit er sein Original ausgedrücket, auch sonst viel rauhes und hartes mit unterläuft, da durch der Vers unangenehm geworden wäre; gesetzt, daß er die besten Reime von der Welt gehabt hätte. Wenn also Lucans ungereimte Uebersetzung nicht Beyfall gefunden, so folgt es deswegen nicht, daß kein ander Vers ohne Reime beliebt werden könnte. Ich wollte wetten, wenn Günther sich an diese Arbeit einmal gewagt hätte: es würde ihm zehnmal besser gelungen seyn. Ich will eben dieses Stück nach meiner Art, doch gleichfalls ohne Reime übersetzen, und hoffe, daß es weit besser klingen soll. Ich singe von der Wuth der bürgerlichen Kriege, Die dort Emathiens berufnes Feld verheert: Wo Bosheit Recht behielt, und wo ein mächtig Volk, Mit sieggewohnter Faust, sein eignes Eingeweide Ganz tobend aufgeritzt; wo zwey verwandte Heere Des Reiches Bund verletzt, und mit gesammter Macht Der aufgebrachten Welt gemeine Noth gehäuft; Wo Rom mit Rom gekämpft, wo gleiche Legionen Mit Adlern gleicher Art den Adlern widerstanden! Ihr Bürger! welche Wuth? wie raset euer Schwerdt, Da es Lateiner Blut verhaßten Völkern giebt? Ich habe auch sonst einmal einen Versuch gethan, da ich eine Stelle aus einem griechischen Poeten zu übersetzen hatte, die ich gern aufs genaueste ausdrücken wollte; welches in gereimten Versen nicht so leicht angegangen wäre. Zur Probe will ich nur den Beschluß derselben aus dem I. Theile des Biedermanns auf der 167. S. anführen. Es ist aber das Gebeth eines heidnischen Poeten an den Jupiter. Du gnadenreicher Zevs, du Herr der finstern Wolken, Du starker Donnergott, begab uns mit Verstand! Vertilg uns Sterblichen die Thorheit aus dem Herzen, Und lenke Sinn und Geist, wohin du selber willst. Vor allem lehr uns doch den weisen Rath ermessen, Nach welchem dein Befehl die ganze Welt regiert: Damit wir insgesammt die großen Werke preisen, Die deine Macht gezeugt, so wie es uns geziemt. Denn weder Sterblichen, noch den beglückten Göttern, Wird je von deiner Hand was köstlichers geschenkt, Als wenn sie voller Lust die Regeln loben mögen, Darnach dieß Weltgebäu in schönster Ordnung geht. 27. § Doch ich will deswegen nicht behaupten, daß man die Reime ganz und gar aus unsrer Poesie abschaffen solle. Sie erwecken dem Gehöre ja so viel Belustigung als das Sylbenmaaß und die Harmonie selbst; zumal wenn sie ungezwungener Weise kommen, und gleichsam von sich selber fließen. Sie können auch mit vernünftigen Gedanken und witzigen Einfällen mit der ordentlichen Wortfügung und Richtigkeit des Sylbenmaaßes gar wohl beysammen stehen, wie unsre Poeten in unzählichen Exempeln sattsam erwiesen haben. Meine Absicht wäre zum höchsten, nur beyderley Arten der Verse bey uns im Schwange zu sehen, wie solches in Italien und Engelland geschieht, wo es einem jeden frey steht, gereimte oder ungereimte Verse zu machen, nachdem es ihm beliebt. Der Nutzen davon würde meines Erachtens vielfältig seyn. Fürs erste würde man sich gewöhnen, mehr auf das innere Wesen und auf die Sachen in Versen zu sehen, als itzo geschieht; da der Klang der Reime, sonderlich in kurzen Versen, das Gehör so einnimmt, daß das elendeste Zeug bey dem größten Theile der Leser Beyfall findet, welches doch ganz kahl und mager aussehen würde, wenn es sich nicht reimete. Dergestalt würden sich die ärgsten Stümper allezeit am eifrigsten nach dem Reime drängen, und sich nie unterstehen, ungereimte Verse zu machen; aus Furcht, daß man ohne diese Schellen ihre schlechten Gedanken gar zu leicht gewahr werden würde. 28. §. Hernach würde man bey uns leichter gute Uebersetzungen der Alten machen können, als bisher geschehen: Da das Joch der Reime die Schwierigkeiten bey dieser Arbeit fast unüberwindlich gemacht hat. Die Engelländer können daher alle griechische und römische Poeten in ihrer Sprache, und zwar wiederum in Versen lesen: da sich die Franzosen mit prosaischen Uebersetzungen behelfen müssen. Diese rauben nun den Originalien die Hälfte ihrer Schönheit, weil die ungebundene Rede niemals so viel Feuer, Geist und Nachdruck haben kann, als die harmonische Schreibart der Poeten. Es ist aber allerdings nützlich, wenn auch unstudirte Leute und Frauenzimmer sich eine Kenntniß der Alten in ihrer Muttersprache zuwege bringen können. Wie wäre es z.E. wenn man einmal die Ilias Homers, in alexandrinischen reimlosen Versen folgendergestalt ins Deutsche brächte? Singe mir, Göttinn, ein Lied vom Zorne des Helden Achilles, Welcher dem griechischen Heere verderblich u. schädlich geworden, Und so viel Geister der Helden ins Reich des Pluto gestürzet; Aber sie selbst den Hunden und Vögeln zur Speise gegeben. So geschah Jupiters Rath: seit dem Agamemnon, der König, Sich mit Achillen entzweyt. Ach! was für erzürnete Götter Haben dieß Paar zum Zorne gereizt, zum Streite getrieben? Jupiters und Latonens Sohn, der war auf den König Heftig erzürnt, und hatte die Pest im Lager erwecket, Welche die Völker betraf. etc. 29. §. Drittens würden wir auch in Schauspielen bald glücklicher werden, als wir noch zur Zeit sind. Tragödien und Comödien können und sollen von rechtswegen in einer leichten Art von Versen geschrieben seyn; damit sie von der gemeinen Sprache nicht merklich unterschieden, und doch einigermaaßen zierlicher, als der tägliche Umgang der Leute, seyn mögen. Wenn nun alle Personen mit gereimten Versen auf die Schaubühne treten, und dieselben herbethen, oder wohl gar hersingen, wie ungeschickte Comödianten thun: wie kann das natürlich herauskommen? Oder wie kann es dem Zuschauer wahrscheinlich seyn, daß er wirklich die Handlungen gewisser Leute mit ansieht, und ihre ernstliche Gespräche höret? Die Reime klingen immer gar zu studirt, und erinnern ihn ohn Unterlaß, daß er nur in der Comödie sey; welches er zuweilen gern vergessen wollte, um ein desto größeres Vergnügen zu genießen. In diesem Stücke haben die heutigen Engelländer auch vor den Franzosen den Vorzug: indem sie nach dem Exempel der Alten in ihren besten Tragödien fast lauter ungereimte Verse brauchen; da hingegen diese lauter reimende Helden auf die Bühne stellen. 30. §. Doch ich bin den Reimen überhaupt nicht zuwider; und gestehe es gar gerne, daß ein wohlgemachter, und noch dazu gereimter Vers destomehr Anmuth habe. Es sind aber bey uns Deutschen sowohl als bey den Franzosen zweyerley Reime im Schwange, nämlich die einsylbigten männlichen, und die zweysylbigten weiblichen. Diese vermischen wir mit einander auf vielerley Art, wie in den gemeinen poetischen Handbüchern nach der Länge gewiesen wird. Und eine solche Abwechselung erweckt wiederum eine Art der Belustigung für die Ohren. Hergegen die Italiener bedienen sich fast lauter weiblicher Reime, so wie die Engelländer lauter männliche haben; die sie gleichwohl mit ihren Nachbarn durcheinander mischen. Bey uns würde das nicht klingen: denn z.E. zwischen zween gereimten weiblichen Versen soll kein dritter stehen, der sich mit ihnen nicht reimet; und mit männlichen ist es eben so. Wenn wir mischen wollen, so muß es dergestalt geschehen, daß zwischen die zusammengehörenden Reime männlicher Art, einer oder zweene von weiblicher Gattung zu stehen kommen. Drey Zeilen darzwischen zu schieben, ist höchstens in Recitativen erlaubt: anderwärts wird es nicht klingen, weil man die Reime sonst gar verlieren würde. Wenn man sie aber nicht mehr hören kann, so ist es eben so viel, als ob sie gar nicht mehr da wären. 31. §. Unsre Alten haben fast lauter männliche Reime gemacht, wie in Hans Sachsen zu sehen ist. Aber in Ottfrieden finde ich doch auch überaus viel weibliche; also sind wohl beyde gleich lange im Besitze ihrer Rechte gewesen. Wir können zwar ganze Gedichte in einer Art von Reimen verfertigen: allein die Wahrheit zu sagen, so sind lauter männliche in unsrer Sprache zu hart; und lauter weibliche zu zart. Die Engländer haben eine geschwinde und scharfe Aussprache, daher beißen sie auch den Reimwörtern, die bey uns weiblich lauten würden, den Schwanz ab, und machen also aus zweysylbigten Reimen lauter einsylbigte. Die Italiener hingegen sind zur Weichlichkeit gleichsam gebohren, und können also die beständige Zärtlichkeit weiblicher Reime auch in ganzen Heldengedichten, als z.E. des Tasso seinem, gar wohl leiden. Die erste Strophe desselben soll zum Exempel dienen: CANTO L'ARME PIETOSE D L'CAPITANO, CHE'L GRAN SEPOLCRO LIBERO DI CHRISTO; MOLTO EGLI OPRÒ COL SENNO E CON LA MANO, MOLTO SOFFRI NEL GLORIOSO ACQUISTO: E IN VAN L'INFERNO OPPOSE E IN VANO S'ARMO D'ASIA, & DI LIBIA IL POPOL MISTO, CHE FAVORILLO IL CIELO, E SOTTO A I SANTI SEGNI, RIDUSSE I SUOI COMPAGNI ERRANTI. Es scheint, daß sich die Pohlen nach ihnen hauptsächlich gerichtet haben müssen: weil die poetische Uebersetzung der Argenis bey ihnen gleichfalls keinen einzigen männlichen Reim hat. 32. §. Gemeiniglich reimen sich bey uns nur zwey und zwey Verse, außer daß in Recitativen und Arien zuweilen drey, in Sonnetten aber vier ähnliche Reime erlaubt sind. Die Italiener hergegen reimen sehr oft drey Zeilen auf einander, wie denn Tasso z.E. sein ganzes Heldengedichte durch, in jeder Strophe solches gethan, wie das Exempel im vorigen §. zeiget. Das macht aber, daß ihre Sprache an Reimen einen Ueberfluß hat, darüber wir uns so leicht nicht beschweren können. Bey uns hat zwar der Uebersetzer des Tasso seinem Originale in den dreyfachen Reimen nachfolgen wollen, aber keinen Anhang dadurch bekommen: vielleicht, weil sonst sein befreytes Jerusalem nicht Schönheiten genug gehabt, um sich Beyfall zu erwerben. Z.E. Die erste obige Strophe klingt auf deutsch so: Von Wehr und Waffen ich und von dem Hauptmann sing, Der Christi werthes Grab gar ritterlich erstritte, Mit Hand und mit Verstand verrichtet er viel Ding, In dem berühmten Sieg er mächtig viel erlitte. Die Höll zu dämpfen ihn umsonst sich unterfing, Die Heidenschaft auf ihn umsonst zusammen ritte, Dann seine Helden er, durchs Himmels Gunst und Macht, Bey alle Kreuzpanier zusammen wieder bracht. Die Engeländer binden sich zwar an so was regelmäßiges nicht: aber sie verwehren sich die Freyheit nicht, mitten in einem Gedichte, in langen Versen, drey Zeilen auf einander zu reimen, so oft es sich thun läßt: ja sie bemerken auch dieselben an der Seite allezeit durch ein besonderes Verbindungszeichen. Z.E. Der Beschluß zu Addisons Cato hebt dergestalt an: WHAT ODD FANTASTICK THINGS WE WOMEN DO! WHO WOUD NOT LISTEN WHEN YOUNG LOVERS WOO? WHAT! DIE A MAID, YET HAVE THE CHOICE OF TWO! LADIES ARE OFTEN CRUEL TO THEIR COST, TO GIVE YOU PAIN, THEMSELVES THEY PUNISH MOST. VOWS OFT VIRGINITY SHOU'D WELL BE WEIGH'D, TOO OFT THEY'RE CANCELL'D, THO IN CONVENTS MADE. WOUD YOU REVENGE SUCH RASH RESOLVES – – YOU MAY BE SPIGHTFULL – – AND BELIEVE THE THING WE SAY; WE HATE YOU, WHEN YOU'RE EASILY SAID NAY. 33. §. Die Franzosen pflegen, außer in Sonnetten und Ringelgedichten, nicht leicht mehr als zwey Zeilen auf einander zu reimen. In jenen nämlich müssen die ersten acht Zeilen nur zweyerley Reime haben, so daß vier männliche und vier weibliche auf einander passen. Im Rondeau aber müssen anfänglich erst fünf, und hernach acht Zeilen, die aber durch einander gemischt werden, einerley Reim haben. Unsere Prosodisten haben in allen ihren Anleitungen gewiesen, daß es auch bey uns angehe, dergleichen zu machen: man sieht aber nicht, daß sie Liebhaber bey unsern Poeten finden. Es ist ein entsetzlicher Zwang dabey; denn man muß die Gedanken gar zu sehr nach diesem kindischen Schellenklange richten; und endlich kömmt doch nur ein Spielwerk heraus, daran sich nur kleine Geister belustigen. Diese können der Reime niemals satt werden, und ich glaube, daß man bloß ihnen zu gefallen die seltsame Art von Versen erdacht, die sich vorn und hinten, ja wohl gar auch in der Mitte reimen, davon man in Menantes gal. Poesie Exempel nachlesen kann. Ein verständiger Poet sieht mit dem berühmten Ritter Temple, 6 dem Herrn Alay, als Urheber der severambischen Historie, und dem Grafen Schaftesbury 7 die Reime als einen Ueberrest der barbarischen Scythen, Gothen und Gelten an; die wir lieber zu vermindern als zu vermehren Ursache hätten. Er reimet daher in seinen Poesien so wenig, als es sich thun läßt; und gönnet den Pegnitzschäfern den Vorzug, alle ihre Sylben und Worte zu reimen, dergleichen Exempel oben auf der 295 vorgekommen. 34. §. Außer dem Sylbenmaaße und den Reimen, trägt zum Wohlklange eines Verses, der Abschnitt in langen fünfbis sechsfüßigen Zeilen sehr viel bey. Dieses ist gleichsam ein kleiner Ruheplatz, wo man in der Aussprache ein wenig stille halten, und, wenn es nöthig seyn sollte, neuen Athem schöpfen kann. Die Alten haben zu diesem ihrem Abschnitte in Versen keine gewisse Stelle bestimmet, indem sie z.E. in Hexametern bald in dem andern, bald in dem dritten, bald im vierten Fuße den Abschnitt machen. Zum Beweise sollen mir folgende Zeilen Lucans dienen, die zunächst auf die oben angezogene Stelle folgen: NEC COÏERE PARES; | ALTER VERGENTIBUS ANNIS IN SENIUM, | LONGOQUE TOGAE TRANQUILLIOR VSU, DEDIDICIT IAM PACE DUCEM, | FAMAEQUE PETITOR MULTA DARE IN VULGUS, | TOTUS POPULARIBUS AURIS IMPELLI, | PLAUSUQUE SUI GAUDERE THEATRI. Hier sieht man wohl, daß in der andern und fünften Zeile der Abschnitt in der Hälfte des andern Fusses, in der ersten und vierten, in der Hälfte des dritten, und in der dritten Zeile in der Hälfte des vierten gemacht worden sey. Im Virgil und Ovid findet man eben das, obwohl es nicht zu leugnen ist, daß die mittlere Art viel gemeiner ist, als die andern. Im Horaz aber, wenn er gleich in Hexametern schreibet, wird man dieses Stück des Wohlklanges sehr selten finden; so wenig hat er sich daran gekehrt, ob seine Briefe oder Satyren angenehm ins Ohr fielen. Er schrieb nur SERMONES; und glaubte, sie müßten der täglichen Unterredung gleich kommen. 35. §. Wie nun dieses für den Poeten überaus bequem ist, und selbst den Versen eine angenehme Mannigfaltigkeit zuwege bringt: so haben sich auch die Italiener und Engeländer an keine andre Regel binden wollen. Aus denen kurz vorhin angeführten Exempeln wird man solches zur Gnüge abnehmen können, ja zuweilen wird man gar keinen geschickten Abschnitt in einem Verse finden können. Die Franzosen hergegen, die Holländer und wir Deutschen sind darinn viel genauer gegangen. In den zehn- und eilfsylbigten Versen hat man nach der vierten Sylbe, und in alexandrinischen nach der sechsten, oder vielmehr gerade in der Hälfte den Abschnitt zu machen beliebet, und sich beständig daran gebunden. Denn was einige Stümper unter uns anlanget, die in einigen Gedichten sich einer italienischen Freyheit anmaaßen, und sonderlich in den fünffüßigen Versen, den Abschnitt bald nach der vierten, bald nach der sechsten Sylbe, bald auch wohl gar nicht gemacht haben: so überläßt man dieselbe ihrem Eigensinne und dem Gespötte der Schüler, die den Uebelklang solcher Zeilen sogleich wahrnehmen. Es klingt noch einmal so gut, wenn man selbst durch die Worte und den Sinn des Dichters, allezeit an einer gewissen Stelle, etwas inne zu halten, genöthiget wird; ohne daß der Verstand zerrissen werden, oder der Wortfügung zuviel geschehen darf. 36. §. Es ist daher ein Uebelstand, wenn in der ersten Hälfte des Verses ein Beywort an dem Abschnitte steht, da indessen das Nennwort, welches dazu gehört, allererst in der andern Hälfte folget. Z.E. wenn ich schriebe: Die unvergleichlichen | Poeten unsrer Zeiten etc. Hier trennet der Abschnitt ein paar Wörter und Begriffe, die zusammen gehören, welches sehr unangenehm fällt. Und gleichwohl ist Bessern ein solcher gedehnter Vers entfahren: O unerbittliches Verhängniß meiner Jahre! der gewiß nicht ein Haar besser ist, als der obige. Aus gleicher Ursache hat mir folgender Vers eben dieses Poeten niemals gefallen wollen: Die Gott und ihrem Mann | getreueste Calliste etc. Hier ist ebenfalls die erste Hälfte des so langgestreckten Beywortes zur Calliste durch den Abschnitt getrennet worden; so, daß man mit Widerwillen daselbst stille halten muß, wo man noch nichts rechtes denken kann. Ganz besondre Regeln kann man indessen von allen Fehlern, die hier begangen werden, nicht geben. Ein jeder muß nach seinem eigenen Gehöre sich aus den Schriften der reinesten Poeten einen guten Geschmack zuwege bringen, um selbst zu entscheiden, was wohl oder übel klinget. 37. §. Ich komme auf die Schlußpuncte ganzer Sätze, welche gewiß sehr viel zum Wohlklange eines Gedichtes beytragen, wenn sie auf bequeme Stellen fallen. Fürs erste ist es wohl gewiß, daß ein solcher Stillstand sich am besten an das Ende ganzer Zeilen schickt. Z.E. Mein Morgen ist vorbey, die Kindheit meiner Tage: Wie ich den hingebracht, das weis ich selber nicht. Canitz. Hier sieht man wohl, daß beyde Zeilen einen völligen Verstand in sich schließen, und also am Ende einen Ruhepunkt erfordern. Das klingt nun, sonderlich in dieser Art von Versen, wo männliche und weibliche Reime wechselweise stehen, und die wir Elegien nennen, überaus angenehm: woher es denn kömmt, daß auch die Alten, z.E. Ovidius, Tibullus, Propertius, diese Regel aufs genaueste beobachtet haben. Wenn aber mein Poet fortfährt: Mein Mittag ist vorbey, der ohngefähr die Wage Des matten Lebens hielt. Herr! geh nicht ins Gericht. So hört wohl ein jeder, daß dieses schon so anmuthig nicht klingt, weil der Stillstand nicht am Ende der Zeile, sondern in der Hälfte der folgenden erst erfolget. Doch da hier mit der vierten Zeile gleichwohl der Verstand sich schließet, so geht dergleichen Kleinigkeit auch in Elegien noch hin. Das aber ist unerträglich, wenn man aus der vierten Zeile, in dieser Art verschränkter Verse, den Sinn noch bis in die fünfte zieht. Mir fällt kein Exempel davon bey, und ich mag nicht lange mit suchen zubringen: darum mag sich ein jeder selbst dergleichen anmerken, und sein Gehör zu Rathe ziehen. Ich bin versichert, daß nichts schöner klingt, als wenn in Elegien Zeile für Zeile, oder doch höchstens zwey und zwey Zeilen einen vollen Verstand in sich schließen, und entweder einen Punct oder ein Colon am Ende leiden. 38. §. Ganz anders verhält sichs im Deutschen mit unsern heroischen Versen, wo man die Reime nicht trennet. Zwar haben wir die Freyheit der Lateiner und Griechen nicht, welche den Punct überall hinbringen konnten. Exempel darf ich von einer so klaren Sache nicht anführen, denn man wird sie auf allen Blättern der Poeten, sonderlich aber im Horaz antreffen. Daher verwirft man heute zu Tage, was unsre Alten in diesem Stücke sich heraus genommen. Z.E. Lohenstein in der Cleopatra Vtem Aufzuge Istem Auftritte, läßt die Königinn sagen: Wascht sieben Tag euch nicht. Umschränkt die Todtenkiste Mit Eppich. Ziehet Säck anstatt Damasten an. Und bald hernach in derselben Scene sagt Belisar: Serapens Tempel glänzt Voll Feuer. Das Altar der Isis ist bekränzt Mit Myrten. Und das Volk etc. Das klingt nun wohl freylich nicht schön, und man hat Ursache gehabt, in neuern Gedichten sich vor solchen Freyheiten in acht zu nehmen. Doch haben wir uns auch so genau nicht binden wollen, als die Franzosen, welche niemals anderswo, als am Ende der Zeilen, einen Schlußpunct leiden. Unsere besten und reinsten Poeten haben sichs niemals verbothen, den Verstand in heroischen Versen, bis an den Abschnitt einer folgenden Zeile, zu ziehen. Ich will nur Amthorn und Günthern zum Beweise anfuhren, die gewiß in der Reinigkeit ohne Tadel sind. Der erste will in der Uebersetzung aus Virgils Aeneis von den Musen wissen: Warum Junonens Zorn durch ihres Eifers Macht Auch selbst die Frömmigkeit in solche Noth gebracht, In so gehäufte Noth? Ist das auch wohl zu loben, Daß selbst die Götter so, vor Wuth und Rache toben? Und Günther, in dem Lobgedichte auf den König August, schreibt von der Geschwindigkeit im Dichten: Dieß kann Lucil, ich auch. Allein ich seh und weis, Wie viel Verstand und Witz, Geduld und Zeit und Fleiß Ein tüchtig Werk begehrt, das Kluge lüstern machen, Der Lorbern würdig seyn, der Neider Grimm verlachen Und ewig leben soll. Wenn man sich nun dieser Freyheit mit Maaßen bedienet, dann kann man es uns für keinen Fehler anrechnen. Wir halten dadurch das Mittel zwischen dem Zwange der Franzosen, und der gar zu großen Freyheit der Italiener und Engeländer, die aber dadurch eine große Anmuth verlieren. 39. §. Was endlich im Deutschen die Oden anlangt, so gehört fürs erste dazu, daß sich mit jeder Strophe der volle Verstand schließe. Die alten Lateiner haben sich daran auch nicht gebunden. In den meisten Oden des Horaz hängen etliche Strophen so an einander, daß man an dem Ende der einen gar nicht stille stehen kann. Da möchte ich nun gerne wissen, wie das nach ihrer Musik im Singen geklungen? Bey uns klingt es nicht, wie wir aus etlichen altfränkischen Kirchenliedern sehen. Allein das ist noch nicht genug. Wenn die Strophen mehr, als vier Zeilen haben, so kömmt auch wohl mehr, als ein Punct in derselben vor; und da fragt sichs, ob er überall stehen könne? Am Ende jeder Zeile zwar, kann es niemand gewehrt werden, den Verstand zu schließen: allein außer dem giebt es in jeder Art der Abwechselung von Zeilen gewisse Stellen, wo die Puncte vornehmlich hingehören, und wer sie daselbst nicht macht, der sündiget wider den Wohlklang. Doch das gehört eigentlich ins Capitel von Oden. 40. §. Dieß ist nun das allgemeine, so ich vom Wohlklange der poetischen Schreibart überhaupt habe sagen können. Besondre Anmerkungen muß sich ein jeder selbst machen. Die gemeinen Regeln von der Prosodie und den Reimen habe ich hier nicht abhandeln wollen. Sie stehen in so viel hundert Handbüchern, und ich setze zum voraus, daß man sich dieselben bekannt gemacht hat, ehe man mein Buch lesen will. Ich habe nur den Grund von demjenigen anzeigen müssen, was andere weitläuftiger vorgeschrieben haben. Und also schließe ich mit diesem Capitel den ersten Theil meiner Dichtkunst, darinn ich nach einer historischen Einleitung im I. Capitel, den Poeten selbst im II. und III. Capitel beschrieben; im IV. das Wesen der Poesie, d.i. die Nachahmung, und sonderlich die Fabel erkläret, und im V. und VI. ihre vornehmsten Eigenschaften gewiesen. In allen folgenden Capiteln habe ich die Mittel, wodurch die poetische Nachahmung geschieht, nebst ihrem rechten Gebrauche und Misbrauche angezeiget: d.i. Ich habe die poetische Schreibart, nach ihren Fehlern und Schönheiten entdecket. Das waren nun allgemeine Lehren: im folgenden Theile wollen wir die besondern Gattungen der bey uns üblichen Gedichte vor die Hand nehmen. Fußnoten 1 Quintilian schreibt: POEMA NEMO DUBITAUERIT IMPERITO QUODAM INITIO FUSUM, & AURIUM MENSURA & SIMILITER DECURRENTIUM SPATIORUM OBSERUATIONE ESSE GENERATUM; MOX IN EO REPERTOS PEDES: das ist: Ohne Zweifel ist die Poesie aus einem unstudirten Triebe von ohngefähr entstanden und durch die Aufmerksamkeit der Ohren auf die gleich fortlaufenden Zeilen und Worte erzeuget worden; bis bald darauf auch die Füsse erfunden sind. 2 NUMERUS IN CONTINUATIONE NULLUS EST, DISTINCTIO & AEQUALIUM & SAEPE VARIORUM INTERUALLORUM PERCUSSIO, NUMERUM CONFICIT, QUEM IN CADENTIBUS GUTTIS, QUOD INTERUALLIS DISTINGUUNTUR, NOTARE POSSUMUS, IN AMNI PRAECIPITANTE NON POSSUMUS. 3 NEC VERO EXISTIMANDUM, EX QUO BARBARUS ISTE SONUS INUALUIT, VNO SALTEM HOC VITIO FOEDATAM FUISSE POETICAM: ALIUD QUIPPE ETIAM LONGE MAIORIS MOMENTI MALUM ARTEM HANC INUASIT: QUOD NEMPE SUBLATO RHYTHMO & CAR MINUM MENSURA, SIMUL QUOQUE SUBLATUS FUERIT CARMINUM CANTUS. SI LATINOS EXCEPERIS VERSUS, FACTOS AD IMITATIONEM VETERUM, NULLA IN HOC NOSTRO SAECULO IN TOTA EUROPA SCRIBANTUR POEMATA, QUAE NERUIS & CANTUI COMMODE PESSINT APTARI. 4 Denn nachdem et von dem Wohlklange überhaupt erst gesagt: ILLUD AUTEM NE QUIS ADMIRETUR, QUONAM MODO HAEC VULGUS IMPERITORUM IN AUDIENDO NOTET: CUM IN OMNI GENERE; TUM IN HOC IPSO, MAGNA QUAEDAM EST VIS INCREDIBILISQUE NATURAE. So setzt er nach einer allgemeinen Anmerkung von den Urtheilen, die nach dem Geschmacke allein gefället werden, hinzu: ITAQUE NON SOLUM VERBIS ARTE POSITIS MOUENTUR OMNES, VERUM ETIAM NUMERIS AC VOCIBUS. QUOTUS ENIM QUISQUE EST, QUI TENEAT ARTEM NUMERORUM AC MODORUM? AT IN HIS, SI PAULUM MODO OFFENSUM EST, VT AUT CONTRACTIONE BREUIUS FIERET, AUT PRODUCTIONE LONGIUS, THEATRA TOTA RECLAMANT. 5 Siehe die Vorrede zu Josua Malers DICTION. GERMAN. LATIN. wo er also schreibt: NOS AD LATINORUM GRAECORUMQUE IMITATIO NEM NUMEROSA MEDITARI CARMINA COEPIMUS, ID QUOD IN HEXAMETRIS HEROICIS PARUM FELICITER PROCEDIT. IN PHALEUCIS VERO MELIUS. 6 OEUVRES MELÉES DE LA POESIE. 7 CHARACTERISTIKS OF MEN, MANNERS AND TIMES. Anderer Besonderer Theil Das 1. Capitel Das I. Capitel. Von Oden, oder Liedern. 1. §. Wir folgen der Ordnung der Natur. Oben ist erwiesen worden, daß die Musik zur Erfindung der Poesie den ersten Anlaß gegeben. Die ersten Dichter haben lauter musikalische Verse gemacht; und dieselben den Leuten vorgesungen. Die Alten haben ihre Gesetze gesungen; und Aristoteles meynet gar, daß dieselben darum νομοι genennt worden, weil die Strophen der Lieder so hießen, darinn sie vor Alters abgesungen worden. Die Geschichte und Thaten der Helden wurden auch schon vor Erfindung der Schriften in Liedern aufbehalten. Alles was vor dem Cadmus von Milet und dem Pherecydes von Scyros in Griechenland gemacht worden, das waren Lieder, und Gesänge. Auch in der Odyssee finden wir, daß Phemius den Liebhabern der Penelope ein Lied von der schweren Rückfahrt der Helden vor Troja singet. Agamemnon hat seiner Gemahlinn einen Sänger zu Hause gelassen, sie in seiner Abwesenheit zu belustigen und zu erbauen. Menelas giebt im IV. B. ein Fest, wobey man singet und tanzet. Im VIII B. singt Demodokus bey den Pheaciern, von der Liebe des Mars und der Venus. Im XII. singen die Sirenen. Im XXI. sang Phemius, von den Liebhabern der Penelope gezwungen, abermal. Anderer Tisch- und Trinklieder zu geschweigen, davon DE LA NAUZE in den MEMOIRES DE L'ACAD. DES BELLES LETTRES. TOM. XIII p. 501. u.f. nachzusehen ist. Die Lieder sind also die älteste Gattung der Gedichte, und wir können mit gutem Grunde von denselben den Anfang machen. 2. §. Weil ein Lied muß gesungen werden können, so gehört eine Melodie dazu: und weil der Text und die Musik sich zu einander schicken sollen, so muß sich eins nach dem andern richten. Es versteht sich aber leicht, daß sich zuweilen die Poesie nach der Singweise; zuweilen aber die Singweise nach der Poesie bequemen wird, nachdem entweder jenes oder dieses am ersten fertig gewesen ist. Zwar die alten Poeten, weil sie zugleich auch Sänger waren, und weder in einem noch in dem andern Stücke gar zu viel Regeln wußten, mögen wohl zuweilen aus dem Stegreife ganz neue Lieder gesungen haben, davon vorher weder die Melodie, noch der Text bekannt gewesen. Sie nahmen es weder in der Länge der Zeilen, noch in dem Sylbenmaaße so genau; und konnten auch leicht so viel Töne dazu finden, daß es einem Gesange ähnlich wurde. Ich habe selbst einen alten Meistersänger, der ein Sänger und Poet zugleich seyn wollte, in großen Gesellschaften, zur Lust, auf jeden insbesondere, ein ganz neues Lied singen hören. Er dichtete und componirte also aus dem Stegreife; wie man theils aus den Knittelversen, theils aus der Melodie leicht hören konnte. So kann und muß man sich denn auch die ältesten Poeten einbilden. Ihre Texte waren so ungebunden, als ihre Melodien; und wenn wir in Kirchen den Lobgesang Mariä, die Litaney, oder das Lied Simeons singen; so können wir uns leicht vorstellen, wie solches mag geklungen haben. 3. §. Doch von diesen ersten Liedern ist hier nicht mehr die Frage. Man hat sie allmählich regelmäßiger zu machen angefangen, und theils die Texte, theils die Melodien gebessert. Man erfand gewisse Gesangweisen, die sehr schön ins Gehör fielen, und bemühte sich, dieselben nicht wieder zu vergessen. Der Text ward darnach eingerichtet; und das war ein Lied von einer Strophe. Wollte der Poet noch mehr Einfälle und Gedanken ausdrücken, so hub er seine Melodie von vorne wieder an: und weil seine Verse sich auch darnach richten mußten, so entstund abermal eine Strophe, die der ersten ungefähr ähnlich war. Und damit fuhr man so lange fort, bis das Lied lang genug schien, oder bis der Dichter nichts mehr zu sagen hatte. Anakreon scheint indessen von Strophen oder abgetheilten Versen seiner Oden nichts gewußt zu haben. Alle seine Liederchen gehen in einem fort, bis sie zum Ende sind, und man könnte sie also nach unsrer Art eher Arien, als Oden nennen. Z.E. Die IV. Anakreontische Ode. Auf sich selbst. Auf den jungen Myrtenzweigen, Auf den zarten Lotosblättern, Will ich liegen und eins trinken. Amor soll mit nackter Schulter, Und halb aufgeschlagnem Kleide, Mich aufs artigste bedienen. Denn kein flüchtig Rad am Wagen Läuft so schnell als unser Leben: Und da bleibt von unsern Beinen Nur ein wenig Staub im Grabe. Drum was hilfts den Grabstein salben, Und den schnöden Wust der Grüfte? Salbt mich selber, weil ich lebe, Krönet mich mit frischen Rosen; Ruft mir her die schönste Freundinn! Amor! eh ich von hier scheide, Und dort bey den Todten tanze, Will ich Gram und Leid verbannen. 4. §. Die ersten Melodien werden meines Erachtens nur auf eine Zeile gelanget haben, und in der andern hat man sie schon wiederholen müssen. Hernach hat man sie etwa auf zween Verse verlängert; und dabey werden sonderlich unsere Vorfahren, die eine gereimte Poesie liebten, geblieben seyn; weil wir sonst keine Spuren von abgetheilten Strophen bey ihnen finden. Zwo Zeilen machten also einen Vers, darauf sie eine Melodie hatten; alsdann hüben sie dieselbe von neuem wieder an. Die Griechen, ob sie gleich anfänglich auch nicht künstlicher gewesen, wurden doch allmählich bessere Sänger und Spielleute, und erfunden also bessere Melodien, die sich auf vier, fünf, sechs, auch nach Gelegenheit, auf mehr Zeilen erstreckten: wie man aus ihren Poeten sieht. Dadurch wurden auch die poetischen Strophen länger, die sie denn unter sich einander gleich machten; weil man am Ende der einen, die Melodie wieder vom Anfange anheben mußte. Das Wort σροφη zeigt solches zur Gnüge, weil es von σρεφειν oder vom Umkehren seinen Ursprung hat, und also eine Wiederkehr bedeutet. Wenn man es also einen Vers heißt, so ist es eben so viel; weil VERSUS von VERTERE hergeleitet wird. Ich weis wohl, daß man andere Erklärungen von diesem lateinischen Worte giebt: Z.E. Weil man oft was ändern, verkehren oder versetzen müßte, wenn man Verse macht, oder weil man den Griffel, womit die Alten schrieben, oft umkehren müssen, um in den Wachstafeln, darauf man schrieb, etwas auszulöschen: SAEPE STILUM VERTAS ETC. Allein das sind Wortspiele. Besser ist es noch, wenn man sagt, das Umkehren im Schreiben am Ende einer Zeile, habe diesen lateinischen Namen zuwege gebracht: denn wir finden bey den Alten, daß sich auch die Zeilen prosaischer Schriften Verse genennet haben. Das läuft aber mit dem obigen auf eins hinaus. Die homerischen Zeilen sind Verse, in diesem Verstande; und sind es auch nach meinem Sinne: weil man alle Zeilen nach einer und derselben Melodie gesungen, und also dieselbe Gesangweise immer von neuem wieder angefangen hat. 5. §. Die Strophen einer Ode, oder wie unsere Alten nach Art der Griechen sagten, die Gesetze derselben, müssen also auch, bey unserer heutigen künstlichen Musik, eine gewisse Länge und Anzahl der Zeilen beybehalten; wenn sie sich auf eine gewisse Melodie sollen singen lassen. So habens die Griechen und Römer gemacht, und so machens auch heute zu Tage alle Nationen. Nur die pindarischen Oden machen hier eine Ausnahme. Die beyden ersten Verse derselben, σροφη und αντισροφη die wir den Satz und Gegensatz nennen, sind zwar einander vollkommen ähnlich, aber die dritte schickt sich nicht mehr dazu. Folglich schließe ich daraus, daß man dazu zweyerley Melodien gesungen habe, eine zu anfangs zweymal, die andere zum Beschlusse nur einmal; welches gewiß so übel nicht klingen kann. Exempel solcher Oden kann man in Opitzen und andern alten Dichtern finden. Seit einiger Zeit sind sie ganz aus der Uebung gekommen, weil sie außer der Musik keinen Nutzen haben. Ich will aber ein eigenes hersetzen. Edler Pindar! deine Lieder Füllen noch den Helikon; Und der kühnen Seiten Ton Schallt noch um den Pindus wieder. Doch wer kann in tiefen Sträuchen, Wo nur Pan um Mitternacht, Bey den wilden Faunen wacht, Deinen hohen Geist erreichen! Flaccus selber muß bekennen; Deinen Spuren nachzugehn, Sey ein freches Unterstehn, Ein verwegnes Stück zu nennen. Traut der Römer seinen Schwingen, Schon so wenig Kräfte zu: O! wer singt denn so, wie du? O! was wird es mir gelingen? So spiel ich denn in stillen Gründen Mein sanft und blödes Haberrohr; Und will mir in der Hirten Chor Nur Epheu um die Schläfe winden. Wenn ich kein Pindar werden kann; So sing und spiel ich wie Sylvan. 6. § Wenn die Oden nicht eben zum Singen gemacht werden, oder auch von zweenen Chören gegen einander, als ein Gespräche gesungen werden sollen, dergleichen in Herrn Gräfens Sammlungen etliche anzutreffen sind: so kann man auch Strophen von zweyerley Art mit einander abwechseln, sie nach zwo verschiedenen Melodien in die Musik setzen, und von zween Chören Musikanten wechselsweise absingen lassen. Amthor hat auf der 187. und 188. Seite seiner Gedichte ein solches Exempel gegeben, und man singt auch an gewissen Orten das Lied; Nun laßt uns den Leib begraben ; auf die Art, daß, nach Endigung einer jeden Strophe, ein Sänger, im Namen des Seligverstorbenen, einen Vers von dem Liede: Gehabt euch wohl, ihr meine Freund ; darzwischen singt. Wie nun dieses sehr angenehm klinget, also wundert michs, daß man nicht mehr solche Wechseloden, wie man sie nennen könnte, so wohl in geistlichen, als in weltlichen Stücken eingeführet hat. Zum wenigsten habe ich meine lange Jubelode, die auf der 85. S. meiner Gedichte steht, in zweyerley Arten der Strophen verfertiget: und wenn selbige also gesunden werden sollte; so müßten zwo Melodien auf die zwo ersten Strophen gesetzt werden. Dieses ist auch bey solchen langen Liedern um desto rathsamer, weil durch die Abwechselungen zwoer Melodien eine größere Mannigfaltigkeit in den Gesang gebracht, und der Ekel also vermieden werden kann, der aus der gar zu oftmaligen Wiederholung einer und derselben Weise, leicht entstehen könnte. 7. §. Die Alten pflegten bey dem Ende jeder Strophe den völligen Verstand nicht allemal zu schließen, wie man aus Horazens Oden sehen kann. Bey uns aber hat mans mit gutem Grunde eingeführt, und es klingt gewiß noch einmal so gut, als wenn man das Ende eines angefangenen Satzes erst in der folgenden Strophe suchen müßte. Ja man bemüht sich, auch den Schluß jedes Verses allezeit nachdrücklich und sinnreich zu machen. Nicht eben, als wenn allemal eine epigrammatische Spitzfündigkeit darinn stecken müßte: sondern darum, daß die letzte Zeile nicht kalt und matt abfalle, und also das vorhergehende Feuer gleichsam dämpfe. Eben deswegen klingt es am Schlusse der Strophen sehr selten gut, wenn die letzte Zeile für sich einen Satz macht, der mit der vorhergehenden, wenigen, oder gar keinen Zusammenhang hat. Es ist allezeit besser, wenn die letzten zwo oder drey Zeilen hübsch in einem hinter einander fortrollen, daß man im Lesen nicht eher stille halten oder aufhören kann, als am Ende der ganzen Strophe. Z.E. Wenn Canitz in der Ode auf seine Doris singet: Soll ich meine Doris missen? Hat sie mir der Tod entrissen? Oder bringt die Phantasey Mir vielleicht ein Schrecken bey? Lebt sie? Nein, sie ist verschwunden! Meine Doris deckt ein Grab. Reiß, Verhängniß! meinen Stunden Ungesäumt den Faden ab. So sieht man wohl, daß der Schluß deswegen so schön klappt, weil die zwo letzten Zeilen in einem Stücke fortlaufen. Doch muß man hiervon eine Ausnahme machen: denn zuweilen erlaubet ein heftiger Affect auch einen kurzen und abgebrochenen Spruch am Ende. Als z.E. Ein Jüngling, dessen hoher Geist Aus Augen, Mund und Wesen lachte, Der oft das Alter stutzig machte, Das sonst der Jugend Lehrer heißt: Der unsrer Welt zu Nutz gebohren, Der Seinen Zier und Freude war, Betritt die schwarze Todtenbaar: Gewiß, das heißt zu viel verlohren! Amthor. 8. §. Was sonst die andern Schlußpuncte in der Mitte einer Strophe anlangt, so muß man darinn einen besondern Wohlklang beobachten. In den beyden angeführten Exempeln achtzeiligter Strophen mußte nothwendig an der vierten Zeile ein Punct stehen; und es würde sehr übel geklungen haben, wenn man den Sinn bis auf die fünfte Zeile gezogen hätte. Wäre aber die Verschränkung der Reime dergestalt gewesen, als in folgender Strophe von sechs Zeilen: Auf! ihr klugen Pierinnen, Lasset uns ein Lied beginnen, Einem Helden, der euch liebt; Der bey seinen schönen Flüssen, Welche sich hierum ergießen, Uns auch eine Stelle giebt. Opitz. So hätte nach der dritten Zeile der Verstand vollkommen seyn müssen, und so auch in andern Arten allezeit anders. Wie nun die Abtheilung in einer Strophe gewesen, so muß sie in allen andern seyn: damit sich die Gesangweise der ersten auch darauf schicke; und mit einer Hälfte der Melodie, auch der ganze, oder halbe Verstand schließe. Diese Regel ist von unsern ältesten Poeten nicht durchgehends beobachtet worden. Opitz, Flemming, Dach, Gryph u.a.m. schließen den Verstand in den Strophen ihrer Oden zwar oftmals recht; aber auch vielmals unrecht. Neukirch hat dieses fast zuerst wahrgenommen, und in diesem Stücke einen bessern Wohlklang eingeführt; welchem denn Günther glücklich gefolget ist. Man sehe in den Hoffmannsw. Gedichten die Exempel des ersten nach, und nehme auch von Neuern die Oden der D.G. dazu. 9. §. Die Zeilen in den Oden dörfen nicht alle von einer Länge seyn. Man kann allerley Vermischungen von drey, vier, fünf, ja sechsfüßigen Versen in der ersten Strophe machen, und darf nur das Gehör zu Rathe ziehen, ob sie wohl klingen. Daraus entstehen nun unzählige Gattungen der Oden, die doch dem Sylbenmaaße nach, nur entweder jambisch oder trochäisch sind. Z.E. Opitz hat folgende Art: Ihr schwarzen Augen ihr, und du, o schwarzes Haar Der frischen Flavien, die vor mein Herze war, Auf die ich pflag zu richten, Mehr als ein Weiser soll, Mein Schreiben, Thun und Dichten, Gehabt euch ewig wohl! Doch ich müßte etliche Schocke hersetzen, wenn ich nur die besten wählen wollte. In Weidners Uebersetzung von Horazens Oden, kann man unzählige Gattungen finden, und sich die besten davon wählen. Ja auch im hübnerischen Handbuche kann man sich zur Noth eine Menge möglicher Veränderungen von trochäischen und jambischen Strophen bekannt machen. In meinen Gedichten wird man gleichfalls an den größern Heldenoden auf den Kaiser, den hochseligen König in Pohlen, auf des itzigen Königs Maj. imgleichen auf den Prinzen Eugen, und auf das Jubelfest, eben dergleichen Arten antreffen. Doch könnten auch nach dem Muster der Griechen und Lateiner, sapphische, phaläcische, alkaische und chorijambische Oden, gemacht und gesungen werden; wie ich in dem letzten Capitel des I. Theils dieser Dichtkunst gewiesen habe. 10. §. Die Materien, die in Oden vorkommen können, sind fast unzählich, obgleich im Anfange die Lieder nur zum Ausdrucke der Affecten gebraucht worden sind. Dieser ersten Erfindung zufolge, würde man also nur traurige, lustige und verliebte Lieder machen müssen. Aber nach der Zeit hat man sich daran nicht gebunden; sondern kein Bedenken getragen, alle mögliche Arten von Gedanken in Oden zu setzen. Zwar Horazens Regel nach, würden nur wenige Classen darinnen vorkommen. MUSA DEDIT FIDIBUS DIUOS, PUEROSQUE DEORUM, ET PUGILEM VICTOREM, ET EQUUM CERTAMINE PRIMUM, ET IUUENUM CURAS, ET LIBERA VINA REFERRE. Aber seine Exempel zeigen, daß er es dabey nicht hat bewenden lassen; indem er wohl so gar Briefe in Form der Oden geschrieben, ja Satiren, Gespräche und Lehrgedichte darinn abgefaßt, Fabeln erzählt, sich selbst in einen Schwan verwandelt, und unzählige andere Erfindungen darinnen angebracht hat. Bey unsern alten Poeten wird man alle diese Arten auch antreffen, wie die Exempel am Ende dieses Capitels zeigen werden. Doch wenn man die Natur der Sachen ansieht, so ist es wohl am besten, wenn man sich von der ersten Erfindung so wenig entfernt als möglich ist, und das Lob der Helden und Sieger, den Wein und die Liebe darinn herrschen läßt. Doch begreift ein jeder, daß man das Lob, sowohl bey freudigen als traurigen Begebenheiten; und die Liebe, sowohl bey eigener als fremder Leidenschaft, d.i. bey Hochzeiten besingen könne. 11. §. Daraus ist nun leicht abzunehmen, in was für einer Schreibart die Ode abgefaßt werden müsse. Nach ihren verschiedenen Gattungen muß sich dieselbe auch ändern. Die Loboden müssen in der pathetischen und feurigen, die lehrreichen in der scharfsinnigen, die lustigen und traurigen, theils in der natürlichen, theils beweglichen Schreibart gemacht werden. Die Ursache sieht man leicht. In der ersten Art beherrscht die Bewunderung und Erstaunung den Poeten, die ihm alle Vorwürfe vergrößert, lauter neue Bilder, Gedanken und Ausdrückungen zeuget; lauter edle Gleichnisse, reiche Beschreibungen, lebhafte Entzückungen wirket; kurz, alle Schönheiten zusammen häufet, die eine erhitzte Einbildungskraft hervorbringen kann. Und dieses ist denn die so genannte Begeisterung, das berühmte Göttliche, so in den Oden stecken soll, weswegen Pindar so bewundert worden. Um nun von diesem so beruffenen pindarischen Wesen, unsern Deutschen einen Begriff zu machen, will ich eine obgleich prosaische Uebersetzung, aus dem Pindar hersetzen; und also vielen falschen Begriffen vorbeugen, die sich einige davon machen. Es ist die IV. olympische, die er auf den Psaumis den Camariner gemacht, als er den Sieg im Wettlaufe mit den Wagen davon getragen hatte. Sie lautet so: Höchster Gott! der du vom obersten Himmel her, deine Donner gleich unermüdeten Rossen in den Lüften fliegen lässest; die Stunden, diese dir unterthänigen Göttinnen, deren Pflicht es ist, die Jahreszeiten nach und nach herbeyzuführen, und die heute die prächtigen pisanischen Schauspiele erneuert haben, die dir geweihet sind, schicken mich mit der Leyer in der Hand zu dir, großer Jupiter, daß ich mit Liedern, die sich in ihre Töne mischen, die Pracht dieser Spiele, und den Ruhm eines Freundes besingen soll, der im Wettlaufe mit den Rossen den Preis davon getragen hat. Es ist billig, und die Tugend selbst heischt es von uns, bey dem Glücke unsrer Freunde, unser Vergnügen zu bezeugen. Nimm also, du Sohn Saturns, der du auf dem Aetna, dem Schauplatze deiner Siege über den Stolz des hundertköpfigten Typhons triumphirest, den du mit deinem Blitze zerschmettert hast, und der unter der Last dieses berühmten Berges seufzet; nimm diesen Gesang, der dir zum Dankopfer gebracht wird, gnädig an, indem er den Verdiensten einen ewigen Glanz ertheilen soll. Er kömmt schon, auf dem sieghaften Wagen, Psaumis kömmt, den du selbst begnadiget hast. Dieser mit pisanischen Oelzweigen gekrönte Ueberwinder, eilet schon durch seine Gegenwart, seinem Vaterlande einen neuen Glanz zu verschaffen. Großer Gott, sey allen seinen übrigen Wünschen eben so geneigt: denn ich lobe ihn mit Rechte; da er zwar mit allen Tugenden geziert, doch sonderlich durch die edle Neigung berühmt ist, muthige Hengste zu erziehen, zu erhalten und abzurichten; da er freygebig und gastfrey im höchsten Grade ist, und eine aufrichtige Liebe zur Stille und Ruhe seines Vaterlandes besitzt; die ihm von den reinen und weisen Gebothen einer glücklichen Auferziehung eingeflößet worden. Ich sage nichts, als was wahr und bekannt ist. Weg! aus den Lobsprüchen des Psaumis, mit allem, was der Lügen gleicht: nur durch gewisse und wiederhohlte Thaten, nur durch die Proben selbst, muß man von den Sterblichen urtheilen. Die Proben verwandelten vormals die Verachtung und die Spottreden der Weiber zu Lemnos, über die weißen Haare des Clymenus, in lauter Verwunderung. Als Sieger auf der Rennbahn, wo man in voller Rüstung läuft, sprach er zur Hypsipyle, indem er sich näherte, die Krone von ihrer Hand zu nehmen: du siehst wohl, wie stark ich im Laufen bin; die Kraft meines Arms und meine Herzhaftigkeit gleichen der Behendigkeit meiner Schenkel. Urtheile nicht mehr nach der Farbe weißer Haare, die oft den jüngsten und stärksten vor der Zeit wachsen. 12. §. Hier sieht man nun die pindarische Art zu denken, die von den Alten für so unnachahmlich gehalten worden. Sie beschäfftiget sich freylich mit lauter erhabenen Sachen, mit dem Jupiter und seinem Feste; mit dem Siege, den er über die Riesen erfochten; mit der Strafe Typhons, unter dem Berge Aetna; mit der Geschicklichkeit des Siegers, in Erziehung und Abrichtung der Pferde; mit den übrigen Tugenden desselben, die der Poet billiger Weise höher schätzet, als den Sieg selbst; den er mehr für eine Gabe Gottes, als für ein Werk des Siegers ausgiebt. Man sieht hier ferner die Ehrlichkeit des Dichters, da er nichts loben will, als was die Wahrheit bezeuget, und was durch Proben erweislich ist. Dieses erläutert er zum Beschlusse mit einem Beyspiele aus den Geschichten. Nun bleibt er zwar die Anwendung schuldig: allein, vielleicht ist dieselbe damals leichter zu machen gewesen, als wir denken; und es kann wohl seyn, daß auch dieser Ueberwinder vor seinem Siege, nicht für voll angesehen worden. Hat der Poet nun dieses auf eine klügliche Art zu verstehen gegeben, ohne es ausdrücklich zu sagen: so sieht man auch seine Geschicklichkeit im loben, die allen Lobdichtern anzupreisen ist. Ueberhaupt könnte man aus diesem Muster viele Regeln der Lobgedichte herleiten. Ich will nur der folgenden erwähnen. I. Lobe an deinem Helden keine Dinge, dafür er selbst nichts kann: zum Exempel, sein Geschlechte, sein Vaterland, seine Leibesgestalt, seine Jugend etc. von allen diesen Stücken sagt Pindarus nichts. II. Schäme dich nicht, das Gute, das deinem Helden wiederfährt, Gott selber zuzuschreiben: dieses thut Pindarus; ohngeachtet sein Sieger auch viel Theil an dem erkämpften Preise hatte, III. Lobe an deinen Helden das, was ganz auf sie ankömmt, nämlich die Tugenden, die ein Werk des menschlichen Willens sind. IV. Halte dich bey keiner Beschreibung von Kleinigkeiten auf; z.E. von Pferden, von Wagen, und andern solchen Lapalien, darauf kleine Geister so leicht verfallen, die aber Pindar gar übergeht. V. Male deinen Helden nicht als eine Geburt deiner Einbildungskraft, sondern lobe nur das an ihm, dessen Wahrheit, durch augenscheinliche Proben bewiesen werden kann etc. Wer so lobt, den will ich einen pindarischen Dichter nennen. 13. §. Nun weis ich zwar, daß man zu den pindarischen Oden, eine sehr kühne und erhabene Schreibart zu rechnen pflegt; die einige nicht besser zu erreichen wissen, als wenn sie recht dunkel, abgebrochen, und verstümmelt deutsch schreiben. Allein, was die kühnen Bilder und Redensarten betrifft, so werden wir dieselben in folgenden Oden unsrer deutschen Poeten ziemlich pindarisch antreffen, und wer es noch höher darinn treiben wollte, der würde gewiß zu weit gehen. Was aber das Verstümmeln der Sprache betrifft, so ist es leicht zu begreifen: daß Pindarus durch grammatische Schnitzer nicht zum Gegenstande der Bewunderung geworden, sondern durch edle Gedanken; die aber auch bey der Richtigkeit der Sprachregeln bestehen können. Haben wir nun noch keinen ganzen Pindar in Deutschland gehabt, so kann doch so gar viel eben nicht gefehlt haben. Wenigstens haben Flemming, Gryph, und Amthor kein übles Geschicke dazu gehabt. Unser Günther hat wohl in dieser Art von Oden ein Meisterstück auf den Prinzen Eugen gemacht: wenn er sich nur nicht so tief herunter gelassen hätte, als er vorhin hoch gestiegen war; da er auch Nachbars Hanns in einer Dorfschenke, zum Vorwurfe seiner Gedanken genommen. Im Französischen ist Rousseau glücklich darinn, wie auch aus der Ode auf die Weltbezwinger, die Amthor übersetzt hat, schon zu sehen ist. Des LA GRANGE drey philippische Oden, auf den verstorbenen Regenten in Frankreich, sind zwar in einem ganz widrigen Affecte geschrieben; aber eben so feurig, und so zu reden rasend, als eine von den obigen. Und das ist kein Wunder. Er hat es vermuthlich in seinem Schimpfen und Schelten ernstlicher gemeynet, als andere, die im Loben aus dem Schmeicheln ein Handwerk machen. In geistlichen Oden ist Simon Dach dieser Schreibart sehr mächtig gewesen, und insonderheit ist das Lied: Ich bin ja, Herr, in deiner Macht; für ein vollkommenes Meisterstück anzusehen. Auch Andreas Gryphius, hat in seiner langen Ode auf den Kirchhof, mehr als eine Probe der pathetischen Schreibart gegeben, die sehr zu loben ist. Zur Probe will ich ein paar Strophen hersetzen: Wie wird mir? Wackelt nicht der Grund, Auf dem ich steh? rauscht ihr, o Linden? Wie reißt die Erd auf ihren Schlund, Und läßt die Wurzel sich entbinden? Hör ich das Rasseln dürrer Bein? Hör ich ein heischer menschlich Brausen? Hör ich der Suden holes Sausen? Wältzt ihr euch ab, ihr schweren Stein? etc. Hilf Gott! die Särger springen auf! Ich schau die Körper sich bewegen. Der längst erblaßten Völker Hauf Beginnt der Glieder Rest zu regen. Ich finde plötzlich mich umringt Mit durch den Tod entwehrten Heeren! O Schauspiel! das mir heiße Zähren, Aus den erstarrten Augen dringt! 14. §. Die lustigen Lieder, die beym Trunke oder sonst zum Scherze statt finden, müssen so wohl als die traurigen, zärtlichen und beweglichen in der natürlichen Schreibart gemacht werden, die nicht mehr so edel, feurig und verwegen klinget; sondern mit wenigern Zierrathen zufrieden ist. Doch kömmt es auch hier auf den Dichter an, ob er gleichsam in einem halben Rausche, kühne Gedanken und Ausdrücke wagen will, wie Pietsch in einem Trinkliede gethan hat, welches im VII. B. der Beyträge steht. Zum Exempel der Lustigen kann Günthers Tabakslied dienen, nebst verschiedenen, die in Flemmings und Opitzens Gedichten vorkommen. Z.E. im ersten Buche der poet. W. des letztern, steht eine an Nüßlern, und da kömmt folgende Strophe vor: Hola! gebt mir ein Glas Wein, Wasser hab ich nicht vonnöthen: Nun, es gilt dir, Bruder mein! Auf Gesundheit des Poeten, Welcher künftig mich und dich Weit soll lassen hinter sich. In dieser Schreibart läßt sich auch bey Hochzeiten und andern frölichen Veranlassungen, bequem ein Gedichte verfertigen. Von zärtlichen oder traurigen Liedern habe ich schon oben Canitzens Klagode gelobt, und itzo will ich noch Bessers Ode auf denselben Todesfall, und als er vierzig Jahre alt war, hinzusetzen. In geistlichen Gesängen müssen die Bußlieder und andre, wo ein trauriges Wesen herrschet, so abgefasset werden, wie Dach, Rist, Gerhard und Franke; von neuern aber Neumann und Rambach uns die Muster gewiesen haben. 15. §. Endlich die sinnreiche Schreibart kann in moralischen Oden statt finden, ja auch in allen andern Oden, wo wir anfangen, ernsthafte Betrachtungen anzustellen. Günthers Ode auf Graf Sporken, imgleichen Andr. Gryphii über den Gottesacker, und viele in Amthors Gedichten sind hierinn unvergleichlich. In Canitzens geistlichen Gedichten sind auch einige treffliche Muster davon. In dem Liede: Herr, ich denk an jene Zeit; hat Mylius ein Meisterstück einer sinnreichen Betrachtung der Sterblichkeit gewiesen; dergleichen auch Simon Dach vom Tode und von der Ewigkeit sehr viele verfertiget hat. Will man mehr neue und wohlgerathene geistliche Lieder beysammen finden: so nehme man M. Gottschaldts Universalgesangbuch zur Hand. Verlangt man aber von weltlichen moralischen, lustigen und galanten Oden, zu erlaubter Ergetzung, etwas beysammen zu haben: so schaffe man sich diejenige Sammlung an, die Herr Gräfe neulich im großen Formate, mit neugesetzten sehr schönen Melodien, in drey bis vier Theilen in Halle, ans Licht gestellet hat. 16. §. Aus allen den angeführten Oden aber wird man wahrnehmen, daß darinn durchgehends eine größere Lebhaftigkeit und Munterkeit, als in andern Gedichten, herrschet. Dieses unterscheidet denn die Ode von der gemeinen Schreibart. Sie machet nicht viel Umschweife mit Verbindungswörtern oder andern weitläuftigen Formeln. Sie fängt jede Strophe, so zu reden mit einem Sprunge an. Sie wagt neue Ausdrückungen und Redensarten; sie versetzt in ihrer Hitze zuweilen die Ordnung der Wörter: kurz, alles schmeckt nach einer Begeisterung der Musen. Wer ausführlichere Regeln, und gute Exempel davon sehen will der darf nur die Oden der deutschen Gesellschaft nachschlagen, wo er von allen Gattungen einige antreffen wird. Nur ist noch zu merken, daß man in Oden keine gar zu genaue Ordnung der Zeiten und Oerter beobachten müsse. Dieses sieht einer Geschichte zu ähnlich, und macht eine Ode zu matt. Auch hüte man sich darinnen vor gar zu trocknen Vernunftschlüssen, die einem Weltweisen besser anstehen, als einem Dichter; der gleichsam Orakelsprüche vorbringt, die er nicht beweisen darf, weil sie aus einer höhern Eingebung kommen. Daher kleiden alle die Bindewörter, denn, weil, darum, daher, hernach, u.d.gl. eine Ode sehr schlecht; und man pflegt zu sagen, daß eine schöne Unordnung in der Ode die Probe der höchsten Kunst sey. Boileau schreibt: CHEZ ELLE UN BEAU DESORDRE EST UN EFFET DE L'ART. 17. §. Anstatt der Exempel, die ich in den vorigen Ausgaben von meiner eigenen Arbeit gegeben habe, setze ich itzo lauter Meisterstücke unsrer alten Dichter, Opitzens, Flemmings, Dachs, Tschernings und Neukirchs her. Ich halte dieselben nicht nur allesammt für stärker in dem edlen Feuer, das zu einer Ode gehört, als alles, was wir heute zu Tage schreiben; sondern hoffe auch, daß ich durch die gesunde Hitze dieser Muster, unsre angehende Dichter auf die rechte Spur helfen, und sie von dem finstern Geschmacke gewisser heutigen Verführer abziehen werde, die alles, was nicht von Sprachschnitzern wimmelt, für Wiegenlieder ausgeben wollen. Nun gestehe ichs zwar, daß in der Reinigkeit der Verse, unsre Alten nicht ganz unverbesserlich sind. Allein wer die Regeln unsrer heutigen Prosodie, und die reine Wortfügung der besten Dichter kennet, der wird sich schon in acht zu nehmen wissen, daß er mit dem Guten der Alten nicht auch das Tadelhafte nachahme. Zum Beschlusse will ich noch erinnern, daß derjenige, der Oden zum Singen verfertigen will, folgende Regel beobachten muß, um dem Componisten die Arbeit nicht zu verderben, und zu machen, daß alle Strophen sich gleich gut singen lassen. Diejenigen Oden klingen noch einmal so schön, die am Ende mit einem männlichen Reime schließen, als die andern, die sich weiblich endigen. Und, da ich es auch an denen, die ich in der gräfischen Sammlung finde, bemerke, daß diejenigen sich in der Musik viel besser hören lassen, die mit einer langen Sylbe schließen: so rathe ich es allen denen an, welche Oden zum Singen machen, keinen weiblichen Reim ans Ende zu bringen. Opitz, auf die Reise des Fürsten zu Lignitz, ins hirschberger Bad. O du Quell der Heilsamkeit! Du berühmter Arzt der Glieder! Wir vertrauen dir nun wieder Trost und Hoffnung dieser Zeit. Schau, es giebt itzt unser Land Dir sein Haupt in deine Hand. Kommt ihr Nymphen säumet nicht! Kommt entgegen hergegangen, Eilet, freudig zu empfangen, Aller Fürsten Zier und Licht. Ehret seine Göttlichkeit; Weil ihr selber göttlich seyd. Laßt den süßen West hier seyn, Laßt den Zacken reicher fließen, Springt auf! Lilien, Narcissen, Füllet euren Körben ein. Streut den Weg mit Rosen voll, Wo mein Phöbus gehen soll. Riesenberg, erfreue dich! Dein begrüntes Baumgewölbe, Die Gebährerinn der Elbe, Neige vor dem Prinzen sich. Steht zu Diensten allzumal, Wiesen, Felder, Wald, und Thal. Aber du, du werther Held, Den die Schaar der Musen liebet, Dem sie einen Namen giebet, Den nicht Zeit noch Sterben fällt, Denke, was du itzund thust: Nimm zwar Wasser, doch mehr Lust. Hier soll gar kein Kummer seyn; Hier verschiebt man große Sachen. Ruhe, Gnüge, Scherzen, Lachen, Steige frölich mit dir ein. Fürsten sind auch Sorg und Wahn, Wie die Menschen unterthan. Ihr Gemüth empört sich nicht, Wenn das Glücke sie bescheinet; Thut nie kläglich, seufzt und weinet, Wann der Sturm den Mast zerbricht; Bleibet immer unbewegt, Wird nicht anders, als es pflegt. Fleuch zu suchen gar zu weit, Was sich morgen zu wird tragen; Nimm das Beste von den Tagen, Die der Himmel dir verleiht. Unser Wesen hat sein Ziel, Sorge wenig, oder viel. Opitz, auf das herzogliche holsteinische Beylager. Sonne! deren schönstes Licht Nunmehr Eis und Schnee bethauet, Und des Winters Härte bricht; Hast du jemals angeschauet, Daß was edlers vor der Zeit, Seine Freyheit hat verfreyt? Vaterland! bekenne mir, Sage mir von ganzem Herzen, Hoffest du nicht auch von hier Eine Stillung derer Schmerzen, Welche dich bisher gekränkt, Und dir deinen Muth gesenkt? Nun, der Höchste sey gelobt! Aber ihr, ihr wilden Waffen, Wie ergrimmt ihr habt getobt, Dennoch sollt ihr itzt entschlafen. Solche Heirath kann allein Nicht nur eine Heirath seyn. Starke Raute, grüne wohl! Deinen süßen Bitterkeiten Welche nichts bezwingen soll, Weiche dieses Gift der Zeiten; Dieses Gift, das nur zu viel, Herz und Haupt durchdringen will. Grün auch du, du werthes Paar! Das sich nun zusammen giebet. Nymphe! was sonst Hoffnung war, Wird itzt in der That geliebet. Held, des Landes Licht und Schein, Will dein Licht alleine seyn. Diese neue Galathee Wird dir Leut und Land erquicken, Wird dir deine Cimbersse, Mit den Stralen überblicken; Mit den Stralen, deren Zier, Wie Diana, glänzt herfür. Sey getrost, o Vaterland! O du himmlisches Gewölbe! Seegne dieses Friedenspfand, Lauf, und eile doch, du Elbe; Zeig es deinem Holstein an, Daß es auch sich freuen kann. Singet frölich, Wild und Wald, Singe, was sich regt auf Erden; Kind und Aeltern. Jung und Alt, Singet: Es wird besser werden! Singt: Der Lenz verjüngt das Feld, Und der Rautenstrauch die Welt. Opitz, auf das Mettichische und Dohnaische Beylager. Erato, mir werden itzt Wie vor diesem, meine Sinnen Zwar nicht mehr von dir erhitzt; Hippokrene will nicht rinnen: Und das Fest der Schönen Braut Wird ohn Hochzeitlied geschaut. Doch, was nützet mein Gesang? Weil das große Rund der Erden Seine Stimm und Freudenklang Läßt ein Brautgerichte werden; Weil ihr Lied sich hören läßt, Bis durch Nord, Süd, Ost und West. Feld und Wiesen sind erfreut, Echo ruffet in den Wäldern. Die gewünschte Frühlingszeit Läßt sich sehn auf allen Feldern, Und der kühle Thau der Luft Netzt der schwangern Erden Kluft. Es erquickt sich und erwarmt, Durch die Kraft der güldnen Sonne, Was die reiche See bearmt. Das Geflügel ist in Wonne; Lobt, so gut es immer mag, Fräulein, deinen Hochzeittag. Die Vermehrerinn der Welt, Venus, springt in leichten Tänzen, Sammt den Nymphen um das Feld; Die, geziert mit grünen Kränzen, Stimmen, jede wie sie kann, Ein erfreutes Brautlied an. Komm, du schönes Abendlicht! Das der Lieb Erfüllung giebet, Nachtstern, komm, und säume nicht! Wer mit rechter Treue liebet, Dem wird länger nur ein Tag, Als ein Jahr sonst währen mag. Edles Nachtlicht, komm! Es kömmt! Luna läßt ihr Silber blinken, Der Gestirne Feuer glimmt, Hymen und Cupido winken; Sie begehren dich herfür, Du, noch itzt der Fräulein Zier. Menschgöttinn! nicht säume dich, Dein halb du, dein Trost auf Erden, Bringt zu dir sich ganz mit sich; Schau, ein Weinstock muß vor werden, An dem Ulmbaum aufgeführt, Eh man reiche Trauben spürt. Nun sie kömmt, die edle Braut! Castors Schwester muß ihr weichen; Rom hat schöners nichts geschaut, Mentors Bild hat nichts dergleichen. Und Apelles hätt erkannt Die Gebrechen seiner Hand. Werthes Paar! vermengt die Brunst, Liebt und gebet, gebt und liebet, Was euch heißt des Himmels Gunst, Die euch zwey zusammen giebet. Der gezierten Braut Gestalt, Sey bald fruchtbar, langsam alt. Opitz, auf eine bürgerliche Hochzeit. Und wer ist dieß Licht der Jugend? Wer doch ist sie, die sich hier Läßt begleiten, von der Tugend Minder nicht, als ihrer Zier? Wie die schöne Röthe zeigt, Die ihr in das Antlitz steigt Ist es nicht dein neues Leben, Die Erquickung deiner Brunst? Welche dir wird übergeben, Von des milden Himmels Gunst; Dessen Spruch kein Witz noch Wahn, Herr Flandrin, verrücken kann. Ja! sie ist es, deine Wonne, Die so lieblich zu dir geht; Als Aurora, vor der Sonne, Aus der bleichen Nacht, entsteht: Bruder! aus der bleichen Nacht, Die dein Kind doch schamroth macht. Schaue, wie sie sich entfärbet! Wie die Mahlerinn, die Zucht, Was kein Bräutigam recht erbet, Auf den vollen Wangen sucht; Der nicht solche Tugend freyt, Als das Glücke dir verleiht. Hier nun siehest du die Schranken, Dieses Ziel, nach welchem dir Stehen muß Herz und Gedanken, Unverwandt und für und für. Hier soll einig und allein Deine Ruh und Sorge seyn. Solche Liebe fällt und weichet, Die nicht angeleget ist: Eine Seele, die dir gleichet, Hast du aber dir erkiest. Die durch Urtheil und Verstand Ihren Sinn auf dich gewandt. Soll sie viel von Liebe sagen? Nein! die Augen reden dir, Die sie nieder hat geschlagen Mit so angenehmer Zier; Und verheißen eine Lust, Die dir mehr, als ihr, bewußt. Schönes Kind! du mußt dich geben. Wo schon Geist und Herze wohnt, Ists nicht Zeit, zu widerstreben; Weiter wird da nicht geschont. Soll nicht zartes Fleisch und Bein Seines Geistes Meister seyn? Diese Blüthe, diese Gaben, Deines schönen Leibes Pracht, Und die sich erwiesen haben, Deines Liebsten Muth und Macht, Die erfordern, was ich wohl Denken mehr, als sagen soll. Ruhet dann, jedoch erweget, Liebes Paar, es sey die Nacht, Eh es morgen sieben schläget, Nicht zum Schnarchen nur gemacht. Zwey, die müssen Wache seyn: Schlafen kann man wohl allein. Opitz, auf den Tod eines Kindes. So, wie ein edler Leue Sich mit gerechter Reue Sehnt nach der jungen Zucht; Die man ihm aufgefangen, Indem er ist gegangen, Und Speise hat gesucht. Sein' Augen stehn voll Thränen, Der Schaum läuft von den Zähnen, Die Mähne steigt empor. Er sucht, er ruft, er brüllet, Daß Lybien erschüllet, Und sich entsetzt davor. So rühren sich die Schmerzen, In deinem Vater Herzen Imgleichen, mein Flandrin! Der Freuden Hoffnung schwindet, Indem man nicht mehr findet, Was nun ist ganz dahin. Ein trauriger Willkommen! Der Tod hat weggenommen Ein großes Theil der Lust; Der Lust, die solchen Sinnen, Wie Aeltern haben können, Nur einig ist bewußt. Wo ist die schöne Weise? Wann, nach des Vaters Reise Ein armes liebes Kind, Kömmt auf dich zugerissen, Und will die Augen küssen, Die seine Pfleger sind? Wo ist das treue Lachen? Der Will, ein Wort zu machen, Das noch gelähmet ist? Das angenehme Zanken, Die Kindheit der Gedanken, Die Obst für Gold erkiest? Der Trost, ihn zu erziehen, So, daß er möchte fliehen, Was Aeltern Kummer macht. Daß seine ganze Jugend, Erlernte Witz und Tugend, Liegt nun in tiefer Nacht. Der Tod hat keine Ohren. Die Hoffnung ist verlohren; Doch auch die Furcht, mit ihr Noch Zeiten zu erleben, Die der, in der wir schweben, An Jammer gienge für. Er wird nicht täglich hören Ein armes Land zerstören, Durchplündern Feld und Stadt; Wird nimmer dörfen fliehen, Und aus dem Hause ziehen, Das er gebauet hat. Er wird nicht dörfen schauen, Der Höfe mißlich Trauen, Den steten Wankelmuth. Nicht sehn, wie beydes Glücke, Dieß Angst hat, jenes Tücke, Und nur ein falsches Gut. Uns allen ist gegeben Zum Lauf ein kurzes Leben; Zum Kummer gar zu lang. Dem ist es ja zu gönnen, Der selig kann entrinnen, Durch einen schnellen Gang. So hört denn auf zu klagen! Ein Kind, das nicht darf tragen, Ihr Aeltern, was uns kränkt, Darf nicht derselben Zähren, Wann Gott euch wird begehren, Die ihr ihm itzo schenkt. Flemming, auf das Weyhnachtsfest, Thaue doch, o Himmel, thaue! Brecht, ihr Wolken, regnet her! Daß man den Gerechten schaue, Dessen nun, nicht ohn Beschwer, Die betrübte Welt so lange Sich versieht, und ihr macht bange. Ja es treufelt; ja es thauet! Der gesunde Regen fällt, Schauet hin, ihr Menschen, schauet! Dort, dort liegt das Heil der Welt. Dieß Kind ist der Thau, der Regen, Der die Erde soll bewegen. Deucht michs? oder ists im Wesen? Wie das Land schon weit und breit, Von der Unart ist genesen, Durch die fromme Feuchtigkeit? Wie so Thal, als Feld und Höhen Schon in schönerm Schmucke gehen? Sey, gewünschte Nacht, gegrüsset! Da der keuschen Jungfer Mund Einen jungen Sohn geküsset, Eh sie ihn recht sehen kunnt. Einen Sohn, den sie mit Rechte Auch wohl Vater heißen möchte. Unser Himmel ist im Stalle; Recht so! Hirte Sybojus, Daß du mit der Pfeifen Schalle Ihm verehrest einen Gruß. Bey der Engel lauten Chören Lässest du dich billig hören. Fleuch, gemalter West, und streue Aus dem Blumenhimmel, Klee; Daß die Luft Narcissen schneye Liljen für den weißen Schnee. Daß das Kind, als in der Wiege, Und in hellen Windeln liege. Ihr, ihr eingestallten Thiere, Haucht ihm warmen Athem zu; Daß es keine Kälte rühre: Stört es nicht aus seiner Ruh. Jungfrau Mutter, denk indessen, Daß du Amme seyst, und wessen? O ihr hochbelobten Krippen! Unsers Heilands Schirm und Rast. Und, o Stall! daß du nicht Lippen Daß du doch nicht Zungen hast! Daß du selber könntest singen Von den wundersamen Dingen. Kleiner Gast, doch auch zugleiche, Großer Wirth der weiten Welt! Gib doch künftig unserm Reiche Daß es sich zufrieden stellt. Daß doch mit dem alten Jahre, Hin, auch alle Plage fahre. Segne künftig unsre Linden, Unsre halbgestorbne Stadt. Daß sich möge wiederfinden, Was der Krieg verderbet hat. Reinige die faulen Lüfte, Die so schwanger seyn von Gifte. Flemmings Dankode nach der Schlacht bey Lützen, in welcher Gustav Adolph blieb. Billig ists, daß wir uns freuen Und mit lautem Jauchzen schreyen: Lob sey Gott und seiner Macht! Der die stolzen Feinde beuget, Und mit seiner Allmacht zeiget, Daß er immer für uns wacht. Zweymal kamen sie gezogen; Zweymal sind sie auch zerflogen, Nicht ohn mächtigen Verlust. Schreyt, ihr Jungen! ruft, ihr Alten! Zweymal hat, das Feld behalten, Gott, und unser Held August. Held August, du kühner Krieger! Du bist der beglückte Sieger, Vor, und in, und nach dem Fall. Auf was Arten, auf was Weisen, Soll man deine Thaten preisen Hier und da, und überall? Held! du kamest her von weiten, Daß du für uns möchtest streiten; Held, du kamest; Held, du strittst; Held, du siegtest auch im Sterben; Held, wie können wir verderben, Weil du itzt noch vor uns trittst? Deine Ruthe, deine Werke, Deine ritterliche Stärke, Rufft aus, was nur ruffen kann. Die bezwungnen Ströme brausen, Die verbundnen Lüfte sausen Was du, Helfer! hast gethan. Edle Fürstinn unsrer Flüsse, Mach dich auf die nassen Füsse, Eile, laufe Nacht und Tag! Meld es mit beredten Wellen, Daß die Ufer wiederschällen, Wie der Feind vor dir erschrak. Die erblasseten Illyrer Wichen mit sammt ihrem Führer Hinter sich, und fielen ihn: Wie vor Jovens Donnerkeilen, Wie vor Herkuls heilgen Seulen, Die man nicht soll überziehn. Schöne Stadt! der fromme Himmel, Der verschuff ein solch Getümmel, Ein solch Schrecken in den Feind Daß der schändlich mußte fliehen, Der dich grimmig auszuziehen Und zu plündern war gemeynt. Seyd nun froh, ihr frommen Bürger! Er ist todt, der wilde Würger! Er ist todt, und ihr seyd frey! Ihr und wir, und alle sagen, Daß sich Gott für uns geschlagen, Daß die Ehre seine sey. Ist schon unser Heiland blieben: Gott hat einen schon verschrieben, Der ihn rächen kann und soll. Ihn, und uns, und alle Frommen: Kömmt er? ja; er ist schon kommen. Gläubige, gehabt euch wohl! Flemming, die Eitelkeit der Neigungen. Hier ist nichts denn finstre Nacht, Blinde Schatten, schwarze Hölen, Wo die eingesperrten Seelen Kaum nicht werden umgebracht. O die dreymal armen Seelen, Die sich also müssen quälen! Wer ist jener den du siehst? Ists nicht der, der nächtlich sorgend, Täglich traurend, allzeit borgend, Arm bey großem Reichthum ist? Wich erbarmt der armen Seelen, Die sich so in ihm muß quälen! Dieser sucht sein höchstes Gut, In der Kost der braunen Trauben; Kriecht mit Rock und mit der Schauben, Thut, was Blut nimmt und den Muth. Es ist leichtlich zu gedenken, Wie die Seele dieß muß kränken. Der, der hier so hoch tritt her, Der ists, den die Ehrendünste, Und die leichten Hofegünste; Machen auf den Schein so schwer. Stünd es nur bey seiner Seelen; Sie würd ihm was bessers wählen. Was ist Plato? Was Porphyr? Kleobulus, Periander, Simonides, Aristander, Und der Große von Stagyr? Heiden sind sie; taub an Ohren, Blind an Augen, große Thoren. Giebt mir nun die Nacht den Tag? Kein Stern kann sich selber malen; Phöbe selbst borgt ihre Stralen, Und verleiht sie, weil sie mag. Sie und ihr Volk muß erblinden, Steigt ihr Bruder von den Inden. Eitel ists, und ohne Frucht, Was ihr Eiteln! ohne Früchte, Von früh an, bis unter Lichte, In den falschen Büchern sucht. Nur daß ihr in Redenkriegen, Hinterlistig ob mögt siegen. Mein Gott! was verträgt man nicht, Frieret, schwitzet, fastet, wachet, Leidet, daß ein andrer lachet, Dem es an Vernunft gebricht; Bis man etwas angewohnet, Das doch endlich wenig lohnet. Soll mir denn ein blasses Blatt So bezaubern Farb und Sinnen? Soll ich Schönheit heißen können, Was viel Runzeln macht, und hat? Und mir durch die Pest der Schriften Lassen Seel und Mark vergiften? Weisheit ist nicht, wie man denkt, Eine Kunst, die bald zu lernen: Weisheit kömmt her aus den Sternen, Sie ists, die der Himmel schenkt: Und in solche Seelen senket, Die sich erst zu ihm gelenket. Vater! der du aller bist, Doch, um so viel mehr der Deinen, Laß dein hohes Licht mir scheinen, Scheide Wahrheit von der List! So wird aller Weisen Wissen, Meiner Einfalt weichen müssen. Flemming, auf eine Hochzeit. Schöne Nacht! gewünschte Schatten! Kommt doch! kommet doch zu statten; Eilt doch, eilet doch anher! Ja ihr eilet; ja ihr kommet! Nun ist hier, was beyden frommet, Nun ist hin, was war Beschwer. Gebt uns Kräuter aus Idumen, Gebt uns junge Safranblumen, Himmelsschlüssel, Rosmarin; Daß wir sie den lieben zweyen, Den geliebten beyden Treuen, Auf das Lager streuen hin. Dieses, dieses sind die Stunden, Da ihr alles habt empfunden, Werthes Paar, was ihr begehrt. Was in sechsmal vierzehn Tagen, Euch gewesen süße Plagen, Hat euch eine Nacht gewährt. Nämlich itzund muß man freyen, Da man alles sich verneuen, Und wie Hochzeitmachen, sieht. Da nun in erwärmter Erden, Alle Sachen rege werden, Wie bey Buhlern auch geschieht. Die verlebte Welt wird jünger, Und streicht mit verliebtem Finger, Ihre Runzeln von der Haut. Seht! seht! wie sie aus den Feldern, Aus den Auen, aus den Wäldern, Mit verbuhlten Augen schaut! Sie schaut nach dem lieben Freyer, Der uns bringt ein neues Heuer, Der sich ihr schon anvertraut, Und in ihre Glieder dringet. Unser Bräutgam wird verjünget, In der Schooß der scnönen Braut. Gleiches Paar! doch nicht an Jahren, Ihr laßt uns auch itzt erfahren, Daß auch ungleich gleiche sey. Doch, wer fraget nach den Jahren? Was sich soll, daß muß sich paaren; Lieb ist hier, wie allzeit, frey. Wenn sich ein Paar Liebe küssen, Und mit halbgemachten Bissen, Mund mit Munde lieblich klingt; Daß die küssenden Corallen, Etwas lassen widerschallen, Das den Sternen ähnlich klingt. Da verlaufen sich die Seelen, In die unerforschten Hölen, Und verwirren sich in sich. In den Zimmetsüßen Kehlen, Da geschiehet das Vermählen, Das uns wundert ewiglich. Zwo vermengte Lüfte machen, Einen Geist, der große Sachen, Doch mit kleinem Halle sagt. Sachen, die nur ihr ersinnet, Und doch keinem sagen könnet, Der euch um dieselben fragt. In demselben lieben Leben, Werdet ihr nichts wissen eben, Stets bey euch, stets von euch weit: Ob ihr schlafend, oder wachend, Ob ihr weinend oder lachend, Oder aus euch selbsten seyd? Die gestirnten Himmelsscheiben, Wollen gleichsam stehen bleiben, Ueber euch und eurer Zier, Tausend, tausend kleine Wächter, Treiben ein sehr laut Gelächter, Euch zu Ehren, für und für. Geht, Verliebte! theilt die Flammen, Der euch itzund giebt zusammen, Fördre eurer Liebe Lauf. Des versuchten Himmels Segen, Wird mit euch sich niederlegen, Schlafen, wachen, stehen auf. Wann der weit gepriesne Garten Keiner Blumen mehr wird warten, Wann das Pomeranzenhaus, Grau, von Frost und Schnee, wird stehen; Dann soll eine Blum aufgehen, Und mit Freuden blühen aus. Dach, auf den Geburtstag des Churfürsten zu Brandenburg, Friedrich Wilhelms. Itzund prangt mein Seytenwerk, Weiße Seide hälts bezogen; Alle Zier in Königsberg Weichet meinem güldnen Bogen. Reicher Schmuck und güldnes Band, Hat umwunden meine Hand. Hört o Spree! und Oder! mich, Hör du Elbe! mich von weiten, Und du Rheinstrom sonderlich, Hör die Anmuth meiner Seyten. Was in Cleve sich eräugt, Werde meinem Spiel geneigt. Wo die Lieb und Zier der Welt, Unser Churfürst und sein Leben, Die mir Fug zu singen geben, Sie, Luise, sich enthält. Daß ich diesen theuren Tag Wie gebührt, begehen mag. Wenn der Morgenröthe Gut, Und der Reichthum aller Erden, Könnte durch des Preegels Fluth, In mein Haus gespület werden; Wär es mir so theuer nicht, Als dieß schöne Tageslicht. Ich bekenn es durch den Wind Meiner Seufzer, durch die Zähren, Welche heiß von Andacht sind, und dem Himmel Dank gewähren: Diesen Tagschein setz ich nach, Dem, der mir die Mutter brach. Schöne Sonne, laß dich aus, Mit der besten Luft im Lenzen; Mal uns blau des Himmels Haus, Laß dein Feuer heiter glänzen; Und schlag um die ganze Welt Deiner Stralen güldnes Zelt. Und so lang du Licht und Pracht, Führst auf deinem güldnen Wagen, Nimm uns diesen Tag in acht; Laß ihn Lust und Anmuth tragen: Daß in ihm durchaus kein Weh Sey, zu Lande, noch zur See. Daß alsdann die Götter sich Häufig auf die Erde finden; Daß sich alles inniglich, Mög in Liebe fest verbinden, Und erwünschte Gnüg und Ruh Sich zu allen Menschen thu. Denn der Churfürst, unser Heil, Ward vor zwey und dreyßig Jahren, Uns, den Seinigen, zu Theil. Was durch ihn uns widerfahren, Was an Heil uns itzt behagt, Ward uns damals zugesagt. Wie, wenn Castors Stern entsteht, Schiffer Herz und Leben fassen; Wie die helle Morgenröth, Uns das Wetter schön will lassen: Also schlug uns diesen Stand, Schon sein Ursprung in die Hand. O des Guten! welches wir Seit Gott ihn geschenkt, empfunden; Was ein jeder kennt an Zier, Was er zählt für gute Stunden; Seine Lust, sein Glückesschein, Giebt uns Gott durch ihn allein. Daß den Bauren um das Feld Ihre Hoffnung nicht kann fehlen, Daß ihr Vieh sich trächtig hält, Daß sie große Heerden zählen, Daß sie frey sind von Beschwer, Schaffen einig Gott und Er. Er, der Länder Schutz und Kron, Ist uns alle Gnüg und Güte; Er erhält den Helikon, Und die Kunst, in ihrer Blüthe. Ihm gebührt der Dank und Preis, Aller Tugend, die man weis. Ach! wer weis, an welchem Ort Wir im Elend möchten schweben! Zwischen Drangsal, Raub, und Mord; Hätt uns Gott nicht ihn gegeben. Was war vor der Zeit Athen, Eh der Held kam von Trözen? Um Corinth her überall, Dorfte sich kein Mensch beweisen; Niemand konnte dazumal, Sicher durch den Isthmus reisen: Theseus setzt in guten Stand, Fast das ganze Griechenland. Sollt ich nun nicht hoch erfreut Diesen werthen Tag begehen? Auf! wer seine gute Zeit Glück und Wohlfahrt kann gestehen; Heb itzt, als im vollen Chor, Herz und Sinn zu Gott empor. Vater! sprech er, welches Land Deiner Gunst soll fähig werden; Das erhält aus deiner Hand Fürsten, die ein Licht der Erden, Die durch Lieb und Unschuld rein, Und nach deinem Herzen seyn. Du ertheilst uns einen Held, Der von Gaben so erlesen, Daß die alte güldne Welt, Sein kaum wäre werth gewesen. Und du hast ihn manches Jahr Auch gesichert vor Gefahr. Nimm dich sein auch ferner an, Laß ihn stark und frölich leben. Was ein Mensch nicht bitten kann Noch verstehn, weist du zu geben. Hilf durch Saamen, wie zuvor Dieses große Haus empor. Bild uns unsre Noth recht ein, Die uns würde sonst betreten; Daß wir flehen insgemein, Dir mit Thränen und Gebethen; Bis du wendest diese Last, Und uns Gott, erhöret hast. Auf die Andacht, wer nur kann Irgends gute Lust erfinden, Nehme sie erfreulich an, Und laß alle Sorgen schwinden: Die durch süssen Freudenwein Ueberwältigt müssen seyn. Preußen wird nicht hinten stehn, Unser Pillau wird vor allen, Die Geschütze lassen gehn, Daß die Nährung soll erschallen; Und die ferne Galathee Soll erschrecken auf der See. Laß, o Churfürst, unsre Ruh! Gnädigst dir, mein Herz belieben. Was ich hier aus Andacht thu, Was ich Gutes je geschrieben; Wann es deine Gnad erhält, So besitz ich alle Welt. Sim. Dach, auf die Lesbia. Lesbia, mein Leben, Hat sich mir ergeben In gewünschter Pflicht. Ich will bey ihr stehen, Bis ich werde gehen, Hier aus diesem Licht. Was für Leid Ich jederzeit, Um sie hab ertragen müssen, Will ich itzt beschließen. Die gewünschten Freuden, Die sie für mein Leiden, Mir ertheilen will, Soll kein Leid beschweren, Ja sie sollen währen, Ohne Maaß und Ziel. Ihre Zier Will ewig mir, Sich in allen Liebesfällen, Zu Gebothe stellen. Alle Pracht und Prangen, Ihrer süßen Wangen, Ihr Corallenmund, Ihre zarten Hände, Ihrer Armen Bände, Sind mir nun vergunnt. Ehe muß Ein Ueberfluß, Als ein Mangel in den Sachen Mich verdrossen machen. Sind im Obst viel Kerne, Wie am Himmel Sterne; Wirft der Nord viel Schnee; Sind viel rauhe Wellen, Wann die Winde bellen, Auf der wüsten See: Mehr sind Küß, Ich weis gewiß Die sie mir, zum Liebeszeichen, Wird mit Willen reichen. Sollt ich solchermaßen, Mich gereuen lassen, Meine Sorg und Pein? Wer auf sein Verdrießen, Dieses kann genießen, Kann nicht elend seyn. Elend kann Nicht seyn der Mann, Den sein Kind, auf alles Leiden, Lohnt mit solchen Freuden. Dach, auf die tugendhafte Lydia. Auf! ihr meine güldnen Seyten! Raffet meinen Geist von hier; Lydia will neben mir, Ueber Luft und Himmel schreiten, Ist durch meiner Sinnen Macht, Auf ein ewig Lob bedacht. Sie erkennt, daß Pracht und Jugend, Wie ein Dampf verrauchen muß: Darum stellt sie ihren Fuß, Auf die Bahn standhafter Tugend; Will durch ihrer Gaben Schein, Immer jung und reizend seyn. Schau! ich reiße mich von hinnen, Sey beseelt, du meine Hand! Fleuch du feuriger Verstand, Ueber des Gestirnes Zinnen! Suche da hinauf zu gehn, Wo dieß schöne Mensch soll stehn. Ihre sonnenrothen Wangen, Ihrer Augen güldnes Licht, Und ihr himmelrund Gesicht, Soll hier neue Pracht erlangen; Pracht, die ewig nicht verblüht, Und nicht Herbst noch Winter sieht. Freue dich, du Preis der Schönen! Hier soll deiner Gaben Schaar Sich vor aller Zeit Gefahr, Mit der Ewigkeit bekrönen. Keine feindliche Gewalt, Soll dir rauben die Gestalt. Dieses was ich von dir schreibe, Hebt mein Phöbus selber auf; Daß es von der Zeiten Lauf, Ewig unbetastet bleibe; Legt es bey, wo Glut und Wind, Erd und See verbannet sind. Starke Wälle, Thurm und Mauren, Fallen mit den Jahren ein. Erzt und Eisen, Stahl und Stein Können vor der Zeit nicht dauren; Aber deine Pracht und Zier, Lydia, bleibt für und für. Sim. Dach, auf eine Hochzeit. Herr, den Amors strenge Macht, Auch nun unter sich gebracht, Wie ich es vernommen. Und das Schreiben von der Zier Deiner Braut, ist frölich mir, Zu Gesichte kommen. Gern zwar reizt ich meinen Sinn, Wie ich dann ersuchet bin, Dir ein Lied zu schreiben. Schlesien das macht mich scheu, Daß mein rauhes Gansgeschrey, Wohl daheim mag bleiben. Vor den Schwänen die es hegt, Wenn sich hier ein Coler regt, Dort ein Tscherning singet, Auf der Warnen Helikon; Also schön, daß auch davon Breslau widerklinget. Werd ich nicht durch den geschweigt, Dessen Grab uns Danzig zeigt? Der zwar selbst von hinnen; Aber seiner Lieder Klang Schallet noch, und muß zu Dank Ewigs Lob gewinnen. Was anitzt der Deutsche spielt, Wo es Geist und Leben fühlt, Dankt ers ihm vor allen. Pflag man nicht vor dieser Zeit, Ohn Gesetz und Richtigkeit Dießfalls blind zu wallen? Hat vor Zeiten, Griechenland, Deinen Sinn, Homer! erkannt, Wegen seiner Gaben; So, daß sieben Städte sich Zankten, jede wollte dich Gern gebohren haben. Was verdient wohl Opitz nicht? Deutschland hat durch sein Gedicht Wahrlich viel gewonnen! Zieh ich mich, den schlechtsten, an; Bloß durch ihn hab ich ein Mann Erst zu seyn begonnen. Meinen Geist hat er gerührt, Erst mich an das Licht geführt, Und mir Brod gegeben. Schrieb ich römisch als Virgil; Wüßt ich hier durch solch ein Spiel Keinen Scherf zu heben. Wo sind hundert andre mehr, Die imgleichen Brod und Ehr, Ihm nur schuldig halten? Leut, um die sich Fama regt, Sie auf ihren Flügeln trägt, Daß sie nie erkalten. Als sie Schlesien gebiehrt, Eine Mutter, die sich ziert Mit gelehrten Söhnen; Welche sie auch wiederum, So mit Ehren als mit Ruhm, Der nicht stirbet, krönen. Diese werden gern, Herr Schmeiß, Deine Hochzeit, auf Geheiß Wahrer Treu, bedienen. Nähme mich nicht Krankheit mit, Wär ich durch ein besser Lied Auch vielleicht erschienen. Sim. Dach, an den Damon. Damon, wo hinfort dich Preußen, Und voraus des Pregels Rand, Wegläßt in dein Vaterland, Will ich nicht Chasmindo heißen! Was dich hier gefangen hält, Ist dir mehr als alle Welt. Seit daß du in Philosetten So verliebt gewesen bist, Seit daß sie dir günstig ist, Liegt dein Herz gleich an der Ketten. An der Ketten liegt dein Herz, Die auch weich macht Stahl und Erz. Leute, die in Eisen liegen, Aus verdammter Tyranney, Werden oft noch los und frey; Vögel hoffen zu entfliegen: Die in Liebesbanden stehn, Wünschen nimmer zu entgehn. Stimm nur deine Seyten wieder. Du bist hier und bleibst auch schon! Und verhoffe daß dein Ton Mag beseelen unsre Lieder; Die ohn dich, o Phöbus Kind! Warlich sonder Leben sind. Ach mit was für schönen Dingen, Ach! mit was für Frölichkeit, Hoffen wir die liebe Zeit, So es Gott will, zuzubringen! Wann voraus der Frost erliegt Und der Lenz die Herrschaft kriegt. Wann wir auf begrünter Heyden, Hingestreckt ins feuchte Gras, An den Bächen, die wie Glas Vor sich rauschen, sollen weiden, Wann die Lerch und Nachtigall, Wird ansingen Berg und Thal. Celadon, vor dessen Singen Meine Geige sich entfärbt, Der sein Spiel von dem ererbt, Der den Acheron kann zwingen, Geht mit seiner Kunst voran, Dann sing ich so gut ich kann. Mein Berintho wird mir sagen, Wo mir etwa Fleiß gebricht, Und durch seinen Unterricht Eine gute Röth abjagen. Mein Berintho, der mich trieb, Daß ich dieses Lied auch schrieb. Also wollen wir genießen Unsers Lebens, weil es währt; Und obschon der Geist entfährt, Augen und Gehör sich schließen; Werden wir doch, wie ich meyn, Um ein gut Theil übrig seyn, Unsrer Freundschaft, unsrer Seyten, Wird, ob Gott will, noch gedacht; Sollte man uns zu der Nacht Auch um morgen schon begleiten. Denn der edlen Dichter Geist, Lebt im Tod erst allermeist. Damon, auf! und laß uns leben! Laß uns auf den Koth der Welt, Der von uns ein Urtheil fällt, Was nicht taugt, nicht so viel geben! Muthig seyn, und recht gethan, Bricht durch allen Neid die Bahn. Dieß nur will ich einig bitten, Daß mir künftig frey mag stehn, Bey dir aus und ein zu gehn, Nach der alten Freundschaft Sitten. Ach! wie wohl ist meinem Sinn, Wann ich, Damon, bey dir bin! Andre mögen von dir halten, Von dir reden dieß und das: Ich begehre durch dieß Glas, So ich trinke, zu erkalten; Wo mein Herz mit Trug und List Gegen dich verfälschet ist. Tscherning, auf eine Hochzeit. Schöner Frühling! deine Macht Hat den Feind der bunten Auen, Wieder in die Flucht gebracht. Daß wir itzund schwanger schauen Aller Erdenglieder Zier, Schöner Frühling! kömmt von dir. O du Jahrmarkt aller Lust! Berge, Wiesen, Thal und Felder, Nähren sich von deiner Brust. Die belaubten Trauerwälder Kriegen Ohren und Gesicht, Und der Bober eiset nicht. Zephyrus beseelt das Land, Das Geflügel schnäbelt wieder, Tritt in seinen Freyerstand, Stimmet schöne Buhlerlieder. Und bereitet für die Ruh, Seinen Bräuten Bette[n] zu. Flora stickt ihr Purpurkleid Mit den Veilchen und Narcissen, Selbst die Götter sind erfreut, Vieh und Wild ist ausgerissen; Vieh und Wild, das auch die Frucht Der entzündten Liebe sucht. Gras und Kräuter sind verliebt, Sammt den stummen Wasserschaaren. Schaut, wie alles sich ergiebt, Und die Liebe weis zu paaren! Steine fühlen Liebeskraft, Denn sie halten Schwägerschaft. Steckt im Menschen lauter Frost? Mag ihn keine Lust nicht rühren? Weil die süsse Liebeskost Thiere, Kräuter, Steine spüren? Wollen wir denn härter seyn, Als ein harter Kieselstein? Soll der Zeiten Tyranney, Soll der Krieg euch Kummer geben? Ob es besser freyen sey? Oder unbeweibt zu leben? Kümmerniß und Einsamkeit Die verbessern keine Zeit! Billig nehmt ihr, werthes Paar, Das der Himmel hat verbunden, Eurer Jahre Blüthe wahr, Wechselt mit der Liebe Stunden. Luft und Erde schreyt, Glück zu! Liebet und genießt der Ruh! Freundinn, du ergiebest dich Einem, der an Kunst und Tugend Steigt so hoch, als eben sich, In der Frühlingszeit der Jugend, Sein erwachter Sternengeist Von der Eitelkeit entreißt. Du, mein Neubart, sey gewehrt! Nimm, womit die Braut noch pranget; Was ein großer Theil begehrt, Wird von deiner Gunst erlanget. Billig kriegst du solchen Lohn, O du treuer Musensohn! Liebet nun, ihr Liebsten, liebt! Pflanzet, bauet in dem Mayen, Wie er euch die Lehre giebt: Auf den Herbst soll euch erfreuen, Seyd nur fleißig! solche Frucht, Die man in der Wiege sucht. Neukirch, auf die Krönung Friedrichs des I. des Koniges in Preußen. Welt gepriesener Homer, Dessen Kunst mit dir verschwunden! Warum warst du doch so sehr An Achillens Zeit gebunden? Heute solltst du lebend seyn, Da die ungestimmten Flöten, So viel hungriger Poeten, Fast auf allen Gassen schreyn; Und dennoch mit ihrem Singen, Kaum ein hartes Lied erzwingen. O wie kömmt es? (dünket mich, Würdest du für Eifer fragen,) Da die muntern Brennen sich Durch die halbe Welt geschlagen; Da der Barbar sich gescheut; Da die Römer, da die Griechen, Ihrer strengen Faust gewichen; Daß doch diese tapfre Zeit, Die sich ja noch nie verloren, Keinen Dichter hat gebohren? Mich empfing ein solches Land, Wo die Helden Menschen waren; Gleichwohl wußt ich mit Verstand, Sie den Göttern beyzupaaren. Hätt ich in der Mark gelebt, Wo man mehr von einem Helden, Als von Göttern weis zu melden; Ach, wo hätt ich hingestrebt! Ach was hätten unsre Zungen, Nicht für Thaten abgesungen! Ja, Homer, du klagest recht. Denn da Macht und Hoheit steigen, Ist die Poesie zu schlecht, Und kann nichts, als Schüler zeigen. Friedrich pflanzt ein Königreich; Wir vergessen unser Reimen: Oder wo wir ja was träumen, Ists kaum seiner Jugend gleich; Weil er längst vorbeygegangen, Wo wir denken anzufangen. Doch, du konntest mehr als wir; Du schriebst tausend schöne Lügen. Deine Helden mußten dir Wie, und wann du wolltest, siegen. Friedrich aber glaubt es nicht. Er geht fort und läßt uns sitzen. Was fragt er, wie viel wir schwitzen, Und wieviel uns Zeit gebricht? Was wir ganze Jahre dichten, Kann er einen Tag verrichten. Eh man einen Vers erzwingt, Weis er Schlösser aufzubauen. Eh man seine Chur besingt, Läßt er sich als König schauen. Würde, Glück und Macht und Ruh, Sind bey ihm vereinte Sachen. Was sonst Kriege pflegt zu machen, Fällt ihm von sich selber zu. Was viel mit Geschenken heben, Hat ihm Gott und Recht gegeben. Andre erben ihren Thron, Er wollt ihn vorher verdienen: Darum hat sein Wesen schon Längst uns königlich geschienen. Was er nicht im Titel war, War er doch in aller Herzen; Denn wir wünschten es mit Schmerzen, Und es spricht ein jeder klar: Daß er, was itzund geschehen, Lange schon vorher gesehen. Pyrrhus hatte tausend Müh, Wie er möchte Land gewinnen: Unser Friedrich hat noch nie, Dörfen auf Gewinnste sinnen. Ganze Völker suchen ihn, Und man sieht viel Nationen, Unter seinem Schutze wohnen; Die er doch durch kein Bemühn, Die er doch in wenig Stunden, Bloß durch Wohlthun überwunden. O ihr Musen! wachet auf! Friedrich duldet kein Verweilen. Fördert euren späten Lauf, Um ihm schneller nachzueilen. Nun er Preußens König heißt, Wird er auch bald Thaten üben, Die uns Maro schon beschrieben, Aber auch in Fabeln schleußt. Uns wird Mühe gnug verbleiben, Wenn wir nur die Wahrheit schreiben. Vormals pflegte, wie bewußt, Kaisern dieß gewünscht zu werden: Herrsche weiter als August, Besser als Trajan auf Erden! Zeit und Wunsch verändern sich, Und man wird hinkünftig sagen: Wer will Kron und Zepter tragen, Herrsche so wie Friederich! Himmel! laß es, wie wir flehen, Unserm König wohl ergehen! Das 2. Capitel Das II. Capitel. Von Cantaten. 1. §. Die Cantaten sind eine neue Erfindung der Italiener, davon die Alten nichts gewußt haben: es hat aber gleichergestalt die Musik Gelegenheit dazu gegeben, und sie sind anstatt der Oden eingeführet worden. Weil nämlich in Liedern von einerley Strophen auch dieselbe Melodie beybehalten werden mußte: so ward man gewahr, daß sich dieselbe nicht zu allen Versen gleich gut schickte. Der erste Vers einer Ode war z.E. traurig, und gegen das Ende legte sich dieser Affect, ja veränderte sich wohl gar in eine Freude. Hatte sich nun die Gesangweise zum Anfange gut geschickt: so schickte sie sich zum Ausgange desto schlechter. Denn wie klingt es, wenn ein lustiger Text nach einer traurigen Melodie gesungen wird? War aber die Musik weder traurig noch lustig; so schickte sie sich weder zum Anfange noch zum Ende recht: weil sie keins von beyden in der gehörigen Schönheit vorstellete, und keine Gemüthsbewegung recht lebhaft ausdrückete. Nun hätten die Poeten diesem Fehler zwar abhelfen können, wenn sie in einem Liede nur einen Affect von Anfang bis zum Ende hätten herrschen lassen, wie es auch billig seyn sollte. Allein, da sie es nicht thaten; so gerieth man auf die Gedanken, die Lieder nicht mehr so gar einträchtig zu machen, keine solche ähnliche Strophen mehr zu beobachten; sondern Zeilen von ungleicher Länge, auf eine ungebundene Art durch einander laufen zu lassen, und alsdann die Musik durchgehends, nach dem Inhalte des Gedichtes, zu bequemen. Dadurch hoffte man jenen Uebelstand der Oden gewiß zu vermeiden, und jede Zeile eines solchen Gesanges, dem darinn herrschenden Affecte gemäß, auszudrücken; jedem Worte nach seinem rechten Sinne den gehörigen Ton und Nachdruck geben zu können. 2. §. Die Sache war nicht schwer ins Werk zu richten: Denn die Poeten bekamen mehr Freyheit, und die Componisten fanden tausendfache Gelegenheit, ihre Künste und musikalische Einfälle recht hören zu lassen. Sie bemüheten sich auch nunmehro, fast alle Sylben eines solchen Liedes, durch die Verschiedenheit des Klanges, auszudrücken, und alle mögliche Abwechselungen darinn zu versuchen. Sie giengen aber allmählich gar zu weit darinnen. Es war ihnen nicht mehr genug, daß sie eine Redensart auf einerley Art in die Musik setzten. Sie trauten sich selber so viel nicht zu, daß sie gleich die beste Art der Töne gefunden hätten: darum wiederholten sie manches Wort zwey, zehn, auch wohl zwanzig male, und zwar immer mit neuen Veränderungen. Sonderlich hielten sie sich bey gewissen Stellen verbunden, solches zu thun, wo sich ihre Kunstgriffe recht anbringen ließen. Wo nur die geringste Spur eines Affects, oder sonst eine Stelle vorkam, die sich einigermaßen durch das Singen und Spielen nachahmen ließ: da machten sie sich rechtschaffen lustig, und hielten sich oft bey einer Zeile länger auf, als man vorhin bey ganzen Oden gethan hatte. Jemehr die Musik dabey gewann, desto mehr verlohr die Poesie dabey. Bekam das Ohr dabey viel zu hören, so hatte der Verstand desto weniger dabey zu gedenken. Doch, da nicht alle Zeilen in einem solchen Gedichte bequem fielen, ihre Schnörkel anzubringen: so ließen sie dieselben nur so oben hin wegsingen, ja fast ohne alle Begleitung der Instrumente gleichsam herbethen; damit sich also Sänger und Spielleute indessen, zu der nächstfolgenden künstlichern Stelle desto besser vorbereiten könnten. Diesen letztern gab man den Namen der Arien, oder Melodien; jene aber, die mehr geredet, als gesungen wurden, nannte man Recitative . Wenn aber eine mittlere Art vorfiel, die man weder so bunt und zierlich, als die Arien singen; noch so kaltsinnig, als die Recitative wollte herlesen lassen, so ward dieselbe ein Arioso genennet. 3. §. Wie die gemeinsten Arten der Lieder durchgehends von einem und demselben Sänger abgesungen werden, wenn nämlich nur eine Person darinn redet: so müssen auch wohl Cantaten, darinn kein Gespräche vieler Personen vorkömmt, nur von einer Stimme gesungen werden; es wäre denn, daß ein Baß, oder alle übrige Stimmen, den Discant desto angenehmer zu machen, sich durch und durch zugleich hören ließen, wie in Liedern, die man choraliter singet, zu geschehen pflegt. Allein hier müßte es auch wahrscheinlich seyn, daß der Text als ein Tutti, wie es die Welschen nennen; von vielen zugleich gesungen werden könnte: widrigenfalls wäre es ungereimt. Wie nun diese Regel von guten Componisten allemal beobachtet worden: also hat man sie auch vielmals ausden Augen gesetzt. Um die Mannigfaltigkeit vieler Stimmen in einer Cantate hören zu lassen, läßt man einen Vers, ein einzig Lied, das eigentlich nur eine Person singen sollte, von drey, vier, fünf Sängern, die einander ablösen, absingen: gerade, als wenn aus einem Halse alle die verschiedenen Stimmen kommen könnten. Ich tadle hiermit die Componisten nicht, die uns gern durch vielerley Annehmlichkeit zugleich belustigen wollen. Sie sollten aber nur zu Duetten, das ist, zu Cantaten, von zwey Personen, die sich mit einander besprechen, zwo Stimmen; zu dreyen, welches denn ein TRIO heißt, drey Sänger u.s.w. nehmen, und also die Wahrscheinlichkeit beobachten. Sie sollten auch einer Mannsperson, die singend aufgeführet wird, eine männliche Baß- und Tenorstimme geben, z.E. dem Neide, dem Zorne, dem Stolze, den vier Jahrszeiten u.d.gl. den Alt und Discant aber für weibliche Personen, z.E. der Liebe, der Schönheit, der Tugend, der Vernunft, der Gottesfurcht, u.d.gl. behalten. Allein, wie oft dawider verstoßen wird, darf ich nicht erwähnen; denn es liegt allenthalben am Tage. 4. §. Sowohl von Arien, als Recitativen, haben uns viele, als zum Exempel Menantes in seiner theatralischen Poesie, ungleichen in der galanten Poesie, die er nur ans licht gestellet; eine Menge von Regeln gegeben, und wer weis, was für Geheimnisse daraus gemacht, die niemand verstünde, als der ein großer Kenner der Musik wäre. Alle laufen da hinaus, daß der Poet ein Sklave des Componisten seyn, und nicht denken oder sagen müsse, wie oder was er wolle; sondern so, daß der Musikus seine Einfälle dabey recht könne hören lassen. Dahin gehöret unter andern hauptsächlich die Regel: daß man die ersten Zeilen der Arien mit solchen Worten anfüllen müsse, dabey sich der Componist eine halbe Stunde aufhalten könne; wenn er irgend das Lachen, Weinen, Jauchzen, Aechzen, Klagen, Heulen, Zittern, Fliehen, Eilen, Rasen, Poltern, oder sonst ein Wort von dergleichen Art auszudrücken sucht. Dahin gehört ferner, daß man die ersten Zeilen einer Arie, so viel möglich ist, so einrichten müsse, daß sie am Ende derselben wiederholet werden können, und also eine Art von Ringelreimen daraus entstehe. Dahin gehörts endlich, daß die Recitative, theils aus kurzen Zeilen bestehen, theils an sich selbst sehr kurz seyn sollen; damit man von dem schläfrigen Wesen derselben nicht gar zu sehr verdrüßlich gemacht werde, u.d.m. Alle diese Regeln haben die Herren Componisten den Poeten vorgeschrieben, und diese haben sich dieselben, ich weis nicht, warum? vorschreiben lassen, ja sie wohl gar angebethet. Allein, wie wäre es, wenn ein Poet seinem Componisten auch einmal, nach Anleitung der Vernunft sagte, wie man seine Cantaten setzen sollte: es möchte nun dieses mit den Regeln und Exempeln ihrer so großen, aber oft sehr unnatürlichen italienischen Meister, übereinkommen oder nicht? 5. §. Wenn man die Cantaten, als eine Art von Liedern oder Oden ansieht, davon ich im vorigen die Regeln gegeben habe; wie man sie denn ansehen muß: so versteht sichs von sich selbst, daß sie nicht aus kaltsinnigem, schläfrigem und schlechtem Zeuge bestehen müssen. Sie müssen einen gewissen Affect ausdrücken, oder voll erhabener und feuriger Gedanken, prächtiger oder zärtlicher Ausdrückungen seyn; kurz, sie müssen einen solchen Inhalt haben, der dem Componisten Gelegenheit zu guten Einfällen geben wird. Der Poet muß sich freylich auch bemühen, das munterste, sinnreichste und beweglichste in die Arien, das übrige aber, nämlich Erzählungen, Vernunftschlüsse, Sittenlehren, u.d.gl. ins Recitativ zu bringen. Er wird nach Beschaffenheit der Sachen auch mehr als eine Person darinn redend aufführen; damit der Wechsel vieler Stimmen destomehr Mannigfaltigkeit in dem Gesange hervorbringe. Er muß freylich auch seine Recitative nicht ganze Seiten lang machen, sondern bald wieder was muntres und scharfsinniges mit einzumischen bemühet seyn, welches eine Arie, oder doch ein Arioso abgeben kann. Alles dieses lehrt einen Poeten die gesunde Vernunft, nebst den Regeln der Dichtkunst; und man darf, solches zu wissen, eben selbst kein Musikmeister seyn. Man darf höchstens nur einige Cantaten mit Aufmerksamkeit gehöret, oder die dazu gehörigen Noten durchgesehen haben: so wird man schon bemerken, was gut oder übel klinget; wiewohl man oftmals den schönen Affect der Texte bedauren muß, der unter den Händen schlechter Componisten, alle seine Kraft verliert; indessen, daß sie sich bey schlechtern Stellen aufhalten. 6. §. Allein man wird es auch von seinem Componisten mit Grunde fordern, daß er nicht, durch eine verschwendete musikalische Kunst das Werk der Poesie unsichtbar mache, oder so verstecke, daß man nichts davon vernehmen kann. Dieses geschieht hauptsächlich, wenn sie durch unzählige Wiederholungen einer Zeile, halbe Stunden lang zubringen; einzelne Wörter so zerren und ausdehnen, daß der Sänger zehnmal darüber Athem holen muß, und endlich von den Zuhörern, seiner unendlichen Triller wegen, nicht verstanden werden kann. Ferner kann ein Poet fordern, daß er eine gewisse Gleichheit in der Melodie einer Arie beybehalte, und nicht die erste Hälfte gar zu kunstlich, die andre aber gar zu schlecht wegsetze; daß er endlich die Recitative nicht so gar schläfrig herbethen lasse, als ob sie gleichsam keines musikalischen Zierrathes, keiner Begleitung von Instrumenten werth wären. Alle diese Regeln sind in der Natur so wohl gegründet; daß ich nicht wüßte, wie man ihrer hätte verfehlen können: wenn es den Italienern voriger Zeiten nicht mehrentheils schwer gefallen wäre, das natürlich Schöne vor dem gekünstelten zu empfinden, und in ihren Sachen nachzuahmen. Allein es giebt unter unsern deutschen Componisten schon Leute, die durch ihren eigenen vernünftigen Geschmack wieder auf das wahre und natürlich Schöne in der Musik gerathen sind, welches man eine geraume Zeit her mehrentheils verlohren hatte. 7. §. Ich kann hier den berühmten Herrn Capellmeister Hurlebusch nennen, der unserm Vaterlande gewiß Ehre machet. Dieser hat in sehr vielen Proben gewiesen, daß meine Forderungen in der Musik keine Chimären eines Menschen sind, der was unmögliches, oder ungereimtes begehret. Unter andern schönen Sachen, die mir von ihm vorgekommen, kann ich die Cantate, TU PARTI IDOLO MIO, DA ME TU PARTI ETC. anführen, darinn selbiger in allen Stücken meinem Verlangen ein Gnügen gethan hat. Er hat sich darinn aller der Fehler enthalten, die bey andern Componisten so gemein sind. Die Wiederholungen sind sparsam, nämlich nicht über dreymal; die Recitative sind voller Melodie, und es ist kein einziges Wort darinn gezerret; sondern alles wird hintereinander verständlich weggesungen. Eben dahin rechne ich seine Cantate, TU PARTI AMATO TIRSI, O DIO! imgleichen eine andere: MIRA QUEL AUGELLIN, COME VEZZOSO, ETC. ferner die CON DOLCE AURATE STRALE ETC. Endlich die DEH! SEN DOLCE TORMENTO ETC. Alle diese, und viele andere mehr, sind von eben der Art, und so beschaffen, wie ich sie oft gewünschet, aber nirgends gefunden hatte, ehe mir seine Sachen bekannt geworden. Doch muß ich noch zu desto mehrerer Gewißheit seines guten Geschmacks auch die Cantate rühmen, die er mit Instrumenten gesetzt, und eben auf die Art, als die obigen, eingerichtet hat. Sie hebt an: FILLI, PIETA TU NIEGHI ETC. 8. §. Eben dergleichen kann ich auch von dem berühmten Händel rühmen. Seine Cantata, SAREI TROPPO FELICE, S'IO POTESSI DAR LEGGE ETC. ist eben sowohl nach den obigen Regeln gesetzet, als die vorigen: und in seiner Lucretia ist er gewiß in wenigen Stücken davon abgewichen. Auch Herr Graun, der itzo in der berlinischen Capelle die Ehre der deutschen Musik auf einen so hohen Gipfel bringet, daß wir allen Ausländern damit trotzen können; so, wie wir sie bisher mit unserm sächsischen Capellmeister Hasse, neidisch gemacht haben, hat an der Cantate, BELLA, TI LASCIO, O DIO! ETC. ein solches Meisterstück gemacht, wenn ich das einzige Wort RITORNERA in der andern Arie ausnehme, als welches gar zu lang ausgedehnet worden. Von Liebhabern, die von der Musik nur ein Nebenwerk machen, muß ich hier nothwendig den Herrn Secret. Gräfen, dessen schon im vorigen Capitel gedacht worden, seiner überaus angenehmen und natürlichen Composition halber, loben, die er in verschiedenen Cantaten, und auch an meinem Orpheus erwiesen hat. Bey dem allen bedaure ich nur, daß unsre deutschen Componisten, sich so gern an italienische Texte halten. Wie? Ist es denn ihre eigene Muttersprache nicht werth, daß sie in eine schöne Musik gesetzt wird? Und soll denn das Vorurtheil ewig dauren, daß man lieber unverständliche Silben, von Sängern, die insgemein kein italienisch können, verstümmeln, als durch Worte, die Sänger und Zuhörer verstehen, die völlige Stärke des Componisten, im Ausdrucke der Gedanken, kenntlich machen will? 9. §. Nachdem ich nun das Gute gelobt habe, so wird mir auch frey stehen, das Schlechte zu tadeln und zu verwerfen. Nichts ist mir lächerlicher, als wenn ich gewisse italienische Cantaten unter die Noten gesetzt sehe, oder singen höre. Sind sie etwa verliebt, so wird der Sänger gewiß vor Liebe sterben wollen: und der Componist wird das liebe MORIR dreyßig, vierzig Tacte durch, so zermartern und zerstümmeln, daß einem übel davon werden möchte. Ja, sagt man, das ist eben schön. Der Musikus drückt dadurch aus, wie sehr sich das arme verliebte Herz quälen muß, ehe es stirbt. Gut! es zeigt aber auch an, daß es demselben noch kein Ernst mit dem Sterben sey; wenn es sich mit so viel künstlichen musikalischen Schnörkeln bemüht, seine Worte auf die Folterbank zu spannen. Wie es in diesem Affecte geht, so geht es mit allen andern. Ja, bey so vielen andern Wörtern macht man eben solche unendliche Coloraturen und Laufwerke, daran sich oft die beste Castratenkehle müde singet. Z.E. in einer gewissen Cantate, die Heinichen gesetzt hat, und so anfängt: LA DOVE IN GREMBO AL COLLE ETC. wo von dem Fliegen der Vögel durch die Luft eine Arie vorkömmt, da sind die Wörter AUGELLETTI, VOLATE, VOLO, und ARIA, so künstlich mit steigenden und fallenden Tönen gesetzt, und so vielfältig verändert, daß der Sänger zum wenigsten sechsmal Athem holen muß, ehe er ein einziges Wort absingen kann. Das soll aber den Flug der Vögel in der Luft vorstellen, der nämlich auch bald steiget, bald fällt. Wie natürlich es aber herauskömmt, das lasse ich einen jeden selbst urtheilen, der es singen höret, und den Text versteht. Mir kömmt es immer vor, daß man vor aller Kunst in den meisten italienischen Musiken den Text gar verliert; weil das Ohr zwar ein ewiges ha, ha, ha, ho, ho, ho, hertrillern höret, der Verstand aber gar nichts zu denken bekömmt. 10. §. Ich will mit dem allen eine vernünftige Wiederholung gewisser nachdrücklicher Wörter, so wenig, als die Nachahmung ihrer Natur, durch die Töne verwerfen, dafern solches nur angeht. Beydes ist nicht nur erlaubt, sondern auch schön; wenn es nur mäßig geschieht. Man wiederhole aber nur im Singen kein Wort, welches nicht der Poet auch im Texte ohne Uebelstand hätte wiederholen können. Das Singen ist doch weiter nichts, als ein angenehmes und nachdrückliches Lesen eines Verses, welches also der Natur und dem Inhalte desselben gemäß seyn muß. Nun aber würde wohl kein Mensch, der mir einen Vers vorläse, gesetzt, daß der größte Affect darinn steckte, denselben mehr als zwey, höchstens dreymal wiederholen. Mehrmals muß er also auch nicht hinter einander gesungen werden, wenn es mich rühren, und also natürlich herauskommen soll. Ein guter Leser eines Gedichtes wird freylich das Weinen kläglich, das Lachen lustig u.s.f. ein jedes Wort nach seiner Bedeutung, mit einer guten Stimme auszusprechen wissen; sich aber auch dabey vor allem lächerlichen Zwange in acht nehmen. So muß es ein Musikus auch machen, und sich vor allen Ausschweifungen/hüten, die seinen Gesang dem natürlichen Ausdrucke der Gedanken, der unter vernünftigen Leuten gewöhnlich ist, unähnlich machen könnten. Man lese hier nach, was der critische Musikus, der in Hamburg herausgekommen, für vernünftige Regeln davon vorgeschrieben hat. 11. §. Eine Cantate muß sich ordentlicher Weise mit einer Arie anheben und schließen; damit sie theils im Anfange mit einer guten Art ins Gehör falle, theils auch zuletzt noch einen guten Eindruck mache: doch findet man im italienischen viele, die gleich von Anfang ein Recitativ haben. Die kürzesten darunter, haben nur ein einzig Recitativ in der Mitte; und bestehen also nur aus dreyen Theilen. Gemeiniglich aber hat eine Cantate drey Arien, und zwey Recitative, und die längsten sollen nicht mehr als vier oder fünf Arien haben. Diese können nun jambisch, trochäisch oder daktylisch seyn, nachdem es der Poet für gut befindet: das Recitativ aber anders als jambisch zu machen, das ist nicht gewöhnlich. Nur merke sich der Poet, daß er bey der Versart, womit er eine Arie anfängt, bis ans Ende bleibe; auch nicht kurze und lange Zeilen durcheinander menge, wenn er dem Componisten gefallen will. Selbst die Zeilen im Recitativ an Länge sehr ungleich, d.i. etliche von zwey, etliche von zwölf Sylben zu machen, das ist nicht angenehm. Die Reime gar zu weit von einander zu werfen, das heißt eben so viel, als gar keine zu machen: und man thäte nach dem Muster der Welschen besser, sie gar nicht zu reimen; aber desto besser zu scandiren, welches die Italiener fast gar nicht thun. Weibliche mit weiblichen, und männliche mit männlichen Reimen zu vermischen, das klingt auch nicht gut; ob es gleich viele thun. Die Länge eines Recitativs kann man zwar nicht bestimmen: aber je kürzer es fällt, und je kürzer die Perioden darinnen sind, desto besser ist es, weil es insgemein so schlecht gesetzt wird, daß man es bald überdrüßig werden muß. 12. §. Wenn man anstatt des Recitativs entweder biblische Sprüche, auch wohl Verse aus geistlichen Liedern zwischen die Arien setzet, so heißt man ein solch Stück ein Oratorium: welches ohne Zweifel vom Bethen den Namen hat, weil dergleichen geistliche Gedichte zu Kirchenstücken gebraucht werden. Redet ein Paar mit einander, so nennen es die Musici ein Duetto ; kommen drey Personen in der Poesie, und folglich im Gesange drey Stimmen vor, so nennet man es ein TRIO. Redeten aber noch mehrere mit einander, so, daß es auch desto länger würde, so müßte es eine Serenata heißen, und könnte zu fürstlichen Tafel- und Abendmusiken, imgleichen bey großen musikalischen Concerten gebraucht werden. Käme aber außer den Unterredungen auch eine Handlung darinne vor, die sich von lebendigen Personen ordentlich spielen oder aufführen ließe; so könnte es ein Drama heißen. 13. §. Denn auch hier muß man merken, daß es epische und dramatische Cantaten, Serenaten, oder wie mans nennen will, geben könne. Wenn der Poet selbst darinn redet, so ist es episch verfasset, obgleich hier und da auch andere Personen redend eingeführet werden. Ein schönes Exempel giebt des Herrn von Hagedorn Fabel: Vom schweren Dienst der Eitelkeit etc. die Herr Secr . Gräfe auf eine ganz neue aber unvergleichliche Art gesetzt hat. Läßt aber der Poet durchgehends andere Personen reden und handeln, so, daß er selbst nichts darzwischen sagt, sondern so zu reden, unsichtbar ist: so entsteht ein kleines theatralisches Stück daraus, welches von dem griechischen δρᾶν, handeln, thun, ein Drama genennt wird. Singen nun die auftretenden Personen ihre Rollen ab; so ist ein solch Drama gleichfalls eine kleine Oper oder Operette, die etwa so lange als ein Aufzug einer großen Oper dauret, und nach Gelegenheit drey, vier oder fünf Auftritte hat. Wie die innere Einrichtung eines solchen dramatischen Stückes seyn müsse, das läßt sich erst in dem Capitel von theatralischen Spielen zeigen. Denn ungeachtet solche Dramata selten auf die Schaubühne kommen, sondern nur mehrentheils in Zimmern gesungen werden; ohne daß die Sänger in gehörigem Habite erscheinen, und wirklich das vorstellen, was sie singen: so müssen sie doch aufs genaueste so eingerichtet werden, daß sie gespielet werden könnten. Wie viele Poeten es in diesem Stücke versehen, wenn sie weder die Einigkeit der Zeit, noch der Handlung, noch des Ortes beobachten, das lehrt die Erfahrung: zu geschweigen, daß sie oft solche Sachen hineinbringen, die sich gar nicht würden vorstellen lassen. 14. §. Anstatt meiner Exempel, hätte ich gern aus unsern alten Dichtern, welche hergesetzet. Allein, in dem vorigen Jahrhunderte, hat man von dieser Art beynahe nichts gewußt; weil Dichter und Poeten sich an Oden begnüget haben. In dem itzigen Jahrhunderte, hat man zwar Cantaten genug gemacht, und gedrucket, aber fast immer auf besondere Personen und Gelegenheiten, die unsern Componisten zu nichts gedienet haben; außer was etwa geistliche Kirchenstücke gewesen sind. So hat man z.E. die Paßion auf verschiedene Art gesetzt, darunter aber Pietschens Ausdrücke viel zu schwülstig und hochtrabend sind, als daß sie sich zur Musik schickten. Wie es nun bey diesem Mangel an deutschen, moralischen und verliebten Cantaten zu wünschen ist, daß Dichter, die eine natürliche, fließende und bewegliche Schreibart in ihrer Gewalt haben, sich der Musik zu gut, auf diese Art der Gedichte mehr als bisher legen mögen: also habe ich mich genöthiget gesehen, zu der menantischen galanten Poesie meine Zuflucht zu nehmen, darinn verschiedene gute Stücke von dieser Art vorkommen; die es auch, wohl werth wären, daß sie von guten Componisten gesetzt, und von guten Stimmen, in Concerten und andern Gesellschaften abgesungen würden. Dieses würde uns wenigstens von dem unverständlichen Geheule, italienischer Texte befreyen, die von den meisten deutschen Sängern, eben weil sie kein Welsch können, so zermartert werden, daß auch diejenigen Zuhörer, die italienisch können, keine Sylbe davon verstehen. Es würde auch bey deutschen Texten eine affectuösere Art zu singen bey uns aufkommen, wenn der Sänger selbst wüßte, was er singet. Denn wie will er den Worten mit der gehörigen Art ihr Recht thun, wenn er wie ein Papagey, oder wie eine Schwalbe, lauter unverstandene Sylben hergurgelt, oder abzwitschert? Moralische Cantaten, aus Menantes galanten Poesien. Hoffnung, süßer Trost des Lebens, Der den bittern Schmerz versüßt. Alle Sorgen sind vergebens; Aber wo noch Hoffnung ist, Ach! da muß auch Wermuthwein Süßer noch, als Nectar seyn. So geht es auf der Welt! Wo alles schlecht genug bestellt. Wir sehn nicht lauter helle Tage, Ein jeder hat fast seine Plage. Doch, weil die Hoffnung ihre Blicke, Auch mitten in der Nacht, Betrübten Herzen schenkt; So lacht der Trost, daß uns das falsche Glücke Nicht übermäßig kränkt. Unverhofft Trägt sichs zu, Daß die angenehmste Ruh Aus der Unruh und Verdruß Uns gewünscht, entsprießen muß. Denn das Glücke wechselt oft, Unverhofft. Drum lasse man den Muth nicht fallen. Ein fester Muth Ist unser bestes Gut. Ein Fels, ein Thurm, An dem muß aller Sturm In Widerwärtigkeit zurücke prallen; Drum lasse man den Muth nicht fallen. Wer verzaget, giebt sich bloß, Daß ihn auch der schwächste Stoß Stürzen kann. Blöde seyn, ist Weiberart; Doch, wer keine Kräfte spart, Ist ein Mann. Wohlan! So steh ich, als ein Mann, Wenn alle Wetter krachen. Die Hoffnung wird mir doch den Himmel heiter machen. Laß es donnern, laß es wettern, Laß das Unglück rasend seyn. Nichts soll meinen Trost zerschmettern, Hoffnung läßt mich sicher ein. So mag es denn hageln, so mag es nur blitzen: Ich hoffe durch Hoffnung in Ruhe zu sitzen. Verdammter Neid! Was hab ich dir gethan? Daß ich zu keiner Zeit In meiner Einfalt bleiben, Und für mich leben kann? Verdammter Neid! Was hab ich dir gethan? Du mußt dich an mir reiben, Und darfst dich nicht entblöden, Mir alles Böse nachzureden? Wenn ich die Hände gleich in Unschuld täglich wasche; So klebt dir doch noch mancher Makel dran, Der dir in deinen Augen, Die Galle rege machen kann. Du Spinne! mußt auch Gift aus Rosen saugen? Doch immerhin! ich will mich wenig kränken! Weil doch Dich dein verteufelt Gift, Zu eigner Pein, am allermeisten trifft. Der Himmel wird mir noch Gewünschte Ruh und sichern Frieden schenken. Unschuld muß doch immer leiden, Und von Lästrern lassen neiden; Doch sie ist sich selbst ein Trost. Wenn ein Neider sich erboßt, Und die falschen Zungen stechen, Wird sie selbst der Himmel rächen. Sanftmuth, Langmuth, Freundlichkeit, Sind die Waffen, Die uns auf den ärgsten Streit Sieg und Frieden können schaffen. Welcher diesen Küraß trägt, Dem wird recht der Heldentitel Von der Tugend beygelegt. Es geht nicht immer frölich zu. Oft tritt uns einer auf den Fuß, Man muß Den Schmerz verbeissen. Tritt er uns auf die Schuh, So laß es gut und unempfunden heißen. Zwar mancher macht ein Wetter draus, Und sinnt auf Kugeln, Schwerdt und Pfeile: Doch endlich treffen ihn noch selber Donnerkeile. Blitz und Schwerdt in Händen tragen, Und damit den Feind nicht schlagen, Ist ein Werk, das göttlich heißt, Wenn ein Mensch sich so erweist, Ach dem wird mit Lorberkronen Der Himmel die Großmuth auf ewigbelohnen Wohl dem, der alles kann zum Besten kehren! Der kleinste Regen wird dem größten Feuer wehren. Kein muntres Roß läßt sich mit Schlägen zwingen, Mit Streicheln wird mans eh zu rechte bringen, Auf Eßig giebt man Oel, Und Wasser unter starken Wein. So müssen auch auf harte Worte Gelinde Reden seyn. Die Sanftmuth kann auch Honigkuchen In eines Löwen Rachen suchen. Hart auf hart thut niemals gut. Auf den dichten Marmorstein Müssen stumpfe Sägen seyn, Bis er von einander fällt. So machte die politsche Welt. Das 3. Capitel Das III. Capitel. Von Idyllen, Eklogen oder Schäfergedichten. 1. §. Man kann gewissermaßen sagen, daß diese Gattung von Gedichten die allerälteste sey. Denn ob ich wohl in dem Capitel von Oden, im Absehen auf dieselben eben das behauptet habe: so widerspreche ich mir doch nicht, wenn ich sage, daß die allerersten Lieder, Schäferlieder oder Hirtengedichte gewesen. Die ersten Einwohner der Welt nährten sich bloß von der Viehzucht. Der Ackerbau, die Jagd, der Fischfang und das Weinpflanzen sind viel später erfunden und in Schwang gebracht worden. Die Kaufmannschaft und alle andere Künste sind noch viel jünger. Da nun die Erfindung der Poesie mit den ersten Menschen gleich alt ist; so sind die ersten Poeten, oder Liederdichter, Schäfer oder Hirten gewesen. Ohne Zweifel haben sie ihre Gesänge nach ihrem Character und nach ihrer Lebensart eingerichtet: folglich sind ihre Gedichte Schäfergedichte gewesen. 2. §. Ich will damit nicht behaupten, daß die ältesten Gedichte, die wir haben, Schäfergedichte wären. Nein, was wir vom Theokritus, Bion und Moschus in dieser Art haben, das ist sehr neu. Die allerersten Poesien sind nicht bis auf unsre Zeiten gekommen; ja sie haben nicht können so lange erhalten werden; weil sie niemals aufgeschrieben worden. Was nur im Gedächtnisse behalten und mündlich fortgepflanzet wird, das kann gar zu leicht verlohren gehen. Daß aber vor Theokrits Zeiten wirklich Schäfergedichte müssen gemacht worden seyn, das kann aus seinen eigenen Idyllen erwiesen werden. Er berufft sich immer auf die arkadischen Hirten, als auf gute Poeten, die ihre Musik vom Pan gefasset hätten. Es müssen doch also unter den damaligen Schäfern mancherley Lieder im Schwange gewesen seyn, die zum Theile sehr alt gewesen seyn mögen. Haben sie so schön und so zierlich nicht ausgesehen, als des Theokritus seine, so ist es kein Wunder. Die Natur allein war ihre Lehrmeisterinn gewesen, und die Kunst mochte noch keinen Theil daran gehabt haben. Theokritus hat beydes zu vereinigen gesucht, und also seine Vorgänger weit übertroffen. 3. §. Will man nun wissen, worinn das rechte Wesen eines guten Schäfergedichtes besteht; so kann ich kürzlich sagen: in der Nachahmung des unschuldigen, ruhigen und ungekünstelten Schäferlebens, welches vorzeiten in der Welt geführet worden. Poetisch würde ich sagen, es sey eine Abschilderung des güldenen Weltalters; auf christliche Art zu reden aber: eine Vorstellung des Standes der Unschuld, oder doch wenigstens der patriarchalischen Zeit, vor und nach der Sündfluth. Aus dieser Beschreibung kann ein jeder leicht wahrnehmen, was für ein herrliches Feld zu schönen Beschreibungen eines tugendhaften und glücklichen Lebens sich hier einem Poeten zeiget. Denn die Wahrheit zu sagen, der heutige Schäferstand, zumal in unserm Vaterlande, ist derjenige nicht, den man in Schäfergedichten abschildern muß. Er hat viel zu wenig Annehmlichkeiten, als daß er uns recht gefallen könnte. Unsre Landleute sind mehrentheils armselige, gedrückte und geplagte Leute. Sie sind selten die Besitzer ihrer Heerden, und wenn sie es gleich sind: so werden ihnen doch so viel Steuren und Abgaben auferlegt, daß sie bey aller ihrer sauren Arbeit kaum ihr Brodt haben. Zudem herrschen unter ihnen schon so viel Laster, daß man sie nicht mehr als Muster der Tugend aufführen kann. Es müssen ganz andre Schäfer seyn, die ein Poet abschildern, und deren Lebensart er in seinen Gedichten nachahmen soll. Laßt uns dieselben etwas näher betrachten. 4. §. Man stelle sich die Welt in ihrer ersten Unschuld vor. Ein freyes Volk, welches von keinen Königen und Fürsten weis, wohnet in einem warmen und fetten Lande, welches an allem einen Ueberfluß hat, und nicht nur Gras, Kräuter und Bäume, sondern auch die schönsten Früchte von sich selbst hervorbringet. Von schwerer Arbeit weis man daselbst eben so wenig, als von Drangsalen und Kriegen. Ein jeder Hausvater ist sein eigener König und Herr; seine Kinder und Knechte sind seine Unterthanen, seine Nachbaren sind seine Bundesgenossen und Freunde; seine Heerden sind sein Reichthum, und zu Feinden hat er sonst niemanden, als die wilden Thiere, die seinem Viehe zuweilen Schaden thun wollen. Eine hölzerne Hütte, oder wohl gar ein Strohdach, ist ihm ein Pallast, ein grüner Lustwald sein Garten, eine kühle Höhle sein Keller, eine Lauberhütte sein Sommerhaus: Pelz und Wolle und ein Strohhut sind seine Kleidung; Milch und Käse sind seine Nahrung; die Feld und Gartenfrüchte seine Leckerbissen; ein hölzerner Becher, eine Flasche, ein Schäferstab und seine Hirtentasche sein ganzer Hausrath. Sein Hund ist sein Wächter, eine Blume sein Schmuck und seine Erquickung, die Musik sein bester Zeitvertreib. 5. §. Im Absehen auf den Verstand, sind diese glückselige Schäfer zwar einfältig, aber nicht dumm. Sie können nach ihrer Art mancherley Künste, sie flechten schöne Körbe und künstliche Hüte, sie schelen bunte Stäbe, sie schnitzen Figuren und Bilder auf ihre Flaschen und Becher, sie winden Blumenkränze, und pflanzen Bäume. Gelehrt sind sie zwar nicht: doch wissen sie aus den Erzählungen ihrer Vorfahren, von einigen alten Geschichten; und aus dem Unterrichte der klügsten unter ihnen, von einigen Geheimnissen der Natur, von dem Laufe der Gestirne u.d.m. doch allezeit mit einer gewissen Einfalt, zu reden. Sie haben einen gewissen natürlichen Witz, aber keine gekünstelte Scharfsinnigkeit. Sie machen Vernunftschlüsse, aber von metaphysischen Absonderungen wissen sie nichts. Sie halten sich allezeit an das, was sie empfinden, und ihre Unterredungen handeln von dem, was geschieht, was sie gesehen oder gehöret haben. Daher lieben sie die Erzählungen, und vertiefen sich nach Art einfältiger Leute zuweilen in besondern Umständen, und solchen Kleinigkeiten, die nicht eben so nöthig zu wissen wären. 6. §. Ihren Willen anlangend, haben sie zwar, als Menschen, Affecten; aber keine unordentliche und ausschweifende Begierden, dadurch sie einander beleidigen könnten. Der Geiz und Ehrgeiz verleitet sie zu keiner Ungerechtigkeit; und man weis bey ihnen weder von Schimpfworten noch von Schlägereyen zu sagen. Ihre Streitigkeiten bestehen darinn, daß sie im Singen oder Spielen, oder in andern Künsten, einander überlegen seyn wollen: und diese werden allezeit durch einen un-parteyischen Schiedsmann, den beyde Parteyen zum Richter erwählen, entschieden. Sie scherzen mit einander, aber ohne Zoten zu reißen: denn die Ehrbarkeit ist bey ihnen zu Hause. Ihr Handel besteht im Tauschen, und ob sie wohl zuweilen durch eine kleine List einander hintergehen, so geschieht es doch nur zur Kurzweil: denn der Betrug ist ihnen so abscheulich, als das Stehlen und Rauben. Ihr Umgang ist von aller Grobheit so weit, als von allen Complimenten und von der Falschheit, entfernet. Sie sind offenherzig, aber bescheiden; freygebig, aber nicht verschwenderisch; sparsam aber nicht karg; ehrliebend, aber nicht stolz. Endlich sind sie auch mäßig und nüchtern, und mit einem Worte, ganz tugendhaft und vergnügt. 7. §. Ich habe noch nichts von der Liebe gedacht, weil dieses eine besondere Beschreibung verdient. Dieser Affect herrschet am meisten unter ihnen, aber auf eine unschuldige Weise. Er ist die einzige Quelle ihres größten Vergnügens, aber auch ihrer größten Unruhe. Ihre Muße auf den Fluren und bey ihren Heerden, läßt ihnen Zeit genug, zu verliebten Gedanken und Unterredungen; aber ihre Einfalt verbeut ihnen, alle gar zu künstliche Mittel, zu ihrem Zwecke zu gelangen. Ihre guten Eigenschaften machen sie liebenswürdig, und ihre Liebeserklärungen geschehen mehr durch schamhafte Blicke, als durch viel zärtliche Worte. Ihre Geschenke bestehen aus Blumen und Früchten, jungen Lämmern und schönen Hunden, künstlichen Hüten, Bechern und Stäben. Sie putzen sich, aber nach ihrer Einfalt, die von Seide, Gold und Silber nichts weis. Sie sind eifersüchtig und empfindlich; aber auch leicht zu besänftigen. Sie beklagen sich über die Unempfindlichkeit ihrer Schönen; henken sich aber deswegen nicht auf. Sie sind sehr treu in ihrer liebe, und man weis bey ihnen von keinem größeren Laster, als von der Unbeständigkeit. Ihre Nebenbuhler suchen sie durch neue Gefälligkeiten, nicht aber durch Rachgier und Gewalt zu überwinden. Kurz, die unschuldige Schäferliebe muß von allen Lastern frey seyn, die sich durch die Bosheit der Menschen allmählich eingeschlichen haben. 8. §. Ich zweifle nicht, daß ein jeder, der diesen Character der Schäfer recht erweget, gestehen wird, daß Schäfergedichte, die auf diesen Fuß verfertiget worden, eine besondere Anmuth haben müssen. Denn ich habe ihren Abriß mit Bedacht in der größten Vollkommenheit gemacht, ungeachtet noch kein Poet denselben völlig beobachtet hat. Theokritus hat seine Schäfer zuweilen sehr grob und plump abgeschildert; das ist, wie sie etwa zu seiner Zeit waren, nicht wie sie hätten seyn sollen: zuweilen aber machte er sie gar zu sinnreich. Sie zanken sich bisweilen auf eine recht bäurische Art, und kriegen einander fast darüber bey den Köpfen. Sie beschuldigen einander des Diebstahls und noch wohl ärgerer Laster, die unter den Griechen und Römern im Schwange waren, sich aber für unsere feinern poetischen Schäfer nicht schicken. Man sehe des Herrn von Fontenelle Discurs, von Schäfergedichten, der bey meiner Uebersetzung seiner Gespräche von mehr als einer Welt befindlich ist: wo man auch vom Bion und Moschus eine gründliche Beurtheilung antreffen wird. 9. §. Virgil, der sich den Theokritus in seinen Eklogen zum Muster genommen, hat zwar seine Schäfer viel artiger gemacht, als jener; doch aber nicht allezeit die rechte Art der Schäfer erreichet. Sie sind nicht alle so tugendhaft und unschuldig, als sie seyn sollten; wie davon der Vers NOUIMUS ET QUI TE, TRANSUERSA TUENTIBUS HIRCIS ETC. zeugen kann. Zuweilen giebt sein Haberrohr einen gar zu hohen Ton, wenn er z.E. die sicilianischen Musen des Theo-kritus anrufft, dem Pollio zu Ehren etwas erhabeners anzustimmen. Er forderte, wie schon gedacht worden, etwas Unmögliches von ihnen: denn sie können auf ihrer Flöte keinen Trompetenklang erzwingen. Gleichwohl prophezeiht er nicht anders, als die cumäische Sybille, von künftigen Zeiten. In der sechsten Ekloge läßt ers sich vom Phöbus erst sagen: Es schicke sich für Schäfer nicht, von Königen und Helden zu singen: CUM CANEREM REGES ET PROELIA, CYNTHIUS AUREM VELLIT ET ADMONUIT: PASTOREM, TITYRE, PINGUES PASCERE OPORTET OUES. Gleichwohl läßt er seinen Silenus, da er ein paar Knaben, nebst der schönen Najade, Aegle, vom Schlafe aufgewecket, die ganze epikurische Lehre vom Ursprunge der Welt hersingen, welches ihm so wenig anstund, als von Kriegen und Helden Lieder zu machen. Es herrscht auch in der ganzen Ekloge eine solche Verwirrung der Sachen und Zeiten, daß man nicht weis, wo man ist. Nach den philosophischen Meynungen Epikurs, kömmt die Fabel von der Pasiphae und den Schwestern Phaetons, die gar nicht dahin gehörete. Mitten darunter steht Cornelius Gallus, der zu Virgils Zeiten lebte; und darauf kömmt wiederum die Fabel von der Scylla und Charybdis, imgleichen von der Philomele, Alles das singt Silenus, von welchem der Poet vorhin erzählte, daß er vorigen Tag einen Rausch gehabt. Es könnte, wie Fontenelle scherzet, nach dem itztbeschriebenen Innhalte seines Gesanges, leicht seyn, daß er etwas zu frühe aufgewecket worden. 10. §. Unter den neuen Poeten, die lateinische Schäfergedichte gemacht haben, ist Calpurnius, Nemesianus, Vida und Baptista Mantuanus zu merken. Sie sind eben nicht gänzlich zu verachten, und ohngeachtet sie an Schönheit der Verse dem Virgil weichen müssen, so haben sie doch zuweilen hübsche Erfindungen. Sie fehlen aber auch zuweilen sehr grob, wie denn der letztere z.E. seine Schäfer einmal, als ein Paar Carmeliter aufführet, deren einer der strengen, der andere der gelindern Ordensregel zugethan ist. Er läßt sie so heftig mit einander streiten, daß der Richter, dazu er den Bembus macht, ihnen die Stäbe wegnimmt. Ob es nun wahrscheinlich sey, daß die Schäfer wie Mönche sprechen? das ist leicht zu sehen. Viel ärger aber macht ers in einer andern Stelle, wo der Schäfer gar einen Epikurer vorstellt, der weder Himmel noch Hölle glaubt. Der Poet will dieses entschuldigen, und sagt, Amyntas habe sich lange in der Stadt aufgehalten. Herr Fontenelle will diese Entschuldigung nicht gelten lassen; und in der That ist es anstößig, seine Schäfer als gottlose Leute aufzuführen. 11. §. Sannazar hat es versuchen wollen, ob man nicht Fischereklogen machen könne. Er hat den Theokritus zum Vorgänger, der auch einmal dergleichen gethan hat. Zwey Fischer schlafen in einer Strohhütte am Ufer beysammen, und der eine weckt in der Nacht den andern auf, und erzählt ihm seinen Traum, darinn es ihm vorgekommen war, als ob er einen goldenen Fisch gefangen hätte. Allein die Fischerarbeit ist viel zu beschwerlich, gegen das ruhige und glückselige Leben, das wir uns im Schäferstande vorstellen. Die See ist bey weitem so angenehm nicht, als eine schöne Aue: und die Schnecken oder Austern geben solche beliebte Geschenke nicht ab, als Blumen und Früchte. Es würde nicht besser herauskommen, wenn man anstatt der Schäfer, Bergleute, in Gedichten nachahmen wollte, wie einige Poeten bey uns versuchet haben. Diese Lebensart ist gleichfalls viel zu rauh, und die Arbeit zu sauer, als daß man viel Vergnügen dabey haben könnte. Zu dem schickt sich das Gold und Silber zu dem güldenen Weltalter nicht. Noch besser würden sich die Winzer zu solchen Vorstellungen brauchen lassen; als deren Arbeit so beschwerlich nicht ist, und mehr angenehme Gegenstände hat, als die vorige. Es käme auf den Versuch eines guten Dichters an, der diese Lebensart kennete. 12. §. Unter den Italienern haben Tasso, Guarini, Bonarelli und Marino, sich mit Schäfergedichten hervorgethan: Aber alle mit einander haben ihre Hirten viel zu scharfsinnig gemacht. Tasso, der noch am leidlichsten ist, hat dennoch in seinem Amyntas die Sylvia gar zu künstlich denken lassen. Sie hat sich mit Blumen geschmücket, und da sie sich in einem Brunnen spiegelt, sagt sie zu ihnen: sie trage dieselben, nicht sowohl sich selbst dadurch zu putzen, sondern vielmehr sie, durch ihre eigene Schönheit, zu beschämen. Bouhours hat diese Stelle mit gutem Rechte verworfen: aber gegen andere italienische Künsteleyen und Spitzfündigkeiten ihrer Schäfer, ist das noch nichts zu rechnen. Guarini läßt z.E. in seinem treuen Schäfer, eine Schäferinn, mitten in der Heftigkeit ihrer Liebe, auf eine sehr philosophische Art, die Götter zur Rede setzen: warum sie uns doch durch so scharfe Gesetze eingeschränket; zu gleicher Zeit aber dem Menschen solche unüberwindliche Begierden gegeben? Wer hätte dergleichen tiefes Nachsinnen bey einer Schäferinn gesuchet? 13. §. Unter den Franzosen haben Marot, Ronsard, Segrais und Fontenelle sich mit Schäfergedichten bekannt gemacht. Der erste ist abgeschmackt; der andre aber hat gemeiniglich hohe Materien in seine Eklogen gebracht, indem er fürstlichen Personen nur Schäfernamen giebt. Heinrich I. heißt Henriot, Carl der IX. Carlin, und Catharine von Medicis Catin. Ja, er läßt einmal die Schäferinn Margot das Lob des Turnebus, Budeus und Vatablus anstimmen, der größten Griechen und Hebräer ihrer Zeiten; von welchen seine Schäferinn billig nichts hätte wissen sollen. Das beste ist, daß er selbst gesteht, er habe seine Eklogen nicht nach Regeln gemacht. Segrais hat eben das im Absehen auf seine Schreibart gestanden, welche er hier und da zu künstlich und gleißend für Schäfer gemacht; sonst aber doch gewiesen hat, daß er auch ihren wahren Character wohl treffen könne. 14. §. Herr Fontenelle, dem ich diese Anmerkungen mehrentheils abborge, gesteht auch von sich selbst, daß er seine Schäfergedichte eher gemacht, als er sich um die Regeln derselben bekümmert gehabt. Er bekennet aber bey der Unbeständigkeit des Geschmackes seiner Zeiten: es sey besser, sich an die Regeln zu halten, und den wahrhaften Begriffen von einer Sache zu folgen. In der That hat er seine Schäfer zu scharfsinnigen Parisern gemacht. Sie sind oft so sinnreich, als Herr Fontenelle selbst, und einige neuere Critici haben nicht unrecht, wenn sie es ihm vorrücken, daß er seine Hirten eine Metaphysik über Liebessachen gelehret habe. Vielleicht hat er auch, bloß in der Absicht, diesen Fehler zu entschuldigen, gesagt: Die Schäfer der Eklogen müßten gleichsam seidene Kleider haben, die nur schäfermäßig geschnitten wären. Sonst sehe ich aus seiner vernünftigen Critik über andre, daß er in dieser Art von Gedichten unverbesserlich würde geworden seyn; wenn er sich nicht eher an diese Arbeit gemacht hätte, bis er sich die wahre Natur derselben besser bekannt gemacht gehabt. Wir haben einen ausführlichen Tractat davon im Französischen, den der Abt Genest geschrieben, und den man bey Fenelons Gedanken von der Redekunst und Poesie 1717. zu Amsterdam gedruckt hat; welchen ich hier nachzulesen anrathen will. 15. §. Unter den Engelländern haben sich sonderlich Philips und Spenzer in dieser Art von Gedichten gewiesen. Richard Steele macht in seinem Guardian sehr viel von ihnen, und hält sie allein für würdig, dem Theokritus und Virgil an die Seite gesetzt zu werden. Es ist nicht zu leugnen, daß nicht dieser gelehrte Scribent eine gute Einsicht in die Eigenschaften dieser Gedichte erwiesen habe. Sein 28stes, 30stes und 32stes Blatt des I. Theils, handeln ausführlich davon, und sonderlich ist das letzte merkwürdig, wo er alle seine Gedanken von Schäfergedichten, in einer Fabel von dem Schäfer Damon und seiner Tochter Amaryllis vorgetragen hat. Ich will einen Auszug davon hiehersetzen: weil diese allegorische Vorstellung die wahre Natur der Schäfergedichte, und alle Fehler, die man darinn begehen kann, sehr lebhaft vorstellet. Allein, wem die Eigenliebe der englischen Nation gegen sich selbst bekannt ist, der wird leicht schließen können, was davon zu halten sey, daß er nur seine Landsleute für würdige Nachfolger der Alten ausgiebt: So lautet indessen seine Fabel. Schäfergedichte, über die Natur der Schäfergedichte. Vorzeiten lebte in einem angenehmen Thale Arkadiens, ein reicher Mann, mit Namen Menalkas, der vom Gott Pan herstammen wollte, und daher sehr strenge auf die Regeln des Schäferlebens hielt, so, wie es im güldenen Weltalter gewesen war. Er hatte eine einzige Tochter, die Amaryllis hieß. Sie war ein Mägdchen von bezaubernder Schönheit, und ungezwungener Stellung; nur, da sie auf dem Lande erzogen war, so war sie überaus schamhaft. Ihre Stimme war überaus sanft, hatte aber auch etwas dorfmäßiges in ihrem Tone; welches gleichwohl allen, die sie hörten, eine neue Anmuth zu seyn schien. War sie gleich in ihrem Umgange überhaupt sehr gesellig, so bezeigte sie sich doch gegen ihre häufigen Liebhaber so schüchtern, daß viele, aus Verdruß über ihre vergebliche Mühe, sie verließen, und ihre Liebe andern zuwandten, wo sie besser aufgenommen wurden. Menalkas war indessen nicht nur entschlossen, einen Schwiegersohn zu wählen, der die Gewohnheiten des Hauses unverletzlichbeybehalten sollte; sondern hatte auch einen Abend, als er im Felde gewesen, eine Pfeife von alter Art, von einem Waldgotte bekommen; mit dem ausdrücklichen Befehle, seine Tochter niemanden zu geben, der nicht eben so darauf spielen könnte, als er ihn darauf spielen gehöret. Als die Zeit der Verheirathung herbeygekommen war, machte er seinen Entschluß bekannt, dadurch er die benachbarte Jugend einlud, einen Versuch auf diesem Instrumente zu thun; mit dem Versprechen: daß der Ueberwinder seine Tochter bekommen sollte, unter der Bedingung, daß die Ueberwundenen sich einer willkührlichen Strafe unterwerfen sollten. Wer sich nun dadurch nicht abschrecken ließ, sondern eine hohe Meynung von seinen Vorzügen hatte, der er schien an dem bestimmten Tage, in einem Aufzuge und Putze, der seinem Kopfe gemäß war. Der Kampfplatz war eine blumigte Wiese, durch welche ein heller Bach mit krummen Wendungen hin und her murmelte. Die Schäfer machten einen großen Kreis, um die kämpfenden Liebhaber: und auf einer Stelle darinn, saß auf einer kleinen Rasenbank, unter einem Schwiebogen von blühendem Rosendorn, und Königskerzen, der Vater des Mägdchens und zu seiner Rechten die Schöne selbst, mit Rosen und Liljen gekränzet. Sie hatte einen weiten Rock von schlechtem grünem Zeuge an, und hielt den Schäferstab in einer, die wunderliche Pfeife aber in der andern Hand. Der erste, der sich ihr näherte, war ein angenehmer und artig erzogener Jüngling, der sich aber reicher gekleidet hatte, als es in Arkadien jemals erhöret worden. Er hatte einen Carmosinfarbnen Rock an, der zwar nach Schäferart gemacht, aber so sehr gesticket, und mit Edelgesteinen besetzt war, daß die Zuschauer von dem Glanze geblendet, vor allen Zierrathen, den Schnitt des Kleides nicht gewahr wurden. Sein Haupt war mit einem Federhute bedecket, und sein Schäferstab glänzte von Golde und Silber. Er trat auf eine sehr höfliche Art zu der Schönen, und sprach: Madame, sie brauchen keinen Spiegel, sich auf heute zu putzen; sie können ihre Schönheit schon aus der Menge ihrer Eroberungen sehen 1 . Amaryllis hatte eine so artige Schmeicheley noch niemals gehört; daher wußte sie ihm nichts zu antworten, sondern gab ihm die Pfeife hin. Er setzte dieselbe an den Mund, und hub an, mit so vielen Bebungen, Läufen und Trillern zu spielen, daß die Schäfer und Schäferinnen, die sich paarweise zum Tanze gestellet hatten, seinem Liede nicht folgen konnten; weil sie zu solchen ordentlichen und abgemessenen Schritten, als er erforderte, niemals angeführet waren. Menalkas befahl, ihm seine köstlichen Kleider auszuziehen, ihn in ein dunkelbraun Gewand zu kleiden, und ihn auf Jahr und Tag ins Thal zu den Schafen zu schicken. Der andere, der da erschien, sah ganz anders aus. Er hatte einen Rock von rauchen Ziegenfellen an. Sein Haar war verwirrt, sein Bart ungeputzt; von Person war er grob, von Sitten tölpisch. Er trat ganz frech zu der Nymphe, und sagte: Er hätte seine Lämmer geherzet, und seine jungen Böckchen geküßt; er hoffete aber eine zu küssen, die viel sanfter wäre 2 . Die Schöne erröthete vor Schamhaftigkeit und Verdruß, und that einen Seufzer wider ihn, als sie ihm die Pfeife hingab. Er riß sie ihr aus der Hand, konnte aber schwerlich einen Ton zuwege bringen; sein Klang war so rauh und kreischend, daß alle Schäfer riefen: Er verstünde keine Musik. So fort ward ihm befohlen, in die felsichten Theile Arkadiens zu gehen, und die Ziegen zu hüten, auch Lebenslang keine Pfeife mehr anzurühren. Der dritte der sich näherte, kam in sehr engen und ungequemen Kleidern, so, daß er nicht ohne Mühe einherzutreten schien. Er trat zu der Schäferinn mit tiefsinnigen Blicken, und sprach nach einem kurzen Stillschweigen; Göttliche Amaryllis, ihr tragt eure Rosen, nicht eure Schönheit zu vermehren, sondern dieselben zu beschämen 3 . Da sie nun nicht verstund, was er damit haben wollte, so überreichte sie ihm stillschweigend das Instrument. Sein Spielen war so verworren, und gekünstelt, daß die Schäfer stockstill stunden, und ganz erstarrt und erstaunt waren. Er entschuldigte sich damit, daß dieß die vollkommenste Musik von dem größten Tonkünstler aus Hesperien wäre. Menalkas trug mit ihm, als einem Fremden, ein Mitleiden, und übergab ihn einem alten Schäfer, dem er befahl, ihm bequeme Kleider zu schaffen, und ihn deutlich reden zu lehren. Der vierte, der hinzutrat, war der junge Amyntas, der schönste von allen arcadischen Schäfern, den auch Amaryllis schon heimlich liebte. Er trug diesen Tag dieselbe Farbe, als die Schäferinn, nach der er seufzete. Er trat zwar mit ungezwungenen, doch blöden Schritten zu ihr. Als er ihr näher kam, erröthete sie, und als sie ihm die gefährliche Pfeife gab, so zitterten sie beyde, aber keiner konnte ein Wort sprechen. Nachdem er endlich zu den Göttern geseufzet, so blies er in solchen wohlklingenden Tönen, daß, ob sie gleich etwas wild und unregelmäßig waren, sie dennoch alle Herzen mit Vergnügen erfüllten. Die Schäfer fingen so gleich an zu tanzen, und die Alten bezeugten, daß sie oftmals bey Nacht dergleichen is Musik gehöret hätten, die, wie sie glaubten, von irgend einem Feldgotte gemacht worden. Der ehrliche alte Mann sprang von seinem Sitze auf, und gab ihm, nachdem er ihn umarmet, seine Tochter, bey allgemeinem Freudengeschrey. Mitten in dieser Freude, wurden sie durch eine wunderbare Erscheinung erschreckt. Ein Mann in einem blauen Mantel, dessen Haupt mit Binsen und Riedgras gekrönt war, sprang mitten in den Kreis. Er hatte eine Angelruthe in der Hand; und einen Korb auf dem Rücken. Ein magerer armseliger Kerl, in nassen Kleidern, trug einige Austern vor ihm her. Auf die Frage, von wannen er käme, und wer er wäre? sprach er: er käme, die Amaryllis, von den Gefilden an das Seeufer zu bitten. Sein Vermögen bestünde in Meerkälbern, und er wäre mit den Nereiden und Najaden bekannt. Bist du mit den Najaden bekannt: so gehe auch wieder hin zu ihnen ! sprach Menalkas zu ihm. Die Schäfer rafften ihn sogleich, als einen Feind Arkadiens auf, und schmissen ihn in den Fluß, wo er untergieng, und niemals wieder zum Vorscheine kam. Amyntas und Amaryllis führten ein langes und glückseliges Leben, und beherrschten die arkadischen Thäler. Ihre Nachkommen sind sehr alt geworden; und haben in 2000 Jahren nur viere derselben gehabt. Ihr erster Erbe hieß Theokritus, der seine Herrschaft dem Virgil überließ. Diesem folgte sein Sohn Spencer; und Spencern folgte sein ältester Sohn Philipps. 16. §. Unter uns Deutschen hat sich zuerst Opitz in etlichen Schäferliedern gewiesen, ja er hat auch des Engelländers Philipsens Arkadia, welche Valentin von Hirschberg zuerst deutsch übersetzt hatte, von neuem heraus gegeben, und die Gedichte darinn in deutsche Verse gebracht. Er hat unter andern in dem IVten Buche seiner poetischen Wälder seinen Begriff von der Schäferpoesie sehr fein ausgedrückt, wo er beweisen will, daß die Poeterey unsterblich sey. Es heißt: Cupido führet mich in eine grüne Wüsten, Da der Poeten Volk, weit von Begier und Lüsten, Vorzeiten hat gelebt, wie noch die erste Welt Nichts von den Städten wußt, und wohnte um das Feld. Die Nymphen werden mir den Lorberkranz aufsetzen, Mit meinen Versen wird sich Erato ergetzen: So weit die grüne Lust und hohen Wälder gehn, So weit wird mein Gedicht an allen Bäumen stehn. Ihr Oerter voller Freud, du Aufenthalt der Hirten! Ihr Bäch, ihr Ahornbäum, ihr Quell, ihr zarten Myrten! Ihr Thäler, ihr Gebirg, ihr Blumen und ihr Stein, Ihr Wohnhaus voller Ruh, bey euch wünsch ich zu seyn. etc. Unter seinen Oden ist gleich die erste eine Schäferode auf seine Galathee. Die andre auf Phyllis, und die dritte auf eben dieselbe sind eben so schön, und man kann sich selbige zu Mustern dienen lassen. Auch in seiner Schäferey von der Nymphe Hercinie, kommen einige feine Stücke von seiner Arbeit vor, die hieher gehören. Simon Dach hat auch dergleichen mit gutem Fortgange versuchet, wie ich in Kindermanns deutschem Poeten etliche Proben von ihm finde, und davon die eine meinem Capitel von Oden angehänget ist. 17. §. Flemming hat zwar hin und wieder in seinen Oden gewiesen, daß er die Schönheiten des Landlebens vortrefflich beschreiben könne. Doch hat er kein eigentlich sogenanntes Schäfergedichte gemacht. Schoch hergegen hat in seinem Blumengarten durch seine Hirtenlieder viel Ehre eingelegt, obgleich die Verse zuweilen etwas hart sind. Es sind aber in der That auch nur Lieder, und keine in langen Versen abgefaßte Gedichte, wie Virgils seine. Es kommen auch zuweilen Sachen darinn vor, die für Schäfer nicht ehrbar genug klingen. Bisweilen aber geräth es ihm auch sehr gut. Z.E. auf der eilften Seite steht eins: Wie kannst du mich doch, edle Phyllis, lieben? welches ganz ungemein ist. Ein Paar Strophen können zur Probe dienen. Die Schäfer redet seine Geliebte an: Du aber bist der Ausbund unsrer Matten, Du, Schöne! bist an allen Schätzen reich: Der Himmel wünscht mit dir sich zu begatten, Die Sonne wird vor deinen Augen bleich. Du nennst dich her vom hohen Schäferstande, Und hast dazu den besten Sitz im Lande. Dein Vieh muß dir in vollen Eitern stehen, Der Heerde Mann, der große Ziegenbock, Der täglich pflegt der Heerde vorzugehen, Der schält nach Lust den pappelweiden Stock. Der Klee, auf dem die müden Lämmer tischen, Macht, daß voll Milch fast alle Gelten gischen. Gleichwie der Thau, aus seinen nassen Wolken, Sich bey der Nacht in unsre Saaten geußt, So weiß bist du, wenn du das Vieh gemolken, Wenn du es hast mit Futter abgespeist. Die Auen die, und alle deine Triften Die werden dir ein ewig Wesen stiften. Such einen dir aus unsern meißner Hirten, Such einen dir, der nett, polit und reich, An meiner statt, der dich recht kann bewirthen, Such einen dir, der dir an Mitteln gleich. Die braune Faust darf sich ja nicht erkühnen, Dich, schönes Kind, nach Würden zu bedienen. Doch sag ich dieß, die Wahrheit nicht zu schonen: Ich bin zwar nur ein schlechter Bauerknecht, Doch frömmer noch, als die in Städten wohnen, Bin ohne falsch, und fein gerecht und schlecht. Ich kann nicht hoch die hohen Worte treiben, Doch mag man mir in meiner Einfalt gläuben, etc. etc. 18. §. Doch diese alle haben noch keine solche Eklogen verfertiget, als wovon wir bisher gehandelt haben. Hier kann ich also keinen bessern nennen, als Neukirchen, der uns etliche schöne Proben davon in den hofmannswaldauischen Gedichten gegeben hat, und also unser deutscher Theokrit zu heißen, verdient. Die erste steht im ersten Theile auf der 52. Seite, und heißt Sylvia, und ist durchgehends schön, nur ein Paar Stellen sind nicht eben zu billigen. Der erste Gedanke ist für einen Schäfer gar zu romanhaftig: Ja, wenn ich endlich dich Im Felde nirgends seh, so übereil ich mich, Und denk: Ist nun ihr Geist gen Himmel gar gestiegen, Und kann sie denn zugleich bey Sternen und bey Ziegen, Des Abends Sylvia, und früh Aurora seyn? Die andre Stelle ist nicht nach den Sitten der Schäfer eingerichtet: Denn er will seiner Sylvia einen bürgerlichen Haarputz schenken. Ach! stolze Sylvia, laß deinen Zorn sich wenden: Ich will dir, wo du willst, auch wohl Geschenke senden; Nicht etwa, die der Wald und unser Garten hegt, Nicht, die das reife Feld uns in die Scheuren legt: Nein, sondern einen Putz, mit Puder überschlagen, Wie in der Stadt itzund die Bürgertöchter tragen. Was sollte die Schäferinn mit einem solchen Puderputze machen? Würde sie denselben aufzusetzen wissen? Oder würde sie es für gut finden, sich auf dem ganzen Dorfe zum Gelächter zu machen? Ein hübsches Lamm, ein schönes Körbchen, ein bunter Stab, oder ein künstlicher Strohhut, wären bessere Geschenke für diese Schäferinn gewesen. Endlich die dritte ist wider die Tugend selbst. Denn Thyrsis will sich das Leben nehmen. Doch, wo du auch hierdurch nicht zu bewegen bist, So weis ich Aermster nicht, was weiter übrig ist; Als daß ich meinen Rumpf an einen Eichbaum henke: Vielleicht liebst du mich todt, weil ich dich lebend kränke. Ein solch strafbares Verfahren steht keinem Schäfer an: und Sylvia würde ihm aus gerechtem Eifer, über ein so unvernünftiges Bedrohen, gewiß bloß deswegen ihre Liebe versagen müssen. Weit besser ist ihm das auf den vermeynten Tod dieser Sylvia gerathen, welches auf der 69. Seite desselben Theils zu finden ist. Man wird es am Ende dieses Capitels finden. 19. §. Auf dem 75. Blatte steht eines andern unbekannten Poeten Gespräche zweyer Verliebten, welches auch seiner Absicht nach ein Schäfergedichte bedeuten soll. Dieses ist aber so abgeschmackt und garstig, daß es nichts weniger, als diesen Namen führen kann. Hergegen sind im VI. Theile dieser Gedichte auf der 78. und 85. Seite von C.H. noch ein Paar, die mir sehr gut gefallen, weil eine gewisse Einfalt und Unschuld darinn herrschet, die mit keiner Grobheit vermenget ist. Z.E. auf der 79. S. steht ein kleiner Umstand sehr natürlich beschrieben. Ich glaub, es hatte mirs der Pan so eingegeben, Der Pan, der Hirten Gott, der für der Schäfer Leben, Als wie für seines sorgt: damit ich, Saladin, Dir möchte diesen Dorn aus deinem Fuße ziehn. Da stund ein Eichenbaum mit sehr gekrümmten Zweigen, (Ich dächt, ich wollt ihn dir noch diese Stunde zeigen, Es war ein junger Baum, sonst gleich und ziemlich breit, Und auf der Rinde noch mit Moose nicht bestreut,) Da sah ich etc. Imgleichen, kömmt auf der 82. Seite eine sehr artige Stelle, die wohl werth ist, daß ich sie anmerke. Zudem gefallen mir auch hier die Schäferhütten, Der Hirten Lebensart, der Schäferinnen Sitten Fast im geringsten nicht: Und wärst du nicht bey mir, Ich glaub, ich wäre schon vorlängsten nicht mehr hier. Es giebt gar kahle Trift am Ufer dieser Elbe, Die Schäferinnen sind auch mehrentheils sehr gelbe Und etwas baurenstolz: Sie bilden sich was ein, Und meynen Wunder! was sie für Gesichter seyn. Zudem so giebt es hier auch nasenweise Hirten, Die soll nun unser Eins bey Tag und Nacht bewirthen: Die tadeln oftermals auch unsrer Flöte Klang, Doch klinget ihr Geschrey, so wie ein Froschgesang. Nächst ließ ein solcher Mann ein Lied bey mir bestellen, Ich macht es; da wollt er ein kluges Urtheil fällen, Und sprach: Das Lied gefällt mir im geringsten nicht; Es ist nicht hoch genug, nicht prächtig eingericht. Darüber mußt ich nun wohl recht von Herzen lachen, Daß sich der Corydon so mausig wollte machen. Der doch so viel davon, als jener Bock versteht, Der forne vor der Heerd aus Stolz und Hoffart geht. Es ist in dieser Flur nun leider dahin kommen, Wenn man nicht ihren Sinn in Obacht hat genommen, Und Marmor, Purpur, Gold und Sonn hinein gebracht, So wirds aus Unverstand von ihnen ausgelacht. 20. §. Innerlich kann man die Eklogen in epische und dramatische eintheilen. In jenen redet der Poet selbst durchgehends, ob er gleich zuweilen auch andre redend einführen kann. In dramatischen redet der Poet gar nichts, sondern stellet nur das Gespräch und die Handlungen andrer Schäfer und Hirten vor. Beyde Arten können größer und kleiner gemacht werden. Ein großes episches Schäfergedichte ist z.E. des Longus Historie von Daphnis und Chloe, davon ich im ersten Theile des Biedermanns einen kurzen Auszug gegeben habe, imgleichen des Herrn von Urfe Asträa, Philipps Arkadia, die schöne Schäferinn Juliana, etc. wiewohl das letzte nichts taugt. Von großen dramatischen Schäfergedichten, die man auch Pastorale nennt, sind des Tasso Amyntas, des Guarini treuer Schäfer, des Corneille schwärmender Schäfer, den A. Gryphius deutsch übersetzt hat, und des Herrn Fontenelle Endimion bekannt, welches letztere ich bey den Gesprächen von mehr als einer Welt, übersetzt habe. Im Deutschen haben wir Dünnehaupts gedrückten und erquickten Jacob, der in den Beyträgen zur crit. Hist. der deutschen Sprache beurtheilet worden. Des A. Gryphius Zwischenspiel, welches er in das verliebte Gespenste eingerücket hat, ist mehr ein Bauerstück, als ein Schäferspiel zu nennen; zumal, da es in der heutigen Bauersprache geschrieben ist, und sehr plump klingt. Die Regeln von beyden Arten kommen in den Capiteln von Heldengedichten und theatralischen Poesien vor. Hier handeln wir nur von den kleinen Schäfergedichten, die wir Idyllen und Eklogen zu nennen pflegen; und da finden wir im Virgil sowohl epische als dramatische Muster, die wir nachahmen können. 21. §. Wir habens oben gesagt, daß die Schäfer nichts von Königen und Fürsten wissen sollen. Dieses ist aber nur von ihnen selbst zu verstehen, nicht von benachbarten Ländern. Denn man kann sich einbilden, daß noch ein Ueberrest der alten Unschuld in einer gewissen glückseligen Landschaft geblieben; nachdem man sonst schon allenthalben Städte gebauet, Obrigkeiten geordnet, Gesetze gegeben, und dadurch der einreißenden Bosheit zu steuren gesucht. Da müssen aber die Schäfer von einem solchen republikanischen, oder monarchischen Zustande eines Landes, allezeit mit einiger Verabscheuung reden, und ihre güldene Freyheit allem Prachte der Städte weit vorziehen. So hat es Neukirch in dem Schäfergedichte auf den Herzog zu Coburg gemacht, das man am Ende des Capitels findet. Da es aber angeht, auch allegorische Eklogen zu machen: so kann man freylich auch unsere Könige und Fürsten in Schäfergedichte bringen. Virgil hat solches in seiner ersten Ekloge gethan, wo er von Augusts Freygebigkeit gegen den Schäfer Tityrus handelt. Er redet daselbst durchgehends von dem Kaiser, als von einem Gotte: weil er wohl sah, daß sich der Name eines Fürsten für Schäfer nicht schickte. Allein ich wollte lieber, daß er diese so hochgetriebene Schmeicheley vermieden, und den Kaiser als den reichsten, klügsten und ansehnlichsten Schäfer in der ganzen Gegend beschrieben hätte, wie es gleichfalls Neukirch in einem solchen Gedichte auf den König in Preußen gemacht, das man auch am Ende sehen wird. Dieses würde eine weit angenehmere Abbildung von demselben gemacht haben: und wir haben um desto mehr Ursache, unsere Regenten unter solchen Bildern vorzustellen, da sie selbst in der Schrift als Hirten ihres Volks beschrieben werden. 22. §. Wegen der Namen in Schäfergedichten fragt sichs, ob man die alten griechischen brauchen, oder seinen Hirten heutige Namen, die auf dem Lande gewöhnlich sind, geben solle? Richard Steele ist der letzten Meynung zugethan, und er glaubt gar, man müsse die Schäfergedichte in einer bäurischen Mundart machen: so wie Theokritus sich im Griechischen des dorischen Dialekts bedienet hat. Allein ich halte es mit denen, die in den alten Schäfernamen was edlers finden als in den heutigen. Diese würden zu verstehen geben, daß man von itzigen Bauren, wie wir sie auf unsern Dörfern haben, reden wolle; welche gewiß zu poetischen Eklogen zu grob sind. Jene hergegen zeigen sogleich an, daß man von ganz andern Schäfern, als die heutigen sind, reden wolle. Mit der dorischen Mundart war es auch ein ganz anders, als mit unsrer heutigen Bauersprache. Jene hatte ihre gewisse Regeln, und herrschte in einem großen Theile von Griechenland, sowohl in Städten als auf dem Lande. Unsre Bauersprache aber ist auf allen Dörfern anders. Selbst die Niedersächsische schicket sich nicht dazu, da sie selbst in Städten sich alle zwey oder drey Meilen ändert, und also zu keiner Gewißheit zu bringen ist. Man lese nur in der Poesie der Niedersachsen, die plattdeutschen Gedichte, die bald holsteinisch, bald braunschweigisch, bald hannöverisch reden; dagegen Laurenberg meklenburgisch schreibt, und Caspar Abel wieder anders dichtet. Wer indessen nur seines Ortes Beyfall erwerben wollte, der könnte es auch in seiner besondern Mundart versuchen. Wer ganz Deutschland gefallen will, der muß bey der hochdeutschen Sprache bleiben; doch so, daß allezeit etwas dorfähnliches und einfältiges mit unterlaufe. 23. §. Die Schreibart der Eklogen muß niedrig und zärtlich seyn. Ihre Zierrathe müssen nicht weit gesucht seyn, sondern sehr natürlich herauskommen. Die Gleichnisse müssen nicht gar zu oft vorkommen, obwohl Virgil sie sehr zu häufen pflegt. Sprüchwörter stehen den Schäfern viel besser an. Man bedienet sich darinn der sechsfüßigen jambischen Verse mit ungetrennten Reimen, wie Neukirch gethan: wiewohl ich mich durch das Exempel einiger Neuern auch einmal verleiten lassen, ein Paar in der Poesie der Faulen zu verfertigen, ich meyne in madrigalischen oder recitativischen Versen. Das erste ist allezeit besser: doch wollte ich eben nicht wehren, daß nicht ein Schäfer zuweilen eine kleine Arie oder Ode von etlichen Strophen darzwischen singen: oder wohl gar eine Elegie anstimmen könnte, um sein Betrübniß worüber auszudrücken. Ein Exempel von einem schönen Schäferliede giebt Bessers Eleonora die Betrübte etc. ab, ja ich habe auch dergleichen eins singen hören: Ob ich gleich ein Schäfer bin etc. welches mir sehr wohl gefallen hat. Nun will ich etliche Proben von Neukirchs Arbeit hersetzen, zuvor aber des Boileau Regeln davon, wiewohl übersetzt mittheilen. Wie eine Schäferinn am schönsten Festtage, ihr Haupt nicht mit stolzen Rubinen putzet, und ohne den Glanz der Diamanten mit dem Golde zu vermischen, ihre besten Zierrathe auf dem nächsten Felde pflücket: so muß auch eine schöne Idylle von lieblichem Ansehen, von niedriger Schreibart, und ohne alle Pracht glänzend seyn. Ihr natürlich einfältiger Ausdruck, hat nichts pralendes an sich, und liebet den Stolz kühne Verse nicht. Ihre Gelindigkeit muß nur schmeicheln, kützeln und erwecken; aber niemals mit neugemachten Wörtern das Ohr erschrecken. Allein sehr oft pflegt ein Reimenschmidt, der in dieser Schreibart nicht fortkann, Flöte und Schalmey aus Verdruß wegzuwerfen, und in seiner unbesonnenen Hitze, auf eine thörichte Pracht zu gerathen. Mitten in der Ekloge stößt er in die Trompete; Pan erschrickt vor diesem Tone, und flieht in sein Schilf; und die scheugewordenen Nymphen, verstecken sich unterm Wasser. Jener andere hingegen, dessen Sprache niederträchtig ist, läßt seine Schäfer sprechen, wie man auf dem Dorfe spricht. Seine groben und pöbelhaften Verse, die nichts von Anmuth wissen, küssen immer die Erde, und kriechen jämmerlich einher. Man sollte denken, daß Ronsard selber noch auf seinen bäurischen Pfeifen, seine gothischen Lieder hertrillerte, und ohne Klang und Ohr zu fragen, den Lycidas in Petern, und die Phillis in Greten verwandelte. Zwischen diesen beyden Abwegen, ist die Mittelstraße schwer. Folge, wenn du sie finden willst, dem Theokrit und Virgil . Schäfergedichte. B. Neukirch, auf die Sylvia. Der arme Thirsis lag nächst unter einer Eichen, Bey Quellen, die an Glanz dem hellen Silber gleichen; Und dachte lange Zeit dem herben Ungemach, Und den Verkehrungen in seiner liebe nach. Doch endlich löste sich die Stimme seiner Zungen, Er sang, daß Berg und Thal von diesen Worten klungen: Ach! strenge Sylvia! warum verachtst du mich? Die Sonne brennt, und wirft die Stralen unter sich, Luft, Feld und Erde brennt, die kühlen Ströme brennen, Von Flammen, die auch schon die jungen Lämmer kennen; Dein Thirsis aber fühlt viel mehr als alle Pein, Und du alleine nur willst Schnee und Kälte seyn? So bald ich neulich dich, (du wirst es noch wohl wissen) Mit aufgeschürztem Rock und halb entblößten Füssen, Als eine Jägerinn durch Wald und Büsche ziehn, Und jene Hindinn sah vor deinen Waffen fliehn; So dacht ich bey mir selbst: Was fleuchst du vor den Wunden; O Hindinn, die du doch in solchen Händen funden? Und gleich den Augenblick entbrannte Blut und Herz, Ich fühlt, ich weis nicht was für einen Seelenschmerz; Die Mutter aber sprach: es wäre Brunst und Liebe! Was sollt ich Aermster thun daß ich verschonet bliebe? Ich riß den engen Rock bis auf den Gürtel auf, Ließ meine Schafe stehn, und sprang in vollem Lauf Dir auf dem Fuße nach: allein du warfst die Hände Und deinen weißen Schleyr (o gar zu strengen Hände! O allzuharter Schleyr!) vor Mund und Brüste für, Und flohest ärger noch als Wild und Hirsch vor mir. Drauf stund ich ganz erstarrt, gleich wie die matten Tauben, Wenn ihnen Pfeil und Blitz den süßen Buhlen rauben; Und rief wohl tausendmal dir deinen Namen nach: Gleich legte sich der Wind und wehte ganz gemach. Du aber liefst mir nach, indem ich rief, zum Possen, Und hattest Ohr und Herz, wie deine Brust, verschlossen. Wer hilft mir Aermsten nun in meiner schweren Pein? Ich laufe Hügel an, ich steig ins Thal hinein; Doch, Thal und Hügel hört mein Weinen und mein Klagen, Ja, Echo will mich gar mit Wiederhällen plagen, Und ist zugleich betrübt. Jedoch ich wünsch allein, Verliebt, und auch allein bey mir betrübt zu seyn; Sonst möchte, wenn allhier sich falsch und wahr gesellten, Die Nymphe meinen Schmerz auch für erdichtet schelten. Wiewohl es ist umsonst, mein Weinen und mein Schmerz: Denn du, o Nymphe, treibst mit allen beyden Scherz. So sehr verachten mich nicht Phillis und die Dore: Denn Phillis band mich nächst mit einem Haberrohre, Das ihr Corallenmund mit Freuden oft geküßt; Und Dore hat mich gar erst heute noch gegrüßt. Allein, nicht Phillis Mund, nicht Dorens Purpurwangen, Sind mächtig, so wie du, mein treues Herz zu fangen. Der Wald wird Zeuge seyn! die Oder, und der Strand, Und jener Erlenbaum, auf dessen Rindenwand Ich unsre Namen nächst mit Thränen angeschrieben. Ich hab es selbst gesehn, wie ihre Schrift beklieben: Des Abends stunden sie noch weit und unvermengt, Des Morgens waren sie wie Ketten eingeschränkt. Dreymal hab ich mit Lust dieß Wunderwerk gelesen, Und dreymal bin ich fast vor Küssen todt gewesen. O Küsse! die nach Thau – – –. Was aber hilft es mich? Die Namen sind vereint, die Leiber scheiden sich! Der helle Lucifer bringt schon den dritten Morgen; Und dennoch sieht man mich nicht für die Schafe sorgen. Die Ziegen haben noch kein frisches Gras geschmeckt, Die jungen Böcke nur die dürre Brust geleckt. Ich selber habe noch vom Weine nichts genossen, Kein Stücke Brod gesehn, kein Auge zugeschlossen: Denn ohne dich, vergeht mir alle Schäferlust, Und ohne dich, ist mir auch kein Geschmack bewußt. Doch, gönnst du einmal nur uns einen süßen Morgen; So will ich wiederum für meine Schafe sorgen. Die Ziegen sollen fort, und in die Weide gehn, Die Eiter voller Milch, die Böcke trunken stehn. Ich selber aber will den Bachus wieder grüßen, Nach frischem Brode sehn, und neuer Ruh genießen. Und stürbe gleich mein Vieh, mein väterliches Gut, Und aller Wiesen Wuchs, durch Brand und Wasserfluth; So will ich, wann sie mich nur deiner nicht berauben, Mich dennoch in der Welt am allerreichsten glauben. Wenn der beperlte Thau des Morgens niederfällt, Und sich das erste Licht der Sonnen eingestellt, Schau ich den Tropfen zu, indem sie sich verbinden, Ob ich dein Bildniß kann in ihren Farben finden. Ich seh zwar vielerley; nichts aber ist wie du: Das Gold schließt seinen Glanz vor deinen Haaren zu; Der Reif muß deiner Haut, die Stirne, Liljen weichen; Den Wangen ist kein Blut noch frische Milch zu gleichen: Der Mund beschämt Rubin, die Zähne Helfenbein; Die Augen, Phöbus Licht, und aller Sterne Schein. Vom andern weis ich nicht, wie einem muß geschehen; Weil ich es, Schönste! nur kann in Gedanken sehen. Wenn denn Aurorens Schooß die Rosen aufgethan; So schau ich ihre Pracht mit starren Augen an, Und suche, deinen Mund in ihren Purpurstralen: Doch bleib ich zweifelhaft, was schwerer sey zu malen; Du, oder aber sie? Ja wenn ich endlich dich Im Felde nirgend seh; so übereil ich mich, Und denk: Ist nun ihr Geist in Himmel schon gestiegen? Und kann sie denn zugleich bey Sternen und bey Ziegen, Des Abends Sylvia, und früh Aurora seyn? So denk ich; trifft es gleich nicht mit der Wahrheit ein. Ach Sylvia! du wirst nicht ewig so verbleiben! Der Tod kann seine Lust mit Blum und Schönheit treiben. Und endlich möchtst du wohl im Alter in dich gehn; Ich aber weis itzt nicht die Schmerzen auszustehn. Schau! Bachus liebt den Wein. Weil Bachus Wein wird lieben; Soll sich dein Thirsis auch in steten Flammen üben. Je mehr du vor ihm fliehst, je weiter folgt er nach; Denn dir zu schlecht zu seyn, ist warlich keine Schmach! Ja sollte gleich die Zeit die Reizung dir verderben, Und sollte dein Gesicht wie deine Jahre sterben: So soll mir, Schönste, doch noch deiner Rosen Schein, Und deiner Glieder Schnee stets vor den Augen seyn. Ach, stolze Sylvia! laß deinen Zorn sich wenden! Ich will dir, wo du willst, auch wohl Geschenke senden. Nicht etwa, die der Wald und unser Garten trägt; Nicht, die das reife Feld uns in die Scheuren legt. Nein, sondern einen Putz mit Puder überschlagen, So, wie ihn in der Stadt die Bürgertöchter tragen; Und einen bunten Korb, den neulich erst Serran Mit großer Kunst gemacht. Serran, der kluge Mann! Der Hirten größte Lust, der Zierrath unsers Landes, Der alle Bürger so an Gaben des Verstandes, Gleichwie die Nachtigall die Raben, übertrifft; Der mich zuerst gelehrt, wer diese Welt gestift? Woher ihr roher Teig und ihre Form gekommen? Wie Städte sich gemehrt und wieder abgenommen? Was Sonn und Sterne seyn, und wie ihr Licht die Welt Durch seinen steten Lauf in der Bewegung hält? Der sag ich, alles mir, nur dieses nicht, gezeiget; Wie man, o Sylvia! dein steinern Herze beuget. Doch wenn auch hierdurch du nicht zu bewegen bist; So weis ich Armer nicht was weiter übrig ist, Als daß ich meinen Rumpf an einen Eichbaum henke. Vielleicht liebst du mich todt; weil ich dich lebend kränke. Schreib aber auf mein Grab nur noch, zu guter Nacht! Allhier hat Sylvia den Thirsis umgebracht. Ueber den vermeynten Tod der Sylvia. B. Neukirch. Der weit erschollne Tod der schönen Sylvia, Der nur der Meynung nach, nicht in der That, geschah, Gieng ihrem Seladon so ungemein zu Herzen: Daß er das Feld verließ, und voll entbrannter Schmerzen In eine Wüste lief, allwo er lange Zeit Vor vielen Seufzern schwieg; bald aber weit und breit (Nachdem ein Thränenguß die erste Regung stillte,) Die ausgespannte Luft mit diesen Klagen füllte. Betrübter Seladon! was hast du doch erlebt? Dein Liebesfaden ward mit Weh und Angst gewebt, Mit Schmerzen wird er nun auch wieder abgeschnitten. Du hast sehr viel gehofft, noch aber mehr erlitten. Ein Tag schloß deinen Geist in schwere Ketten ein; Itzt heißt ein andrer dich, frey, aber elend seyn. O Himmel, Erd, und Luft, erhöret meine Lieder! Schafft meine Sylvia! schafft meine Liebste wieder! Mich dünkt, ich kann annoch den Ort im Traume sehn, Wo unser erster Blick, wo unser Kuß geschehn. Hier hat das liebe Kind mir Blumen abgepflücket; Dort hab ich ihren Mund mit süsser Milch erquicket. Hier sang, hier spielte sie, dort weinte sie vor Leid, Und küßte, da sie schied, mich, voller Traurigkeit. O Himmel, Erd und Luft, erhöret meine Lieder! Schafft meine Sylvia! schafft meine Liebste wieder! Die Sterne stralen sehr; noch schärfer Cynthia; Doch lange nicht so schön, als meine Sylvia. Vor ihrem Munde muß Aurora selbst erbleichen, Narcissus durfte sich nicht ihren Wangen gleichen. Ihr Hals und ihre Brust war Schnee und Helfenbein, Ihr süsses Augenlicht ein steter Sonnenschein, O Himmel, Erd und Luft, erhöret meine Lieder! Schafft meine Sylvia! schafft meine Liebste wieder! Wann ich mein Morgenbrod mit Salz und Thränen aß, So fiel sie neben mir in das bethaute Gras, Und sang, als wollte sie die ganze Welt bewegen. Die Winde mußten sich auf ihre Seufzer legen. Die Blitze stunden still; und Phöbus trat die Bahn So oft er sie ersah, mit vollen Freuden an. O Himmel, Erd und Luft, erhöret meine Lieder! Schafft meine Sylvia! schafft mir die Liebste wieder! Ihr Quellen, die ihr mich mit Wasser oft getränkt, Ihr wißt, wie sehr ich mich durch Lieben abgekränkt; Doch wollt ich gerne noch mein ganzes Blut hingeben, Könnt ich bey Sylvien nur arm und elend leben, Ich ließe Hof und Haus und alle Schafe stehn Und wollte, wär es noth, nach Brodte betteln gehn. O Himmel, Erd und Luft, erhöret meine Lieder! Schafft meine Sylvia! schafft meine Liebste wieder! Ach! (sprach das arme Kind beym Scheiden für und für) Mein liebster Seladon! das Herze saget mir, Du wirst mich heute wohl zum letztenmale sehen. So wie sie mir gesagt, so ist es auch geschehen! Hin Tag und eine Nacht begräbet mich und sie: Sie, todt, und ohne Schmerz; mich, lebend, voller Müh. O Himmel, Erd und Luft, erhöret meine Lieder! Schafft meine Sylvia! schafft meine Liebste wieder! Ihr Götter, sagt mir nur, liegt sie in eurem Schooß? So bitt ich sie vielleicht durch meine Seufzer los. Hat sie der Schwefelgrund der feuerlichten Höllen; So lösch ich ihre Glut mit meinen Thränenquellen. Und hat sie endlich gar Neptunens tiefes Haus; So zehr ich seinen Strom durch meine Flammen, aus. O Himmel, Erd und Luft, erhöret meine Lieder! Schafft meine Sylvia! schafft meine Liebste wieder! Jedoch es ist umsonst; betrübter Seladon! Der Himmel höret nicht mehr deiner Lippen Ton. Der Wald erzittert zwar vor deinen schweren Klagen; Doch will er, was du fragst, nicht mehr zurücke sagen. Brand, Wasser, Erd und Luft befördern deinen Tod, Und jeder Augenblick mehrt deine Sterbensnoth. Was sinnst du weiter denn auf ungereimte Lieder? Du kömmst zu Sylvien; sie kömmt zu dir nicht wieder. Auf den Geburtstag seiner Hochfürstl. Durchl. Herzog Albrechts zu Sachsen-Coburg, etc. B.N. Ihr müden Schafe! geht, genießet eurer Ruh! Und schließt die Augen dort an jenem Berge zu, Wo Coburgs reicher Pan auf den begrünten Auen Uns neulich unverhofft ließ seine Lämmer schauen! Du aber, großer Fürst! nimm meine Lieder an! Denn ob ich Aermster gleich nichts hohes singen kann, Und etwa nicht mein Rohr und meine Weidenflöte So majestätisch klingt, als deine Feldtrompete: So weis ich dennoch wohl, daß dir die Schäferey Und unser Hirtenspiel nicht ganz zuwider sey: Sonst hättest du, o Mars! nicht noch vor wenig Tagen Dein tapfer Kriegeszelt bey Hürden aufgeschlagen. Es sind fünf Wochen um, daß ich die Kühnheit nahm, Und aus der Brennen Land in diese Grenzen kam. Das erste, was ich sah, und ewig will gedenken, War, daß du Woll und Vieh ließt deiner Fürstinn schenken. Ach! dacht ich bey mir selbst: Ist hier noch güldne Zeit, Da Mars die halbe Welt mit Kugeln überstreut? Da sich ein deutscher Mann nicht mehr in Deutschland kennet; Ein Kind den Vater nicht in seiner Sprache nennet; Die Speise nach Paris, der Wein nach Welschland schmeckt; Und oft ein ganzer Kram in einem Kleide steckt? Weis Coburg noch allein nicht von den fetten Tagen, Die so viel Reiche mehr, als Pest und Krieg, geschlagen? Die dir, o Hannibal! den Degen stumpf gemacht: Das aufgeblähte Rom durch Rom zu Fall gebracht: Und unser Vaterland bis auf das Blut aussaugen? So dacht ich, und belief die Gegend mit den Augen. Ich sah bald Feld und Hof, bald Kirch und Schulen an; Doch alles was ich sah, war klug und wohl gethan. Denn Albrechts hoher Witz erschien in allen Ständen, So artig, daß ich nichts sah ohne Noth verschwenden; Und gleichwohl alles fand, was Fürsten zugehört. Die Mauren waren noch durch keinen Feind versehrt: Die Bürger wußten mir nichts widriges zu sagen, Als was bey theurer Zeit die ganze Welt muß klagen. Mit kurzem: Ich erfuhr, daß Glück und Frölichkeit Die Rosen nicht allein in Feldern ausgestreut: Und daß man eben so, wie in den kühlen Gründen, Bey Hofe Schäfer kann und wahre Tugend finden. Und wahrlich, wo ein Land nach Wunsche soll gedeyn, So muß sein Oberherr ein halber Schäfer seyn; Und ja so wohl, als wir, bey angebrochnem Morgen, Nach seinem Amte sehn, und für die Heerde sorgen. Wir leben zwar für uns; doch mehr für unser Vieh: Wir essen unser Brod zwar freudig; doch mit Müh: Und wachen, wenn wir uns gleich halb zu Bette legen: So muß ein kluger Fürst auch noch die Flügel regen, Wenn sich die ganze Welt in tiefen Schlaf begräbt. Wer ihm alleine nur, und nicht dem Staate lebt, Ist keiner Krone werth. Denn sich wohl zu regieren, Ist zwar sehr große Kunst; doch größre, andre führen: Die größte, beydes thun. Und es ist ganz gemein, Daß der, dem jeder dient, muß vielen dienstbar seyn. Der Lohn für unsre Müh ist süsse Milch und Wolle: Wir wissen, daß man nichts zu sehr beschweren solle, Und ziehn den Schaafen nicht gleich Haut und Leder ab: Ein Fürst lebt freylich nicht durch einen bloßen Stab, Und muß, wofern er soll die Länder recht beschützen, Nicht wie der Pöbel gehn, und in dem Winkel sitzen. Allein er muß auch nicht das Recht in Macht verdrehn, Und mehr auf falsche Pracht, als wahre Nothdurft sehn: Denn jeder Bauer, der durch seine Last verdirbet, Ist Zeuge, daß er schon an seinem Glücke stirbet. Wir armen Schäfer sind mit Weid und Vieh vergnügt: Wir forschen nicht, wie groß der Nachbarn Wiese liegt; Wie weit ihr Acker grenzt; wieviel sie Lämmer zählen; Und wie wir endlich gar uns möchten reicher stehlen. Was ist doch schändlicher, als wenn ein großer Fürst, Gleichwie ein Tiegerthier, nach fremdem Blute dürst; Sich durch Betrug und List in fette Länder spielet; Mit Alexandern fast die halbe Welt durchwühlet, Und hundert tausend Mann für eine Festung giebt? Wenn er die Ehrsucht mehr, als sein Gewissen, liebt; Mit Eid und Schwüren scherzt, das Völkerrecht verlachet; Schon wieder Krieg anhebt, indem er Friede machet; Und meynt, er habe mehr, als Scipio, gethan, Wenn er zwey Wörter mehr zum Titel flicken kann? Die wahre Herrschungskunst besteht in keinen Meilen, Man kann ein großes Land gar leicht ins Kleine theilen; Der aber ist ein Held, der durch Vernunft und Fleiß Das, was ihm Gott geschenkt, wohl zu erhalten weis, So artig findet man in Schäfern abgerissen, Was ein gekröntes Haupt soll auf dem Throne wissen. Allein wer, großer Fürst! weis, was durch dich geschehn, Und was du täglich thust, darf keinen Schäfer sehn: Denn alles, was man wünscht, daß andre lernen möchten, Das hast du schon gethan. Du siehest nach den Rechten; Du gehst die Kammer durch, und wendest den Verstand, Wenn der und jener schläft, oft selber an das Land: Du läßt eh etwas dir, als deinen Bürgern fehlen; Du streitest wider die, so fremde Länder stehlen; Und man begreifet kaum, indem man dich betracht, Was dich, erlauchter hat, Fried oder Krieg? gemacht. Erlaube mir demnach, die Seufzer abzusingen, Die heute, kluger Fürst! dir deine Schäfer bringen: Ihr milden Himmel, schauet! Wie unser Feld sich bauet Und wieder Früchte bringt. Hört, wie die Lämmer schreyen, Wie sich die Schaafe freyen, Wie unsre Flöte klingt! Dieß alles kaan erweisen, Daß uns das Mördereisen Des Krieges nicht berührt: Und daß, wenn andre wüten, Man unter Albrechts Hütten Ein stilles Leben führt. Ihr Himmel! seyd gepriesen, Daß ihr an uns erwiesen, Was wir doch nicht verdient: Schaut aber auch zurücke, Und schafft, daß Albrechts Glücke Wie unsre Wiesen grünt! Sein Witz und seine Sorgen Gebähren alle Morgen, Uns neuen Frühlingsschein: Drum laßt ihn ewig leben! Wo nicht, so schafft uns Reben, Die wie der Vater seyn. Schäfergedanken bey einer Jagd Sr. Königlichen Majestät in Preußen. B.N. Damötas setzte sich, und warf die müden Glieder, Und seinen Hirtenstock bey einer Buche nieder, Und endlich hub er an: Was meynst du, Corydon? Was will dieß Waldgeschrey und dieser helle Ton? Ist etwan Sylvius heut auf die Jagd gezogen? Der große Sylvius, von dessen Arm' und Bogen Ein jeder Schäfer spricht? So ist es: Feld und Wald Sind frölich, daß einmal sein holes Erz erschallt. Wir selber freuen uns. Warum? darf man nicht fragen: Wer uns ergetzen will, mag nur das Wild verjagen. O armer Corydon! Du kennst die Helden nicht: Das ist das g'ringste nur, was Sylvius verricht. Geht nur in jene Stadt! da hört man andre Thaten. Europens Glücke baun, zu Deutschlands Wohlfahrt rathen, Und dennoch auch zugleich auf Schäferhütten sehn: Ist mehr, als du gedenkst. Wie leicht kann es geschehn, Daß man das Wild verscheucht? Allein den Feind zertheilen, Und bald von hie, bald da, der Noth entgegen eilen; Sind Dinge, die man zwar von Helden hoffen muß: Doch thut sie keiner so, wie unser Sylvius. Wie unser Sylvius? Es ist mir unverborgen. Mein treuer Dorylas erzehlt mir alle Morgen, Was man bey Hofe sagt. Ich hör es zitternd an, Und denke, wenn ein Held allein so viel gethan, Wo wird doch endlich noch der Kreis der Erden bleiben? Pan, sorge für mein Vieh, hilf meine Lämmer treiben! Du aber, mein Damöt, nimm deine Feldschalmey, Und stimme, wie du pflegst, itzt meinen Liedern bey. So stark als Aloen vor Anemonen blühen; So weit ist unser Held den Helden vorzuziehen. Die meisten drücken nur; er aber schützt die Welt: Sie suchen mit Gewalt, was ihm zu Fuße fällt, Und in die Arme läuft. Ihr Hirten! stimmt die Flöten! Wer solche Helden singt, hat vieler Kunst von nöthen. So weit die kleine Bar vom Süderpole weicht; So weit geht auch der Ruhm, den Sylvius erreicht. Viel heißen Könige, und sind der Diener Sklaven; Er führt das Ruder selbst, und schifft die falschen Hafen Mit großer Kunst vorbey. Ihr Hirten! haltet ein! Wer unsern Held besingt, muß mehr als irrdisch seyn. Wenn meine Heerde schläft, und wir zur Ruh gegangen, So hat schon Sylvius zu wachen angefangen. Die Zeit, in der ich spiel' und ohne Sorgen bin, Die bringt er voller Müh für unser Wohlseyn hin, Und machet sie zu Gold. Ihr Hirten! stimmt die Flöten! Wer solche Helden singt, hat vieler Kunst vonnöthen. Wenn meine Heerde wacht, und uns der Hunger quält, So hat schon Sylvius den Vorrath abgezählt, Und speiset mich und sie. Sonst hört man sich beschweren, Daß Fürsten anderwärts der Bürger Blut verzehren; Hier gehts auch Fremden wohl. Ihr Hirten! haltet ein! Wer unsern Held besingt, muß mehr als irrdisch seyn. So lange nicht ein Wolf aus Liebe Lämmer zeuget: So lange nicht der Klee Cypressen übersteiget; So lange soll mein Rohr den Sylvius erhöhn: So lange soll sein Lob auf allen Fichten stehn. Er hat es längst verdient. Ihr Hirten! stimmt die Flöten! Wer solche Helden singt, hat vieler Kunst vonnöthen. So lange noch der Thau die matten Felder tränkt; So lange sich die Spree nach ihrer Havel lenkt; So soll auch Sylvius auf meinen Lippen schweben: So soll sein großer Ruhm in unsern Liedern leben. Jedoch sie sind zu schlecht. Ihr Hirten! haltet ein! Wer unsern Held besingt, muß mehr als irrdisch seyn. Fußnoten 1 Fontenelle 2 Theokfitus 3 Tasso Das 4. Capitel Das IV. Capitel. Von Elegien, das ist, Klagliedern und verliebten Gedichten. 1. §. Die Elegie ist eins von den vornehmsten Gedichten der alten Griechen und Römer gewesen, und verdient also wohl eine besondere Betrachtung. Sie kömmt dem Horaz so merkwürdig vor, daß er sich in seiner Dichtkunst gar sorgfältig um ihren Erfinder bemüht: QUIS TAMEN EXIGUOS ELEGOS EMISERIT AUCTOR, GRAMMATICI CERTANT, ET ADHUC SUB IUDICE LIS EST. Er nennt sie in dieser Stelle EXIGUOS, das ist so viel, als eine niedrige Art von Gedichten. Sonst wird sie auch HUMILIS, TRISTIS, QUERULA u.s.w. genennet, welches alles uns den innern Character derselben, sattsam zu verstehen giebt. Sie soll nämlich in einer natürlichen und fließenden Schreibart abgefasset werden, einen traurigen Inhalt haben, und fast aus lauter Klagen bestehen. Die Exempel der Alten bekräftigen diesen Begriff, und wir mögen entweder den Kallimachus, Ovidius, Tibullus, Propertius, oder sonst jemanden vornehmen; so werden ihre Elegien allezeit etwas Trauriges oder Verliebtes in sich fassen. Des andern LIBRI TRISTIUM z.E. bestehen aus lauter Elegien, die er aus Scythien nach Rom, als Klageschreiben abgelassen; und der beyden letztern Gedichte, sind fast allezeit in einem traurigen oder verliebten Affecte abgefasset. 2. §. Doch hat Horaz angemerket, daß man allmählich von dieser alten Regel der Elegien in etwas abgewichen sey, und auch wohl vergnügende Sachen darinn abgefasset habe. VERSIBUS IMPARITER IUNCTIS QUERIMONIA PRIMUM, POST ETIAM INCLUSA EST VOTI SENTENTIA COMPOS. Wir können dahin die scherzhaften und verliebten Gedichte rechnen, die vielmals von lustigem Inhalte sind, und doch gar geschicklich in dieser Art von Versen abgefasset worden. Die Ursache davon ist wohl diese, weil eben die niedrige und natürliche poetische Schreibart, die sich zu jenen schicket, auch hier von rechtswegen statt findet. Denn bey der Lust und im Lachen schickt es sich eben so wenig, mit hochtrabenden Worten gleichsam auf Stelzen zu gehen, als in der Betrübniß. Eine geschminkte Schreibart würde hier durch ihr künstliches Wesen nur anzeigen, daß der Witz mehr Theil an der Schrift habe, als das Herz. Wo aber das ist, da macht kein Affect einen guten Eindruck bey dem Leser. Das macht, die Natur wird dadurch nicht nachgeahmet, sondern verlassen, und ein solcher Poet erregt zuweilen gar ganz widrige Leidenschaften. 3. §. Aus der letzt angeführten horazischen Stelle sehen wir aber auch, was für Verse zu einer Elegie gehören. Der Poet nennet sie IMPARITER IUNCTOS, ungleich zusammengesetzte, oder abgewechselte Verse von zweyerley Gattung. Dieses sind nun theils die langen alexandrinischen, theils die kürzern fünffüßigen Verse der Griechen und Lateiner, davon wir oben schon im XII. Capitel des I. Theils, etliche Exempel in deutscher Sprache gegeben haben. Z.E. Tibullus schreibt an den Messalla, im I. Buch in der I. Elegie: TE BELLARE DECET TERRA, MESSALLA, MARIQUE, VT DOMUM HOSTILES PERFERAS EXUUIAS: ME RETINENT VINCTUM FORMOSAE VINCLA PUELLAE, ET SEDEO DURAS IANITOR ANTE FORES. NON EGO LAUDARI CUPIO, MEA DELIA! TECUM, DUM MODO SIM, QUAESO, SEGNIS INERSQUE VOCER. So sehen nun alle lateinische Elegien aus, und ich wundre mich daher, warum Franzosen und Engelländer sich nicht bemühet haben, diesem Muster zu folgen. Diese machen auch zwar Elegien, dem Namen und Inhalte, aber nicht der äußerlichen Gestalt nach. So ist zum E. Desportes einer ihrer alten Dichter, der zu Heinrichs des III. Zeiten gelebt hat, für einen Meister in Elegien ausgegeben worden: aber er brauchet beständig die langen zwölf- und dreyzehnsylbigten Verse, mit ungetrennten Reimen dazu: welche der Elegie gar nicht ähnlich sehen. Weit besser hat Opitz bey uns gethan, da er uns in seinen poetischen Wäldern Muster gewiesen, in was für Versen wir Deutschen Elegien machen könnten, die den lateinischen, wo nicht ganz gleich, doch einigermaßen ähnlich wären. Z.E. Elegie. Indem die Sonne sich hat in das Meer begeben, Und das gestirnte Haupt der Nacht heraußer bricht; Sind Menschen, Vieh und Wild, wie gleichsam ohne Leben, Der Mond bescheinet uns auch kaum mit halbem Licht. Ich, ob schon alles schläft, muß unaufhörlich wachen, Von vielen Tagen her, und wallen ohne Ruh. Ist schon die ganze Welt befreyt von ihren Sachen, So thu ich doch vor Lieb und Angst kein Auge zu. Auch dich, Asterie, hat ganz der Schlaf erfüllet etc. 4. §. Eben dergleichen verliebte Gedichte mehr, stehen in diesem IV. B.s. poet. Wälder, kurz vor dem angeführten, da er zwar den Namen der Elegie nicht ausdrücklich darüber geschrieben, aber doch alles, was dazu gehöret, beobachtet hat. Sie fangen an: Die Sonn hat ihre Reis' etc. Die Pein, mit der ich mich etc. Werd ich die Zeit wohl sehn etc. Und damit uns gar kein Zweifel übrig bleiben möchte: so hat er uns auch zeigen wollen, daß man die lateinischen Elegien in dieser Art von Versen deutsch übersetzen müsse, wenn er uns die XVII. aus dem ersten Buche des Properz, an Cynthien zur Probe gegeben hat. Sie hebt lateinisch so an: HAEC CERTE DESERTA LOCA, ET TACITURNA QUERENTI, ET VACUUM ZEPHYRI POSSIDET AURA NEMUS. HIC LICET OCCULTOS PROFERRE IMPUNE DOLORES, SI MODO SOLA QUEANT SAXA TENERE FIDEM. ETC. Und er hat sie so deutsch gegeben. Auf dieser wüsten Stätt', in dieser stillen Heide, Da niemand innen wohnt, als nur der Westenwind; Da kann ich ungescheut genug thun meinem Leide, Wo auch die Steine nur still und verschwiegen sind. Daß nun dieser Vater unsrer Poesie, in Ermangelung des rechten Sylbenmaßes der lateinischen Elegien hierinn wohl gewählet habe, ist leicht zu erachten. Die abwechselnde Ungleichheit der Zeilen macht hauptsächlich, daß die Elegie so traurig und beweglich klingt. Hergegen wann zween Verse von gleicher Länge aufeinander folgen, da klingt es zu gesetzt und herzhaft, der Inhalt sey so zärtlich als er wolle. Und dieß ist der Fehler französischer Elegien. 5. §. Diesem Vorgänger sind seine ersten und besten Schüler getreulich gefolget. So hat z.E. Flemming auf der 99. S. des II. B. seiner poet. Wälder eine Elegie an sein Vaterland geschrieben, und theils den innern Character, theils die äußere Gestalt derselben sehr wohl beobachtet. Ich will nur etwas aus dem Schlusse zur Probe anführen, daraus man sich ein Muster seines zärtlichen aber schamhaften Ausdruckes in Liebessachen nehmen kann: Zwar es gestattet mir das caspische Gestade, Daß ich um seinen Strand mag ungehindert gehn: Auch bittet mich zur Zeit zu ihrem schönen Bade, Auf Urlaub des Hyrkans, manch asische Siren. Ich bin den Nymphen lieb, den weichen Zirkaßinnen, Dieweil ich ihnen fremd und nicht so häßlich bin: Und ob einander wir schon nicht verstehen können; So kann ihr Auge doch mich günstig nach sich ziehn. Was aber soll ich so und auf der Flucht nur lieben? Cupido wird durch nichts als Stetigkeit vergnügt; Was den zu laben scheint, das macht ihm nur Betrüben, Der allzeit alles hat, und dennoch nie was kriegt. Ja stürbe mirs denn ab, so hoff ichs zu erleben, Daß, wenn ich diesen Lauf zu Ende hab gebracht, Ich dir den ersten Kuß, o Landsmännin! will geben; Was ferner kann geschehn, daß laß ich ungedacht. Auf eben die Art hat er auch das Klagschreiben im Namen Germaniens an ihre Söhne, das ist, die Churfürsten und Stände von Deutschland abgefasset, welches auf der 113. S. in eben dem Buche zu finden ist. Was könnte ich nicht von Dachen und Tscherningen für Exempel anführen, die ebenfalls diesen Spuren gefolget sind, und den guten Geschmack der Alten beybehalten haben. 6. §. Zuerst ist, meines Erachtens, Hofmannswaldau davon abgewichen, nachdem er sich durch die neuern Italiener von dem wahren und natürlichen auf das gleißende und gekünstelte verleiten lassen. Seine Heldenbriefe hat er freylich ihrer äußerlichen Gestalt nach, als Elegien eingerichtet, und ist also darinn dem Ovidius gefolget: allein die innere Art dieser Gedichte hat er fast niemals erreichet. An statt der Zärtlichkeit, die in dieser Gattung herrschen soll, giebt er uns lauter spitzfindige Einfälle. In eine ängstliche Klage mischet er eine unendliche Menge von Gleichnissen. Anstatt herzrührender Figuren, speiset er uns mit hochtrabenden Metaphoren. Seine verliebte Seufzer sind voller Belesenheit, und wenn ich poetisch reden darf; so sind die Trauerkleider seiner Elegien allezeit mit Gold und Silber verbrämet, ihre Schleyer mit Edelgesteinen gezieret, und zwischen ihren Thränen müssen lauter Perlen fließen. Wir wollen nur einige Stellen zum Beweise dessen ansehen. Die Briefe Eginhards und Emmä sind ihm unter allen andern noch am besten gerathen; doch aber sind sie von seinem Flittergolde nicht ganz und gar befreyet. Bald anfangs streicht seine steife Zuversicht allen Kummer hin, und darum meynt er, er sey schon der Sonnen gleich. Bald darauf gesteht er, daß sein Kieselstein zu Diamanten wolle , und dieses zu rechtfertigen, sagt er von der Liebe: Sie bindet Gold an Stahl, und Garn zu weißer Seide, Macht, daß ein Nesselstrauch die edle Rose sucht; Zu Perlen legt sie Glas, zu Kohlen legt sie Kreide, Und pfropft auf wilden Baum oft eine süße Frucht. 7. §. Und wie künstlich und sinnreich ist nicht seine Liebe in dem Schlusse des Schreibens? Er will zwar seinen Brief, doch nicht die Hoffnung schließen; er beneidet ihn fast, weil er glücklicher ist, als er selbst. Er küßt endlich so wohl den Brief, als die Prinzeßinn; zwar jenen mit den Lippen, und sie in Gedanken. Sollte da nicht Emma geglaubt haben, daß diese ausgekünstelte Gegensätze und Gedankenspiele aus einem recht verliebten Herzen herkämen? Allein sie war eben so künstlich im Denken und Schreiben, als ihr Liebhaber: nicht anders, als ob sie Hofmannswaldaus Schülerinn in der Poesie gewesen wäre. Sie will ihm zeigen, wie böse sie von rechtswegen seyn könnte und sollte, und was für einen harten Verweis sie ihm würde gegeben haben. Und wie schmählt sie denn? Sie sagt: Wer Purpur fleckicht mache, der falle dem Tode anheim; für solche Wespen, als Eginhard wäre, sey ihr Honigseim nicht. Kaiserkronen wären nicht für seinen Garten: er solle des Kaisers Briefe, nicht aber sein Kind berühren. Es müsse was höhers seyn, so hier des Siegel brechen solle. Das Wachs schmelze an der Sonne; und des Königs Farbe könne nicht mit Ruß gemischt werden. Eginhard habe mehr Dinte als Blut für den Kaiser vergossen u.s.w. Wer hat nun jemals einen so metaphorischen Zorn in der Natur gesehen? Wer hat eine keusche Prinzeßinn, die Emma hier vorstellen will, solche Zweydeutigkeiten reden hören, als hier der Vers vom Siegelbrechen ist? Doch es ist eine hofmannswaldauische Emma, die da redet; und die sich hernach, ohne alle Schamhaftigkeit, so verliebt gegen ihren Buhler erkläret, als man nimmermehr gedacht haben sollte. Im Schlusse wünscht sie noch, der Himmel solle in ihre Flammen blasen, und dessen Gunst solle ihnen Zibeth und Bisam zuwehen. Zuletzt aber, will sie ihm gleichfalls zeigen, daß sie auch mit einer spitzfündigen Antithesis ihr Schreiben endigen könne, indem sie setzt: Mein Brieflein schließ ich zu, und meine Kammer auf. 8. §. Ich überlasse es einem jeden, die übrigen Heldenbriefe nach dieser Art auch durchzugehen; als die noch weit mehr solche verschwendete Scharfsinnigkeiten, an unrechten Stellen angebracht, zeigen werden. Sonderlich lese man die Schreiben Abälards und Heloisen, und erwege, was selbige für unzüchtige Wortspiele und Zweydeutigkeiten in sich enthalten, die sich ein ehrbares Gemüthe zu lesen schämet: so wird man gestehen, es schicke sich auf Hofmannswaldaus Elegien nichts besser, als was Canitz von den verliebten Poeten überhaupt schreibt. Ein andrer, von dem Pfeil des Liebens angeschossen, Eröffnet seinen Schmerz mit hundert Gaukelpossen, Daß man gesundern Witz bey jenem Tänzer spürt, Den die Tarantula mit ihrem Stich berührt. Was er von Jugend auf aus Büchern abgeschrieben, Das wird mit Müh und Angst in einen Vers getrieben; Die Seufzer, wie er meynt, erweichen Kieselstein, Die voll Gelehrsamkeit und wohlbelesen seyn. Des Aetna Feuerkluft muß seiner Liebe gleichen. Und aller Alpen Eis der Liebsten Kälte weichen. Indessen aber wird das arme Kind bethört, Und weis nicht, was sie fühlt, wenn sie dergleichen hört. Ja, wenn ihr Corydon gebückt zu ihren Füssen, Der Klagen Bitterkeit ein wenig zu versüssen, Nichts anders, als Zibeth und Ambra von sich haucht, Und sie kein Bibergeil zum Gegenmittel braucht: So mag des Mörders Hand, was ihm von seinem Dichten Noch etwan übrig bleibt, auf ihre Grabschrift richten. 9. §. Daß sich indessen durch Hofmannswaldaus Exempel viele andre Poeten haben verblenden lassen, das braucht keines Beweises. Man darf nur Zieglers und Lehms biblische Heldenliebe nachschlagen, so wird man sehen, daß sie ihren Meister nicht nur erreichet, sondern oft übertroffen haben. Amthor ist auch in dieser Art so glücklich nicht, als in andern Gedichten. Die prächtige Schreibart klebte ihm gar zu sehr an, so, daß er sich nicht herunter lassen, und einen zärtlichen Affect in einem niedrigen Ausdrucke vorstellen konnte. Wir dörfen nur die Elegie ansehen, die er auf den Tod seiner ersten Ehgattin geschrieben, die gewiß das unnatürlichste Klagegedichte ist, so ich gelesen habe: Ich Spiel! ich Ball des Glücks! was muß ich nicht erfahren? Was giebt der Himmel nicht zu meinem Unglück an? Ich lerne schon so viel bey vier und zwanzig Jahren, Als ein Unglücklicher bey funfzig wissen kann. Die Tugend heißt mich noch auf frischen Rosen gehen, Da mir der Himmel schon Cypressenblätter streut: Und mein verscheuchter Geist darf kaum gen Himmel sehen; Weil jede Wolke mir mit neuem Wetter dreut. Doch, tobt nur immerhin! Schlagt los, ihr Donnerkeile! Brecht! brechet! spritzet Glut und Schwefelflammen aus! Verdoppelt Blitz mit Blitz, und schießet Pfeil auf Pfeile, Ja leget, soll es seyn, mich selbst in Staub und Graus. Mein Scheitel bebt nicht mehr bey Stürmen und Gewittern, Man kennet keine Noth, der ich nicht schon gewohnt; Was den gesetzten Muth noch etwa kann erschüttern, Ist, daß der letzte Stoß noch meines Herzens schont. Ach! war es nicht genug, erboßte Sternenblicke, Daß meiner Jugend Kraft schon an zu sterben fieng? Daß meine Lebensuhr, getrieben vom Geschicke, Schon bey der Morgenzeit zum Abend abwärts gieng? Reißt eure Tyranney mir auch den Baum von hinnen, Der meinem siechen Leib noch etwas Schatten gab? Sag an, getheiltes Herz, was wirst du nun beginnen? Befeucht dein halber Theil doch schon das finstre Grab. etc. Sind das nicht AMPULLAE und SESQUIPEDALIA VERBA, so weis ich in der That keine zu finden. Der Poet hat sein Gedichte Liebesthränen genennet: aber mich dünkt, es sind solche, davon Canitz geschrieben: Geußt solche Thränen aus, die lachenswürdig scheinen, Und wenn er lachen will, so möchten andre weinen. Und aus diesen Exempeln der Schreibart, die sich für die Elegie nicht schicken, wird man leicht urtheilen, was man für eine Behutsamkeit dabey zu gebrauchen habe. 10. §. Wegen des äußern habe ich nur noch zu erinnern, daß man sich bemühen müsse, so viel möglich, einer jeden Zeile einen vollkommenen Verstand zu geben; oder doch wenigstens in zweyen, denselben völlig vorzutragen. Sollte aber auch dieses zuweilen nicht angehen, so muß doch an der vierten Zeile ein Schlußpunct kommen, der dem ganzen Satze ein Ende macht. Denn es klingt überaus widrig, wenn sich die Rede erst in der fünften Zeile endiget, wie man aus folgendem Exempel Johann Frankens, wird abnehmen können. Es steht auf der 41. S. seiner Trauergedichte. So hast du auch nunmehr, du Wonn und Zier der Deinen, Du edle Jahninn, du, du Rahel unsrer Zeit, Du, als um deren Tod viel fromme Herzen weinen, So hast du auch nunmehr itzt dieser Eitelkeit Jüngst gute Nacht gesagt. Wie leicht hätte der Poet diesen Uebelstand vermeiden können, wenn er anstatt der vierten Zeile, diese So eilst du auch nunmehr aus dieser Eitelkeit! hätte setzen, und die fünfte Zeile mit einem neuen Satze anfangen wollen? Jedoch nein, auch damit wäre es noch nicht ausgerichtet gewesen. Es hätte sich auch der Verstand in der andern Zeile bereits einigermaßen schließen müssen. Die langweiligen Sätze schicken sich hier gar nicht her; und wenn es möglich wäre, jeder Zeile einen vollen Sinn zu geben, so wäre es in Elegien am besten. 11. §. Zum Beschlusse merke ich an, daß man die Elegien nicht nur mit weiblichen, sondern auch mit männlichen Zeilen anfangen könne. Man kann sie bey uns hauptsächlich zu Trauergedichten und zu verliebten Sachen; sodann aber bey Hochzeiten, wo gemeiniglich was verliebtes und zärtliches mit unterläuft, brauchen. Lobgedichte aber und Satiren, oder andere ernsthafte Briefe darinn zu schreiben, das ist ungereimt: obgleich zuweilen große Leute solches gethan haben. Canitzens Harpar zum Exempel, würde noch einmal so schön klingen, wenn er in ungetrennten Reimen beschrieben wäre. Hergegen hat er ein Schreiben an einen guten Freund als eine Elegie gemacht, welches zum Muster dienen soll. Ich setze wiederum des Boileau Regeln von dieser Materie hieher, und füge endlich einige Proben unsrer besten Poeten hinzu: Mit einer etwas höhern Sprache, (schreibt er in seiner Dichtkunst,) die doch aber nicht verwegen ist, weis die klagende Elegie, in langen Trauerkleidern, mit zerstreueten Haaren, unter einem Sarge zu seufzen. Sie malet die Freude und Betrübniß der Liebenden; sie schmeichelt, drohet, reizet und besänftiget eine Geliebte. Allein, um diesen glücklichen Eigensinn recht wohl auszudrücken, ist es nicht genug, daß man ein Dichter sey, man muß auch verliebt seyn. Ich hasse die eiteln Dichter, deren gezwungene Muse mich mit einem allezeit kalten und erstorbenen Feuer ergetzen will; die sich aus Kunst betrübet, und sich mit gesättigten Sinnen, nur des Reimens wegen, zu einem erhitzten Liebhaber aufwirft. Ihre schönsten Entzückungen sind nichts als leere Wortfügungen. Sie kann gar nichts, als sich beständig mit Ketten schleppen, ihre Marter verehren, ihre Gefangenschaft segnen, und die Leidenschaften wider die Vernunft zu Felde liegen lassen. Es war ja vorzeiten ein solcher lächerlicher Ton nicht, in welchem die Liebe einem Tibullus die Verse vorsagte; oder mit welchem Ovidius die süssen Töne stimmte, und die reizenden Lehren seiner Kunst aufschrieb. Das Herz allein muß in der Elegie reden. Opitz, Vom Abwesen seiner Liebsten. Werd ich die Zeit wohl sehn, daß doch der Tag anbreche, Darinnen ich mein Lieb noch endlich schauen soll; Ihr Stunden! lauft doch fort, fliegt weg als Wasserbäche: Weil ihr so langsam seyd, so bin ich traurensvoll. Auf, Morgenröth, auf, auf, spann' an des Phöbus Pferde Und sprich, er solle fort, es sey schon ziemlich spat, Daß er betrogen werd', und nahe sich der Erde: Ach Thetis laß ihn gehn den langen Sommergrad. Du, Monde, kannst du dich denn also wohl verweilen? Wie lange säet doch der Morpheus Schlafkraut aus? Sieh' ob du nicht vermagst die Sonne zu ereilen, Und einzukommen noch in ihr vergüldtes Haus. Ich muß noch manche Stund' in Sorg' und Kummer schweben, Muß noch in Angst und Noth verbringen lange Zeit, Eh' als der Tag anbricht darinnen mich mein Leben Bescheine durch das Licht der hohen Freundlichkeit. Und warum hab' ich doch in mein Gemüth empfangen Ihr unerhörte Zier und Tugend ganz und gar? Mein Herze seufzet stets, und brennet mit Verlangen, Und macht mir einen Tag noch länger als ein Jahr. Als mich das schnöde Glück aus ihrer Hand gerissen, Hat es zugleich auch mich gerissen ganz von mir: Ich muß mein Herze nun mit Thränen stets begießen; Ich bin nicht bey mir selbst wann ich nicht bin bey ihr. Ach sollt' ich sehen nur ihr göttliches Gesichte! Wie selig wären mir Gedanken, Muth und Sinn! Ein einzger Augenblick von ihrem hellen Lichte, Der fast die Sternen trotzt, legt alles Trauren hin, Ach käme doch die Zeit der hochgewünschten Freuden, Daß ich erblickte nur den wunderbaren Schein! Wenn aber ich von ihr mich werde müssen scheiden, Da wünsch' ich weiter dann im Leben nicht zu seyn. Opitzens Elegie. Indem die Sonne sich hat in das Meer begeben, Und das gestirnte Haupt der Nacht heraußer bricht, Sind Menschen Vieh und Wild wie gleichsam ohne Leben, Der Monde scheinet auch gar kaum mit halbem Licht. Ich; ob schon alles schläft, muß ohn Aufhören wachen Von vielen Tagen her, und wallen ohne Ruh: Ist schon die ganze Welt befreyt von ihren Sachen, So bring ich doch vor Lieb und Angst kein Auge zu. Auch dich, Asterie, hat ganz der Schlaf umringet, Der Tages Arbeitsurth, des Todes Ebenbild; Da mir der Zähren Bach aus beyden Augen dringet, Bist du mit sanfter Ruh auf deinem Bett' erfüllt. Wie wann sich Delia hat in den Wald verborgen, Wird durch den Schlaf erwischt, und fällt ins grüne Gras; Und wie die Nymphen auch sich legen gegen Morgen, Nachdem der Nachttanz sie gemacht hat müd und laß. Sie ruhen sicherlich bey einem frischen Bronnen, Die Bäume halten auf der Morgenröthe Licht; Daß sie nicht alsobald erwachen von der Sonnen Deckt sie der dicke Wald: Pan aber schläfet nicht. Er geht, er ruffet schreyt mit sehnlichem Verlangen, Daß seine Stimm erklingt durch Büsche, Berg und Thal, Und sie sind sänftiglich mit süßem Traum umfangen, Dem Pan antwortet nur der bloße Wiederschall. Du auch, mein Leben, schläfst; ich muß in Nöthen wallen, Du bist in guter Ruh, ich wache für und für, Bis mich der letzte Tod wird endlich überfallen, Auf den ich sehnlich wart allhier bey deiner Thür. Flemmings Elegie, an sein Vaterland. Ach! daß ich mich einmal doch wieder sollt' erfrischen An deiner reichen Lust, du edler Muldenfluß! Da du so sanfte gehst in bergichten Gebüschen, Da, da mein Hartenstein mir both den ersten Kuß. Wie jung, wie klein ich auch ward jener Zeit genommen Aus deinem süssen Schooß, so fällt mirs doch noch ein, Wie oft ich lustig hab in deiner Fluth geschwommen, Mir träumet immer noch, als sollt ich um dich seyn. Itzt wollt ich mir erst Lust und dir Ergetzung schaffen, Indem ich nach der Kunst, die mich und dich erhebt, Ein unerhörtes Lied, nicht von Gradivus Waffen, Vor dem du nun, Gott Lob! itzund hast ausgebebt: Ein Lied von stiller Ruh, und sanftem Leben spielte, Wie unser Maro itzt bey seinem Bober thut, Ein Lied, das Himmel hätt, und etwas solches fühlte, Das nach der Gottheit schmeckt, und rege Muth und Bluth. Als ich denn pflag zu thun vor sieben halben Jahren, (Wo ist sie itzund nun die liebe schöne Zeit!) Da ich so helle sang bey Philyrenens Paaren, Daß sich mein Ton erschwung bis an die Ewigkeit. Ich sang der Deutschen Ruhm und ihrer theuren Prinzen, Bis Mars mich da trieb aus, der Unhold aller Kunst. Da macht ich mich belobt bey vielerley Provinzen, Daß Lief- und Rußland auch mir bothen ihre Gunst. Rubellen, die ich pflag mehr als mich selbst zu lieben, Rubellen, von Gestalt und Sitten hoch benamt, Dieselbe hatte mir die Pest auch aufgerieben. Doch hat sich ihre Frucht in mir sehr reich besaamt. Die weiße Balthie, um die zu einem Schwane Zevs itzt auch würde noch, fieng mich mit ihrer Zier. Nach dieser ward mir hold die lange Roxolane; Ach! aber, ach! wie weit bin ich von beyden hier! Zwar es verstattet mir das Kaspische Gestade, Daß ich um seinen Strand mag ungehindert gehn; Auch bittet mich zur Zeit zu ihrem schönen Bade, Auf Urlaub des Hyrkans, manch asische Siren, Ich bin den Nymphen lieb, den weichen Zirkaßinnen, Die weil ich ihnen fremd, und nicht zu häßlich bin. Und ob einander wir schon nicht verstehen können, So kann ihr Auge doch mich günstig nach sich ziehn. Was aber soll ich so, und auf der Flucht nur lieben. Cupido wird durch nichts, als Stetigkeit vergnügt. Was den zu laben scheint, das macht ihm nur betrüben, Der allzeit alles hat, und niemals nichts doch kriegt. Ja stürbe mirs denn ab, so hoff ichs zu erleben, Daß wenn ich diesen Lauf zu Ende hab gebracht, Ich dir den ersten Kuß, o Landsmannin! will geben, Was ferner kann geschehn, das laß ich ungedacht. Flemmings Schreiben, der vertriebenen Frauen Germanien, an ihre Söhne, oder die Churfürsten, Fürsten und Stände in Deutschland. Ihr meine Kinder ihr, wo ihr mich doch könnt kennen, Wo euch der Mutter Nam erhitzet euren Sinn; Ihr Söhne, wo ihr noch mich könnet Mutter nennen, So nehmt von meiner Hand dieß kurze Büchlein hin. Nehmt hin den Mutterbrief, den ich, wo seine Wellen Mit Sturme wirfet aus mein deutscher Ocean, So weit von eurer Stadt, in tiefsten Unglücksfällen, Aus Zwange meiner Noth und Harms, an euch gethan. Da seht mein Elend ab! Ich wollt und sollte schreiben, Doch hatt ich gleichwohl nicht, was Dint und Feder ist. Ich mußt ein schwarzes Kloß in meine Thränen reiben. Die Feder war ein Rohr. Dieß ist mein Schreibgerüst. Ich konnte kümmerlich von einer Buche schälen Die zache Rinde weg; und dieß ist mein Pappier. Ich satzte mich alsbald zu einer lichten Hölen: Mein Schreibpult war das Knie, solch Armseyn ist bey mir. Hier muß ich arme Frau von meinen schönen Sitzen, Von meinem großen Reich und Völkern ausgejagt, Zu äußerst meines Lands, bey kaltem Winde schwitzen, Hier muß ich klagen selbst; wo ich will seyn beklagt. Ich habe mir gebaut von ausgedorrtem Schilfe Ein, ach! wie schlechtes Haus, in dem ich wohnhaft bin. Dieß muß mir Armen seyn für Regen eine Hülfe: Kömmt denn ein schwacher Wind, der bläst es gar dahin. Ich leb in steter Furcht. Hier schläget mich das Schrecken, Dort ängstet mich ein Wild. Ich muß alleine seyn; Von Zofen unbedient, kann ich mich nährlich decken Mit dem geflickten Rock: hin ist mein erster Schein. Der Wald der muß mich itzt mit rohen Wurzeln nähren, Mir ist das nasse Moos an statt Zitronensaft. Ich schöpfe mit der Hand, dem Durste nur zu wehren, Das trübe Wasser auf: dieß soll mir geben Kraft. Die Glieder werden welk, das Fleisch ist abgeschwunden; Die Sorge macht mich alt, eh' es noch Zeit ist doch. Es ekelt mir vor mir, der Runzeln schlaffe Wunden Verstellen meine Haut. Die Schwindsucht frißt mich noch. Die Stirne schrumpelt aus; die tiefen Schläfe grauen; Die Augen fallen ein; die Zähne stehen los. Ach, ach, ich Schöneste der allerschönsten Frauen, Wie bin ich so verjagt, so ungestalt, so blos? Ich königliches Kind, wie bin ich so gefallen! Die ich die Zärtste war in meiner Schwestern Schaar, Da ich die 1 zwölfte bin. Ich, die ich sonst vor allen Der Muter höchste Lust, die allerliebste war. Die ich so mächtig war, die sonst kein König zwunge, Die manchen Kaiser ich von meinen Grenzen stieß; Ich ward nur mehr behertzt, je mehr man auf mich drunge; Das war mir eine Lust, wenn man zu Felde bließ. Ihr Römer wart mir nichts! ich war mit nichts zu beugen; Geschenke schlug ich aus, die mir der Kaiser both. Ihr Feind', ihr müsset selbst beständig von mir zeugen, Daß ich durch Hinderniß bin nie gemachet roth. Ich zwar bin nur ein Weib, doch war ich so beherzet, Als wohl kein Mann nicht ist: Denn außer der Gestalt, War sonsten weibisch nichts. Wenn man zu Felde scherzet, Hielt' ich mich, wie man weis, und siegte mannigfalt. Rom, und ihr Julius, der doch zu Sklaven machte Ihm alles Volk und Land, die büßten öfters ein, Als ich sie unter mich durch meine Mannheit brachte: Doch wollte Varus noch ein beßrer Ritter seyn. Er rächte Cajus Spott; er zog mit viel Verlangen Auf meinen Bogen zu. Ich furchte mich nicht sehr, Ich schickt Arminius, der nahm den Prinz gefangen, Und triebe vor sich her sein dreygedoppelt Heer. Der güldnen Freyheit Lieb' und deutsches Lob zu mehren, Das war mein steter Zweck, drauf zielt ich jeder Frist. Drum hart ich solche Furcht: das gilt mir auch zu Ehren, Daß meine deutsche Treu' ein Sprüchwort worden ist. Was hilfts mich aber nun, nun mich so hart gestürzet Durch einen jähen Fall das leichte Glückesrad? Mein himmelbreites Lob wird nunmehr so verkürzet, Daß auch der Feinde Volk ein Beyleid mit mir hat. Ich konnte länger nicht in meinen Schlössern bleiben. Wie konnt ich ferner hin das Elend schauen an? Wie mir mein freyes Volk die fremden Herrscher treiben, Wie vor mir täglich weint mein armer Unterthan. Itzt kam der Schlesier und wollte Hülfe haben, Itzt mein vertriebner Sachß'; itzt klagte mir ihr Leid Die gar entblößte Mark. Sie kamen sich zu laben Mit stiller Ruh' an mir, da mich doch frist der Streit. Ach wie viel Bäche sind so blutroth hingeschossen, Wie manches Kriegers Blut färbt manchen großen Fluß! Wie hat ihr grünes Kleid die Erde so begossen, Daß mancher Acker noch besudelt weinen muß. Die Erde war nicht gnug, die Todten zu versenken, Sie sprach so gar die Fluth um ihren Beystand an. Die Mulde weis es wohl, wenn sie es kann gedenken, Wie viel sie ihr verschluckt. Wie manchen, manchen Mann Soff unsre Saal hinein! wie manchen gab sie wieder, Weil sie schon war zu satt. Dieß ist noch Kinderspiel. Wie manche schöne Stadt reißt hier die Glut darnieder, Es raucht noch mancher Ort, der erst ins Feuer fiel. Der scheue Bauersmann darf sich nicht lassen blicken, Verlässet Dorf und Haus, und läufet gar davon. Es stehen ungehegt der Felder breite Rücken, Die Aecker liegen brach, sind ganz verwildert schon. Da vormals frische Lust, da grüne Gärten waren, Da der und jener Ort voll bunter Rosen stund, Ist itzt ein wilder Stock selbst von sich aufgefahren; Der Dörner scharfer Neid reißt alle Zier in Grund. So geht es meiner Welt. Ich bin zu diesem Ende, Ich arme Königinn, vom Himmel längst versehn. Wohin ich, müde Frau, die matten Augen wende, Da ich seh meinen Tod. Es ist um mich geschehn! Das Zeichen ist nicht gut, indem ich bin gebohren, Weil Volk und Reich, und ich auf eins zu Trümmern gehn, Es hat die Götterzunft zusammen sich verschworen, Daß ich in solcher Angst so soll verlassen stehn. Es war ein böser Fall, als von dem falschen Stiere Die Mutter ward geraubt. (Und, wie sie oft erzählt; War sie gleich mit mir schwer.) Daher ich, wie ich spüre, Bin, eh ich ward gebohrn, zum Räuberpreis erwählt. Hier stößt, dort hält man mich. Bald werd ich da gezupfet. Ich bin der meinen Spiel. Gleich wie der Wolf das Schaf, Der Geyer ein jung Huhn und Taube grimmig rupfet, So fleischet mich die Welt. Ich bin in steter Straf, Und doch ohn alle Schuld, ich wußte nichts vom dienen, Als ich noch meine war; itzt bin ich mehr, als Magd. Ich muß zu meinem Leid auch einen mir versühnen, Der mich nicht Mutter heißt, der mich ohn Ende plagt. So vieler Herren Grimm, so viel Uneinigkeiten, Die tödten vollends mich, indem ich röchle schon. Es ist kein trauen mehr: mich schmerzt auf allen Seiten Der dreygespaltne Riß in der Religion. Wie wird mich armes Weib man gnug beweinen können? Mich, die so manches Kreuz und Noth betroffen hat; Mich, der so mancher Stoß die weyland frischen Sinnen So gar verzagt gemacht; mich, die ich bin so matt? Wie ofte hab ich nur verwaiset werden müssen Durch Pest und Sterbensnoth: da vielmahl eine Nacht Der bösen Seuchen Gift von mir hat hingerissen, Gar manchen nützen Mann, und auf die Bahre bracht, So bin ich mir durch das, was Hungersnoth genommen, Und eingeäschert hat, bey weitem mehr nicht gleich. Ich bin um Haab und Gut, und allen Vorrath kommen, Ich bin an weiter nichts, als nur am Mangel, reich. Ich dacht, es wäre nun das Unglück überstanden, Ich hofft auf Sonnenschein nach solcher rauhen Luft, So stößt mir, Gott erbarms! das größte noch zu handen, Das mich in Harnisch jagt, und zu den Waffen rufft. Da soll und muß ich dran, mich mit dem Feinde schlagen. Und wollte, wollte Gott! es wäre nur der Feind, Den ich noch nie gescheut: so muß allein ich klagen, Daß ich an diese soll, die meine Kinder seynd. Ich muß mich arme Frau noch selbst zum Stabe bringen, Und selbst mein Scherge seyn, das nie kein Feind gethan. Ich selbst, und durch mich selbst, muß mich an Eisen zwingen, Und nur an meinen Hals die Koppeln legen an. Nicht einig wollen seyn, das kann mich so beschämen. Und wer nicht gläuben will, daß dieß die Zwietracht kann, Und daß noch selbst die Welt so werd ihr Ende nehmen: Der komm, und sehe dich! du armes Rom, nur an. Das Glück ist mir so feind, daß mirs auch könnte gönnen, Daß ich bis ans Gewölk und an die Sternen kam; Auf daß es mich mit Fug hat tief gnug stürzen können, Und zusehn, wie ich da mein elend Ende nahm. Ich bin der Götter Spiel und Kurzweil, ihr Behagen, Und lustiger Ballon, den immer Himmel an Bald die, bald jene Faust, bald hin und her geschlagen, Bis er wird athemlos, und nicht mehr steigen kann. So hat die hohe Rach es über mich verhangen. Den Zepter giebet Gott, und nimmt ihn, wenn er will. Ist nicht sogar Athen auch endlich untergangen? Wer weis nicht, daß durch Krieg das schöne Troja fiel, Auch Syrien wird noch sich zu erinnern wissen, Wie auch das Persien, und stolze Griechenland, Wie vielmal Kron und Reich zu ihres Feindes Füssen Sie haben hingelegt, der sie hat umgerannt. Vielleicht wird nun die Reu und das Verhängniß kommen Auf unser krankes Reich. Denn auch, was groß kann seyn, Wie ich bisher gesagt, hat allzeit abgenommen, Und ist durch seine Last auf sich gefallen ein. Dieß Unglück ahnt mir auch. Mein Zepter muß sich beugen, Die Kräfte nehmen ab, das Mark ist ganz dahin. Ich muß, ich muß mich schon zum Untergange neigen, Und trösten, daß ich auch sonst hoch gewesen bin. Gewesen, und nicht seyn, das lehrt mich Speise lesen, Mich reicherzogne Frau, wie sonst ein wildes Thier. Wär ich so ewig auch, als mächtig, nur gewesen, So wäre mir noch wohl! so läg ich nicht allhier. So muste Babels Herr auch seine Sitze meiden, Und in der Wüsteney zu früh und Abendszeit, Wie ander wildes Vieh, im Wald und Grase weiden, Und war sein weites Reich dort in der Einsamkeit. In dieser wüsten Welt stimm ich auf tausend Weisen Mein kläglich Weinen an, hier kann ich seyn allein; Hier muß ich auf und ab durch wild Gesträuche reisen, Hier kann ich heulen gnug, hier kann ich elend seyn. Ach, ich bin so veracht, ja auch dem leichten Hasen Sitz ich zu Hohn allhier. Die Elster spottet mein, Will ich mich setzen denn auf einen dürren Rasen, So weicht der wilde Baum, und zeucht den Schatten ein. Ja freylich ists ein Trost, wenn einer in dem Weinen Beweiner um sich hat: ich lern es itzt an mir. Wer weinet aber doch um mich? Ich sehe keinen. Ach! ach! von aller Welt steh ich verlassen hier; Ja, auch vom Himmel selbst. Doch läßt sich noch erweichen Der Menschenfreund, Delphin, wenn ich am Ufer klag: Er schwimmet zu mir zu, giebt manches Trauerzeichen, Und wartet bey mir aus so manchen ganzen Tag. Wie auch das Federvolk, das stets ist vorn und hinden Um mich verlaßnes Weib. Hier wird kein Vogel seyn, Der nicht singt, was ich wein. Ich hab an allen Linden Mein Leid mit eigner Hand bisher geschnitten ein. Wie war ich freudenreich, als ich noch stund im Glücke, Itzt will mir selbsten nicht die Mutter springen bey. Der Schwestern ganze Zunft tritt von mir ab zurücke: Es jammert keine nicht mein kläglich Angstgeschrey. Ja, Böhmen, Böhmen selbst, die hat die ersten Funken Auf mich, die Nachbarinn, unschwesterlich gespeyt: Von so viel Jahren her bin ich in Brand gesunken, Und niemand löscht ihn mir; ich brenne noch zur Zeit. Ach! warum war ich reich? ach! warum war ich schöne? Ach! warum buhlte doch so mancher Fürst um mich? Ich bin zu Falle bracht: ob ich mich gleich nun sehne Nach meiner Mutter Trost, so stößt sie mich von sich. Und, warum gabst du mir, Europä, Königs Ehren, Da mir mein Königreich nicht sollte länger stehn? Ach ich, ich kranke Frau! wer wird mein Seufzen hören? Wer springt mir Armen bey, eh ich muß gar vergehn? Hätt ich doch Friedrichen und meinen Moritz wieder, Die mich so wohl geschützt. Ach 2 Hector, wärst du hier! Und mein 3 Achilles, du, und ihr, ihr andern Glieder, Durch welche mir mein Lob wird blühen für und für. Und ihr, was macht ihr denn, ihr herzgeliebten Erben, Die ich mit solcher Müh an dieses Licht gebracht? Was thut, was macht ihr denn? könnt ihr denn sehn so quälen Die, die euch Söhne heißt? was schlaft ihr Tag und Nacht? Durch den Gott bitt ich euch, der mir mein Recht bescheret, Euch bitt ich durch mein Reich, das stets gewesen frey! Durch mein natürlich Recht, da ihr mich Mutter ehret, Durch unsern Landesbrauch und alte deutsche Treu, An der hat niemals uns ein Fremdling falsch befunden, Laßt mich, ein Landeskind, itzt spüren diese Treu: Ach, springt der Mutter bey! Ich lieg in letzten Stunden, Ich rufe noch einmal: Ach springt der Mutter bey! Und warum wollt ihr nicht? Ich hab euch ja gegeben Nicht minder, als vorhin, ein wohlbeherztes Herz. Aus Sachsen sind ihr viel, die noch im Lobe schweben, Die mir so manchesmal erleichtert meinen Schmerz. Das hohe Brandenburg, das muß ich ewig preisen, Wie auch die schöne Pfalz, von wegen ihrer Treu; An Hessen hab ich Trost; die tapfern Thaten weisen, Was Lüneburg verdient, was Anhalt würdig sey. Das frische Meklenburg, das weitbelobte Baden, Das theure Würtenberg, sind alten Lobes voll. Ach, folgt den Ahnen nach! wo euch der Mutter Schaden, Wo eurer Freyheit Tod euch leid seyn kann und soll. Ach Meine! seht doch an die starken Niederländer, Ihr obwohl kleines Land beschämt die ganze Welt: Sie führen Thaten aus durch ihrer Bündniß Bänder, Die über Hoffen sind. Der Spanier der fällt, Muß lassen Schiff und Schätz. Es brechen solche Mauren, Die manchen Feind verhöhnt, durch ihre kluge Macht. Die Bürger freuen sich an statt, daß andre trauren, Daß sie ein solcher Prinz in sein Gebiethe bracht. Auf euch, allein auf euch, muß sich mein Hoffen steifen, Ihr meine liebsten Söhn, ihr seyd ihr Grund und Stein. Ihr deutschen Herzen müßt der Deutschen Wohlfahrt greifen Selbst unter ihren Arm, soll sie erhalten seyn. Ja soll für meinem End ich noch zum Porte länden, Und meine Kinder sehn, so müßt ihr alle stehn Mit Räuch und Opferwerk, und aufgehabnen Händen, Und eurer Seufzer Brunst von Herzen lassen gehn. Schreyt Gott und Himmel an. Klagt auch von meinetwegen Mein großes Herzeleid dem hohen Ferdinand; Als dem ich anvertraut mein liebes Volk zu pflegen, Ja, der beschützen soll mich, Zepter, Kron und Land. Sagt ihm, er wolle doch nur dieß bey ihm gedenken, Wie ich ohn alle Schuld ersterb in solcher Pein, Er woll ihm doch durch euch das Herze lassen lenken, Und als ein treuer Sohn mir Mutter, gnädig seyn. Nun diese Klageschrift hab ich zu eignen Händen Euch, o ihr liebsten Söhn, und meiner Zierde Zier, Aus meiner Wüsteney und Drängniß müssen senden, Ihr wollet ja durchsehn, was ich begehre hier. Viel hundert Mutterküß auf dieser Büchnen Rinden, Mit Thränen wohl genetzt, die werdt ihr, als ein Pfand Der mütterlichen Treu und festen Hoffnung finden, Ob euch schon meine Faust was deuchtet unbekannt. Die Zährenbach, die ich hierüber ausgegossen, Die ließe mir nicht zu der Sätze Zierlichkeit: So ist die Schrift auch selbst zusammen ganz geflossen, Daß man kein Ordnung sieht, vor großer Angst und Leid. Was die mir vorgesagt, das hab ich nachgeschrieben, Ohn aller Worte Wahl, die billig seyn sonst soll. Viel ist mir auch vor Schmerz und Grämen außen blieben, Daß ich es nicht gesetzt. Doch werdet ihr gar wohl Mein übermaßtes Leid und Noth hieraus verstehen, Drum bitt ich, ihr wollt doch, wo man noch helfen kann, Euch mein und eure Noth zu Herzen lassen gehen, Und euch der Sachen selbst aufs beste nehmen an. Helft! Helft! und laßt mich ja nicht hier zu Tode hoffen, Es muß kein Säumniß seyn, ihr müßt beysammen stehn! Soll ich nicht in der Angst, die mich so sehr getroffen, Und nieder hat gedruckt, zu Grund und Scheitern gehn! Ich hoff hier unterdeß den Ausgang meiner Sachen, Die Hoffnung ist mein Trost und Kummerwenderinn: Die wird mein Elend auch in etwas leichter machen, Die ich doch sonsten nichts als lauter Elend bin. Canitz, Glückwunsch-Schreiben an seinen Herzens-Freund, Herrn Eusebius von Brand, Als solcher den 18 September 1695. zum wirklichen geheimen Staats-Rathe erkläret ward. Vergönne mir mein Freund, daß ich dir etwas stifte, Das länger dauren soll, als Erz und Marmelstein; Mich freut dein Wohlergehn, drum fahr ich durch die Klüfte, Die zwischen mir und dir nunmehr befestigt seyn. Du wirst des Fürsten Rath im allerhöchsten Orden, Da dieser Name sich bey mir im Schatten weist, Und bist im rechten Ernst, zur Excellenz geworden, Da mich mein Bauer kaum; Gestrenger Junker! heißt. Getrost! ein gleicher Blick wird auch auf diese Zeilen Und meine Niedrigkeit von deinem Gipfel gehn; Als du dich nicht geschämt, den Briefen zu ertheilen, Die dir, von Wort zu Wort, noch im Gedächtniß stehn. Du hast dich nimmer nicht, noch andre, so vergessen, Daß man Veränderung an dir befürchten kann; Noch, nach der Aemter Maaß, die Freundschaft abgemessen, Du sahst die Redlichkeit, und nicht den Purpur, an. So ist ein jeder froh, daß Friedrich dich erhoben, Daß endlich dich das Glück erwischet bey der Hand, Und, gleichsam mit Gewalt, auf einen Ort geschoben, Den dir Verdienst und Wunsch schon lange zuerkannt. Dann mit der Muttermilch hast du den Trieb gesogen, Den deines Bruders Zucht vollkommener gemacht; Des Bruders, dessen Lob Europa durchgeflogen, Der euren Siebenstern zum Vorschein hat gebracht. Wie rühmlich du die Zeit auf Schulen angeleget, Das gab uns zu verstehn das tiefgelehrte Blatt, Dadurch Arminius ward in der Gruft beweget, So bald der muntre Brand nur auf den Lehrstuhl trat; Hernach nahmst du den Weg nach weitentlegnen Orten, Und ludest da dein Schiff mit solchem Zeuge voll, Das dir den Grund gelegt zu einer Ehrenpforten, An der die späte Welt dein Denkmaal lesen soll. Die Seine mit der Thems zusammt der Norden Kronen, Die sahen so entzückt dich edlen Märker an, Als der, so erst gesehn, daß Moskau die Melonen, So gut und besser noch, als Welschland, zeugen kann. Bald wurdest du entdeckt von Friedrich Wilhelms Blicken, Du hörtest sein Geheiß, das eine Prüfung war, Wie du zu seinem Dienst dich künftig würdest schicken, Und legst ein Meisterstück, an statt der Probe, dar. Sarmatien zürnt noch, weil jenen Hauptrebellen Dein Arm aus seinem Schutz und seinem Schooße riß, Nachdem du ihm gewußt so künstlich nachzustellen, Daß er, als wie ein Hecht, an deine Darge biß. Es würde sich mein Kiel auf halbem Weg ermüden, Wenn er mit gleichem Schritt verfolgte deinen Lauf; Wie du ihn fortgesetzt in Waffen und im Frieden, Das alles zeichnen schon die Tagebücher auf. Uns ist ja deine Müh und Wachen unverborgen, Als du ein Kriegesheer genährt mit Ueberfluß; Und wie du für die Pracht des Fürsten konntest sorgen, Bezeigt dein Marschallsstab bey jenem Friedensschluß. Zuletzt hast du den Staat zwo theurer Prinzeßinnen Von vielen Jahren her zu deinem Ruhm geführt; Davon die erste schon der Sternen hohe Zinnen, Die andre noch die Welt, als wie ein Wunder, ziert. Dein Churfürst, welchem sie der Himmel auserlesen, Stellt dich zum Oberhaupt bey ihrem Hofe vor, Der einem Helikon so lange gleich gewesen, Als du Apollo warst in unserm Musenchor. Weil auch die holde Schaar noch deiner Hut vertrauet, Dazu so viel Geduld als viel Verstand gehört: So hast du sie mit Lehr' und Leben so erbauet, Daß auch kein Fehltritt nie dein hohes Amt entehrt. Der Argus konnte dort nicht eine Kuh bewachen, Als ihm des Kupplers Lied die hundert Augen schloß, Hier aber konnte nichts dein Aufsehn irre machen, Dir war auch eine Zahl von zwölfen nicht zu groß. Ihr Schönen, lasset euch dieß Gleichniß nicht verdrießen, Ein Anblick solcher Kuh hat Herzen angesteckt; Es warf sich solcher Kuh ein Jupiter zu Füssen, Es lag in solcher Kuh ein himmlisch Bild verdeckt. Doch wird auch dieser Kreis dir mit der Zeit zu enge; Der Landesvater sinnt auf deiner Tugend Lohn, Und rufft dich, mit Bedacht, aus seiner Diener Menge; Du sollst mit weisem Rath nun stützen seinen Thron. Mit was Bescheidenheit sehn wir dein Antlitz glänzen, Als man dir den Beruf zur neuen Würde bringt? Und wie schallt diese Post so bald durch fremde Grenzen, Weil Namurs Uebergab zu gleicher Zeit erklingt. Zu Cotbus höret man halb undeutsch von dir sprechen: Hihr Leute wißth hir wol, was hunser Optmann ist? Und dieses Wendenvolk hälts für ein Amtsverbrechen, Wann es an deiner Schrift nicht Hand und Siegel küßt. Doch das Vergnügen bleibt nicht nur bey den Barbaren; Wie als geheimen Rath dein Gustgen dich umfaßt, Mag ein Geheimniß seyn, das du allein erfahren, Auch wie du dein Geschlecht durch dich erbauet hast. Mehr als ein großes Land bejauchzet dein Erhöhen, Insonderheit die Mark hat Ursach stolz zu seyn; Und schnitzt zu Hermensdorf an den berühmten Seen, Was du geworden bist, in allen Eichen ein. Die wohlgetroffne Wahl hat allen deinen Freunden Ein unverhofftes Fest der Freude zugericht; Wobey der blasse Neid sich schämt, dich anzufeinden, Und keinen Nesselstrauch in deine Kränze flicht. Indessen glaube mir, daß, da ich dieses dichte, Ein ungewohnter Zug mir selber mich entreißt, Der, nach Prophetenart, dir ewiges Gerüchte Ein hohes Alterthum und stetes Glück verheißt. Ich seh, als im Gesicht, was andre von dir hoffen, Da die Gelegenheit dich zu was seltnem treibt; Dir steht ein neues Feld zu neuen Thaten offen, Dran mancher Puffendorf sich noch zu Tode schreibt. Fußnoten 1 So viel sind Reiche in Europa 2 Albertus, Herzog zu Sachsen. 3 Albertus, aus Brandenburg. Das 5. Capitel Das V. Capitel. Von poetischen Sendschreiben oder Briefen. 1. §. So gut andere Leute in ungebundner Rede an einander schreiben können; so leicht kann ein Poet solches in gebundner Schreibart thun. Wie es aber dort eine besondre Kunst ist, ein schönes Schreiben abzufassen: so ist es auch nicht eines jeden Werk, einen guten poetischen Brief zu machen; ja in gewisser Absicht ist dieses noch schwerer. In prosaischen Briefen macht man zuweilen lauter Complimenten und unnütze Umschweife in Worten, die durch die Höflichkeit eingeführet worden. Man schreibt auch oft von nöthigen Angelegenheiten und Hausgeschäfften, die sonst niemand wissen mag oder soll, als den sie angehen. In der Poesie aber würde es lächerlich seyn, solche Briefe zu schreiben. Sie müssen allezeit gewisse Materien betreffen, die allerley Lesern nützlich und angenehm seyn können. Sie complimentiren daher nicht viel; sondern gehen gerade zu: daher es denn auch kömmt, daß man in Versen alle Titel und Ehrenworte der vornehmsten Personen zu vermeiden pflegt. Die Poeten haben auch überaus wohlgethan, daß sie, in den Anreden an die vornehmsten Leute, sich, nach alter Art, das edle Du vorbehalten haben, welches die prosaischen Scribenten gar nicht mehr brauchen dörfen. 2. §. Die alten Römer und Griechen haben uns sehr schöne Muster solcher Briefe hinterlassen. Einen guten Theil davon haben wir schon im vorigen Capitel, unter den Elegien betrachtet: es ist aber noch eine andere Art übrig, die eine besondere Abhandlung verdient. Dort herrschte, nach dem Character der Elegie, ein zärtliches und trauriges Wesen: hier ist der Innhalt geruhig und ernsthaft, zuweilen scherzhaft, auch wohl moralisch und satirisch. Wie nun in jener Art Ovidius sonderlich ein Meister gewesen, so haben wir in dieser Gattung den Horaz zum Muster. Unter den Franzosen ist Boileau unvergleichlich darinnen. Wer des Französischen nicht mächtig ist, kann meine Uebersetzung von dem Schreiben desselben an den König, in meinen von Herrn M. Schwaben ans Licht gestellten Gedichten nachlesen, auch Neukirchs Arbeit dargegen halten, die in den Hofmannswaldauischen Gedichten befindlich ist, und alsdann sehen, wem es besser gelungen ist. Unter unsern Landsleuten, hat Opitz uns den Weg in poetischen Briefen gebahnet. Sonderlich haben mir allezeit die an Zinkgräfen, und Nüßlern, nebst verschiedenen andern gefallen. Flemming ist nicht minder glücklich darinn gewesen: auch Tscherning, nebst Franken haben sich mit gutem Fortgange auf diese Art gelegt. Doch Canitz, Neukirch und Günther behalten wohl vor allen den Preis. Ihre Briefe sind den besten römischen und französischen oft gleich zu schätzen, ja zuweilen gar vorzuziehen. Und nach den Exempeln dieser großen Meister, will ich die Regeln dieser Art von Gedichten abzufassen bemüht seyn. 3. §. Horaz hat in seinen Briefen durchgehends, die alexandrinischen Verse gebraucht; niemals aber fünffüßige darunter gemischet. Die Ursache mag wohl diese gewesen seyn, weil man sich in Elegien gar zu sehr binden muß. Der Verstand muß sich daselbst allezeit bey der andern Zeile schließen, damit der Wohlklang nicht gehindert werde: Horaz aber liebte die Freyheit in seinen Briefen, wie auch ihr Character solches erforderte. Er nahm daher lieber die alexandrinischen Verse dazu, wo man die Erlaubniß hat, den Verstand zuweilen in die dritte, vierte, ja fünfte Zeile hinauszuziehen. Wäre in den heutigen Sprachen dieses Sylbenmaaß auch eingeführet; so dörften wir dem Römer nur hierinn nachfolgen: nun aber müssen wir uns nach unserer Art eine Gattung von Versen nehmen, da uns eben der Vortheil zu statten kömmt. Das sind nun die sogenannten heroischen Verse, nämlich die sechsfüßigen jambischen, mit ungetrennten Reimen. Boileau hat sich derselben auch bedient, und unsre Poeten haben sie einhällig dazu angewandt. Z.E. Opitz schreibt an den Kaiser Ferdinand: Du Zier und Trost der Zeit, du edles Haupt der Erden, Dem Himmel, Luft und See und Land zu Dienste werden, O großer Ferdinand, nächst allem, was dich ehrt, Und deiner Macht Geboth mit treuem Herzen hört, Kömmt auch der Musen Schaar, die deutschen Pierinnen, Kniet frölich vor dir hin, und sagt mit freyen Sinnen: Daß sie, o Lust der Welt, hinfort bestehen kann, Der fremden Sprachen Trutz, das hast du auch gethan. etc. 4. §. Nach ihrem Inhalte kann man diese Briefe in ernsthafte, lustige und satirische abtheilen. Die erstern finden statt, wenn man an höhere, oder doch an solche Personen schreibt, denen man einige Ehrerbiethung schuldig ist. Imgleichen lassen sie sich bey Trauerfällen, als Leichengedichte, an die Leidtragenden richten; denen man gewiß in solchem Falle nichts Scherzhaftes sagen würde, wenn sie gleich unsere vertrautesten Freunde waren. Sie sind also hauptsächlich entweder Lob- oder Trauerschreiben; es wäre denn, daß sie ganz moralisch abgefaßt wären, da sie aber mehrentheils auf die Satire zu verfallen pflegen. Ein solcher lobender Brief ist der obige von Opitzen, nebst vielen andern von diesem Poeten. Einen traurigen will ich aus Flemmings III tem Buche der Poetischen Wälder anführen, der an einen Wittwer, nach dem Ableben seiner Ehegattinn abgelassen ist, und sich so anhebt: Wenn, Edler, unser Geist auch mit dem Leibe stürbe, Und wenn er sich verschleißt, die Seele mit verdürbe, So wär es zweymal recht, daß ihr, und wer euch ehrt, Als den es billig kränkt, was Leid euch widerfährt, Bey dieser bösen Post euch zweymal mehr betrübtet. Sie, ach! sie ist dahin, die ihr so innig liebtet, Das treue fromme Weib! Sie, ach! sie ist vorbey, Was ist es, das man hat, das mehr zu klagen sey? Eben dergleichen wird man in Tschernings Frühling auf der 85. S. antreffen. Ich will aber aus diesem Poeten eins von der dritten, moralischen Gattung, zur Probe geben: wiewohl dasjenige, was Flemming an den Olearius geschrieben, und auf der 93. Seite seines II. B. steht, ganz fürtrefflich ist. Es steht auf der 345. S. und ist an Röteln, ein Breßlauisches Rathsglied, abgelassen: Ich habe niemals recht des Phöbus Brunn berühret, Noch einen Traum dabey, dem Wunsche nach, gespüret, Wie oft ich bis anher den Helikon bemüht, Der Musen Vaterland, aus Eifer auf ein Lied, Das lesenswürdig sey. Mein Sinn war, nach der Reihen, Die Gaben, die ihr führt, Herr Rötel, auszuschreyen, Als Herold mit der Faust. etc. Wenn ich aber diese Exemple anführe, so thue ichs nicht deswegen, als ob sie so rar wären; sondern bloß zu zeigen, daß unsere ersten Poeten schon eben diese Begriffe davon gehabt haben. In Canitzen und Günthern stehen sehr viele von eben der Gattung, die auch ohne dieß in jedermanns Händen sind. 5. §. Die andre Art solcher Briefe, das waten die lustigen oder scherzhaften, und davon giebt es eben so viel Exempel in unsern Poeten, als von den obigen. Sie werden sonderlich unter vertrauten Freunden, bey Hochzeiten, auch in andern Glückwünschen bey frölichen Zufällen, gar häufig gebraucht. Exempel mag ich nicht anführen, theils, weil sie überall vorkommen, theils weil dem einen oft etwas scherzhaft oder lustig zu seyn bedünket, welches dem andern ganz gleichgültig vorkömmt. Wie sich aber das Scherzen nur unter seines gleichen schickt; so sieht man wohl, daß diese Art von Briefen sich an Standespersonen und Leute, die uns an Jahren weit übertreffen, nicht wird brauchen lassen. Ja, weil auch Scherz und Scherz sehr unterschieden ist; so muß man sich auf lauter ehrbare und erlaubte Scherzreden befleißen. Alle Grobheit, alle Zoten, alles Niederträchtige muß hier verbannet werden: Gute Einfälle dörfen deswegen keine Unflätereyen seyn, die zwar dem Pöbel gemeiniglich ein Gelächter erwecken, bey Klugen aber Abscheu und Ekel verursachen. Wie man nun dergleichen Einfälle bekomme, das können, meines Erachtens, keine Regeln lehren. Das Naturell, der eigne Witz und Geist des Poeten bringen sie von sich selbst hervor, nachdem die Materien und Umstände es veranlassen. Wer lustige Bücher liest, und aufgeweckter Leute Gesellschaften besucht, der wird auch bey einer mäßigen natürlichen Fähigkeit, bald geschickt werden, bey gegebener Gelegenheit, einen lustigen Einfall nach dem andern anzubringen. Davon schreibt Rachel in seiner oft angezogenen Satire, der Poet genannt: Wahr ists, daß Phöbus Volk fast lustig ist von Herzen, Und meistentheils gescheidt, doch höflich auch im Scherzen. Bevorab, wo sie nur in etwas sind getränkt, Mit dem berühmten Saft, den uns Lyäus schenkt. Da wissen sie bald eins und andres vorzubringen, Zur angenehmen Lust, jedoch von solchen Dingen, Die nicht verdrüßlich sind. Ist da der rechte Mann, Sie hängen ihm wohl eins, jedoch nur höflich an. Ihr Stich, der blutet nicht. So, hab ich wohl gelesen, Soll aller Franken Ruhm, der Taubmann seyn gewesen; So war auch Buchanan, Minervens liebstes Kind, Dem weder Römer, Griech noch Deutscher abgewinnt; So war der Venusin, den selbst Augustus ehrte, Der nach des Pindars Kunst, die Römer spielen lehrte, Zum Lachen, wie gebohrn, im Scherzen ausgeübt, Wie sein berühmtes Buch noch heute Zeugniß giebt. etc. 6. §. Die dritte Gattung der Briefe war endlich die satirische. Diese recht abzuhandeln und zu erklären, das gehört eigentlich ins folgende Capitel, wo davon ausführlich gehandelt werden soll. In der That sind viele Satiren der Alten und neuern Poeten nichts, als Briefe; und viele Briefe derselben nichts als Satiren. Wir wollen hier zum voraus setzen, daß man schon von der satirischen Schreibart einen klaren Begriff habe, wie er denn leicht von den obigen Gattungen zu unterscheiden ist. Sie spotten entweder über die Thorheiten der Welt; und alsdann kömmt sie der lustigen Schreibart nahe: oder sie eifert und zürnet auf die einreißenden Laster; und alsdann wird sie der ernsthaften moralischen ähnlich, nur daß sie mehr Galle und Lebhaftigkeit bey sich führet. Des Horaz Briefe sind fast alle von der Art, und Boileau ist ihm, wie allenthalben, also auch darinn gefolget. Opitz, Canitz und Günther sind ebenfalls in ihren Briefen sehr beißend und scharf; wie ein jeder selbst leicht wird wahrnehmen können. Ich bemerke nur, daß diese satirische Schreibart sich so gar an die Großen der Welt brauchen läßt. Horaz hat an den Kaiser August, Boileau an Ludewig den Großen, Neukirch an Friedrich den Weisen, und Günther an den König August die schärfsten Stellen mit einfließen lassen. Dieser letztere bedient sich einmal der Worte: Sieh, Herr! wie wenig ich der Thoren schonen kann, Ich greife sie so gar vor deinen Augen an etc. Und in des Boileau Briefe an den französischen König, steht unter andern folgende Stelle: GRAND ROI, C'EST MON DEFAUT, JE NE SAUROIS FLATTER, JE NE SAI POINT AU CIEL PLACER UN RIDICULE; D'UN NAIN FAIRE UN ATLAS, OU D'UN LACHE UN HERCULE. 7. §. Diese Art von Briefen nun läßt sich bey allerley Gelegenheiten brauchen: denn wo findet man nicht Anlaß, über die Sitten der Menschen seine Gedanken auszuschütten? Bey Hochzeiten, Geburts- und Namenstagen; ja so gar bey Leichengedichten, lassen sich oft satirische Briefe schreiben, oder doch dergleichen Stellen einmischen. Wenn auch solches nur mit der gehörigen Behutsamkeit und Bescheidenheit gegen den, an welchen man schreibt, geschieht: so hat ein jeder solche Briefe lieber, als leere Umschweife von unendlichen Wünschen oder Wortgeprängen, die in der That nichts heißen. Einen schönen Brief von der Art hat Günther an den Herrn von Nickisch geschrieben; und von Neukirchen fällt mir das Schreiben, an einen Herrn von Stosch, bey Gelegenheit eines neuerbauten Pallasts, ein. Beyde können Anfängern zu Mustern dienen, wiewohl beyde noch mehrere von der Art verfertiget haben. 8. §. Fraget man überhaupt nach den äußerlichen Eigenschaften eines solchen Briefes: so ist erstlich dieses zu merken, daß er im Anfange denjenigen anreden muß, an der er gerichtet ist: Es sey nun, daß es gleich in der ersten Zeile geschieht, oder doch bald hernach kömmet. So fängt Neukirch z.E. einmal an: Mein König, zürne nicht, daß mich dein Glanz bewegt etc. Dieses ist, so zu reden, das eigentliche Merkmaal eines Briefes von dieser Art: denn was ist ein Brief überhaupt anders, als eine geschriebene Anrede an einen Abwesenden? In der Mitte kann dieselbe zuweilen wiederholt werden; doch allemal ohne große Titel, als die nur die Zeilen füllen und nichts sagen. Großmächtigster Monarch , heißt nichts mehr, als König : Und durchlauchter Fürst und Herr , bedeutet nur eben so viel, als: mein Prinz , mein Herzog , oder schlecht weg, Herr . Doch wollte ich bey diesem letztern Worte wohl rathen, es nicht auf einen jeden Dorfedelmann zu verschwenden; geschweige denn, bey bürgerlichen Personen zu brauchen. Es steckt so was großes darinn, daß es billig nur regierenden Häuptern zukommen kann, die viel zu befehlen haben. Diese Anmerkung ist nöthig, da es allmählig einreißen will, einem jeden halbigten Patron, der oft keinen Diener zu beherrschen hat, ein so prächtiges Herr zuzuruffen. Am Schlusse der Briefe muß man gleichfalls nicht viel complimentiren, sondern nach Art der Alten lieber kurz abbrechen. Aber das Jahr und den Tag mit in die Verse hineinzukünsteln, das ist was kindisches, ohngeachtet es einige neuere haben aufbringen wollen. Seinen Namen in den Reim zu zwingen, ist noch abgeschmackter; denn das Muster dazu hat Hans Sachs gegeben, der kein Gedicht anders, als damit zu beschließen pflegt. 9. §. An eine besondere künstliche Disposition bindet sich ein Poet in seinen Briefen nicht; vielweniger wird er die weisischen Handgriffe PER ANTECEDENS und CONSEQUENS nöthig haben. Die Vernunft weis ihm schon, ohne solche Gängelwägen, eine natürliche Ordnung der Gedanken an die Hand zu geben. Es muß ohnedem in Briefen was freyes und ungezwungenes seyn: und die Einfälle hängen gemeiniglich so am besten zusammen, wie sie hinter einander entstanden sind. Meynt man aber Schülern, durch Regeln, die Verfertigung solcher Briefe zu erleichtern, so kann man es zwar geschehen lassen: nur glaube man nicht, daß solche schwache Geister, die noch gegängelt werden müssen, etwas besonders hervorbringen werden. Wer noch nicht einen Vorrath von Gedanken und Einfällen hat, der muß sich mit prosaischen Briefen behelfen. 10. §. Die Schreibart der Briefe ist nicht allemal gleich. In lobenden kann sie prächtig, scharfsinnig und pathetisch, aber doch nicht schwülstig seyn. Hier pflegt es Amthor leicht zu versehen; wie dieses sein Gedichte an Friedrich den III. König in Dännemark zeigen kann. Aber ein Muster von einer vernünftigen Hoheit der Schreibart giebt hier Neukirch in seinen Schreiben an den König, Friedrich den I. Hier herrschen lauter gesunde Gedanken, die durch keine Schminke des Ausdrucks überfirnißt worden. Auch Heräus hat diese Schreibart wohl erreicht: ob er sie gleich mehrentheils in andern Arten der Gedichte angebracht hat. Doch kann ich nicht umhin, bey dieser Gelegenheit dieses großen Mannes eigene Worte, von der erhabenen Schreibart hier anzupreisen, die ich lieber schon im I. Theile, wo ausdrücklich davon die Rede war, angebracht hätte. Sie stehn in der Vorrede zu seinen Werken, auf der 27. Seite, und können dienen, die neuen Kunstrichter, die uns die Hoheit in Worten lehren wollen, vollends zu beschämen. Auch Pietsch ist in dieser Schreibart vortrefflich gewesen. In lustigen Briefen ist sie natürlich und gemein, doch nicht niederträchtig. Hierinn habens viel neuere Poeten versehen, die aus Begierde, natürlich zu schreiben, gar die Sprache des Pöbels in ihren Briefen gebraucht haben: und selbst Günther ist hier oftmals zu tadeln, daß er sich bis in die tiefste Niedrigkeit herab gelassen hat. In satirischen Briefen muß sie feurig und scharfsinnig, größtenteils aber natürlich seyn. Denn das ist zu merken, daß selten nur einerley Schreibart in einem Gedichte allein herrschet. Die Veränderung der Sachen und Gedanken fordert allezeit einen andern Ausdruck, wie man in den Exempeln der besten Poeten überall finden wird. 11. §. Schlüßlich erinnere ich noch, daß man nicht nur in eigenem, oder anderer lebendiger Leute Namen; sondern auch im Namen gewisser eingebildeter oder fabelhafter Personen, Briefe an jemanden schreiben könne. Dieses giebt nun einem Poeten viel schöne Erfindungen an die Hand, und ist eine Quelle vortrefflicher Gedanken. Man lasse z.E. die Wahrheit an jemanden ein Schreiben abfassen, dergleichen im I. Stücke der Belustigungen des Verstandes und Witzes eins vorkömmt; oder man schreibe im Namen der Vernunft, der Weltweisheit, der Tugend, der Freyheit, oder andrer solcher allegorischen Personen: so wird man sehen, zu was für schönen Einfällen dieses Anleitung geben wird. Nur muß man freylich allemal die Wahrscheinlichkeit beobachten, und seine Personen nichts sagen lassen, als was sich für ihren Character schicket. So hat Neukirch die Aurora an den König in Preußen schreiben lassen, und ein rechtes Meisterstück daran gemacht. Ja, man kann durch die Prosopopöie auch leblosen Dingen Briefe andichten, wenn es zu gewissen Absichten dienlich seyn könnte. Nun folgen etliche Exempel von unsern alten Poeten. Opitz, an Seine Kaiserliche Majestät. Du Zier und Trost der Zeit, du edles Haupt der Erden, Dem Himmel, Luft und See und Land zu Dienste werden, O großer Ferdinand, nechst allem was dich ehrt, Und deiner Macht Geboth mit treuem Herzen hört, Kömmt auch der Musen Schaar, die deutschen Pierinnen, Kniet frölich vor dir hin, und sagt mit freyen Sinnen: Daß sie, o Lust der Welt, hinfort bestehen kann Der fremden Sprachen Trutz, das hast du auch gethan. Es fällt dir nicht allein in deine Gnadenarmen Was du mit Waffen wohl, mehr beugest mit Erbarmen, Mit Lieb' und Gütigkeit: auch selbst die Zungen gar Empfinden solche Kraft, und werden itzt gewahr, Daß sich zu deiner Zeit dieß alles lasse zwingen, Was außer Zaume lief; daß dir sich muß verjüngen Der Alten Thaten Lob; daß deiner Macht, o Held, Zu Dienste stehen muß der Lauf der ganzen Welt. Die Seyne scheuet dich; du hast den Stolz der Elbe, Den Rhein und Poo geschreckt. Das heilige Gewölbe Der Sternen sieht bestürzt die Wunderthaten an: Du hast des Glückes Gunst dir gleichsam unterthan Mit aller Pflicht gemacht. Eh als dein Volk ist kommen, Hat oft dein Name schon die Oerter eingenommen. Unüberwindlich heist ein Kaiser für und für, Du Halbgott bist es auch; der Himmel krieget dir. Warum nun, (ach daß wir es bald erfahren können!) Dein Deutschland seine Ruh wird wieder lieb gewinnen, Wird treulich einig seyn; soll dein gerechtes Schwerdt Dann werden Donau ab auf jenen zugekehrt, Der itzt durch unsern Krieg fast sitzend hat gewonnen: Sein Monden und Panier wird weichen deiner Sonnen; Die Constantinerstadt, du neuer Constantin, Wird von sich thun ihr Joch, und lernen wie vorhin Der Christen Erbschaft seyn. Olympus, wie vor Zeiten, Und Ossa sollen sehn, ein solches Volk bestreiten, Das außer Tugend lebt. Ich spüre gleich vor mir Das Wiehern und Geschrey, der hellen Waffen Zier, Der strengen Ritter Heer, die ihre Zelte pflanzen Hin an den Hellespont, und auf die Türkenlanzen Mit vollen Sporen gehn. O daß der schöne Tag, Daß doch die güldne Zeit mit Freuden kommen mag! Wann dir dein greises Haar hernach bekränzt soll stehen, Mit Palmen hergebracht vom heil'gen Idumeen, Das frey gefochten ist? Dann wird man nach der Zeit Beysammen wohnhaft seyn in stiller Einigkeit, Wird Pflug und Friedenszeug nur schmieden aus den Waffen, Wird sicher und getrost im Felde können schlafen, Daß dir stets grünen soll; wird sagen: zwar wie sehr Der Kaiser Kaiser ist, so ist er Vater mehr. Opitz, an Herrn Carl Annibal Burggrafen zu Dohna. Genug, o Held, genug! wie lange willst du reisen Fast Tag und Nacht, durch Hitz' und Frost, durch Eis und Eisen? Wann nimmst du deine Ruh? Ist denn von Wiegen an, Vom Lenzen deiner Zeit, noch nicht genug gethan? Seit daß der Himmel dich der Erden hat gegeben Als seiner Güte Pfand. Du fiengst kaum an zu leben, Da ließest du alsbald mit vollen Stralen aus Die Gaben der Natur, die euer werthes Haus Wie Erb und eigen hat. Du bist stracks nachgegangen, Des Vaters Löblichkeit, der nichts hat angefangen Was zu vergessen ist. Das Palestiner Land, Des wahren Lebens Grab, hat seinen hohen Stand, Viel höher noch geführt. Durch so viel wilde Heiden Hat er den Ort gesucht, wo der hat wollen leiden, Der uns nicht leiden läßt. Er hat sich hingemacht Auf Sina Gottes Berg, und seines Schildes Pracht Daselbst noch mehr geziert; ist zu dem Ritterorden, Der Rad und Degen führt mit Ruhm' erkohren worden. Der Pohle hat in ihm den Kaiser selbst geehrt, Und seiner Rede Macht bestürzet angehört. Der große Moscowit hat seine prächtgen Ohren Hin gegen ihm geneigt, und in sein Wort geschworen. Dem bist du nun gefolgt, als wie ein junges Pferd, Von adelicher Schlacht, das bald hinaus begehrt In frische freye Luft; will nicht beschlossen liegen, Springt, wiehert, schnaubt und schäumt, läßt seine Haare fliegen Um beyde Schultern her, und zeigt schon damals an, Wie schnell es werde seyn, wann ihm die Ritterbahn Wird sollen nach der Zeit den Dank im Rennen geben. Man sahe nicht um dich die faule Wollust schweben, Die Mörderinn der Zeit, der Jugend ärgste Pest, So guten Samen nie zur Blüte kommen läßt. Du hast es dir für Spott und Schande nicht geschätzet, Den Büchern hold zu seyn; hast deinen Sinn ergetzet Mit dem worüber oft ein Aeltern-edler lacht; Doch das den Edlen ziert, und einen edel macht, Der sonst nicht edel ist: dann Schilde sind das mindste Von dem was Tugend heißt. Du hast der Musen Künste Aus ihrem Grund' erlernt, so gar genau und wohl Als mancher der den Bauch damit ernähren soll, Und seine Lebenszeit sonst nichts als dieses treiben? Wer ist wie du beredt? Wer kann so zierlich schreiben? Dein Römisch kömmt der Zeit des großen Cäsars zu; Der mindste Theil von uns versteht es so wie du. Dieß war dein Tockenwerk, dein Kinderspiel und Scherzen, Bis daß was anders dir in deinem großen Herzen Und im Gesichte lag. Du wußtest daß die Welt, Was Nereus weit und breit in seinen Armen hält, So um das Erdreich gehn, weit von der Sonnen Wiegen, Bis wo nach Mitternacht die finstern Länder liegen, Der Tugend Schranken sey. Den Zweck, dieß lange Ziel Hat die Natur gesteckt dem, der nicht faulen will, In seiner Mutter Schooß, und hinterm Ofen alten. So ließ der Theseus sich sein Trezen auch nicht halten, Achilles Pelion, und Ajax Salamin: Ein Geist, der Ehre sucht, muß etwas weiter ziehn, Als, wo der Grenzstein liegt. Drum bist du ausgerissen Als wie ein junger Löw, im Fall er an den Füssen Die Klauen wachsen sieht, und um den Hals die Mähn, Die Zähn im Maule merkt; er will nun ferner gehn Aus seiner Hölen Loch, in der er ist erzogen: Und wie ein Adler thut, der nicht läßt ungeflogen, Wiewohl er kümmerlich erst itzt hat ausgekielt, Und noch der Nordwind nicht mit seinen Federn spielt: Er macht sich in die Luft, und schwingt mit freyem Zügel Bis zum Gewölke hin, die wenig starken Flügel. Alsbald er etwas dann erblickt in einer Bach, So stürzet er herab, und setzt den Enten nach, Die großen Schreckens voll sich vor ihm untertauchen. Wie jener, der gewünscht, er möchte nur sehn rauchen Die Schorstein' Ithace: so hast du manches Land, Sein' Art und Eigenschaft, viel Stadt' und Leut erkannt; Hast nicht nur überhin die Mauren angeschauet, Als wie am Nilusstrand' ein Hund thut, der nicht trauet, Säuft schnell' und macht sich fort. Was Frankreich gutes hat, Der Sitten Meisterinn; was seine schöne Stadt Paris, der Erden Zier, die Mutter aller Tugend Und Klugheit, weis und kann; das hast du deiner Jugend Gemein und recht gemacht. Französisch steht dir an, Als wie das Deutsche mir; dem ich die erste Bahn Zur Poesie gezeigt, die nicht bald ein wird gehen. Ein Welscher muß vor dir ungleichen schamroth stehen, Muß weichen, kömmt er schon vom alten Sena her; Du redest besser noch und reiner, weder er. Rom hat dich nicht erkannt vor seinen eignen Söhnen, Und dein Neapolis die Tochter der Sirenen. Dich hat auch streiten sehn die schwarze Barbarey: So daß man wissen mag wie nichts zu ferne sey, Dem Menschen der auf Ruhm, auf Lob und Ehren gehet, Der wie der Himmel selbst kein mal nicht stille stehet, Und meidet Müssiggang, den alle Tugend haßt. Daselbst hast du den Feind zu Wasser angefaßt, Und kräftig ihm gezeigt, daß in Europens Landen Ein Volk so deutsch redt sey, das Africa bestanden, Von welchem Theil es will, und mit ihm fechten kann. Nachdem dein hoher Sinn nun hatte ganz gethan Was in der Fremde dient, und heimwärts warest kommen, Wie hast du da gelebt? was hast du vorgenommen? Hast du der Welt gezeigt, daß deiner Reisen Zeit Auf nichts bestanden sey, als bloß auf Eitelkeit, Auf Künsten ohne Kunst? bist müßig sitzen blieben, Und hast die faule Lust dir lassen stets belieben, Im Schatten falscher Rast? O nein! dein Heldensinn, Der keine Mühe scheut, trug dich nach Hofe hin, Zum Kaiser, welchem du nur einig wolltest dienen. Hier hat dein Glanz, du Licht der Zeiten, mehr geschienen, Als wann sich Hesperus macht an des Himmels Dach, Und zeucht der Sternen Heer ihm sämmtlich hinten nach. Was dich bedünket hat, ist recht und wohl gerathen, Und was du hast gemacht, das gleicht sich mit den Thaten, Der Helden, derer Lob in unsern Büchern steht, Und schwerlich mit der Welt auch selbsten untergeht, Die sterblich ist, wie wir. Der Ausschlag dieser Zeiten Sieht dich an, als weil du kanst Chur und Fürsten leiten Auf deines Kaisers Theil, und dich zu lieben pflegt Der so des Reiches Schwerdt, und der das Zepter trägt, Der Fürsten edles Paar. Mit der gelehrten Zungen Hat itzt dein Adler fast die Herzen mehr gezwungen Als mit der Waffen Kraft; er schickt dich hin und her, Und legt mit deiner Lust die müde Landbeschwer, Dir, andrer Atlas, auf. Wann du im Schlafe liegest, Und nur ein wenig Ruh von deiner Arbeit kriegest, Die für uns alle wacht, so wird dein edler Muth Doch nie nicht eingeschläft, der mehr im Scherze thut, Als wann ein andrer schwitzt nach vielerley Geschäfften. Wormit erquickst du dann die fortmehr müden Kräften? Mit Krieg und rauer Schlacht: also machst du dich frey Von deines Kummers Last. Der Landsknecht ihr Geschrey, Der Küraß' heller Glanz, das Donnern der Cartaunen, Der kühnen Fahnen Flug, die Stimme der Posaunen, Der Pferde grimmer Schaum, dieß, dieß ist deine Lust, Dein' Unmuthwenderinn, die itzt dich macht bewußt; So weit sich das Geschrey von unserm Krieg erstrecket, Der vielen Helden Ruhm, und Faulen Schmach erwecket, Die ihnen folgen muß. Hat erstlich dich genährt Der große Jupiter: so giebt dir Mars das Schwerdt, Das dich noch höher hebt. Ich sollte weiter sagen Von deiner Tugend Zier; ich müßte Sorge tragen, Es sey mein armes Schiff, das übrig weit nicht her, Zu gar sehr leicht und schwach, auf deiner Gaben Meer. Ich bin kein Hofmann nicht, ich kann nicht Rauch verkaufen, Nicht küssen fremde Knie, nicht unterthänig laufen Nach Gunst, die gläsern ist: mein Wesen, Gut und Zier Ist Lust zur Wissenschaft, ist Feder und Papier. Dieß sey dir ganz geschenkt, an statt der vielen Gnaden, Mit welchen du mich hast bisher so sehr beladen: Daß ich, ohn daß mein Herz ist treuer Dienste voll, Undankbar leben muß, und auch so sterben soll. Du hebst mich über mich, du willst mich ganz befreyen Von deiner Waffen Last; willst mich den Musen leihen, Die meine Freude sind, und mir in ihrer Schooß Entbinden meinen Geist, der nachmals frey und los In tausend Bücher geht: du lässest mich mir machen Ein Nest der stillen Ruh, aus dem ich kann verlachen, Kann werfen unter mich Neid, Hochmuth, Geld und Welt; Kan schaffen, was nach Gott und dir mir selbst gefällt. Nun Clio windet dir für dieß den Kranz der Ehren, Den keines Regens Macht noch Hagel kann versehren, Der auch im Winter grünt; sie schreibt dich dahin an, Wo dich ein jeder Mensch von ferne lesen kann, Und immer lesen wird. Viel große Männer haben Die Welt mit Sieg erfüllt, doch liegen sie begraben, Und ihre Thaten auch, in einer langen Nacht: Weil kein Gelehrter sie nicht hat bekannt gemacht Durch eine weise Faust. Du aber wirst bekleiben Mit unverlöschter Zier, so lange man nur schreiben Und Thaten merken kann; wirst stehen jederzeit Geschrieben in das Buch der greisen Ewigkeit. Hier wird man mit Begier und großer Wollust lesen, O ritterlicher Held! dich, und dein ganzes Wesen, Das nichts vom Tode weis: dieß laß die Hoffnung seyn Von meiner Dankbarkeit, als welch ich nur allein Anitzt versprechen kann; an statt der Gnad und Güte, Damit du mich erhälst. Ein herrliches Gemüthe Wird von den Sterblichen und auch von Gott geliebt, Und thut weit mehr, als der, so viel, und fälschlich giebt. Opitz, an Zinckgräfen. Recht also, liebster Freund; du lässest dich die Zeiten, Die Sitten, diesen Grimm der Kriege nicht bestreiten: Und da das Vaterland Verfolgung leiden muß, Bringst du es wiederum durch Schreiben auf den Fuß; Sagst was dieß edle Volk für schöne Geister trage, Suchst nach ihr kluges Wort auf eine kluge Frage: Daß künftig keiner nicht, wie etwa Welschland thut, Sich überreden darf, daß gar zu kaltes Blut Bey unsern Knochen sey, und etwa ein Gestirne Vom neuen Zembla her uns härte das Gehirne, Damit es weiter nicht gedenke, als es sieht. Mars, wüte wie du kannst, die güldne Sprache blüht Bey deinem Eisen auf. Ich weis viel edle Sinnen, (Dich Zinckgräf, sonderlich) die besser schreiben können, Als Länder die bisher ihr Volk hinausgesandt, Zu fechten wider uns: dem wohl die deutsche Hand Wo Gott will und die Zeit, den Lohn soll wieder geben. Du hörest niemals auf beherzt zu widerstreben, Der wilden Barbarey, und lässest ungefragt Was dieser oder der für Vortheil von uns sagt, Dem ein gelehrtes Buch ein Dorn ist in den Augen. Soll mir der Harm das Blut aus allen Adern saugen, Wann mancher Eselskopf, der nichts versteht noch kennt, Und alle Tugend haßt, mich den Poeten nennt, Und schimpft mich, wie er meynt? Ich wollte, daß ichs wäre; Weil ich nun nicht seyn kann, was ich zu seyn begehre, So kränkt mich's, daß ich nicht des Lobes würdig bin, Das jemand mir zum Spott gedenket anzuziehn. Es ist hier nicht genug, die arme Rede zwingen, Die Sinnen über Hals und Kopf in Reime bringen, Der Wörter Henker seyn: wer nicht den Himmel fühlt, Nicht scharf und geistig ist, nicht auf die Alten zielt, Nicht ihre Schriften kennt, der Griechen und Lateiner, Als seine Finger selbst, und schaut daß ihm kaum einer Von ihnen außen bleibt; wer die gemeine Bahn, Nicht zu verlassen weis, ist zwar ein guter Mann, Doch nicht auch ein Poet. Es ist ja zu besorgen, Weil allbereit bey uns fast alle neue Morgen Ein neuer Dichter wächst, daß diese Schreibesucht Der Sprache Zierlichkeit wird wieder in die Flucht, Verjagen als zuvor. Es sagt mirs kein Prophete, Hier seh ichs zu Paris, da Ronsard nicht Poete Mehr heißet, wie vorhin; da Bellay betteln geht, Da Bartas unklar ist, da Marot nicht versteht, Was recht Französisch sey; da Jodel, da Baif Nicht also reine sind, wie itzt der neue Griff, Und Hofemuster will. Heißt dieses nicht, entlaufen Dem Wasser, wo es quillt, und aus der Pfütze saufen? Wer nie gesegelt hat, will nicht beym Ruder seyn, Wer keinen Arzt abgiebt, der giebt auch keinem ein, Wer nicht zu spielen weis, der läßt den Ball doch liegen, Er nimmt den Degen nicht, wer nicht vermeynt zu siegen: Hier schreibt, wer Hände hat. Weis einer sonst nichts mehr, Es muß der Deutsche her, der säuft ihm gar zu sehr; Ist nüchtern nicht ein Narr. Wird endlich doch der Menge Der Reime schon die Pfalz, der weite Bau zu enge! Es sind von solcher Last die beyden Brücken schwer: Der große Heinrich selbst sieht zornig überher, Und denkt, soll dieser Schwarm noch mehr im Schwange gehen: So werd ich länger kaum darzwischen sicher stehen. Du Auszug der Natur! du Stadt, der Erden Licht! Der Weisheit Säugerinn! ich meine gänzlich nicht Die hochberühmte Schaar, die an der Seyne Strande Ihr die gelehrte Welt macht mit der Weisheit Pfande Zu einer Schuldnerinn; die theils zwar selber schreibt, Und theils auch ämsig schaut, daß nichts dahinden bleibt Von Büchern, die vorher im Finstern mit den Schaben Und Motten Krieg geführt, und nie gesehen haben Von tausend Jahren her, den angenehmen Tag. Ich halte mir es hoch, daß ich mich letzen mag Mit ihrer Gegenwart. Mein rechter Eifer brennet Nur wider dieses Volk, das die Poeten nennet, Bey dir, und auch bey uns, an welchen um und an Ja nichts poetisch ist, als daß es lügen kann. Doch läßt uns diese Pest der Sprachen unvertrieben: Kein Vers vom Bavius und Mävius ist blieben: Der Venusiner Schwan, der Preis von Mantua, Und Naso und Catull, die sind noch alle da. Laß du, o Zinckgräf, auch den guten Zweck nicht liegen, Zu helfen, wie du thust das Finsterniß besiegen, Das deutscher Reden Zier bisher umhüllet hat. Kriegt gleich ein Nesselstrauch bey Rosen eine Statt, So blühen sie gleichwohl. Wir wollen nicht bedenken, Daß träge Hummeln sich an diesen Bienstock henken. Ein Körper bleibet doch, obgleich des Schattens Schein Sich größer macht, als er: die Zeit soll Richter seyn. Opitz, an Johann Seußius, Churfürstlichen Sächßischen Secretär. In dieser schweren Zeit, in diesem großen Brande, Der Leut und Städte frißt, der meinem Vaterlande, Dem armen Vaterland! itzt auch sein Theil erst giebt, Und mich, (wie denket ihr, die ich so sehr geliebt, Ihr Musen, meine Lust?) mich in das Lager führet, Darein den Eurigen zu gehn, sonst nicht gebühret: Was schaff ich, weil das Volk in fremden Häusern sitzt, Und mit nichts Gutesthun die güldne Zeit vernützt? Wie kann ich brünstig seyn, ein Weibesvolk zu lieben? Da tausend Schmerzen mir den kranken Muth betrüben, Und ädern meinen Geist. Ach Herz, ach wende mich Von dem, was andern ist, und wirf weit unter dich Ein unglückhaftes Glück, ein Gut ohn alle Güte, Ein Werk, durch dessen Nutz sich abnützt das Gemüthe, Das Leib und Sinnen schwächt, das uns zu Alten macht, Eh, als die Jugend noch recht halb ist weggebracht, Die stinkend arge Lust, wenn ihre schnöde Früchte, Am besten wohl uns thun, macht laß, und wird zu nichte; Die füllt bald und verbringt mit Ekel ihren Lauf, Und ehe sie recht kömmt, so hört sie wieder auf. O Liebe! sey mir gram! Soll ich mich aber letzen, Durch leichtes Kartenspiel? soll ich Ducaten setzen, Die von dem Blute roth, und bleich von Thränen sind? Wohl diesem! welcher nicht verspielet noch gewinnt, Was Armer Hände Schweiß so sauer muß erwerben. Wer also reicher wird, soll endlich Hungers sterben, Sein Samen betteln gehn; das ungerechte Geld Soll fressen das gerecht, und führen aus der Welt. Wozu dient dann der Wein? der Gläserkrieg? das Saufen? Der ungekaufte Rausch? Wie, wann der Feinde Haufen, Von welchen uns gar kaum dieß kleine Wasser trennt, Das so viel Pässe hat, käm auf uns zu gerennt, Mit seiner stärkern Kraft, und hieb uns trunken nieder? Wacht auf, ihr Augen! wacht! das Leben kömmt nicht wieder, Ists einmal schon hinweg. Durch freche Sicherheit Der Unsrigen gewinnt das Gegentheil die Zeit, Und auch den Sieg dazu. Die wir mit stolzer Nasen Verspotten, meynt ihr wohl, sind sie gehelmte Hasen, Und kommen Fersengeld zu geben in den Krieg? Ein Feind, den man verlacht, der hat schon halben Sieg. Wach auf! sie schlafen nicht. Was soll denn ich nun machen: Ich will der falschen Welt mit leichten Versen lachen, Ein deutscher Juvenal. Ich will die Eitelkeit Des Volkes, das nun lebt, die Sitten dieser Zeit, So ganz verderbet sind, der künftigen vermelden. Wir singen von der Treu beherzter werther Helden, Die mehr ihr Vaterland als ihre Haut geliebt, Und mit Beständigkeit sich haben ausgeübt, Die itzt höchstnöthig ist. Werd' ich gleich müssen bleiben, Durch Mittel, die Gott weis: so wird doch das bekleiben Was meine Feder zeigt. Ein Geist den Phöbus liebt, Dem Jupiter die Lust und Art zu schreiben giebt, Kann mit der grauen Welt als um die Wette leben. Mein Opitz! sorge nicht, wie sehr sie widerstreben Die Feinde deiner Ruh: du sollst in Ehren stehn, Wenn ihr Gedächtniß wird mit ihnen untergehn. Hüll in dich selbst dich ein! sey du dir dein Gewissen, Ein Zeuge, der nicht treugt: tritt alles das mit Füssen, Was gut heißt, und nicht ist; lauf ferner auf der Bahn, Wie bis anher geschehn, die niemand finden kann, Als der, so Weisheit liebt; der des Gemüthes Gaben So oft er soll und will, kann in Bereitschaft haben. Der schreibt ein solches Buch, das nach dem Himmel schmeckt, Und bleibet, wenn man uns mit frischem Sande deckt. So thut dein Seußius, der Vater der Poeten, Der Musen liebster Sohn. Er schaut den Kriegesnöthen, Den Zeiten, die itzt sind, mit freyen Sinnen zu, Und findet in sich selbst des Lebens wahre Ruh, Die am Gemüthe liegt; verhöhnt des Glückes Scherzen, Frischt auf sein greises Haar mit einem jungen Herzen, Das alte Weisheit trägt; hemmt seiner Jahre Flucht, Mit der gelehrten Hand; pflanzt Bäume, derer Frucht Ein andre Zeit nach uns ergetzen soll und speisen. Wird solches nicht sein Buch, sein edles Buch erweisen? Das nunmehr brechen will den Traum der finstern Nacht? Apollo freuet sich, die schnelle Fama wacht, Und will das schöne Werk auf ihrem lichten Wagen, Bis in das Schlafgemach der rothen Sonnen tragen, Vom hellen Morgen an. Ihr Helden! denen hier Ihr Lob gepriesen wird, erkennet eure Zier! Lacht eure Gräber aus. Ihr deutschen Pierinnen, Mein allererster Ruhm, schaut was für hohe Sinnen Um euch bemühet sind; seyd sicher nach der Zeit, Ihr steht wann alles fällt, ihr bleibt in Ewigkeit; Wo Kunst und Menschenwitz nur ewig steht und bleibet. Doch ja, was Seußius uns giebet, das bekleibet, Und überlebt die Welt; dieweil es Gott erhebt, Und den der Tod ist lobt, und den lehrt, der noch lebt. Neukirchs Schreiben der Aurora, an Seine Königliche Majestät in Preußen, Friedrich I. Ich schreibe, König, hier, was man bey Hofe klagt, Was meinen Ruhm verletzt, was fast ein jeder sagt: Ach zürne nicht zu früh! Denn unsers Geistes Triebe Sind zwar voll Eifersucht, allein auch voller Liebe. Es ist nichts Grausames womit du uns beschwerst: Wir klagen, daß du dich für andre selbst verzehrst, Daß du ein König bist, und doch in deinen Landen Kein Diener je gelebt, der früher aufgestanden. Die Hirten sind erstaunt, die Musen schämen sich: Denn beyde finden schon, so bald sie wachen, dich. Mein Phöbus, der dir doch so herzlich wünscht zu dienen, Ist selber, wie du weist, stets viel zu spät erschienen; Und fuhr mich heute noch mit rauhen Worten an, Daß ich der Wolken Flor nicht eher abgethan. Was Phöbus an mir straft, geb ich mit gleichem Blicke, Der Ordnung dieser Welt, und der Natur, zurücke. Was, sprech ich oftermals, nutzt mir der Flügelschein, Wenn Helden flüchtiger, als Licht und Flügel, seyn? Allein was die Natur mich läßt zur Antwort hören, Ist dieß; ich möchte doch nicht ihr Gesetze stören. Ach! wenn denn die Natur so stark gebunden ist, Wenn sie ihr eignes Thun nach alten Regeln mißt: Wie kömmt es denn, o Held, daß du sie übersteigest, Und dich, zu gleicher Zeit, als Herr und Diener zeigest? Ist es denn nicht genug, daß du dein Haus erhöht, Daß dein geübtes Heer schon an der Spitze steht; Daß du bey Tage pflegst an Heil und Recht zu denken, Mußt du dem Reiche denn auch noch die Nächte schenken? Must du der letzte stets, der fremde Sorgen trägt, Und auch der erste seyn, der sich im Bette regt? Weil sich mein nasses Haupt noch in der See verweilet, Hast du dem Hofe schon Befehl und Rath ertheilet. Tret' ich denn in die Höh, so seh ich mit Verdruß, Wie ich den Deinigen mit Schimpfe dienen muß. Das Licht ist, sprechen sie, nicht in Aurorens Wangen: Wenn unser König wacht, kömmt auch der Tag gegangen. Jedoch, so hurtig sie dein muntres Auge macht, So sind sie doch bisher, nicht ehr, als du, erwacht. Sie lassen dir die Müh, und schlafen ohne Sorgen: So lange du nicht rufst, so ist es noch nicht Morgen. Der treue Wartenberg, der doch, nach aller Sinn, Dir eben dieses ist, was ich der Sonne bin, Klagt selbst, wenn er sein Amt zu thun sich vorgenommen, Daß du ihm oftermals, o Held! zuvor gekommen. Wo will es endlich hin? rührt Phöbus sich in dir: Wie? oder schreibt dein Glanz mir neue Stunden für? Doch wenn du Phöbus bist, wer hemmet mir den Zügel? Und bist du etwas mehr, warum sind meine Flügel, Nicht deinen Kräften gleich? Halt inne, großer Held! Du hast genug gethan, daß du der ganzen Welt Ein neues Reich geschenkt. Laß andre sich entkräften, Die an ihr Wapen nichts, als leere Titel heften. Europa brauchet dich noch länger, als du denkst. Wenn du die Augen früh auf seine Wunden lenkst, So weint sein Herz um dich: aus Furcht, daß du der Erden Durch allzu große Last, bald möchtst entzogen werden. Dein Land kann sich ja wohl, wie Spanien, erfreun, Und hat, o Herr, an dir fast steten Sonnenschein: Allein es wollte doch ein jeder lieber sterben, Als eine Stunde nur an deiner Ruh verderben. Jedoch, du hörest nicht. Der Unterthanen Flor, Europens Fried und Glück geht allem Schlafe vor: Du liebest sie, nicht dich, und suchest dein Vergnügen, Allein in ihrer Ruh, ihr Heil in deinen Siegen. Wenn ein Bedrängter dir viel Bogen überreicht, So denkst du, daß der Thron sich Rosengärten gleicht, Die zwar voll Mühe sind, doch auch viel Blumen tragen. Ein Centner Arbeit giebt dir zehnmal mehr Behagen, Als andern so viel Gold. Was red ich dir denn zu? Was man Beschwerniß heißt, das nennst du Lust und Ruh. Dein Wachen, treuer Hirt, ist dir ein süsses Schlafen; Dein Schlaf ein süsser Traum, von so viel tausend Schafen, Die dir vertrauet seyn. Drum geb ich mich besiegt, Ich sehe, daß dir mehr, als mir, zu thun obliegt. Ich muß die Finsterniß, du Noth und Krieg zerstreuen, Ich darf das Auge nur, du must das Herz' erfreuen. Doch eines bitt' ich noch: weil doch kein Fürst regiert, Der täglich, so, wie du, mich aus dem Lager führt; So laß doch, großer Held, es einmal nur geschehen, Daß ich, als König dich, darf in dem Bette sehen. Neukirchs Schreiben, an Herrn Graf Stosch. Wo jemals Phöbus mir die Feder hat geführt, Wo jemals meinen Sinn ein rechter Trieb gerührt: So ist es dieser Tag, da du bey deinem Bauen, Uns endlich, großer Stosch! läßt Maaß und Ende schauen. Die Eitelkeit der Welt ist ja genug bekannt. Man baut oft in ein Schloß mehr, als ein halbes Land. So oft ein Ziegel steigt, so steigen auch die Sorgen, Mit denen wir das Geld zu unsrer Wollust borgen: Doch wenn man ausgebaut, so schreyen Kalk und Stein, Daß sie der Bürger Blut, der Witwen Thränen seyn. Wie glücklich ist ein Herr, der auch in solchen Dingen, Wie du, o Tugendfreund! kann seine Regung zwingen; Der alles, was er thut, mit guter Art beginnt, Ehr auf der Bürger Heil, als auf Palläste sinnt, Und seinen hohen Geist, wenn ihn das Glücke kirret, In enge Schranken setzt. So oft ein Armer irret, So irrt er nur für sich: allein ein großer Mann, Ist wie ein schneller Strom, der vielen schaden kann; Und der, wofern sein Lauf sich einmal nur verrücket, Stadt, Dörfer, Volk und Land in das Verderben schicket. Hochwohlgebohrner Herr! du bist hievon befreyt. Dein süßes Herrschen weis von keiner Strengigkeit: Die Bürger lieben dich, nicht, weil sie dir geschworen; Nein, sondern weil du sie zu Kindern dir erkohren, Und nicht sowohl ihr Herr, als ihr Versorger bist. Dein Schloß ist aufgeführt: wer ist, der was vermißt? Wo spricht ein Unterthan, daß du sein Geld verschwendet? Wer klagt, daß du den Bau nicht eher hast vollendet? Er fieng zu vieler Schmerz sich allzu langsam an, Und ist zu vieler Gram zu zeitlich abgethan. Es dachte mancher noch sein Schäfgen hier zu weiden. Allein ein Kluger baut, und weis auch abzuschneiden. Du hast kein Capitol, kein Louvre angezielt: Du thust zwar, was dein Stand, doch auch Vernunft befiehlt, Und hast der Ahnen Sitz nur herrlicher verneuet. So denkt ein andrer nicht, den jeder Wahn erfreuet, Der oft ein schönes Haus mit Müh in Stücken schlägt; Warum? dieweil es noch der Vater angelegt. Ein solcher Commodus meynt, daß ein sittlich Leben Nur für die Schulen sey. Er will sich höher heben, Als Gott und Tugend gehn, giebt beyden gute Nacht, Nimmt, was man ihm versagt, mit ungezähmter Macht, Und sucht das höchste Gut in seinem stolzen Willen. Kein Tyger ist so schwer in seiner Wuth zu stillen, Als so ein blinder Mann, der den Verstand verpacht, Und wirklich einen Gott aus seiner Thorheit macht. Er baut, als wollt er hier auf Erden ewig wohnen, Er lebt, als hofft er noch auf sieben Kaiserkronen. Indessen klopfet man an seine Kammerthür, Und fordert Lohn und Geld. Was? spricht er zornig, wir? Wir! eine solche Post? hier ist noch abzuziehen. Der arme Bürger schwert! Ihr dürft euch nicht bemühen, Fährt jener rasend fort, und schlägt die Thüre zu. Die Sonne leget sich, die Menschen gehn zur Ruh: Er aber sitzt und wacht, und sinnt bey fremden Schätzen, In was für Ordnung er will Dach und Schorstein setzen, Wie weit das Vorgemach vom Tafelzimmer stehn, Durch wie viel Kammern man zu der Gemahlinn gehn, Wo man die Kinder soll, und wo die Diener finden. Die Nacht muß endlich auch, so wie der Tag, verschwinden; Doch unser Commodus hält schon von neuem Rath, Und merkt nun allererst, was er vergessen hat. Reißt ein! reißt ein! schreyt er, werft Maur und Dach zur Erden! Toscanisch ist zu schlecht, es muß Corinthisch werden. Geld! ruft der Zimmermann, Geld! spricht auch Commodus. Die Bürger zittern schon. Gleich aber dringt ein Fluß Dem Ritter durch den Kopf in die erfrohrnen Glieder, Und legt mit ihm zugleich viel Centner Gram darnieder. Du lachest, großer Stosch! daß meine Feder sich So aus dem Wege lenkt. Allein indem man dich, Indem man andre sieht, die nichts nach Tugend fragen, So muß man auch dein Lob und ihre Schande sagen. Das schöne Grottenwerk, der Garten, den es ziert, Das Schloß, das dein Befehl in kurzem aufgeführt, Sind Dinge, welche zwar viel Großes in sich fassen; Doch würden sie vielleicht nicht so gar kostbar lassen, Hättst du sie nicht erbaut. Ein ander wird geehrt, Weil ihm ein reiches Haus mit Dienern zugehört; Du giebst dem Hause Glanz, und deine Diener nehmen Ihr Ansehn bloß an dir. Wenn ihrer viel sich schämen, Daß sie hier nicht viel mehr, als Mäurer, ausgericht: So stiftst du einen Bau, den keine Zeit zerbricht; Der an die Wolken steigt, und deines Namens Würde Auf Erden ewig macht. Ich meyne, Herr! die Bürde So vieler Seufzenden, die du gutwillig trägst. Die Armen, die du schützt, die Waisen, die du pflegst, Und endlich Kirch und Schul, die mehr von dir empfangen, Als aller Bau betrifft. Mit göldnen Zimmern prangen, Ist etwas, das man auch bey rohen Heyden sieht: Wer aber sich für Gott nur einen Tritt bemüht, Dem ist ein größer Licht der Ehren angezündet, Als hätt er Babylon, als hätt er Rom gegründet. Wie sollte nun dein Haus nicht voller Freude seyn? Vernunft hat es gebaut, und Tugend weyht es ein. Die Bürger sehen es, und haben nichts zu klagen, Als daß uns die Natur, die alles beygetragen, Was dich unsterblich macht, nicht auch dein Bild gegönnt. Doch der hat ja dein Bild, der deine Thaten kennt. Lebst du in Kindern nicht, so lebst du doch in Seelen, Die, was du Gutes pflanzst, zu keiner Zeit verhölen, Und dich im Herzen längst als Vater aufgestellt. Wer solche Zeugen hat, der stirbt nicht in der Welt. Laßt andre ihren Ruhm in große Bücher bringen: Das ist das beste Lob, das auch die Kinder singen, Das von sich selbst gefällt, und keiner Kunst bedarf. Ach! wäre, Theurer Stosch! gleich mein Verstand so scharf, Als dein Verdienst erheischt: wie könnt ich anders schreiben? Wer That und Wahrheit schreibt, muß bey der Einfalt bleiben: Denn stolze Farben sind für reine Tugend nicht. Ich sage, was die Stadt, was jeder Bürger spricht: Was mir das Herz gerührt, hat auch den Kiel getrieben. Stosch sey nur so beglückt, als ich hier wahr geschrieben! Das 6. Capitel Das VI. Capitel. Von Satiren oder Strafgedichten. 1. §. Wie die Poesie überhaupt von der Musik und den ersten Liedern ihren Ursprung hat, so ist es auch mit der satirischen beschaffen. Man hat lange vor dem Homer spöttische und schimpfliche Gesänge gemacht, und abgesungen; folglich ist diese Art von Gedichten eben so neu nicht. Aristoteles, der uns dieses im vierten Capitel seiner Dichtkunst erzählet, setzet hinzu: daß diese Lieder sehr unflätig und garstig gewesen, und daß Homerus sie zuerst von dieser Unart gesaubert, da er in jambischen Versen auf den Margites eine Satire gemacht. Dieser Margites, wie schon bey anderer Gelegenheit gedacht worden, mochte ein Müßiggänger gewesen seyn, der weder einen Schäfer, noch einen Ackermann, noch einen Winzer abgeben wollte; und also nach der damaligen Art ein unnützes Glied der menschlichen Gesellschaft war. Auf diesen machte nun Homer ein Strafgedichte, welches er von den oben erwähnten Fehlern der Grobheit und Schandbarkeit befreyete; und gab uns also, nach Aristotels Urtheile, die erste Idee von einer guten Satire, wie er uns vom Heldengedichte das erste gute Muster gemacht. Da aber dieses seinen Nachfolgern Gelegenheit gegeben, die Tragödie zu erfinden; so hat auch jene, nämlich die Satire, zur Erfindung der Comödie Anlaß gegeben. 2. §. In eben dem Capitel erwähnt Aristoteles, daß man noch bis auf seine Zeiten, in vielen Städten satirische Lieder voller Zoten gesungen, ja daß sie so gar durch öffentliche Gesetze eingeführet gewesen. Indessen fielen doch die besten Poeten, die zur Satire ein Naturell hatten, auf die Comödie, die anfänglich durch den Archilochus, Eupolis, Cratinus, und Aristophanes in den Schwang, durch den Menander aber zur Vollkommenheit gebracht wurde. Denn so beschreibt sie Horaz in seiner IV. Sat. des I.B. EUPOLIS ATQUE CRATINUS, ARISTOPHANESQUE POETAE, ATQUE ALII, QUORUM COMOEDIA PRISCA VIRORUM EST, SI QUIS ERAT DIGNUS DESCRIBI, QUOD MALUS, AUT FUR; QUOD MOECHUS FORET, AUT SICARIUS, AUT ALIOQUI FAMOSUS; MULTA CUM LIBERTATE NOTABANT. Dieses zeigt uns nun sattsam, was das innere Wesen ihrer Satiren gewesen. Sie waren Abschilderungen lasterhafter oder thörichter Leute, die sich durch ihre Bosheit und närrische Lebensart schon selbst bekannt gemacht hatten. In freyen Republiken, dergleichen in Griechenland überall waren, stund dieses einem Poeten frey. Und da es zwischen den Vornehmen und Geringern allezeit Mishälligkeiten gab, so sah es das Volk gern, wenn auch die obrigkeitlichen Personen, ja die Fürsten ganzer Städte wacker herumgenommen wurden. Als aber die Großen das Ruder des gemeinen Wesens in die Hände bekamen, so wurde diese poetische Freyheit sehr eingeschränket; wie unten in dem Capitel von der Comödie mit mehrerm vorkommen soll. Man sehe hievon des Casaubonus gelehrten Tractat DE POESI SATYRICA GRAECORUM nach, wo man eine ausführliche Nachricht davon finden wird. 3. §. Bey den Lateinern sind auch schon in alten Zeiten die fescenninischen Lieder und Stachelgesänge Mode gewesen. Das Landvolk belustigte sich an den Festtagen noch zu Augusts Zeiten daran; und diese mögen wohl dem Lucilius die erste Veranlassung zur Erfindung der lateinischen Satire gegeben haben. Diese ist nun von der griechischen in der Art von Versen ganz unterschieden. Denn da jene sich der jambischen bedienet hatten, so schrieb sie Lucilius in alexandrinischen Versen; und zwar mit solchem Erfolge, daß alle seine Nachfolger, Horaz, Juvenal und Persius auch dabey geblieben. Diese drey haben auch in satirischen Gedichten die höchste Vollkommenheit erreicht, und wir müssen sie uns zu Mustern nehmen, wenn wir darinn was rechtes thun wollen. Denn ob sich wohl auch nach ihren Zeiten Lucianus auf die satirische Schreibart mit gutem Erfolge gelegt, so hat er doch nur in ungebundener Rede geschrieben. Auch unter den Neuern haben Erasmus, Agrippa, Henrich Morus, und viele andere, satirische Schriften genug verfertiget: allein wiederum nicht in Versen, so daß wir sie hieher nicht rechnen können. Und ungeachtet es auch an poetischen Satiren in lateinischer Sprache bey Welschen, Deutschen und Franzosen nicht gefehlet: so ist es doch allemal besser, bey den alten Mustern zu bleiben; dagegen die neuern Lateiner nur allemal Copisten und Stümper bleiben. 4. §. Unter den heutigen Völkern, hat sich fast jede Nation darinn hervorgethan. Regnier und Boileau sind unter den Franzosen die größten Satirenschreiber gewesen. Unter den Italienern hat sich Aretin, so wie in England der Graf Rochester, durch seine Satiren einen Namen gemacht; unzählicher andern, die nicht so berühmt sind, zu geschweigen. Bey uns Deutschen hat zwar Opitz in seinen Gedichten hier und da viel satirische Stellen mit einfließen lassen: aber ich finde kein einziges Stücke von ihm, das er eine Satire geheißen hätte. Rachel war der erste, der sich durch zehn Satiren ans Licht wagte: und sich gleichsam dadurch, als unsern Lucilius erwies. Er verdient diesen Namen, nicht nur wegen seiner sehr heftigen und beißenden Schreibart, sondern auch wegen der unreinen und harten Verse, die Horaz jenem römischen vorgerücket. Er verdient indessen noch gelesen zu werden: weil er überall eine gesunde Vernunft, eine gute Moral, und einen ziemlichen Geschmack zeiget; wie aus so vielen Stellen, die ich schon aus ihm angeführet, zur Gnüge erhellen kann. Allein, weit reiner und artiger sind Canitzens Satiren gerathen: und das war kein Wunder, da er bey dem artigsten Hofe lebte, und sonst in viel bessern Umständen war, als jener. 5. §. Wenn wir also an diesem einen deutschen Horaz aufzuweisen haben, so ist Benjamin Neukirch unser Juvenal zu nennen. Seine männlichen und recht feurigen Satiren, die in den hankischen Gedichten stehen, erwerben ihm diesen Namen mit allem Rechte: zumal, da er nicht mit Scherzen und Lachen, sondern im Ernste und mit brennendem Eifer die bittersten Wahrheiten heraus sagt. Menantes hat uns zwar satirische Gedichte geliefert, allein, sie sind mehrentheils zu matt, und zu wässerig gerathen: Günther aber ist zu jung in das Strafamt getreten, daher seine Satiren nur Rhapsodien heißen können, die ihm eine ausschweifende Jugendhitze eingegeben. Er denket ohne Ordnung und Regel, und fällt von einem aufs andre, das sich zu keiner Hauptabsicht zusammen reimet. Ja oft scheinen gar die Reime seine Verse gemacht zu haben; weil die Sachen sich nicht besser zusammen schicken, als ob er sie zusammen gewürfelt hätte. Von unserm Persius könnte ich auch wohl etwas sagen, indem es uns an diesem auch nicht fehlt. Doch weil er noch lebt, so läuft es wider die Regel, die ich mir gemacht habe. Ein jeder, der den lateinischen Dichter kennt, wird schon wissen, wen ich im Deutschen meyne. 6. §. Nach dieser kurzen Historie der Satire, wird es leicht seyn, eine Beschreibung derselben zu geben. Sie ist nämlich ein moralisches Strafgedichte über einreißende Laster, darinn entweder das Lächerliche derselben entdecket, oder das abscheuliche Wesen der Bosheit, mit lebhaften Farben abgeschildert wird. Man sehe das obenangezogene vierte Capitel der Poetik Aristotels nach, so wird man eben dergleichen Beschreibungen davon antreffen. Man kann also sagen, die Satire sey eine Abschilderung lasterhafter Handlungen, oder das Gegentheil von den Lobgedichten, welche nur die guten und löblichen Thaten der Menschen abschildern und erheben. Man könnte sie auch den Schäfergedichten entgegen setzen, welche den unschuldigen Zustand des güldenen Weltalters abschildern. Man kann sie aber auch in zwo Hauptgattungen eintheilen, nämlich in die lustige oder scherzhafte, und in die ernsthafte oder beißende Satire. In jender ist Horaz, und bey uns Canitz; in dieser aber sind Juvenal und bey uns Neukirch Meister gewesen. 7. §. Dacier in seinem Tractate von der Satire, hält dafür, man müsse den Grund der Satiren in der christlichen Lehre von der brüderlichen Bestrafung suchen. Allein vergebens. Diese hat vieler Behutsamkeit vonnöthen, und man müßte erst allerley Stufen durchgehen, ehe man bis zu einer so öffentlichen Beschreibung des Lasters fortschreiten könnte. Einen ordentlichen Beruf, die Sittenlehre zu predigen, und das Böse zu strafen, hat ein Poet auch nicht: und daher glauben viele, es stünde den geistlichen Lehrern allein zu, wider die öffentlichen Laster zu eifern. Allein, auch diese irren, wenn sie meynen, daß man zu Beförderung des Guten und zu Ausrottung des Bösen im gemeinen Wesen einen besondern Beruf haben müsse. Ist nicht ein jeder rechtschaffener Bürger verbunden, für sich selbst, zur Aufnahme und Wohlfahrt der Republik so viel beyzutragen, als er kann? Und was bedarf er also einer neuen Bestallung, seine Einsicht in moralischen Dingen, zur gemeinen Besserung in Schriften zu zeigen? Hierzu kömmt noch die Liebe zur Tugend, und der heftige Abscheu vor den herrschenden Lastern, der einen ehrlichen Juvenal so lange innerlich quälet, bis er endlich losbricht: DIFFICILE EST SATYRAM NON SCRIBERE. NAM QUIS INIQUAE TAM PATIENS VRBIS, TAM FERREUS, VT TENEAT SE? Und bald darauf, in eben der ersten Satire: QUID REFERAM, QUANTA SICCUM IECUR ARDEAT IRA, CUM POPULUM GREGIBUS COMITUM PREMAT, HIC SPOLIATOR PUPILLI PROSTANTIS? So lange es also recht seyn wird, das Böse zu hassen, so lange werden auch die Satirenschreiber keiner weitern Vertheidigung nöthig haben: wenn sie sich nur nicht an unschuldige Leute machen, und Dinge für Laster ausschreyen, die keine sind. Denn in solchem Falle werden sie Lästerer und Pasquillanten. Man sehe hiervon nach, was in der vernünftigen Tadl. II. Th. XXX. St. von dem Unterschiede der wahren Satire und ehrenrühriger Pasquille ausführlicher gesaget worden. 8. §. Und in der That muß man sich wundern, warum man denen, die in gebundner Schreibart wider die Laster eifern, das Handwerk, so zu reden, legen wollen: da man doch den Philosophen, solches in ungebundner Rede zu thun, niemals untersaget hat. Wer lobt nicht die Schriften eines Theophrasts, des Seneca und andrer Moralisten von der Art? Wer weis aber nicht, daß sie sich sehr oft einer weit schärfern satirischen Schreibart bedienet haben, als die heftigsten Poeten? Soll es nun prosaisch nicht schädlich seyn, die Auslachenswürdigkeit und Abscheulichkeit der Laster und ihrer Sklaven abzuschildern, warum soll es nur poetischen Geistern nicht frey stehen? Einmal sind beyde Moralisten; beyde Liebhaber der Tugend, und Feinde der Bosheit; beyde Vertheidiger der Gesetze, und redliche Bürger. Das Sylbenmaaß und die Reime können zum höchsten nichts mehr bey der Sache ändern, als daß die Strafpredigten der Poeten lieber gelesen und wohl gar auswendig gelernet werden: welches aber nur ihre Nutzbarkeit vergrößert, und ihnen einen desto größern Vorzug vor allen andern Sittenschriften einräumet. 9. §. Wie man leicht sieht, so setze ich hier zum voraus, daß ein Satirenschreiber ein Weltweiser sey, und die Lehren der Sitten gründlich eingesehen habe. Diese Eigenschaft desselben ist leicht zu erkennen, wenn man nur zehn oder zwanzig Zeilen einer solchen Satire liest. Es gehört aber auch sonst ein reifes Urtheil und eine gute Einsicht in alles, was wohl, oder übel steht, für einen satirischen Dichter. Denn nicht nur das moralische Böse; sondern auch alle Ungereimtheiten in den Wissenschaften, freyen Künsten, Schriften, Gewohnheiten und Verrichtungen der Menschen, laufen in die Satire. Eine gesunde Vernunft und ein guter Geschmack ist also demjenigen unentbehrlich, der andre strafen will; damit sich nicht ein Blinder zum Führer des andern aufwerfe. Man sieht aber hieraus, auch ohne mein Erinnern schon, daß unschuldige natürliche Fehler nicht unter die Satire fallen. Z.E. Ein Höckerichter, Lahmer, Einäugigter, u.d.g. müssen von keinem rechtschaffenen Poeten, ihrer Gebrechen halber, verspottet werden: es wäre denn, daß sich ein solcher Mensch für einen Adonis hielte. Noch thörichter wäre es, jemanden seine lange oder kurze Person vorzurücken: gerade, als ob es in eines Menschen Vermögen stünde, seiner Länge etwas zuzusetzen oder abzunehmen. Ja, wenn ein kleiner Kerl sich gar zu hohe Absätze machte, oder desto höhere Perrücken trüge, um größer zu scheinen, als er ist; oder wenn ein langer Mensch krumm und gebückt einher gienge, um kleiner auszusehen: so wäre beydes werth, ausgelacht zu werden. 10. §. Es erhellet auch aus dem obigen, daß derjenige nicht den Namen eines satirischen Poeten verdienet; der, bloß aus Neid, Rachgier oder andern Gemüthsbewegungen angetrieben, jemanden in Schriften angreifet. Solche Niederträchtigkeit widerspricht dem Begriffe, den wir von einem Weltweisen haben: und wo dieser aufhört, da hört auch der Satiricus auf; oder da wird er vielmehr zum Lästerer. Es ist also eine thörichte Sache, wenn man fraget: was doch dieser oder jener dem Poeten gethan haben müsse, dadurch er bewogen worden, ihn abzuschildern? Die Antwort ist leicht. Je weniger er dem Poeten zuwider gethan, desto mehr ist derselbe zu loben: weil er ihn ohne Rachgier und ohne Parteylichkeit, bloß seiner Laster halber, zum Abscheue und Gelächter gemacht. Die Satire würde ihren ganzen Werth verlieren, wenn sie nur eine Vergeltung der ihrem Verfasser widerfahrnen Beleidigungen wäre. Und ich würde den gewiß für einen Pasquillanten halten, der auf seinen Feind ein Spottgedichte schriebe; gesetzt, daß er das größte Recht dazu hätte. Günther scheint mir in diesem Stücke tadelhaft zu seyn, weil er den Crispin so grausam gestriegelt, der ihm vorher so manches mochte in den Weg gelegt haben. Eben so dünkt mich Neukirchs Asinius nicht den Namen einer Satire zu verdienen. Auch Pietschens Abschilderung eines obwohl häßlichen Vorbildes, scheint eher ein Pasquill, als eine Satire zu seyn, da sie nicht herrschende Laster, sondern einen einzigen Menschen zum Gegenstande hat. Hingegen Claudians Ruffinus, den jener nachgeahmet hat, dünkt mir eine weit bessere Satire zu seyn: weil ich keine Spur darinn finde, daß der Verfasser sich an demselben habe rächen wollen. 11. §. Noch eins wird man fragen, ob es nämlich auch erlaubt sey, die Personen mit Namen zu nennen? Ich antworte: die Alten haben es ohne Scheu gethan, und Boileau ist ihnen darinn gefolget, hat sich auch in seinem Discours über die Satiren deswegen verantwortet. In der That zieht solches zwar viel Gutes, aber auch viel Böses nach sich. 1) Hindert der Poet dadurch, daß man seine Verse nicht auf die unrechten Personen deute; welches sonst gemeiniglich geschieht. Zum 2) fürchten sich die Lasterhaften desto mehr: denn ENSE VELUT STRICTO, QUOTIES LUCILIUS ARDENS INFREMUIT, RUBET AUDITOR, CUI FRIGIDA MENS EST CRIMINIBUS; TACITA SUDANT PRAECORDIA CULPA. INDE IRAE, ET LACRIMAE. Zum 3) aber ist es für den Poeten mehrentheils gar zu gefährlich, sonderlich, wenn es vornehme Leute sind. Nun hat man zwar einen Kunstgriff erfunden, unter erdichteten Namen, die kein Mensch hat, das Laster zu beschreiben. Wiewohl diesem gedachten Uebel vorzubeugen, ist auch dann kein Mittel, wenn man gleich erdichtete Namen braucht. Je größer nämlich die Personen sind, desto bekannter sind auch ihre Fehler, und man erkennet also die Abbildung derselben, auch ohne Namen schon. Die Engländer bedienen sich der Art, den ersten und letzten Buchstaben, ja wohl ganze Sylben davon auszudrucken, und den Zwischenraum mit ein paar Strichen auszufüllen. Denn nach ihren Gesetzen sind sie nicht eher straffällig, als bis sie den ganzen Namen dessen, den sie durchziehen, hingesetzet haben. Man mag es aber machen, wie man will; so ist der Unwillen der Getroffenen nicht zu vermeiden: und wer diesen nicht erdulden kann, der muß sich entweder mit keiner Satire ans Licht wagen; oder doch nur solche Laster beschreiben, die kein Mensch begeht, das heißt, eine vergebliche Arbeit thun. 12. §. Die Art von Versen, die man zu Satiren brauchet, ist bey uns die lange jambische, mit ungetrennten Reimen. Diese kömmt den griechischen Jamben näher, als die lateinischen alexandrinischen Verse. Wir haben auch nur den einzigen Harpax von Canitzen, und irgend ein Paar von Günthers Satiren, die in verschränkten Reimen, nach Art der Elegien gemacht sind. Die satirische Schreibart aber, welche die natürlichste und ungezwungenste von der Welt seyn muß, wie Horaz vielmals erinnert hat, erfordert eine gewisse Freyheit, die sich für jene Art am allerbesten, für diese aber gar nicht schicket. Nun haben zwar einige auch satirische Oden gemacht, deren verschiedene in den hofmannswaldauischen Gedichten, und in der Poesie der Niedersachsen stehen. Allein, ein Handwerk daraus zu machen, will ich keinem rathen. 13. §. Ich kann nicht umhin, auch hier, wie schon etlichemal geschehen, das Boileau Gedanken von der Satire anzuführen: dem so wohl der Herr von Valincourt, in einer Rede, so er nach dessen Tode in der französischen Akademie gehalten; als der Herr Maizeau in der Lebensbeschreibung desselben das Zeugniß gegeben, daß ihn sein rechtschaffenes, tugendhaftes und ehrliebendes Gemüthe zum Satirico gemacht habe. Er beschreibt uns auch die Satire nicht anders: Die Begierde, sich sehen zu lassen, und nicht zu lästern, bewaffnete die Wahrheit mit den satirischen Versen. Lucil war der erste, der sich erkühnte, sie zu zeigen. Er hielte den Lastern der Römer einen Spiegel vor, und rächete die demüthige Tugend an dem stolzen Laster; den ehrlichen Mann zu Fuße, an dem Gecken in der Sänfte. Horaz mischte in diese Bitterkeit sein lustiges Wesen. Keiner konnte mehr ungestraft ein Thor oder ein Narr seyn; und wehe jedem Namen, welcher, da er eines Tadels fähig war, sich in den Vers schickte, ohne das Sylbenmaaß zu stören. Und nachdem er dergestalt noch den Persius, Juvenal und Regnier beschrieben, bezeigt er seinen Ekel und Abscheu vor den unzüchtigen Ausdrückungen und groben Unflätereyen derselben: Wie gut wäre es für ihn (den Regnier) wenn seine Reden, die ein keuscher Leser scheuet, nicht nach den Oertern röchen, die der Urheber besuchte; und wenn er durch seine cynischen Reime, schamhafte Ohren nicht so oft beunruhigen möchte. Das Latein trotzet mit seinen Redensarten, aller Ehrbarkeit; allein heute zu Tage will ein Leser damit geschonet werden. Die allergeringste Unreinigkeit verletzet ihn mit ihrer Frechheit, wenn nicht die Schamhaftigkeit in Worten, die Vorstellungen mildert. Ich fordre in der Satire einen aufrichtigen Schriftsteller, und fliehe einen Unverschämten, der mir die Schamhaftigkeit predigt. Diesen Text kann man bey uns auch Racheln, und sonderlich Günthern lesen, die sich ebenfalls bescheidener hätten verhalten sollen; und denen man also nicht darinn zu folgen, befugt ist. Wer andern ein Sittenlehrer seyn will, der muß selbst nicht durch seine Schreibart zu verstehen geben, daß er lasterhaft ist: sonst wird man von ihm urtheilen, wie Quintilian vom Afranius schreibt: TOGATIS EXCELLUIT AFRANIUS; VTINAMQUE NON INQUINASSET ARGUMENTA, PUERORUM FOEDIS AMORIBUS, MORES SUOS FASSUS! LIB. X, c. 1. Anstatt meiner Exempel habe ich hier aus Racheln, Canitzen und Neukirchen diejenigen erborgen wollen, darinn sie von der Poesie gehandelt haben die also hier einen doppelten Nutzen haben werden. Von andern Materien muß man ihre Schriften selbst nachschlagen. Opitzens Satire, bey einer Hochzeit. Ihr, welche Tag und Nacht mit Hoffnung Furcht, und Zagen, Der strenge Wüterich, die Liebe pflegt zu plagen, Ihr, die ihr ganz und gar der schnöden Eitelkeit, Den Lüsten ohne Lust zu Dienst ergeben seyd: Seht an die lieben Zwey, die weit von allem Schmerzen, In dem ihr euch befindt, mit unzertrenntem Herzen Nun werden inniglich, verknüpft seyn in ein Band, Das durch den bleichen Tod auch selbst nicht wird zertrannt. Denkt eurem Stande nach, erweget euer Leben, Und das, in welches sie sich wollen itzt begeben: Wie selig sind sie doch! Ihr aber schifft ein Meer, Das keinen Hafen hat, da Anmuth und Beschwer Anstatt der Segel sind; da Klippen, Wind und Wellen Der rasenden Begier sich euch entgegen stellen Mit stürmender Gewalt; da gar kein Steuermann Nicht angetroffen wird, auf den man fussen kann. Die Liebe, die euch rührt, ist durch den Wahn gebohren, Der nie sein Meister wird; sie ist ein Witz der Thoren, Der Weisen Unvernunft, ein angenehme Noth, Ein wohlgeschmacktes Gifft, ein eigenwillger Tod, Und süsse Bitterkeit; ein Henker der Gewissen, Dem Jupiter selb selbst auch hat bekennen müssen. Wie edel, wie gelehrt wir immer mögen seyn, Jedoch bethört sie uns mit ihrer süssen Pein. Wir lassen ohne Scheu Papier und Waffen liegen, Vergessen unser selbst, beginnen uns zu schmiegen Vor einer, die nicht groß nach unsern Künsten fragt, Und der viel ander thun, als Lob und Ruhm behagt. Wir irren noch mit Lust, und hören auch die Schande Mit großen Freuden an, die uns und unserm Stande Hieraus entstehen muß: und sagen oftmals auch, Was nie geschehen ist: (welch schändlicher Gebrauch, Indem wir mancher so den guten Namen stehlen, Und was sie nie gedenkt, geschweige thut, erzählen, Nicht recht und redlich ist.) Man ist nur bloß bedacht Der Buhlschaft lieb zu seyn; erfindet neue Tracht, Und zeucht mit Kleidern auf, die doch bey dem nichts können, Darauf ein geiles Weib die ungezähmten Sinnen Allein zu richten pflegt. Wir lernen leise gehn, Zu mehrer Sicherung, und auf die Seiten stehn; Die Thüren fein gemach mit stiller Hand aufmachen, Nicht gleiten bey der Nacht, zu rechter Zeit erwachen. Wir reden ohne Mund, mit Augen, mit der Hand; Mit Griffen an ein Ohr, und was sonst mehr bekannt. Will uns ein frommes Mensch nicht bald zu Willen leben, So wissen wir gar fein bey ihr dann vorzugeben: Mit ihrer Tugend Licht und großen Schönheit Pracht Uns haben ganz und gar ihr unterthan gemacht. So nehmen wir sie ein durch Dienst und stetes Ehren, Indem sie von Natur sich gerne rühmen hören, Und lieben, wer sie lobt. Wir geben Heirath vor, Und wann die Zeit fast kömmt, so suchen wir das Thor. Wir schicken Bothschaft aus, erdenken kluge Ränke, Wie beyzukommen sey; verschwenden viel Geschenke, Vernichten heimlich die, so vor am Brete seyn, Und schleichen unvermerkt in ihre Stellen ein. Viel tausend Künste mehr sind hier, sich einzudringen: Durch Tanzen, durch den Wein, durch Seytenspiel und Singen, Und was man sonsten noch für schnöde Sachen übt, In welche dieses Volk gar leichtlich sich verliebt. Hergegen, wer will doch die tiefe List der Frauen, Wie wohl beredt er sey, zu sagen sich getrauen? Ihr ganzes Leben ist gleich einer Zauberey. (Die Keuschen meyn ich nicht, das ferne von mir sey!) Begehrt man ihrer sehr, so soll man immer harren; Fragt man nach ihnen nicht, so heißen sie uns Narren: Ist einer gar zu jach, so kömmt er ganz nicht ein: Läßt er sie von sich selbst, so muß er furchtsam seyn: Ich weis nicht, was man thut. Die Männer anzuhetzen, Sind sie behender noch, als mancher, der mit Netzen Den armen Vögeln stellt. Wie mancherley Manier Ist für den schnöden Leib von theurer Pracht und Zier? Sie spotten der Natur, und mahlen sich mit Sachen, So nur die Haut, und nicht das Herze schöner machen; Vermehren ihren Glanz mit Wassern vielerhand: Ja für ihr Antlitz wird auch Kühmist ausgebrannt. Viel riechen nach Zibeth; ihr ehrliches Gerüchte, Dem kein Geruch nicht gleicht, hergegen wird zunichte. Das Muster bleich zu seyn, wird itzt auch aufgebracht: Drum essen sie nicht satt, verwachen sich bey Nacht, Ja pflegen oftermals auch Kreide, Kohlen, Aschen, Kalk, Eßig, und so fort, wie fast mit Lust zu naschen. Ich meyne weil die Scham bey ihnen nicht mehr gilt, Daß auch die Röthe nun, der Spiegel und das Bild Der Scham, verächtlich sey. Ihr Trachten, Sinn und Dichten Ist einig und allein, uns ihnen zu verpflichten. In ihren Herzen ist fast niemals kein Bestand, Und sind gleich wie ein Ball, der bald in diese Hand, Bald dann in jene kömmt. Viel pflegen sich zu stellen, Sie wären noch so fromm; sind niemals bey Gesellen; Sehn kaum bisweilen auf, gehn selten vor die Thür: Kömmt man zu ihnen heim, so lassen sie nicht für. Läßt man dann ihnen was durch stille Botschaft sagen, So ist die Antwort schlecht. Wann wir von Liebe klagen, So lachen sie uns aus. Kein Seufzen hilft da nicht, Kein Gruß, kein Hutabziehn, kein schriftlicher Bericht, Und was man sonsten braucht. So muß die schöne Tugend Der Schande Mantel seyn: in dem die blinde Jugend Durch solchen Schein gereizt vor Liebe kaum nicht stirbt, Und in der ersten Blüth, als ein jung Baum verdirbt, Die aber, welche gleich auch ihren Willen büssen, Und allzeit ohne Scheu der falschen Lust genießen, Was bringen sie davon? zu späte Reu und Leid, Schmach, Unglimpf, Hohn und Spott, Verlust der theuren Zeit Die Gicht, Geschwulst, Verderb der Augen, Nierenplagen, Das Zittern, Seitenweh, den Schwindel, bösen Magen: Und jenes, welches man bey uns nach Frankreich heißt, Weil man sich sonderlich daselbst darauf befleißt. Das kann die grimme Brunst! verkehrt uns die Gedanken, Macht von Gesunden krank, Gesunde von den Kranken, Von Starken krumm und lahm, die Jungen werden alt, Die Alten wieder jung, die Schönen ungestalt. Kein Glück und Fortgang ist in allem, was wir machen, Wir sind die Büchern feind, und andern guten Sachen; Die Kräfte gehen ab, die Schulden nehmen zu, Ja das Gewissen selbst verlieret seine Ruh. Wann einer dann ein Weib ihm nimmt heut oder morgen; So zahlt er doppelt aus, das, was er vor gieng borgen: Und das, mit welchem er so kostfrey pflag zu seyn, Das bringt man wiederum bey seiner Frauen ein. Am ärgsten aber ists, daß, welcher schon sein Leben Einmal nur eigentlich der Venus hat ergeben, So leichtlich nicht entkömmt. Schau alle Mittel an, Durch welcher Brauch ein Mensch zurechte kommen kann, Wie nichtig sind sie doch? Sie heißen uns zwar fliehen Der Liebsten Gegenwart, und weit von hinnen ziehen; Je weiter aber sie davon gereiset sind, Je mehr die Flamme sich vermehret und entzündt. Der Leib ist von ihr weg, die Liebe steckt im Herzen, Die folget allzeit nach: kein Brunnen löscht den Schmerzen, Kein Fluß, kein grünes Thal, kein Berg noch dicker Wald. Wir zweifeln, wie uns sey: itzt ist uns heiß, itzt kalt; Und wissen nicht wohin. Im Fall wir dann studieren, Da ist fast gar kein Buch, darinnen nicht zu spüren Die Lust der Liebespein. Was ein Poete sagt, Ist Venus, und ihr Sohn, der uns so heftig plagt. In welcher Sprache sind nicht fast wie hohe Schulen Geschrieben, da man lernt den rechten Griff zu buhlen, Der auch sein Vortheil hat? Ja mache, was du willt, So wird doch immerzu der Allerliebsten Bild Vor deinen Augen stehn; so, daß ich auf der Erden Kein einzig Mittel weis, des Uebels los zu werden. Denn niemand folget dem, was Crates hat gesagt: Wann Hunger und die Zeit die Liebe nicht verjagt, So sey der beste Trost, sich nur bald selber henken. Mag also der da liebt, hieraus bey sich gedenken, In was für Noth er sey. Ihr aber, die ihr nu, Weit von der bösen Lust, ergreift die wahre Ruh, Wie wohl seyd ihr daran? Ihr werdet ohne Sorgen Itzt liegen sicherlich bis an den hellen Morgen: Wann sich in vieler Pracht der güldnen Sonnen Schein Mit seinen Stralen dringt zu beyden Fenstern ein. Nun gute Nacht! schlaft wohl! und wann ihr werdet geben Und nehmen diese Lust, nach der wir alle streben: So sinnet ihm doch nach, wie der doch sey daran, Der allzeit lieben muß, und nie genießen kann. Rachelii, achte Satire. Der Poet. So soll ich nicht einmal empfindlich mich erzeigen, Und wie ein stummer Fisch dem Midasbruder schweigen? Wer hat denn eben ihn zu schmähen nur vergunt, Und mir zur Noth und Schutz verschlossen meinen Mund? Ist ein Poet ein Narr? Verläumder? kahler Lauser? Wie theur der hundert eins? ein guter Brockenmauser? Ich sage billig Dank der allzu hohen Ehr: Der Reußen Großfürst hat, fast kaum den Titel mehr. Mein Tscherning, höchster Freund, ihr Meister in dem Dichten, Der ihr ein trefflich Werk selbst machen könnt und richten, Den die gelehrte Kunst hat Welt berühmt gemacht, Und hoch bey Königen und Fürsten aufgebracht. Wie, Lieber, kommt doch dieß, daß solche Himmels Gaben, Die niemand als von Gott und seinem Geist kann haben, Die nicht zu kaufen stehn um Waaren oder Geld, Ja die mit Ehren krönt, das höchste Haupt der Welt, Von manchem Rückemaul so schimpflich wird verlachet, So liederlich geschmäht, so hönisch ausgemachet? Was unter Funfzigen kaum Fünfen wohl geglückt, Das wird zum Schabernack itzunder aufgerückt. Ich der geringste nur, und würdig nicht zu schätzen, Den man in dieser Zahl soll neben andre setzen, Muß, nur zu lauter Schmach, auch solches Namens seyn, Sonst ließ ich mich gar nicht zu dieser Antwort ein. Wie aber geht es zu? Wer kann es doch errathen, Daß dieser Ruhm nun stinkt als wie ein Schneidebraten? Ich wette, wo du wilt, und setz ein gutes Pfand, Der Ursprung dieses Hohns sey Neid und Unverstand. Der schlaue Reinke Fuchs war einmal ausgerissen, Und hatte seinen Schwanz zur Beute lassen müssen: Der Schimpf verdroß ihn sehr, dorft kaum sich lassen sehn; Damit er aber möcht dem Spott entgegen gehn, Verlachet er zuvor ganz hönisch seine Brüder: Was traget ihr, sprach er, das häßlichst aller Glieder? Wozu dient das Geschlepp? Was bringt der Wedel ein? Als daß wir so viel ehr der Jäger Beute seyn. So gar kann alle Ding der Neid zu nichte machen; So kann mein Theon auch die Poesie verlachen, Weil er zu dieser Kunst so gar gerecht ist schier, Als eine Sau zur Leyr, der Esel zum Clavier. Daß aber man so gar das Gute darf beschmeißen, Daß ein Poet ein Narr, ein Narr Poet muß heißen! Das thut der Unverstand: weil mancher Büffel zwar Hat einen großen Kopf doch Bregen nicht ein Haar; Sieht Kupfer an für Gold; die Rüben für Granaten; Die Gans für einen Schwan; die Kötel für Muscaten; Weis keinen Unterscheid; hat keiner Dinge Wahl: Den Kukuk preiset er für eine Nachtigall. Wahr ist, daß Phöbus Volk fast lustig ist von Herzen, Und meistentheils gescheidt, doch höflich auch im Scherzen: Bevorab wo sie nur in etwas sich getränkt Mit dem berühmten Saft, den uns Lyäus schenkt. Da wissen sie bald eins und anders vorzubringen Zur angenehmen Lust; jedoch von solchen Dingen, Die nicht verdrießlich sind. Ist das der rechte Mann, Sie hengen ihm wohl eins, jedoch gar höflich an. Ihr Stich der blutet nicht. So (hab ich wohl gelesen) Soll aller Franken Ruhm, der Taubmann seyn gewesen: So auch der Buchanan, Minervens liebstes Kind, Dem weder Römer, Griech, noch Deutscher abgewinnt. So war der Venusin, den selbst Augustus ehrte, Der nach des Pindars Kunst, die Römer spielen lehrte, Zum Lachen wie gebohrn, im Schmerzen ausgeübt; Wie sein berühmtes Buch noch heute Zeugniß giebt. Wenn nun ein grobes Holz, ein Eulenspiegels gleichen Läßt einen, Pfuy dich an! mit gutem Willen streichen, Bringt kahle Zoten vor, verschluckt ein ganzes Ey, Und rülzet ins Gelach, und schmatzet in den Brey; Wenn er sich lustig macht mit solchen Bubenpossen, Die auch kein Hurenwirth sollt hören unverdrossen: Da lacht die Unvernunft, daß ihr die Luft entgeht, Und spricht wohl: Hey! das ist ein lustiger Poet. O! allzu theurer Nam für solche grobe Hachen, Kann dann ein fauler Stank so bald Poeten machen; Ein unverschämtes Wort? O! weit vom Ziel gefehlt: Es muß ein ander seyn, der mit will seyn gezählt In diese werthe Zunft. Die keuschen Pierinnen Sind keinem Unflath hold, sie hassen grobe Sinnen. Wer ein Poet will seyn, der sey ein solcher Mann Der mehr, als Worte nur und Reime machen kann; Der aus den Römern weis, den Griechen hat gesehen, Was für gelehrt, beredt, und sinnreich kann bestehen; Der nicht die Zunge nur nach seinem Willen rührt; Der Vorrath im Gehirn, und Salz im Munde führt; Der durch den bleichen Fleiß aus Schriften hat erfahren, Was merklichs ist geschehn vor vielmal hundert Jahren: Der guten Wissenschaft mit Fleiß hat nachgedacht, Mehr Oel als Wein verzehrt, bemüht zu Mitternacht; Der endlich aus sich selbst was vorzubringen waget, Das kein Mensch hat gedacht, kein Mund zuvor gesaget; Folgt zwar dem Besten nach, doch außer Dieberey, Daß er dem Höchsten gleich, doch selber Meister sey; Dazu gemeines Ding und kahle Fratzen meidet, Und die Erfindung auch mit schönen Worten kleidet; Der keinen lahmen Vers läßt untern Haufen gehn, Viel lieber zwanzig würgt, die nicht für gut bestehn. Nun wer sich solch ein Mann mit Recht will lassen nennen, Der muß kein Narr nicht seyn; so wohl was gutes können, Als unser Tadelgern, der neugebohrne Held, Der nicht geringen Muth und Titel hat für Geld. Geh, wie Diogenes des Tages bey den Flammen, Und bringe dieser Art, so viel du kanst, zusammen; Setz gute Brillen auf, für eine zweymal drey: Komm dann, und sage mir, wie theur das hundert sey? Es werden kaum so viel sich finden aller Orten, Als Nilus Thüren hat, und Thebe schöne Pforten: So viel du Finger hast, die Daumen ungezählt, Im Fall dir einer noch vom ganzen Haufen fehlt. Zwar tausend werden sich und vielmal tausend finden, Die abgezählte Wort in Reime können binden. Des Zeuges ist so viel, als Fliegen in der Welt, Wann aus der heißen Luft kein Schnee noch Hagel fällt. Auf einem Hochzeitmahl da kommen oft geflogen Des künstlichen Papiers bey vier und zwanzig Bogen. Ein schöner Vorrath, traun! bevorab zu der Zeit, Wann etwa Heu und Stroh nicht allzuwohl gedeyt. Kein Kindlein wird gebohrn, es müssen Verse fließen, Die oft so richtig gehn, und treten auf den Füssen, Als wie das Kindlein selbst; die (wie es ist bekannt) Auch haben gleichen Witz, und kindischen Verstand. Stirbt jemand, so muß auch des Druckers Arbeit sterben; Wiewohl den Drucker nicht so schädlich, als den Erben. Bald kömmt der Dichter selbst, erwartet bey der Thür, Des Halses süssen Trost, der Faust und Kunst Gebühr. Nun eben diese sinds, die guten Ruhm beschmeißen, Dieß Lumpenvölklein will (mit Gunst) Poeten heißen; Das nie was guts gelernt; das niemals den Verstand Hat auf was wichtiges und redliches gewandt; Die nichts, denn Worte nur zu Markte können tragen; Zur Hochzeit faulen Scherz, bey Leichen lauter Klagen, Bey Herren eiteln Ruhm, dran keiner Weisheit Spuhr, Kein Salz nach Eßig ist, als bloß der Fuchsschwanz nur. Drum dürfen sich auch wohl in diesen Orden stecken, Die niemals was gethan, als nur die Feder lecken. Ein Schriftling, der kein Buch, als Deutsch, hat durchgesehn, Will doch als ein Poet, und für gelahrt bestehn. Es thut ihm eben sanft, wenn solche Titel fallen. Warum nicht? der im Huy, ja zwischen Feur und Knallen Hat einen Vers gemacht? In zweyer Tage Zeit Hat er ein ganzes Buch fünf Finger dick bereit! O Meister Hämmerling! leg ab die Leimenstangen, Geschwindigkeit taugt nichts, als Flöhe nur zu fangen. Was mit der langen Zeit soll wachsen und bestehn, Das muß nicht hokes poks, wie aus der Taschen gehn. Sieh des Mäcenas Freund, im Setzen wohl erfahren, Giebt guten Versen Zeit, von zwey und sieben Jahren. Zwölfmal hat Cynthius durchrennt sein rundes Pfad, Eh des Aeneas Lob das Licht gesehen hat. Itzund, wenn einer nur kann einen Reim herschwatzen: Die Leber ist vom Huhn, und nicht von einer Katzen; Da heißt er ein Poet. Komm, edler Palatin! Leg deinen Lorberkranz zu seinen Füßen hin. Was mag doch Griechenland Homerus Werke loben, Und Welschland den Virgil? O! dieser Dreck schwebt oben! So gar sticht Deutschland nun die andern Völker aus, Greift einen Opitz ehr, als Codrus eine Laus. Ja endlich haben wir erlebt die güldnen Jahren, Daß auch das Weibervolk läßt Spul und Haspel fahren, Und macht ein Kunstgedicht. Sie wenden klüglich für, Sind nicht die Musen all, auch Jungfern gleich wie wir? Ist nicht Minerva selbst, die Fürstinn kluger Sinnen, In beydem gleich geübt, im schreiben, wie im spinnen? War Sappho nicht ein Weib? Ist irgendswo ein Mann Der einer Schurmannin sich gleich erweisen kann? Ihr schlechten Tauben ihr! wo sonderliche Gaben Fast wider die Natur, sich eingefunden haben: Was geht euch solches an? Um aller Welt Gewinn Bringt ihr mir nimmermehr noch eine Schurmanninn. Was von Minerva wird geschrieben und gelesen, Ist niemals in der That geschehen noch gewesen: Sie hat so wenig Fleiß an Büchern je verlohrn, Als sie aus dem Gehirn des Vaters ist gebohrn. Dieß Bild will mit Verstand also seyn angenommen, Daß Kunst und Weisheit nur vom Himmel müssen kommen. Die Musen alle neun sind Wissenschaften nur, Die uns sind abgemahlt in weiblicher Figur. Was Sappho nun betrifft, so wirst du ihre Sitten, Sammt aller ihrer Kunst nicht wünschen oder bitten: Ein ehrlich Weibesbild, ein fromm gewöhntes Kind Wird nimmermehr also, wie Sappho seyn gesinnt. Die Schriften sind fürwahr Gezeugen unsrer Herzen: Die keusch ist von Natur, die wird nicht unkeusch scherzen. Das bild ich mir gewiß und ohne Zweifel ein: Die so wie Thais spricht, die wird auch Thais seyn. Wär aber irgendwo ein Weib, das geil von Munde Und in der Feder wär; jedoch sich keusch befunde: Die wäre wehrt, daß sie vor allen schau geführt Und nackend sollte stehn mit Purpur ausgeziert. Man sollte billig sie und andre ihres gleichen, (Wo sonsten andre sind) mit güldnen Ruthen streichen. Wo aber findet man solch Kleinod in der Welt? Da weiße Raben sind, und schwarzer Hagel fällt. Drum wünsche nicht daß die, so vorsteht deinem Hause, Mit Versen sich bemüh, und in Poeten mause. Der Weiber Vorwitz ist schon aller Welt bekannt: Sie nähme wohl so bald den Daphnis in die Hand, Als Risten himmlisch Buch. Gelegenheit lehrt stehlen. Sie möchte wohl dadurch ihr einen Daphnis wählen, Indem du süße schläfst, der lieber wär als du, Und schreiben den Vertrag ihm in den Versen zu. Auch, setz ich, daß ein Weib geübt in solchen Sachen, (Wie etwa möglich ist) was trefflichs könnte machen: Woher die liebe Zeit? (Mein Urtheil rühret nicht, Als nur gemeines Volk: ob schon ein himmlisch Licht Heldinnen tüchtig macht, was köstliches zu schreiben; Zu setzen ein Gedicht an statt der Klapperscheiben, Das gehet euch nicht an) Ein Weib die Flachs und Woll, Haus, Keller, Küchen, Magd und Kind beschicken soll, Hat mehr denn allzuviel in allen beyden Händen; Weis den Verstand und Zeit viel besser anzuwenden. Zuletzt, kein Männerwitz hat bey den Weibern Art: Den Männern nur gehört die Feder und der Bart. Nun hola wo hinaus? laßt uns zurücke kehren: Huy, Blinder, hie geh' her, sprach Hans zu seiner Mähren. Wir lassen nun hinfort die weißen Schürzen gehn, Und sorgen wie uns selbst die Hosen recht anstehn. Noch sag ich, ein Poet muß seyn von solchen Gaben, Die nicht ein jeder Mann, geschweig ein Weib kann haben. Kunst, Uebung, steter Fleiß, die machen einen Mann, Der endlich ein Poet mit Ehren heißen kann: Ja wer nicht von Natur hiezu ist wie gebohren, Bey dem ist Kunst und Fleiß, und Uebung auch verlohren. Hör, was der Römer spricht: die Stadt giebt jährlich zwar Der Bürgemeister zween: jedoch nicht alle Jahr Kömmt ein Poet hervor. So viel hat das zu sagen, Wenn jemand will mit Recht das Lorbeerkränzlein tragen. Doch dieß gilt dahin nicht, daß diese Schwierigkeit Dich läßig machen soll. Der Gaben Unterscheid Der hebt nicht alles auf. Kannst du den Uebereichen, An seinem großen Schatz und Vorrath nicht wohl gleichen; So ist nur wenig gnug: spann alle Sinnen an; Wer weis was nicht dein Fleiß dir mehr erwerben kann? Schreib wenig, wo nicht viel, daß nach der Arbeit schmecket: Ein kleines Werklein hat oft großen Ruhm erwecket. Zwo Zeilen oder drey von Buchnern aufgesetzt, Sind billig mehr als dieß mein ganzes Buch geschätzt. Nur eine Fliege wohl und nach der Kunst gemahlet Ist ihres Lobes werth, und wird sowohl bezahlet; Als nach des Lebens Maaß ein großer Elephant, Den nur ein Sudler hat geschlagen von der Hand. Kannst du kein Opitz seyn, kein theurer Flemming werden; O! es ist Raum genug vom Himmel bis zur Erden. Ist schon der Eymer nicht bis an den Henkel voll, Was denn? die süße Milch schmeckt darum eben wohl. Hat Holland Heins' und Catz? es finden sich wo minder. Ist Ronsard Frankreichs Sohn? es hat wohl schlechtre Kinder. Ob schon die Fichte scheint die Wolken anzugehn, Noch darf ein Rosenbusch sich auch wohl lassen sehn. Allein vermeng dich nicht mit den vermeßnen Thieren, Die alles ohn Bedacht fort in das Buch hinschmieren; Auch sieh dich eben vor, daß deine Arbeit nicht Sey allzusehr genau, und sorglich eingericht, Nach Hirsenpfriemers Art, wenn er also darf setzen: Der Erzgott Jupiter, der hatte, sich zu letzen, Ein Gastmahl angestellt; die Weidinn gab das Wild, Der Glutfang den Toback, der Saal ward angefüllt. Der Obstinn trug zu Tisch in einer vollen Schüssel, Die Freye saß und spielt mit einem Herzensschlüssel, Der kleine Liebreiz sang ein Dichtling auf den Schmauß, Der trunkne Heldreich schlug die Tageleuchter aus, Die Feurinn kam dazu aus ihrem Jungfern-Zwinger Mit Schnäbeln angethan; Apollo ließ die Finger Frisch durch die Seiten gehn; des Heldreichs Waldhauptmann Fing lustig einen Tanz mit den Holdinnen an. Je daß dich! je, so schreib! Dieß Elend ist entsprungen Vom guten Vorsatz her: weil man mit fremden Zungen Die edle Muttersprach zu schänden aufgehört, Und unsre Deutschen hat das reine Deutsch gelehrt. Es war ein neu Gespräch allmählich aufgekommen, Und hatte mit der Zeit ganz überhand genommen; Daß eine Zunge nur, ein deutscher Mann allein, Aus nüchtern Munde sprach Französisch, Welsch, Latein. Und daß der späten Welt die Art nicht mag gebrechen: So hört doch, wie ich selbst hab einen hören sprechen. Ein braver Capitein, ein alter Freyersmann Hub seinen Mängelmus mit diesen Worten an: ÇA MAISTRE mache mir, EN FAÇON der Franzosen, Für gut CONTENTEMENT ein paar geraumer Hosen: Ich selber bin mir gram, mir knort der ganze Leib, Daß ich JUSQ' Á PRESENT muß leben ohne Weib. Was hab ich nicht gethan? was hab ich nicht erlitten, O CLORIS, dein AMOUR und Schönheit zu erbitten, Weil dein ÉCLAT SO weit die andern übergeht. Als wenn ein Diamant bey einem Kiesel steht. SOLEIL DE NOSTRE TEMPS, o Auszug aller Tugend! O himmlischer TRESOR! o Krone dieser Jugend! Was hab ich nicht gewagt, daß sich dein NOBLER Sinn, Zu meiner BASSETÉE doch möchte lenken hin? Und endlich möcht ich wohl von einer Dame wissen, Warum man mich nicht will wie andre Kerle küssen? Hab ich nicht Mauls genug? verhindert sie der Bart? Hab ich der BAISEMAINS und meines Huts gespart? Wie manche Gasse bin ich dir zu Dienst gegangen, Wenn man des Abends pflegt die Flädermaus zu fangen? Wie oftmals hab ich dir bey später Mitternacht, Auf meiner CORNEMUSE ein Dudeldey gebracht! Und gleichwohl kann ich nicht, sollt ich darüber sterben, Ein freundliches REGARD von einer auch erwerben. Du lässest mir zu Schimpf den jungen Lecker ein, Ich muß VIEILARD LE GRIS, und schwarzer Michel seyn. Und was ist denn an dir so sonderlichs zu fressen? FAROUCHE, Rabenaas! daß du so gar vermessen Auf mich noch höhnisch thust? Bin ich gleich ziemlich alt: Doch ist mir weder Herz, noch Hand, noch Finger kalt. Der Magen däuet wohl: denn geht es an ein Schwärmen, Kann ich ein Nössel Wein, sechs, sieben, acht erwärmen: Die Zähn, ASSUREZ VOUS! sind alle noch gesund, Versuchs, und stecke mir den Daumen in den Mund. Ich habe manches Land und Herrschaft durch gereiset, Und mich mit Augenlust und Schönheit nur gespeiset. Das war mein ORDINAIR mit Dramen umzugehn, Da war ich PAR MA FOY, was besser anzusehn, Da war ich hochberühmt im Fechten, Spielen, Tanzen, Bracht MASQUERADEN an, und frische Mummenschanzen. Ich redte spanisch, welsch, krabatisch und latein: PARIS und ORLEANS ließ mich für Bürger ein. Ist irgend ein BANQUET, da man mich ruft zu Tische, So schneid ich trefllich wohl, Geflügel oder Fische, CHAPONS, PERDRIS, LEVREAUX. Man zeige mir den Mann, Der so genau, als ich, den Gecken stechen kann. Und eben hier soll ich mich lassen CUJONIren, Und meine RENOMÉE auf einmal ganz verlieren? Bey einer schwarzen Haut, die kaum des Odems werth, Der solchem CAVALLIER aus seinem Hintern fährt? Viel lieber will ich gar versetzen mein Verlangen, Und meine PUCELLAGE an einen Nagel hangen, Wie manche Dame thut, wenn ihrs zu lange fällt, Die Speck und Mäusefall umsonst hat aufgestellt. Dieß war die güldne Kunst zu reden und zu schreiben; Nun denk ihm einer nach, wann dieß noch sollte bleiben, Als wie der Anfang war, bey jedermann gemein: Welch eine Sprache solt in Deutschland endlich seyn? So hat die Barbarey auch das Latein zerstücket, Und Gothisch, Wendisch, Deutsch mit Macht hinein geflicket. Dadurch kam allererst der Mischmasch auf die Welt, Den Frankreich, Welschland selbst, und Spanjen noch behält. Der GENTELMAN hat auch sein Theil davon bekommen, Ein Wörtlein hier und da, von allem was genommen: Und eben dieses war dem Deutschen auch geschehn: Wenn nicht mit allem Ernst da wäre zugesehn; Der Lapperey gewehrt, das reine Deutsch erzwungen, Das nichts erbetteln darf von fremder Sprach und Zungen. Es kömmt mir eben vor, als wenn man ein Gesicht, Dem keiner Schönheit Zier noch Lieblichkeit gebricht, Nach geiler Weiber Art noch will mit Pflastern schmücken, Die künstlich sind geschnitzt, als Käfer oder Mücken. O unbesonnen Werk! was hat die stolze Pracht Nicht wider die Natur gewirkt und ausgedacht! Käm irgend auf die Welt ein Kind mit solchen Flecken, Wie sorglich sollte man die Misgeburt verdecken! Wann öffentlich Hans Wurst will ausgelachet seyn, So fleckt er das Gesicht, wie euch nun ist gemein. Nun solch ein Narr ist auch, und würdig seiner Kappen, Der unser schönes Deutsch, mit der Franzosen Lappen Noch besser machen will. Vor vielen Jahren schon Sprach auch ein geistlich Mann aus einem hohen Ton: MONSIEUR, ich bin nicht werth, daß ihr zu meiner Thüren, Und in mein schlecht LOGIS sollt mit mir hin MARCHIren, UN MOT! sprecht nur ein Wort: ich weis, zu dieser Stund, ET TOUT INCONTINENT SO wird mein Knecht gesund. Zwar bin ich nur ein Mensch, und daß ichs gern gestehe, Ein schlechter CAVALLIER: Doch wenn ich einen sehe Von meiner COMPAGNIE, und ruf ihn zu mir her! ÇA GARÇON? er ist PROMPT, verrichtet seyn DEVOIR. Der gute Redner wollt des Hauptmanns Wort aussprechen, Der zu dem Herren kam in Nöthen und Gebrechen, Wie sonsten ist bekannt. Nun aber, Dank sey Gott! Ist diese Mummerey den Deutschen nur ein Spott. Hergegen andre sind, (wie vor gesagt) zu finden, Die allzu gar genau uns suchen einzubinden. Sie haltens einen Mord, wenn etwa dem Latein Ein Wörtlein ohngefähr nur ähnlich sollte seyn. Ein solcher Klügling wird nicht leiden, daß man sage, Wie er an seinem Kopf auch Nas' und Ohren trage. Denn beydes ist Latein. Der Fuß sieht griechisch aus; Der Spiegel ist nicht Deutsch, noch minder Katz und Maus. Nun lieber, laßt uns auch was Gutes doch erdenken, Und nach der neuen Kunst die Zunge klüglich lenken: Was wird man seltsam Werk, was wird man Wunder sehn! Ey, Liebste! lasset doch den grauen Murmur gehn. Nehmt mich in euren Schooß. Der fahle Häckselmenger Frißt die gedruckte Milch. Neigt eure Lüftleinsfänger Doch meiner Rede zu. Geht zu dem Gleicher hin, Der Schnauber ist euch schwarz: sonst seyd ihr meinem Sinn Und gutem Urtheil nach, mit allen Schönheitswaaren Vollkömmlich ausgeputzt, von Scheitel und den Haaren, Bis auf die Trittung zu. Wenn euer Pflanzherr wollt, Und eure Seuge mir so zugethan und hold Noch heute könnte seyn, daß sie mein liebstes Leben, Euch mir zum Eigenthum besitzlich wollten geben: So flög ich voller Glück bis an das blau Gezelt; Wo Phöbus prächtig steht, der Süchtling aller Welt. Wer hat das Zipperlein so schwer an Händ und Füßen, Der dieses Narrenwerks nicht sollte lachen müssen? Wer so unsichtbar geht, führt solche Räthsel ein, Der wird in Wahrheit auch den Deutschen undeutsch seyn? Wer wollte nicht viel ehr des Wälschen Wort verstehen: Paur, hale mir die Pferd, laßt ju der Schuch besehen, ALLEGRO, macht ju fort; Bezahlt die Pinkebank, Geh Moder in die Stall, der Kuh sein Kind ist kranck. Zum letzten ist noch viel den wahren Ruhm zu schmähen, Weil man nicht ohne Zorn und Lachen zu muß sehen: Wie um so schlechte Kunst, doch um ein ziemlich Lohn Auf alle Köpfe past die grüne Daphniskron. So leicht ein Roscius Muscaten her kann machen, Sybill ein Kind von Stroh, Crispinus in den Rachen Ein halbes Stübchen geußt; so leicht ein Gauckelsmann Aus einem Baurenrock Ducaten schütteln kann; So leichtlich als ein Held von etwa sechzehn Jahren, Mit einer rothen Mütz nach Hause kömmt gefahren; So leicht ein Mörselknecht, ein junger Kräuterkoch, Mit einem Doctor kreucht aus einem Schorsteinsloch; So leichtlich als die Katz ein Mäuslein kann erwischen, Thrasyllus aus der Luft ein Dutzend Lügen fischen; So leichtlich als ein Ey ist in den Sack gebracht: So leichtlich ist ein Schock Poeten weggemacht. Was Teuscherey ist das? Mag doch kein Schiffer heißen, Der keinen Wind versteht. Wer keinen Fisch kann reißen, Der kann kein Koch nicht seyn. Wer keinen Pechdrat kennt, Der mag mit Wahrheit ja kein Schuster seyn genennt. O, daß ihr mit dem Kranz auch plötzlich dabeyneben, Ihr Herren von der Pfalz Gelahrtheit könntet geben: Ich hätt euch all mein Gut, ich hätt euch all mein Geld, (Ihr wißt noch nicht, wie viel?) vorlängst schon zugestellt. Mag aber das nicht seyn, ist sonsten nichts zu fangen, Als mit den Titeln nur und großen Briefen prangen: So taugt der Handel nichts. Man giebt in Zeit der Noth Kein Speck und Fleisch dafür, kein Butter oder Brodt: Doch hievon mehr, als gnug. Was soll ich aber machen Mit denen, die so gern den Bettelsack belachen? Wo ein Poete wohnt, da ist ein ledig Haus, Da hängt (spricht Güldengreif) ein armer Teufel aus. Geduld, was will man thun? Man muß es zwar gestehen, Wer zu dem Reichthum eilt, muß anders was ersehen, Als Versemacherkunst? Wer plötzlich reich will seyn, Der löst um wenig Geld gestohlne Waaren ein, Der biethe Zungen feil, bediene faule Sachen; Doch, daß er beyde Theil ihm kann zu Freunden machen: Geb einen Schreiber ab, und suche sein Gewinn; Was nicht ins Kästlein fällt, das fällt darneben hin. Wer plötzlich reich will seyn, muß große Renten heben, Und zahlen wenig aus: das kann ihm Beute geben. Bedient er Vormundschaft: er muß auf sich auch sehn; Und sollten gleich darnach die Mündlein barfuß gehn. Wem dieses nicht gefällt, der mag ein Kaufmann werden, So lang es halten will mit Kutschen und mit Pferden: Zum Prunk sich lassen sehn; bald gar unsichtbar seyn, Und stellen mit Vertrag sich endlich wieder ein. Ist das nicht seines Thuns, so kann er Leder stehlen, Und lassen doppelt theur ihm für die Stiefeln zählen. Der Künste seyn so viel, als wie des Ufers Sand, Den Meistern doppelt mehr, als mir, Gott Lob! bekannt. Nun aber ein Poet weis nichts von solchen Sachen, Es soll die gute Kunst auch keinen Schinder machen: Sie dient zu guter Lust, sie dient zu guter Lehr; Sie dient Verständigen, und Gott zu seiner Ehr. Wer Brod erwerben will, und Mittel zu dem Leben, Der muß auf anders was hauptsächlich sich begeben, Das Küch und Keller füllt. Wer so die Sach angeht, Der hat, was er bedarf, und bleibt doch ein Poet. Nach abgelegter Pflicht so mag er sich ergetzen, Und einen guten Vers hin zu dem andern setzen, Der Wechsel machet oft, daß uns kein Werk verdreust, Wo sonst die Dinte gern und ungezwungen fleußt. Kömmt denn zu rechter Zeit ein guter Freund gegangen, So läßt er wohl einmal ein kühles Trünklein langen, Sticht wo ein Gläschen ab, versucht die kalte Schal: Ein halber Gülden macht ihm doch kein Capital. Indem er also sitzt, bedenket er mit Lachen, Wie oft das große Gut den Reichen arm kann machen: Je mehr dem Geizigen trägt sein Vermögen ein, Je mehr muß er bescharrt und wohl behungert seyn. So oft er einmal trinkt, so muß er überschlagen, Ob seine Zinsen auch die Kosten mag ertragen? Der Hauptstuhl ist sein Gott, den tastet er nicht an: Greift lieber hinter sich, als nach der vollen Kann. Hergegen mein Poet sagt, daß der Sonntagsbraten, Und sein Gerichtlein Fisch nicht übel mag gerathen; Singt seinem lieben Gott, so freudig, als er mag, Der weiter für ihn sorgt, als für den andern Tag. Zuweilen sitzet er, hält der Vernunft entgegen, Die Laster seiner Zeit, die irgend sich erregen, Schont aller Menschen zwar, doch keiner Thorheit nicht: Und ob sein Urtheil selbst ihm ins Gewissen spricht, So schweigt er mit Geduld, beseuftzt die bösen Thaten, So kann die Wahrheit ihm zum höchsten Heil gerathen. Ist dieser Eßig scharf, er ist dennoch gesund, Und beißt das faule Fleisch heraus bis auf den Grund. Gleichwie Machaon brennt und heilt mit klugen Händen: So mag doch ein Poet zwar strafen, doch nicht schänden, Und wer dann solchen Mann zu den Verläumdern schreibt, Der wisse, daß ihn selbst der Erzverläumder treibt. Es ist Poeten Werk, mit fremden Namen spielen, Und also mit Gelimpf auf wahre Laster zielen: Nimmt aber jemand selbst sich solcher Laster an, Wer ist in aller Welt, der solches ändern kann? Hat jemand Codrus Art, der mag den Namen erben; Wer Hirsenpfriemer heißt, mag Hirsenpfriemer sterben. Wenn beym Horatius also geschrieben steht: Gorgon stinkt wie ein Bock, Ruffin reucht nach Ziebeth: Da kann es ja gleichviel dem guten Dichter gelten, Wer will, mag sich Gorgon, wer will, Ruffinus schelten. Ein Frommer eifert nicht, sein Herz das spricht ihn los, Wer schuldig ist, der schreyt und giebt sich selber bloß. Wen sein Gewissen beißt, mag seine Thorheit hassen, Hab ich den Geck erzürnt, ich kann es noch nicht lassen: Ich biete rechten Trotz, dem, der mir solches wehrt; Wer Laster straft, der hat die Tugend recht gelehrt. Canitzens dritte Satire, von der Poesie. Auf! säume nicht, mein Sinn, ein gutes Werk zu wagen, Und aller Dichterey auf ewig abzusagen; Gieb weiter kein Gehör, wenn die Sirene singt, Und such ein ander Spiel, das bessern Nutzen bringt. Wie? sprichst du, soll ich schon den Zeitvertreib verschwören, Dadurch ich bin gewohnt die Grillen abzukehren, Der mir in Sicherheit, bisher die Stunden kürzt? Anstatt, daß mancher sich aus Lust, in Unlust stürzt, Der, weil ein schwarzer Punkt im Würfeln ausgeblieben, Zuletzt aus dem Besitz der Güter wird getrieben. Ich thu mir schon Gewalt, wenn ich viel Thorheit seh, Die ich bescheidentlich mit Schweigen übergeh. Das aber ding ich aus, nicht zu des Nächsten Schaden: Nein, sondern nur mein Herz der Bürde zu entladen, Daß ich durch einen Reim, was ich den ganzen Tag Geduldig angemerkt, mir selbst vertrauen mag. Da schenk ichs keinem nicht, kein Ort ist, den ich schone, Von schlechten Hütten an, bis zu des Königs Throne. Ein bärtiger Heyduck, der, wie ein Cherubim, Die Streitaxt in der Hand, die Augen voller Grimm, Der Auserwählten Sitz verschleußt vor meines gleichen, Muß, wie ein schüchtern Reh, von seiner Wacht entweichen; Wenn mein gerechter Zorn erst anzubrennen fängt, Und sich bis in den Schooß des blinden Glückes drängt, Die Larve vom Gesicht des Lasters wegzureißen. Weh dem, der thöricht ist, und dennoch klug will heißen! Denn wo sein Name nur sich in die Verse schickt, So wird er alsofort dem Mayer beygerückt. In meinem Schülerstand auf den bestäubten Bänken Hub sich die Kurzweil an. Sollt ich auf Sprüche denken, Die man gezwungen lernt, und länger nicht bewahrt, Als bis der kluge Sohn, nach Papageyenart, Sie zu der Aeltern Trost, dem Lehrer nachgesprochen: So ward mir aller Fleiß durch Reimen unterbrochen. Da mahlt ich ungeübt, in meiner Einfalt, ab, Wenn Meister und Gesell mir was zu lachen gab. Bis, nach und nach, die Zeit den Vorhang weggeschoben, Und mir, was scheltens werth; hingegen was zu loben, Was Hof und Kirch und Land, und Stadt für Wunder hegt, Und was mir selber fehlt, getreulich ausgelegt. Das mach ich mir zu nutz, und durch des Himmels Güte, Werd ich je mehr und mehr bestärkt, daß ein Gemüthe, Wenn es der Tyranney des Wahnes obgesiegt, Und seine Freyheit kennt, ganz Peru überwiegt. Das ists, was oft mein Kiel schreibt in gebundnen Sätzen. Was mich nun dergestalt in Unschuld kann ergetzen, Wozu mich die Natur – – – Halt ein, verführter Sinn! Drum straf ich eben dich, weil ich besorget bin, Es möchte, was itzund noch leicht ist zu verwehren, Sich endlich unvermerkt, in die Natur verkehren. Wo hat Justinian das strenge Recht erdacht, Durch welches ein Phantast wird Vogelfrey gemacht? Und, du ein weiser Mann dieß für was großes schätzet, Daß man noch keinen Zoll auf die Gedanken setzet; Ist wohl der beste Rath, man seh und schweige still, Und stelle jedem frey, zu schwärmen, wie er will: Indem es fast so schwer, die rohe Welt zu zwingen, Als mancher Priesterschaft das Beichtgeld abzubringen. Ein Spiegel weiset uns der Narben Häßlichkeit, Doch wird er oftermals deswegen angespeyt. Du meynst zwar, was du schreibst, soll nie das Licht erblicken, Wie bald kann aber dieß auch dir eins misgelücken? Von deinem schönen Zeug entdeck ich, wie mich deucht, Schon manch geheimes Blatt, das durch die Zechen fleucht. So wirst du ein Poet, wie sehr du es verneinest; Wer weis, ob du nicht bald im offnen Druck erscheinest? Vielleicht wird dein Gedicht, des Müßigganges Frucht, Noch bey der späten Welt einmal hervor gesucht; Und mit dem Juvenal in einem Pack gefunden, Wenn man ihn ungefähr in Löschpapier, gewunden. Schreibt dir dein bester Freund, der deinen Rath begehrt, So scheints, als hieltest du ihn keiner Antwort werth. Bringt jemand ein Gewerb, das auf dein Wohlergehen, Auf Ehr und Vortheil zielt; du läßt ihn draußen stehen. Triffst du Gesellschaft an, die ein Gespräch ergetzt, Wo der Bekümmertste sein Leid beyseite setzt: So runzelst du die Stirn in so viel hundert Falten, Daß du oft für ein Bild des Cato wirst gehalten. Ein jeder wollte gern erfahren, was dich quält? Indessen schleichst du fort, weist selbst kaum was dir fehlt. Dein Haus wird zugesperrt, die Schlösser abgespannet, Wie es ein Zaubrer macht, wenn er die Geister bannet; Und da die halbe Welt, von aller Arbeit ruht, Weckst du den Nachbar auf, den des Camines Glut Und späte Lampe schreckt, die dich im Fenster zeigen, Als wollst du Thurm und Dach, aus Mondsucht, übersteigen. Warum? Was ficht dich an? Was ists? Was macht dich toll? Ein Wort. Was für ein Wort? Das hinten reimen soll. Verdammte Poesie! Mein Sinn laß dich bedeuten, Eh ich die Niesewurz darf lassen zubereiten. Greif erst die Fehler an, die du selbst an dir siehst; Eh du der andern Thun durch deine Hechel ziehst: Denn, sollt ich hier die Müh, dich zu erforschen, nehmen, Wir müßten, ists nicht wahr? uns vor einander schämen. Kurz: Wer das Richteramt auf seine Schultern nimmt, Der seh, ob sein Gesetz mit seinem Wandel stimmt. Wird doch die Kanzel roth, wenn ein erhitzter Mäyer Der geilen Heerde schwatzt, von Sodom, Rach und Feuer, In Chloris Gegenwart; die noch verwichnen Tag In dem verliebten Arm des treuen Hirten lag. Ists möglich? kann dir noch die Dichterkunst gefallen? Gib Achtung, bitt ich dich, wie unsre Lieder schallen, Und was für eine Brut man allenthalben heckt, So weit sich das Gebieth des deutschens Boden streckt. Durch Opitz stillen Bach gehn wir mit trocknen Füssen, Wo sieht man Hofmanns Brunn, und Lohnsteins Ströhme fließen? Und, nehm ich Bessern aus, wem ists wohl mehr vergönnt, Daß er den wahren Quell der Hippokrene kennt? Wer itzt aus Pfützen trinkt, tritt zum Poeten-Orden, So, daß der Helikon ein Blocksberg ist geworden; Auf welchem das Geheul des wilden Pans ertönt, Der seine Sängerzunft mit Hasenpappeln krönt. Vor Alters, wo mir recht, ward nie ein Held besungen, Wenn er nicht, durch Verdienst, sich in die Höh geschwungen; Und eine Redensart, die göttlich sollte seyn, Ward zu derselben Zeit den Sklaven nicht gemein. Wo lebt itzt ein Poet, der dieß Geheimniß schonet? So bald er einen merkt, der ihm die Arbeit lohnet, Wird seinem Pegasus der Sattel aufgelegt, Der ein erkauftes Lob bis an den Himmel trägt; Den wir mit solcher Post so oft zum Zorne reizen, Und öfter noch vielleicht, als sich die Sterne schneuzen. Daß großentheils die Welt in träger Lust verdirbt, Und sich, um wahren Ruhm, so selten mehr bewirbt, Ist der Poeten Schuld. Der Weihrauch wird verschwendet, Und manchem Leib und Seel, um die Gebühr, verpfändet: Daß die Unsterblichkeit ihm nimmer fehlen kann, Der, wie ein Erdenschwamm sich kaum hervorgethan; Und den doch anders nichts vom Pöbel unterscheidet, Als daß ein blöder Fürst ihn an der Seite leidet; Da er für jedes Loth, das ihm an Tugend fehlt, Ein Pfund des eitlen Glücks und schnöden Goldes zählt. Man denkt und schreibt nicht mehr, was sich zur Sache schicket, Es wird nach der Vernunft, kein Einfall ausgedrücket, Der Bogen ist gefüllt, eh man an sie gedacht, Was groß ist, das wird klein, was klein ist, groß gemacht: Da doch ein jeder weis, daß in den Schildereyen Allein die Aehnlichkeit das Auge kann erfreuen, Und eines Zwerges Bild die Artigkeit verliert, Wenn er wird in Gestalt des Riesen aufgeführt. Wir lesen ja mit Lust Aeneas Abentheuer. Warum? stößt ihm zur Hand ein grimmig Ungeheuer, So hat es sein Virgil so glücklich vorgestellt; Daß uns, ich weis nicht wie, ein Schrecken überfällt: Und hör' ich, Dido, dich von Lieb und Undank sprechen, So möcht ich deinen Hohn an den Trojanern rächen. So künstlich trifft itzund kein Dichter die Natur: Sie ist ihm viel zu schlecht, er sucht sich neue Spur; Geußt solche Thränen aus, die lachenswürdig scheinen, Und wenn er lachen will, so möchten andre weinen. Ein Deutscher ist gelehrt, wenn er solch Deutsch versteht. Kein Wort kömmt an den Tag, das nicht auf Stelzen geht. Fällt das geringste vor in diesen Kriegeszeiten, So dünkt mich, hör ich schon die Wetterglocke läuten: Ein flammenschwangrer Dampf beschwärzt das Luftrevier, Der stralbeschwänzte Blitz bricht überall herfür, Der grause Donner brüllt, und spielt mit Schwefelkeilen. Der Leser wird betrübt, beginnet fortzueilen, Bis er ins Trockne kömmt; weil doch ein Wolkenguß Auf solchen starken Knall nothwendig folgen muß, Und läßt den armen Tropf, der Welt zur Strafe, reimen, Wie ein Beseßner pflegt, in seiner Angst, zu schäumen. Geht wo ein Schulregent in einem Flecken ab, Mein Gott! wie rasen nicht die Dichter um sein Grab. Der Tod wird ausgefilzt, daß er dem theuren Leben Nicht eine längre Frist, als achtzig Jahr, gegeben. Die Erde wird bewegt, im Himmel Lerm gemacht. Minerva, wenn sie gleich in ihrem Herzen lacht, Auch Phöbus und sein Chor, die müssen, wider Willen, Sich traurig, ohne Trost, in Flor und Boy verhüllen; Mehr Götter sieht man oft auf solchem Zettel stehn, Als Bürger in der That mit zu der Leiche gehn. Ein andrer, von dem Pfeil des Liebens angeschossen, Eröffnet seinen Schmerz mit hundert Gaukelpossen: Daß man gesundern Witz bey jenem Tänzer spürt, Den die Tarantula mit ihrem Stich berührt. Was er, von Kindheit an, aus Büchern abgeschrieben, Das wird, mit Müh und Zwang, in einen Vers getrieben. Die Seufzer, wie er meynt, erweichen Kieselstein, Die voll Gelehrsamkeit, und wohl belesen, seyn. Des Aetna Feuerkluft muß seiner Liebe gleichen, Und aller Alpen Eis der Liebsten Kälte weichen. Indessen aber wird das arme Kind bethört, Und weis nicht, was sie fühlt, wenn sie dergleichen hört; Ja, wenn ihr Corydon, gebückt vor ihren Füssen, Der Klage Bitterkeit ein wenig zu versüssen, Nichts anders als Zibeth und Ambra von sich haucht, Und sie kein Bibergeil zum Gegenmittel braucht: So mag des Mörders Hand, was ihm von seinem Dichten Noch etwan übrig bleibt, auf ihre Grabschrift richten. Neukirchs siebente Satire, auf unverständige Poeten. Laß doch Lysander ab, mit Reimen dich zu plagen, Und einer Bettelkunst halb rasend nachzujagen, Die zwar die Phantasey durch süße Träume rührt, Dich aber auf den Weg der Hungerwiesen führt; Und endlich, wo du dich läßt ihre Grillen treiben, Mit Meistersängern wird in eine Rolle schreiben. Dieß eben ist das Gift, das, wie die Missethat, Gleich mit der Muttermilch mir ins Geblüte trat. Wie glücklich wär ich doch, wenn mich zu rechter Stunden, Ein kluger Arzt davon durch Kräutersaft entbunden; Und alles, was ich nur von Versen angeblickt, Durch hebend Antimon hätt in die Luft geschickt: So dürft ich nicht wie itzt in Kummerwinkeln sitzen, Und bey geborgter Lust von langen Sorgen schwitzen. So hätt ich auch vielleicht den Wuchergriff erlernt, Wie man durch Ränke sich von der Natur entfernt; Den Trieb der Redlichkeit mit Silberzäumen lenket; Den Geist der Gottesfurcht in klugen Schlaf versenket; Ein reiches Lasterweib zu seinem Willen beugt; Durch höflichen Betrug auf Ehrenbänke steigt, Und endlich, wenn die Kraft der Jugend uns verlassen, Bey voller Tafel kann von fremdem Gute prassen. So hab ich manchen Tag und manche Nacht verreimt, Und oft ein großes Lied von Zwergen hergeträumt; Verliebten ihre Lust in Zucker zugemessen; Betrüger reich gemacht, mich aber gar vergessen. Und ob mich endlich gleich mit der verjährten Zeit, Ein kurzer Sonnenblick bey Hofe noch erfreut; Und Preußens Salomo, den ich mit Recht gepriesen, Mir zu der Ehrenburg den Vorhof angewiesen: Ward doch durch seinen Tod, der alles umgekehrt, Mein Glück und auch zugleich mein ganzer Ruhm verzehrt. Nun lacht die Wucherschaar bey ihren Judengriffen, Daß ich der Tugend Lob auf Hoffnung hergepfiffen; Die Zungendrescherey den Musen nachgesetzt, Und wahre Weisheit mehr, als Geld und Gut geschätzt; Und daß ich, da der Hof zum Laufen mich gezwungen, Nicht noch zu rechter Zeit in Schulenstaub gesprungen, Die matte Dürftigkeit im Mantel eingehüllt, Mit leerer Wissenschaft die Jugend angefüllt; Die Kinder gegen Lohn den Todten vorgetrieben, Und wochentlich ein Lied für Thaler hingeschrieben. Hiebey verbleibt es nicht. Die schwärmende Vernunft Der von der Hungersucht bethörten Dichterzunft, Die sich durch falsche Kunst auf den Parnaß geschlichen, Von der gesetzten Bahn der Alten abgewichen, Mit frecher Hurtigkeit gefüllte Bogen schmiert, Und alle Messen fast ein todtes Werk gebiehrt, Wird so verwegen schon, daß sie Gesetze stellet, Der Griechen Zärtlichkeit das Todesurtheil fället, Des Maro klugen Witz in Kinderclassen weist, Horazens Dichterkunst verrauchte Grillen heißt, Und alles, was sich nur nach alter Kraft beweget, Auf lüsternem Papier mit Dinte niederschläget. Da nun dieß Wespenheer von Tag zu Tage wächst, Und jeder Knabe schon nach Narrenwasser lechtzt: Was Wunder ist es denn, wenn Ruhm und Ehre stirbet, Die Kunst zu Grabe geht und Tugend gar verdirbet? Es ist nicht mehr die Zeit, da noch Augustus Hand Die Nebenstunden selbst zum Dichten angewandt, Da Kaiser und Poet an einer Tafel saßen, Und beyde doch dabey nicht ihre Pflicht vergaßen; Die Tage sind vorbey, da Barbarossens Hof Bey vollen Gläsern noch nicht den Verstand versoff; Da kluge Damen noch auf Tugendlieder hörten, Und halbe Reimer oft mit großen Preisen ehrten. Wir sind nicht zu Paris, wo man nicht Tag aus Nacht, Und gleich Abgötterey aus jedem Wurme macht; Wo man, was Scudery, was Chapelain gewesen, Ohn alle Farben kann in Stachelschriften lesen. Viel Große lieben wohl noch Alexanders Schwerdt, Nicht aber auch die Kost, die seinen Geist ernährt. Sie jauchzen wohl mit ihm, wenn ihre Trommel klinget; Nicht aber, wenn Homer von weisen Sitten singet. Das Frauenzimmer haßt, was ihr Gewissen schreckt, Und das Geblüte nicht zu steter Lust erweckt; Und wer den Thoren itzt die Wahrheit wollte sagen, Der müßte jeden vor um seine Meynung fragen. So viel als Reimer sind, so viel und mancherley Wirkt in der Poesie nun auch die Phantasey. Ein halb mit Pickelscherz vermengtes Operettchen, Ein stinkender Roman vom rasenden Chrysettchen, Ein geiles Myrthenlied, und ein nach dem Adon Des üppigen Marins erbauter Venusthron, Der der Geliebten Schooß bis auf den Grund entdecket, Und Büsch und Brunnen draus, und Vogelnester hecket; Ein lügenvolles Lob, das uns ins Angesicht Dem lastervollen Ruf der Todten widerspricht; Ein rohes Trauerspiel, in dem die Regeln fehlen, Und so viel Schnitzer fast, als Sylben sind, zu zählen; Ein Brief, den Adam schon der Eva zugesandt, Da beyde dazumal doch keine Schrift gekannt; Ein kreißendes Sonnet, das mit dem Tode ringet, Und der Gedanken Rad, so, wie die Reime zwinget; Und ein nach Pöbelart gepriesner Buhlerblick, Ist oft bey dieser Zeit das größte Meisterstück. So lang ich meinen Vers nach gleicher Art gewogen, Dem Bilde der Natur die Schminke vorgezogen, Der Reime dürren Leib mit Purpur ausgeschmückt, Und abgeborgte Kraft den Wörtern angeflickt: So war ich auch ein Mann von hohen Dichtergaben. Allein, so bald ich nur den Spuren nachgegraben, Darauf man zur Vernunft beschämt zurücke kreucht, Und endlich nach und nach nur den Parnaß erreicht, So ist es aus mit mir: so kommt von seinem Suschen Ein mit Ebräerwitz gespicktes Philomuschen; Klaubt ihm ein Jugendwort in meinen Schriften aus, Und untergräbt damit mein ganzes Ehrenhaus. Was soll ich Aermster thun? soll ich noch einmal rasen, Und durch mein Haberrohr zum Federsturme blasen? Nein! nein Lysander, nein! ich will zurücke stehn, Und der erlauchten Schaar nur aus den Augen gehn: Sonst wirft der Schwindelgeist der klugen Weisianer Mich endlich auf die Bank der reimenden Quintaner; Und jagt mich, ob ich gleich halb notenmäßig bin, Ins RE-MI-FA-SOL-LA der Hübneristen hin; Die sich doch ohnedem an Odermusen reiben, Sudetenzungen nur zu Mammelucken schreiben, Und alles, was durch Kunst der Pleiße nicht geschehn, Vor Eigenliebe kaum mit halben Augen sehn. Zwar weich ich darum nicht, als ob ich, wenn es brennte, Nicht auch ein Jammerlied im Tanze drechseln könnte; Und ob der Tripeltact der leichten Reimerey In Wedekindes Schooß allein zu Hause sey. Mir ist ja wohl bekannt, wie man den Schedel seifen, Und solche Spötter kann mit Lauge wieder täufen; Wie mancher ohne Bart in Phöbus Auen springt, Und wie ein kollernd Pferd sich auf den Pindus schwingt. Allein ich hab einmal die Thorheit aufgegeben, Es reime wer da will, ich will im Frieden leben. Hast du, Lysander, Witz, so folge meinem Rath: Der ist der klügste Mann, der nichts geschrieben hat. Laß einen Kirchenschwan, Bär, Schaf und Rinder reimen, Laß einen Bavius von Heldenthaten träumen, Vertrag im Madrigal hirschfeldischen Verstand, Erheb den Schäferton von Kärndt und Bayerland: Und wenn ein Nordenhals mit rauher Kehle knastert, So sprich: daß er den Weg zum Musenberge pflastert; Und daß er doch dabey mehr süsse Lieblichkeit, Als Hofmannswaldau kaum und Opitz ausgestreut. Gieb alles willig zu, und laß die blinden Schützen Um ihren Lorberkranz mit eignem Lobe blitzen; Inzwischen tröste dich bey deiner klugen Pein, Mit griechischer Vernunft, und sittlichem Latein; Und trachte den Verstand der Alten zu ergründen, So wirst du, was du suchst, und was uns mangelt, finden. Dann geh, und werde klug, und setze dich zur Ruh, Und sieh der Kinderlust mit Männeraugen zu; So hast du, wenn du willst, bey täglich neuen Sachen, Papiere zum Toback, und Zeug genug zum Lachen. Doch wo das Dichtersalz dich in den Adern jückt, Und dich ein böser Geist aus deinem Zirkel rückt, Der dich im Sprunge will zum Flötenritter schlagen: So fang es endlich an mit halber Furcht zu wagen. Versammle, wo du kannst, der Jugend alten Graus, Und pflanze Stück auf Stück, und mach ein Buch daraus; Dann stirb, so glaubt die Welt, daß mehr mit dir verdorben, Als am Homer Athen, Rom am Virgil gestorben. Schau! dieses ist der Weg, der dir bisher gefehlt, Und dennoch deinen Geist auch nicht zu Tode quält. Schieb andern Müh und Schweiß in ihren Jammerbusen: Ein ausgeführtes Werk ist nur für Bettelmusen; Und der hat wahrlich mehr, als mancher Fürst gethan. Der seinen Unverstand mit Kunst verbergen kann. Das 7. Capitel Das VII. Capitel. Von Sinn- und Scherzgedichten. 1. §. Sehr viel Verwandschaft mit den Satiren, haben ohne Zweifel die Sinn und Scherzgedichte; daher können dieselben füglich in diesem Capitel ihren Platz finden. Einige Arten derselben sind alt, die meisten aber von neuer Erfindung. Die Gelehrten haben uns ganze Sammlungen griechischer Sinngedichte herausgegeben, die aber nicht alle von gleicher Güte sind: Ja vielmal herrscht eine gewisse Einfalt darinnen, die in einem heutigen Gedichte für matt und kalt gehalten werden würden. Catull und Martial haben sich in Rom vor andern hervorgethan, und unter den Neuern ist ihnen Owenus gefolget. Unter uns Deutschen haben uns Opitz und Flemming viele Proben davon gewiesen. In den hofmannswaldauischen Gedichten steht eine große Menge, darunter einige, sonderlich die neukirchischen, recht hübsch sind. Logau hat eine kleine Sammlung sinnreicher Ueberschriften und Grabschriften unter dem Titel: Von Golaus auferweckter Gedichte, herausgegeben; darinn auch sehr viel artige vorkommen. Unzähliger altfränkischer kleiner Sammlungen zu geschweigen, die wir von dieser Art haben, die aber größtenteils ins Vergessen gerathen sind. 2. §. Kurz zu sagen, eine Ueberschrift, ist der poetische kurzgefaßte Ausdruck eines guten scharfsinnigen Einfalles, der entweder jemanden zum Lobe, oder zum Tadel gereichet. So beschreibt sie Boileau im II. Gesange seiner Art. Poet. L'EPIGRAMME PLUS LIBRE, EN SON TOUR PLUS BORNÉ, N'EST SOUVENT QU'UN BON MOT DE DEUX RIMES ORNÉ. Ich nehme das Wort scharfsinnig im ordentlichen Verstande, für die Wahrnehmung eines Umstandes an einer Sache, den nicht ein jeder würde gesehen haben. Zu dieser Scharfsinnigkeit kömmt vielmals auch der Witz, der zwischen einem solchen Umstande und etwas anderm, eine Aehnlichkeit findet, selbiges entweder zu erheben oder zu verkleinern. Dieser Gedanke aber muß kurz gefasset werden, damit er in dem Verstande des Lesers eine plötzliche und unvermuthete Wirkung thue. Die Weitläuftigkeit des Ausdruckes würde nur machen, daß man durch die Umschweife schon von weitem zu rathen anfinge, was nachkommen würde: wodurch aber das Vergnügen über den selben um ein vieles gemindert werden, ja gar verschwinden würde. 3. §. Die besten Exempel scharfsinniger Sinngedichte, werden bestätigen, was ich davon gesagt habe. Virgil hat an den Pallast des Kaisers Augusts, folgende Zeilen angeschrieben; wodurch er zuerst bekannt worden: NOCTE PLUIT TOTA, REDEUNT SPECTACULA MANE; DIUISUM IMPERIUM CUM IOUE CAESAR HABET. Es stürmt die ganze Nacht, der Morgen bringt uns Lust, So herrscht zwar Jupiter, doch neben ihm August. Woher entsteht hier das Sinnreiche? Erstlich daher, daß Virgil an einem Tage etwas wahrgenommen, darauf andere nicht Acht gegeben: daß nämlich auf eine regnichte Nacht mancherley Lustbarkeiten in Rom angestellet worden. Zweytens darinn, daß er den August mit dem Jupiter vergleichet, und das Regiment der Welt unter sie eintheilet. Die berühmte Grabschrift Martials auf die Dido wird eben das zeigen: INFELIX DIDO NULLI BENE NUPTA MARITO: HOC PEREUNTE FUGIT, HOC FUGIENTE PERIT. Die Männer wirken dir, o Dido, lauter Noth; Des einen Tod die Flucht; des andern Flucht den Tod. Hier bemerkt der Poet abermal, daß Dido ohne ihre Ehemänner würde glücklich gewesen seyn, woran nicht gleich ein jeder denket. Hernach vergleicht er die beyden Trübsalen mit einander, und findet selbst in dem Gegensatze der Flucht und des Todes, eine gewisse Aehnlichkeit, die noch keinem eingekommen war. 4. §. Außer diesen wahren Scharfsinnigkeiten, da der Witz mit den Sachen beschäfftiget ist, giebt es noch viel andre, die in bloßen Wortspielen bestehen. Z.E. Ein Schüler der Jesuiten in Frankreich, hat seinen Lehrern zu Ehren, folgendes gemacht. Man muß aber wissen, daß ihre beyde berühmteste Schulen zu Dole und la Fleche sind, davon jene einen Bogen, und diese einen Pfeil im Wapen führt. ARCUM DOLA DEDIT PATRIBUS: DEDIT ALMA SAGITTAM FLEXIA. QUIS FUNEM, QUEM MERUERE, DABIT? Hier will man dem Scheine nach sagen: Bogen und Pfeile hätten die Jesuiten schon an ihren zwo berühmten Schulen; nun fehle ihnen nichts mehr, als die Sehne zum Bogen, das ist die dritte Schule. Weil aber das Wort Funis zweydeutig ist: so kann es auch heißen, wer wird ihnen zu dem längstverdienten Stricke, das ist, an den Galgen verhelfen? Hier ist die Absicht boshaft genug, aber der ganze Witz kömmt nur auf die Worte, und nicht auf die Sache an. Dergleichen Wortspiele nun, wird man im Martial und Owenus unzähliche antreffen, ja auch die Welschen und Franzosen haben sich mehr darauf zu gute gethan, als die Vernunft, und ein feiner Geschmack von rechtswegen erlauben sollten. 5. §. Ob nun wohl der gute Geschmack den Spitzfindigkeiten überhaupt zuwider ist: so hat mans doch in solchen Sinngedichten nicht eben so genau nehmen wollen. So gar Boileau hat dieses verstattet, wenn er schreibt: LA RAISON OUTRAGÉE ENFIN OUVRIT LES YEUX, LA (POINTE) CHASSA POUR JAMAIS DES DISCOURS SERIEUX, ET DANS TOUS LES ECRITS LA DECLARANT INFAME, PAR GRACE LUI LAISSA L'ENTRÉE EN L'EPIGRAMME: POURVÛ QUE SA FINESSE ECLATANT À PROPOS, ROULA SUR LA PENSÉE ET NON PAS SUR LES MOTS. Man sieht aber wohl, daß er auch die Spitzfindigkeiten in den Gedanken, nicht aber in den Worten allein gesucht haben will: denn gleich darauf schimpft er auf die Pritschmeister, die noch bey Hofe geblieben, und nennt sie abgeschmackte Lustigmacher, unglückliche Stocknarren, verjährte Verfechter grober Wortspiele, INSIPIDES PLAISANS, BOUFFONS INFORTUNEZ, D'UN JEU DE MOT GROSSIER PARTISANS SURANNEZ. Will man Exempel von solchem elenden Zeuge haben, so lese man das XL. Stück im II. Theile der vern. Tadlerinnen, wo etliche von der Gattung beurtheilet worden, die gewiß recht kindisch und lächerlich sind. Von solchen aber, die erträglich sind, fallen mir ein Paar ein, davon eins auf den NOSTRADAMUS, das andere auf den Erasmus gemacht war. Jenes hub an: NOSTRA DAMUS, DUM FALSA DAMUS ETC. Das andre sagte, den Erasmus hätte der Tod uns zwar rauben können, und schloß: SED DESIDERIUM TOLLERE NON POTUIT. Doch wenn die ganze Welt nach meinem Sinne urtheilete, so würde man auch diese Art für thöricht erklären. 6. §. Man braucht diese Sinngedichte zu Unter-oder Ueberschriften bey Gemälden, zu Grabschriften, zu Erleuchtungen, Ehrenpforten, oder wo man sonst will. Gemeiniglich loben oder tadeln sie etwas; zuweilen aber ist der Gedanke auch nur wegen seines Nachdruckes, oder der Neuigkeit halber angenehm. Ein lobendes, war jenes auf des Königs in Frankreich Residenzschloß: PAR VRBI DOMUS EST, VRBS ORBI, NEUTRA TRIUMPHIS, ET BELLI ET PACIS PAR, LUDOUICE, TUIS. Dein Haus kann man der Stadt, die Stadt der Welt vergleichen, Doch beydes, Ludewig, muß deinen Siegen weichen. Ein tadelndes mag folgendes abgeben: IN MARE CORNUTOS IACIENDOS, PONTIUS INQUIT. PONTIA RESPONDET: DISCE NATARE PRIUS. Ersäuft, was Hörner trägt! schreyt Mops mit lauter Stimmen: Ach Schatz! versetzt sein Weib; so lernt bey zeiten schwimmen. Von der dritten Art darf man die Exempel nur in Catons moralischen Lehrversen suchen; davon Opitz viele sehr rein und glücklich ins Deutsche übersetzt hat. Ueberhaupt kann man auch Tschernings Frühling, Flemmings Gedichte, und insonderheit des von Golau gesammlete Sinngedichte nachsehen; wo viel artiges, theils neues, theils übersetztes vorkömmt. Deutsche Exempel sollen am Ende des Capitels folgen. 7. §. Aus diesen wenigen angeführten Exempeln, da ich von lateinischen Sinngedichten lauter zweyzeilige Uebersetzungen gegeben habe, wird man leicht sehen, daß unsre Sprache nicht eben so ungeschickt zu einem kurzgefaßten und scharfsinnigen Ausdrucke sey, als wohl einige denken. Ja man könnte vielmehr einem Lateiner zu thun machen, eine jede ursprünglich deutsch abgefaßte Ueberschrift, in eben so vielen und gleichlangen Zeilen zu geben. Man hat aber in dieser Art hauptsächlich auf die Kürze zu sehen, in soweit dieselbe mit der Verständlichkeit und Richtigkeit des Ausdruckes bestehen kann. Denn die Weitläuftigkeit verderbet alles: es wäre denn, daß die letzte Zeile einen ganz unvermutheten Gedanken in sich hielte, den man gar nicht vorher sehen, oder nur errathen können. Ich schließe indessen diese Abhandlung der Sinngedichte durch ein Exempel, welches die Natur derselben kurz in sich schließt; wie ich dieselbe schon von andern, wiewohl nur prosaisch beschrieben gefunden: Machst du ein Sinngedicht: so laß es neu und klein, Fein stachlicht, honigsüß; kurz, eine Biene seyn. 8. §. Bey Gelegenheit der Sinngedichte muß ich auch ein Wort von den sogenannten Sinnbildern gedenken, die ohne Zweifel auch in die Poesie gehören. Was zwar die Bilder anlanget, darinn man auf eine räthselhafte Art etwas zu verstehen geben wollen: so sind dieselben schon sehr alt. Es ist bekannt, daß die Aegyptier viel auf ihre hieroglyphische Figuren gehalten. Auch die Jüden hatten in ihrem Gottesdienste viel solche symbolische Vorstellungen, die viel bedeuteten. Selbst die Griechen haben in den ältesten Zeiten solche redende Gemälde gehabt. Joseph, der jüdische Geschichtschreiber erzählt, daß Arrius, König in Sparta, ein Petschaft gehabt, darinn ein Adler, der eine Schlange hielte, gestanden. Und Plutarchus meldet, daß in Athen Alcibiades einen Cupido, der Donnerkeile in der Hand trug, in seinem Schilde geführet; wodurch er seine eigene Gemüthsart abzuschildern gesucht. Endlich haben unter den Römern, Pompejus einen Löwen, der ein bloßes Schwerdt in der Tatze hatte, Augustus aber einen Sphinx, in ihren Siegeln geführet. 9. §. Allein von solchen Bildern ohne Ueberschrift reden wir nicht. Diese sind nur für todte Körper, ohne Seelen anzusehen: dahingegen ein bloßes Sinngedichte, davon wir bisher gehandelt haben, oder ein Wahlspruch, gleichsam ein Geist ohne Leib zunennen ist. Ein Sinnbild aber muß nicht nur eins, sondern beydes haben. Wir verstehen nämlich dadurch ein ansehnliches Gemälde, dessen Bedeutung mit einer sehr kurzgefaßten Ueberschrift zu verstehen gegeben wird. Es sind aber dieselben zweyerley, theils sogenannte Devisen, theils die bekannten Emblemata. Wenn die Kunst erfunden worden, solche Devisen und Emblemata zu machen, das ist eben so ungewiß, als wer ihr erster Urheber gewesen. Die Italiäner streiten mit den Franzosen um die Ehre der Erfindung: ja einige wollen gar die Ritter von der runden Tafel in England für die Erfinder ausgeben. Doch so viel ist gewiß, daß die barbarischen Zeiten der Unwissenheit zu dieser an sich schönen Sache Gelegenheit gegeben haben. Die Turniere sind ohne Zweifel damals in Deutschland und Frankreich aufgekommen, und die Ritter, so darinnen ihre Tapferkeit zeigen wollten, suchten ihre Unternehmungen und edle Gemüthsneigungen, auf ihren Schildern, durch solche Bilder mit Ueberschriften, an den Tag zu legen. Dieses zeiget der italienische Name der Devisen, IMPRESE, der aus dem alten französischen EMPRISE oder ENTREPRISE seinen Ursprung genommen hat; wie der berühmte Pater LE MOINE in seinem ausführlichen Werke, von der Kunst, Devisen zu machen, darthut. Folglich wird man wohl Frankreich für das Vaterland der Sinnbilder halten müssen, und aus dieser ersten Erfindung wird man leicht die wahre Natur derselben abnehmen können. 10. §. Es ist also ein Sinnbild eine metaphorische Vorstellung dessen, was jemand für eine Neigung, Absicht, oder Meynung bey seinem Vornehmen hat, die theils durch ein Bild, theils durch eine kurze Ueberschrift geschieht. Daß dieses so sey, lehrt uns die alte Redensart, da man spricht, etwas im Schilde führen: denn das heißt so viel, als eine gewisse Absicht, ein Vorhaben oder eine Neigung haben. Man hat nämlich so wohl in Deutschland als auch in Frankreich die Sinnbilder in die Schilde der Helden oder Ritter gemalt. Daraus fließen nun folgende Regeln der Sinnbilder: 1) Muß das Bild eine Sache vorstellen, die sich leicht malen, und auch von weitem gut erkennen läßt. 2) Muß ein solches Bild mit derjenigen Absicht, die es vorstellen soll, eine gewisse Aehnlichkeit haben; so, daß man sagen kann: Gleichwie dieses sich so und so verhält, also ist es auch mit der Absicht, Neigung oder Unternehmung dessen, der das Sinnbild hat, beschaffen. Z.E. Ein Liebhaber erwählt sich den Vogel Phönix, der sich verbrennet, mit der Ueberschrift: SINE PARI. Da heißt die Erklärung: Gleichwie der Phönix seines gleichen nicht hat: so hat auch die Person, die ich liebe, ihres gleichen nicht. 3) Muß die Ueberschrift das so genannte TERTIUM COMPARATIONIS in sich halten, oder die Aehnlichkeit des Bildes mit der Absicht dessen, der es führet, anzeigen. Und daher kömmt es, daß ein und dasselbe Bild zu verschiedenen Absichten gebraucht werden kann: wie dieses unter vielen andern der gelehrte Herr Wachter in seinen Sinnbildern über die berlinische Aloe erwiesen hat. 11. §. Aus diesen Hauptregeln kann man nun leicht schließen, daß es noch besondere Nebenregeln giebt, die zur Schönheit eines guten Sinnbildes etwas beytragen. Erstlich muß das Bild so einfach seyn, als es möglich ist: denn sehr vielfache Figuren sind nicht wohl zu unterscheiden. So war das Sinnbild, welches bey der Krönung des hochseeligen Königs in Preußen erfunden worden, beschaffen, da man einen Granatapfel malete, und die Ueberschrift dazu setzte: EX ME MEA NATA CORONA. So hat sich auch der vorige König in Preußen Friedrich Wilhelm schon als Kronprinz den Adler, der nach der Sonne fliegt, mit der Ueberschrift: NEC SOLI CEDIT, zum Sinnbilde gewählt; anzudeuten, daß der preußische Adler, auch der französischen Sonne, nicht weichen dörfe. Hernach muß ein Sinnbild weder in der Figur, noch in den Worten etwas überflüßiges haben. Als wenn ich oben bey dem Phönix noch die Sonne malen wollte, die das Nest desselben anzündete, so wäre es ganz überflüßig. Oder wenn ich bey diesen beyden scharf gehen wollte: so würde das SOLI und CORONA überflüßig seyn; indem man schon aus dem Bilde sieht, daß eine Sonne und eine Krone, da ist. Die Ueberschriften könnten also kürzer geworden seyn, wenn sie geheißen hätten: EX ME IPSO NATA, und CEDERE NESCIT. Ferner ist es hübsch, wenn die Ueberschrift bey ihrer Kürze auch wohl klingt: welches im Lateinischen geschieht, wenn man ein Stück vom Verse dazu nimmt; oder doch sonst einen Wohllaut beobachtet. So hätte z. Exempel die Ueberschrift einer Gluckhenne die auf ihren Eyern sitzet, die ich irgendwo gesehen habe: QUIES MEA NON EST OTIOSA, besser also heißen können: NON OTIOSA QUIES. Und der Bär, der sich die Pfoten sauget, den der Herr Verleger dieses Buches zum Sinnbilde hat; hat eine gute Beyschrift: IPSE ALIMENTA MIHI. Im Deutschen pflegt man auch wohl Verse dazu zu machen: Allein man muß die Erklärung des Sinnbildes von der Ueberschrift desselben unterscheiden; wie dieses die Mitglieder der fruchtbringenden Gesellschaft, u.a.m. wohl beobachtet: ob sie gleich sonst viel Lächerliches dabey begangen haben, das den obigen Regeln zuwider läuft. 12. §. Noch eine Hauptregel haben die Kunstverständigen von guten Devisen gefodert. Sie wollen nämlich, daß keine menschliche Figur jemals zum Körper der Sinnbilder gemacht werden solle. Denn sagen sie, der Mensch ist viel zu edel dazu, daß er durch sich selbst erst die Absichten, die er hat, entdecken und vorstellen sollte. Sonst steht ihm aber die ganze Natur zu Diensten. Er kann vom Himmel die Sonne, den Mond und die Sterne, ja die Cometen dazu brauchen. Er kann aus der Luft die Wolken, den Regenbogen, den Hof um die himmlischen Lichter, die Blitze, und die Vögel von allerley Art dazu nehmen, wenn man sie nur an ihren Bildern erkennen kann. Er kann sich von der Erde die Thiere, Bäume, Pflanzen und Blumen erwählen. Er kann auch aus der See sich alles dessen bedienen, was sich deutlich und kenntlich malen läßt. Er kann ferner von menschlichen Kunstwerken, als Thürmen, Schlössern, Pyramiden, Schiffen, Pfeilen, Ringen, und tausend solchen Dingen mehr, seine Sinnbilder hernehmen: so, daß man ein recht großes Feld vor sich hat, solche Erfindungen zu machen. Es kömmt nur auf einen witzigen Kopf an, der die Aehnlichkeit, die in solchen Dingen stecket, herauszusuchen, und in kurzen Worten auszudrücken weis. 13. §. Wer nun nach solchen Regeln die gemeinen Sinnbilder, die so häufig, zumal bey Erleuchtungen großer Städte, auch wohl in eigenen Büchern, die den Malern zu gut, oder sonst zur Belustigung der Liebhaber erfunden worden, beurtheilen will: der wird leicht sehen, daß die wenigsten was taugen. Zwar ein einziges kann noch dienen, viele unrichtige Sinnbilder zu entschuldigen, wenn mann nämlich sagt, es wären nicht eben Devisen, die gleichsam die Stellen der Wahlsprüche vertreten sollten; sondern nur Emblemata, die nützliche Wahrheiten vorstellen, und auf eine sinnreiche Art abbilden sollten. Denn das Emblema ist freylich so kützlich nicht. Es kann sich aller Arten der Bilder bedienen, und so wohl die Gestalt eingebildeter, als natürlicher Dinge, so wohl die ungereimten, als die ordentlichen leiden. Es kann auch viele auf einmal, oder gar nur halbe und verstümmelte brauchen, ja selbige gar auf unerhörte Art zusammen setzen. Es darf auch nicht eben gewissen Personen eigen seyn, sondern stellt allgemeine Lehrsätze vor: nur soll es allezeit eine gute Lebensregel in sich halten; die, wenn sie in einem Bilde vorgestellet wird, eine bessere Wirkung thut, als wenn man sie mit Beweisen und Vernunftschlüssen begleitet hätte. Hiermit hat nun die Devise nichts zu thun: als welche nur Ausdrückungen der Tapferkeit, der Hochachtung und Liebe, kurze Lobsprüche und kurze Klagen in sich fasset. Hernach braucht auch ein Emblema eben kein Gleichniß in sich zu halten, und wenn es geschieht: so ist es Ueberfluß. 14. §. Doch wird auch ein jeder sehen, daß selbst unter diesem Titel die wenigsten Bilder mit Ueberschriften stehen können: zumal diejenigen nicht, wo man allemal ganze weitläuftige Erklärungen hinzusetzen muß, ehe man sichs getraut, daß der Leser das Bild und die Ueberschrift recht verstehen werde. Wenn ein solch Bild nicht selbst redet, und wenigstens von einem etwas witzigen Kopfe, der es betrachtet, verstanden werden kann: so taugt es nicht. Denn für die Einfältigen muß es ein Räthsel seyn und bleiben, bis es ihnen von einem Klügern erkläret wird. So ein Gemälde ist die Tafel des Cebes bey den Alten gewesen: solche Bilder sind auch bey des berühmten Grafen Schaftsbury gesammleten Werken in Menge zu finden. Ja überhaupt sollen alle Titelkupfer bey unsern Büchern, die keine Bilder ihrer Urheber sind, solche emblematische Gemälde vorstellen. Dergleichen ist das Kupfer vor dieser Dichtkunst und das vor meiner deutschen Schaubühne, welche sich ohne eine weitläuftige Erklärung verstehen lassen. Doch will ich damit nicht behaupten, als ob man nicht auch Devisen vor Bücher setzen könnte. Nein, viele haben dieses mit gutem Bedachte gethan, unter andern Herr Wolf, vor seinen philosophischen Schriften, die auch mehrentheils sehr wohl gerathen sind. Wer ausführlichere Nachricht von allem haben will, der muß das vollständige Werk des Pater LE MOINE DE L'ART DES DEVISES davon nachlesen, der alles, was Paul Jovius, L'AREZZI, CORTILE und LE FERRO, imgleichen Hercules Tasso davon geschrieben, in einen Zusammenhang und ins reine gebracht hat. 15. §. Den Franzosen zu Ehren muß ich noch eine seltsame Art von redenden Bildern erwähnen, die sie erfunden haben, und darinn sie keine geringe Art der Scharfsinnigkeit zu zeigen meynen. Sie malen Bilder, die theils ohne alle Wörter, theils mit einer Sylbe, oder einem Worte zusammen genommen, etwas bedeuten. Z. E. Ein altes Weib hat ein Buch auf dem Schooße liegen, als ob sie darinn läse; darauf steht aber TUL, TUL, TUL. Was heißt nun das? Es heißt TERTULLIANUS. Denn TER heißt (dreymal) TUL, (welches auf dem Buche steht.) LIT (liest) ANUS, (das alte Weib). Diese vortreffliche Erfindung nun heißt ein REBUS. Noch ein schöneres Beyspiel giebt mir der in solchen Einfällen berühmte DES ACCORDS, dessen auch Bayle in seinem Wörterbuche gedenkt. Er malt einen todten Abt auf einer Wiese liegend, und stecket ihm, auf eine, der französischen Höflichkeit der Sitten gemäße Art, eine Lilge in den entblößten Hintern. Was soll nun dieses sinnreiche Gemälde sagen? Es bedeutet die vortreffliche Sittenlehre! Habe den Tod allezeit vor Augen. Will man begreifen, wie es heraus kömmt: so muß man fürs erste die Regel lateinisch machen: HABE MORTEM PRAE OCULIS; und hernach dieses Latein auf gut Französisch aussprechen, so wird heraus kommen: ABBÉ MORT EN PRÉ, AU CUL LIS! Ist das nicht ein vortrefflicher, wunderwürdiger Witz, womit sich der französische ESPRIT CREATEUR allen heutigen und vormaligen Völkern so überlegen erweist. RISUM TENEATIS AMICI! Solche ungereimte Dinge hat doch noch kein deutscher Kopf ausgehecket! 16. §. Da die Sinngedichte der alten Lateiner nicht allezeit so kurz gerathen waren; sondern zuweilen aus vier, sechs, acht, ja wohl in 15 bis 20 Zeilen bestunden: so haben die neuen Italiener, als die ihre Poesie zuerst ins Geschicke gebracht, verschiedene Arten vielzeiligter Sinngedichte auf die Bahn gebracht. Dahin gehört denn gleich anfangs das Madrigal. Boileau zwar giebt davon die Regel: LE MADRIGAL PLUS SIMPLE & PLUS NOBLE DANS SON TOUR, RESPIRE LA DOUCEUR, LA TENDRESSE & L'AMOUR. Allein man pflegt sonst insgemein allerley scharfsinnige Einfälle darinnen vorzutragen, die mehr satirisch, als zärtlich oder verliebt sind. Ziegler hat bey uns ein eigen Tractätchen davon geschrieben, und gar feine Exempel von eigener Erfindung dazu gegeben. Man giebt die Vorschrift, ein Madrigal solle aus ungleichlangen, aber mehr kurzen, als langen Versen von ungerader Zahl, bestehen, und im Schlusse allezeit einen scharfsinnigen Einfall, oder unvermutheten Gedanken haben. Man sieht wohl, daß die Freyheit in dieser Art sehr groß ist, zumal, da man die Reime nach Belieben durch einander mischen, und bald 5, bald 7, bald 9, bald 11, bald 13 Zeilen dazu brauchen darf. Ich will ein Exempel aus Zieglern geben: Ich frage nichts nach allen Lästerkatzen. Sie speyen auf mich los Und dichten, was sie wollen: Ich werde dennoch groß. Ihr Geifer kann nicht haften, Die Unschuld bleibt in ihren Eigenschaften, Sie sollen mich in solcher Blüthe sehn, Daß ihnen noch die Augen wässern sollen: Und das soll bald geschehn! Denn wenn mich erst die Lästerzungen stechen, So fang ich erstlich an, mich recht hervorzubrechen. 17. §. Hier sehen wir, daß gar eine Zeile ungereimt geblieben: und das steht überall frey, muß auch bey den ungeraden Zeilen nothwendig geschehen; wo man nicht drey auf einander reimen will, welches aber auch unverbothen ist. So leicht aber ein solch Madrigal zu seyn scheint: so sehr muß man sich sonst bemühen, den Inhalt desto nachdrücklicher und artiger zu machen. Bey der Gelegenheit kann ich nicht umhin, ein lustiges Exempel einzurücken, so der selige M. Rabener, der ältere, nach Art des in Leipzig und Sachsen sehr bekannten Reimschmiedes Ranisii, dessen in Philanders Unterredung von der Poesie gedacht wird, verfertiget und mir dieser Tage in die Hände gefallen. Es heißt: AFFAIRES A VOUS SAGESSE, APOLLO ist nicht bös, ARS liegt nicht an der Größ, Schweig Lud'r, erwirbest Stöß. DON AMI deine Würd wohlgelingen, Kirch-Saul Schul SON BON davon bringen, Prob-Silber, Kopf-Riß, Hauf-Getümmel? Tobies Trost, SANS FAÇON, behüt euch Himmel! Leipzig alldar den vierten Februar. Hornungs-Monat. Mithin gewünscht zu haben A.B.C.X.Y.Z. P.L. 18. §. Ich komme auf das Sonnet, welches unter den Sinngedichten keinen geringen Platz verdienet, weil es so schwer zu machen ist. Es ist in der That gerade das Widerspiel des Madrigals. Alles, was dort frey war, ist hier gebunden; die Zahl und Länge der Zeilen, die Anzahl und Verwechselung der Reime, die Stellen, wo sich der Verstand allezeit schließen muß, u.s.w. Es muß gerade aus vierzehn Zeilen bestehen, die alle von einer Länge sind, und nach dem Verstande in vier Abschnitte abgetheilet seyn. Zuerst müssen vier und vier, hernach aber drey und drey Zeilen zusammen einen Sinn haben. In den beyden ersten Stücken müssen vier männliche und vier weibliche Reime von einerley Art so vermischt werden, daß die erste, die vierte, die fünfte und achte Zeile, und hergegen die andre und dritte und sechste und siebente Zeile sich wiederum untereinander reimen. Der Schluß davon muß auch etwas sonderbares in sich fassen. Unsere alten Poeten, als Opitz, Flemming, Schoch u.a.m. haben sehr viel auf diese Art der Gedichte gehalten, und deren eine große Menge gemacht. Ich will ein paar Exempel aus unserm Flemming hersetzen, von dem wir ganzer vier Bücher Sonnette aufzuweisen haben. Das erste fängt männlich an, und steht auf der 651. Seite seiner Gedichte; es ist an ein Frauenzimmer, die er Svavia nennt, gerichtet: Sonnet. Ich that es, Svavia, ich wartete nach dir, Die ganze halbe Nacht, so wie du mir versprochen. Wie kams denn, daß du mir die Treue so gebrochen? Immittelst starb ich fast für schmerzlicher Begier. Zuletzte ließ ich dir noch einen Kuß allhier, Vor dem hast du dich auch aus Uebermuth verkrochen, Wie sehr er dich gesucht bey einer halben Wochen. Itzt kommt er wieder matt und ohne Trost zu mir. Die Ursach, hör ich itzt; dir sey zu Ohren kommen, Als hätt ich Amnien in meine Gunst genommen. Mein Licht! nein, glaub es nicht. Es leugt sich itzo viel. Wie oft wird mir gesagt, du meynest mehr als einen? Ich höre, was ich muß, und glaube, was ich will, Du wirst es nimmermehr, ja nicht so böse meynen. Das andere hebt mit einem weiblichen Reime an, und steht auf der 576sten Seite. An sich selbst. Sey dennoch unverzagt; gieb dennoch unverlohren; Weich keinem Glücke nicht; steh höher, als der Neid; Vergnüge dich an dir und acht es für kein Leid, Hat sich gleich wider dich Glück, Zeit und Ort verschworen. Was dich betrübt und labt, halt alles für erkohren. Nimm dein Verhängniß an, laß alles unbereut: Thu, was gethan muß seyn, und eh man dirs gebeut, Was du noch bessern kannst, das wird noch stets gebohren. Was klagt, was lobt man dich? Sein Unglück und sein Glücke Ist ihm ein jeder selbst. Schau alle Sachen an: Dieß alles ist in dir, laß deinen eiteln Wahn, Und eh du förder gehst, so geh in dich zurücke. Wer sein selbst Meister ist und sich beherrschen kann, Dem ist die weite Welt und alles unterthan. 10. §. So wie diese Muster aussehen, so müssen sie alle aussehen; außer daß die Zeilen auch aus fünf- ja vierfüßigen Versen bestehen können. Allein zehn oder eilfzeilichte Gedichte von beliebiger Abwechselung der Zeilen, Sonnette zu heißen, das ist ungereimt, und wenn es der größte Poet thäte. Boileau dichtet dieser vielen Schwierigkeiten halber, Apollo habe diese Regeln des Sonnets den Dichtern zur Strafe ausgesonnen. ON DIT À CE PROPOS QU'UN JOUR CE DIEU BIZARRE VOULANT POUSSER À BOUT TOUS LES RIMEURS FRANÇOIS, INVENTA DU SONNET LES RIGOUREUSES LOIX; VOULÛT QU'EN DEUX QUATRAINS, DE MESURE PAREILLE, LA RIME AVEC DEUX SONS FRAPPÂT HUITFOITS L'OREILLE, ET QU'ENSUITE SIX VERS ARTISTEMENT RANGEZ, FUSSENT EN DEUX TERCETS PAR LE SENS PARTAGEZ. SUR TOUT DE CE POEME IL BANNIT LA LICENCE, LUI MÊME EN MESURA LE NOMBRE & LA CADENCE, DEFENDIT QU'UN VERS FOIBLE Y PÛT JAMAIS ENTRER, NI QU'UN MOT DEJA MIS OSOIT S'Y REMONTRER. DU RESTE IL L'ENRICHIT D'UNE BEAUTÉ SUPREME. Meinestheils glaube ich, daß eher ein eigensinniger Reimschmidt, als Apollo, die Regeln des Sonnets ausgedacht: weil diesem gewiß an solchem gezwungenen Schellenklange nichts gelegen ist. Am wenigsten glaube ichs, was Boileau hinzugesetzt. UN SONNET SANS DEFAUT VAUT SEUL UN LONG POEME. Es ist bald so, als wenn ich sagte, ein künstlich gebautes Kartenhaus wäre eben so viel werth, als ein großer Pallast. Doch man kann hier jedem Liebhaber seinen Geschmack lassen. Wenn Horaz einen Poeten mit einem Seiltänzer vergleicht, so kann man die Meister der Sonnette mit einem solchen vergleichen, der mit geschlossenen Beinen tanzet. Es ist wahr, daß dieses künstlicher ist; wenn er gleichwohl Sprünge genug machet, und keine Fehltritte thut. Aber verlohnt sichs wohl der Mühe, der gesunden Vernunft solche Fessel anzulegen, und um eines einzigen guten Sonnets halber, welches von ungefähr einem Dichter geräth, viel hundert schlechte geduldig durchzulesen? 20. §. Hieraus ist leicht zu sehen, was meine Gedanken von den Ringelgedichten, Sechstinnen, Endreimen, oder BOUTSRIMEZ, Buchstabenwechseln, Irr-, Ketten- und Bilderreimen, Jahrzahlen und Namenversen, und wie sie ferner heißen mögen, seyn werden. Dieses ist poetischer Unrath, damit sich die Musen nichts zu schaffen machen, und welchen sie den kleinen Geistern, die auch gern auf den Parnaß wollten, entgegen schütten; damit sie sich nur unten am Berge verweilen, und niemals hinauf kommen mögen. Wer die Regeln davon wissen will, der darf nur des Menantes galante Poesie nachschlagen. Nach vernünftiger Ueberlegung aber wird man finden, daß die ganze Kunst aufs Reimen ankömmt, und daß alles nach willkührlichen Gesetzen eines schwärmenden Grillenfängers ersonnen worden. Wer ein Belieben findet, sehr gezwungen zu seyn, der kann sich täglich neue Zwangsregeln ersinnen; ja endlich, der gesunden Vernunft zu Trotz, den ganzen Hübner zusammen reimen. Günther hat sich über dergleichen Künste sehr fein ausgelassen, wenn er in dem Gedichte an den König August schreibt: Der stopft sein Madrigal mit Spruch und Ziffern voll, Und prophezeiht, wie lang dein Leben dauren soll; Als legte, blinder Wahn! die Vorsicht der Gestirne, Den Schlüssel ihres Raths den Narren ins Gehirne. Dort kreißt ein schwangrer Berg, was bringt er? eine Maus. Er beißt die Nägel wund, versetzt, flickt ein, stößt aus, Und macht mit seiner Müh die Titel hoher Namen, Als Anagrammatist zu Krüppeln und zu Lahmen. 21. §. Und dieses ist von Günthern destomehr zu loben, da er von sich selbst gesteht, daß er auch in seiner Jugend So mancher Magdalis mit ausstudirten Griffen Aus Amors Contrapunct ein Ständchen vorgepfiffen. Da drechselt ich mit Fleiß auf einer hohen Spur, Wort Sylben und Verstand auch wider die Natur etc. Ich flocht, wie itzt noch viel, die Namen vor die Lieder, Und gieng oft um ein A drey Stunden auf und nieder. Auch schifft ich oftermals auf Dielen über Meer, Und holt ein Gleichnißwort aus Missisippi her, Bestahl den Lohenstein, wie andre Schulmonarchen, Und fehlte mir ein Reim, so flickt ich ihn von Parchen etc. etc Das that ich, als mein Witz noch gar zu unreif hieß, Und als ein siedend Fett den Schaum voran verstieß. Itzt lern ich allgemach mich und die Wahrheit kennen, Und lache, wenn mich viel noch einen Dichter nennen. Man schlage auch nach, was im englischen Spectator, den wir nunmehro auch Deutsch lesen können, hier und da für vernünftige Beurtheilungen von diesen poetischen Lapalien vorkommen; und bemerke nur, daß es hauptsächlich unsrer deutschen Nation als ein Schandfleck vorgerücket wird, daß sie solche kindische Spielwerke und Alfanzereyen liebet. Wem dieses noch nicht genug ist, dem soll ein martialischer Machtspruch den völligen Ausschlag geben, der allein zulänglich wäre, alle diese Lappereyen auf einmal vom Parnasse zu verbannen. Er steht LIB. II. EP. 86. NEC RETROLEGE, SOTADE, CINAEDUM, NUSQUAM PRAECULA QUOD RECANTAT ECHO, TURPE EST DIFFICILES HABERE NUGAS, ET STULTUS LABOR EST INEPTIARUM. 22. §. Und hier erinnere ich mich, daß ich das Echo oben zu erzählen vergessen habe, welches ich aber hiemit eingerücket haben will. Ich weis wohl, daß auch Opitz zuweilen dieses Spielwerk versuchet, und daß viel andre große Poeten bisweilen dergleichen Kindereyen nachgemachet haben. Z.E. Neukirch hat in dem schönen Gedichte, auf die andere Vermählung des hochseligen Königes in Preußen, folgendes läppische Echo eingerückt. Ich liebe mehr, als Witz, mehr, als Philosophie. Sophie, rief Echo nach; schmerzhaftes Angedenken! Versetzte Friedrich: kannst du sie wieder schenken? Charlotte ist erblaßt, die schöne Königinn, Mit ihr starb auch Sophie, Sophie ist, schwer ich, hin. Schwerin, erklang der Wald. Soll sie Schwerin mir geben, Wohlan, so laß uns denn hin nach Schwerin erheben. Ich gestehe es, daß ich hier nichts schönes finden kann, und mich sehr wundre, wie sich der große Neukirch so gar habe vergessen können. Allein ich habe es entdecket, was ihn verführet hat. Es ist Besser, der so hochgerühmte Besser, gewesen, der ihm mit einem so abgeschmackten Exempel vorgegangen ist. So können sich auch die besten Köpfe durch böse Vorgänger verführen lassen, wenn sie nicht durch feste Regeln verwahret sind. 23. §. Nichts ist übrig, als von einigen Arten der Scherzgedichte zu handeln. Dahin rechne ich die Leberreime und Gesundheitsverse, die man in Gesellschaften zur Lust zu brauchen pflegt. Es ist nicht viel Wesens daraus zu machen: Indessen, wenn sie nur keine Zoten in sich halten, und oft wohl gar aus dem Stegreife gemacht werden: so giebt es doch eine Lust, und man kann sie schon dulden. Hätte ich mein Tage solche Kleinigkeiten aufgeschrieben; so wollte ich ein paar Proben geben. Doch man weis schon, was sie bedeuten, und wie sie aussehen, Eben dahin rechne ich die Räthsel, die sich zuweilen bey Hochzeiten brauchen lassen. Sie entstehen aus vielerley an einander hangenden Metaphoren, wie Aristoteles im XXIII. Capitel seiner Poetik angemerket hat. Daraus entsteht nämlich eine Rede, die den Worten nach unmöglich, in der Sache selbst aber ganz möglich ist. Er giebt dieß Exempel: Ich sah einen Mann, der ein Stück Metall an einen lebendigen Menschen mit Feuer anklebete. Es ist leicht zu errathen, daß hier vom Schröpfen die Rede sey: man muß aber auch die Liebhaber der Räthsel vor Unfläthereyen warnen. Nichts ist gemeiner, als daß schmutzige Versmacher ihre Leser für ihres gleichen ansehen, und ihnen alle die Zoten zu lesen geben, die sie selbst gern haben. Allein, wenn sie nicht anders, als durch solche unanständige Zweydeutigkeiten zu scherzen wissen: so mögen sie sich mit ihren Scherzgedichten entweder in eine Dorfschenke machen; oder gar damit zu Hause bleiben. 24. §. Man pflegt zum Scherze auch Knittelverse zu machen, das ist, solche altfränkische, achtsylbige, gestümpelte Reime, als man vor Opitzens Zeiten gemacht hat. Die Schönheit dieser Verse besteht darinn, daß sie wohl nachgeahmet sind. Wer also dergleichen machen will, der muß den Theuerdank, Hanns Sachsen, Froschmäuseler und Reineke Fuchs fleißig lesen; und sich bemühen, die altfränkischen Wörter, Reime und Redensarten, imgleichen eine gewisse ungekünstelte natürliche Einfalt der Gedanken, nebst der vormaligen Rechtschreibung der Alten recht nachzuahmen. Ich habe es ein paarmal versucht, aber das erste ist mir ohne Zweifel so gut nicht gerathen, als das andre, weil es noch zu neumodisch ist. Canitzens Schreiben an einen guten Freund, Mein lieber Bruder, zürne nicht etc. ist auch meines Erachtens zu zierlich und gekünstelt; ob es gleich sehr viel schönes an sich hat. 25. §. Endlich kömmt auch die Reihe ans Quodlibet. Dieses ist nichts anders, als ein Mischmasch von einer Menge kleiner Satiren, die ohne Ordnung und Zusammenhang auf einander folgen. Man nimmt dazu gemeiniglich eine ungleich lange Art von Versen, die man madrigalische, recitativische, oder die Poesie der Faulen nennen könnte. Diese ist der ungemessenen Freyheit der Gedanken, die in Quodlibeten herrschet, am bequemsten. Wollte man aber ein Quodlibet zum Singen machen: so müßte mans wohl in Strophen abtheilen, die einander gleich wären, und sich zu einer gewissen Melodie schickten. Viele meynen, ein Quodlibet müsse nur ein Haufen ungereimter Einfälle, ohne Sinn und Verstand; eine Vermischung der widrigsten Dinge, mit einem Worte, die Geburt eines rasenden Gehirnes seyn. Allein wenn das wäre, so müßte man die Meister der Quodlibete in den Tollhäusern suchen. Und was sollen auch Einfälle ohne Absicht und Verstand? Wenn eine Zeile nur deswegen da steht, daß sie abgeschmackt seyn soll, so kann sie ein jeder Vernünftiger leicht entbehren. Es muß kein Wort vergebens darinnen seyn, sondern eine kleine Satire in sich schließen: gesetzt, daß sie bisweilen nur von wenigen Personen, die um die Sache wissen, verstanden würde. Opitz, auf den Wolfsbrunnen bey Heidelberg. Sonnet. Du edler Brunnen du! mit Ruh und Lust umgeben, Mit Bergen hier und da als eine Burg umringt, Prinz aller schönen Quell! aus welchem Wasser dringt, Anmuthiger denn Milch und köstlicher denn Reben: Da unsers Landes Kron und Haupt, mit seinem Leben, Der werthen Nymph! oft selbst die lange Zeit verbringt; Da das Geflügel, ihr zu Ehren, lieblich singt, Da nur Ergetzlichkeit und keusche Wollust schweben. Vergeblich bist du nicht in diesem grünen Thal Beschlossen vom Gebürg und Klippen überall: Die künstliche Natur hat darum dich umfangen Mit Felsen und Gebüsch, auf daß man wissen soll: Daß alle Fröhlichkeit sey Müh und arbeitvoll, Und daß auch nichts so schön; es sey schwer zu erlangen. Opitz, an die Tyndaris. Sonnet. Du schöne Tyndaris! wer findet deines gleichen, Und wollt er hin und her das ganze Land durchziehn? Die Augen trotzen ja dem edelsten Rubin; Und vor den Lippen muß ein Türkis fast verbleichen: Die Zähne kann kein Gold an hoher Farb erreichen; Der Mund ist himmelweit; der Hals sticht Agtstein hin. Wo ich mein Urtheil nur zu fällen würdig bin, So wird Alekto dir des Haares wegen weichen. Der Venus Ehgemahl geht so gerade nicht, Und auch der Venus Sohn hat kein so scharf Gesicht; Nichts mag, in Summa, dir verglichen werden können. Weil man um denen auch die uns gleich nicht sind wohl, (Geht es schon sauer ein) doch Gutes gönnen soll: So wünsch ich, daß mein Feind dich möge liebe gewinnen. Opitz, auf sich selbst. Ihr Götter? soll mich denn des schönen Glückes Neid Nicht lassen? muß ich mich begeben in den Streit! Doch nein; laßt mich nur hier! der Krieg wird nicht vonnöthen! Laßt mich der Liebsten nur: die kann mich besser tödten. Opitz, an Asterien. Ob du gleich, edles Kind! die Schönste bist auf Erden; Obgleich dir alle Zier und Gaben unterthan; Wünsch ich, Asterie, mir doch nicht, du zu werden: Weil ich kein steinern Herz im Leibe tragen kann. Opitz, auf einen falschen Kahlkopf. Nichts gutes ist an dir. Doch daß du in der Jugend Schon anfängst kahl zu seyn, ist deine beste Tugend. Dein Herze rühm ich nicht; man weis schon daß es treugt; Die Augen sehen falsch; das lose Maul das leugt; Die Stirn ist unverschämt; die Henkerhände stehlen, Und deine Laster sind unmöglich zu erzählen. Du Erzdieb, der du bist! dein Haar beliebt doch mir; Es fällt bald ab, wie du, und fliehet selbst vor dir. Flemming, an den Herrn von dem Werder. Sonnet. Es sagts Jerusalem; es sagt es Krieg und Sieg, Und hundert anders mehr, was, werther Held, dein Dichten Und deine Thaten sind. Du giebst ja den Geschichten Ihr Leben durch dein Thun; machst, daß dein Sieg und Krieg Sich kriegt und übersiegt, den sonst die Zeit verschwieg In einer langen Nacht. Du kannst dich dir verpflichten, Daß dich, und deinen Ruhm kein Tod nicht mag vernichten; Weil ritterliche Kunst ihn sieghaft überstieg. Ich lobe diese Faust, die Leib und Namen schützt, Selbst schreibt, was sie selbst thut, an Kraft und Kunst ihr eigen; In beyderley gelehrt, was beyder Seiten nützt. Ihr Römer! tretet auf! ihr Griechen, seyd hier Zeugen! Wird Agamemnon hier selbst sein Homerus nicht? Aeneas sein Virgil? Wer ists, der widerspricht? Flemming, auf seiner Geliebten Geburtstag. Sonnet. Du bist der siebzigste, nach fünfmal hundert Tagen, Und sechsmal tausenden, da meines Lichtes Licht, Das Licht der großen Welt nahm in ihr Angesicht Und hört ihr frohes Haus von junger Freude sagen. Sey mir doch itzt gegrüßt, du Ende meiner Klagen, Du Anfang meiner Lust, von dem mein Herze spricht! Ein angenehmer Tag ist mir erschienen nicht, So lange Phöbus noch sein Rad herumgetragen. Die Blume, welche mir, von süßer Liebe wegen, Die Liebste selbst gesandt, die send ich dir entgegen, Um daß du spüren magst, wie lieb du mir brichst an: Was könnt ich schöners dir, als etwas solches, senden, Das hergekommen war von der Geliebten Händen, Ohn die mir nichts behagt was lieblich heißen kann? Flemming, auf seiner Geliebten Bildniß. Sonnet. Und darf ein frecher Kiel sich dieses unterfangen? Daß er die ganze Zier die an der Liebsten scheint, In ein so enges Tuch zu zeichnen, keck vermeynt? Wahr ist es, dieses Haar, die Stirne, diese Wangen Sind denen gänzlich gleich, die an derselben prangen. Die Augen seh ich da, um die ich oft geweint; Und dieß hier, ist der Mund der meinen nennet Freund. Dieß alles ist ganz das, nach dem ich muß verlangen. Die Zucht, dieß Freundlichsehn, die Sitten, diese Tracht, Und alles steht vor mir, was sie so trefflich macht; Nur daß er sich nicht regt, und nicht will Antwort geben: Drum, sey doch nicht so stolz, du kühner Pinsel du! Das Schönste, das man wünscht, gehöret noch hierzu: Entwirfst du ihren Leib; so mahl ihr auch das Leben! Neukirch, auf das Bildniß des Herrn von Dankelmann. Schaut Bürger! dieses ist der treue Dankelmann. Dieß Bild zeigt sein Gesicht und seine Minen an, Das Wapen, seine Treu, sein unverdroßnes Wachen! Wer aber malet uns den wundergroßen Geist? Das kannst du Friederich: denn du alleine weist, Wie man der Tugend soll ihr wahres Bildniß machen. Neukirch, als der König in Frankreich Straßburg wegnahm. Ihr Deutschen! sagt doch ja zu euern Nachbarn nicht, Daß Frankreichs Ludewig mit euch den Frieden bricht, Indem er Straßburg nimmt: er spricht: Es ist erlogen! Ich hab euch nicht bekriegt; ich hab euch nur betrogen. Neukirch, auf des Königs in Frankreich Bündniß mit den Türken. Die Welt verwundert sich, warum der Saracen, Der Franzen Bündniß sucht, und Frankreich es beliebet? Noch mehr! daß Ludewig ihm selber Lehren giebet, Wie er den Christen recht soll in die Flanken gehn? Verwundert euch doch nicht! und lebet ohne Sorgen: Ihr wißt, daß Ludewig will eine Sonne seyn, Die Türken sind der Mond; drum trifft es billig ein: Der Mond muß ja sein Licht wohl von der Sonne borgen. Neukirch, auf des Königs von Frankreich Bildniß, um welches Lampen brennten. Es sah einst ein Soldat des Königs Bildniß an, Auf dem die Schmeichler ihn so hoch hinausgestrichen. Er merkts, und schalt zugleich den thorheitsvollen Wahn, Daß Ludwig durch und durch der Sonne ward verglichen. Und endlich sah er auch der Lampen hellen Schein, Die um die Seule stehn. Ha! sprach er, voller Lachen, Wenn unser König ja will eine Sonne seyn: Was soll die Sonne denn bey den Laternen machen? Neukirch, ob Ludewig größer sey, als Alexander? Man spricht, daß du so groß als Alexander bist; Und manche meynen gar, daß dieser kleiner ist. Nun ist es zwar gewiß, ihr habet gleiche Gaben, Die Ehrsucht trifft bey dir, wie bey dem Griechen, ein: Doch Alexander muß nothwendig größer seyn; Denn jener hatte schon, was du erst suchst zu haben. Neukirch, auf die Krönung des röm. Königes Josephs. Europa zankte sich, und wollte gerne wissen, Wer in Germanien denn sollte König seyn? Der stolze Ludewig war eifersvoll beflissen, Wie er das deutsche Reich möcht auseinander streun? Drum spart er weder Geld, noch Müh, noch Schmeicheleyen, Und both sein eignes Kind zu einem Kaiser an. Wer, sprach er, wird euch mehr als dieser Prinz erfreuen? Der so wie ich, die Kunst, sich zu vergrößern, kann. Allein der Himmel rief: Behalte deine Gaben! Ich will ein Josephsherz und keinen Nero haben. Neukirch, auf die preußische Souverainität von Neufchatel. Es ist des Adlers Art sein Recht und Nest zu schützen, Er läßt den stolzen Hahn an seinem Orte sitzen, Und acht nicht sein Geschrey. Pocht er mit Ludewig; So zeigt das Adlers Brust, sein Schild sey Friederich. Pietsch, als die Aerzte einem Kranken den Wein verbothen. Soll mir ein alter Aberglauben Die beste Kraft des Lebens rauben? Wer untersagt mir Lust und Wein? Umschränkt ein Arzt mich mit Gesetzen, Die sie doch täglich selbst verletzen? Nein! Nein! Fort! ich verlasse sie; weil ihnen Die Kräfte beßrer Medicinen Verhaßt und unbegreiflich seyn. Was sie gebiethen, schlägt mich nieder; Was sie verbiethen, hilft mir wieder; Weg Tropfen! weicht dem edlen Wein! So weichen Unlust und Beschwerden. Mein Antlitz wird bald röther werden, Wer schenkt mir rothen Nectar ein? Menantes, Quodlibet. Hört an, ein neues Quodlibet, Doch wo die alte liebe Wahrheit steht. Ein Quodlibet, ein Quidlibet, Weil alles in der Welt bunt durch einander geht. Der Ochse wird zur Nachtigal. Der Fuchs darf in den Gänsestall. Der Esel geht auf Rosen. Der Stockfisch reist ins warme Bad, Der Mann muß an das Spinnerad, Die Frau trägt seine Hosen. Die Tugend mußte betteln gehn, Und kam zum Frauenzimmer. Sie bath das um ein Nachtquartier. Dieß aber sprach: Was willst du hier? Fort! packe dich von meiner Thür! Und komm mir nun und nimmermehr, Du garstig Bild, vors Angesicht. Pfuy! stinkts nicht, was du bey dir trägst! Geh, daß du Hals und Beine brächst. Drauf hat sie ihren Weg betrübt zurück genommen. Kein Weib noch Jungfer weis nun nicht, Wo sie ist hingekommen. Hört an ein neues Wunderding, Das sich begeben hat. Als einst ein frommer Advocat Zum Zeitvertreib spazieren gieng, Fand er ein gut Gewissen, Er sah es für ein Schnupftuch an, Das man von hinten brauchen kann, Drum hat ers stracks zerrissen. Gleich und gleich gesellt sich gern; Große Küchen, große Heerde. Große Sättel, große Pferde. Große Schiffe, große Seegel, Große Drescher, große Flegel. Große Hüte, große Köpfe. Große Stürzen, große Töpfe. Große Wappen, große Helme. Große Bauren, große Schelme. Gleich und gleich gesellt sich gern. Ey das kann wohl schwerlich seyn. Auch so trifft es oftmal ein: Schöne Kleider, garstge Leiber. Fromme Jungfern, böse Weiber. Wenig Bücher, viel Studenten. Wenig Treu, viel Complimenten. Faule Mägde, gute Knechte. Fette Richter, magre Rechte. Neue Fässer, alte Tonnen, Junge Huren, alte Nonnen. Ein Schneider dort zu Jüterbock Wollt auf den Jahrmarkt laufen, Und einen Spiegel kaufen. Doch aber ohngefehr Sprang seine Katze her, Und satzte sich ins Fenster hin vor ihn. Er sah sie an und sprach: Was soll ich mich bemühn, Und erst nach einem Spiegel gehen? Hier seh ich ihn schon vor mir stehen. Und fang ich einen Raben; So kann ich ihrer zwey zugleich im Hause haben. Die Katze maust, der Rabe stiehlt, Das ists, was auch ein Schneider spielt. Es stund ein reicher Bauersmann Bey zweenen Advocaten. Doch sah ich ihn für einen fetten Hahn, Sie aber für zwey Köche an. Denn einer rupfet ihn, der andre will ihn braten. Ob gleich der Müller ehrlich mühlt, Stielt er doch aus den Säcken. Und wenn der Schäfer Wolle stiehlt, So treibt er in die Hecken. Ein Bürgermeister ist in Rath Gar schlecht und arm gekommen: Itzt führt er einen großen Staat, Wo hat ers hergenommen? Krieg, Pestilenz und theure Zeit. Das sind drey Landesplagen. Setzt noch die Advocaten dran, So kann man ohne falschen Wahn Von ihrer vieren sagen. Das machen unsre Sünden! Ein Mensch, der Weisheit sucht, wird sie gewißlich finden: Doch bildet er sich ein darbey, Daß sie von ihm gefunden sey, So bald wird sie verschwinden; Und er behält wohl lebenslang, Wo Narren sind, den ersten Rang. Doch, ässen die Narren kein Brod, Was hätt es für Noth? Das Getreyde würde heuer, Und auch nimmermehr nicht theuer. Bleibe klein, Halte dich rein, Mach dich nicht zu gemein. Dieses soll dein Paßport seyn, Und auch dein Reisegeld. Damit lauf durch die Welt. Wie die Dörfer, so die Bauren, Wie die Städte, so die Mauren, Wie die Zeiten, so die Jahre, Wie die Krämer, so die Waare, Wie die Sahne, so die Butter: So die Tochter, wie die Mutter. Noch eins? Der Teufel hielt ein Gastgebot. Doch fehlten ihm die Braten. Er nahm geschwind in solcher Noth Ein Paar gewisser Advocaten. Mit lauter Sportuln spickt er sie, Und von Expensen war die Brüh. Sie schmeckten ihm vortrefflich gut, Und allen seinen Gästen. Sie bathen ihn, er sollte doch Mehr Advocaten noch Mit armer Leute Schweiß und Blut Fein fett und dicke mästen. Wer Vögel fängt, darf nicht mit Prügeln in sie schlagen. Und wer die Wahrheit redt, der muß sie lachend sagen. Canitz, Scherzschreiben an Herrn C.H. von Willnitz. Mein lieber Bruder, zürne nicht, Daß, wann mir Zeit und Lust gebricht, Ich nicht ans Schreiben denke; Du weist, daß ich dein Diener bin, Und unterdessen meinen Sinn Auf dich, nach Dessau lenke. Seit dem du weggereiset bist, Spricht man allhier, ohn arge List, Von vielen neuen Dingen; Davon ich, nach der Meisterart, Und zwar in Knittelversen zart, Dir etwas vor will singen. Merkt, Christen, was der Teufel thut! Den Morian, das gute Blut, Hat Bolßwing todt gestochen; So gehts, wenn uns der Wein erhitzt, Doch meynt man, der gefangen sitzt, Kann werden loß gesprochen. Der Prinz J*** Lobesan, Kam hier vergangnen Sonntag an, Da er die Post gefahren. Von Danzig an, bis nach Bernau, Und will sich, lieber Leser, schau! Mit einer Wittwe paaren. So oft er den Magnet ansieht, Der ihn so kräftig an sich zieht, Macht er verliebte Minen, Und singt in dulci Jubilo; Sonst hält er sich incognito, Und läßt sich nicht bedienen. Farjole, welcher manche Nacht Mit dem Bassette zugebracht, Hat Land und Bank verlassen, Und ward von der Trabanten Schaar Nach Sachsen, glaube mir fürwahr! Begleitet auf der Strassen. Des Rebenacs seinem Secret- Ario es nicht besser geht In Züchten und in Ehren, So bald der Churfürst sprach ein Wort, Zog er in wenig Stunden fort: Warum? die Zeit wirds lehren. Der Churfürst und was Fürstlich heist, Haben jüngst beym Raule gespeist, Mittags zu Rosenfelde; Allwo man hat, versteh mich recht. Kostbar gegessen und gezecht, Gespielet mit dem Gelde. Die Churfürstinn trägt ihren Bauch Gesund nach löblichem Gebrauch, Und lernet sich drein schicken, Daß sie, Gott geb es! ohne Scheu Mit einem Prinzen oder zwey Uns jährlich woll beglücken. Ihr Kammerjunker Hahn zuletzt Starb, und ward zierlich beygesetzt, Dazu viel Volk gebethen. Der Tod von diesem armen Hahn, Hat mancher Henne Leid gethan, Die er noch sollte treten. Eins muß ich melden zum Beschluß, Du findest einen schönen Gruß, Allhier von meiner Frauen. Das Fräulein Rackniz in Gebühr Verlanget ebenfalls dich hier Bald wieder anzuschauen. Datum Berlin, den zwölften Tag Des Monats, da man erndten mag, Im Jahre, da man schreibet Tausend sechshundert achtzig acht, Leb wohl! der sey zum Schelm gemacht, Der nicht getreu verbleibet. Das 8. Capitel Das VIII. Capitel. Von dogmatischen, heroischen und andern größern Poesien. 1. §. Wir finden, daß Empedokles, ein sicilianischer Philosoph, eine Naturlehre, und Aratus, ein Sternkündiger, eine Astronomie in Versen geschrieben. Lucretius hat unter den Römern die ganze epikurische Physik in seinen Büchern von der Natur aller Dinge, und Virgil den ganzen Feldbau in vier Büchern beschrieben. Ovidius hat sowohl die Kunst zu lieben, als die Mittel wider die Liebe auf eben diese Art in Versen abgehandelt. Horaz und Boileau haben uns von der Poesie selbst in Versen einen Unterricht gegeben: und der Abt Genest hat die ganze neuere Weltweisheit in einem eigenen poetischen Werke abhandeln wollen. Der Engeländer Philipps hat gleichfalls von der Kunst, Obstbäume zu pflanzen, oder von dem Gartenbau ein ausführliches Gedicht, und Pope von der Critik eine Abhandlung in Versen geschrieben. Opitz hat uns den Berg Vesuv und das schlesische Vielgut, imgleichen von der Ruhe des Gemüths, und endlich vier Bücher Trostgedichte in Widerwärtigkeit des Krieges in poetischer Schreibart abgefasset. Auch in der deutschen Gesellschaft eigenen Schriften ist eine solche Abhandlung von der Dichtkunst von dem Herrn von Brück befindlich. Alle diese und andere dergleichen Gedichte begreife ich unter dem Namen dogmatischer Poesien, oder Lehrschriften. 2. § Daß es angehe, dergleichen philosophische, theils natürliche, theils sittliche Materien in Versen abzuhandeln, lehrt der Augenschein selbst: und daß es nicht uneben sey, zeigen die Exempel der größesten Männer. Das fragt sich nur, ob man diese und dergleichen Schriften Gedichte nennen könne? Nach der oben fest gestellten Beschreibung der Poesie überhaupt, kann man ihnen diesen Namen nicht einräumen. Alle diese großen und weitläuftigen Werke sind zwar in Versen geschrieben; in der That aber keine Gedichte: weil sie nichts gedichtetes, das ist, keine Fabeln sind. Aristoteles hat daher in dem ersten Capitel seiner Poetik, dem Empedokles, den Titel eines Poeten abgesprochen, und ihm nur den Namen eines Naturkündigers zugestanden: ob er wohl wußte, daß die Unverständigen ihn, seiner alexandrinischen Verse halber, mit dem Homer in eine Classe zu setzen pflegten. Was er von dem Empedokles geurtheilet hat, das müssen wir von allen übrigen oberwähnten Büchern und Schriften sagen. Es sind philosophische Abhandlungen gewisser Materien, Vernunftschlüsse, Untersuchungen, Muthmaßungen der Weltweisen, Ermahnungen zur Tugend, Trostreden im Unglücke; aber keine Gedichte, keine Nachahmungen der Natur. Also würden denn wohl alle diese Stücke gar nicht in die Poesie laufen, wenn sie in ungebundner Schreibart abgefasset wären: da hingegen die Heldengedichte, Romane, Trauerspiele, Comödien, Schäferspiele, und überhaupt alle Fabeln, dennoch Gedichte bleiben und in die Poesie gehören, wenn sie gleich nur in ungebundener Rede abgefaßt werden. Indessen, da wir gleichwohl Oden, Elegien und Briefe, bloß wegen der poetischen Schreibart, darinn sie abgefaßt werden, zur Poeterey rechnen; obgleich selten eine Fabel darinn vorkömmt: so können wir auch diesen größern Arten poetisch abgefaßter Schriften hier die Stelle nicht versagen. Der Ausputz, die Zierrathe, der geistreiche und angenehme Vortrag der allerernsthaftesten Lehren, macht, daß sie Poesien werden: da sie sonst in ihrem gehörigen philosophischen Habite ein sehr mageres und oft verdrüßliches Ansehen haben würden. 3. § Es fragt sich hier, ob es rathsam sey, dergleichen dogmatische Sachen, insonderheit aber Künste und Wissenschaften, poetisch abzuhandeln. Vor einigen Jahren kamen in Holland die LETTRES ANTIPOETIQUES von der Jungfer Hooghard heraus, darinn des Boileau ART POETIQUE mit großer Heftigkeit, und nicht geringer Gründlichkeit angegriffen wurde. Dieses gelehrte Frauenzimmer, welches noch wirklich in Amsterdam leben soll, will es durchaus nicht zugeben, daß man vollständige Künste, dergleichen die Dichtkunst ist, in einer poetischen Schreibart vortragen solle: weil sie der Meynung ist, die Regeln des Sylbenmaaßes und der Reime, insonderheit aber das Feuer der Poeten, wäre einer systematischen Ordnung und rechten Verbindung der Lehren schnurstraks zuwider. Sie untersucht auch in der That den guten Boileau nach den Regeln ihrer lieben Logik, wie sie selbst schreibt, mit so vieler Einsicht und Scharfsinnigkeit; daß man ihr größtentheils Recht geben muß. Und endlich vergleicht sie den ersten Gesang seiner Dichtkunst mit einem zerdrümmerten Tempel Apollons, wo hier ein schöner Pfeiler, da ein prächtiger Altar, dort ein treffliches Gemälde, hier wieder ein köstliches Marmorbild u.s.f. ohne Ordnung und Verbindung, über und durch einander geworfen, läge. Ja, sie macht selbst eine ganz neue Einrichtung dieses zerschlagenen Gebäudes. Sie ordnet seine Materien ganz anders; und zeigt, daß hier und da manche Lücke auszufüllen, anderwärts aber viel Ueberflüßiges wegzuwerfen wäre. Und was dieselbe, von diesem Meisterstücke des berühmten Despreaux mit so gutem Grunde behauptet, das ließe sich freylich von allen übrigen dogmatischen Poesien ebenfalls darthun, wenn man sie so genau auf die Probe stellen wollte. 4. §. Ich gebe es also zu, daß man eine Wissenschaft mit völliger Gründlichkeit, weder synthetisch, noch analytisch in Poesien abhandeln könne. Wer ein Freund einer so strengen Lehrart ist, wo man nichts unerklärt und unerwiesen annimmt; der muß solche poetische Abhandlungen nicht lesen. Die Poeten bescheiden sichs auch gar leicht, daß sie keine geometrische Methode in Ausführung ihrer Materien beobachten. Das würde sehr trockne Verse und einen schläfrigen Vortrag geben. Die tiefsinnigsten philosophischen Geister mögen sich also nur an ihre ordentliche prosaische Schreibart halten. Wenn sich die Poeten in ihre Wissenschaften mengen, so thun sie es bloß, den mittelmäßigen Köpfen zu gefallen, die nur einigermaßen etwas davon wissen wollen; und sich um den höchsten Grad der Gründlichkeit nicht bekümmern. Diese machen allezeit den größten Theil des menschlichen Geschlechts aus: und da ist es genug, wenn man ihnen nur nichts Falsches sagt; die Wahrheit in solcher Ordnung vorträgt, daß man sie ziemlich verstehen und ihren Zusammenhang wenigstens klar einsehen könne; dabey aber alles mit Zierrathen einer poetischen Schreibart so lebhaft und sinnreich ausbildet, daß man es mit Lust und Vergnügen lesen könne. Da nun auch die bittersten Wahrheiten, sonderlich in moralischen Sachen, auf solche Art gleichsam verzuckert und übergüldet werden: so sieht man wohl, daß es nicht undienlich sey, dergleichen Schriften zu verfertigen; und also Erkenntniß und Tugend der Welt gleichsam spielend beyzubringen. 5. §. Es versteht sich aber von sich selbst, daß ein solch dogmatisches Gedichte entweder den ganzen Inbegriff einer Kunst oder Wissenschaft, oder nur einzelne dahin gehörige Materien abhandeln könne. Jenes haben die meisten obberührten Alten; dieses aber hat unser Opitz gethan. In beyden Fällen setzet man zum Grunde, daß der Poet die Sache wohl verstehe, und sich nicht unterfange, etwas auszuführen, dem er nicht gewachsen ist. Denn hier gilt auch insonderheit, was Horaz von allen Poeten fordert. SUMITE MATERIAM, VESTRIS QUI SCRIBITIS AEQUAM VIRIBUS, ET VERSATE DIU, QUID FERRE RECUSENT, QUID VALEANT HUMERI. Denn sich in Dingen, die man nicht versteht, zum Lehrer aufzuwerfen, das würde in der Poesie eben so schädlich seyn, als anderwärts. Die Wahrheit und Tugend muß, wie allezeit, also auch hier, der einzige Augenmerk eines Poeten seyn: und es wäre zu wünschen, daß Ovidius philosophisch genug gesinnet gewesen wäre, so würde er seine Kunst zu lieben nicht geschrieben haben. Diese seine Schrift gehört sonst auch hieher, und er hat sich darinn bemüht, eine ohnedem gar zu liebliche Sache durch seine angenehme Schreibart noch beliebter zu machen; das ist, ein schädliches Gift zu überzuckern. Er scheint, solches nach der Zeit selbst bereuet zu haben, da er auf eben die Art REMEDIA AMORIS geschrieben, die gewiß mit so vielem Nutzen, als Vergnügen gelesen werden können. 6. §. Viel vernünftiger hat unser Opitz in seinen dogmatischen Poesien gehandelt. Er zeiget überall eine philosophische Stärke der Vernunft, einen großen Eifer für alles Gute, ein gesetztes männliches Herz, das die Eitelkeit der menschlichen Dinge verachtet, und den hohen Adel der Weisheit und Tugend allein hochschätzet. Sonderlich wären sein Vielgut, Zlatna und die vier Bücher der Trostgedichte werth, daß sie der Jugend beyzeiten in die Hände gegeben, erkläret, und von derselben von Wort zu Wort auswendig gelernet würden. Dieses würde derselben mehr edle Grundsätze der Tugend und Sittenlehre geben, als die lateinischen Sprüchelchen, die sie mehrentheils ohne Verstand herbethen lernt, Und länger nicht bewahrt, Als bis der kluge Sohn nach Papageyen Art, Sie, zu der Eltern Trost, dem Lehrer nachgesprochen. Die alten Griechen hieltens mit ihrem Homer so; und ich weis nicht, warum wir gegen den Vater unsrer Poeten noch so undankbar sind: da doch seine oberwähnten Gedichte mehr güldene Lehren in sich fassen, als die ganze Ilias und Odyssee. 7. §. Ob man in dieser Gattung von Gedichten die Musen, oder sonst eine Gottheit, um ihren Beystand anrufen könne, das ist im V. Capitel des I. Theils bereits gewiesen worden. Vom Lucretius ist bekannt, daß er die Venus angerufen, weil sie der Erzeugung der Dinge vorsteht. Virgil, in seinen Büchern vom Feldbaue, ruft ein ganzes Dutzend Götter an, die beym Feldbaue was zu thun haben. Opitz ruft in seinem Vesuvius die Natur an, weil er von natürlichen Wundern schreiben will: Natur, von deren Kraft Luft, Welt und Himmel sind, Des höchsten Meisterrecht, und erstgebohrnes Kind, Du Schwester aller Zeit, du Mutter aller Dinge, O Göttinn, gönne mir, daß mein Gemüthe dringe In deiner Werke Reich, und etwas sagen mag, Davon kein deutscher Mund noch bis auf diesen Tag Poetisch hat geredt. Hätte er es nun dabey bewenden lassen, so wäre es gut gewesen: aber er fährt fort, und ruft auch den Apollo nebst allen Musen herbey, die doch bey dieser Materie vom Vesuvius nichts zu sagen haben: Ich will mit Wahrheit schreiben, Warum Vesuvius kann Steine von sich treiben, Woher sein Brennen rührt, und was es etwa sey, Davon die Glut sich nährt. Apollo, komm herbey Mit deiner Musenschaar; laß ihre Hand mich leiten Auf dieser neuen Bahn, so will ich sicher schreiten, Wohin mein Geist mich trägt Indessen wenn man ihn entschuldigen will, so darf man nur sagen, daß gleichwohl die Form des ganzen Werkes poetisch sey, und also des Beystandes der Musen nicht entbehren könne. In seinem Vielgut macht er seine Anrufung gerade zu Gott selbst: So komm, o höchstes Gut, du Ursprung guter Sachen, Des Bösen ärgster Feind, erwecke mir Verstand; Verleihe kecken Muth, und schärfe meine Hand, Zu dringen durch den Neid des Volkes auf der Erden, Das sonst mit seiner Schaar mein Meister möchte werden, Und Wahrheit kaum verträgt. Eben das hat er in den Büchern der Trostgedichte gethan, wo er sich den heiligen Geist, als den höchsten Trost der Welt zum Helfer und Beystande erbittet. Wie nun hieran nichts auszusetzen ist; also ist es auch nicht allzeit nöthig, dergleichen Anrufung zu machen. Horaz und Boileau haben in ihrer Dichtkunst keine gemacht. Opitz in seinem Buche von der Ruhe des Gemüths, thut es auch nicht; ob es gleich eben so groß ist, als eins von den vorhergehenden. 8. §. Was für Verse man zu solchen dogmatischen Gedichten brauchen solle, das können die Exempel der Alten und Neuern lehren. Jene haben die alexandrinischen für geschickt dazu gehalten, und Opitz hat die langen jambischen dazu bequem gefunden. Und in der That schicken sich zu einem langen Lehrbuche keine kurze Verse. Corneille hat dieses wohl gewußt, daher hat er den Thomas von Kempis durchgehends in einerley zwölf- und dreyzehnsylbigte Verse, nicht aber in andre Arten derselben gebracht. Auch Philander von der Linde hat das lange geistliche Gedichte Sam. Slaters, welches ein Gespräche der Seele mit dem Glauben vorstellt, in keine andere Art von Versen übersetzt. Und es wäre zu wünschen, daß man solches in der deutschen Uebersetzung des Thomas von Kempis auch gethan hätte: da hingegen die eine, die wir davon haben, bald aus Elegien, bald aus heroischen, bald aus trochäischen Versen besteht; die andre aber, die nicht längst heraus gekommen, gar wie ein Gesangbuch aussieht. Wenn jemand Zeit und Lust hätte, ein solches dogmatisches Werk in unsre Sprache zu übersetzen, der dürfte nur den Palingenius dazu wählen, welcher in dieser Classe gewiß eins von den schönsten und erbaulichsten Büchern ist, die ich je gelesen habe. 9. §. Nichts ist übrig, als daß ich noch ein Wort von großen Lobschriften beyfüge. Von diesen gilt fast alles, was von den obigen gesagt worden. Opitz hat auf den König in Polen und Schweden, imgleichen auf den Herzog zu Hollstein dergleichen gemacht, die uns zu Mustern dienen können. Seine Lobgesänge auf den Mars und Bachus, imgleichen auf die Geburt Christi u.d.gl. sind auch bekannt, wiewohl sie zum theil Uebersetzungen sind. Was sind nicht unter seinen und seiner Nachfolger, Flemmings, Dachs, Tschernings, Frankens, Bessers, Neukirchs, Amthors, Günthers und Pietschens Schriften, für eine Menge solcher Poesien, darinn sie ausführliche Lobredner ihrer Helden abgeben. Alle diese poetische Stücke sind nicht dem Inhalte, sondern nur der äußerlichen Form nach poetisch: es wäre denn, daß sie auch in eine Fabel eingekleidet wären, oder hie und da durch poetische Zierrathe sehr ausstaffiret würden. Was dabey überhaupt zu beobachten ist, das kann man mit wenig Worten sagen. 10. §. Zuförderst muß der, so jemanden loben will, wissen, was für Eigenschaften eigentlich ein wahres Lob verdienen: denn sonst läuft er Gefahr, auch scheinbare Laster als große Tugenden heraus zu streichen, und dadurch bey den Verständigen zum Gelächter zu werden; bey Unverständigen aber viel Schaden zu stiften. Zweytens muß man den Character derjenigen Person wohl kennen, die man loben will; damit man ihr nicht unrechte Eigenschaften beylege. Denn aus den allgemeinen Quellen der Lobsprüche solche Schmeicheleyen zu schöpfen, die sich auf hundert andere eben so wohl schicken, als auf den, welchen man nennet; das heißt kein rechtes Lob, sondern eine niederträchtige Lobesucht, Da keiner Weisheit Spur, Kein Salz noch Eßig ist, als bloß der Fuchsschwanz nur. wie Rachel sie beschreibt. Eine rechte Lobschrift muß sich ganz sonderbar auf denjenigen Helden schicken, den man lobt, und auf keinen andern gebraucht werden können. Es ist gratulantenmäßig, wenn man auf alle seine Gönner gleichsam einerley Verse macht, und ihre Gottesfurcht, Wohlthätigkeit etc. mit großem Geschreye erhebt. Eben so verächtlich ist der Kunstgriff, in dem Lobe eines neuern allemal einen alten Helden herunter zu machen. Venus muß nicht mehr schön, Alexander kein Held, Plato kein Philosoph und Cicero kein Redner mehr seyn, wenn der Poet es so haben will. Oder man schmelzt alle große Leute des Alterthums zusammen, um einen einzigen Neuern daraus zu gießen: der doch gemeiniglich kaum werth ist, dem geringsten von jenen die Schuhe aufzulösen. Ein rechtschaffener Poet schämet sich also dieser verächtlichen Schmeicheleyen, und lobet keinen, als von dem man was besonders zu sagen und zu rühmen weis. 11. §. Doch da die Gewohnheit es eingeführet hat, auf viele Leute Verse zu machen, wenn uns gleich keine solche ruhmwürdige Eigenschaften von ihnen bekannt sind: so bediene man sich des Kunstgriffes, den Pindar ersonnen hat, wenn er auf die Ueberwinder in den olympischen Spielen nicht viel zu sagen wußte. Er lobte etwa einen andern griechischen Held oder Gott, oder handelte eine ganz andere Materie ab, die nützlich und angenehm war: zuletzt aber dachte er nur mit wenigen Worten an denjenigen, dem zu Ehren es verfertiget wurde. Diese Erfindung hilft uns zuweilen ganze Bogen füllen, ehe mans gewahr wird. Die Gedichte werden auch eben dadurch für andere Leser erbaulicher, und kommen also eher bis auf die Nachwelt, als wenn sie lauter kalte Lobsprüche in sich halten. Zum wenigsten muß man hier und dar lehrreiche Ausschweifungen zu machen bedacht seyn; um dem Ekel der Leser zuvor zu kommen. Man sehe nur zu, daß man nicht gar zu weit gesuchte Materien ausführe; die sich auf keine andere Weise auf unsern Helden deuten lassen, als wenn man sagt: Doch wo gerath ich hin? 12. §. Die Schreibart aller dieser Gedichte muß nach Beschaffenheit der Sachen und Personen, davon sie handeln, bald prächtig und erhaben, bald sinnreich und nachdenklich; bald pathetisch, bald auch natürlich werden. Hofrath Pietsch hat in seinen meisten Gedichten eine so edle Art des Ausdruckes, und so erhabene Gedanken gebrauchet, daß er zu solchen Lobgedichten fast allein gebohren zu seyn geschienen: wie man unter andern aus seinem langen Gesange auf den Prinzen Eugen sehen kann, der sich anhebt: O feuriger Eugen! Die langen jambischen Verse mit ungetrennten Reimen, schicken sich am besten dazu: man mag sie nun entweder in einem hinter einander fortlaufen lassen, und nur zuweilen an bequemen Orten einen Absatz machen; oder auch acht bis zehnzeiligte Strophen machen, wie Neukirch in vielen Gedichten gethan hat. Diese muß man sich aber dem Inhalte und der Schreibart nach nicht zum Muster nehmen; weil es Werke seiner hitzigen Jugend sind, da er noch dem lohensteinischen Geschmacke gefolget ist. Und so viel auch von dieser Gattung. Folgende Exempel sollen zur Probe dienen. 13. §. Doch ehe ich dieses Capitel schließe, muß ich noch etwas erinnern, was zu diesem und allen vorhergehenden Capiteln dieses andern Theils gehöret. Es betrifft die Titel, die man zu seinen Gedichten machen soll. Hier fragt sichs nun, wie man dieselben einzurichten habe? Viele Leute lieben die gekünstelten oder hochtrabenden, das ist, die metaphorischen oder allegorischen Titel: und diese pflegen ihre vornehmste Erfindungskraft schon auf der Ueberschrift zu verschwenden. Neidhard hat eine Cantata gemacht, deren Titel dieser war: die mit blauen Adlersflügeln gen Himmel geflogenen güldnen Sonnen. Die Erfindung war aus dem Wappen desjenigen Grafen genommen, bey dessen Leiche dieses Stücke zur Trauermusik dienete. Wer sieht aber nicht, wie ungereimt die Phantasie des Poeten gewesen, der die blauen Flügel an die Sonnen zu setzen das Herz gehabt, um sie damit gen Himmel fliegen zu lassen? In andern Gedichten findet man eben solche Ausschweifungen: ja in ganzen Büchern der Poeten ist es nichts seltsames, daß man poetische Trichter, Helikons, Parnasse, Tempel, Altäre, Rosenblätter, Rosengepüsche, Cedern- Lorbern- Myrten- und Cypressen-Häyne, Posaunen, Harfen, Glocken, Cymbeln, und warum nicht auch Schellen? von ihnen zu sehen bekömmt. 14. §. Allein wenn ich die Wahrheit davon gestehen soll; so machen alle diese metaphorische Titel einem Buche kein sonderliches Ansehen. Die Alten haben ihren größten und besten Gedichten sehr einfache und schlechte Namen gegeben: Die Ilias und Aeneis, nebst allen Trauerspielen der Griechen können genugsam davon zeugen. Andere kleine Werke, hießen auch schlechtweg, Ode, Ekloge, Satire, Elegie, Schreiben, Sinngedichte u.s.w. ohne ein großes Geprale von dem wunderwürdigen Inhalte solcher Stücke zu machen. Und in den neuern Zeiten haben auch die besten Dichter sich solcher hochtrabenden Titel enthalten. Man sieht wohl, daß Opitz, Flemming, Canitz, Besser, Philander und Günther sich aller dieser weitgesuchten Ueberschriften sowohl in einzelnen Stücken, als in ganzen Sammlungen enthalten haben. Bey denen aber, die sich auf eine pralerische Art mit seltsamen Ueberschriften breit gemacht haben, hat es mehrentheils geheißen: QUID TANTO DIGNUM FERET HIC PROMISSOR HIATU? PARTURIUNT MONTES, NASCETUR RIDICULUS MUS. Man bleibe also bey einer ungezwungenen natürlichen Kürze in den Titeln seiner Gedichte; und halte fest dafür, daß es weit besser sey: wenn hernach im Gedichte oder im Buche mehr enthalten ist, als man aus dem Titel vermuthet hätte; als wenn auf dem Titel mehr wäre versprochen worden, als der Poete im Werke selbst haben gewollt oder gekonnt. Opitzens Lobgedichte, an seine Königliche Majestät in Pohlen und Schweden. Der Höchste lebet ja, es wallet sein Gemüthe, Noch vor Barmherzigkeit und väterlicher Güte; Er lenket deinen Sinn, dem seiner günstig ist, Daß er, o Vladislav, für Krieg die Ruh erkiest, Und Langmuth für Geduld. Die falschen Herzen klagen, Die guten freuen sich, daß du nicht ausgeschlagen, Der Waffen Stillestand, und daß dein Sinn, o Held! Den Frieden höher schätzt, als etwas in der Welt, Das mit der Welt vergeht. Die so vorhin durch Kriegen Nach Ewigkeit gestrebt, und längst begraben liegen, Sind selbst vermuthlich froh, daß itzund durch Verstand Und Glimpf erworben wird, was ihre strenge Hand Zu schaffen, nie vermocht. Herr! dieses thun die Gaben, Damit dich die Natur und Gott bereichert haben. O du, des Himmels Wunsch, der Völker Trost und Zier! Du scheuest keinen Streit, doch nimmst du itzt dafür, Was auf den Streit erfolgt. Sonst bist du zwar gebohren Zu aller Tapferkeit, zum Strengeseyn erkohren, Zu kämpfen angewöhnt. Du kömmst von Leuten her, Die häufig vor der Zeit durch ihr so kaltes Meer Mit heißer Brunst gesetzt, und Rom, den Zaum der Erden, Der Völker Königinn, gezwungen, zahm zu werden, Zu tragen fremdes Joch; von Leuten, derer Macht Noch bis auf diese Zeit in ihren Gliedern wacht. Die nach der Ehre mehr, als nach dem Leben fragen, Und trotzen, wer sie scherzt; von welchen dann zu sagen, Hier weder Fug noch Recht. Du würdest König seyn, Und wäre nichts um dich, als dein Verdienst allein. Du bist von Jugend auf dem Lobe nachgegangen; Es hört so keiner auf, als du hast angefangen: Was sonst in langer Zeit kein Herr verrichten kann, Das hast du oftermals auf einen Tag gethan. Das Glücke dienet dir. Dein Vater hat nicht wollen Ohn dich zu Felde seyn, ohn dich nicht siegen sollen; Der große Siegismund, der nicht so zeitlich sich Von dieser Welt gemacht, woferne er durch dich Nicht seine Statt ersetzt. Nachdem die Moscowiten Ihn also angereizt, daß er sie hat bestritten, Ihr großes Heer verfolgt, das weite Land besiegt, Bis zur Hirkaner See, die Hauptstadt eingekriegt; Den Fürsten in Triumph nach Warschau hingeführet: Da hat dir schon dieß Theil von Asien gebühret Durch ihre freye Wahl; wenn nicht ihr Unverstand, Was? wenn ihr Meyneid nicht sich von dir abgewandt. Hast du den Schimpf verschmerzt? nein! deine werthe Sinnen, Die außer Löblichkeit nichts denken noch beginnen, Wann sich Aurora zeigt, und wann der Tag gebricht, Die fragten ferner nun nach deiner Jugend nicht, Und rissen dich nur fort. Wer hat nicht angesehen, Verwundert und bestürzt, wie da das scharfe Wehen Der unbewohnten Luft, des rauhen Himmels Art, Die ungebähnte Bahn, der wilden Thiere Fahrt, Und was das grimme Land für Uebel mehr noch heget, Dir deinen großen Muth im mindsten nicht geleget? Dieß thut ein edler Geist, der nicht zu zagen weis; Er wählt für Ruh Gefahr, für Kälte Thau und Eis, Und Eisen noch darzu. Die Sonne muß stets gehen, Der Himmel wälzet sich, die See kann nimmer stehen; So, König, bist du auch. Dein Sinn ist himmelweit, Ist als die Somme klar, ist als die Meere breit, Und denkt nicht einmal nach, in was Gefahr er rennet. Als wie ein kühner Löw, indem sein Herze brennet Für Gunst, zu seiner Zucht, der sorget stets und wacht, Schleicht über allen Frost und Schnee bey stiller Nacht; Sein Haar ist ihm bereift, es hangen an den Ohren Die Zapfen von Crystall, die Klauen sind befrohren, Noch schaut er keine Müh und Last des Wetters an, Damit er nur vergnügt nach Hause kommen kann. Du hast auch damals schon Bescheid zu geben wissen, Wo recht zu lagern sey, wo Städte zu umschließen, Was eine Schlacht erheischt, wo Sturm und Anlauf gut, Wo Hinterhalt muß stehn, wo Wacht von nöthen thut, Und was der Sachen mehr. Du selbst bist angegangen, Beherzt und ungebückt, hast nie entfärbt die Wangen, Die Augen nie verkehrt; zwar durch Verstand und Rath Ein Feldherr, aber auch durch Fechten ein Soldat. So hat dein reifer Witz des Feindes List bezwungen, Dein Degen seine Kraft. Du hast ihm abgedrungen, Was der Tyrann vielleicht im Traume nie gedacht, Hast ihn dir Severin, ein Land von solcher Macht, Ingleichen Czernichow, sammt zweymal dreyßig Städten, Und zehen fast darzu, genöthigt abzutreten. Und also, da man dich für Jüngling noch geschätzt, Den grünen Lorberkranz auf deinen Kopf gesetzt, Der itzund Kronen trägt. Hier möchte man gedenken, Das Glücke hätte dir Ergetzung sollen schenken, Und Rast nach solcher Müh. Es saget aber, nein! Der Kaiser von Byzanz muß auch geschlagen seyn. Wie? wann ein kalter Sturm den Schloß, den er gebieret, Hoch aus den Wolken her durch Thal und Wälder führet, Und auf die Saaten wirft, daß sich der Ackersmann Zur Erndte keinen Trost noch Hoffnung machen kann: So kam der Heyden Volk weit von dem Nilusstrande, Von Taurus Klippen her, dem heißen Mederstande, Dem wilden Thracien, dem schweifenden Euphrat, Und was der Bluthund mehr für große Länder hat, Die kaum zu zählen sind: zu denen sich noch schlugen Die Tartarn, welche Lust zu einem Feuer trugen, Das ihnen selbst gehört, Pokuz war leer gemacht, Podolien verheert, Wolhyna durchgebracht, Promislau ausgebrannt: viel Menschen wurden Beute, Und kläglich weggeführt. Viel gute Rittersleute, Die hatten bey Czeczor ihr Leben aufgesetzt, Und in der Wallachey das arme Feld genetzt. Das Land stund Schreckens voll, man sahe furchtsam ziehen Die Dörfer in die Stadt, die Stadt mit ihnen fliehen, Und alles war verzagt. Du warest der allein, Der die Gemüther nicht ließ sonder Hoffnung seyn, Das Land nicht sonder Schutz. Mit kläglich thun, mit Zähren, Mit Zittern, fiengst du an, ist dem nicht abzuwehren, Der mit dem Säbel kömmt. Wenn Wind und Wellen gehn, Kan niemand mit Geschrey dem Wetter widerstehn. Das Wasser hat kein Ohr, man muß das Ruder fassen, Muß schöpfen, wache seyn, die Segel fallen lassen; Den Mastbaum in das Schiff, des Ankers Last darvon, Und in den Grundsand thun, und eilends den Patron Vernehmen, wenn er rufft. Kommt, laßt dem Feinde zeigen, Er soll uns nimmer sehn vor seinen Monden neigen; Er habe darum sich an Leuten stark gemacht, Daß ihrer mehr durch uns auch würden umgebracht. Soll er der Meister seyn, du edeles Geblüte! Er, der beschnitten ist an Leib und an Gemüthe, An Art und Sinnen weich? Das wolle der ja nicht, Den dieser Hund verhöhnt. Der, welchem Muth gebricht, Dem Hand und Herze sinkt, mag nur von dannen reisen! Ihr, die ihr Ehre liebt, kommt, lasset uns erweisen, Was Gott und Recht erheischt, und rettet durch den Streit Zwar, Pohlen, doch zugleich die ganze Christenheit. So hast du fortgesetzt, und alle Welt gelehret, Daß ein beherzter Sinn, der seinen Höchsten ehret, Und liebt sein Vaterland, und auf kein andres Ziel, Als Schutz und Rettung geht, zu thun hat, was er will, Und selbst die Hölle trotzt. Es konnten so viel Schaaren Nur nicht dein Antlitz sehn. Die frechen Janitzaren, Der Türken rechte Gard, erwürgten ihren Gott, Das wilde Thier, Osmann, und trugen vieler Tod Hierdurch an seinem aus vor Ungeduld und Schmerzen. Nun lauf du tolles Heer, und lerne ferner scherzen Den Sinn, der Ehre sucht, den Lob und Ruhm ergetzt, Und der sein Leben nicht für Ruh der Völker, setzt. Der Tag, als Crakau dir, Triumph! o Licht der Erden, Triumph! gerufen hat, soll stets erhoben werden, Soll hoch und heilig seyn: dein schöner Preis, o Heid! Soll allzeit währen mit, dein Lohn auch nach der Welt. Man wird nicht minder auch mit vollem Munde sagen: Wie Moscau neulich noch des Bundes Pflicht verschlagen, Und dich gereizet hat, gewaffnet hinzuziehn, Bis zum Borysthenes. Was war doch ihr Gewinn Der stolzen Nation, des Volkes ohn Gewissen? Man sah sie freylich wohl Smolensko hart umschließen: Doch du umschleußest sie und bringst den Feind so weit, Daß er, wie schwer es fällt, für Sieg Genade! schreyt. Er kreucht zum Kreuze hin, giebt auch was sein ist, wieder; Legt seine Hoffarth dir mit Wehr und Waffen nieder, Und lernt gehorsam seyn. Er hat daselbst bekannt: Du hättest seinen Hals und Ehr in deiner Hand. Doch du, o König, hast im Herzen noch mehr Güte. Erst zwingest du den Feind, und itzund dein Gemüthe, Führst selbst dich im Triumph: ihr Leben steht bey dir, Das giebst du ihnen hin, und nimmst allein dafür Das Lob der Gütigkeit. O eine werthe Tugend! Doch derer nur ein Zweig, die dich von erster Jugend, Von Wiegen an geziert. Zwar Gott, das Reich, dein Stand Und Würde haben dir das Zepter zugewandt, Dein edles Haupt gekrönt, dich hochgesetzt auf Erden: Du willst durch Niedrigkeit doch gleichwohl höher werden. Wer dich im Kriege sieht, der legt die Waffen bey: Wer dich im Frieden schaut, ist aller Furchten frey, Behält die Lieb allein; läßt Scheu und Schrecken schwinden, Spricht einen König an, und pfleget mehr zu finden, Als einen Vater selbst. Hierdurch hast du gemacht, Daß nichts so sehr für dich, als Treu der Leute wacht, Die deine Demuth sehn. Das Stehen der Trabanten, Die Warnung vor Gefahr, die Aufsicht der Bekannten, Gewehr und Waffen, Herr, die sind für ein Gemach, Da ein Tyranne sitzt, nur oftermals zu schwach. Der kann nicht sicher seyn, vor dem nichts sicher bleibet, Der Blut zur Losung hat, Blut redet, und Blut schreibet, Und säuft es in den Hals. Er fürchtet, die er kränkt, Traut auch dem Degen nicht, der ihm zur Seiten henkt, Und haßt, und wird gehaßt. Gunst will nicht seyn getrieben: Ein Herr, der Liebe sucht, der muß zum ersten lieben; Ohn dieß ist jenes nie. Der gründet nur auf Sand, Der nicht auf Liebe baut, die als ein festes Band, Auch die Natur verknüpft, was hält den Weltkreis wieder? Warum geht das Gestirn in Ordnung auf und nieder? Wie weis der Wind sein Ziel, der Monde seine Zeit, Das Wasser seinen Strand? dieß thut die Einigkeit, Die Liebe, die wir auch in deinen Augen sehen, Den Zeugen deiner Treu. Wer darf wohl vor dir flehen? Wer sagt, du habest ihm einmal zu kurz gethan? Du sprichst schon oftmals ja, eh als man bitten kann: So freundlich ist dein Sinn! Wie auch die klaren Stralen Der Sonnen nicht nur bloß Gefild und Berge malen, Nicht nur an einen Ort erstrecken ihren Schein; So bist du gleichfalls auch. Dich dünkt zu wenig seyn, Für deine Gütigkeit; das Volk, das du regierest, Das dich mit Treuen meynt, und du mit Wohlfahrt zierest: Du bist ein großer Trost, ein Schirm und Zuversicht, Für einen jeglichen der dich um Schutz anspricht, Und sonst bedränget ist. Die fremde zu dir kommen, Gehn fremde nicht hinweg: sie werden aufgenommen, Gesetzt in Sicherheit, in Ruh und solchen Stand, Daß sie bedünkt, dein Reich das wär ihr Vaterland. Hier mag auch jedermann im Gottesdienste leben. Wie sein Gewissen weis; mag seine Hände heben Zu dem, der euch nicht mehr vertrauet, als die Welt, Und seiner Ehre Recht für sich allein behält; Zu dem, der lieber uns will sonder Glauben wissen, Als daß man seine Furcht aus Furchten ein soll schließen, Und nach dem Winde gehn; zu dem, der Heucheley So sehr bestrafen wird, als Mord, als Tyranney, Als Blutschuld, Sodomie, als alle solche Sünden, Dadurch man ihn vermag in Eifer zu entzünden; Zu dem, der ewiglich mit dem nicht stimmen kann, Der mit dem Himmel scherzt, und sieht die Menschen an. Du hegest solchen Sinn, wenn dich dein Volk so ehret, Dir treu ist, wie es soll, und thut, was sich gehöret, So sey es recht und gut: und dieses kömmt bey dir Von der Gerechtigkeit, die deine beste Zier Von allen Gaben ist; die dich dabin erhebet, Bey deinem Leben schon, wornach ein König strebet, Der dort auch herrschen will. Wo bleibt Bescheidenheit? Dein Ansehn? dein Verstand? ja wo die Mäßigkeit, Die ganz dein eigen ist? dein weiser Sinn im Rathen, Der Rede Witz und Zier, die Wachsamkeit in Thaten, Die Langmuth? Der Bezwang des Zornes, der allein Genug sonst Lasters ist, kömmt dir vom Nüchternseyn. Was kann ein solcher Herr für kluge Sinnen haben, Dem allzeit die Vernunft im Becher liegt begraben, Und auf dem Glase schwimmt? Wer nichts für Leut und Land Als Wein vergossen hat, der macht sich zwar bekannt, Doch nicht durch Tapferkeit; muß bösen Menschen trauen, Die ihn, und sich, und mich oft zu verkaufen schauen; Ist seiner Diener Knecht, und trinket durch den Wein, (Wie theuer Wasser doch!) viel tausend Thränen ein. Wer sieht an Rache dich, o Held! die Augen weiden? Wie bald vergiebest du, wer weis sich zu bescheiden Nur einer grimmen That? dein Herze heischt kein Blut Von dem, der Gnade sucht, der Reu und Buße thut; Viel minder, welcher nichts. Soll ich denn auch beschreiben, Wie du den Rest der Zeit zuweilen wilst vertreiben, Und dich dir selber giebst? Du bist zwar bey der Ruh Auch König: dennoch ist nichts freundlichers, als du, Nichts milders auf der Welt. Daheim ist dein Ergetzen, Ein Buch, das lesens werth; im Felde nimmt das Hetzen Dir deine Sorgen hin. Es hatten den Gebrauch Ulysses, Telamon, und der Achilles auch, Der Thetis großer Sohn. Alcides hat im Jagen Den Ernst, mit welchem er die Riesen todt geschlagen, Nicht minder angelegt. Doch kennst du Maaße hier: Denn wer nichts anders weis, wird endlich selbst ein Thier, Und lernet grausam seyn. Du führest so dein Leben, Daß du der Welt und Gott kannst gute Rechnung geben, Gott, auf den du; der Welt, die auf dich Achtung giebt. Ihr, die ihr itzund nicht, als was vor euch ist, liebt, Ihr möcht versichert seyn: es sind viel kluge Seelen, Viel Geister von Vernunft, die aus der tiefen Hölen Der Wahrheit dieß hervor zu graben sind bedacht, Wodurch der grauen Zeit soll werden vorgebracht, Was jener, der und die, und allesammt beginnen; Den Wankelmuth, den Neid, den Haß, die Weibersinnen, Dieß alles, was man scheut zu sagen, und doch thut. Du darfst, o freyer Held, den Königlichen Hut Nicht in die Augen ziehn: wohin man itzund siehet, Da schaut man auch dein Lob. Daß Ruh und Friede blühet, Daß Recht und Billigkeit in vollem Schwange geht, Daß alles um und um in Lust und Freuden steht, Ist nebst des Himmels Gunst dir einig zuzumessen. Man wird des Leides nun durch alles Land vergessen. Es darf Borysthenes nicht mehr die Wehre seyn, Vor Moskau; das Geschrey von dir thut dieß allein. Man darf der Tartarey hier keine Mauren setzen, Wie Sina sich verwahrt; dein Ruhm ist mehr zu schätzen: Der Pruth, der Tyras hält den Türken nicht so an, Als deines Namens Macht den Räuber stillen kann. Ach! könnte doch ein Mensch auf einer Warte stehen, Und über dieses Reich die Augen lassen gehen: Was Schein, was Aenderung doch würde diese Zeit Ihm zeigen gegen der, die erst war weit und breit; Da Krieg zu fürchten stund, und theils auch schon gewesen. Die Städte freuen sich, die Felder sind genesen. Es lebet jedermann, (o Deutschland! möchtest du Doch auch so selig seyn!) für sich, in stiller Ruh. Die reiche Weichsel kann zur See ohn Aufhalt fließen, Die See sich allerseits frey an ihr Ufer gießen, Das Ufer Waaren sehn, und alles lustig seyn. Sollst du, o Lust der Zeit, o König, dann allein Von diesen Freuden nicht auch dein Theil reichlich haben? Des Himmels treue Gunst wird dich mit dem begaben, Bey frischer Lebenszeit, was dein Gemüthe liebt, Und Gott nur nehmen kann, der dir es selber giebt. Opitz, Lob des Feldlebens. O wohl! und mehr als wohl! dem, welcher weit vom Kriegen, Von Sorgen, Müh und Angst, sein Vatergut kann pflügen; Lebt sicher und in Ruh noch wie die alte Welt Zu Zeiten des Saturns, und pflügt sein kleines Feld; Spannt Roß und Ochsen vor, darf seinen Sinn nicht kränken, Um armer Leute Schweiß, weis nichts von Wechselbänken, Von Wucher und Finanz; ist alles Kummers frey, Daß nicht sein Haab und Gut im Meer ertrunken sey; Darf auf der wüsten See nicht immer furchtsam schweben, Von Winden umgeführt, da zwischen Tod und Leben Ein daumendickes Bret; giebt nicht aufs Bergwerk acht, Da Stoll und Schacht sich oft verlieren über Nacht; Erwacht nicht durch den Schall der starken Heerposaunen, Erschrickt nicht vor dem Blitz und Donner der Karthaunen; Wie zwar der Landsknecht lebt, der Tag und Nacht das Land, Das doch dem Mäyer bleibt, schützt mit bewehrter Hand. Er denkt nicht, wie er komm hoch an das Bret vor allen, Und könne Königen und Herren wohlgefallen: Tritt nie auf schlüpfrig Eis; giebt seine Freyheit nicht, Um eine Hand voll Gunst, die eh als Glas zerbricht. Er läßt sich auch nicht ein in fremder Leute Sachen, Verurtheilt niemals falsch, hilft krumm nicht grade machen, Steht nicht in Furcht und Angst, hält vor der reichen Thür, Sein Hütlein in der Hand, und kömmt doch selten für. Das alles darf er nicht: er hat, was er begehret, Sein Gut wird ihm von Gott, auch wenn er schläft, bescheret; Hat mehr, als der sein Herz auf bloßen Reichthum stellt, Besitzt nicht, was er hat, ist arm und hat viel Geld. Er gehet fröhlich hin, führt itzt die süssen Reben An Ulmenbäumen auf, daß sie beysammen kleben, Als ehelich vermählt. Itzt weil die Schösse klein, Bricht er, was wild ist, ab, impft gute Sprößlein ein. Nimmt bald die Schaufel her, macht Furchen, frey zu fließen Dem Wasser über Feld, die Wiesen zu begießen, Die dürr und dürstig stehn; spaziert bald in das Gras, Das durch den Silberthau des Morgens noch ist naß. Bald stützt er einen Baum, der von der Frucht gebeuget, Vor Last zerbrechen will, und sich zur Erden neiget: Und etwan sieht er gehn dort um das grüne Thal Die Schafe, Kälber, Küh, und Ochsen überall. Schaut er denn über sich, so sieht er seine Geißen, Das Laub von dem Gestäud an einer Klippen reißen; Dabey ihr Mann, der Bock, für Lust und Freuden springt: Hört, wie der Hirte wohl von seiner Phyllis singt, Die hinter einen Baum sich hatte nächst verkrochen, Als er ihr schönes Obst und Blumen abgebrochen. Hört, wie die braune Kuh im nächsten Thale brüllt, Daß ihre rauhe Stimm hoch über Feld erschüllt. Bisweilen leert er aus den Honigmacherinnen Ihr wächsern Königreich, das sie mit klugen Sinnen Sehr artig aufgebaut, nimmt auch zu rechter Zeit Den feisten Schafen ab ihr dickes Wollenkleid. Kömmt denn, nachdem er hat den Sommernutz empfangen, Der Obst und Traubenmann, der reiche Herbst gegangen: Wie freut er sich so sehr, wenn er die Birnen ropft, Vom Baume, den er selbst vor dieser Zeit gepfropft; Und lieset Aepfel auf, die selber abgefallen; Nimmt ihm hernachmals vor die schönsten unter allen, Beißt ungescheelet an; geht dann, besieht den Wein, Bricht reife Trauben ab, die Purpur ähnlich seyn. Ist er vom Gehen laß, so kann er sich fein strecken Bald in den Schatten hin, wo ihn die Bäume decken, Bald in das grüne Gras, an dem vorüber fleußt, Das Wasser und durchhin mit stillem Rauschen scheußt: Bey dessen Rande denn die Feldheuschrecken springen, Und mit dem langen Lied ihr Winterleid versingen. Der Vögel leichtes Volk macht seinen Lobgesang, Schreyt überlaut, und wünscht den Sommer noch so lang. Die schöne Nachtigal läßt sonderlich sich hören, Schwingt ihre Stimme hoch dem Meyer wie zu ehren: Die Frösche machen auch sich lustig an der Bach, Und ihr Coax, Coax, giebt keinem Vogel nach. Nicht weit von dannen kömmt aus einem kühlen Brunnen Ein Bächlein durch das Gras gleich wie Crystall gerunnen, Draus schöpft er mit der Hand, eh er sich schlafen legt, Wozu des Bachs Geräusch und Murmeln ihn bewegt. Wenn aber mit dem Eis und rauhen scharfen Winden Der graue Winter kömmt, so kann er doch was finden, Auch mitten in dem Schnee, das nützet und ergetzt; Indem er itzt ein Schwein mit seinen Hunden hetzt, Und itzt ein schnelles Reh in dem Gehege fället, Bald mit dem Garne dann den leichten Hasen stellet: Kömmt auch, nachdem er hat vom Jagen umgekehrt, Lockt das Geflügel an auf seinen Vogelheerd, Fängt etwan einen Kranch, der in den Lüften irret, Durch altes Zauberspiel in seiner Flucht verwirret: Das theure Haselhuhn geht ihm nicht selten ein, Rebhüner auch, die sonst die Zier der Tische seyn. Verfüget er sich heim, da hat er viel zu bauen, Macht Planken in den Zaun, schnitzt Flegel, stielt die Hauen, Ergänzt den Pferdezeug, verwahrt das Taubenhaus, Strickt Netz und Jägergarn, putzt alles sauber aus. Schaut dann den Pfauen zu, sieht, wie die stolzen Hahnen Die Hüner übergehn, lockt zu sich die Fasanen. Die Tauben haben sich gelagert um das Dach. Die Ranze läuft der Magd mit ihren Ferkeln nach. Wie wollt er dann nun wohl dieß freye Leben hassen, Und nicht der Städte Lust für seine Wälder lassen? Vornehmlich auch wenn ihm sein Weib entgegen kömmt, Und ihren lieben Mann frisch in die Arme nimmt, Hat keine Larven vor, ist schwarzbraun von der Sonnen, Ihr Antlitz ist geschminkt mit Wasser aus den Brunnen, Ihr Hut ist Haberstroh, ihr Kittel ist parat Von Seiden, die sie selbst zuvor gesponnen hat. Sie macht ein Feuer auf, ist mühsam und geschwinde, Läuft hin und melkt die Küh, so bald, als das Gesinde; Ergreift den weiten Krug, bringt einen blanken Wein, Der nicht muß allererst mit Zucker süsse seyn. Denn decket sie den Tisch, und setzet auf die Speisen, Darnach man nicht erst darf sehr viel Meilweges reisen, Und die das wilde Meer hier an das Land gebracht; Kauft keinen Stör, den nur die Würze theuer macht. Kennt nicht, was Austern seyn, weis gar nicht von Lampreten, Die erst der weise Koch in Malvasier muß tödten. Artschocken findet man in seinem Garten nicht, Melonen sind ihm auch nie kommen zu Gesicht. Er hält bey sich vielmehr auf einen guten Schinken, Und eingesalztes Fleisch, das macht ihm Lust zu trinken. Sein bestes Essen ist Milch, Eyer, Honig, Schmalz, Für Spargel ißt er Kraut; anstatt der Würze, Salz. Er lobt ein Lamm, das er dem Wolf erst abgejaget, Ein frischer Kalbskopf ihm für Straußenhirn behaget, Sticht selbst ein Ferklein ab, würgt einen feisten Hahn, Der unwerth ist gemacht, und nicht mehr buhlen kann. Die Aepfel schmecken ihm viel besser, als Zitronen, Rapunze, Kresse, Lauch, Kohl, Rüben, Erbsen, Bohnen, Saurampfer, Peterlin, Salat im frischen Oel, Ist ihm mehr angenehm, als Safran und Kanel. Bey dieser seiner Kost er viel gesunder bleibet, Als der zu essen pflegt, eh ihn der Hunger treibet. Was mancher theuer kauft, wird ihm umsonst gewährt: Sein Vorrath ist das Feld, sein Holz kömmt auf den Heerd. Indem er also ißt, hört er der Schafe Schellen, Die von der Weide nun sich wieder heim gesellen. Schaut, wie die stolze Geiß will vor dem Widder gehn, Wie seine feiste Küh in vollen Eytern stehn. Bald siehet er darauf die starken Rosse bringen, Den umgestürzten Pflug, und noch für Geilheit springen; Mit denen und zuvor sein mühsames Gesind, Eins nach dem andern sich gemach nach Hause findt. Auf dieß sie an den Tisch heißhungrig niedersitzen, Und essen, daß sie mehr, als vor zu Felde, schwitzen. Wenn nachmals jedermann gesättigt ist vollauf, Schmeckt aus der großen Kann ein guter Trunk darauf. Legt sich hernach zur Ruh, schläft frey von Angst und Sorgen, Bis ihn und sein ganz Haus der Hahn weckt, wann am Morgen Aurora sehen läßt ihr rosenrothes Haar, Und mit dem klaren Schein umhüllt der Sternen Schaar. Es stehe wer da will hoch an des Glückes Spitzen, Ich schätze den für hoch, der hier kann unten sitzen, Da keine Hoffarth ist, kein äußerlicher Schein, Die nur die Augen füllt, und kann sein selber seyn; Bleibt von des Neides Gift' und Eifer ganz verschonet, Weis von der Sünde nicht die in den Städten wohnet, Und in den Winkeln steckt; stellt da sein Leben an Da seiner Unschuld selbst der Himmel zeugen kann, Vertrauet Gott allein sein Wesen und Vermögen, Sieht alles unter sich, lauft seinem Tod' entgegen, Und scheut sein Stündlein nicht. Der ist gar sehr verblendt, Der sonst zwar alles weis, doch sich nicht selber kennt. Bessers Lobgedicht, Auf Friedrich Wilhelms des Großen erfochtene Warschausche Schlacht, im Jahre 1656. Der flüchtge Casimir, der ersten Furcht entstrickt, War wieder in sein Reich aus Schlesien gerückt: Indeß daß groß und klein, bis auf die Tartarhorden, Für ihn und seinen Thron, war aufgebothen worden. Mit diesen lag er erst bey Warschau an der Stadt; Doch weil zu große Macht auch große Kühnheit hat: War er den Weichselstrom diesseits herüber gangen, Uns desto schleuniger im Anmarsch zu empfangen. Fast hundert tausend Mann bedecketen das Feld: Sie hielten gegen uns als eine halbe Welt. Wie man die Kranche hört bey ihren Zügen girren, Und in der Sommerszeit die reifen Saaten schwirren: So rasselte der Klang von Pferden, Schild und Spieß, Den diese große Schaar von weiten hören ließ. Wie alles stäubt und bebt bey Ankunft einer Heerde: So schwärzte sich die Luft und zitterte die Erde; Als dieser Völker Trifft, und deren Hinterhalt, Auf unsre Läger drang mit stürmischer Gewalt. Sechs gegen einen Arm, so sollten unsre kämpfen; Ja was man hört und sah, schien uns den Muth zu dämpfen. Des Feindes Grausamkeit; die ungeheure Tracht, Von Häuten und von Filz in eine Form gebracht; Die theils mit Gold und Stahl gepanzerten Husaren: Das große Feldgeschrey und Lermen der Barbaren, So sie aus aller Macht aus Erz und Horn erweckt, Hätt' auch die Tapfersten bey andern abgeschreckt. Allein dieß Heldenpaar von göttlichem Geblüte, Bethörte kein Tumult, kein rauh und wilder Scythe. Je mehr der Feinde sind, je schwerer ist der Krieg; Und so viel größer war denn auch hernach der Sieg. Sie giengen erst zu Gott und ihrer Hütten Tempel, Und munterten sich auf mit eigenem Exempel: Allhier soll, sprachen sie, noch heut vor Abendsschein, Des Feindes, oder auch selbst unsre Grabstatt seyn! Nachdem sie sich gemach durch einen Wald gezogen, Und das getheilte Heer in halben Mond gebogen; Behielt zur Rechten Carl der Weichsel lang den Stand, Und unsrer stellte sich am Bruch zur linken Hand. Drauf nahten sie heran mit dem geringen Volke; Und wurden überdeckt gleich als von einer Wolke. Viel tausend fuhren dort von fornen auf uns her, Viel tausend kreuzten hier, und fielen in die quer, Viel schlugen sich um uns, und dachten im Vermengen, Uns wenigstens getrennt, in eine Flucht zu drängen. Wie aber, wenn im Herbst ein Sturm das Meer erregt, Es seine Tiefen dann auf Berge wälzt und trägt, Braust, schäumet, wallt und tobt mit aufgetürmten Wellen, Die aus dem innern Grund hin in die Lüfte schwellen; Und dennoch, wie es rast, mit aller seiner Wuth, Die Klippen nicht verzehrt auch mitten in der Fluth; Sie stehn, obgleich auf sie, wie andre Klippen fallen, Die nur in ihren Schlund geschwächt zurücke prallen: So hielt der kleine Trup auch den ergrimmten Lauf, Das wellengleiche Heer ganz unbeweglich auf; Und schleuderte den Feind zurück in seine Schanzen, Mit allem dem Gerüst der Schilde, Pfeil und Lanzen. Die Nacht entschied den Streit. So bald der Tag begann, Fing sich zu linken Hand ein Hauptscharmützel an. Der Churfürst, um das Feld der Feinde zu bestreichen, Fand rathsam, an die Höh des Waldes anzuschleichen; Er zog in stiller Eil sich über den Morast, Und schlug die Pohlen ab, die Stand darauf gefaßt. Der Tartern ganzer Schwarm von so viel tausend Köpfen, Warf sich auf ihn allein, in Meynung Luft zu schöpfen; Und lerneten zu früh aus dem erfolgten Weh: Daß in der linken Brust des Menschen Herze steh. Er rannt die Stirn entzwey an unserm linken Flügel. Als die Husaren auch von einem kleinen Hügel, Fünftausend Mann verstärkt, zur Rechten angesetzt, Und viel der Schwedischen getrennet und verletzt; Ja zwey Geschwader durch in sie hereingebrochen: Hat unser linkes Horn es ebenfalls gerochen. Es brach, zur Seiten ab, den Treibern wieder ein, Und stieß sie dergestalt, daß fast auch kein Gebein, Zum mindsten wenig nur, aus dem Gefecht entronnen; Bis man den Tag darauf die ganze Schlacht gewonnen. Daß doch, was diesen Tag dieß Heldenpaar vollbracht, Und zwar wie unser Fürst zum Siege Raum gemacht, Den Feind zuerst gejagt und ihn gewußt zu treiben, Wir mit der Sieger Stahl vermöchten zu beschreiben! Bishero hatte man einander nur gestreift; Weil der unstete Feind stets hin und her geschweift. Heut aber, da er sich in einen Wald geschwungen: Ward er, im Vortheil selbst, zu einer Schlacht gedrungen. Man gieng, so fest ihn auch noch eine Höh verschloß, Auf seine Wagenburg in voller Ordnung los. Der brandenburgsche Mars, weil es an seiner Seiten, Begann zuerst den Wald und Hügel zu bestreiten; Sein Sparr, der eine Zeit auf beyde schon gefeurt, Und allem Ueberfall von hinten zu gesteurt, Trieb, wie gescheuchtes Wild, das Fußvolk aus dem Strauche; Als eben unser Held recht mitten in dem Schmauche Die Weichenden empfieng, und ihren Weg verkürzt, Sie, sammt der Reuterey, den Berg herabgestürzt, Und hinter drein gesetzt in die betäubten Haufen, Noch schneller als sie uns gedachten zu entlaufen. So wie der Adler thut mit einer Geyerzucht, Daß er sie plötzlich stößt, und in der größten Flucht Zu zwey und dreyen würgt, mit einem Griff und Bisse: So sah man daß der Held auch in die Reihen rissse. Er nahm das Lager weg, und alles Feldgeschütz, Nicht scheuend dessen Gluth, nicht den gestählten Blitz. Die Schlacht verkehrte sich drauf in ein rechtes Schlachten; Weil wir nun ingesammt uns an die Horden machten. Man traf uns Kanneberg, viel schoß man uns auch todt, Wir schebten oftermals schon in der letzten Noth. Unfehlbar wären wir wie Halmen umgemähet; Wenn nicht der Wind den Staub den Feinden zugewehet. Da drungen wir im Qualm dem Wirbel freudig nach; In welchem jeder Held durch seinen Flügel brach: Nicht anders als ein Strom, wenn er sich los gedämmet, Alsdann zwey Arme macht und alles niederschwemmet, Was jedens Weg ergreift, vom Strudel übermannt. Es fielen Pferd und Mann, es ward ein Jammerstand, Der Sterbenden Geheul, der Halberwürgten Schreyen, Erhitzte Schwerdt und Muth. Hier konnte nichts befreyen. Wir hatten für den Raub nicht Aerm' und Fäuste gnug. Als aber nun der Streit auch den Czarnetzky schlug: Sah man die ganze Schaar, mit hochverwirrtem Fliehen, Vor unserm Metzeln her, als dicke Nebel ziehen. Dort röchelt erst ersäuft ein Körper in dem Sumpf; Hier überwarf sich noch ein warmer Tartarrumpf: Dort sah man Seel und Blut aus Brust und Gurgel schießen; Und hier verwickelten sich viel in eignen Spießen. Der Casimir erstarrt, daß alles flog und bog, Daß solcher Menge Volks die Tugend überwog, Lief sammt der Königinn, nach hin und wieder wenden, Der Weichselbrücken zu, und aus der Sieger Händen; Verließ die Königsburg, sowohl als sein Gezelt: Und räumte noch den Tag, nebst Warschau, Sieg und Feld. Bessers, Danksagung des befreyten Unterrheins, An Friedrichen den Dritten. Nach der Uebergabe von Bonn, 1689. So recht, du deutsches Volck, ihr tapfern Alemannen, Es kostet euch nur Ernst die Franzen zu verbannen. So oft ihr euch am Rhein gerüstet lassen sehn, Kann schon, von Alters her, kein Gallier bestehn. Wo sind die Räuber hin? ein Zug hat sie zerstreuet, Und mein beschwerter Strom ist wiederum befreyet. Euch hab ich schon gedankt, Beschirmer um den Mayn; Nun komm ich auch zu dir, Held! an den Unterrhein. Jung und sieghafter Held, Ruhm des berühmten Brennen, Wie würdig wird man itzt dich seinen Folger nennen! Fängt doch dein Regiment mit solchen Wundern an, Die Friedrich Wilhelm selbst im Alter erst gethan. Du treibst im ersten Jahr dein und der Welt Gewerbe, Du bringest deinen Freund zu seinem Königserbe. Der Vorschub deines Heers befördert diesen Schluß: Daß er, so schwer es scheint, dennoch gelingen muß. Du stärkst die Bataver, deckst dein und ihre Länder; Du knüpfest in dem Reich die allerbesten Bänder. Durch deinen klugen Rath hat Deutschland sich vereint, Und schlägt nun insgesammt den allgemeinen Feind. Ihr Helden, war dein Wort, die Fürsten zu erwecken: Welch ungeheures Feur darf unsern Rhein erschrecken? Ein Volk, dem vor der Zeit vor unserm Blick gegraut, Hat eines Ueberfalls sich abermal getraut. Woher rührt dieser Muth? das sind nicht ihre Werke; Sie brauchen unsern Zwist zu ihrer Trägheit Stärke. Bey unsrer Einigkeit hat Cäsar auch gezagt; Da itzt ein Königreich sich uns zu hönen wagt. Seht doch den Frevel an! Uns Städt und Land verheeren: Nennt Frankreich, zum Gespött, des Reiches Ruh begehren. Uns, die selbst Könige, schreibt es Gesetz und Spruch; Und, daß wir uns verwahrt, ist ihm ein Friedensbruch. Wie nun? soll Gallien die deutschen Ufer drengen? Genug Geduld gehabt, der Langmuth nachzuhängen! Ihr Helden! wachet auf und sammlet eure Macht; Hier steht ganz Brandenburg für euch zuhauf gebracht. Wir sind, und heißen noch die streitbaren Germanen. Der Bund war kaum beliebt; so zogen deine Fahnen. Dein Heer, zu welchem sich mehr Völker zugesellt, Schlug gleich bey Ordingen die Dränger aus dem Feld: Nahm Rheinberg durch Vergleich, wie sie es eingenommen; Und wovor ehmahls selbst ihr König müssen kommen. Im Frühling, da man nun den größten Grimm befahrt, Verstärktest du den Zug mit deiner Gegenwart: Als Hauptmann sah man dich vor deinen Schaaren ziehen, Und vor denselben her die wachen Feinde fliehen. Du zwangst in einem Lauf das feste Kaiserswerth: Du wandtest dich nach Cölln, das deinen Schutz begehrt: Erstiegst die Bonnerschanz, und nach gelegten Brücken, Befahlst du, über mich, die Läger fortzurücken. Hier stundst du unbedeckt, beherzter Friederich. Wo aber bleibest du, du großer Ludewig? Auf zwanzig Meilen war kein Mann von dir zu spüren; Ob gleich du im Triumph mich spöttlich dürfen führen. Willst du ein Sieger seyn, hier hätt' es sich gehört; Du aber siegest gern, wenn keiner dich verstört. Die Deutschen hätten wohl zu ernstlich mögen rechten. Wo man dir widersteht, verschmähest du zu fechten. Hingegen Zepterfürst, du stellest dich vor Bonn; Das Feld, bis Mont-Royal, erschütterte davon. Du liest auch dein Gemahl um deine Läger sitzen: Durch dieser Pallas Blick die Kämpfer zu erhitzen. Du hieltst, und wartest lang, ob ein Entsatz zu sehn: Allein sie kommen nicht, wenn wir bewaffnet stehn. Dem Frieden Einbruch thun, beschleichen und verrathen: Sind ihrer Tapferkeit bequeme Wunderthaten. Du grifst darauf den Platz mit Feuerwerken an; Du machtest dir zugleich die Gegend unterthan, Hiest aus dem Trierischen den regen Boufler jagen; Da Bonn indeß zerfiel von deiner Mörsel Lagen. Dein Weiler macht' auch hier die Feuersmacht bekannt; Die ehmals schon Stettin und ganz Stralsund verbrannt. Doch als auch dieß nicht half, so mußten deine Haufen Mit einem vollen Sturm an diese Festung laufen. Der Feind gestand es dir: daß er dergleichen Kampf Noch nimmer nicht erlebt. Ihn würgte Streich und Dampf, Ihm halfen weder Wehr, noch Burg, noch hohe Schanzen; Du mußtest noch den Tag darauf die Piquen pflanzen, So bald man zum Gefecht das frohe Zeichen gab; Sprang dein erhitztes Volk von obenwärts hinab. Du hattest nur bestimmt den Graben einzunehmen; Umsonst, es mußt' auch sich das Ravelin bequemen. Viel liefen ungezähmt gar auf den steilen Wall, Da merkte Hazefeld den vorgesetzten Fall; Er eilte den Vergleich, nach deinem Wunsch zu schließen, Und dich, der ihn bezwang, als Siegesherrn zu grüßen. Das heißt den Wetterstral glückselig ausgelegt, Der deinen Namen strich, und nun die Franzen schlägt. Der Himmel, der dein Haupt nach deinem Vater krönet, Hat mit der Donnerkraft desselben dich belehnet. Welch großes Meisterstück für einen jungen Held! Du lagst, wie dein Soldat, im offenen Gezelt. Dein erster Feind ist gleich der allerstolzste König; Ein ander Gegenpart ward zum Versuch zu wenig. Du rittest vor den Wall, und auch auf Kundschaft aus. Wer redet nicht bestürzt vom Poppelsdorfschen Strauß? Die Kugeln schneyten recht, die vor dir niederfielen; Du lachtest der Gefahr, die auf dich schien zu zielen. Du sahst den Werken zu, und muntertest sie auf; Du ordnetest den Sturm und seinen ganzen Lauf. Und wie war überdieß dein Thun so unterschieden! Du stürmetest vor Bonn, und schlost in Holstein Frieden. O weiser Fürst und Held, du dritter Friederich! Dein Vater lebt in dir; o wie verehr ich dich! Welch unerschöpfter Rath muß deinen Staat beseelen. Doch welch ein Löwenherz muß selbigen befehlen! Kann mehr ein Feldzug thun? du schlägst der Franzen Kern; Du bringst den Unterrhein an seinen rechten Herrn. Erhältst das platte Land, und zwingst zur Uebergabe Die stärksten Festungen, die ich am Ufer habe. Hat sich Tiberius ein Denkmaal hergesetzt: Hab ich viel billiger dich dessen werth geschätzt. Die Nymphen singen schon in ihren Muschelgrotten Von dir und deinem Stern, der freudigen Charlotten. Weil mich dein Heldenarm dem Joche da entreißt, Allwo mein Fluß, getheilt, sich in das Meer ergeust: Will ich auch deinen Ruhm, durch alle beyde Thüren, In den Welt-Ocean, nebst deinem Namen, führen. Erst sag' ichs Engeland, wo man dich gerne sieht: Wo dein Oranjenstamm im dritten Wilhelm blüht. Euch tastet Ludwig an, er hat sich viel vermessen, Er dürfte sich den Tod an den Orangen essen. Hernachmals mach' ich es in Frankreich selbst bekannt; Sein König weis es zwar, doch nicht sein armes Land. Die Deutschen haben dort stets unterliegen müssen; Nun soll man auch daselbst von ihren Siegen wissen. Allein, noch nicht genug: beharret in dem Streit. Ermahne. wie du thust, das Reich zur Einigkeit. Euch Fürsten ist der Rhein ein gar zu enger Schranken; Ihr müsset nach Paris zu euren alten Franken. Der Anfang scheinet schwer; doch nur im Anbeginn. Fährst du so weiter fort, führst du sie selbst dahin. Ihr Deutschen habt ja Rom und dessen Macht verschlungen, Das vormals Gallien, euch aber nie bezwungen. Zogt ihr die Meisterinn, das Kaiserthum zu euch; Warum nicht die Provinz, der Franzen Königreich? Dann wird, an meiner Statt, die stolze Seine beben, Und lernen, daß annoch die Schreckgermanen leben. Dann wird euch ingesammt, ihr Helden, euer Rhein, Und dir der Niedertheil auf ewig dankbar seyn! Neukirch, auf den Tod Sophien Charlotten, der Königinn in Preußen. Ihr Musen! die ihr mich, der Preußen Held zu singen, Oft glücklich angefeurt, helft meine Feder zwingen, Und führt sie von der Höh' nach der ich lüstern bin, Von Friedrichs Siegesbahn zu seinen Thränen hin! Sein unerschöpfter Muth ist weit genug erklungen, Seit dem ihm Noth und Recht die Waffen abgedrungen. Dem Franzen schüttert noch die kaum erlaufne Haut, Wenn er auf Schwabens Feld betrübt zurücke schaut, Und an den Tag gedenkt, da Ludwigs große Thaten Mit Schrecken in die Nacht der Finsterniß gerathen, Und auf einmal verlöscht. Was Preußen da gethan, Das zeigen, schweig ich gleich, viel andre besser an. Dießmal betracht ich nicht, wie unser König blitzet, Wann ihm der Feinde Trotz, der Freunde Schmach erhitzet; Nein! sondern, wie er selbst halb todt darnieder liegt; Und dennoch über Tod und auch sich selbsten siegt. Charlott', ach! kann ich auch dieß große Wort noch sprechen? Charlotte liegt erblast: und unsre Augen brechen Zugleich für kalter Angst. Wir sehen nichts, als Nacht: Und gleichwohl sehen wir Europens Zierd' und Pracht, Des größten Helden Lust, der Damen Preis und Krone, Das mütterliche Haupt von einem Königssohne, Minervens Ebenbild, der keuschen Liebe Sitz, Und alles, was jemals, Natur, Verstand und Witz Nur herrliches gezeugt, nur schönes kann erdenken, Ins Haus, ins schwarze Haus der bleichen Schaar versenken. Ach! leider! allzuviel! zuviel auf einen Schlag! Wer ist, der unsern Schmerz nur halb ergründen mag? Und wer, der recht beschreibt, was unser König fühlet? Wie dort, Euridice! dein Orpheus gespielet, Wenn er des Morgens schon mit seiner Zitter klang; Wenn er des Abends noch von deiner Liebe sang; So sieht man Friedrichen sich um Charlotten quälen: So hört man seinen Mund ihr reiches Lob erzählen. Ist, spricht er, in der Welt auch was Charlotten gleich? An ihr allein hätt' ich ein ganzes Königreich. Ihr Auge war geschickt, auch Feinden zu gefallen! Ihr holder Mund ein Sitz von tausend Nachtigallen. Und dennoch stirbet sie: und dennoch muß ich thun, Was ich von ihr gehofft, wenn ich einst würde ruhn. Ists möglich? Hier verschmacht das Wort ihm auf den Lippen: Er ächzt, er stehnet nur. Wie, wenn an harten Klippen Ein starkes Schiff anstößt, und zwar nicht ganz zerschellt; Doch aber mit Gewalt ins Meer zurücke prellt: Alsdann der Steuermann die müde Hand läßt sinken, Das Ende seiner Pein, den bittern Tod zu trinken: So scheinet es euch hier. Allein, ich sag: es scheint; Denn da der große Fürst vor Angst zu sterben meynt, So kommt die schnelle Post: Turin muß unterliegen, Wo Friedrichs Truppen ihm nicht gleich zu Hülfe fliegen. Alsbald ermuntert sich sein halb erloschner Geist: Der Held wacht wieder auf. Er hört, er winkt, er weist, Und endlich bricht er los: Was? Will mein krankes Stehnen, Da man um Ehre kämpft, mich an den Schlaf gewöhnen, Und Frankreich Dienste thun? Nein! nein! des Reiches Flor Geht Leichen, geht Verlust, geht meinen Schmerzen vor. Eilt! Helden! die wir längst zu dieser That erwählet! Theilt so viel Wunden aus, als man hier Seufzer zählet! Ich lege meinen Schatz und viel mit ihr ins Grab, Wischt durch der Feinde Schimpf mir meine Thränen ab! Charlotte fordert es. Charlotte, die gelebet, Itzt tod ist, aber doch in euren Herzen schwebet. Gesagt, und auch geschehn. Die Truppen eilen fort, Ich seh' von ferne schon den Ueberwindungsort. Ihr Dichter! sinnet nur auf neue Jubellieder! Savoyen ist erlöst, und Preußen jauchzet wieder. Mein König! dieses ist, was ich schon oft gesagt, Daß nur ein Titus war, der jedermann behagt, Und nur ein Friedrich lebt, den alle Welt itzt liebet. Man schau dich, wie man will, froh oder auch betrübet; So bist du allzeit groß. Ein ander weint ja wohl; Allein er weis alsdann nicht wie er herrschen soll. Du weinst und herrschest auch: und beyderley geschiehet Von dir mit solcher Art, als man von keinem siehet, Der doch nur eines thut. Der König stralt und bricht Aus jeder That hervor: und wer ist, der ihn nicht Bey deiner Trauer findt? Charlotte hatte Gaben, Die wenig einzeln kaum, die meisten gar nicht haben: Allein du führst sie auch mit solcher Pracht dahin, Herr! als begrübest du der Erden Königinn. Sie war allein geschickt, dein Auge zu ergetzen: Du bist allein geschickt, sie in die Gruft zu setzen. Jedoch, was sag ich Gruft? Du bist allein geschickt Zu überwinden, Held! was andre niederdrückt. Viel würden, hätten sie nur halb so viel besessen, Bey solcher Aenderung, Pflicht und sich selbst vergessen: Du bleibst stets, der du bist; und da dein Herze sich Kaum für Betrübniß kennt, gehst du doch ordentlich In allem deinen Thun, und läßt ein Grabmaal bauen, Bey dessen Glanze man dich und zugleich kann schauen, Wie viel du, Herr! begräbst. Eh' dieses kaum gethan, So legt dein Eifer schon ein Haus der Tugend an; Und zwar hier in Berlin, wo man nun alles lernet, Was unsern Adel sonst reich nach Paris entfernet, Und arm zurücke schickt: ja, wo an dir allein, Held! mehr zu lernen ist, als alle Künste seyn. Fürwahr das rechte Maaß in Lieb und Leid zu finden, Im Felde schrecklich seyn, und hohe Schulen gründen, Sind Dinge, die wohl nie auf einen Tag geschehn. Und hier geschehn sie doch. Wir können nichts mehr sehn, Was nicht auch seltsam ist, und andern, die es hören, Als eine Fabel klingt. Stadt, Land und Reich vermehren, Und Nachbarn Hülfe thun, ist viel; nicht aber hier: Europa hoffet noch was größeres von dir. Und ach! was sollte man von deiner Hand nicht hoffen, Da, was kein Mensch gehofft, so herrlich eingetroffen? Wie glücklich sind wir denn, da uns der Himmel schlägt, Daß er die größte Last auf deine Schulter legt, Die mehr vermag, als wir! Daß er den Theil genommen, Der zu verlieren uns zwar schmerzlich angekommen; Doch dir am schwersten fällt! Er straft uns ja wohl sehr; Doch stund in seiner Hand noch mehr, und zehnmal mehr. Denn hätt' er deinen Prinz, hätt' er ihm dich erkohren, Hilf Gott! was hätten wir, was Kirch und Schul verlohren! So leidest du mit uns, was wir allein verschuldt: Du leidest mehr als wir; doch alles mit Geduld. Ja, wenn ichs sagen soll, du thust es fast mit Freuden, Damit dein Land nur nicht was mehrers dürfe leiden. O ungemeiner Held! wer will sich unterstehn, Mit dir das Sittenfeld des Trostes durchzugehn? Quillt die Geduld aus Gott, wie sie wahrhaftig quillet; So sieht man ja genug womit dein Herz erfüllet, Und überschüttet ist. Der Jammer, der dich beugt, Ist nur ein Spiegel, Herr! der deine Größe zeigt. Denn wer bewundert nicht das, was du jüngst gesprochen? Mein Kronprinz, war dein Wort, entschloß vor wenig Wochen, Nach Engelland zu gehn. Doch seht! er läßt es seyn: Und seine Mutter zieht ins Land der Engel ein. Genug zu deiner Ruh! gnug zu Charlottens Ehre! Dein Herz hat obgesiegt durch diese Glaubenslehre. Ich selber werd entrückt, und weis nicht wo ich bin, Ich sehe noch einmal die große Königinn. Ich seh die Majestät, die nie ein Kind betrübte; Ich seh' den hohen Geist, der doch die Demuth liebte; Die süße Freundlichkeit, die alle Welt durchdrang; Mehr aber, Held! an dir, als aller Welt, bezwang: Ich seh; allein weit mehr, als ich vor dem erblicket. Ihr Kleid ist um und um mit Sternen ausgeschmücket: Ihr Wohlseyn lauter Licht, und ein, ich weis nicht, was, Das Paulus zwar gehört, bald aber auch vergaß. Aus dieser Herrlichkeit, zu der man uns muß treiben, Ruft sie mir gütig zu: Schreib, wenn du ja willst schreiben: Hier liegt Charlottens Leib, an dem sie nichts ergetzt, Als daß ihn Friederich der Liebe werth geschätzt. Der Geist herrscht allbereit auf einem höhern Throne; Doch, willst du ihn noch sehn, so such ihn in dem Sohne! Das 9. Capitel Das IX. Capitel. Von der Epopee oder dem Heldengedichte. 1. §. Nunmehro kommen wir an das rechte Hauptwerk und Meisterstück der ganzen Poesie, ich meyne an die Epopee oder an das Heldengedichte. Homer ist der allererste, der dergleichen Werk unternommen, und mit solchem Glücke, oder vielmehr mit solcher Geschicklichkeit ausgeführet hat; daß er bis auf den heutigen Tag den Beyfall aller Verständigen verdienet hat, und allen seinen Nachfolgern zum Muster vorgeleget wird. So groß die Menge der Poeten unter Griechen und Lateinern, Italienern, Franzosen, Engelländern und Deutschen gewesen: so klein ist nichts destoweniger die Anzahl derer geblieben, die sich gewagt haben, ein solches Heldengedichte zu schreiben. Und unter zehn oder zwölfen, die etwa innerhalb drey tausend Jahren solches versuchet haben, ist es kaum fünfen oder sechsen damit gelungen: woraus denn die Schwierigkeit eines so wichtigen poetischen Werkes sattsam erhellen kann. 2. §. Homer ist also der Vater und der erste Erfinder dieses Gedichtes, und folglich ein recht großer Geist, ein Mann, von besonderer Fähigkeit gewesen. Seine Ilias und Odyssee haben sich nicht nur den Beyfall von ganz Griechenland, sondern auch die Hochachtung und Bewunderung des tiefsinnigsten unter allen Weltweisen, Aristotels, erworben. Dieses letztere ist bey mir von weit größerm Gewichte, als das erste: denn das scharfsichtige critische Auge eines Kunstverständigen sieht auf das innerste Wesen einer Sache; da hergegen der unverständige Pöbel, die Helden, Gesetzgeber und Prinzen, ja auch die Menge der Halbgelehrten dergleichen Werk nur obenhin ansieht, und weder alle Schönheiten, noch alle Fehler desselben wahrzunehmen, im Stande ist. Man hat sich also nicht an das Lob, oder an den Tadel eines jeden halbigten Richters zu kehren, wenn von den Verdiensten Homers die Frage ist. Viele haben ihn ohne Einsicht gepriesen, damit sie nur dafür angesehen würden, als ob sie ihn verstanden hätten: viele haben ihn auch ohne Grund getadelt, damit sie nur das Ansehen hätten, als verstünden sie besser, was zur Poesie gehört, als andre, die den Homer vertheidigten und lobten. In Frankreich hat man im Anfange dieses Jahrhunderts einen großen Federkrieg darüber gehabt, wo sich Perrault, Fontenelle und De la Motte für die Neuern: Boileau aber, Calliere, Racine, Fenelon, Furetiere und die Frau Dacier, nebst ihrem Manne, für die Alten erkläret, und sie in vielen Stücken verfochten haben. Man kann von diesem ganzen Streite mit Vergnügen nachlesen, was Furetiere in seiner NOUVELLE ALLEGORIQUE, OU HISTOIRE DES DERNIERES TROUBLES ARRIVEZ AU ROYAUME D'ELOQUENCE, und DES CALLIERES, in seiner HISTOIRE POETIQUE DE LA GUERRE NOUVELLEMENT DECLARÉE ENTRE LES ANCIENS & LES MODERNES, imgleichen Perrault selbst in seiner PARALLELE DES ANCIENS & DES MODERNES davon geschrieben haben. Man sehe auch des Herrn Fontenelle Gedanken von den Alten und Neuern, und meine Anmerkungen darüber, die bey seinen Gesprächen von mehr als einer Welt, befindlich sind, so, wie sie Deutsch heraus gekommen sind. 3. §. Die Ilias Homers hat zu ihrer Hauptabsicht, den Zorn zu besingen, der zwischen dem Achilles, und dem Heerführer der ganzen griechischen Armee, Agamemnon, im Lager vor Troja vorgefallen; und so wohl für die Belagerer, als für die Belagerten sehr traurige Wirkungen nach sich gezogen. Der Poet sagt gleich im Anfange des Gedichtes, daß dieses sein Vorhaben sey: und da die Ausführung mit seinem Vortrage vollkommen übereinstimmt; so muß man sich wundern, daß die Kunstrichter noch lange an seiner Absicht haben zweifeln können. Es enthält also diese Ilias in vier und zwanzig Büchern eine Fabel, die etwa sieben und vierzig Tage in ihrem Umfange begreift; und also nur ein sehr kleines Stück des zehnjährigen trojanischen Krieges ausmacht. Der Poet erzählt uns darinn auf eine sehr edle Art, was zu der Uneinigkeit des Achilles mit dem Agamemnon Gelegenheit gegeben; nämlich eine schöne Sklavinn, die Agamemnon dem Achilles mit Gewalt hätte wegnehmen lassen. Ferner, wie oft die Griechen zurück geschlagen worden, und wie viel wackere Helden sie darüber eingebüsset; als sie sich unterstanden, auch ohne den Achilles die Stadt anzugreifen. Endlich, wie Achilles selbst durch den Verlust seines liebsten Freundes Patroklus, welchen Hektor erschlagen hatte, dergestalt entrüstet worden, daß er, diesen Tod zu rächen, sich wieder mit den Seinen versöhnet, und den besten trojanischen Helden, den Hektor, in einem einzelnen Gefechte erlegt, seinem todten Freunde aber ein prächtiges Leichenbegängniß angestellet habe. 4. §. Diese ganze Fabel nun begreift nicht mehr, als eine Zeit von sieben und vierzig Tagen, oder anderthalb Monaten in sich, in welcher alles das vorgegangen, was zum Zorne des Helden, den der Poet besingen wollte, gehörete. Man sieht aber wohl, mit was für einer Geschicklichkeit Homer seine Fabel zum Lobe Achills eingerichtet hat. Seine Abwesenheit und Enthaltung aus der Armee macht das ganze griechische Heer ohnmächtig, und seine Wiederkunft bringt auch den Sieg wieder. Wenn er also gleich die größte Zeit müßig sitzet, und der Poet nichts von ihm erzählen kann: so gereichet doch alles, was geschieht, zu seinem Lobe; weil alles unglücklich geht, und die Ursache keine andere ist, als, weil er nicht mit fechten will. Die Uneinigkeit der griechischen Helden zieht also in ihrem Lager lauter Unglück nach sich; die Vereinigung aber, die zuletzt erfolgt, bringt einen erwünschten Erfolg, nämlich den Sieg über die Trojaner zuwege. Wer kann bey dem allen noch zweifeln, ob auch Homer in seinem ganzen Gedichte diese moralische Wahrheit habe zum Grunde legen wollen: die Mishälligkeit ist verderblich; die Eintracht aber überaus zuträglich? Und dieses ist die Zergliederung des ersten homerischen Heldengedichtes; so wie sie von den scharfsinnigsten Kunstrichtern, nämlich dem Aristoteles, Pater le Bossu und Dacier vorlängst gemacht worden. 5. §. Aus der Odyssee hat uns Aristoteles selbst folgenden kurzen Auszug gemacht: Ulysses, der mit vor Troja gewesen, wird auf seiner Rückreise vom Neptun verfolget, welcher ihn durch Sturmwinde und Ungewitter aller seiner Gefährten beraubet, so, daß er endlich ganz allein in mancherley Gefährlichkeiten herum schweifen, und eine lange Zeit von Hause abwesend seyn muß. Indessen ist in seinem Ithaka alles in Unordnung. Die Liebhaber seiner Gemahlinn verprassen alle ihr Vermögen, und stehen seinem Sohne Telemach selbst nach dem Leben: bis er endlich in armseliger Gestalt nach Hause kömmt, etliche betrügt, seine Feinde ermordet, und sein Reich wieder in Ordnung bringet. Diese Fabel begreift also das Lob des klugen und standhaften Ulysses in sich; wie abermal der Poet im Anfange selbst angezeiget hat, wenn er nach Horazens Uebersetzung, die Muse so anruft: DIC MIHI MUSA VIRUM, CAPTAE POST TEMPORA TROJAE, QUI MORES HOMINUM MULTORUM VIDIT & VRBES. 6. §. Die Odyssee begreift eine Zeit von neun und funfzig Tagen oder beynahe zween Monathen in sich, und dauret also etwas länger, als jene; weil der Zorn Achills, als ein Affect, unmöglich so lange dauren konnte, als eine Reise. Doch ist die Absicht des Poeten, nicht nur den Helden zu loben, sondern eben unter diesen Erzählungen seine moralische Lehren zu verstecken. Er will den Griechen beybringen: daß die Abwesenheit eines Hausvaters oder Regenten üble Folgen nach sich ziehe: seine Gegenwart aber sehr ersprießlich sey. Damit nun diese Abwesenheit nicht dem Ulysses zum Vorwurfe gereichen könnte: so hat er ihn in solche Umstände gesetzt, daß er wider seinen Willen abwesend seyn muß. Er hatte, als das Haupt seiner Armee, vor Troja ziehen müssen: und als er nach geendigtem Kriege eben zurücke wollte, so konnte er nicht; weil ihm Neptun zuwider war, und bald Circe, bald Calypso, bald der König Antinous ihn aufhielten, daß er nicht nach Hause konnte, so sehr ihn auch darnach verlangte. Indem aber der Poet theils den Helden, durch die lange Erfahrung zu einer vollkommenen Klugheit gelangen; theils seine Penelope und den jungen Telemach so viele Proben ihrer Tugend ausstehen; theils die Gefährten Ulyssens sowohl, als die Buhler der Königinn durch ihre eigene Schuld umkommen läßt: so wird sein Gedichte für hohe und niedrige erbaulich, und man kann mit Horazen sagen, Homer sey ein Scribent, QUI, QUID SIT PULCRUM, QUID TURPE, QUID VTILE, QUID NON, PLENIUS & MELIUS CHRYSIPPO & CRANTORE DICIT. LIB. I. EP. 2. 7. §. In Homers Fußtapfen haben zwar unter den Griechen verschiedene andre treten wollen: ihre Schriften aber sind, weil sie die Kunst nicht verstanden haben, alle verlohren gegangen. Aristoteles hat uns in seiner Dichtkunst das Andenken etlicher solcher Gedichte aufbehalten; indem er ihre Fehler angemerket, da wir sonst nichts von ihnen wissen würden. Unter andern gedenkt er einer kleinen Ilias, darinn jemand den ganzen trojanischen Krieg beschrieben; und die, ungeachtet dieses so weitläuftigen Vorhabens, doch gegen des Homers Gedichte, nur eine kleine Ilias genennet worden. Ohne Zweifel hat es diesem Verfasser an dem rechten Begriffe, von einer guten epischen, das ist, moralischallegorischen Fabel gefehlt: daher er sich denn gleich ein gar zu großes Werk unternommen, welches in einem einzigen Gedichte unmöglich nach Würden ausgeführt werden konnte. Die übrigen Fehler dieses, und andrer übel gerathenen griechischen Heldengedichte, muß man im Aristoteles selbst nachsuchen. 8. §. Unter den Römern hat Virgil das Herz gehabt, sich an die Epopee zu wagen; und die Geschicklichkeit besessen, dem Homer so vernünftig nachzuahmen, daß er ihn in vielen Stücken übertroffen hat. Seine Absicht mochte wohl gewesen seyn, dem Augustus, als dem Stifter eines neuen Reichs, die Eigenschaften eines großen Helden und Regenten vorzubilden, und dadurch die grausame Gemüthsart ein wenig zu dämpfen, die der Kaiser in seinen ersten Jahren spüren ließ. Er nimmt also die gemeine Sage der Römer für bekannt an, daß Aeneas nach Italien gekommen sey, und bauet seine ganze Fabel darauf. Diesen konnte er nunmehr als den Stifter der römischen Monarchie vorstellig machen, und ihn so abschildern, wie er selbst wollte, damit er nur seine moralische Wahrheit dadurch ausführen könnte: Ein Stifter neuer Reiche müsse gottesfürchtig, tugendhaft, sanftmüthig, standhaft und tapfer seyn. So hat er uns nun seinen Aeneas auf der See, in Sicilien, Africa und in Italien abgebildet. Er ist überall ein frommer und gnädiger; aber dabey unerschrockener Held. Turnus ist gegen ihn ein trotziger Starrkopf; Mezentius aber ein gottloser ehrvergessener Bösewicht zu nennen. Will man also die Aeneis ein Lobgedicht des Aeneas nennen, so war es doch nur ein erdichteter Aeneas, der mehr zeigte, wie ein Regent seyn soll; als wie einer wirklich gewesen war: und dadurch wird seine Fabel moralisch und lehrreich; weil Augustus und alle übrige Großen der Welt ihre Pflichten daraus abnehmen konnten. 9. §. Unter den Römern haben sich noch Statius und Lucanus in der epischen Poesie versuchen wollen; aber mit sehr ungleichem Fortgange: und das zwar wiederum aus Unwissenheit der Regeln, die sie doch in Aristoteles Poetik und im Homer und Virgil, als ihren Vorgängern, leichtlich hätten finden können. Statius nimmt sich nicht vor, eine moralische Fabel, sondern einen ganzen Lebenslauf des Achilles zu besingen: ohne eine weitere Absicht, als diese: daß er seinen Helden durch die Erzählung seiner Thaten loben will. Er sammlet derowegen aus den alten Scribenten alles zusammen, was von dem Achilles jemals gesagt worden, und ordnet es nach der Zeitrechnung; beschreibt es auch in einer so schwülstigen Schreibart, daß man erstaunet, wenn man seinen rasselnden Dunst gegen das gelinde Feuer Virgils hält. MAGNANIMUM AEACIDAM, FORMIDATAMQUE TONANTI PROGENIEM, ET VETITTAM PATRIO SUCCEDERE COELO, DIUA REFER: QAMQUAM ACTA VIRI MULTUM INCLYTA CANTU MAEONIO, SED PLURA VACANT. NOS IRE PER OMNEM, SIC AMOR EST, HEROA VELIS. 10. §. Es ist also mit dem Innhalte dieses vermeynten Heldengedichtes eben so beschaffen; als wenn jemand einen Lebenslauf von der Maus schreiben wollte, der in den äsopischen Fabeln, so oft gedacht wird. Dieser könnte auch die Muse anrufen, ihm alle die Thaten dieses berühmten Thieres kund zu thun. Aesopus hätte zwar hier und da etwas berühret; aber er hätte Lust, alles aufs vollständigste zu beschreiben, und also etwas Vollkommeners zu Stande zu bringen. Le Bossu hat eine solche lange Kette von Fabeln zusammen gesetzt, und den Helden derselben, aus der Homeri Batrachomyomachie, Meridarpax genennet, welche man auf der 80. und folg. S. nachlesen kann. So wenig aber ein solch zusammen gestümpeltes Werk der Batrachomyomachie Homers oder unserm Froschmäuseler, oder nur der geringsten äsopischen Fabel vorzuziehen seyn würde: Eben so wenig ist Statius mit seiner Achilleis, dem Virgil oder Homer an die Seite zu setzen. 11. §. Ein gleiches kann man vom Lucan sagen. Sein pharsalischer Krieg ist eine wahrhafte Historie, von einer unlängst vorgefallenen Schlacht, zwischen dem Cäsar und Pompejus. Er erzählt dieselbe in der gehörigen Zeitordnung, und vertritt also die Stelle eines Geschichtschreibers, nicht aber eines Poeten. Hier ist gar keine allgemeine moralische Fabel zum Grunde gelegt: folglich ist auch seine Pharsale kein Gedichte, sondern eine in hochtrabenden Versen beschriebene Historie; die zwar in der That viel schöne Gedanken in sich hält, auch zuweilen in einigen Stellen die Natur gut genug nachahmet, z.E. wenn er den Cato in den lybischen Wüsteneyen vom Orakel Hammons reden läßt; allein überhaupt den Namen einer Epopee niemals wird behaupten können. Eben das könnte auch von dem Silius Italicus, der den punischen Krieg in Versen beschrieben hat, gewiesen werden, wenn es der Mühe verlohnte, daß man sich dabey aufhielte. 12. §. Nachdem die Gelehrsamkeit in Europa, sonderlich im Occidente, unter die Bank gerathen war, und die Völker gegen das dreyzehende oder vierzehende Jahrhundert etwas zur Ruhe kamen, ward eine neue Art von Fabeln erfunden, die den Heldengedichten sehr nahe kam. Dieses waren die Ritterbücher, z.E. vom Amadis in Frankreich, vom großen Roland, vom Sonnenritter, von den vier Haymonskindern, von den Rittern von der runden Tafel, von den sieben weisen Meistern, vom Kaiser Pontianus, von der schönen Melusine, von der schönen Magellone u.a.m. deren Titel und Namen noch hier und da vorkommen. Die Gelegenheit dazu mögen wohl theils die alten Kriege Carls des Großen, theils die Kreuzzüge nach dem gelobten Lande gegeben haben, die damals mit so großem Eifer gegen die Saracenen unternommen wurden. Alle jungen Prinzen, Grafen und Edle setzten sich auf, und zogen auf Abentheuer aus, schwärmeten etliche Jahre in der Welt herum, und wenn sie eine Weile ihre Lust gebüsset hatten, kamen sie nach Hause, und logen große Plätze von ihren Thaten her. Da hatten sie feurige Drachen, und dort große Riesen erlegt; hier ganze Länder, dort keusche Prinzeßinnen errettet u.s.w. Die Unverständigen hörten diesen so wohl versuchten Rittersleuten, als neuen Evangelisten zu; und die eine Gabe zum Schreiben hatten, kamen auf die Gedanken, ganze Bücher von solchen wunderlichen Abentheuren zu verfertigen. Da gieng es nun an ein Schwärmen. Räuber und Mörder, irrende Ritter, ungeheure Riesen, verkleidete Prinzeßinnen, Wüsteneyen, Wälder, Höhen, Berge, Mord und Todtschlag, Drachen, Teufel, Erscheinungen, Hexenmeister und Zauberschlösser; das alles, sage ich, kostete ihnen nichts: daher verschwendeten die Herren Poeten diese Zierrathe in ihren Gedichten ohne Maaß und Ziel; und wer seine Fabeln am besten damit ausstaffiren konnte, das war der beste Dichter. 13. §. Es ist unnöthig zu sagen, daß auch in Deutschland dieser Geschmack der Ritterbücher eingerissen gewesen: denn ein jeder besinnt sich wenigstens auf den gehörnten Ritter Siegfried; des Herkules und Herkuliscus und Arminius itzo nicht zu gedenken, die vielleicht zu einer bessern Classe gehören. So viel ist gewiß, daß der Ritter Theuerdank ein solch Buch ist, welches Melchior Pfinzing, ein Probst zu St. Alban in Nürnberg, dem Kaiser Maximilian zu Ehren verfertiget hat. Die deutsche Gesellschaft besitzt davon die erste Ausgabe, die zu Nürnberg 1517. im größesten Formate von lauter geschnittenen Holztafeln abgedruckt worden, und Kaiser Carln dem V. als Könige von Spanien, zugeschrieben ist. Denn obwohl ein gelehrter Mann in Altdorf in diesem vor mehr als 200. Jahren geschriebenen Werke die Spuren von den Regeln eines Heldengedichtes finden wollen; wie aus seiner besondern Dissertation über dieses Buch erhellet: so sehe ich doch nicht ab, daß der gute Verfasser desselben dieses im Sinne gehabt; wie eben dieser geschickte Scribent bald darauf selber gesteht. Wir lassen also unsern Theuerdank unter der Zahl der Heldenbücher, die dem barbarischen Geschmacke unsrer Vorfahren; nicht aber den Regeln eines vernünftigen Heldengedichtes gemäß sind. In Spanien, ja in ganz Europa hat der berühmte Spanier Cervantes durch seinen Don Quixote, Ritter von Mancha, den irrenden Rittern einen gewaltigen Stoß gegeben. Und da sich also dieselben in Frankreich, durch des Herrn von Urfe Asträa, in eine Schäfergestalt verwandelten; da auch Scudery und andre ihren Cyrus, ihre Clelia und unzähliche andre von der Gattung, in so vielen Bänden ans Licht stelleten, darinnen sie alles mit verliebten Thorheiten erfüllten: so kam Boileau, und machte ein Gespräche, nach Art Lucians, darinn er das lächerliche Wesen dieser Romane entdeckete; wozu denn auch Corneille durch seinen BERGER EXTRAVAGANT, den bey uns A. Gryphius übersetzt hat, das seine beytrug. Wir Deutschen haben auch etliche Fuder solcher Liebesfabeln aufzuweisen, die nicht ein Haar besser sind, als die der französische Satyricus ausgelachet hat: darunter denn Arminius, Herkules, Octavia und Aramena die obersten Plätze verdienen. Man sehe hierüber den dritten Theil der Maler in dem Gespräche der Todten, das eines Theils nach dem obigen des Boileau, sehr artig nachgeahmet ist; imgleichen die critischen Beyträge in dem Artikel von der Banise. 14. §. Nichts ist bey dem allen mehr zu bewundern, als daß Tasso diesen gothischen Geschmack der Ritterbücher mit den griechischen Regeln eines Heldengedichtes zu verbinden gesucht. Sein befreytes Jerusalem ist in der That eine Vermischung zweyer so widriger Dinge; und es ist leicht zu begreifen, wie er darauf gefallen ist. Er beschreibt den siegreichen und glücklichen Kreuzzug der christlichen Armee im Oriente; die gleichsam ganz und gar aus lauter solchen irrenden Rittern bestanden. Da war es nun kein Wunder, daß auch alle die gewöhnlichen Zierrathe der Heldenbücher, kriegerische verkleidete Prinzeßinnen, Zauberschlösser, Hexenmeister, Liebesgeschichte und Abentheuer die Menge darinnen vorkamen. Indessen hat er die Fabel selbst, so ziemlich nach den Regeln Aristotels eingerichtet, weil er nichts als die Eroberung Jerusalems zur Haupthandlung hat, und alles, was dazu gehörte, ausführlich erzählet; den klugen und tapfern Gottfried aber zu gleicher Zeit sehr er hebt. 15. §. Nur mit der Moral sieht es ein wenig seltsam aus; und nichts ist wunderlicher, als wenn Tasso selbst in der Vorrede uns erklären will, was seine ganze Fabel für einen allegorischen Verstand habe. Sein ganze Gedichte soll das menschliche Leben abbilden. Das ganze christliche Kriegsheer bedeutet den Menschen im männlichen Alter; und zwar die Heerführer die Seele, und die Soldaten den Leib. Die Stadt Jerusalem, die zwischen Bergen und Felsen liegt, und die so schwer zu erobern ist, soll die bürgerliche Glückseligkeit bedeuten, die auf dem hohen Gipfel der Tugend erstlich zu erlangen steht. Gottfried, der oberste Befehlshaber der Armee, stellet den Verstand des Menschen vor. Rinaldo und Tancredo bedeuten die untern Seelenkräfte. Die Uneinigkeiten unter den andern Helden bedeuten den Streit zwischen den Begierden des Menschen: die Hexenmeister, Ismeno und Armida, die Versuchungen des Teufels, u.s.w. Solche Geheimnisse hätte nun wohl kein Mensch in dem befreyten Jerusalem gesuchet, wenn sie uns der Poet nicht selbst erkläret hätte. Das Wunderlichste dabey ist, daß der Poet sein Gedichte schon fertig gehabt, als er an diese künstliche Allegorie gedacht, und daß er sie also mehr hineingezwungen, als das Gedichte ihr zu gefallen gemacht hat. Allein, da dieses ein Ueberrest des übeln Geschmacks ist, der zu seiner Zeit unter vielen noch herrschete: so wollen wir diesen Fehler am Tasso übersehen; zumal seine Vorrede gerade das allerschlechteste ist, was an seinem ganzen Gedichte vorkömmt. 16. §. Meine Absicht und der Raum leiden es nicht, von den portugiesischen und spanischen Heldengedichten zu handeln. Voltaire hat dem Camoens die Ehre gethan, seine Lusiade, und dem Alonzo seine Araucana unter die Zahl der Heldengedichte zu zählen. Allein nach unserer Beschreibung und den Regeln der Kunstrichter schickt sich dieser Name für ihre Werke nicht: denn sie sind nur poetisch abgefaßte Historien; aber keine epische Fabeln, die unter den Allegorien einer Handlung moralische Wahrheiten lehren. Voltaire hat es indessen für gut befunden, zum Heldengedichte weiter nichts, als die poetische Erzählung einer merkwürdigen That oder Handlung zu erfordern: das übrige möchte aussehen wie es wollte. Vermuthlich hat ihn seine Henriade dazu verleitet, die er allem Ansehen nach eher geschrieben; als er die Regeln des Heldengedichtes recht inne gehabt. Denn sie ist auch nur die Erzählung einer wahren Historie, mit einigen darzu gedichteten und untermischten Fabeln. Wäre aber dieses zu einer Epopee genug, so sehe ich nicht, warum wir Deutschen nicht auch schon an Bergonens und Areteen Liebes- und Heldengeschichten, dergleichen aufzuweisen hätten, welche ein preußischer Edelmann, Otto Friedrich von der Gröben, im Jahr 1700. in einem starken Quartbande herausgegeben. Dieses lange Gedichte beschreibt des Verfassers eigene Reisen ins gelobte Land: so wie Alonzo seinen eigenen Feldzug wider ein amerikanisches Volk besungen hat. Es sind Fabeln genug darzwischen gedichtet, indem seine Aretee und ihr Bruder Sfortunian, dadurch er allegorisch die Tugend und das Unglück anzeigen wollen, eine sehr artige Verwirrung in der Geschichte machen. Und ich könnte dergestalt meinem Vaterlande die Ehre beylegen, daß es den ersten epischen Dichter in Deutschland hervorgebracht hätte: wenn es nicht vernünftiger wäre, bey den Regeln und Mustern der Alten zu bleiben. 17. §. Ich übergehe hier auch mit Fleiß den Milton und Chapelain, davon jener in Engelland sein verlornes Paradieß besungen; dieser in Frankreich sein Mägdchen von Orleans in einem Heldengedichte beschrieben hat. Ohne Zweifel hat dieser letztere die Regeln der Epopee besser als jener beobachtet: gleichwohl aber ist er, wegen der schlechten Verse, die er gemacht, von ganz Frankreich, den Perrault ausgenommen, mit seiner so vieljährigen Arbeit nur ausgelacht worden. Man hat, wie bekannt ist, den Vers auf ihn gemacht: ILLA CAPELLANI DUDUM EXSPECTATA PUELLA, POST TANTA IN LUCEM TEMPORA PRODIT ANUS. Mit weit besserm Rechte ist Fenelon mit seinem Telemach hieher zu rechnen, den Neukirch bey uns in Verse übersetzet hat. Man kann von uns Deutschen von dem habspurgischen Ottobert und von Postels Wittekind eben das sagen. Diese Fabeln an sich, oder die Gedichte selbst sind besser gerathen, als ihre rauhe und garstige Verse: daher sich sehr wenige überwinden können, solche verdrießliche Werke zu lesen. Siehe davon die critischen Beyträge nach. Milton hat hingegen in Engeland durch den Beyfall einiger Critikverständigen, als Roscomons, Addisons und Steeles, die Hochachtung seiner ganzen Nation erlanget, und ist noch neulich ins Französische übersetzt heraus gekommen. Wir haben ihn längst in unsrer Sprache, und zwar in eben solchen fünffüßigen, ungereimten Versen übersetzt gehabt, ob wohl sich diese Ausgabe schon etwas rar gemacht hat. Noch neulich hat man uns in der Schweiz eine neue deutsche Uebersetzung in ungebundner Rede davon geliefert; die aber von großer Härte ist, und ihrem Grundtexte keine völlige Gnüge thut, außer daß sie das ungeheure, rauhe und widrige des Originals in seiner völligen Größe ausdrückt. Man sehe hiervon den Auszug im I.B. der critischen Beyträge und das erste Stück des Dichterkrieges im I. Bande der Belustigungen des Verstandes und Witzes nach. Wir haben auch sonst von allen alten Gedichten, bis auf den Tasso, Ariost und Marin Uebersetzungen; die aber nach Beschaffenheit der Zeiten besser oder schlechter gerathen sind. 18. §. Es ist Zeit, von dem historischcritischen Theile dieses Hauptstückes auf den dogmatischen zu kommen, und demjenigen, der die innere Einrichtung der alten Heldengedichte recht einsehen, oder gar selbst ein neues verfertigen will, einige Anleitung dazu zu geben. Was Vollkommenes aber läßt sich von einem so großen Werke in wenigen Blättern nicht sagen. Man muß Aristotels Poetik mit Daciers Noten, und den Pater le Bossu selbst lesen, wenn man alles ausführlich wissen will. Ich werde mich begnügen, nur einen kurzen Auszug aus ihren Büchern zu machen. 19. §. Was eine epische Fabel sey, das ist in dem vierten Capitel des ersten Theils dieser Dichtkunst allbereit gewiesen, und bisher unvermerkt wiederholet worden. Ein Heldengedicht überhaupt beschreibt man: Es sey die poetische Nachahmung einer berühmten Handlung, die so wichtig ist, daß sie ein ganzes Volk, ja wo möglich, mehr als eins angeht. Diese Nachahmung geschieht in einer wohlklingenden poetischen Schreibart, darinn der Verfasser theils selbst erzählet, was vorgegangen; theils aber seine Helden, so oft es sich thun läßt, selbst redend einführet. Und die Absicht dieser ganzen Nachahmung ist die sinnliche Vorstellung einer wichtigen moralischen Wahrheit, die aus der ganzen Fabel auch mittelmäßigen Lesern in die Augen leuchtet. Daß es nun mit den drey obgedachten Heldengedichten der Alten diese Bewandniß habe, das ist aus dem obigen schon abzunehmen: ich will also nur stückweise diejenigen Hauptpuncte durchgehen, die bey einem Heldengedichte zu beobachten sind. Es sind deren sechse; I. die Fabel, II. die Handlung, III. die Erzählung, IV. die Gemüthsbeschaffenheit der Personen, V. die Maschinen oder der Beystand der Gottheiten, VI. die Gedanken nebst der Schreibart. 20. §. Was die Fabel anlangt, so wissen wir bereits, daß selbige anfangs ganz allein erdacht werden muß, um eine moralische Wahrheit zu erläutern. Z.E. Ich wollte lehren, die Uneinigkeit sey sehr schädlich. Dieses auszuführen, dichte ich, daß etliche Personen sich mit einander verbunden gehabt, ein gemeinschaftliches Gut zu suchen; wegen einer vorgefallenen Mishälligkeit aber hätten sie sich getrennet, und hätten sich also ihrem Feinde selbst in die Hände geliefert, der sie einzeln gar leichtlich zu Grunde zu richten vermocht. Dieses ist die allgemeine Fabel, die der Natur nachahmet, allegorisch ist, und eine moralische Wahrheit in sich schließt. Homer, der ein Heldengedichte daraus zu machen willens war, that nichts mehr dabey, als daß er den Personen Namen gab, und zwar solche, die in Griechenland berühmt waren, und das ganze Land aufmerksam machen konnten. Denn er wollte nicht, wie ein Philosoph, in der Schule, von Tugenden und Lastern predigen; sondern seinem ganzen Vaterlande, allen seinen Mitbürgern, ein nützliches Buch in die Hände geben, daraus sie die Kunst lernen könnten, ihre gemeinschaftliche Wohlfahrt zu befördern. Die kleinen griechischen Staaten waren sehr uneins; und das rieb sie auf. Die nackte Wahrheit dorfte er ihnen nicht sagen; darum verkleidet er sie in eine Fabel. Der trojanische Krieg war noch in frischem Andenken, und hier fand er einen Agamemnon und Achilles, die miteinander uneins geworden: es sey nun, daß der Ruf solches bis auf seine Zeiten gebracht; oder, daß er es nur wahrscheinlicher Weise erdichtet hat. Er hebt an: Singe mir, Göttinn, ein Lied vom Zorne des Helden Achilles, Welcher dem griechischen Heere verderblich und schädlich geworden, Und so viel Geister der Helden ins Reich des Pluto gestürzet, Aber sie selbst den Hunden und Vögeln zur Speise gegeben. So geschah Jupiters Rath, seit dem Agamemnon, der König, Sich mit Achillen entzweyt. etc. 21. §. Um nun diese Wahrheit, als seine Absicht, recht begreiflich zu machen, mußte er zeigen, daß alles vorgefallene Unglück aus der Zwietracht entstanden wäre; und dieses gieng nicht besser an, als wenn er alle griechische Bundsgenossen anfänglich in der Zertrennung als unglücklich: hernach aber in der Vereinigung als glücklich und sieghaft vorstellete. Dieses thut er nun, indem er erzählet, daß die Griechen, in Abwesenheit des erzürnten Achilles, allezeit mit Verlust von den Trojanern zurück geschlagen worden; nach der Versöhnung dieses Helden aber, große Vortheile über ihre belagerte Feinde befochten hätten. Aber auch das war noch nicht genug. Er mußte uns auch die Ursachen der Uneinigkeit, und die Ursachen der erfolgten Aussöhnung, auf eine verständliche und wahrscheinliche Art entdecken, und also seine Fabel vollständig machen. Daher erzählet er, wie der Zorn Achills über einer schönen Sklavin, die ihm Agamemnon mit Gewalt nehmen lassen, entstanden sey: und wie endlich der Tod des Patroklus den erzürnten Helden wieder bewogen habe, sich mit den Seinigen zu vereinigen, und dieses Blut seines Freun des an dem Hektor zu rächen. Nunmehro fehlet im Anfange nur die Ursache, warum doch Agamemnon den Achilles auf eine so empfindliche Art beleidiget? Er hatte nämlich die schöne Tochter des Priesters Apollons, die ihm zu theil geworden war, zurück geben müssen, weil die Pest im Lager auf keine andere Art zu stillen war; und darauf hätte er keine andere Beyschläferinn haben gewollt, als die dem Achilles zugehörete, weil dieser auf die Wiedergebung der Chryseis am heftigsten gedrungen hatte. 22. §. Das heißt nun eine vollständige oder ganze Fabel machen, die ihren Anfang, ihr Mittel und ihr Ende hat; so daß nichts daran fehlet. Es ist aber nichts Ueberflüssiges darinn. Homer hat nicht den Anfang des trojanischen Krieges, vielweniger die Entführung der Helena, und noch vielweniger die Geburt dieser Prinzeßinn aus den Eyern der Leda erzählet: weswegen ihn Horaz mit Grunde gelobt hat. Dieses alles gehörte nicht zum Zorne Achills; ob es gleich auch vorhergegangen war, und zum voraus gesetzt werden mußte. Der Poet sieht diese Begebenheiten für was bekanntes an, wobey er sich nicht aufzuhalten Ursache hat, und geht auf seinen Zweck zu. Nichts destoweniger hat er nicht unterlassen, seine Hauptfabel mit verschiedenen kleinen Zwischenfabeln zu verlängern, die aber auch zum Verstande der hauptsächlichsten nöthig waren. Alle diese haben wiederum ihre besondere Nutzbarkeit, weil sie neue moralische Wahrheiten in sich fassen; und dadurch den Leser unterrichten. Z.E. Wenn Patroklus die Rüstung des Achilles anzieht, und seine Waffen ergreift: so fliehen die Trojaner schon vor ihm; weil sie glauben, es sey der rechte Achilles. Patroklus sollte damit zufrieden gewesen seyn; allein, er dringet gar zu scharf auf den Hektor ein, und nöthiget also denselben, es gewahr zu werden, daß er nicht der wahrhafte Achilles sey; bis er endlich gar das Leben darüber verlieret, und also die Strafe seines Trotzes empfindet. 23. §. Die Fabeln der Heldengedichte werden in pathetische und moralische eingetheilet. In jenen herrschet ein Affect, wie in der Ilias, und also können sie nicht so lange dauren. In der andern geht alles ruhiger her, also mögen sie auch etwas länger währen, wie die Odyssee und Aeneis. Denn die Dauer einer epischen Fabel hat keine so genau abgemessene Zeit als das Trauerspiel. Das macht, sie ist nur eine Erzählung, und wird nicht vorgestellet, sondern gelesen; welches alles in Schauspielen weit anders ist. Sonst werden sie auch in gemeine und verworrene getheilet. Von jenen giebt wiederum die Ilias ein Exempel, wo alles ohne Verstellung und Entdeckung der Personen vorgeht; die Zwischenfabel vom Patroklus ausgenommen. Aber von einer Verwirrung giebt wiederum die Odyssee ein Exempel, wo nicht nur eine Verstellung mit dem Ulysses geschieht, sondern auch ein Glückswechsel sowohl mit dem Ulysses, als mit den Buhlern seiner Gemahlinn vorgeht, indem seine Entdeckung zu gleicher Zeit geschieht, als man ihm den Bogen zu spannen giebt, und ein gewisses Merkmaal an ihm findet, daß er Ulysses sey. Doch hiervon muß in dem Capitel von der Comödie weitläuftiger gehandelt werden. Nach diesen Mustern nun muß ein jeder Poet, der ein Heldengedichte machen will, seine Fabel auch einrichten: das ist, er muß Wahrheit und Gedichte, Poesie und Philosophie, Nutzen und Lust mit einander zu vermischen wissen. 24. §. Zum andern müssen wir auch die Materie eines Heldengedichts, das ist, die Handlung betrachten. Die Morale ist nur die Absicht des Poeten, die er seinen Leser errathen läßt: das, was er deutlich heraus saget, ist die Heldenthat, die er hat loben wollen: z.E. die Rache des Achilles, die Rückkunft des Ulysses, die Ankunft des Aeneas in Italien. Aristoteles sagt ausdrücklich, es sey Μιμησις πραξεως, eine Nachahmung einer Handlung, und Horaz spricht: RES GESTAE, REGUMQUE DUCUMQUE & TRISTIA BELLA, QUO SCRIBI POSSENT NUMERO, MONSTRAUIT HOMERUS. Eine Handlung setzt allezeit jemanden voraus, der sie verrichtet: und das sind hier ausdrücklich die Großen der Welt, Könige und Fürsten, Helden und Kriegsobersten; ein Achilles und Agamemnon, ein Ulysses und Aeneas. Nach der obigen Regel, muß der Poet seine Handlung eher wissen, als den, der sie gethan: denn jene muß allein ausgedacht, und nur unter einem bekannten und berühmten Namen versteckt werden. Die Natur der Fabeln bringt solches mit sich, wie im IV. Capitel von den dreyen Arten der poetischen Nachahmung gewiesen worden. Aesopus sagt uns viel vom Wolfe, vom Schafe, vom Hunde, u.s.w. Nicht, als wenn er uns die Historien dieser Thiere bekannt machen wollte; sondern weil er uns unter ihren Bildern und Namen, gewisse allegorische Handlungen erzählen, und dadurch unterrichten will. Also ist denn die Handlung in einer Fabel wichtiger, als die Person, die sie unternimmt und ausführet. 25. §. Daher hat man denn allezeit diejenigen Dichter mit Grunde verdammet, welche nicht eine Handlung, sondern eine Person zur Materie ihrer Gedichte genommen haben. Aristoteles tadelt diejenigen, die eine THESEIS, HERACLEIS, und dergleichen gemacht, darinn sie den Theseus, Herkules, u.a.m. geschrieben hatten. Des Statius Achilleis gehört eben dahin, wie oben gedacht worden, weil er nicht eine Handlung des Achilles, sondern den ganzen Achilles darinn besungen hat. Wenn gleich die Odyssee vom Ulysses, und die Aeneis vom Aeneas den Namen hat: so zeigt doch der Inhalt zur Gnüge; daß es nicht Lebensläufe dieser Helden seyn sollen. Giebt doch auch Aesopus z.E. seiner Fabel den Namen: der Löwe und die Maus; ob er gleich nur eine einzige Handlung von diesen Thieren erzählt. 26. §. Es giebt aber diese Lehre von der Handlung auch diese Regel, was zu einem solchen Gedichte gehöret, und was nicht dazu gehöret. Alles, was nöthig ist, dieselbe recht zu begreifen, ihre Möglichkeit und ihre Wirkungen aus ihren Ursachen einzusehen, das muß mit in die Fabel kommen: alles übrige aber muß heraus bleiben. So bekömmt denn ein Gedicht seine gehörige Größe. Ein Stümper würde alles hineinflicken, was er im Vorrathe hätte, und demselben eine gewisse Schönheit zu geben schiene, wie Horaz sagt: PURPUREUS LATE QUI SPLENDEAT VNUS & ALTER ASSUITUR PANNUS. Allein das thut kein Meister. Aesopus würde auslachenswürdig seyn, wenn er von dem Wolfe, der eine Heerde in währender Uneinigkeit ihrer Hirten zerstreute, erzählet hätte: daß er sich einmal einen Dorn in den Fuß getreten hätte, und nach vielen Schmerzen allererst geheilet worden wäre. Das gehörte ja gar nicht zu der Handlung des Wolfes. Aber wenn etwa der Wolf in der Fabel von den Hunden ergriffen werden sollte; und wegen eines lahmen Fußes ihnen nicht hätte entgehen können: alsdann hätte Aesopus dergleichen Umstand gar wohl mit in die Fabel ziehen können. So hat es Homer mit dem Fusse des Ulysses gemacht, daran ihn seine Amme erkannt. Er erzählt, daß dieser Held einmal auf dem Berge Parnaß daran verletzet worden: aber warum? weil eben die Narbe dazu diente, daß man ihn daran erkannte, nachdem er so lange abwesend gewesen war. Eben so verhält sichs auch mit der verstellten Narrheit des Ulysses; wie Aristoteles solches selbst angemerkt und gebilliget hat. 27. §. Solche Kleinigkeiten nun, die von ohngefähr in einem Heldengedichte berühret werden, sind nicht die Materie eines Heldengedichtes selbst; sondern nur Nebendinge: die aber sehr genau mit etwas nothwendigem zusammen hängen, so, daß aus dem einen das andre nothwenig erfolgen muß. Ganz anders ist es mit den Zwischenfabeln beschaffen: diese müssen zwar mit der Hauptsache auch zusammen hängen, aber nicht so nothwendiger Weise. Der Poet hätte sie auch auslassen und andre an die Stelle setzen können. Z.E. die Fabel von der Circe oder Calypso in der Odyssee, hängt sehr wohl mit dem ganzen Gedichte zusammen; aber sie waren beyde nicht unentbehrlich. Ueberhaupt mußte zwar Ulysses, in seiner Abwesenheit von Hause irgendwo seyn: aber deswegen nicht gerade bey der Circe. Voltaire hat in seiner Henriade ein solch Episodium gemacht, als er Heinrich den IV. nach Engelland reisen läßt. Und im Virgil ist die ganze Geschicht von der Dido für nichts anders anzusehen. Aber wie schon sonst gedacht worden, so ist dieses eine fehlerhafte Zwischenfabel: weil es so unmöglich ist, daß diese beyde Personen einander hätten sprechen können; als wenn Voltaire Henrich den IV. die Königinn Anna hätte besuchen lassen, die damals noch nicht gebohren war. Was von dem Knoten einer Fabel, und zwar theils von der Verwickelung, theils von der Auflösung desselben zu sagen ist, das erspare ich ins folgende Capitel von Tragödien: weil es sich daselbst bequemer wird abhandeln lassen; ungeachtet es auch in den Heldengedichten, eben so wohl als dort, statt findet. 28. §. Das dritte, was wir an einem Heldengedichte zu betrachten haben, ist die Erzählung oder die Art, wie der Poet seine Fabel vorträgt. Man kann vergangene Sachen auf zweyerley Art zu verstehen geben. Einmal erzählt man schlechterdings mit eigenen Worten, was dieser und jener gethan oder gesagt, und begnügt sich, alles der Wahrheit gemäß, ordentlich, deutlich und zierlich vorzutragen. Und so machen es die Historienschreiber. Die Poesie aber ist mit dieser einfältigen Erzählung nicht zufrieden. Man weis, daß eine gar zu einträchtige Rede endlich die Leute einschläfert: daher sucht sie ihren Vortrag lebhafter zu machen, und die Einbildung ihrer Leser zu erhitzen. Sie weckt derowegen die Verstorbenen gleichsam auf, malt sie so deutlich ab, als wenn sie uns noch vor Augen stünden, ja läßt sie reden und handeln, wie sie bey ihrem Leben würden gethan haben. Dieses ist nun die poetische Art zu erzählen, die sonderlich in epischen Gedichten statt findet. Man sehe, was Plato im dritten Buche von der Republik, den Sokrates davon hat sagen lassen: denn dieser hat die Kunst Homers in seinem Erzählen vollkommen eingesehen. Sie heißen aber gleichwohl epische Gedichte, ob sie der Poet gleich so dramatisch, das ist, so wirksam machet, als es ihm möglich ist: weil doch allezeit der Poet darzwischen erzählet, und nur zuweilen an die Stelle seiner Personen tritt, und in ihrem Namen alles sagt. Und dadurch wird das epische Gedichte vom dramatischen unterschieden, als wo der Poet in seinem eigenen Namen gar nichts sagt; sondern alles von den aufgeführten Personen sagen und handeln läßt. 29. §. Ehe der Poet aber seine Erzählung anfängt, gehen einige Stücke vorher, die man folglich auch muß kennen lernen. Das erste ist der Name des Gedichtes; das andre der Vortrag seines Hauptsatzes, davon es handeln soll; das dritte aber die Anruffung der Musen. Einige möchten zwar noch die Zueignung des Gedichtes an einen Mecänaten zum vierten Stücke machen wollen; weil etwa Boileau in seinem Lutrin, Tasso in seinem Gottfried, und selbst Virgil in seinen Büchern vom Feldbaue dergleichen gethan. Allein Homer hat dergleichen nicht gemacht, Virgil in seiner Aeneis auch nicht: und also ist dieses kein unentbehrliches Stück eines Heldengedichtes. Wir wollen jene drey nach der Ordnung betrachten. 30. §. Weil das Heldengedichte eine Fabel ist; so taufet es ein Poet nicht anders, als Aesopus die Seinigen getaufet hat. Er nennet sie aber allezeit nach dem Namen der Thiere, die darinn vorkommen: z.E. der Wolf und das Schaaf; die Stadtmaus und Feldmaus u.d.gl. Eben so machte es Homer mit seiner Odyssee, und Virgil mit seiner Aeneis. Jene hat vom Ulysses, und diese vom Aeneas ihren Namen: der Unterscheid besteht nur darinn, daß dort zwey, auch wohl gar drey Namen, das ist, alle darinn vorkommende Personen genennet werden; hier aber nur eine einzige, und zwar die hauptsächlichste genennet wird. Das geht aber nicht anders an, weil dort so wenige, hierinn aber so viele vorkommen, die man unmöglich alle nennen konnte. Hat aber Homer seine Ilias nicht eine Achilleis von der Hauptperson, sondern eine Ilias von dem Orte genennt: so ist sonder Zweifel die Ursache, daß Achilles fast in dem ganzen Gedichte müßig ist; und also von ihm sehr wenig zu erzählen vorfällt. Es sind aber neben ihm der Helden, die ihm an Würde noch überlegen sind, und denen er von rechtswegen gehorchen sollte, so viele, daß man ihn fast darunter verlieren könnte. Nach seiner Aussöhnung wird er allererst wirksam und thätig; da aber das Gedichte bald zum Ende ist. Homer hat also mit Recht ein Bedenken getragen, den Namen eines Helden über sein Gedicht zu setzen, von dem am wenigsten darinn vorkömmt, und von dem nicht viel erzählet werden konnte: weil er nur dessen Zorn und Enthaltung vom Streite, nicht aber seine Tapferkeit besingen wollte. Tasso ist dem erstern Exempel gefolgt, weil er sein Gedicht nach dem Heerführer der Armee, Gottfried von Bouillon, Gottfried nennt. Voltaire hat es auch so gemacht: denn da die erste Auflage LA LIGUE hieß, so hat er die andre lieber HENRIADE nennen wollen. Der PUCELLE D'ORLEANS, und unsers Ottoberts und Wittekinds voritzo nicht zu gedenken. 31. §. Der Vortrag ist nichts anders, als eine kurzgefaßte Anzeigung von demjenigen, was der Poet zu erzählen, willens ist. Da nun die Handlung der Fabel dasjenige ist, was die Materie oder den Innhalt des Gedichtes ausmacht; so muß er auch dieselbe namhaft machen. So machts Homer: er sagt: ich besinge den Zorn Achills, der so verderblich für die Griechen gewesen. Nun scheint zwar der Zorn keine Handlung, sondern eine Leidenschaft gewesen zu seyn: allein Achilles zürnte aus Rachgier, weil er wohl wußte, daß man ohne ihn nichts ausrichten würde. Und also war seine Leidenschaft von so großer Wirkung, als die eifrigste Handlung. In der Odyssee sagt der Poet zwar, er wolle von einem Manne singen: allein er setzt gleich hinzu, daß es ein solcher sey, der sehr viel erlitten habe, als er in sein Land zurücke kehren wollen. Virgil hat es nicht viel anders gemacht, und also darf man sich dabey nicht aufhalten. Man merke nur, daß dieser Vortrag auf keine pralerische und hochtrabende Art geschehen muß. Horaz verbiethet solches ausdrücklich: NEC SIC INCIPIES, VT SCRIPTOR CYCLICUS OLIM: FORTUNAM PRIAMI CANTABO ET NOBILE BELLUM! QUID DIGNUM TANTO FERET HIC PROMISSOR HIATU? PARTURIUNT MONTES, NASCETUR RIDICULUS MUS. Er lobt dagegen den Homer, daß er seinen Vortrag in der Odyssee so bescheiden gemacht, als es möglich gewesen. Lucan ist in diesem Stücke auch zu tadeln, weil er einen überaus schwülstigen Anfang zu seiner Pharsale gemacht hat. Und was würde Horaz gesagt haben, wenn er des Statius Achilleis hätte lesen sollen, deren Anfang schon im vorigen angeführet worden? Virgil hergegen ist in die Fußtapfen Homers getreten, und hat kein so großes Geschrey gemacht. 32. §. Nun folgt endlich die Anrufung der Musen, oder sonst einer Gottheit. Homer hat dieselbe gleich mit seinem Vortrage vermischet, Virgil aber besonders gemacht. Jener sagt nicht, daß er die Thaten seiner Helden erzählen wolle; sondern er bittet die Muse, solches zu thun. Dieser verspricht es zwar für sich zu thun, bittet aber die Musen bald, ihn solches zu lehren. Dem sey nun, wie ihm wolle, die Anruffung muß nicht vergessen werden: weil in einem solchen Gedichte Dinge vorkommen, die der Dichter wahrscheinlicher Weise, ohne die Eingebung einer Gottheit, nicht wissen könnte. Er setzt sich auch dergestalt durch seine Gottesfurcht bey seinem Leser in ein gutes Ansehen; ja er bringt ihn in eine Verwunderung, und macht ihn begierig, dergleichen hohe Sachen zu vernehmen. Was für Fehler hiebey pflegen begangen zu werden, das ist im fünften Capitel des ersten Theils schon ausführlich erinnert worden. Ich eile zur Erzählung selbst. 33. §. Diese ist der eigentliche Körper des ganzen Gedichtes; und muß also ganz besondre Eigenschaf ten haben. Fürs erste muß die Erzählung einer epischen Fabel angenehm seyn: denn sie muß gleichsam den Zucker abgeben, der die vorkommenden Wahrheiten versüsset. Wir wissen, daß alles angenehm ist, was gewisse Schönheiten an sich hat: folglich muß die Erzählung eines Heldengedichts alle Schönheiten der poetischen Schreibart an sich haben, davon im ersten Theile schon gehandelt worden. Es können aber auch die Personen und Sachen angenehm seyn, von welchen man etwas erzählt: jene gefallen uns alsdann, wenn sie gewisse Charactere haben, und so zu reden leben. Alles muß in einem Heldengedichte Sitten haben, sagt Aristoteles; das ist, es muß eine gewisse Gemüthsart zeigen. Der Poet macht es wie die Maler, die ihren Figuren dadurch ein großes Leben zu ertheilen wissen. Die Sachen an sich müssen wunderbar und merkwürdig seyn; davon auch schon im fünften Capitel gehandelt worden. Eine Erzählung, der alle diese Stücke fehlen, ist kalt und verdrüßlich. II. Muß die Erzählung wahrscheinlich seyn. Oft ist die Wahrheit selbst unwahrscheinlich; und oft ist hergegen die Unwahrheit, ja selbst das Unmöglich sehr wahrscheinlich. Der Poet will mit seiner Fabel Glauben finden: also muß er lieber wahrscheinliche Dinge erzählen, gesetzt, daß sie nicht wahr wären; als die Wahrheit sagen, wenn man sie nicht glauben würde. Doch auch davon habe ich schon im sechsten Capitel gehandelt. III. Muß die poetische Erzählung wunderbar seyn. Die allergemeinsten Sachen sind die wahrscheinlichsten; allein diese erwecken keine Bewunderung: das Außerordentliche und Ungewöhnliche thut es weit besser. Das Unmöglich hingegen, oder was wir zum wenigsten allezeit dafür gehalten haben, kann solches gar nicht thun; man mag es uns so schön erzählen, als man will. Es ist also eine große Kunst, das Wahrscheinliche mit dem Wunderbaren geschickt zu verbinden. IV. Muß die epische Erzählung auch beweglich seyn. Eine schläfrige Historie hat keine Anmuth: die lebhafte Schreibart des Poeten, voller Figuren und Affecten, die bezaubert und entzücket den Leser dergestalt; daß Horaz die Poeten, welche die Kunst verstehen, mit den Hexenmeistern vergleicht, die ihn erschrecken, besänftigen und aufbringen können. Und in der That wollen die menschlichen Affecten ohne Unterlaß gerührt seyn: denn eine angenehme Unruhe ist besser, als eine gar zu einträchtige Stille, worinn nichts veränderliches vorkömmt. Endlich muß V. die Erzählung auch dramatisch oder wirksam seyn; das ist, es müssen viel redende Personen eingeführt werden. So oft es dem Poeten möglich ist, muß er einen andern seine Rolle spielen lassen; und sich dadurch der Tragödie, so viel als ihm möglich ist, zu nähern suchen: wie dieses abermal Plato in der oben angezogenen Stelle sehr schön angemerket hat. 34. §. Es darf aber der Poet in seinen Erzählungen nicht immer der Zeitordnung folgen; sondern auch zuweilen mitten in einer Begebenheit etwas nachholen, was lange zuvor geschehen ist: wie es Virgil mit der Eroberung der Stadt Troja gemacht hat. Die Länge der Erzählung in einem Heldengedichte kann nicht größer seyn, als ein halbes Jahr. Homers Ilias dauret nicht länger als 47. Tage, wie Aristoteles selbst angemerket hat. Seine Odyssee währet nur 58. Tage, wie der Pater le Bossu solches nachgezählet hat: und also bedörfen beyde Gedichte noch nicht einmal zwey Monate zu ihrer Dauer. Vom Virgil hat man sonst gemeiniglich dafür gehalten, sein Gedichte daurete ein Jahr und etliche Monate. Allein eben dieser geschickte Kunstrichter hat es sehr wahrscheinlich erwiesen, daß auch die Aeneis nur einen Sommer und einen Herbst in sich begreife; in welcher Zeit Aeneas aus Sicilien nach Africa, von da wieder zurück nach Sicilien, endlich aber nach Italien geschiffet, und durch den Sieg über den Turnus zur Ruhe gekommen. Man muß ihn selbst deswegen nachschlagen, um davon überführet zu werden. 35. §. Zum V. kommen wir auf die Charactere der Personen in einem Heldengedichte, die von den Alten die Sitten genennet werden. Man versteht aber nichts anders dadurch, als die ganze Gemüthsart eines Menschen, seine natürliche Neigungen, seine angenommene Gewohnheit, und alles, was daraus entsteht; das sind seine Unternehmungen und Handlungen. Man theilt diese Charactere in gute und schlimme ein; weil sie theils tugendhaft, theils lasterhaft sind: zuweilen scheinet es auch, als ob es eine gleichgültige oder mittlere Art derselben gäbe, die weder gut noch böse sind. Hier muß ein Poet die Morale verstehen, daß er die Tugend vom Laster, und wiederum die Scheintugend von der wahren zu unterscheiden wisse. Man muß hier auch die bloßen Eigenschaften der Menschen, z.E. die Wissenschaft, Klugheit, Erfahrung, Beredsamkeit, Stärke, Unerschrockenheit u.s.w. mit wahren Tugenden nicht vermischen. Jene kann sowohl ein Lasterhafter als ein Tugendharter besitzen; denn sie ändern eigentlich das Herz nicht. Gewisse Tugenden oder Laster zeigen sich nur in gewissen Gelegenheiten; als z.E. die Gnade, das Mitleiden, die Liebe, die Rachgier: andere aber leuchten überall hervor; wie des Achilles Gewaltthätigkeit, des Ulysses Verschlagenheit, des Aeneas Frömmigkeit. Und diese letztere Gemüthsarten sind eigentlich dasjenige, was man Charactere nennet. 36. §. Alles trägt zur Gemüthsart eines Menschen etwas bey; die Natur und ihr Urheber, das Land, da man gebohren ist, die Aeltern und Vorfahren, das Geschlecht und Alter, das Vermögen und der Stand, die Auferziehung, die Zeiten, darinn man lebt, die Glücks- und Unglücksfälle, die Personen, mit denen man umgeht, u.a.m. Dieses alles, sage ich, hilft die Neigungen und Sitten der Menschen bilden. Wenn also ein Poet die Gemüthsart seiner Helden wahrscheinlich machen will: so muß er aus dergleichen Ursachen dem Leser begreiflich machen, wie und warum dieser oder jener Held diesen und keinen andern Character gehabt? So hat es Virgil mit dem Aeneas gemacht, wie Bossu nach der Länge erweiset. Wie aber dieses bey den Hauptpersonen nöthig ist; also versteht sichs, daß es nicht bey allen übrigen angeht, die gleichwohl auch ihre Charactere haben müssen: wie die Exempel der Dido, des Turnus, des Mezentius u.d.gl. erweisen. Wenn aber eine Person einmal diesen oder jenen Character bekommen hat, so muß sie dabey bleiben, und niemals dawider handeln. 37. §. Dieses ist nun die große Kunst, die uns Horaz so sorgfältig eingeschärfet hat: INTERERIT MULTUM, DAUUSNE LOQUATUR AN HEROS, MATURUSNE SENEX, AN ADHUC FLORENTE IUNENTA FERUIDUS; AN MATRONA POTENS, AN SEDULA NUTRIX; MERCATORNE VAGUS, CULTORNE VIRENTIS AGELLI; COLCHUS AN ASSYRIUS; THEBIS NUTRITUS, AN ARGIS. AUT FAMAM SEQUERE, AUT SIBI CONUENIENTIA FINGE. Und hernach lehrt er ausdrücklich, wie man einen Achilles, einen Ixion, einen Orestes, eine Medea, eine Ino und eine Io, characterisiren solle. Daher kann man denn aus dem einmal bekannten Charactere einer Person sogleich wissen, was sie in diesen oder jenen Umständen thun oder lassen werde. Z.E. Aeneas wird uns in dem ersten Buche als sehr gottesfürchtig vorgestellt: und hernach reizt ihn Dido, wider den Befehl Jupiters, in Africa zu bleiben. Hier denkt man nun gleich, daß der fromme Held solches nicht thun werde: und siehe, er thut es auch wirklich nicht; welches eben die Schönheit wohlbeobachteter Charactere ist. Ja dieser fromme Character herrschet im ganzen Gedichte, in allen Umständen, die ihm begegnen. Er selbst bequemet sich nie der Gemüthsart eines andern; sondern geht unverrückt seinen Weg fort: alle andere Personen hergegen müssen sich oft nach ihm richten, und dieses ist der Vorzug, den die Hauptperson einer Fabel vor allen andern Nebenpersonen haben muß; daß nämlich das ganze Gedicht sich nach seiner Art richten, nicht aber hin und her ausschweifen müsse. Claudian in seinem RAPTU PROSERPINAE hat diese Regel ganz und gar nicht beobachtet: weil er bald die schrecklichsten, bald die angenehmsten Dinge von der Welt, durcheinander gemischet hat. 38. §. Zum VI. kommen wir auf die Erscheinungen und den Beystand der Götter, welche Dinge man auf der Schaubühne Maschinen zu nennen pflegt. Weil in dem Heldengedichte alles wunderbar klingen soll, so müssen nicht nur gewöhnliche Personen; sondern auch ungewöhnliche darinnen aufgeführt werden. Dieses sind nun die Gottheiten und Geister, die der Poet allegorischer Weise dichten, und ihnen eben sowohl, als den Menschen, gewisse Charactere geben muß. So muß bey den Alten Jupiter die Allmacht, Minerva die Weisheit, das Verhängniß aber den unveränderlichen Willen Gottes vorstellen u.s.w. Im zehnten Buche der Aeneis stellt Virgil in einem Götterrathe auch die Juno, als die Gerechtigkeit, und die Venus, als die liebreiche Barmherzigkeit Gottes vor. Sind diese heidnische Gottheiten bisweilen einander zuwider; so bequemet sich hierinn der Poet unsern schwachen Begriffen, die sich auch auf die göttlichen Eigenschaften zuweilen als widerwärtig vorstellen. Wollen wir einen Beweis davon, so dörfen wir nur die Furien betrachten, die Jupiter dem Turnus zuschickt. Was glaubten nun die klugen Römer von den Furien? Cicero hat es in einer öffentlichen Rede wider den Piso gesagt: nämlich so viel als nichts. 1 Kann man nun die Götter Homers nicht allezeit auf diese allegorische Art, wegen ihrer Charactere entschuldigen: so kann man doch die Fehler, die er begangen haben möchte, leicht auf die Grobheit seiner Zeiten schieben. Virgil hat schon gesundere Begriffe von der Gottheit haben können, und daher sind auch seine Charactere von den göttlichen Personen viel besser eingerichtet. 39. §. Ein Poet muß aber die Götter nicht ohne Noth in seine Fabeln mischen, wie Horaz ausdrücklich erinnert hat. NEC DEUS INTERSIT, NISI DIGNUS VINDICE NODUS INCIDERIT. Homer könnte hier leicht der Sache zu viel gethan haben, weil seine Götter überall mit dabey sind. Tasso, Marino und Milton haben die Engel und Teufel, in ihren Gedichten, anstatt der alten Götter eingeführt. Hat nun Boileau jenen in seiner Dichtkunst deswegen getadelt, so dörfen wir diesen auch nicht schonen, zumal da er es auf eine so unvernünftige Weise gethan hat. In der That ist es weit besser, allegorische Gottheiten zu dichten: als zum Exempel die Zwietracht, die Politik, die Gottesfurcht und dergleichen, die Boileau in dem Lutrin eingeführet hat; derer zu geschweigen, die im Voltaire auf eben die Art vorkommen. Im übrigen gilt hier eben das, was oben von den menschlichen Charactern gesagt worden. 40. §. Endlich und zum VII. kommen wir auf den poetischen Ausdruck, oder auf die Schreibart eines Heldengedichtes. Wir wissen, daß die Schreibart überhaupt nur ein Vortrag unserer Gedanken ist; und folglich gehen wir hier auch auf die Art zu denken, die in einem Heldengedichte statt findet. Viele bilden sich ein, die Schönheit der Epopee bestehe in schönen Worten und Redensarten, in künstlichen Gedanken, in vielen Gegensätzen, in langen Beschreibungen, in vielen Gleichnissen und hohen Metaphoren, die nicht ein jeder verstehen kann. Ein Gedichte derowegen, das so aussieht, wie Lucan oder Claudian, das dünkt ihnen ein Meisterstück zu seyn: Virgil kömmt ihnen hergegen ganz wässerigt und frostig vor. Und wenn man sie fragt, warum sie jene Poeten so lieben? so verweisen sie uns auf etliche hochtrabende, aber nach ihrer Meynung scharfsinnige Stellen, die sie bewundern. Schreiben sie nun selber etwas, so suchen sie auch, in einzelnen Zeilen, lauter solche gesammlete Blumen und Edelgesteine anzubringen. Ueberall ist was künstliches, was gleißendes, was blendendes: nur überhaupt taugt das ganze Gedicht nichts. 41. §. Das ist nun nicht die Schreibart, die sich für ein Heldengedichte schickt. Der Poet erzählt eine Fabel, seine Leser zu lehren und zu bessern: er muß sich also theils in ihren Verstand, theils in ihren Willen schicken. Jenen zu unterrichten, muß er sich einer ungezwungenen, aber doch reinen, deutlichen und zierlichen Art zu erzählen bedienen: wie wir in dem Capitel von der Schreibart gewiesen haben. Den Willen aber zu gewinnen und die Affecten zu rühren, muß er die pathetische Schreibart gebrauchen, wenn er nämlich Leute, die im Affecte sind, redend einführet. Der Poet muß sich selber vergessen, und nur auf seine Fabel, auf seine Personen und Handlungen, auf ihre Wahrscheinlichkeit und anmuthige Nutzbarkeit sehen. Er muß es sich nicht anders merken lassen, daß er viel Witz und Scharfsinnigkeit besitzet; als dadurch, daß er seine Leser in der Aufmerksamkeit erhält, sie von einer Begebenheit auf die andere, von einem Wunder aufs andre, von einer Gemüthsbewegung auf die andre leitet; sie bald nach Troja, bald nach Africa, bald in den Himmel, bald in die Hölle führet. Wer das kann, der wird für das Lob der Scharfsinnigkeit nicht sorgen dürfen. Wer aber nur auf die Spitzfündigkeit in Worten und Redensarten, auf künstliche Einfälle und anderes Flittergold sieht, der weichet von der Einfalt der Natur ab, darinn ihm Homer und Virgil in ihrer Schreibart vorgegangen sind. Hierinn ist sonderlich Marino nebst andern von dem Schlage zu tadeln. Tasso selbst, der doch unter seinen Landesleuten noch am vernünftigsten schreibt, ist von dem Voltaire, wegen seiner italienischen Künsteleyen in der Schreibart, mit Grunde getadelt worden. Und was wird man also von den übrigen sagen, die lauter AMPULLAS und SESQUIPEDALIA VERBA zusammen geraffet und ihre Gedichte damit ausstaffiret haben? Wer ausführlichere Regeln von dem allen verlanget, der muß den oft angezogenen Tractat vom LE BOSSU nachschlagen. Fußnoten 1 NOLITE PUTARE, VT IN SCENA VIDETIS, HOMINES SCELERATOS IMPULSU DEORUM TERRERI FURIARUM TAEDIS ARDENTTBUS. SUA QUEMQUE FRAUS, SUUM SCELUS, SUA AUDACIA DE SANITATE ET MENTE DETURBAT. HAE SUNT IMPIORUM FURIAE, HAE FLAMMAE, HAE FACES. Das 10. Capitel Das X. Capitel. Von Tragödien oder Trauerspielen. 1. §. Wie vorzeiten die ganze Poesie mit der Musik vereinbaret gewesen: also hat auch die Tragödie ihren Ursprung aus gewissen Liedern, die dem Bacchus zu Ehren gesungen worden. Es traten an Festtagen etliche Sänger zusammen, die ein ganzes Chor ausmachten, diese spielten, tanzten und sungen nach Art der heidnischen Religion, dem Weingotte dadurch seinen Gottesdienst zu leisten. Wie sie aber gemeiniglich, sowohl als die Zuhörer, ein Räuschchen hatten: also waren auch ihre Lieder so ernsthaft nicht; sondern es liefen allerley Possen mit unter. Jemehr man sich in solchen Gesängen übte, je weiter brachte mans darinn: und desto lieber hörte man auch solchen Sängern zu. Daher kam es nun, daß sich ihre Zahl vermehrte; und daß es eine Bande der andern zuvor zu thun suchte. Sie giengen wohl gar einen Wettstreit darüber ein, und der Preis war nach der alten Art schon groß genug, wenn man dem besten Sänger einen Bock zum Gewinnste zuerkannte. Ein Bock heißt auf griechisch Τράγος, und ein Lied ὠδή; daher kömmt das Wort Tragödie, ein Bocklied, wie solches theils Aristoteles in seiner Poetik, theils Horaz in seiner Dichtkunst bezeuget, wenn er den Thespis so beschreibt: CARMINE QUI TRAGICO VILEM CERTAUIT OB HIRCUM. 2. §. Man ward aber des beständigen Singens mit der Zeit überdrüßig, und sehnte sich nach einer Veränderung. Thespis, der mit seinen Sängern in Griechenland von einem Orte zum andern herumzog, erdachte etwas neues, als er die Lieder in Theile absonderte, und zwischen zweyen und zweyen allemal eine Person auftreten ließ, die etwas ungesungen erzählen mußte. Mehrerer Bequemlichkeit halber machte er seinen Wagen zur Schaubühne; indem er Bretter darüber legte, und seine Leute droben singen und spielen ließ, damit sie desto besser zu sehen und zu hören seyn möchten. Damit man aber dieselben nicht erkennen könnte; so salbte er ihnen die Gesichter mit Hefen, welche ihnen anstatt der Larven dienen mußten. Um dieser Veränderung halber wird Thespis für den Erfinder der Tragödie gehalten. Allein das war in der That nur noch ein schlechter Anfang dazu. Aeschylus nämlich, ein neuerer Poet, sah wohl, daß auch die Erzählungen einzelner Personen, die man zwischen die Lieder einschaltete, noch nicht so angenehm wären; als wenn ein paar Personen mit einander sprächen, darinn sich mehr Mannigfaltigkeit und Veränderung würde anbringen lassen: und da ihm solches nach Wunsche ausschlug; so dachte er auch auf mehrere Zierrathe seiner Tragödien. Er erfand die Larven, gab seinen Leuten ehrbare Kleidungen, und bauete sich eine bessere Schaubühne: ja, welches das merkwürdigste war, so machte Aeschylus, daß die Gespräche seiner auftretenden Personen mit einander zusammen hingen. Kurz, er erfand zuerst die Idee der Hauptperson in einem solchen Spiele, welches vorher nur ein verwirrtes Wesen ohne Verknüpfung und Ordnung gewesen war. Das bezeugt abermal Aristoteles in seinem IV. Capitel, und Horaz in folgenden Worten: IGNOTUM TRAGICAE GENUS INUENISSE CAMOENAE DICITUR, ET PLAUSTRIS VEXISSE POEMATA THESPIS: QUAE CANERENT AGERENTQUE PERUNCTI FAECIBUS ORA. POST HUNC PERSONAE ET PALLAE REPERTOR HONESTAE AESCHYLUS, ET MODICIS INSTRAUIT PULPITA TIGNIS, ET DOCUTT MAGNUMQUE LOQUI, NITIQUE COTHURNO. 3. §. Dieser letzte Vers zeigt noch an, daß man auch um diese Zeit die hohe Schreibart in die Tragödie eingeführet habe: denn vorher war ihr Vortrag voller Zoten und gemeinen Possen gewesen; so, wie auch ihr Inhalt ganz satirisch war. Die Poeten hatten sich hierinn nach den Zuschauern gerichtet, die in ihrer ersten Grobheit an etwas ernsthaftem noch keinen Geschmack finden konnten; sondern nur allezeit lachen wollten. Allmählig aber fanden sich auch verständigere Zuschauer, die an den gewöhnlichen Fratzen ein Misfallen hatten, und lieber etwas kluges sehen wollten. In dieser Verfassung nun erhielt Euripides die Schaubühne, Sophokles aber brachte sie noch zu größerer Vollkommenheit. Er stellte anstatt der vorigen zwo Personen, nach Gelegenheit, auch wohl drey zugleich auf, die mit einander sprechen mußten, und erfand noch bessere Verzierungen für die Bühne; dadurch die Augen der Leute mehr gefüllet wurden. Ja, er richtete auch die Lieder des Chores, die allezeit zwischen jeder Handlung gesungen wurden, so ein, daß sie sich mit zu der Tragödie schicken mußten: da sie vorher von ganz andern, mehrentheils lustigen Materien zu handeln pflegten. Vor Alters hatte man die vierfüßigen jambischen Verse, die sehr bequem zum Singen waren, und so zu reden recht zum Sprunge giengen, gebraucht; nachmals aber wurden die sechsfüßigen jambischen eingeführt: eben so, wie es bey uns Deutschen gegangen, wo man vor Opitzen lauter vierfüßige Verse zu Comödien gebraucht hat, wie aus Hans Sachsen und andern zu ersehen ist. 4. §. Aus dem allen erhellet nun wohl zur Gnüge, daß die Tragödie in ihrem Ursprunge ganz was anders gewesen ist, als was sie hernach geworden. Aus den abgeschmacktesten Liedern besoffener Bauern, ist das ernsthafteste und beweglichste Stücke entstanden, welches die ganze Poesie aufzuweisen hat. Was vorhin ein Nebenwerk war, und von den Griechen Episodium genennet wurde, nämlich die eingeschalteten Erzählungen und Gespräche, zwischen den Liedern; das ist hernach das Hauptwerk geworden. Das vorige satirische Scherzen hat sich in ein recht prächtiges und lehrreiches Wesen verwandelt; so, daß sich die ansehnlichsten Leute nicht mehr schämen dorften, Zuschauer solcher Schauspiele abzugeben. Die Athenienser wurden auch dergestalt darauf erpicht, daß sie sich fast eine Schuldigkeit daraus machten, die Tragödien zu besuchen. Ja, weil sich die Poeten in allen Stücken der Religion bequemeten, und die vortrefflichsten Sittenlehren und Tugendsprüche darinn häufig einstreueten: so wurde diese Art von Schauspielen eine Art des Gottesdienstes; die auch in der That für das Volk viel erbaulicher war, als alle die Opfer und übrigen Ceremonien des Heidenthums. Dazu trug nun hauptsächlich der Chor viel bey, der allezeit in seinen Liedern solche moralische Betrachtungen, Gebethe und Lobgesänge anstimmete, die sich zu der unmittelbar vorhergehenden Handlung schicketen. Diese lernte man damals gar auswendig, und pflegte sie im gemeinen Leben als Lehrsätze und Denksprüche bey Gelegenheit anzubringen; so, wie wir itzo die Schrift, und unsre geistliche Lieder anzuziehen pflegen. 5. §. Bey den Griechen war also, selbst dem Urtheile des Aristoteles, die Tragödie zu ihrer Vollkommenheit gebracht; und konnte in diesem ihrem Zustande gar wohl ein Trauerspiel heißen: weil sie zu ihrer Absicht hatte, durch die Unglücksfälle der Großen, Traurigkeit, Schrecken, Mitleiden und Bewunderung bey den Zuschauern zu erwecken. Aristoteles beschreibt sie derowegen, als eine Nachahmung einer Handlung, dadurch sich eine vornehme Person harte und unvermuthete Unglücksfälle zuzieht. Der Poet will also durch die Fabeln Wahrheiten lehren, und die Zuschauer, durch den Anblick solcher schweren Fälle der Großen dieser Welt, zu ihren eigenen Trübsalen vorbereiten. Z.E. Oedipus, eins der berühmtesten Trauerspiele des Sophokles, stellt das klägliche Ende vor, welches dieser thebanische König um seiner abscheulichen Thaten halber, genommen; wiewohl er fast ohne seine Schuld darein gefallen war. Und das will eben Aristoteles haben, wenn er sagt, die Helden einer Tragödie müßten weder recht schlimm, noch recht gut seyn: nicht recht schlimm, weil man sonst mit ihrem Unglücke kein Mitleiden haben, sondern sich darüber freuen würde; aber auch nicht recht gut, weil man sonst die Vorsehung leicht einer Ungerechtigkeit beschuldigen könnte, wenn sie unschuldige Leute so hart gestrafet hätte. So war nun Oedipus beschaffen. Als ihm das Orakel in seiner Jugend antwortete: Er würde seinen Vater erschlagen, und mit seiner Mutter Blutschande treiben: so hatte er einen solchen Abscheu vor diesen Lastern, daß er Corinth verließ, wo er als königlicher Prinz erzogen war, und sich also der Krone begab, die er zu hoffen hatte; bloß weil er den Mord an seinem Vater, und die Unzucht mit seiner Mutter zu begehen, fürchtete. Da er aber in Griechenland als ein Flüchtiger, herum schweifete, und ihm in einem schmalen Wege sein rechter Vater, Lajus, begegnete, der ihn in seiner Kindheit zu tödten befohlen hatte, und nicht wußte, daß es sein Sohn wäre; gleichwie er es nicht wissen konnte, daß Lajus sein Vater wäre: so griff er allein, den König nebst seinen Leuten an, und ermordete dieselben, bis auf einen, der ihm entlief. 6. §. Hier ist nun Oedipus zwar strafbar, daß er so hitzig, gewaltsam und eigensinnig gewesen: gleich wohl ist es seine Meynung nicht, einen Vatermord zu begehen; als welchen zu vermeiden, er seine vermeynte Vaterstadt verlassen hatte. Als er nachmals die Jokasta heyrathet, ja etliche Kinder mit ihr zeuget; ist er abermals mehr unglücklich als lasterhaft: weil er es nicht weis, daß es seine Mutter ist, auch nach seinen Umständen es nicht wissen kann; bis es nach etlichen Jahren, und zwar in eben dieser Tragödie, wunderlich ans Licht kömmt. Wer hier sagen wollte, daß Oedipus ganz unschuldig oder ganz schuldig wäre, der würde in beydem irren. Er ist so, wie die Menschen insgemein zu seyn pflegen, das ist, von mittlerer Gattung; er hat gewisse Tugenden, auch gewisse Laster an sich: und doch stürzen ihn bloß die letzten ins Unglück. Denn hätte er nur niemanden erschlagen, so wäre alles übrige nicht erfolget. Er hätte sich aber billig vor allen Todtschlägen hüten sollen: nachdem ihm das Orakel eine so deutliche Weissagung gegeben hatte. Denn er sollte billig allezeit gedacht haben: Wie? wenn dieß etwa mein Vater wäre! Da er nun also beschaffen ist; so wird dadurch die Tragödie den allermeisten Zuschauern erbaulich: weil nämlich die meisten von eben der Art sind, als er; das ist, weder recht gut, noch recht böse. Man hat einestheils Mitleiden mit ihm: anderntheils aber bewundert man die göttliche Rache, die gar kein Laster ungestraft läßt. 7. §. Nach diesem allgemeinen Vorschmacke von der Tragödie wollen wir sie noch etwas genauer betrachten. Aeußerlichem Ansehen nach, konnte sie bey den Alten in zweyerley Stücke eingetheilet werden: nämlich in das, was von dem Chore gesungen, und in das, was nur schlechtweg gesprochen wurde. Der musikalische Theil bestund aus Oden, und die Sänger derselben hießen alle zusammen der Chor. Dieser bestund nach Beschaffenheit der Umstände, bald aus einer guten Anzahl von Weibern oder Männern, welche die Bürger einer Stadt vorstelleten; bald aus einer Schaar von Priestern und Aeltesten des Volks; bald aus einer Menge von Jungfrauen; bald aus einem Schwarme höllischer Furien, u. s w. Diese Leute nun fanden sich gleich in der ersten Handlung auf der Schaubühne ein, und behielten ihren Platz bis ans Ende des ganzen Spieles. Sie vertraten daselbst die Stelle der Zuschauer, die bey der Handlung, die man spielete, zugegen gewesen seyn konnten, als sie wirklich geschehen war. Denn das muß man wissen, daß die wichtigsten Handlungen der alten griechischen und morgenländischen Fürsten nicht zwischen vier Wänden, sondern öffentlich, vor ihren Pallästen, oder auf den Märkten ihrer Städte vorgiengen. Da war nun allezeit eine Menge von Zuschauern zugegen, die an dem Thun und Lassen ihrer Könige Theil nahmen; auch wohl nach Gelegenheit ihre Meynung davon sagten, gute Anschläge gaben, oder sonst ihre Betrachtungen drüber anstelleten. Da nun die Poeten die ganze Natur solcher öffentlichen Handlungen vorstellen wollten und sollten; so mußten sie auch Zuschauer derselben auf die Bühne bringen: und das war denn der Chor. 8. §. Man muß aber wissen, daß dieser Chor nicht nur zum Singen, sondern auch sonst, als eine spielende Person, mit gebraucht worden. Denn der Coryphäus oder Führer desselben, redete im Namen aller übrigen, so gut als eine andere Person, darzwischen. Das heißt beym Horaz: ACTORIS PARTES CHORUS, OFFICIUMQUE VIRILE DEFENDAT; NEU QUID MEDIOS INTERCINAT ACTUS, QUOD NON PROPOSITO CONDUCAT & HAEREAT APTE ETC. Doch war freylich wohl das Singen die vornehmste Pflicht des Chores, welches zu vier verschiedenen malen, nämlich zwischen allen fünf Aufzügen geschah. Denn im Anfange und am Ende der Tragödie sang er nicht; sondern es traten sogleich die spielenden Personen hervor, machten auch mit ihrer Handlung den Beschluß: wo nicht irgend der Chor, doch ohne Gesang, das letzte Wort behielt; indem er eine erbauliche Betrachtung, oder Nutzanwendung über das ganze Schauspiel, in wenigen Worten beyfügte. Alles nun, was zwischen dem ersten und letzten Liede gespielt und gesungen wurde, das nennte man ein Episodium; was vor dem Singen vorhergieng, den Eingang oder die Vorrede; und was darauf zuletzt folgte, den Ausgang oder Beschluß. Siehe Arist. Poet. im 12. Cap. so daß auf diese Art eine Tragödie in drey sehr ungleiche Theile unterschieden wurde. 9. §. Was den andern Theil der Tragödie, der nicht gesungen ward, anlanget, so bestund derselbe aus den Unterredungen der auftretenden Personen, die eine gewisse Fabel vorstelleten. Ungeachtet nun diese Fabel nur eine einzige Haupthandlung haben muß, wenn sie gut seyn soll: so theilte man doch der Abwechselung halber, dieselbe in fünf Theile ein, die man ACTUS, Thaten, oder noch besser, Aufzüge nennte: NEUE MINOR QUINTO, NEU SIT PRODUCTIOR ACTU FABULA, QUAE VULT SPECTARI & SPECTATA REPONI. sagt Horatius. Die Ursache dieser fünffachen Eintheilung ist wohl freylich willkührlich gewesen: indessen ist diese Zahl sehr bequem, damit dem Zuschauer nicht die Zeit gar zu lang werde. Denn wenn jeder Aufzug ohngefähr eine viertel Stunde daurete, so dann aber der Chor sein Lied darzwischen sang: so konnte das Spiel nicht viel länger als zwo Stunden dauren; welches eben die rechte Zeit ist, die sich ohne Ueberdruß einem Schauspiele widmen läßt. Es waren aber diese fünf Aufzüge untereinander eben durch den Chor der Sänger verbunden; und also wurde die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf die gespielte Fabel nie ganz unterbrochen: so wie es bey uns durch die Musikanten geschieht, die allerley lustige Stücke darzwischen spielen; oder auch wohl gar durch Tänzer, die sich zwischen den Aufzügen sehen lassen. Dieser Zusammenhang des ganzen Stückes that sehr viel dazu, daß die ganze Tragödie einen starken Eindruck in die Gemüther machte: und Racine hat auch in neuern Zeiten etliche Stücke nämlich Athalia und Esther von der Art, auf die Bühne gebracht, die nicht wenig Beyfall deswegen erhalten haben. Ich wundre mich nur, daß man dieses nicht durchgehends wieder aufgebracht hat. 10. §. Von diesen äußerlichen Stücken einer Tragödie, die auch einem Ungelehrten in die Augen fallen, komme ich auf die innere Einrichtung derselben, die nur ein Kunstverständiger wahrnimmt. Hier bemerkt man nun, daß das Trauerspiel einige Stücke mit dem Heldengedichte gemein hat; in andern aber von ihm unterschieden ist. Es hat mit ihm gemein die Fabel, die Handlung, die Charactere, und die Schreibart, oder den Ausdruck. Es ist aber von demselben unterschieden in der Größe der Fabel, oder in ihrer Dauer; in der Beschaffenheit des Ortes, wo sie vorgehen muß; und in der Art des Vortrages, welche hier ganz dramatisch ist, da dort die Erzählung herrschet. Hierzu kömmt noch, daß in der Tragödie die Gemüthsbewegungen weit lebhafter und stärker vorgestellet werden; daß man die Musik dabey brauchet, und daß man einer Schaubühne nöthig hat, die auf verschiedene Art verzieret werden muß. Von allen diesen Stücken ins besondre muß kürzlich gehandelt werden. 11. §. Wie eine gute tragische Fabel gemacht werden müsse, daß ist schon im vierten Capitel des ersten Theils einiger maßen gewiesen worden. Der Poet wählet sich einen moralischen Lehrsatz, den er seinen Zuschauern auf eine sinnliche Art einprägen will. Dazu ersinnt er sich eine allgemeine Fabel, daraus die Wahrheit eines Satzes erhellet. Hiernächst sucht er in der Historie solche berühmte Leute, denen etwas ähnliches begegnet ist: und von diesen entlehnet er die Namen, für die Personen seiner Fabel, um derselben also ein Ansehen zu geben. Er erdenket sodann alle Umstände dazu, um die Hauptfabel recht wahrscheinlich zu machen, und das werden die Zwischenfabeln, oder Episodia nach neuer Art, genannt. Dieses theilt er dann in fünf Stücke ein, die ohngefähr gleich groß sind, und ordnet sie so, daß natürlicher Weise das letztere aus dem vorhergehenden fließet; bekümmert sich aber weiter nicht, ob alles in der Historie wirklich so vorgegangen, oder ob alle Nebenpersonen wirklich so, und nicht anders geheißen haben. Zum Exempel kann die oberwähnte Tragödie des Sophokles, oder auch mein Cato dienen. Der Poet wollte dort zeigen, daß Gott auch die Laster, die unwissend begangen werden, nicht ungestraft lasse. Hierzu ersinnt er nun eine allgemeine Fabel, die etwa so lautet: 12. §. Es war einmal ein Prinz, wird es heißen, der sehr viel gute Eigenschaften an sich hatte, aber dabey verwegen, argwöhnisch und neugierig war. Dieser hatte einmal, vor dem Antritte seiner Regierung, auf freyem Felde einen Mord begangen; ohne zu wissen, daß er seinen eigenen Vater erschlagen hätte. Durch seinen Verstand bringet er sich in einem fremden Lande in solches Ansehen; daß er zum Könige gemacht wird, und die verwittibte Königinn heirathet; ohne zu wissen, daß selbige seine eigene Mutter ist. Aber dieses alles geht ihm nicht für genossen aus. Seine Laster kommen ans licht, und es treffen ihn alle die Flüche, die er selbst auf den Mörder seines Vorfahren im Regimente, ausgestoßen hatte. Er beraubet sich selbst des Reichs, und geht ins Elend; nachdem er sich selbst aus Verzweifelung der Augen beraubet hatte. Zu dieser allgemeinen Fabel nun findet Sophokles in den alten thebanischen Geschichten, den Oedipus geschickt. Er ist ein solcher Prinz, als die Fabel erfordert: er hat unwissend einen Vatermord und eine Blutschande begangen: er ist dadurch auf eine Zeitlang glücklich geworden; allein, die Strafe bleibt nicht aus; sondern er muß endlich alle Wirkungen seiner unerhörten Laster empfinden. 13. §. Diese Fabel ist nun geschickt, Schrecken und Mitleiden zu erwecken, und also die Gemüthsbewegungen der Zuschauer auf eine der Tugend gemäße Weise zu erregen. Durch seine guten Eigenschaften erwirbt sich Oedipus die Liebe der Zuschauer; und da er seine Laster unwissend, ja wider Willen begeht, so beklagt man ihn deswegen. Da er aber gleichwohl sehr unglücklich wird, so bedauret man ihn um destomehr; ja man erstaunet über die strenge Gerechtigkeit der Götter, die nichts ungestraft lassen. Man sieht auch, daß der Chor in dieser Tragödie dadurch bewogen wird, recht erbauliche Betrachtungen, über die Unbeständigkeit des Glückes der Großen dieser Welt, und über die Schandbarkeit seiner Laster anzustellen, und zuletzt in dem Beschlusse die Thebaner so anzureden: »Ihr Einwohner von Theben, seht hier den Oedipus, der durch seine Weisheit Räthsel erklären konnte, und an Tapferkeit alles übertraf; ja der seine Hoheit sonst keinem, als seinem Verstande und Heldenmuthe zu danken hatte: seht, in was für schreckliche Trübsalen er gerathen ist; und wenn ihr dieses unselige Ende desselben erweget, so lernt doch niemanden für glücklich halten, bis ihr ihn seine letzte Stunde glücklich habt erreichen gesehen«. Wer auf gleiche Art die Trauerspiele aus unsrer deutschen Schaubühne mit Bedacht durchgehen will, der wird überall eine solche Hauptlehre antreffen, ob sie gleich nicht immer so deutlich im Schlüsse steht. 14. §. Eine solche Fabel nun zu erdichten, sie recht wahrscheinlich einzurichten, und wohl auszuführen, das ist das allerschwerste in einer Tragödie. Es hat viele Poeten gegeben, die in allem andern Zubehör des Trauerspiels, in den Charactern, in dem Ausdrucke, in den Affecten etc. glücklich gewesen: aber in der Fabel ist es sehr wenigen gelungen. Wer Exempel davon sehen will, der sehe was von Schakespears Cäsar im VII. B. und vom Telemach im VI. B. der critischen Beyträge steht. Das macht, daß dieselbe eine dreyfache Einheit haben muß, wenn ich so reden darf. Die Einheit der Handlung, der Zeit, und des Ortes. Von allen dreyen müssen wir insonderheit handeln. 15. §. Die ganze Fabel hat nur eine Hauptabsicht; nämlich einen moralischen Satz: also muß sie auch nur eine Haupthandlung haben, um derentwegen alles übrige vorgeht. Die Nebenhandlungen aber, die zur Ausführung der Haupthandlung gehören, können gar wohl andre moralische Wahrheiten in sich schließen: wie zum Exempel im Oedipus die Erfüllung der Orakel, darüber Jokasta vorher gespottet hatte, die Lehre giebt: Daß die göttliche Allwissenheit nicht fehlen könne. Alle Stücke sind also tadelhaft und verwerflich, die aus zwoen Handlungen bestehen, davon keine die vornehmste ist. Ich habe dergleichen im 1717. Jahre am Reformationsfeste in einer Schulcomödie vorstellen gesehen, wo der ganze Inhalt der Aeneis Virgilii, und die Reformation Lutheri zugleich vorgestellet wurde. In einem Auftritte war ein Trojaner, in der andern der Ablaßkrämer Tetzel zu sehen. Bald handelte Aeneas von der Stiftung des römischen Reichs, bald kam Lutherus und reinigte die Kirche. Bald war Dido, bald die babylonische Hure zu sehen u.s.w. Und diese beyde so verschiedene Handlungen hiengen nicht anders zusammen, als durch eine lustige Person, Momus genannt, die zwischen solchen Vorstellungen auftrat, und z.E. den auf der See bestürmten Aeneas, mit dem in Gefahr schwebenden Kirchenschifflein verglich. Das ist nun ein sehr handgreiflicher Fehler, wo zwey so verschiedene Dinge zugleich gespielet werden. Allein die andern, die etwas unmerklicher sind, verdienen deswegen keine Entschuldigung. Insgemein sündigen die englischen Stücke wider diese Regel. 16. §. Die Einheit der Zeit ist das andre, das in der Tragödie unentbehrlich. Die Fabel eines Heldengedichtes kann viele Monathe dauren, wie oben gewiesen worden; das macht, sie wird nur gelesen: aber die Fabel eines Schauspieles, die mit lebendigen Personen in etlichen Stunden wirklich vorgestellet wird, kann nur einen Umlauf der Sonnen, wie Aristoteles spricht; das ist einen Tag, dauren. Denn was hat es für eine Wahrscheinlichkeit, wenn man in dem ersten Auftritte den Helden in der Wiege, etwas weiter hin als einen Knaben, hernach als einen Jüngling, Mann, Greis, und zuletzt gar im Sarge vorstellen wollte: wie Cervantes solche thörichte Schauspiele, an seinen spanischen Poeten, im Don Quixote ausgelachet hat. Haben es die Engländer nicht völlig so schlimm gemacht; so ist es doch nicht viel besser. Schakespears Cäsar hebt vor der Ermordung Cäsars an, und dauret bis nach der philippischen Schlacht, wo Brutus und Cassius geblieben. Oder wie ist es wahrscheinlich, daß man es auf der Schaubühne etlichemal Abend werden sieht; und doch selbst, ohne zu essen, oder zu trinken, oder zu schlafen, immer auf einer Stelle sitzen bleibt? Die besten Fabeln sind also diejenigen, die nicht mehr Zeit nöthig gehabt hätten, wirklich zu geschehen, als sie zur Vorstellung brauchen; das ist etwa drey oder vier Stunden: und so sind die Fabeln der meisten griechischen Tragödien beschaffen. Kömmt es hoch, so bedörfen sie sechs, acht, oder zum höchsten zwölf Stunden zu ihrem ganzen Verlaufe: und höher muß es ein Poet nicht treiben; wenn er nicht wieder die Wahrscheinlichkeit handeln will. 17. §. Es müssen aber diese Stunden bey Tage, und nicht bey Nachte seyn, weil diese zum Schlafen bestimmet ist: es wäre denn, daß die Handlung entweder in der Nacht vorgegangen wäre; oder erst nach Mittage anfienge, und sich bis in die späte Nacht verzöge; oder umgekehrt, vor morgens angienge, und bis zu Mittage daurete. Der berühmte Cid des Corneille läuft in diesem Stücke wider die Regeln, denn er dauret eine ganze Nacht durch, nebst dem vorigen und folgenden Tage, und braucht wenigstens volle vier und zwanzig Stunden: welches schon viel zu viel ist, und unerträglich seyn würde, wenn das Stück nicht sonst viel andre Schönheiten in sich hätte; die den Zuschauern fast nicht Zeit ließen, daran zu gedenken. S. den ersten B. meiner Schaubühne, Das ist nun eben die Kunst, die Fabel so ins kurze zu bringen, daß keine lange Zeit dazu gehöret; und eben deswegen sind auch bey uns Deutschen die Tragödien von Wallenstein, von der Banise, imgleichen von der böhmischen Libussa ganz falsch und unrichtig: weil sie zum Theil etliche Monate, zum Theil aber viele Jahre zu ihrer Dauer erfordern. Meine obige Schultragödie hub sich von dem Urtheile des Paris über die drey Göttinnen an, und daurete bis auf die Glaubensverbesserung durch Luthern. Das war nun eine Zeit, etwa von drey bis viertehalb tausend Jahren, davon die zwey Heldengedichte, Ilias und Aeneis, nicht den tausendsten Theil einnehmen, und ich zweifle, ob man die Ungereimtheit höher hätte treiben können. 18. §. Zum dritten gehört zur Tragödie die Einigkeit des Ortes. Die Zuschauer bleiben auf einer Stelle sitzen: folglich müssen auch die spielenden Personen alle auf einem Platze bleiben, den jene übersehen können, ohne ihren Ort zu ändern. So ist im Oedipus, z.E. der Schauplatz auf dem Vorhofe des königlichen thebanischen Schlosses, darinn Oedipus wohnt. Alles, was in der ganzen Tragödie vorgeht, das geschieht vor diesem Pallaste: nichts, was man wirklich sieht, trägt sich in den Zimmern zu; sondern draußen auf dem Schloßplatze, vor den Augen alles Volks. Heute zu Tage, da unsre Fürsten alles in ihren Zimmern verrichten, fällt es also schwerer, solche Fabeln wahrscheinlich zu machen. Daher nehmen denn die Poeten gemeiniglich alte Historien dazu, oder sie stellen uns auch einen großen Audienzsaal vor, darinn vielerley Personen auftreten können. Ja sie helfen sich auch zuweilen mit dem Vorhange, den sie fallen lassen und aufziehen; wenn sie zwey Zimmer zu der Fabel nöthig haben. Man kann also leicht denken, wie ungereimt es ist, wenn, nach dem Berichte des Cervantes, die spanischen Trauerspiele den Helden in dem ersten Aufzuge in Europa, in dem andern in Africa, in dem dritten in Asien, und endlich gar in America vorstellen: oder, wenn meine obgedachte Schulcomödie uns bald in Asien die Stadt Troja, bald die ungestüme See, darauf Aeneas schiffet, bald Carthago, bald Italien vorstellete, und uns also durch alle drey Theile der damals bekannten Welt, führte; ohne daß wir uns von der Stelle rühren dorften. Noch was lächerliches fällt mir von einem italiänischen Dichter ein, der in einem Schauspiele, den Himmel, die Erde, und die Hölle brauchete; und die Einheit des Ortes mit einer Perpendikellinie behaupten wollte, die vom Himmel durch die Erde, bis in die Hölle gienge. Es ist also in einer regelmäßigen Tragödie nicht erlaubt, den Schauplatz zu ändern. Wo man ist, da muß man bleiben; und daher auch nicht in dem ersten Aufzuge im Walde, in dem andern in der Stadt, in dem dritten im Kriege, und in dem vierten in einem Garten, oder auf der See seyn. Das sind lauter Fehler wider die Wahrscheinlichkeit: eine Fabel aber, die nicht wahrscheinlich ist, taugt nichts, weil dieses ihre vornehmste Eigenschaft ist. 19. §. Es sind aber die Fabeln der Trauerspiele ebenfalls entweder einfache und schlechte; oder verworrene, die einen Glückswechsel und eine Entdeckung unbekannter Personen haben. In beyden aber hat ein Knoten, oder die sogenannte Intrigue statt, der sich im Anfange des Schauspieles anfängt in einander zu schlingen, und allmählich immer mehr und mehr verwirret; bis der letzte Aufzug, oder wo möglich, der letzte Auftritt alles auf einmal auflöset. Dieser Knoten ist in der Fabel nöthig, die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu erwecken, und sie auf den Ausgang solcher verwirrten Händel begierig zu machen. Im Titus des Racine ist ein Exempel von der ersten Classe zu sehen; wo alles ohne eine andere Verwirrung der Umstände, bloß deswegen einen Knoten schürzet, weil die Königinn Berenice nicht weis, was sie hoffen oder fürchten soll; der Kaiser selbst aber bey sich ansteht, ob er seiner Liebe, oder dem Willen des römischen Volkes gehorchen solle? Dieses ist also eine einfache oder schlechte Fabel, worinn kein Glückswechsel, keine Entdeckung verborgener Personen vorgeht. Denn beyde bleiben, was sie sind, jene Königinn von Palästina, dieser römischer Kaiser. Eben so ist der Cinna und Porus beschaffen. Ganz anders ist es in der Elektra des Sophokles. Hier kömmt der junge Prinz Orestes in verstellter Kleidung nach Mycene; läßt sich für todt ausgeben, und bringt selbst den Aschentopf getragen, in welchem, seinem Vorgeben nach, sein eigener Ueberrest ist. Seine Mutter, Clytemnestra, die sich darüber freuet, weil sie nur von ihrem Sohne die Rache, wegen seines, von ihr und ihrem neuen Gemahle Aegysthus ermordeten Vaters, Agamemnons, zu befürchten hatte; wird dergestalt hintergangen, und nachdem sich Orestes ihr entdecket hatte, ums Leben gebracht. Ihrem Aegysthus gehts nicht besser, und da also die glückseligen Personen des Trauerspiels unglücklich werden: so wird der vorhin flüchtige Orestes, nebst seiner geplagten Schwester Elektra, auf einmal glücklich. Eben so ist die Tragödie Iphigenia beschaffen, wo Eriphile stirbt, so bald es entdecket wird, daß sie der Helena Tochter ist; Achilles aber mit seiner Prinzeßinn auf einmal glücklich wird. Im Cato ist es nichts anders, indem Arsene erfährt, daß sie Catons Tochter ist, und also weder eine Königinn seyn, noch Cäsarn heirathen kann. Die Schönheit in dergleichen Fabeln, besteht darinn, daß dieser Glückswechsel ganz zuletzt, und zwar unvermuthet geschieht, auch die Entdeckung der verkleideten oder unbekannten Personen, wenn dergleichen vorhanden sind, unmittelbar vorhergeht. 20. §. Ich komme nunmehro auf die Charactere der Tragödie, dadurch die ganze Fabel ihr rechtes Leben bekömmt. Man darf hier nur wiederholen, was im vorigen Capitel davon gesaget worden: denn alles das muß hier auch gelten. Es muß also der Poet seinen Hauptpersonen eine solche Gemüthsbeschaffenheit geben, daraus man ihre künftige Handlungen wahrscheinlich vermuthen, und wenn sie geschehen, leicht begreifen kann. Sogleich in dem ersten Auftritte, den sie hat, muß sie ihr Naturell, ihre Neigungen, ihre Tugenden und Laster verrathen; dadurch sie sich von andern Menschen unterscheidet. So zeiget, zum Exempel, Racine den Porus, gleich im Anfange, als einen großmüthigen Held, der allein das Herz hat, dem Alexander die Spitze zu biethen: worüber ihn zwar St. Evremont getadelt hat, aber ohne Grund; weil selbst Curtius demselben diesen Character beygeleget hat. So hat auch Cinna gleich im ersten Auftritte den Character eines verwegenen Rebellen, und freyheitliebenden Römers; sowohl als Aemilia, die Gemüthsart eines rachgierigen und unversöhnlichen Frauenzimmers hat. Roderich stellt durchgehends einen ehrliebenden und unverzagten Helden vor, und Chimene eine rechtschaffene Tochter ihres Vaters, zugleich aber eine treue Liebhaberinn ihres Roderichs. Nicht minder zeigt Cato gleich bey seinem ersten Auftritte, wie er gesonnen ist, nämlich Freyheit und Tugend auch mit seinem Blute zu versiegeln. Siehe der deutschen Schaubühne I. Theil. Und in der Iphigenia im II. Theile ist Achilles so abgeschildert, wie Horaz es haben will, wenn er schreibt: HONORATUM SI FORTE REPONIS ACHILLEM, IMPIGER, IRACUNDUS, INEXORABILIS, ACER, IURA NEGET SIBI NATA: NIHIL NON ARROGET ARMIS. SIT MEDEA FEROX INUICTAQUE, FLEBILIS INO, PERFIDUS IXION, IO VAGA, TRISTIS ORESTES. 21. §. Diese letzten Zeilen wollen so viel sagen, daß ein Poet die Personen, die aus der Historie schon bekannt sind, genau bey dem Charactere lassen müsse, den man von ihnen längst gewohnt ist. Das hat Corneille in seiner Sophonisbe gethan. Er beobachtet genau, was Livius von ihrer Gemüthsbeschaffenheit erzählet; den Masinissa und den Syphax läßt er auch so, wie er sie fand. Unser Lohenstein aber hat alles verkehret. Ein anders ist es, wenn man ganz neue Personen dichtet. Diese kann man zwar machen, wie man selber will, und wie die Fabel es erfordert. Nur folgende Regel des Horaz ist zu beobachten: SI QUID INEXPERTUM SCENAE COMMITTIS, ET AUDES PERSONAM FORMARE NOUAM; SERUETUR AD IMUM. QUALIS AB INCEPTO PROCESSERIT, ET SIBI CONSTET. Ein widersprechender Character ist ein Ungeheuer, das in der Natur nicht vorkömmt: daher muß ein Geiziger geizig, ein Stolzer stolz, ein Hitziger hitzig, ein Verzagter verzagt seyn und bleiben; es würde denn in der Fabel durch besondere Umstände wahrscheinlich gemacht, daß er sich ein wenig geändert hätte. Denn eine gänzliche Aenderung des Naturells oder Characters ist ohnedieß in so kurzer Zeit unmöglich. 22. §. Nichts ist von Charactern mehr übrig zu sagen, als daß nur die Hauptpersonen dergleichen haben müssen. Die Bedienten derselben, die fast allezeit in fremdem Namen handeln oder thun, dörfen keine besondere Gemüthsart haben: zum wenigsten haben sie selten Gelegenheit, dieselbe blicken zu lassen. Doch ist es in solchen Fällen, wo sie Gelegenheit dazu hätten, auch unverbothen. Die Exempel zu dieser Regel wird man in allen Trauerspielen antreffen, die in meiner Schaubühne stehen. Z.E. Artaban und Phocas, Phenize und Domitius im sterbenden Cato; Arcas und Doris aber in der Iphigenia u.d.gl. 23. §. Ich komme auf den Ausdruck oder auf die Schreibart der Tragödien. Diese muß eben so beschaffen seyn, als die Schreibart in Heldengedichten, wenn der Poet daselbst andre redend einführet. Die Alten nannten diese Art des Ausdruckes Cothurnus; von den hohen Schuhen, die von vornehmen Standespersonen getragen wurden. Weil nun dergleichen vornehme Leute in der Tragödie vorgestellet wurden, und es sich für sie nicht anders schickte, als daß sie sich auf eine edlere Art, als der gemeine Pöbel ausdrücken mußten; zumal, wenn die gewaltigsten Affecten sie bestürmeten: so bekam ihre Sprache eben diesen Namen. Die guten Poeten nun, die ihre Einbildungskraft durch die Vernunft in den Schranken zu halten, und die hohe Schreibart durch die Regeln der Wahrscheinlichkeit zu mäßigen gewußt haben, sind auch bey einer vernünftigen hohen Art des Ausdruckes geblieben. Die schwachen Geister aber, die ihrer Phantasie folgen mußten, wohin sie wollte; verstiegen sich gar zu hoch: so daß Horaz sie beschuldiget, sie hätten bisweilen solche Räthsel, als die delphische Priesterinn, gemacht: ET TULIT ELOQUIUM INSOLITUM FACUNDIA PRAECEPS, – – – – – ET DIUINA FUTURI SORTILEGIS NON DISCREPUIT SENTENTIA DELPHIS. Ja er verbeut gleich darauf ausdrücklich, daß man die tragischen Personen weder zu nicdrig, noch zu hochtrabend solle reden lassen: NE, QUICUNQUE DEUS, QUICUNQUE ADHIBEBITUR HEROS, MIGRET IN OBSCURAS HUMILI SERMONE TABERNAS: AUT DUM VITAT HUMUM, NUBES ET INANIA CAPTET. 24. §. In dieser falschen Hoheit sind nun, bey den Lateinern, Seneca in seinen Tragödien; und bey uns, Lohenstein ganz unerträglich. Fast alle ihre Personen, die sie aufführen, reden lauter Phöbus: wie bereits in dem allgemeinen Capitel von der poetischen Schreibart angemerket worden. Unser Andreas Gryphius ist doch weit vernünftiger in diesem Stücke. Ich mag, die Weitläuftigkeit zu meiden, keine Exempel von beyden anführen: man darf aber nur gleich des erstem Agrippina, mit Carl Stuarten von diesem; oder auch die Sophonisbe mit dem Leo Arminius zusammen halten, so wird man den Unterscheid gleich merken. Man sehe auch, was bey Gelegenheit des Cäsars, aus dem Schakespear, in dem VII. B. der critischen Beyträge von ihm gesaget worden. Sonderlich drucken die lohensteinischen Personen niemals den Affect recht natürlich aus: sondern, da sie im Schmerze aufhören sollten, auf Stelzen zu gehen: so bleiben sie unverändert bey ihren scharfsinnigen Sprüchen und künstlichen Spitzfündigkeiten. Ja selbst Corneille und Racine, haben sich in diesem Stöcke oft versehen, wie Fenelon in seinen Gedanken von der Tragödie angemerket hat, daß Sophokles seinen Oedipus nichts schwülstiges sagen lassen. Siehe den I. Th. meiner Schaubühne, gleich nach der Vorrede. Dieses hat uns Horaz ausdrücklich gelehret: ET TRAGICUS PLERUMQUE DOLET SERMONE PEDESTRI TELEPHUS ET PELEUS: CUM PAUPER ET EXSUL VTERQUE PROIICIT AMPULLAS ET SESQUIPEDALIA VERBA. SI CURAT COR SPECTANTIS TETIGISSE QUERELA. Die beste allgemeine Regel, die man hier geben kann, ist, die Natur eines jeden Affects im gemeinen Leben zu beobachten, und dieselbe aufs genaueste nachzuahmen. Nun findet man aber, daß auch die vornehmsten Standespersonen zwar ihrer Würde gemäß denken und sprechen, so lange sie ruhiges Gemüthes sind: so bald sie aber der Affect übermeistert, vergessen sie ihres hohen Standes fast, und werden wie andre Menschen. Wenn wir nun einen wahrhaftigen Traurigen sehen, dem vergeht die Lust wohl, scharfsinnige Klagen auszustudiren. Er wird so kläglich und beweglich sprechen, als es ihm möglich ist: denn wo er selbst nicht weinet, so wird gewiß niemand zum Mitleiden bewogen werden: VT RIDENTIBUS ARRIDENT, ITA FLENTIBUS ADSUNT HUMANI VULTUS. SI VIS ME FLERE, DOLENDUM EST PRIMUM IPSE TIBI: TUNC TUA ME INFORTUNIA LAEDENT, TELEPHE VEL PELEU. MALE SI MANDATA LOQUERIS, AUT DORMITABO, AUT RIDEBO. 25. §. Hier fragt sichs unter andern, ob sich in die Schreibart der Tragödien auch viele Gleichnisse schicken? Ich antworte, man darf nur auf die Natur sehen. Nun finde ich nicht, daß man im gemeinen Leben, wenn wir von ernstlichen und wichtigen Dingen reden, lange Vergleichungen zu machen pfleget. Wem das, wovon er zu reden hat, zu Herzen geht; der hält sich mit solchen Spielen des Witzes nicht auf; sondern er dringt gerade auf die Sache selbst. So unzulänglich einem unsrer Kunstrichter diese Regel geschienen, wenn er dieselbe umzustoßen gesucht; so gegründet ist sie doch. Könige und Fürsten und Helden, spielen in ernsthaften Geschäfften, nicht lange mit künstlichen Vergleichungen, sondern reden mit Ernst und Nachdruck. Auf diese Natur nun muß man sehen. Ein anders ist es, mit einem Poeten, in einem Heldengedichte. Dieser ist selbst in der Fabel nicht mit verwickelt, die er erzählt; sondern gleichsam nur ein Zuschauer oder Herold derselben. Der kann sich also wohl mit kaltem Blute die Zeit nehmen, Gleichnisse zu machen, und so weitläuftig auszuführen, als er will. Allein in der Tragödie kömmt der Poet gar nicht zum Vorscheine; sondern es reden lauter andre Leute, die mit an den Begebenheiten Theil haben, und als ordentliche Menschen eingeführet werden müssen. Die Exempel der Alten sind mir auch nicht zuwider. Ich finde, daß Sophokles nicht über zwey oder drey Gleichnisse in seinem Oedipus angebracht hat; und zwar nur ganz kurz, und gleichsam im Vorbeygehen. Diesen meinen Zusatz hat obgedachter Kunstrichter muthwillig ausgelassen, um meine Meynung desto leichter zu verdrehen. Hergegen Lohenstein und Seneca sind fast überall voll davon: wodurch denn abermal ihre Schreibart die unnatürlichste von der Welt wird. Eben das ist von der Gelehrsamkeit und Belesenheit zu merken, welche diese beyde Tragödienschreiber ihren Personen zu leihen pflegen. Sie schicket sich für dieselben durchaus nicht, zumal wenn sie im Affecte reden; und könnte an bequemere Oerter versparet werden. 26. §. Wir kommen auf die Musik, die bey den Alten in der Tragödie einer von den besten Zierrathen war. Woher das gekommen, das ist aus dem obigen leicht abzunehmen. Die Lieder, die der Chor sang, wurden mit Instrumenten begleitet: und weil diese einen wesentlichen Theil ihrer Schauspiele ausmachten; so rechneten sie die Musik mit zur Tragödie. Daß diese Musik aber sehr stark gewesen seyn müsse, erhellet aus der Zahl der Personen im Chore, die zuweilen bis fünfzig hinan lief. Und diese starken Chöre daureten so lange, bis Euripides in dem Trauerspiele, Eumenides, einen sehr zahlreichen Chor rasender Furien mit schwarzen Pechfakeln aufführete: denn dadurch entstund ein solches Entsetzen in dem Schauplatze, daß die Kinder vor Schrecken todt blieben, die schwangern Weiber aber auf der Stelle niederkamen. Darauf wurde von der Obrigkeit befohlen, daß der Chor künftig nur aus 15. Personen bestehen sollte. Bey uns sind die Chöre nicht gewöhnlich, obgleich unsere ersten Tragödienschreiber sie nach der alten Art bey jedem Aufzuge angehänget haben. Die Musik der Stimmen fällt also gänzlich weg; nur die Instrumente lassen sich zwischen jedem Aufzuge mit allerhand lustigen Stücken hören. Weil sie aber die Zuschauer ganz aus der Aufmerksamkeit auf die vorigen Vorstellungen bringen: so fragt sichs, ob es nicht möglich wäre, anstatt der alten Oden des Chores, eine nach unserer Art eingerichtete Cantate, von etlichen Sängern absingen zu lassen; aber eine solche, die sich allezeit zu den kurz zuvor gespielten Begebenheiten schickte, und folglich moralische Betrachtungen dar über anstellete. Dieses würde ohne Zweifel die Zuhörer in dem Affecte, darinn sie schon stünden, erhalten, und zum bevorstehenden desto besser zubereiten. Und eine solche Tragödie würde zehnmal schöner seyn, als eine Opera, die den Liebhabern der Musik zu gefallen alles durchgehends musikalisch vorstellen laßt; aber dabey ganz und gar von der Natur abgeht, und die ganze Wahrscheinlichkeit aufhebt. 27. §. Endlich und zuletzt müssen wir noch von den Maschinen und andern Zierrathen der Schaubühne handeln. Durch Maschinen versteht man die Erscheinungen der Götter, die vom Himmel herunter kommen. Weil die Tragödie menschliche, nicht aber göttliche Handlungen nachahmet: so kann auch die Hauptperson niemals eine Gottheit seyn. Weil aber der Held zuweilen in solche Umstände gerathen kann; daß er eines sichtbaren göttlichen Beystandes benöthiget ist: so kann freylich wohl der Poet sich der Maschinen zuweilen bedienen, seiner Fabel dadurch auszuhelfen. Allein er muß freylich wohl zusehen, daß dieses wahrscheinlich heraus komme. Die Erscheinungen der Götter in neuern Zeiten kommen uns sehr unglaublich vor; weil wir selbst dergleichen nie gesehen, und uns nicht einbilden können, daß es vor hundert oder zweyhundert Jahren anders gewesen seyn sollte. Aber aus der alten fabelhaften Zeit, sind wir es längst gewohnt, von Erscheinungen zu hören: und also nimmt es uns nicht Wunder, wenn wir davon lesen. Wenn also Perseus etwa die Andromeda erlösen; oder Diana zum Endymion in die Höle des Berges Latmos kommen; oder die drey Göttinnen dem Paris erscheinen sollten, u.d.gl. so müßten wir schon die Götter auf der Schaubühne für nöthig ansehen, und sie nach ihrer Art kleiden und characterisiren. Aber wer solches allezeit und ohne die größte Notwendigkeit thun wollte; der würde wider die Regel des Horaz handeln: NEC DEUS INTERSIT, NISI DIGNUS VINDICE NODUS INCIDERIT. Es ist nämlich keine Kunst, durch einen unmittelbaren Beystand des Himmels, und durch Wunderwerke, eine Fabel glücklich auszuführen; daher sich auch die berühmtesten Tragödienschreiber unter den Alten dieses Kunststückes selten bedienet haben. 28. §. Eben dahin gehören auch die Zaubereyen, welche man die Maschinen der neuern Zeiten nennen könnte. Sie schicken sich für unsre aufgeklärte Zeiten nicht mehr, weil sie fast niemand mehr glaubt: also enthält sich ein Poet mit gutem Grunde solcher Vorstellungen, die nicht mehr wahrscheinlich sind, und nur in der ernsthaftesten Sache ein Gelächter erwecken würden. Wenn also Gryphius in seinem Leo Armenius den Geist des Patriarchen von Constantinopel, und den höllischen Geist selbst, ja ein Gespenste in Gestalt Michaels; in der Catharina von Georgien die Ewigkeit, etliche Geister der Verstorbenen, die Tugenden, den Tod und die Liebe als Personen aufführet: im Cardenio gleichfalls ein Paar Geister; im Carl Stuart abermal drey Geister, und sodann noch Krieg, Ketzerey, Pest, Tod, Hunger, Zwietracht, Furcht, Eigenmord, die Geister der ermordeten Könige in England u.a.m. vorbringt: so sind gewiß der Erscheinungen zuviel eingemengt. Unter Ausländern hat von neuern Poeten der Cardinal GIOV. DELFINO gleichfalls in seiner CLEOPATRA den Geist des Antonius und die Megära bald in dem I. Auftritte erscheinen lassen. Es sind die Tragödien dieses welschen Dichters 1733. zu Padua herausgekommen. Der ganze Titel heißt: LE TRAGEDIE DI GIOVANNI DELFINO SENATORE VENETIANO, POI PATRIARCA D'AQUILEJA E CARDINALE DI S. CHIESA, CIOÉ LA CLEOPATRA, LA LUCREZIA, IL CRESO, IL MEDORO. Wie lustig Schakespear den Geist Cäsars in seinem Trauerspiele aufgeführet, das sehe man in der deutschen Uebersetzung desselben nach. Wer aber etwas recht lustiges von dieser Art sehen will, der lese den deutschen Polyeuctes von Kormarten, oder den Auszug davon in den Crit. Beyträgen, imgleichen das Trauerspiel Telemach eben daselbst. 29. §. Einen bessern Zierrath geben die Veränderungen der Schaubühne ab, dadurch dieselbe allemal denjenigen Ort vorstellig macht, wo das ganze Stück vorgegangen seyn soll. Dieser muß nun zwar die ganze Tragödie hindurch einerley bleiben: allein in verschiedenen Trauerspielen muß sich bald eine Straße der Stadt, ein königlich Zimmer, ein Feldlager, ein Wald, ein Dorf, ein Garten, u.s.w. vorstellen. Doch dieses geht den Poeten nicht weiter an, als in so weit er sagt, wo der Schauplatz des Stückes gewesen, darnach sich der Theaternmeister nachmals richten muß. Nun weis ich zwar, daß diese Regel vielen zu hart scheint, und daß andre durch die Veränderungen des Schauplatzes der Schwäche ihrer Stücke aushelfen wollen. Allein die Nachahmung der Natur läßt gleichwohl nichts anders zu. Siehe des Abts von Aubignac Ausübung der theatralischen Schaubühne. Hierwider hat Corneille in seinem Cid sehr verstoßen, welches uns desto behutsamer machen muß. 30. §. Eben das ist von den Kleidungen zu sagen. Hier sollen von rechtswegen die Personen nach Beschaffenheit der Stücke, bald in römischer, bald in griechischer, bald in persianischer, bald in spanischer, bald in altdeutscher Tracht auf der Schaubühne erscheinen; und dieselbe so natürlich nachahmen, als es möglich ist. Je näher man es darinn der Vollkommenheit bringet, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, und destomehr wird das Auge der Zuschauer vergnüget. Daher ist es lächerlich, wenn einfältige Comödianten die römischen Bürger in Soldatenkleidern mit Degen an der Seite vorstellen: da sie doch lange weite Kleider von weißer Farbe trugen. Noch seltsamer aber ist es, wenn man z.E. alten griechischen oder römischen Helden im Lager, gar Staatsperrücken und dreyeckigte Hüte mit Federn aufsetzet, und weiße Handschuh anzieht; eine americanische Prinzeßinn mit einem Fischbeinrocke, und eine flüchtende Zaire im Oriente mit einer drey Ellen langen Schleppe; ja endlich einen alten deutschen Herrmann, Segesth u.a.m. wie ihre Todtfeinde die Römer, aber doch mit Perücken, weißen Handschuhen und kleinen Galanteriedegen aufführet, u.d.gl. Hier muß ein verständiger Aufseher der Schaubühne sich in den Alterthümern umgesehen haben; und die Trachten aller Nationen, die er aufzuführen willens ist, in Bildern ausstudiren. 31. §. Endlich kömmt der Vortrag selbst, das ist die Aussprache und die Geberden der spielenden Personen. Hierauf kömmt in der Vorstellung eines Trauerspieles fast alles an. Das beste Stück wird lächerlich, wenn es schlecht und kaltsinnig hergesagt wird: hergegen das elendeste Zeug klingt zuweilen erträglich, wenn eine gute Aussprache ihm zu statten kömmt. Bey den Alten hat es eigene Lehrmeister gegeben, die jungen Comödianten Anleitung dazu gaben, wie sie eine Rolle gut spielen sollten. In Rom haben Roscius und Aesopus sich zu Cicerons Zeiten eine allgemeine Bewunderung erworben: denn diese hatten es in ihrer Kunst so weit gebracht, daß Cicero selbst in ihren Schauplatz gieng, um ihnen im guten Vortrage was abzulernen; hingegen kamen diese wiederum in die öffentlichen Reden Cicerons, in gleicher Absicht. Weil auch in der That ein Redner und Comödiant in diesem Stücke einerley Pflicht haben: so können sich diese auch aus dem Tractate des LE FAUCHER, DE L'ACTION D L'ORATEUR, der unter Conrarts Namen heraus gekommen, auch ins Deutsche übersetzt worden, manche gute Regel nehmen. Riccoboni hat in italienischer Sprache ein langes Lehrgedichte für Comödianten geschrieben, darinn er ihnen Regeln von der guten Aussprache giebt; welches bey seiner Historie des italienischen Theaters befindlich ist. Noch neulich hat er auch im Französischen eine neue Anleitung dazu gegeben, die als ein Anhang bey seinen REFLEX. HISTOR. ET CRITIQUES SUR TOUS LES THEATRES DE L'EUROPE befindlich ist. Auch der Abt von Aubignac hat es, wie in andern Stücken, also auch hierinnen nicht an einer guten Vorschrift fehlen lassen: und unsre Deutschen sind dem gelehrten Herrn von Steinwehr vielen Dank schuldig, daß er ihnen dieses höchstnützliche Buch in unsre Muttersprache übersetzet, und es also dadurch gemeiner und brauchbarer gemachet hat. Horaz hat auch dieses Stücke für so wichtig gehalten, daß er in seiner Dichtkunst eine besondere Regel davon gemacht hat: MALE SI MANDATA LOQUERIS AUT DORMITABO, AUT RIDEBO. TRISTIA MOESTUM VULTUM VERBA DECENT; IRATUM PLENA MINARUM. LUDENTEM LASCIUA, SEUERUM SERIA DICTU. FORMAT ENIM NATURA PRIUS NOS INTUS AD OMNEM FORTUNARUM HABITUM: IUUAT & IMPELLIT AD IRAM, AUT AD HUMUM MOERORE GRAUI DEDUCIT ET ANGIT. POST EFFERT ANIMI MOTUS INTERPRETE LINGUA. 32. §. Hierinn steckt nun hauptsächlich die Regel: ein guter Comödiant müsse dasjenige erst bey sich zu empfinden bemüht seyn, was er vorzutragen willens ist; welches in der That das beste Mittel ist, eine lebhafte Aussprache und Stellung zu erlangen. Schlüßlich muß ich erinnern, daß die Auftritte der Scenen in einer Handlung allezeit mit einander verbunden seyn müssen: damit die Bühne nicht eher ganz ledig werde, bis die ganze Handlung aus ist. Es muß also aus der vorigen Scene immer eine Person da bleiben, wenn eine neue kömmt, oder eine abgeht: damit die ganze Handlung einen Zusammenhang habe. Die Alten sowohl, als Corneille und Racine, haben dieses fleißig beobachtet: wenn man nur des erstern erste Stücke ausnimmt. Zum Exempel, sein Cid ist in diesem Stücke sehr fehlerhaft, weil fast immer Personen auftreten und abgehen, ohne zu wissen, warum? daher kömmt es auch, daß die Einheit des Ortes nicht recht beobachtet wird; und darum hat schon Boileau gesagt: QUE L'ACTION MARCHANT OU LA RAISON LA GUIDE NE SE PERDE JAMAIS, DANS UNE SCENE VUIDE. Der einzige Fall ist nur auszunehmen, wenn die Personen, die auf der Bühne stehen, denen, die sie ankommen sehen, ausweichen wollen. Hier hängen nämlich die Auftritte, auch durch eben diese Flucht der ersten, sattsam zusammen. Und so viel mag auch von der Tragödie genug seyn. Wer mehr wissen will, der muß die hin und her angeführten Scribenten, sonderlich den obgedachten Aubignac von Ausübung der theatralischen Dichtkunst, und des P. Brumois THEATRE DES GRECS, nebst des Riccoboni HISTOIRE DU THEATRE ITALIEN, endlich auch die Vorreden lesen, die Corneille und Racine vor ihre Stücke gesetzt haben. Das 11. Capitel Das XI. Capitel. Von Comödien oder Lustspielen. 1. §. Die Comödie ist, wenigstens dem Namen nach, jünger, als das Trauerspiel: denn in der That waren sie vor Alters einerley; da man noch, dem Bacchus zu Ehren, die schimpflichsten Lieder an Festtagen zu singen pflegte, und selbige Tragödien nannte. Als aber die gescheidtesten Köpfe sich allmählich von dem niederträchtigen und unflätigen Zeuge entfernten, und ernsthaftere Sachen in ihren Schauspielen aufführeten: so wurden sie auch in Städten beliebt, ja die Obrigkeit selbst nahm die Comödianten in ihren Sold, und ließ auf öffentliche Kosten Schauplätze bauen, die nöthigen Sänger zum Chore unterhalten, und alles nöthige Zubehör der Schaubühne anschaffen. Wenn nun ein Poet ein neues Stück fertig hatte, so gab man ihm das Chor, wie sie redeten: das ist, man kaufte es ihm ab, und ließ es von den Comödianten aufführen. Indessen waren die Ueberbleibsel der alten unflätigen Tragödien noch auf den Dörfern und Flecken im Schwange geblieben. Das gemeine Volk findet allezeit mehr Geschmack an Narrenpossen und garstigen Schimpfreden; als an ernsthaften Dingen. Den witzigen Stadtleuten in Athen schien diese Art der Belustigungen zu abgeschmackt; weil sie schon etwas Edleres in der Tragödie gefunden hatten. Sie mögen also wohl diesen bäurischen Lustbarkeiten, zum Schimpfe, den Namen der Comödien gegeben haben, als welcher von κώμη und ὠδή herkömmt, und also ein Dorflied bedeutet. Allmählich wurden doch auch die Verfertiger dieser Stücke gewahr, daß die Tragödienschreiber ihre Spiele besser einrichteten. Sie ahmeten denenselben also mehr und mehr nach, bis ihre Schaubühnen endlich ein besser Geschicke bekamen. Doch weis man insbesondere diejenigen oder denjenigen nicht zu nennen, die am ersten Hand ans Werk geleget haben. 2. §. Aristoteles berichtet bloß, daß Epicharmus, ein Sicilianer, der neuer als Thespis, aber älter als Aeschylus gewesen, zuerst angefangen, ordentlichere Stücke zu spielen, und eine gewisse Hauptabsicht in seine Vorstellungen zu bringen. Ihm folgte bald ein Athenienser, Krates nach. Dieser befreyete die angefangene Comödie von der alten Grobheit der Bauren, und sauberte sie von ihren vorigen Unflätereyen: und darauf fand sie denn auch in der Stadt Beyfall. Dahin gehören die Verse des Horaz, die von dem Pratinas handeln: CARMINE QUI TRAGICO VILEM CERTAUIT OB HIRCUM, MOX ETIAM AGRESTES SATYROS NUDAUIT; ET ASPER INCOLUMI GRAUITATE JOCUM TENTAUIT: EO QUOD ILLECEBRIS ERAT, ET GRATA NOUITATE MORANDUS SPECTATOR, FUNCTUSQUE SACRIS, ET POTUS, ET EXLEX. Hier finden wir alles beysammen, den Ursprung, den Inhalt, auch die Absicht der ältesten Comödien. Aus den tragischen Liedern sind sie entstanden, und zwar bey Gelegenheit der Festtage. Ihr Inhalt ist ein scharfer oder beißender Scherz gewesen, den sie von lauter bäurischen Satiren, das ist, halbnackten Bauren, absingen oder spielen lassen. Und die Absicht war, dem Volke, nach vollbrachtem Gottesdienste und vollendetem Schmause, durch eine neue Lustbarkeit die Zeit zu vertreiben. Dieses war nun die alte Comödie. 3. §. So bald sie nun von dem alten Krates ins Geschicke gebracht worden, fanden sich bald Eupolis, Kratinus und Aristophanes, die ihr ein ganz anderes Ansehen gaben. Die vorige Heftigkeit nackter Satiren wurde in eine lächerliche Vorstellung gewisser Personen verwandelt, die man sich nicht scheuete, mit Namen zu nennen. So finden wir, daß die vornehmsten Leute in Athen vor den Poeten nicht sicher gewesen: selbst Sokrates ist von ihnen öffentlich verspottet worden; da ihn Aristophanes in dem Stücke, das er die Wolken nennet, als einen wunderlichen Naturforscher und gottlosen Atheisten vorgestellet. Sonderlich sungen die Chöre dieser Comödien nichts als ehrenrührige Schmählieder, dadurch die Unschuldigsten angegriffen wurden. Daher kam es denn, daß die Obrigkeit dieser Frechheit Einhalt that, und die Chöre abzuschaffen, auch keine Person mehr mit Namen zu nennen geboth. SUCCESSIT VETUS HIS COMOEDIA, NON SINE MULTA LAUDE: SED IN VITIUM LIBERTAS EXCIDIT ET VIM DIGNAM LEGE REGI. LEX EST ACCEPTA, CHORUSQUE TURPITER OBTICUIT, SUBLATO IURE NOCENDI. 4. §. Da nun dergestalt die mittlere Comödie der Griechen aufhörete: so gieng die neue an, darinn sich Menander vor andern hervorgethan. Dieser fieng nunmehro an, rechte Fabeln zu erdenken, die sich auf die comische Schaubühne schickten. Er gab denenselben weder von lebendigen Leuten, noch von den Helden in Geschichten, die Namen; sondern er taufte sie selbst, wie es ihm gut dünkte. Seine Spiele aber blieben deswegen doch eben so angenehm und erbaulich, als sie vorher gewesen waren. Diese Veränderung oder Verbesserung der Comödie, hat Aristoteles nicht erlebt; weil die mittlere bis nach Alexanders Zeiten gewähret. Daher hat auch dieser große Kunstrichter wohl gesehen, daß zwar die Tragödie zu seiner Zeit, zur Vollkommenheit gebracht worden; aber nicht die Comödie: deren Wachsthum er also vorher sagen konnte; wie es auch in der That erfolget ist. Man sehe hier des Abts Brümois Abhandlungen, von der griechischen Schaubühne nach, die vor seinem THEATRE DES GRECS stehen; imgleichen die schönen Untersuchungen hieher gehöriger Dinge, die in den MEMOIRES DE L'ACADEMIE DES BELLES LETTRES hin und wieder vorkommen. 5. §. Die Römer müssen Leute von ganz anderm Naturelle gewesen seyn, als die Griechen: denn bey ihnen hat die Comödie ein ganz widerwärtiges Glück gehabt. Dort war sie zuletzt in Aufnehmen gekommen, hier aber, ward sie zuerst beliebt. Man kann sie hier ebenfalls in die alte, mittlere und neue eintheilen; und jene zu Ennii, die andere zu Plauti, die dritte zu Terentii Zeiten antreffen. Die erste war noch ziemlich ungestalt und grob; wie aus dem Zeugnisse Horatii von den Versen Ennii erhellet. Plautus trieb die Kunst in seinen Comödien etwas höher; aber er bequemte sich dem Geschmacke des Pöbel zu sehr, und mengte viel garstige Zoten und niederträchtige Fratzen hinein. Diese mochten auch noch zu Horazens Zeiten vielen gefallen; weil sie gemeiniglich die alten Poeten lobten, die neuen aber verachteten; wie er darüber in seinem langen Schreiben an den August klaget. Auch in der ARTE POETICA sagt er davon: NON QUIUIS VIDET IMMODULATA POEMATA IUDEX, ET DATA ROMANIS VENIA EST INDIGNA POETIS. – – – – – AT NOSTRI PROAUI PLAUTINOS ET NUMEROS ET LAUDAUERE SALES, NIMIUM PATIENTER VTRUMQUE, NE DICAM, STULTE MIRATI: SI MODO EGO ET VOS SCIMUS INURBANO LEPIDUM SEPONERE DICTO. Plautus muß also sehr viel Selbstliebe für sich gehabt haben, wann er sich selbst eine so pralerische Grabschrift gemacht hat: Daß die Musen über seinen Tod weinen und klagen sollten; weil alle Scherzreden und hübsche Einfälle mit ihm verlohren gegangen. In der That ist Terenz schon von den alten Kunstrichtern dem Plautus weit vorgezogen worden. Ob er gleich ein Africaner war; so besaß er doch die Zierlichkeit der lateinischen Sprache im höchsten Grade: welches er sonder Zweifel dem Umgange mit den vornehmsten Römern zu danken hatte. Scipio und Lälius haben ihn ihrer Freundschaft gewürdiget, ja wohl selbst bey seinen Comödien Hand angelegt. Dieses ward ihm schon damals von seinen Feinden vorgerückt, wie er den Vorredner zu der Comödie von zweenen Brüdern, sagen läßt. NAM QUOD ISTI DICUNT MALEUOLI, HOMINES NOBILES EUM ADIUTARE, ASSIDUEQUE VNA SCRIBERE; QUOD ILLI MALEDICTUM VEHEMENS ESSE EXISTUMANT, EAM LAUDEM HIC DUCIT MAXIMAM, CUM ILLIS PLACET, QUI VOBIS VNIUERSIS ET POPULO PLACENT, QUORUM OPERA IN BELLO, IN OTIO, IN NEGOTIO SUO QUISQUE TEMPORE VSUS EST SINE SUPERBIA. 6. §. Indessen ist es wahr, daß Terenz nicht viel neue Fabeln gemacht; sondern die meisten aus Menanders griechischen Comödien entlehnet hat. Er gesteht solches selbst in den Vorreden, und also kann es ihm zu keinem Vorwurfe eines Diebstahls gereichen. Soviel ist gewiß, daß seine Sachen regelmäßig sind, und die artigsten Scherzreden voller Salz und Schärfe in sich fassen. Hat gleich Menage ihn wegen des Selbstpeinigers beschuldigen wollen, daß er mehr als 24. Stunden zu diesem Stücke genommen, und also wieder die Vorschrift Aristotels gehandelt habe: so hat ihn doch der Abt von Aubignac gelehrt vertheidigt. Die Charactere sind darinn unvergleichlich beobachtet; und die Natur ist überall so vollkommen nachgeahmet, daß man kein Bild davon, sondern sie selbst zu sehen glaubet, wenn man seine Personen reden hört. Es ist nichts unflätiges oder zweydeutiges darinnen; sondern ein ganz ehrbarer Ausdruck herrschet auch in dem Munde der geringsten Knechte und Mägde. 7. §. In neuern Zeiten haben sich die Italiener, Franzosen und Engeländer, so zu reden, um die Wette in Comödien hervor gethan. Eine jede Nation ist ihrem Geschmacke gefolget, und also sind auch verschiedene Arten dadurch zum Vorscheine gekommen; die entweder besser oder schlechter gerathen, nachdem sie den alten Griechen oder Römern mehr oder weniger gefolget sind. Die ersten Italiener, die uns die freyen Künste im Occidente zuerst wieder hergestellet, haben freylich sich angelegen seyn lassen, der guten Spur der alten Griechen und Römer zu folgen. Riccoboni erzählt uns in seiner Historie der italienischen Schaubühne eine große Menge guter Comödien, die von verschiedenen Poeten des 15ten Jahrhunderts gemacht worden. Er setzt hinzu, daß man sie dazumal alle in Versen gemacht, und daß die Comödianten also genöthiget gewesen, sie von Wort zu Wort auswendig zu lernen. So lange diese Gewohnheit gedauret, wäre auch der gute Geschmack noch erhalten worden. Allein, so bald die Comödianten aus Faulheit und Unwissenheit das Auswendiglernen unterlassen hätten: so wären auch anstatt der vorigen guten Stücke, die abgeschmacktesten Possen auf der Schaubühne eingerissen. Denn es hätten sich erstlich einige mit prosaischen Stücken versuchet; die aber von nachläßigen Comödianten sehr wären verstümmelt worden. Hernach aber hätte man gar nur den Inhalt aller Scenen mit wenigen Worten entworfen, und es den spielenden Personen und ihrer natürlichen Fähigkeit überlassen, was sie dabey für Einfälle haben würden. Daraus wären nun die allerabgeschmacktesten Dinge entstanden, die nur zur Belustigung des untersten Pöbels hätten dienen können: und dieses wäre der Ursprung von dem Verfalle der welschen Schaubühne gewesen. Eben dieses bestätiget er noch ausführlicher in s. REMARQUES HISTOR. & CRITIQ. SUR TOUS LES THEATRES DE L'EUROPE. Siehe auch des Herrn Muratori Vorrede zu den zwölf italienischen Trauerspielen, die er unter dem Titel THEATRO ITALIANO, im Jahr 1728. zu Verona in drey Octavbänden herausgegeben hat. 8. §. Und in der That hat man aus der Erfahrung gesehen, daß das italienische Theater seit etlichen Jahrhunderten nicht viel kluges hervorgebracht hat. Ihre besten Comödien enthalten nichts, als Romanstreiche, Betrügereyen der Diener, und unendlich viel abgeschmackte Narrenpossen. Harlekin und Scaramutz sind die ewigen Hauptpersonen ihrer Schaubühne: und diese ahmen nicht die Handlungen des gemeinen Lebens nach; sondern machen lauter ungereimte Streiche, die einem nicht so arg träumen könnten. Ein Mondenkaiser, ein SPIRITO FOLETTO, ein Lederhändler von Pergamo, und unzählige andre, davon das THEATRE ITALIEN voll ist, können uns diesen Geschmack sattsam bekannt machen. Sie binden sich an keine Einheit der Zeit und des Orts, ja oft ist nicht einmal eine rechte Haupthandlung in ihren Fabeln. Sie machen Parodien auf die ernsthaftesten Stücke, mitten zwischen ihren andern Scenen; und erfüllen alles mit Geistern, Zaubereyen und Gespenstern. Kurz, man kann von den unsinnigen Phantasien und Schwärmereyen ihrer Comödianten sagen: VELUT AEGRI SOMNIA, VANAE FINGUNTUR SPECIES, VT NEC PES, NEC CAPUT VNI REDDATUR FORMAE. Man ist auch dieser italienischen Art schon so gewohnt, daß man von dergleichen Burlesken nichts kluges mehr vermuthet: und wenn man in dergleichen Comödien lachet; so geschieht es nicht, sowohl über die Thorheiten der darinn aufgeführten Personen, als über die närrischen Einfälle des Verfassers solcher Spiele. Man lese nur, was St. Evremont von der Comödie der Welschen, in einer besondern Abhandlung für ein Urtheil gefället hat, welche in den eigenen Schriften der deutschen Gesellschaft zu finden ist. Indessen haben sich Herr Muratori in seiner POESIA PERFETTA ITALIANA, und der Marchese Maffei zu unsern Zeiten bemühet, auch die comische Bühne ihrer Nation wieder von dem Unwesen zu saubern, darein sie gerathen war: wiewohl es noch schlecht damit von statten gehen will. 9. §. Die Engelländer haben zwar auch kein regelmäßiges Theater, indessen sind sie doch den Italienern weit überlegen. Sie rühmen vor andern ihren ETHEREGE, WICHERLEY und Congreve, in diesem Stücke; und Dryden selbst hat sich in Comödien versuchet. Sonderlich pralen sie mit ihrem HUMOUR, darinn sie alte und neue Nationen übertroffen zu haben glauben. Dryden beschreibt denselben: THE RIDICULOUS EXTRAVAGANCE OF CONVERSATION, WHEREIN ONE MAN DIFFERS FROM ALL OTHERS. d.i. Die lächerliche Art im Umgange, darinnen ein Mensch sich von allen andern unterscheidet. Da die englische Nation viel solche Originale von besondern Arten des Eigensinnes und der Phantasie aufzuweisen hat; wie aus dem Spectator erhellet: so ist es gewiß, daß diese sonderbare Thorheiten lächerliche Vorstellungen genug auf die Schaubühne verschaffen werden. Allein, da es das Werk der Comödie nicht ist, einzelne Persone zu spotten; sondern allgemeine Thorheiten lächerlich zu machen, wie hernach erwiesen werden soll: so sehen wir wohl, daß die Engelländer, nach ihrer Gewohnheit, von ihrer Nation zu großsprecherisch urtheilen. Ihr Johnson hat ihnen Regeln der Schaubühne geschrieben, daraus Dryden auch viel Werks macht: ob er gleich selbst in den Vorreden zu seinen Schauspielen die Regeln allezeit nach seinen Exempeln verdreht. So viel müsssen wir indessen mit St. Evremont und Voltairen gestehen, daß die englische Comödie sehr viel moralische lasterhafte Charactere lächerlich aufführet; und darinn an Reichthum und Nachdruck allen andern Nationen vorgeht: es wäre nur zu wünschen, daß nicht eine so wilde Verderbniß der Sitten auf ihrer Bühne herrschen möchte, die eher die Zuschauer anzustecken, als zu erbauen geschickt ist; wie der Zuschauer an vielen Orten Klage geführet hat. 10. §. Die Franzosen haben es wohl unstreitig, wie in der Tragödie, also auch in der Comödie, am höchsten gebracht. Moliere hat seine Stücke einestheils nach den Regeln und Exempeln der Alten eingerichtet, anderntheils aber auch den Italienern und Spaniern manche Erfindung abgeborget, wie Hr. Riccoboni, in seinen REFLEXIONS SUR MOLIERE entdecket hat; so daß ihm also Terenz weit vorzuziehen ist. Er ist zwar daher viel reicher an Materien als Terenz; welches aber kein Wunder ist, weil dieser nur sechs, er aber wohl drey, viermal so viel Comödien geschrieben. Aber er ist gleichwohl von allen Fehlern nicht frey. Seine Schreibart, sonderlich die poetische, ist nicht allezeit so natürlich, als sie für Comödien wohl seyn sollte, wie ihm der Erzbischof Fenelon dieses mit Recht vorrücket, in seinen Gedanken über die Comödie, die vor meiner Schaubühne stehen. Er macht oft große Umschweife, sehr wenig damit zu sagen; und kömmt dem Galimatias sehr nahe. Hernach treibt er seine Charactere zuweilen, sehr hoch, so, daß sie endlich unnatürlich werden. Z.E. Er läßt seinen Geizhals so argwöhnisch werden, daß er einem Bedienten, der aus der Stube geht, nicht allein die Taschen und beyde Hände besucht; sondern auch fordert, daß er ihm die dritte Hand zeigen solle: gerade als ob jemals ein Mensch so närrisch seyn könnte, zu glauben, daß jemand drey Hände habe. Er hat dieses zwar aus dem Plautus gelernt, der auch einmal sagt: CEDO TERTIAM! Allein das entschuldigt seinen Fehler nicht. Noch mehr ist er deswegen zu tadeln, daß er oft das Laster gar zu angenehm, die Tugend aber gar zu störrisch, unartig und lächerlich gemacht hat. Die Galanterie junger Leute hat immer den Vorzug vor der sorgfältigen Aufsicht der guten Aeltern; die für ihrer Kinder Tugend besorgt sind: dahergegen jene entweder schon lasterhaft sind; oder es doch leicht werden können. Er spottet der betrogenen Männer oft ohn alle ihr Verschulden. Denn was kann doch in Frankreich ein guter rechtschaffener Ehegatte davor, daß sein Weib ausschweifet: da es eine galante Mode ist, die Ehe zu brechen, und neben einem Manne noch ein halb Dutzend Anbether zu haben. Endlich hat sich Moliere, dem Pöbel zu gefallen, gar zu tief herunter gelassen, wenn er, die italienischen Narrenpossen nachzuahmen, die Betrügereyen Scapins aufgeführet hat. Boileau selbst hat ihm dieses nicht vergeben können; ob er gleich sonst sein guter Freund war: indem er schreibt: DANS CE SAC RIDICULE OÙ SCAPIN S'ENVELOPPE, JE NE RECONNOIS PLUS L'AUTEUR DU MISANTROPE. ART. POET. CHANT. 3. 11. §. Bey uns Deutschen hat es vor und nach Opitzen an Comödienschreibern zwar niemals gefehlt: aber nichts destoweniger haben wir nichts rechtes aufzuweisen, was unsrer Nation Ehre machen könnte. Wir haben wohl ganze Fuder Comödien, die in Hans Sachsens Geschmacke geschrieben, und meistens aus der Bibel genommen sind. Wer hieran zweifelt, der lese nur das Verzeichniß davon nach, welches ich im II. und III. B. meiner deutschen Schaubühne davon gegeben habe. Aber sie sind auch mehrentheils so künstlich, wie dieses nürnbergischen Meistersängers seine Werke: der wohl gar Gott den Herrn zum Adam kommen, und mit seinen Kindern, deren er ihm ein halb Dutzend fromme, und ein halb Dutzend gottlose dichtet, ein Examen aus D. Luthers Catechismus halten läßt. Wie er nun den Abel und seine Kameraden im Vater Unser, Glauben und den zehn Gebothen wohl bewandert findet: also besteht Cain mit seinen bösen Brüdern sehr übel, wenn er sein Vater Unser so verstümmelt herbethet: O Vater Himmel unser, Laß uns allhier dein Reich geschehen, In Himmel und in Erden sehen, Gieb uns Schuld und täglich viel Brodt, Und alles Uebel, Angst und Noth. Eben so fein machts der andere, den er Dathan nennet, und der den Glauben hersagen soll. Es heißt: Ich glaub an Gott, Himmel und Erden, Und auch des Saamens Weib muß werden, Und des heiligen Geistes Namen Die Sünde, Fleisch und Leben. Amen. Man sieht aus diesen und andern Proben wohl, daß der ehrliche Mann kein übeles Geschicke zur Beobachtung der Charactere und zur Nachahmung der Natur gehabt: Allein die Regeln der Wahrscheinlichkeit sind ihm ganz unbekannt gewesen; sonst würde er keine solche Vermischung der Zeiten gemacht haben, als aus dem angeführten sattsam erhellen wird. Opitz selbst hat sich in Lustspielen gar nicht versuchet. 12. §. Andreas Gryphius hat es ohne Zweifel in Comödien bey uns im vorigen Jahrhundert am weitesten gebracht. Seine Säugamme, sein Horribilicribrifax und Peter Sqvenz sind ziemlich wohl gerathen, und stellen solche lächerliche Thorheiten vor, die dem Zuschauer viel Vergnügen und Nutzen schaffen können. Nur in dem Zusammenhange der Auftritte, in der Menge der spielenden Personen, und in der Einheit des Ortes, hat er es, auch Art aller unsrer Alten, sehr versehen. Dedekind hat fast lauter geistliche Stücke gemacht. Christian Weise hat jenem nachfolgen wollen; und kein übles Talent dazu gehabt: allein, wie ihm überhaupt die Regeln der alten Redekunst und Poesie unbekannt gewesen; so ist er auch bey seinem selbstgewachsenen Witze geblieben, und hat lauter unrichtige Stücke gemacht. Man will ihn mehrentheils damit entschuldigen, daß er sich genöthiget gesehen, allen seinen Schülern etwas zu thun zu geben: allein, wer nöthigte ihn dazu, sie alle in einer Comödie zu brauchen? Er hätte sie wechselweise in verschiedenen anbringen, und etwas rechtes machen können. Das war aber wohl die wahre Ursache nicht, warum er nichts regelmäßiges gemacht. Indessen ist es doch gut, wenn man ihn liest; um dadurch auf manchen guten Einfall zu kommen, der sich nach unsrer Art in der Comödie anbringen läßt. Was sonst von den besten deutschen Comödianten gespielet wird, das ist gemeiniglich aus dem Französischen übersetzt; welches auch so lange ganz gut ist, bis wir mit der Zeit eigene comische Poeten bekommen werden, die was gescheidtes machen können. Denn was manche Cömödianten selbst zusammen stümpeln, das ist nichts besser, als die Geburten der italienischen Schaubühne, und zeigt so viele Proben von dem Mangel ihrer Einsicht, als Auftritte ein Schmarutzer, Kuchenfresser oder altenburgischer Bauer, nur aufzuweisen hat; der verwünschten Jungfer hier nicht zu gedenken, die vollends das Abgeschmackte aufs höchste treibt. Was aber die gemeinen Possenspieler aufführen, das ist entweder aus einem Roman zusammen gestümpelt; oder aus der Ollapatrida entlehnet. Daher ist es kein Wunder, daß man noch nichts gescheidtes vorstellen sieht, dafern es nicht irgend aus Molieren entlehnt, oder ganz übersetzet worden. 13. §. Die Comödie ist nichts anders, als ein Nachahmung einer lasterhaften Handlung, die durch ihr lächerliches Wesen den Zuschauer belustigen, aber auch zugleich erbauen kann. So hat sie Aristoteles beschrieben, und zugleich erkläret, was er durch das Lächerliche verstünde. Er sagt aber sehr wohl, daß es was ungestaltes oder ungereimtes sey, das doch demjenigen, der es an sich hat, keinen Schmerz verursachet: wobey er aus dem Homer das Gesicht des Thersites zum Exempel anführet. Es ist also wohl zu merken, daß weder das Lasterhafte noch das Lächerliche für sich allein, in die Comödie gehöret; sondern beydes zusammen, wenn es in einer Handlung verbunden angetroffen wird. Vieles läuft wider die Tugend, ist aber mehr strafbar und widerlich, oder gar abscheulich, als lächerlich. Vieles ist auch lächerlich; wie zum Exempel die Harlekinspossen der Italiener: aber darum ist es doch nicht lasterhaft. Beydes gehört also nicht zum Wesen eines rechten Lustspiels: denn OMNE TULIT PUNCTUM, QUI MISCUIT VTILE DULCI, LECTOREM DELECTANDO PARITERQUE MONENDO. Nun weis ich zwar, daß ein gelehrter Mann, in einer Einladungschrift neulich auch die Möglichkeit einer ganz tugendhaften Comödie hat behaupten wollen, die doch lustig seyn sollte. Allein seine Einwürfe gegen diese meine Erklärung der Lustspiele, lassen sich gar wohl beantworten, wie ich im letzten Stücke des VII. Bandes, meiner critischen Beyträge gewiesen habe. 14. §. Nach dieser Regel ist es leicht, alle Comödien zu beurtheilen: wo man denn finden wird; daß eine große Menge nicht nach den Regeln der Vernunft gemacht ist. Z.E. Machiavellus hat die Mandragola gemacht; die zwar sonst ziemlich regelmäßig ist; aber weiter nichts, als einen durch viele Spitzfindigkeiten betrogenen Ehmann vorstellt. Der gute Kerl wird im höchsten Grade lächerlich gemacht; indem er seinen Nebenbuhler selbst zu seiner Frauen ins Bette führet, ihn nackt auszieht, hineinlegt, und in der Kammer verschließt: alles in der Absicht, daß selbiger das Gift von seiner Ehegattinn an sich ziehen möge, welches eine Wirkung der Arzeney bey ihr seyn sollte, die man derselben, ihrer Unfruchtbarkeit halber, eingegeben hatte. Allein, was fließt denn aus dieser lächerlichen Handlung für eine Lehre? Keine andere, als daß man keinen Galan zu seiner Frauen führen solle. Ich untersuche hier nicht einmal die Wahrscheinlichkeit der Fabel, die zwar auf der Schaubühne gut genug ausgekünstelt ist; aber gewiß im gemeinen Leben nicht angehen würde. Will man etliche molierische Comödien, auf diese Art untersuchen, so wird man eben diesen Fehler auch bey denenselben, sehr häufig und handgreiflich antreffen. 15. §. Zu einer comischen Handlung nun kann man eben so wenig, als zu tragischen, einen ganzen Character eines Menschen nehmen, der sich in unzähligen Thaten äußert; als z.E. einen Cartousche mit allen seinen Spitzbübereyen. Es muß eine einzige recht wichtige Spitzbüberey genommen werden, dazu viele Anstalten gehören, ehe sie ausgeführet werden kann; die aber, vieler Schwierigkeit ungeachtet, gelinget, und also eine Handlung ausmacht. Diesen Erfolg derselben lächerlich zu machen, dazu gehört, daß entweder Cartousche, oder der, so von ihm betrogen wird, auslachenswürdig werde. Dieses letztere zu versuchen, müßte man etwa dichten, es hätte sich jemand in Paris so klug dünken lassen; daß ihn Cartousche mit aller seiner List nicht sollte betrügen können. Dieses hätte er sich in einer Gesellschaft gerühmet, wo dieser Räuber selbst, doch unerkannt, zugegen gewesen; und dadurch demselben Lust gemacht, seine Kunst an ihm zu erweisen. Man könnte nun einen von den listigsten Streichen dieses Spitzbuben wählen, und den so überklugen Mann, zum Ueberflusse, erst durch gewisse Leute warnen lassen, wohl auf seiner Hut zu stehen; endlich aber doch betrogen werden lassen. Hier würde nun freylich wohl die Comödie ein lustiges Ende nehmen; aber nicht die Spitzbüberey; sondern die eingebildete Klugheit des Betrogenen würde dadurch zum Gelächter werden; und die Morale würde heißen: Man solle sich nicht zu weise dünken lassen, wenn man mit verschmitzten Leuten zu thun hat; vielweniger mit seiner vorsichtigen Behutsamkeit pralen, weil dieses uns die Leute nur desto aufsätziger macht. 16. §. Die Fabeln der Comödie werden also auf eben die Art gemacht, als die tragischen; und können eben sowohl in schlechte, einfache und gemeine, dergleichen die obige ist; und in verworrene, die eine Entdeckung, oder doch einen Glückswechsel haben, eingetheilt werden. Ein Exempel von dieser giebt die Andria des Terenz ab, die für eines atheniensischen Bürgers Tochter erkannt, und also durch eine gute Heirath auf einmal glücklich wird. In meiner Schaubühne, haben der politische Kanngießer, der deutsche Franzose, das Gespenste mit der Trummel, und der poetische Dorfjunker, solche Entdeckungen unbekannter Personen in sich. Der Menschenfeind aber, die Spielerinn, der Bramarbas, der Verschwender, u.a.m. sind Fabeln von der ersten Art. Dem ungeachtet haben doch alle ihren gewissen Knoten, der sich im Anfange der Comödie einwickelt, und hernach geschickt und wahrscheinlich auflöset. Dieses ist nun die ganze Kunst. Die Italiener machen gemeiniglich gar zu viel unnatürliche Künsteleyen. Sie verkleiden sich unzähligemal. Bald ist der Liebhaber eine Seule, bald eine Uhr, bald eine Trödelfrau, bald ein Gespenste, bald gar eine Baßgeige; um nur zu seinem Zwecke zu gelangen. Denn weiter ist bey ihren Comödien ohnedieß, an nichts zugedenken; als an Liebesstreiche, da man entweder die Aeltern oder die Männer betrüget. Diese Materie aber ist schon so abgedroschen, daß ich nicht begreifen kann, wie man sie nicht längst überdrüßig geworden. Eben so kömmt es mir vor, wenn sich alle Stücke mit dem Heirathen endigen. Ist denn weiter nichts in der Welt, als das Hochzeitmachen, was einen frölichen Ausgang geben kann? Moliere selbst hat sich dieses Kunstgriffes zu oft bedienet: da er doch fähig gewesen wäre, hundert andere Verwickelungen und Auflösungen seiner Fabeln zu erfinden. Wir erwarten itzo ein Tractat von dem Herrn Riccoboni, darinn er zu einer gänzlichen Verbesserung der Schaubühne, Vorschläge thun, und Mittel an die Hand geben wird, sie mit der Vernunft, Politik und Religion in eine völlige Uebereinstimmung zu bringen. 17. §. Die Personen, die zur Comödie gehören, sind ordentliche Bürger, oder doch Leute von mäßigem Stande, dergleichen auch wohl zur Noth Barons, Marquis und Grafen sind: nicht, als wenn die Großen dieser Welt keine Thorheiten zu begehen pflegten, die lächerlich wären; nein, sondern weil es wider die Ehrerbiethung läuft, die man ihnen schuldig ist, sie als auslachenswürdig vorzustellen. In Griechenland machte sich zwar Aristophanes nichts daraus, den Xerxes mit einer Armee von 40000 Mann auf einen ganz güldenen Berg marschieren, und ihn also in einer königlichen Pracht seine Nothdurft verrichten zu lassen. Allein, das war ein republikanischer Kopf, der wohl wußte, daß die Griechen am liebsten über die Könige lachten: zu geschweigen, daß er auch die Thorheit des Xerxes auf eine unnatürliche Weise vergrößert hat. Plautus hat seinen Amphitryon eine Tragicomödie genennt; weil er glaubte, daß königliche Personen allein für die Tragödie gehöreten. Allein eine Tragicomödie giebt einen so ungereimten Begriff, als wenn ich sagte, ein lustiges Klagelied. Es ist ein Ungeheuer; und da der Ausgang seines Amphitryons lustig ist: so hätte ers nur immer schlechtweg eine Comödie nennen dörfen. Eben das ist von des Boursault Aesopus bey Hofe zu sagen, den derselbe aus gleicher Ursache COMEDIE HEROIQUE betitteln wollen; aber auch eben darum, ohne alle Noth einen neuen Namen ersonnen hat. 18. §. Die ganze Fabel einer Comödie muß, ihrem Inhalte nach, die Einheit der Zeit und des Ortes, eben so wohl, als die Tragödie, beobachten. Ein Haus oder ein Platz auf öffentlicher Straße muß der Schauplatz werden, wenn sie in der Stadt vorgeht: sonst könnte es auch wohl ein adelicher Pallast, ein Garten, oder bey Schäferstücken ein Wäldchen seyn. Aber wie er einmal ist; so muß er das ganze Stück durch bleiben, wie oben schon erwiesen worden. In diesem Stücke nun ist Herr Prof. Hollberg in seinem Kannengießer, deutschen Franzosen, und Bramarbas nicht gar zu genau bey der Regel geblieben; indem einige Auftritte vor, andere aber in den Häusern vorgehen. Die Zeit darf auch nicht länger, als etliche Stunden, nicht aber ganze Tage und Nächte dauren. Die Eintheilung derselben muß eben sowohl, wie oben in Trauerspielen, in fünf Aufzügen geschehen, ungeachtet die Italiener nur dreye zu machen pflegen: denn sonst wer den sie gemeiniglich gar zu lang, und bekommen so viel Auftritte hinter einander, daß man sich verwirret. Man zählt aber die Scenen nach dem Auf- und Abtritte einer Person. So bald eine kömmt, oder eine weggeht, so rechnet man einen neuen Auftritt: und nachdem sie kurz oder lang gerathen, nachdem müssen auch viele oder wenige zu einem Aufzuge seyn. Das merke ich hier abermal an, daß die Schaubühne niemals ganz leer werden muß, als bis der Aufzug aus ist. Es läßt häßlich, wenn hier ein Paar Personen davon laufen, und dort ein Paar frische hervor treten, die mit einander kein Wort zu wechseln haben: und da kann es leichtlich kommen, daß die Zwischenfabeln nicht recht mit der Hauptfabel zusammen hängen. Wenn also jemand auftritt, so muß er allezeit jemanden finden, mit dem er redet: und wenn jemand weggeht, so muß er einen da lassen, der die Bühne füllet, es wäre denn, daß er mit Fleiß dem Neuankommenden ausweichen wollte. Das heißt beym Boileau: ET LES SCENES TOUJOURS L'UNE À L'AUTRE LIÉES. 19. §. Da ich von Auftritten handle, so muß ich auch der einzelnen gedenken, wo nur eine Person auftritt. Bey den Alten zwar hatten diese mehr Wahrscheinlichkeit, als bey uns; weil nämlich damals der Chor allezeit auf der Bühne stund, und mit für eine Person anzusehen war: und also redete da die einzelne Person nicht mit sich selbst. Bey uns aber ist die Bühne leer; und die Zuschauer gehören nicht mit in die Comödie: folglich hat die Person niemanden, den sie anreden könnte. Kluge Leute aber pflegen nicht laut zu reden, wenn sie allein sind; es wäre denn in besondern Affecten, und das zwar mit wenig Worten. Daher kommen mir die meisten einzelnen Scenen sehr unnatürlich vor; und außer der ersten im Geizhalse des Moliere, wüßte ich fast keine zu nennen, die mir gefallen hätte. Eben darum habe ich auch aus des Herrn Prof. Hollbergs Bramarbas den ersten Auftritt, den der Schlaukopf allein hatte, und der ziemlich lang war, ganz weggelassen; auch in dem Kannengießer an einigen Stellen solche kleine Fehler zu vermeiden gesucht. Man hüte sich also davor, so viel man kann; welches auch mehrentheils angeht, wenn man dem Redenden noch sonst jemand zugiebt, der das, was er sagt, ohne Gefahr wissen und hören darf. Eben so übel steht es, wenn jemand für sich auf der Schaubühne redet, doch so, daß der andre, der dabey steht, es nicht hören soll; gleichwohl aber so laut spricht, daß der ganze Schauplatz es verstehen kann. Was hier für eine Wahrscheinlichkeit stecke; das habe ich niemals ergründen können: es wäre denn, daß die anwesende Person auf eine so kurze Zeit ihr Gehör verlohren hätte. Siehe von beyden Stücken des Abts Hedelin von Aubignac Buch von Ausübung der theatralischen Dichtkunst, nach des Herrn von Steinwehr Uebersetzung. 20. §. Von den Characteren in der Comödie ist weiter nichts besondres zu erinnern; als was bey der Tragödie schon vorgekommen ist. Man muß die Natur und Art der Menschen zu beobachten wissen, jedem Alter, jedem Stande, jedem Geschlechte, und jedem Volke solche Neigungen und Gemüthsarten geben, als wir von ihnen gewohnt sind. Kömmt ja einmal was außerordentliches vor; z.E. daß etwa ein Alter nicht geizig, ein Junger nicht verschwenderisch, ein Weib nicht weichherzig, ein Mann nicht beherzt ist: so muß der Zuschauer vorbereitet werden, solche ungewöhnliche Charactere für wahrscheinlich zu halten; welches durch Erzählung der Umstände geschieht, die dazu etwas beygetragen haben. Man muß aber die lächerlichen Charactere nicht zu hoch treiben. So bald der Zuschauer glauben kann, so gar thöricht würde wohl kein Mensch in der Welt seyn: so bald verliert der Character seinen Werth. Darinn verstoßen es zuweilen auch die besten Poeten; wie oben von dem Geizhalse des Moliere bemerket worden. Terentius ist hierinn überaus geschickt gewesen. Alle seine Bilder leben: Boileau schreibt davon: CONTEMPLEZ DE QUEL AIR UN PERE DANS TERENCE, VIENT D'UN FILS AMOUREUX GOURMANDER L'IMPRUDENCE. DE QUEL AIR CET AMANT ÉCOUTE SES LEÇONS, ET COURT CHEZ SA MAITRESSE OUBLIER CES CHANSONS. CE N'EST PAS UN PORTRAIT, UNE IMAGE SEMBLABLE, C'EST UN AMANT, UN FILS, UN PERE VERITABLE. Siehe auch in dem ersten Theile der eigenen Schriften der deutschen Gesellschaft, des Herrn von Brück sein Gedicht von der Dichtkunst an verschiedenen Orten, sonderlich auf der 20. und folgenden Seite, wo von der Comödie gehandelt wird. 21. §. Von den Affecten ist hier ebenfalls nichts neues zu sagen; als daß man die tragischen, nemlich die Furcht, das Schrecken und Mitleiden zu vermeiden habe. Daher hat Destouches viel gewagt, da er in seinem Verschwender diesen Affect zu erregen gesucht, doch so, daß er sich wieder in Freude verwandelt. Siehe der deutschen Schaubühne III. Theil. Alle übrige finden in der Comödie auch statt. Ein zorniger Chremes, ein verliebter Pamphilus, ein stolzer Thraso, ein lustiger Davus, u.d.m. das sind solche Gemüthsbewegungen, die eben kein Schrecken, auch keine Verwunderung erwecken. Der Menedemus im Terenz ist indessen so beschaffen, daß er gleich ein Mitleiden bey uns erwecket: doch da solcher Affect nur gelinde bleibt; so ist es eben kein Fehler. Von der Liebe und Lustigkeit darf man wohl keine Regeln geben: denn darauf verfallen die gemeinsten Comödienmacher von sich selbst. Sie mögen sich nur in acht nehmen, daß sie in der ersten, nicht die Gesetze der Schamhaftigkeit und Zucht, in der andern die Ehrbarkeit nicht aus den Augen setzen. Das will Boileau: LE COMIQUE, ENNEMI DES SOUPIRS & DES PLEURS, N'ADMET POINT EN SES VERS DE TRAGIQUES DOULEURS. MAIS SON EMPLOI N'EST PAS D'ALLER DANS UNE PLACE, DE MOTS SALES & BAS CHARMER LA POPULACE. IL FAUT QUE SES ACTEURS BADINENT NOBLEMENT. Diese Regel ist um desto nöthiger zu wiederholen und einzuschärfen, da auch Leute, die sich einer verbesserten Schaubühne rühmen, und sich selbst für die Verbesserer derselben ausgeben, mit solchen Fratzen aufgezogen kommen; und durch das niedrigste Zeug ihre Zuhörer zu belustigen suchen. Ja sie mengen wohl in solche Stücke Zoten ein, die von ihren Verfassern aufs ehrbarste abgefasset worden, wie es in dem Gespenste mit der Trummel gegangen, welches im II. Theile der deutschen Schaubühne steht. 22. §. Und dieses führet mich auf die Schreibart der Comödien. Sie besteht aus den Gedanken und Ausdrückungen derselben, und hierinn ist die Comödie von der Tragödie sehr unterschieden. Das macht, daß dort fast lauter vornehme Leute; hier aber Bürger und geringe Personen, Knechte und Mägde vorkommen: dort die heftigsten Gemüthsbewegungen herrschen, die sich durch einen pathetischen Ausdruck zu verstehen geben; hier aber nur lauter lächerliche und lustige Sachen vorkommen, wovon man in der gemeinen Sprache zu reden gewohnt ist. Es muß also eine Comödie eine ganz natürliche Schreibart haben, und wenn sie gleich in Versen gesetzt wird, doch die gemeinsten Redensarten beybehalten.. Hierinn ist Terentius abermal unvergleichlich. Molieren hat Fenelon in seinen REFLEX. SUR LA RHETORIQUE & LA POETIQUE deswegen getadelt; wie ich oben aus ihm bereits angeführet habe. Siehe die deutsche Uebersetzung davon vor dem ersten Theile der deutschen Schaubühne. Es ist also kein Zweifel, ob man auch in Versen Comödien schreiben könne? Menander, Terenz, und Moliere habens gethan; warum sollte es im Deutschen nicht angehen? Wir haben auch im Deutschen schon etliche Exempel davon erlebet, die nicht übel gerathen sind. Nur es muß keine poetische Schreibart darinnen herrschen, und außer dem Sylbenmaaße sonst nichts gleißendes oder gekünsteltes dabey vorkommen. Es schicken sich aber nach dem Muster der Alten keine andere, als jambische Verse dazu, und zwar lange sechsfüßige, oder gar achtfüßige, mit ungetrennten Reimen; oder welches noch besser wäre, ohne alle Reime, wie auch die Italiener des XV. Jahrhunderts sie gemacht haben, und die Engländer sie noch diese Stunde machen. Man sehe, was davon im VI. und VII. Bande der critischen Beyträge für Streitschriften gewechselt worden. 23. §. Von der Lustigkeit im Ausdrucke möchte mancher fragen, wie man dazu gelangen könne? Ich antworte, das Lächerliche der Comödien muß mehr aus den Sachen, als Worten entstehen. Die seltsame Aufführung närrischer Leute, macht sie auslachenswürdig. Man sehe einen Bramarbas und Stiefelius, einen deutschen Franzosen und politischen Kannengießer in unsrer Schaubühne an: so wird man sich des Lachens nicht enthalten können; obgleich kein Wort an sich lächerlich ist. Imgleichen des Racine Comödie von der Proceßirsucht macht die Liebhaber der Zänkereyen, imgleichen die französischen Advocaten lächerlich, die in ihren Klag- und Schutzreden eine übel angebrachte Gelehrsamkeit zeigen wollen. Dieses ist nun das wahre Belustigende in der Comödie. Allein kleine Geister, die keine Einsicht in die Moral besitzen, und das ungereimte Wesen in den menschlichen Handlungen weder wahrnehmen noch satirisch vorstellen können, haben sich auf eine andre Art zu helfen gesucht. Sie haben das Lächerliche nicht in den Sachen, sondern in närrischen Kleidungen, Worten und Geberden zu finden gemeynet. Daher hat Harlekin und Scaramutz die Hauptperson ihrer Lustspiele werden müssen. Diese müssen durch bunte Wämser, wunderliche Posituren und garstige Fratzen, den Pöbel zum Gelächter reizen. Von diesen allen haben die Alten nichts gewußt; und es gehört mit unter die phantastischen Erfindungen der Italiener, die jemand in der Vorrede zu einer französischen Comödie, HARLEQUIN AUX CHAMPS ELISÉES, verspottet hat. Siehe des Pater Poree Rede; ob die Schaubühne eine Schule guter Sitten seyn kann? so, wie Herr Professor May dieselbe übersetzet, und mit einer feinen Abhandlung vermehret hat. 24. §. Terenz hat seine Comödien ohne eine lustige Person lächerlich genug zu machen gewußt: das neue französische Theater hat gleichfalls bisher keinen Harlekin nöthig gehabt, die Zuschauer zu belustigen, obgleich Moliere darinn ein böses Exempel gegeben hatte. Destouches, und einige andere nämlich, haben sich gar wohl ohne diese phantastische Person behelfen können: und ein Poet setzet sich wirklich in Verdacht, als verstünde er sein Handwerk, das ist, die Satire nicht; wenn er ohne die Beyhülfe eines unflätigen Possenreißers, nichts lustiges auf die Schaubühne bringen kann. Boileau hat diese schmutzige Zoten seinen Schülern ernstlich untersagt; und den Moliere selbst nicht geschont, der sich auch oft dem Pöbel in diesem Stücke bequemet hatte. ETUDIEZ LA COUR, & CONNOISSEZ LA VILLE, L'UNE & L'AUTRE EST TOUJOURS EN MODÉLES FERTILE. C'EST PAR LÀ QUE MOLIERE, ILLUSTRANT SES ECRITS, PEUT-ÊTRE DE SON ART ÊUT REMPORTÉ LE PRIX; SI MOINS AMI DU PEUPLE, EN SES DOCTES PEINTURES, IL N'EUT POINT FAIT SOUVENT GRIMACER LES FIGURES; QUITTÉ POUR LE BOUFFON, L'AGREABLE & LE FIN, ET SANS HONTE À TERENCE ALLIÉ TABARIN. Hieraus ist nun leicht zu schließen, was von dem THEATRE ITALIEN und THEATRE DE LA FOIRE, wo lauter abgeschmacktes Zeug vorkömmt, für ein Werks zu machen sey: darüber ein Kluger entweder gar nicht lacht; oder sich doch schämt, gelachet zu haben; imgleichen was von allen deutschen Narren zu halten sey, sie mögen nun von alter Erfindung seyn, wie Hans Wurst oder Pickelhering, dessen sich Weise noch immer bedienet hat; oder auch von neuer Art, wie der sogenannte Peter, oder Crispin, oder wie sie sonst heißen mögen. Eben die Gründe, die wider jene streiten, sind auch allen diesen Geschöpfen einer unordentlichen Einbildungskraft zuwider, die kein Muster in der Natur haben. 25. §. Maschinen müssen in Comödien nicht vorkommen: weil die Götter sich in die thörichten Handlungen schlechter Leute nicht mischen. Eben darum ist Timon der Misanthrope nicht zu billigen, der in dem dritten B. der eigen. Schr. der deutschen Gesellschaft übersetzt ist; weil hier der Gott Merkur mit auftritt. Die Zaubereyen oft anzubringen, das ist auch nichts schönes; weil es nicht mehr wahrscheinlich ist. Es wäre denn auf diese Art, wie es in dem Gespenste mit der Trummel geschehen ist. Die Kleidungen der Personen müssen nach ihrem Character und Stande eingerichtet seyn: nur der Harlekin hat hier, ich weis nicht warum, eine Ausnahme. Er soll zuweilen einen Herrendiener bedeuten: allein, welcher Herr würde sich nicht schämen, seinem Kerle eine so buntscheckigte Lieberey zu geben? Der Scapin hat eine spanische Tracht; und das kann man in einem spanischen Stücke schon gelten lassen; allein bey uns schickt sichs nicht. Den Scaramutz, Pantalon, Anselmo, Doctor und Capitain, Pierrot und Mezetin, und wie die närrischen Personen der italienischen Comödien mehr heißen, können wir auch entbehren. Denn warum soll man immer bey einerley Personen bleiben? Die Namen dörfen auch in einer Comödie nicht aus der Historie genommen werden. So bald die Personen neue Charactere haben, müssen sie auch neue Namen bekommen: um die Verwirrung zu vermeiden, die sonst bey dem Zuschauer vieler Comödien entstehen könnte. Die Verzierungen der Schaubühne stellen den Ort vor, wo die ganze Fabel gespielet wird. Gemeiniglich ist es ein Bürgerhaus, oder eine Gasse der Stadt, da man an beyden Seiten verschiedene Häuser sieht. Die Musik anlangend, so wissen wir, daß in der neuen Comödie und bey den Römern keine Chöre gebraucht worden. Indessen steht doch auf den terenzischen Comödien: MODOS FECIT FLACCUS CLAUDII F. TIBIIS PARIBUS DEXTRIS ET SINISTRIS. Was das zu bedeuten habe, das mögen die Liebhaber der Alterthümer untersuchen. Vermuthlich hat man zwischen den Handlungen, an statt der vormaligen Oden, eine kleine Musik damit gemacht: denn daß die ganze Comödie abgesungen, und mit einer Instrumentalmusik wäre begleitet worden; davon findet man nicht die geringsten Spuren. 26. §. Wir Deutschen müssen uns so lange mit Uebersetzungen aus dem Französischen behelfen, bis wir werden Poeten bekommen, die selbst etwas regelmäßiges machen können. In meiner Schaubühne habe ich ihnen nunmehr zehn Muster von der guten Art vorgeleget; wenn sie sich den Geschmack nach diesen bilden, so werden sie auf keinen unrechten Weg gerathen. Es sind auch bereits verschiedene Proben von guten Köpfen gemacht worden, die ich in den folgenden Theilen ans Licht stellen werde. Es kömmt nur darauf an, daß unsre große Herren sich endlich einen Geschmack von deutschen Schauspielen beybringen lassen: denn so lange sie nur in ausländische Sachen verliebt sind, so lange ist nicht viel zu hoffen. Etliche von unsern Comödianten haben ihre Schaubühne allbereit bey vielen Kennern durch die ordentlichsten und auserlesensten Stücke beliebt gemacht; und wenn sie fortfahren, so wird auch mit der Zeit in diesem Stücke Deutschland den Ausländern nichts nachgeben dörfen. Das 12. Capitel Das XII. Capitel. Von Opern oder Singspielen. 1. §. Ich hätte mit dem vorigen Hauptstücke meine ganze Dichtkunst beschließen können; wenn nicht die neuern Zeiten eine besondere Art der Schauspiele erdacht hätten, die man eine Opera nennet. Ihr erster Erfinder, soll, nach einiger Meynung, ein italienischer Musikus, Cesti, am savoyischen Hofe gewesen seyn; der des Guarini treuen Schäfer in die Musik gesetzt, und wo nicht ganz, doch zum wenigsten größtenteils singend aufgeführet. Allein ich habe bey weiterer Untersuchung dieser Sache befunden, daß diese Erfindung noch etwas älter seyn muß. Dryden, ein englischer Poet, der selbst etliche Opern gemacht hat, hält dafür, die Italiener müßten den ersten Anlaß zur Erfindung der Opern, in den barbarischen Zeiten, als die Mauren noch in Spanien waren, bekommen haben. Denn diese pflegten solche Feste mit Singen und Tanzen und andern Lustbarkeiten zu feyren. So verkleinerlich diese Meynung den Opern ist, so übel gefällt sie dem Verfasser eines englischen Buches, THE TASTE OF THE TOWN, OR A GUIDE TO ALL PUBLICK DI VERSIONS, der uns in der ersten Abtheilung seines Werkes auch von der Oper in London einen Begriff beybringen will. Er will uns nämlich bereden, die Oper habe aus dem Chore der alten griechischen und römischen Trauerspiele ihren Ursprung genommen. Denn so wie man darinn eine große Anzahl Sänger auf die Schaubühne stellte, die zwischen den Aufzügen der Tragödien gewisse Oden singen mußten, die sich zu dem vorhergehenden schickten: also wäre dieses die Veranlassung gewesen, ganze Stücke absingen zu lassen. Ja, dieser Scribent geht gar so weit, daß er uns bereden will, die Odea der Athenienser und Römer, darinn sich die Musikanten zu üben pflegten, wenn ein neues Schauspiel aufgeführt werden sollte, wären nicht viel was anders, als Opernbühnen gewesen, und also hätten schon Griechen und Lateiner Opern gehabt. 2. §. Allein diese Gedanken gehen wohl etwas zu weit, und der Verfolg wird lehren, daß diese Erfindung allerdings weit neuer sey. Niemand hat diese Untersuchung mit größerm Fleiße angestellet, als der berühmte Muratori, in der gelehrten Einleitung zu dem von ihm zu Verona ans licht gestellten THEATRO ITALIANO, welches eine Sammlung von 12. italienischen Trauerspielen in sich hält. Ich will also aus ihm das Vornehmste hier anführen, welches ohne Zweifel einem jeden ein Gnüge thun wird. Schon vor der Wiederherstellung der freyen Künste in Italien, hat man eine Art von Comödien gehabt, die in den Kirchen gespielet worden. Er beruft sich auf den LUDUM PASCHALEM, den P. Petz im II. TOM. seiner gesammleten Schriften bekannt gemacht, und der vermuthlich aus dem zwölften Jahrhunderte seyn soll. Eben so ist der verkaufte Joseph zu BADIA DI CORBEIA 1264. gespielt worden, dessen Leibnitz im II. TOM. der SCRIPTORUM BRUNSUICENSIUM gedenket. Diese geistlichen Stücke, die von den Pfaffen damaliger Zeiten sind gemacht gewesen, haben nun, wie leicht zu erachten ist, sehr elend ausgesehen; so, daß sie fast für nichts zu halten sind. Die ersten also, die in Italien Schauspiele geschrieben, sind Mussato von Padua, der in lateinischer Sprache, und Trißino von Vicenza, der im Welschen dieses versuchet hat. In einem sehr raren Buche, so auf einer gewissen Bibliothek in Verona befindlich ist, und welches wenigstens aus dem 1200. Jahre kömmt, ist noch ein gewisses Gespräche vorhanden, das wie eine Comödie aussieht: da aber immer am Rande steht: Nun redet Pamphilus mit der alten Frau . Die alte Frau antwortete . Spricht Galathea etc. Mussato berichtet auch in der Vorrede des IX. Buchs DE GESTIS ITALORUM, daß man auf den Schaubühnen die Thaten der Könige und Fürsten (CANTILENARUM MODULATIONE) in Liedern vorgetragen habe. 3. §. Wie nun daraus erhellet, daß man schon im 1300. Jahre sich der Schaubühne bedienet habe: also hat man auch in Florenz 1304. eine solche Vorstellung gehabt. Im 1400. Jahre fieng die griechische und lateinische Sprache sehr an in Welschland zu blühen, und der gute Geschmack hub in allen Künsten an wieder aufzuwachen: daher denn auch die Schaubühne in Flor kam. Angelo Decembrio denket eines Ugolins , aus Parma, der Comödien gespielt hat: doch die Sophonisbe des Trißino ist die erste regelmäßige Tragödie gewesen, die man dazumal vorgestellet hat. Pabst Leo X. hat sie mit großer Pracht aufführen lassen, und daher ist bey vielen andern eine Eifersucht entstanden, eben dergleichen zu verfertigen. Dieses dauerte nun bis zum Ende des 15ten Jahrhunderts: allein an statt, daß sich die welsche Schaubühne hätte verbessern sollen, so nahm sie mehr und mehr ab, weil sich ein jeder mit einer neuen Schreibart und mit neuen Erfindungen hervorzuthun bemüht war. Damals ist nun auch die Gewohnheit aufgekommen, theatralische Stücke musikalisch aufzuführen. Sulpizio, der den Vitruvius mit Noten herausgegeben, rühmt sich zwar, daß er in Rom 1480. zuerst gewiesen habe, wie man eine Tragödie singen solle. Ob dieses aber von einem eigentlichen Gesänge, oder nur von einer natürlichen guten Aussprache zu verstehen sey, das ist schwer auszumachen, wie Crescimbeni sehr wohl angemerket hat. Und Tristano Calchi erzählt in seiner Historie, daß man dem Herzoge zu Mayland Galeazzo, zu Tortona eine theatralische Vorstellung in Musik aufgeführet habe. Allein so viel ist gewiß, daß man im sechzehnten Jahrhunderte die Chöre der Tragödien recht musikalisch abgesungen habe; doch so, daß die rechten Unterredungen der spielenden Personen nur gesprochen worden. Endlich ist im Jahr 1597. von einem Modeneser, ORAZIO VECCHI, auf eine bis dahin unerhörte Art alles, was die Comödianten zu reden haben, musikalisch aufgeführet worden: so daß weder Pantalon, noch der Doctor, noch der spanische Capitain, noch die lustige Person davon ausgenommen worden. 4. §. Dieses Stücke nun ist eigentlich für die erste Oper zu halten, und ist noch itzo, unter die Noten gesetzt, in dem Vorrathe der ACADEMIA FILARMONICA zu finden. In der Vorrede desselben bedienet sich der Verfasser der folgenden Worte: NON ESSENDO QUESTO ACCOPIAMENTO DI COMEDIE & DI MUSICA PIÙ STATO FATTO, CH'IO MI SAPPIA DA ALTRI, E FORSE NON IMMAGINATO, SARÀ FACILE AGGIUNGERE MOLTE COSE PER DARGLI PERFEZZIONE; ED IO DEVRÒ ESSERE, SE NON LODATO, ALMENO NON BIASIMATO DELL INVENZIONE. Darauf sind nun viele andre diesem Exempel haufenweise gefolget, darunter aber OTTAVIO RINUCCINI, ein Florentiner, mit seiner Euridice der erste gewesen; worauf noch die Daphne und Ariane von demselben Poeten gefolget. Im Anfange ist das Singen dieser Opern noch nicht sehr von der ordentlichen Aussprache abgegangen, und es hat weder die Handlungen noch die Worte unterbrochen; so daß man noch die ganze Schönheit der Ausdrückungen und Gedanken einsehen können, und die Poesie dabey nichts verlohren. Allein allmählich hat man die Oper mehr und mehr verwandelt, und dadurch nach und nach beyde Künste; Musik und Poesie, aufs seltsamste verderbet. So weit geht nun die Erzählung, aus der Abhandlung des Herrn Muratori; und wie dieselbe mit aller möglichen Wahrscheinlichkeit versehen ist: also sehe ich nicht, was man weiter dabey verlangen kann, als wie diese Kunst, Opern zu machen, aus Welschland in die übrigen europäischen Länder ausgebreitet worden. Wer dieses von den Franzosen wissen will, der darf nur St. Evremonds Comödie, LES OPERA genannt, nachschlagen, die auch in meiner deutschen Schaubühne wiewohl auf das Hamburgische Theater gedeutet, anzutreffen ist. Von uns Deutschen mag ein Liebhaber dieser singenden Schauspiele sich selbst die Mühe nehmen zu untersuchen, wer die erste Oper in Deutschland gemacht hat. Zu meiner Absicht darf ich solches nicht wissen, und schreite also zu meiner Beschreibung derselben fort. 5. §. Die Verse der Opern werden nach Art der Cantaten gemacht, und bestehen also aus Recitativen und Arien. Der Musikus componirt dieselben nach seiner Phantasie; die Sänger lernen Text und Musik auswendig; die Schaubühne wird prächtig ausgezieret; und die ganze Vorstellung mit vielen Veränderungen und Maschinen abgewechselt. Der Vorhang öffnet sich mit einem Concerte der allerschönsten Instrumenten, die von den größten Virtuosen gespielet werden; und das ganze Singspiel wird mit einer beständigen Begleitung einiger schwächern Instrumenten erfüllet. Diese ganze Kunst ist indessen in Franckreich noch unvollkommen gewesen, bis der berühmte Lulli die Musik auf einen ganz andern Fuß gesetzet hat. Dieser bemächtigte sich ihrer Opernbühne ganz und gar, und richtete alles nach seinem Kopfe ein. Die Poeten mußten nach seiner Pfeife tanzen, und solche Stücke ersinnen, darinnen fein viel buntes und seltsames aufgeführet werden konnte. Die Schaubühne mußte sich zum wenigsten in jeder Handlung ändern, bald einen güldenen Pallast, bald eine wilde See, bald Felsen und wüste Klippen, bald einen Garten, bald sonst eine bezauberte Gegend vorstellen. Es mußten viel Götter in allerhand Maschinen erscheinen: und sonderlich mußten die Arien dem Musikmeister viel Gelegenheit geben, seine Künste anzubringen. Dabey hub man alle Regeln der guten Trauer- und Lustspiele gänzlich auf. Es wurde nicht mehr auf die Erregung des Schreckens und Mitleidens, auch nicht auf die Verlachung menschlicher Thorheiten gesehen: sondern die phantastische Romanliebe behielte allein Platz. Die Einigkeit der Zeit und des Ortes wurde aus den Augen gesetzet; die Schreibart wurde hochtrabend und ausschweifend; die Charactere waren theils übel formiret, theils immer einerley, nämlich lauter untreue Seelen, seufzende Buhler, unerbittliche Schönen, verzweifelnde Liebhaber u.d.gl. Mit einem Worte, die Opera wurde ein ganz nagelneues Stück in der Poesie, davon sich bey den Alten wohl niemand hätte träumen lassen. 6. §. Ich habe bisher nur eine kurze Erzählung von der Oper gemacht; und meine Gedanken davon noch nicht gesagt. Allein aus dem obigen wird man leicht schließen können, was ich davon halte. Wenn nicht die Regeln der ganzen Poesie übern Haufen fallen sollen, so muß ich sagen: Die Oper sey das ungereimteste Werk, das der menschliche Verstand jemals erfunden hat. Ein jeder kann aus der Beschreibung eines Gedichtes überhaupt den Beweis machen. Ein Gedichte oder eine Fabel muß eine Nachahmung einer menschlichen Handlung seyn, dadurch eine gewisse moralische Lehre bestätiget wird. Eine Nachahmung aber, die der Natur nicht ähnlich ist, taugt nichts: denn ihr ganzer Werth entsteht von der Aehnlichkeit. Aus dieser aber sind alle die Regeln geflossen, die wir oben von der Schaubühne, sowohl für die Tragödie, als Comödie, gegeben haben. Diese Regeln sind aus der Natur selbst genommen, durch den Beyfall der größten Meister und Kenner von Schauspielen bestärket, und bey den gescheidtesten Völkern gut geheißen worden. Was also davon abweichet, das ist unmöglich recht, und wohl nachgeahmet. Wer sieht aber nicht, daß die Oper alle Fehler der oben beschriebenen Schauspiele zu ihren größten Schönheiten angenommen hat; und daß sie ganz und gar wegfallen, oder doch ihre vornehmste Anmuth verlieren würde, wenn man sie davon befreyen wollte? 7. §. Einmal ist es gewiß, daß die Handlungen und dazu gehörigen Fabeln, mit den alten Ritterbüchern und Romanen mehr Aehnlichkeit haben; als mit der Natur, so, wie wir sie vor Augen haben. Wir müssen uns einbilden, wir wären in einer andern Welt, wenn wir eine Oper in ihrem Zusammenhange ansehen: so gar unnatürlich ist alles. Die Leute denken, reden und handeln ganz anders, als man im gemeinen Leben thut: und man würde für närrisch angesehen werden, wenn man im geringsten Stücke so lebte, als es uns die Opern vorstellen. Sie sehen daher einer Zauberey viel ähnlicher, als der Wahrheit; welche Ordnung und einen zulänglichen Grund in allen Stücken erfordert. Wo sieht man im gemeinen Leben Leute, die sich einander als Götter anbethen; Liebhaber, die auf den Knieen vor ihren Gebietherinnen liegen, und sich das Leben nehmen wollen; Prinzen, die in Gestalt der Sklaven in weitentlegene Länder ziehen, weil sie sich in den bloßen Ruff von einer Schönheit verliebet haben; Könige, die ihre Kronen, um eines schönen Weibes halber, verlassen, und was dergleichen Phantasien mehr sind? Wo hört man die gewöhnliche Opersprache, von Sternen und Sonnen, von Felsenbrüsten und ätnagleichen Herzen, von verfluchten Geburtsstunden, um eines scheelen Blickes wegen, und von grausamen Donnerkeilen des unerbittlichen Verhängnisses, welches eine verliebte Seele nur zu lauter Marter erkohren hat? Alle diese Dinge sind uns so fremde, daß wir sie in keiner Reisebeschreibung von Liliput für erträglich halten würden: und gleichwohl sollen sie in der Oper schön seyn. Ich schweige noch der seltsamen Vereinbarung der Musik, mit allen Worten der Redenden. Sie sprechen nicht mehr, wie es die Natur ihrer Kehle, die Gewohnheit des Landes, die Art der Gemüthsbewegungen und der Sachen, davon gehandelt wird, erfordert: sondern sie dehnen, erheben, und vertiefen ihre Töne nach den Phantasien eines andern. Sie lachen und weinen, husten und schnupfen nach Noten. Sie schelten und klagen nach dem Tacte; und wenn sie sich aus Verzweifelung das Leben nehmen, so verschieben sie ihre heldenmäßige That so lange, bis sie ihre Triller ausgeschlagen haben. Wo ist doch das Vorbild dieser Nachahmungen? Wo ist die Natur, mit der diese Fabeln eine Aehnlichkeit haben? 8. §. Ich weis es wohl, daß es hier und da große Liebhaber und Bewunderer der Opern giebt, die sie für das Meisterstück der menschlichen Erfindungskraft; für einen Zusammenfluß aller poetischen und musikalischen Schönheiten; für einen Sammelplatz aller ersinnlichen Ergetzlichkeiten ansehen. Allein ich weis auch, daß alle diese Leute, die im übrigen gar vernünftige und rechtschaffene Männer seyn können, die wahren theatralischen Regeln sich niemals bekannt gemacht; oder dieselben noch nicht aus ihren Gründen hergeleitet gesehen. Sie halten derowegen in Sachen, die auf die Lust ankommen, alles für willkührlich, und meynen, man müsse es damit nicht so genau nehmen. Was nur den Augen und Ohren gefiele, das wäre schon gut: und man müßte die Vernunft hier schweigen heißen, wenn sie uns dieses Vergnügens durch ihre critische Anmerkungen berauben wollte. Alle diese Vorstellungen aber heben meine obige Gründe nicht auf, und ich kann mich nicht entschließen, die Oper für was natürliches, für eine geschickte Nachahmung menschlicher Handlungen, oder überhaupt für was schönes zu erklären. Die Musik an sich selbst ist zwar eine edle Gabe des Himmels: ich gebe es auch zu, daß die Componisten viel Kunst in ihren Opern anzubringen pflegen; wiewohl sie auch oft übel angebracht wird. Aber was die Poeten daran thun, und überhaupt die ganze Verbindung so verschiedener Sachen taugt gar nichts. Ich sehe überdas die Opera so an, wie sie ist; nämlich als eine Beförderung der Wollust, und Verderberinn guter Sitten. Die zärtlichsten Töne, die geilesten Poesien, und die unzüchtigsten Bewegungen der Opernhelden und ihrer verliebten Göttinnen bezaubern die unvorsichtigen Gemüther, und flößen ihnen ein Gift ein, welches ohnedem von sich selbst schon Reizungen genug hat. Denn wie wenige giebt es doch, die allen solchen Versuchungen, die sie auf einmal bestürmen, zugleich widerstehen können? So wird die Weichlichkeit von Jugend auf in die Gemüther der Leute gepflanzet, und wir werden den weibischen Italienern ähnlich, ehe wir es inne geworden, daß wir männliche Deutsche seyn sollten. 9. §. Es ist ohnedieß das Vorurtheil bey uns eingerissen, daß so gar die italienische Sprache in dem Halse eines Castraten viel besser klingt, als die deutsche. Daher machen die meisten Opern auch einen Mischmasch in der Mundart. Die Arien sind oft welsch, und die Recitative bleiben deutsch. Eine und dieselbe Person singet zuweilen bald deutsch, bald italienisch; und ihre Zuschauer lassen sichs weis machen, das klinge überaus schön, was sie doch nicht verstehen. Das ist aber nichts neues. Auch den deutschen Text versteht man, vor so vielen Trillern und künstlichen Veränderungen der Töne, in einer mäßigen Entfernung von der Schaubühne, schon nicht mehr; wo man nicht ein Buch hat, und sich durch das Lesen einhilft. So ist denn die Oper ein bloßes Sinnenwerk: der Verstand und das Herz bekommen nichts davon. Nur die Augen werden geblendet; nur das Gehör wird gekützelt und betäubet: die Vernunft aber muß man zu Hause lassen, wenn man in die Oper geht, damit sie nicht etwa durch ein gar zu kützliches Urtheil, die ganze Lust unterbreche. Man will gemeiniglich eine Oper eine musikalische Tragödie oder Comödie nennen. Allein umsonst. Sie könnte so heißen; wenn sie nach den obigen Regeln der Alten eingerichtet wäre: Aber man zeige mir doch solche Opern! Wollte aber ja jemand eine von der Art verfertigen: so würden auch die rechten Kenner derselben sie gewiß für schlechte Stücke in der Art erklären, und gegen alle andere verachten. Man sehe hier was der Critische Musikus hin und wieder, auf eine sehr gründliche Art von dieser Sache geschrieben hat. 10. §. Bisher habe ich meine Gedanken von Opern mit Gründen bestärket: nunmehro will ich mich wider diejenigen auch mit Zeugnissen verwahren, die sich dadurch mehr, als durch gute Beweisthümer einnehmen lassen. Denn ich bin zu allem Glücke weder der erste, noch der einzige, der dieser Meynung von Opern beypflichtet. Mein erster Wehrmann sey also la Bruyere, in seinen Charactern TOM. I. PAG. 90. »Ich weis nicht«, sagt er, »wie es kömmt, daß die Opern, bey einer so vollkommenen Musik und recht königlichen Unkosten nichts anders, als Ekel und Verdruß bey mir gewirket haben. Es giebt Stellen in Opern, die mir ein Verlangen nach andern dergleichen erwecken: oft aber entfährt mir der Wunsch; daß sie doch nur bald zum Ende wäre! Bloß aus Schuld der Schaubühne, der Vorstellung, und aus Mangel anziehender Sachen. Bis auf diesen Tag ist die Oper kein Gedichte, sondern ein Vers; ja nicht einmal ein Schauspiel, seitdem durch die Sparsamkeit Amphions (Lulli) und seiner Nachkommen die Maschinen verschwunden sind: es ist ein Concert der Sängerstimmen, die durch Instrumente unterhalten werden.« Und auf der 93. Seite stellt er die Tragödie mit der Oper in eine Vergleichung: um zu zeigen, daß diese letzte keine musikalische Tragödie heißen könne. »Ein tragisches Gedichte beklemmt einem gleich im Anfange das Herz, und läßt uns im Fortgange kaum die Zeit, Athem zu holen und wieder zu uns selbst zu kommen: oder, wenn es einen einigermaaßen ruhig werden läßt, so stürzt es doch gleich darauf nur in neue Verwirrungen und Abgründe. Es führt uns durch das Mitleiden zum Schrecken, oder umgekehrt, durch das Schrecken zum Mitleiden; und leitet durch Thränen, durch Seufzer, durch Furcht, durch Hoffnung, durch Erstaunen und Entsetzen bis zum Ausgange. Da ist also kein Gewebe artiger Empfindungen und Sprüchelchen, zärtlicher Erklärungen, verliebter Gespräche, anmuthiger Beschreibungen, süßlichter Zuckerworte; die zuweilen lustig genug sind, ein Gelächter zu erwecken: darauf sich denn unverhofft in dem letzten Auftritte die Aufrührischen, ohne alle vernünftige Ursache, empören, und dem Wohlstande gemäß, noch Blut vergießen; indem es etwa einen Unglückseligen das Leben kostet.« u.s.w. 11. §. Mein andrer Zeuge soll Racine seyn, dessen Trauerspiele uns gewiß einen hohen Begriff von seiner Stärke in der Poesie beybringen müssen. Die Gräfin von Montespan und ihre Schwester waren der Opern des Quinaut überdrüßig geworden, und bathen den König, doch einmal durch den Racine dergleichen verfertigen zu lassen. Aus Uebereilung, oder vielleicht aus Ehrerbiethung, übernahm dieser die Arbeit; und dachte nicht daran, was er oft gegen den Boileau gesagt hatte: Es sey nicht möglich, eine gute Oper zu machen; weil die Musik zum Erzählen sich nicht schicket, und die Gemüthsbewegungen nicht in ihrer gehörigen Stärke abgeschildert werden können; ja weil endlich die wahrhaftig hohen und herzhaftesten Ausdrückungen nicht in die Musik gesetzet werden können. Dieses stellte ihm Boileau vor, als er ihm sein Versprechen eröffnete; und ungeachtet er demselben Recht gab, so war es doch nicht mehr Zeit umzukehren. Er fieng also an, von dem Falle Phaetons eine Oper zu schmieden, und las dem Könige etliche Verse davon vor. Doch Racine arbeitete mit Verdruß daran, und verlangte, Boileau sollte ihm helfen, oder zum wenigsten den Vorredner machen. Dieser wehrte sich, so viel ihm möglich war; that doch aber insgeheim einen Versuch, davon wir hernach hören werden. Indessen fuhr jener fort an seinem Werke zu arbeiten, und Boileau stund ihm mit gutem Rathe bey; als zu allem Glücke etwas darzwischen kam, und sie von dieser Qvaal befreyete. Quinaut, der vielleicht fürchtete, von diesen großen Meistern übertroffen zu werden, that dem Könige mit Thränen eine Fußfall, und stellete ihm aufs beweglichste vor; was ihm das für ein Schimpf seyn würde, wenn er nicht mehr die Ehre hätte, für Seine Majestät zu arbeiten: worauf der König aus Mitleiden obgedachten Damen zu verstehen gab; er könne dem armen Manne unmöglich den Verdruß wiederfahren lassen. SIC NOS SERUAUIT APOLLO! rufft Boileau aus, da er diese kleine Geschichte erzählet; und der gute Racine legte seine Oper mit Freuden an die Seite: ja da man selbige auch nach seinem Tode nicht einmal gefunden hat; so ist zu vermuthen, es habe derselbe, aus Zärtlichkeit seines poetischen Gewissens, dieselbe gar unterdrücket. 12. §. Das dritte Zeugniß giebt Boileau selbst, der nicht nur in dieser Erzählung, die ich von ihm habe, seinen Abscheu vor den Opern genugsam entdecket; sondern auch in eben dem Vorredner, den er aufzusetzen angefangen, seine Meynung deutlich an den Tag gelegt hat. Er führt darinn die Poesie und Musik redend ein, davon ich einen kleinen Theil übersetzen will: Die Poesie . Was! glaubst du durch eitle Accorden und ohnmächtige Töne alles das auszudrücken, was was ich sage? Die Musik . Ja, ich glaube, daß ich in die süßen Entzückungen, womit dich Apollo begeistert, die Süssigkeit meiner Melodien einmischen könne. Die Poesie . Ja, ja, bey dem Rande eines Brunnens kannst du zwar, nebst mir, eine verliebte Marter beseufzen, den Thirsis klagen, und Climenen ächzen lassen. Allein wenn ich Helden und Götter reden lasse; so kann dein verwegnes Singen mir nichts als einen eitlen Tact geben: darum schlage dir diese stolze Bemühung nur aus dem Sinne. Die Musik . Ich verstehe aber die Kunst, deine seltsamsten Wunder noch schöner zu machen. Die Poesie . Mag man alsdann deine Stimme nicht hören. Die Musik . Vorzeiten haben ja Felsen und Wälder Ohren bekommen, meine Töne zu hören. Die Poesie . Ach Schwester, genug; wir müssen uns trennen. Ich will mich entfernen: und dann laß einmal sehen, was du ohne mich ausrichten wirst, etc. Hieraus ist nun leicht die Ursache zu errathen, warum dieser große Criticus in seiner ART POETIQUE, wo er aller übrigen Gedichte gedenkt, an die Oper mit keiner Sylbe gedacht; wohl aber in seinen Satiren den damaligen größten Opernschreiber Quinaut ausgelacht hat: LA RAISON DIT, VIRGILE, ET LA RIME, QUINAUT. 13. §. Mein viertes Zeugniß soll mir St. Evremond geben; der einen eigenen Discurs über die Opern gemacht, und darinn seine Gedanken davon ausführlich entdecket hat. Er setzt gleich anfangs diese Beschreibung der Oper zum Grunde: Sie sey ein ungereimter Mischmasch von Poesie und Musik, wo der Dichter und Componist sich sehr viel Mühe machen, und einander die größte Gewalt anthun, ein sehr elendes Werk zu Stande zu bringen. Nun kann man sich leicht einbilden, was auf diesen Eingang für eine Abhandlung folgen werde. Es ist werth, daß ein jeder den ganzen Discurs lese, weil er das stärkste ist, was ich wider die Opern gefunden habe. Man kann ihn in den Schriften der deutschen Gesellschaft auch übersetzt antreffen. Er ist aber damit nicht zufrieden, daß er eine Critik darüber geschrieben; sondern hat sich gar die Mühe genommen eine ganze Comödie zu machen, der er den Titel, LES OPERA, gegeben. Seine Absicht darinn ist, nach dem Muster des Cervantes im Don Quixote, das Lächerliche der Opern empfindlich zu machen: Darum dichtet er, daß ein junges Frauenzimmer in einer gewissen Stadt, aus dem beständigen Lesen der RECUEILS DES OPERA, verrückt im Kopfe geworden, und, anstatt der gewöhnlichen Sprache, den Leuten lauter Operarien vorgesungen. Der Knoten in der Fabel ist dieser, daß sie einen alten Officier zum Freyer bekömmt; dem sie aber in lauter galanten Liederchen den Korb giebt, und ihren Aeltern selbst den Kopf mit ihrem Singen wüste macht: indessen aber mit einem andern jungen Stutzer, der sich ihrer Thorheit bequemete, und ihr auch lauter musikalische Liebeserklärungen that, ganze Operscenen vor Cadmus und Hermionen spielete. Wer dieses alles deutsch lesen will, der schlage den II Band meiner Schaubühne nach. Ich bin versichert, daß der größte Opernfreund sich, bey der Vorstellung einer solchen Comödie, des Lachens nicht sollte enthalten können. 14. §. Mein fünftes Zeugniß nehme ich aus dem RIVIERE DU FRENY in seinen AMUSEMENS SERIEUX & COMIQUES, auf der 22. Seite. Er führt daselbst einen Siameser in Paris herum, und da heißt es: Es ist 4. Uhr. Lasset uns in die Oper gehen. Wir brauchen wenigstens eine Stunde Zeit, ehe wir uns durch alle das Volk drängen, welches die Thüre belagert. Wie? sprach mein Siameser zu mir, was redet ihr von der Thüre? Nach der prächtigen Vorstellung, die ich mir von der Oper mache, müßte man nicht anders, als durch ein kostbares Thor hinein gehen. Hier seht ihr den Eingang; sprach ich, indem ich ihm einen sehr finstern Winkel zeigte. Wo denn? sagte er, ich sehe ja nichts, als ein kleines Loch in einer Mauer, allwo man etwas austheilet. Wir wollen hinzutreten! Was soll dieses? Welche Thorheit! Einen Louis d'or für ein klein Kartenblättchen! Doch stille! Ich wunder mich nicht mehr, daß es so theuer ist; denn ich sehe einige Characteres darauf, welche unfehlbar eine geheime Wirkung haben werden. Ihr betrüget euch nicht gänzlich, sprach ich zu ihm: es ist ein Paß, damit man in das Land der Bezauberungen eingelassen wird. Kommt geschwinde hinein: wir wollen uns auf die Schaubühne setzen. Auf die Schaubühne? sagte mein Siameser, ihr scherzt! Wir wollen ja nur zusehen; wir wollen nicht selber spielen. Das thut nichts, sprach ich, kommt nur mit. Man hört daselbst übel, man siehet nichts; aber es ist der theureste, und folglich der vornehmste Platz. Indessen, weil ihr der Opern noch nicht gewohnt seyd; so würdet ihr auf der Schaubühne auch das Vergnügen nicht haben, welches den Verlust des Schauspiels ersetzet. Kommt also mit mir in eine Loge. Indessen, daß man jene Leinwand aufziehet, will ich euch von den Ländern, die dahinter liegen, etwas erzählen. Die Oper ist, wie gesagt, eine bezauberte Gegend. Es ist das Land der Verwandlungen. Man sieht da die allerschleunigsten. In einem Augenblicke werden die Menschen zu Halbgöttern, und die Göttinnen zu Menschen. Der Reisende ist daselbst der Mühe überhoben, das Land durchzuziehen; denn die Länder selbst reisen da vor seinen Augen. Hier kann man, ohne von der Stelle zu weichen, von einem Ende der Erden bis zum andern; von der Hölle zu den elysischen Feldern kommen. Wird euch in einer abscheulichen Einöde die Zeit lang? Ihr dörft nur pfeifen, so befindet ihr euch im Göttersaale. Pfeift noch einmal, so seyd ihr in dem Lande der Hexen. Die Hexen in der Oper bezaubern so gut wie die andern. Allein ihre Bezauberungen sind, bis auf die Schminke, natürlich. Ungeachtet man seit vielen Jahren allerley Erzählungen von den Hexen der vergangenen Zeit gemacht hat; so macht man doch noch viel mehrere von den Hexen der Oper. Sie sind vielleicht nichts gewisser; aber sie sind wahrscheinlicher. Diese sind von Natur gutthätig: nur den Reichthum theilen sie nicht unter ihre Freunde aus; sie behalten ihn für sich selbst. Wir wollen noch ein Wort von den natürlichen Einwohnern der Opern sagen. Sie reden nicht anders als singend, sie gehen tanzend, und thun oft beydes, wenn sie die wenigste Lust dazu haben. Sie gehorchen alle dem Meister des musikalischen Chors, einem sehr unumschränkten Prinzen, der, wenn er seinen Zepter, der aus einer Rolle Papier besteht, erhebt, oder sinken läßt, alle Bewegungen dieses wunderlichen Volkes regieret. Die Vernunft ist unter diesen Leuten sehr rar. Weil sie den Kopf ganz voller Musik haben; so denken sie lauter Lieder, und sprechen lauter Töne. Dem ohngeachtet haben sie die Tonkunst so hoch getrieben, daß sie aus Operbüchern vernünftig würden reden können, wenn nur die Vernunft in Noten könnte gebracht werden. 15. §. Endlich und zum sechsten will ich mich auf den sinnreichen DES CALLIERES beruffen; der, wie bekannt ist, Verfasser der HISTOIRE POETIQUE DE LA GUERRE ENTRE LES ANCIENS & LES MODERNES ist. Im eilften Buche beschreibt er das Entsetzen, welches Orpheus, Amphion und Arion über den fürchterlichen Namen des Lulli, in der prächtigen Beschreibung der Opern empfunden, die Perrault in seinem Gedichte, LE SIECLE DE LOUIS LE GRAND, eingerücket hat. Orpheus will fast an seiner Kunst verzagen: aber ein italienischer Musikus, der kürzlich aus der Oberwelt gekommen, tröstet ihn wieder. Meynest du, sagt er, daß die meisten Men schen, die dem Lulli so begierig nachlaufen, sich besser auf die Musik verstehen, als die Bestien, die dich vormals begleiteten? Und müssen sie nicht recht dumm seyn, da sie unaufhörlich ihr Geld in die Oper tragen, um funfzigmal eben dasselbe zu hören? Ich verstehe das Handwerk, göttlicher Orpheus; drum sey getrost, ich werde dir zeigen: daß diese so berüchtigte Oper dasjenige gar nicht ist, wofür man sie ausgiebt. Hierauf fährt er fort, und gesteht zwar den französischen Symphonien eine große Schönheit zu: allein die poetischen Stücke, die man absinget, macht er desto ärger herunter. Er sagt, sie wären sehr übel ausgedacht, und schlecht eingerichtet, und würden von lauter schwachen Stimmen abgesungen; davon man aus zwanzigen nicht eine verstehen könnte, weil sie durch die Instrumente ganz ersticket würden. Das Geräusche davon wäre für den kleinen Ort, wo man sie spielete, so groß, daß man kaum ohne Kopfschmerzen und vielmaliges Gähnen, nach Hause käme, wenn man es drey Stunden lang gehöret hätte. Indessen liefe alle Welt hinein, um der Mode gemäß, etliche Stunden übel zuzubringen. Es wäre nichts ekelhafters, als die kläglichen Recitative anzuhören, die den grösten Theil dieser Singspiele einnähmen: und der Musikus sollte von rechtswegen die Zuschauer bezahlen, daß sie sich die Geduld nehmen wollten, sich so lange plagen zu lassen. Die Sänger und Sängerinnen erzählten auf eine ganz unnatürliche Art, nämlich singend, solche Abentheuer, die aller Vernunft und Wahrscheinlichkeit zuwider liefen, keine Leidenschaften erregen könnten, und so schlecht gesetzt wären; daß der elendeste Stümper aus dem Stegreife eben solche Melodien erdenken könnte, als Lulli selbst in Noten gesetzt hätte. Endlich merket er an, daß sich Lulli zum Meister der ganzen Schaubühne aufgeworfen, und sich so gar den Poeten unterwürfig gemacht hätte: anstatt daß sich die Musik billig nach den Gedanken des Dichters richten sollte. 16. §. Darauf erscheint Lulli selbst im Reiche der Todten, und redet den Orpheus dergestalt an: Ich habe längst von dir reden hören, als von einem Meister in unsrer Kunst. Du sollst eine hübsche Leyer gespielet, und gar die Hölle damit bezaubert haben: allein nach reifer Ueberlegung dünkt es mich, du habest deinen Ruhm nur durch gewisse Künste erlanget. Was mich anlanget, so spiele ich eine Violine, und componire so ziemlich. Wir wollen mit einander zur Probe eine Oper spielen, die soll uns schon was einbringen. Die Griechen werden ja so neugierig seyn, als die Franzosen. An Poeten wird es uns nicht fehlen, die Verse zu machen. Apollo soll seinen Parnaß zum Theater hergeben; der Pegasus muß zur Maschine dienen, etwas durch die Luft fliegen zu lassen; die neun Musen sollen Sängerinnen abgeben; Apollo mag auf der Leyer spielend, mit seinem glänzenden Wagen vom Himmel herunter kommen, wie ich ihn sonst schon bey Hofe vorgestellet habe. Man hat mir von einem gewissen Pfeifer, der Königinn Clytemnestra etwas erzählt, der auch dabey seyn muß. Ich möchte wissen, ob er so gut spielt, als Des Coteaux. Er soll ja mit seiner Musik die Keuschheit des Frauenzimmers befördert haben? Was mich anlangt, so gestehe ich es frey heraus, daß meine Sachen gerade das Gegentheil gewirket; und daß ich, als ein nützliches Werkzeug, an der Verderbung der Sitten meiner Zeiten gearbeitet habe. Nichts desto weniger verdienen sie eben den Ruhm, weil sie sich nach der Absicht ihres Urhebers gerichtet haben. Ueber eine so seltsame Rede erschrack Orpheus; sonderlich, daß er so verwegen von dem Apollo und den Musen gesprochen, und so gewinnsüchtig gewesen, da er selbst doch der bloßen Ehre halber gearbeitet hätte: worauf Lulli sie für Narren schimpft, und mit allerley närrischen Posituren davon läuft. 17. §. Ich habe nur einen gelinden Auszug von dem weit schärfern Urtheile dieses Kunstrichters gemacht; wie ein jeder, der es selbst nachlesen will, leicht sehen wird. Zu diesen Zeugnissen nun könnte ich noch ein siebentes hinzufügen, welches alle vorige an Wichtigkeit übertrifft. Es ist dieses des Muratori seines, der als ein Italiener, bey der Quelle aller schönen Opern, in Welschland, zu Hause ist, und sie als ein Poet und Kunstrichter am besten kennen muß. In seiner POESIA PERFETTA ITALIANA, hat er ein paar lange Capitel wider dieselben eingeschaltet: weil ich aber das eine davon bereits in den VI B. der Critischen Beyträge eingerücket habe, so will ich mich bloß darauf beziehen, und meine Leser dahin verweisen. Ich enthalte mich nunmehro noch, die Zeugnisse unserer Landesleute, und darunter des berühmten Neukirchs anzuführen, der in seinen Satiren, die in den hankischen Gedichten stehen, oft auf eben den Schlag davon geurtheilet hat. Ich gedenke auch des Zuschauers nicht, der sein Misfallen darüber in den ersten Theilen oft zu verstehen gegeben. Ich erwähne auch des ungenannten Verfassers von dem englischen Buche THE GENTLEMENS RECREATION nicht, der in seinem poetischen Tractate p. 23. das lächerliche Wesen der Oper gleichfalls abgemalt: sondern ich überlasse nunmehro einem jeden die freye Wahl, ob er sich für, oder wider die Opern erklären wolle. Ich meines Theils habe für alle die geschickten und gelehrten Männer, die sich auch in diesem Stücke bey uns geübt haben, eine gebührende Hochachtung: ich erfreue mich aber mit dem großen Fenelon, dessen Gedanken von der Tragödie vorm I Bande meiner Schaubühne stehen, wenn das Operwesen theils so unvollkommen bleibet, theils in Deutschland mehr und mehr in Abnahme geräth. Das leipziger Operntheater ist seit vielen Jahren eingegangen, und das hamburgische hat gleichfalls nur neulich aufgehöret. Das braunschweigische liegt in den letzten Zügen, und es steht dahin, ob es jemals wieder in Flor kömmt. Auch in Halle und Weißenfels hat es vormals Operbühnen gegeben, andrer kleinen fürstlichen Höfe zu geschweigen; die aber alle allmählich ein Ende genommen haben. Dieses zeiget mir den zunehmenden guten Geschmack unsrer Landesleute, wozu ich ihnen Glück wünsche. Denn wären Liebhaber genug vorhanden gewesen, die einer solchen Lustbarkeit hätten beywohnen wollen: so würde man das Ende dieser Schaubühnen noch nicht gesehen haben. Dagegen sieht man, daß die Comödien und Tragödien täglich mehr und mehr Beyfall finden, und mit der Zeit allenthalben die Oberhand bekommen werden: wenn man nur erst großen Herren die gar zu große Liebe ausländischer Sprachen aus dem Sinne bringen wird. Das wird aber bloß auf unsre Poeten und Comödianten ankommen: deren jene schöne, regelmäßige Stücke zu verfertigen; diese aber dieselben gehörig aufzuführen beflissen seyn müssen. 18. §. Nun habe ich es zwar, seitdem die erste Auflage dieses Buches heraus ist, gesehen, daß zweene gelehrte und geschickte Männer, und sehr gute Poeten unsers Vaterlandes, wider die bisher von mir behauptete Meynung von Opern geschrieben, und dieses Hauptstücke von Opern zu widerlegen gesucht haben. Der erste war Herr D. Hudemann, der damals noch in Hamburg lebte. Dieser wackere Mann gab bey seinen Gedichten auch eine Opera, und vor derselben noch eine Vertheidigung der Singespiele, gegen meine Dichtkunst heraus. Ich hielt es für nöthig, einem so geschickten und bescheidenen Gegner zu antworten; und that es wirklich in den Beyträgen zur critischen Hist. der D. Spr. P. und Ber. Was hätte mir aber angenehmers begegnen können, als daß diese meine Antwort so glücklich war, die Einwürfe meines gelehrten Widersachers gänzlich zu heben! Er that mir solches in einem höflichen Schreiben selbst zu wissen, und versicherte mich, daß er nunmehro völlig meiner Meynung wäre, ja, zum Zeichen seiner völligen Bekehrung von der Oper zum Trauerspiele, selbst, seine Poesie der tragischen Bühne zu gut brauchen wolle. Es hat auch derselbe wirklich Wort gehalten, und aus dem Racine die Phädra in deutsche Verse übersetzet; und ich wünsche nur, daß er dieselbe bald ans Licht stellen möge. Der freundschaftliche Briefwechsel, der seit der Zeit, zwischen diesem sinnreichen Dichter und mir, fortgedauret, ist mir desto angenehmer geworden, weil er aus einer Uneinigkeit in Meynungen seinen Ursprung gehabt. 19. §. Mein andrer Gegner ist der Herr von Uffenbach, gewesen, ein nicht minder scharfsinniger und lehrreicher Poet in Frankfurt am Mayn, woselbst er auch wichtige Aemter bekleidet. Auch dieser gelehrte Mann hatte seine Widerlegung meines Hauptstückes von Opern der Sammlung seiner Gedichte einverleibet; aber gleichfalls mit so vieler Höflichkeit und Bescheidenheit die Feder geführet, daß ich demselben die Antwort unmöglich schuldig bleiben konnte. Ich habe sie gleichfalls in den Critischen Beyträgen der Welt bekannt gemacht: und was wollte ich mehr wünschen, als daß ich auch mit dieser Vertheidigung meiner Meynung von Singespielen eben so glücklich gewesen wäre, als mit der ersten. Nun habe ich zwar noch keine Nachricht davon: doch weil dieser gelehrte Mann weiter die Feder nicht angesetzet, und mir gleichwohl durch einen dritten Mann die Ehre gethan, mich begrüssen zu lassen: so glaube ich, daß der Unterscheid unsrer Meynungen voritzo so groß nicht mehr seyn wird. Sollte indessen jemand durch diese beyde Antworten noch nicht vollkommen von meiner Meynung überredet worden seyn: so bitte ich, daß er noch meine Vorrede, zu dem von Herrn M. Schwaben übersetzten Antilongin des D. Swifts, von dem Bathos der Opern durchlesen, und dem Beweise nachdencken wolle, den der gelehrte Herr D. Ludewig allhier in den Critischen Beyträgen gegeben hat: Daß eine Oper unmöglich gut seyn könne. 20. §. Noch einen Einwurf sehe ich vorher, den ich nicht unbeantwortet lassen kann. Was sollen aber große Herren, wird man sprechen, zu ihrer Ergetzung, bey großen Solennitäten, für Lustbarkeiten anstellen: wenn man die Opern so gar abschaffen will? Sollen sie denn an Pracht und Kostbarkeit vor gemeinen Bürgern nichts voraus haben? Ich antworte erstlich: ein gutes Trauerspiel kann mit eben solcher Pracht aufgeführet werden, als ein Singespiel, wenn man nur an Verzierung und Erleuchtung der Schaubühne, an den Kleidungen der Comödianten, an der Musik, und an Tänzen, die zwischen den Aufzügen eingeschaltet werden, nichts sparen will. So habe ich zu unsers hochseligen Königs Augusts Zeiten die französischen Trauerspiele auf dem dreßdenischen Opertheater im Zwinger vielmals aufführen sehen: und so ist auch mein sterbender Cato, auf der braunschweigischen großen Schaubühne, vor des hochseligen Herzogs Ludewigs Rudolphs Durchl. einmal von der neuberischen Gesellschaft aufgeführt worden. Doch gesetzt, man wollte noch etwas anders auf der Schaubühne haben, dabey mehr Musik, und mehr Vorstellungen vorkämen: so kann schon Rath dazu werden, ohne zu den Opern seine Zuflucht zu nehmen. Man erfinde doch nur künstliche Ballete, nach Art der alten Griechen, und neuern Franzosen. Diese werden zu der größten Pracht in Verkleidungen, zu neuen und seltsamen Verzierungen der Schaubühne, zu vielen musikalischen Compositionen, und recht sinnreichen und allegorischen Tänzen Gelegenheit an die Hand geben. Der gelehrte Menestrier hat im Französischen einen sehr schönen Tractat, DES BALLETS ANCIENS ET MODERNES, SELON LES REGLES DU THEATRE, geschrieben. Diesen preise ich allen denen an, die etwas zur Vergnügung großer Herren erfinden wollen, das neu ist, und in die Augen fällt. Wir haben auch in Deutschland schon Proben davon gesehen, nämlich am vorigen Hofe zu Berlin. Wer die besserischen Gedichte nachschlagen will, der wird sich einigen Begriff davon machen können; wiewohl diese Versuche vielleicht nicht in allen Stücken, nach den Regeln Menestriers, die Probe aushalten dörften. Man kann auch in dem Moliere einige solche Erfindungen nachlesen, die er am Hofe Ludewigs des XIV. angegeben hat. 21. §. Um von diesem schönen Werke einen kleinen Vorschmack, und denen, die zur Erfindung solcher Tänze Gelegenheit haben sollten, eine kleine Anleitung dazu zu geben; will ich einen kurzen Auszug aus demselben geben. Ich halte mich aber bey der Historie des Tanzens nicht auf. Ein jeder weis, daß es sehr alt ist. Die Schwester des Moses tanzte mit allen israelitischen Weibern nach dem Durchgange durchs rothe Meer, und sang dazu. Die Töchter von Siloh hatten ein jährliches Fest, da sie tanzten. David tanzte vor der Bundeslade, und vorhin hatten alle jüdische Weiber getanzt, als derselbe den Philister Goliath geschlagen hatte. Dieses waren nun fast lauter andächtige und religiöse Tänze. Eben so haben die heidnischen Völker bey ihrem Gottesdienste allerley Tänze eingeführt gehabt; ja sie sind auch in der ersten Kirche an vielen Orten eingeführt gewesen, wo man sie in dem Chore der Kirchen, der als eine Schaubühne erhaben war, gehalten; bis sie vieler Misbräuche halber abgeschaffet worden. Die alten Kirchenväter haben wider die theatralischen Tänze der Heiden geeifert, nicht weil sie Tänze waren; sondern weil sie sehr freche und üppige Tänze waren, die ein große Aergerniß gaben. Von solchen geistlichen Tänzen aber ist hier gar nicht die Rede, wenn wir von den Balleten handeln: und also darf man gar nicht besorgen, daß dadurch das Heidenthum mit seinen Schandbarkeiten wieder eingeführet werden würde. 22. §. Wir wollen uns auch bey denen Tänzen nicht aufhalten, die nach den besten alten Dichtern den heidnischen Gottheiten beygelegt worden. Beym Athenäus tanzet einmal Jupiter selbst. Pindarus nennt den Apollo einen Tänzer: Virgil läßt Dianen mit ihren Nymphen an dem Flusse Eurotas tanzen. Apulejus sagt, Venus habe auf der Psyche Hochzeit getanzet; und Horaz setzt hinzu, sie habe es bey Mondenscheine, in Gesellschaft der Gratien, auch einandermal gethan. Bacchus soll in Indien getanzt haben. Hesiodus läßt die Musen um den Altar Apollons vor Sonnen-Aufgange tanzen. In einer Idylle des Theokritus tanzen die Nymphen der Brunnen; und im Virgil tanzen auch die aus den Schiffen verwandelten Seenymphen um den Aeneas her. Alles dieses führe ich an, um zu zeigen, daß man nach der Wahrscheinlichkeit der alten Fabeln, auch die Götter könne tanzen lassen: denn diese mythologische Personen haben an unsern Ballets einen großen Antheil: und so sparsam sie in den Trauerspielen statt haben, so häufig können sie in diesen Tanzspielen vorkommen. Ja in Ermangelung bequemer Gottheiten, kann man sich allegorische Personen dichten, und sie tanzend aufführen. Z.E. Die Jahreszeiten, die Welttheile, die Schutzgeister der Länder und Völker, die Monathe, die vier Winde, die sieben Planeten, die Stunden des Tages und der Nacht, die himmlischen Zeichen, die Tugenden und Laster, die Wissenschaften und Künste; kurz, alles was ein Poet, durch eine Personendichtung redend einführen kann, das kann auch in einem solchen Tanzspiele, tanzend vorgestellet werden. 23. §. Wie nun ein jeder hieraus sieht, daß es bey diesen unsern Tänzen nicht nur auf die Figuren der Tänze allein, sondern auch auf die tanzenden Personen ankömmt: Also muß ich auch gleich anfänglich erinnern, daß alle diese Tanzspiele allegorische und bedeutende Tänze in sich halten müssen. Fragt man nun, was denn diese Tänze bedeuten können und sollen? So antworte ich; erstlich eine Verehrung vornehmer Personen, an deren Festtagen sie aufgeführet werden: denn die Alten glaubten, daß das Tanzen eine Art des Gottesdienstes wäre, welche den Göttern sehr gefällig seyn müßte. Man meynt, dieses habe seinen Ursprung, aus der Meynung des Pythagoras, der dafür gehalten, daß GOtt eine Harmonie, (NUMERUS) oder ein Tact das ist ein abgemessenes, sehr wohl übereinstimmendes Wesen sey. Dem sey nun wie ihm wolle: so haben doch fast alle Völker bey ihrem Gottesdienste Musiken und Tänze gehabt; diejenigen Gottheiten zu verehren, denen die Feste geweihet waren. Daher ward auch in allen wohlbestellten Republiken die Jugend zum Tanzen angeführt, theils daß sie geschickt, theils daß sie stark von Leibe werden möchte: denn es gab auch martialische Tänze, die mit voller Rüstung, oder doch mit einigen Waffen geschahen. Selbst die lacedämonische Jugend war davon nicht ausgenommen: und die größten Helden haben solche Tänze theils geliebet, theils mitgemachet, wie die Exempel Merions aus Creta, des Ulysses, des Antiochus, des Polysperchon, des Philippus, Alexanders Vater, des Epaminondas, des Scipio, u.a.m. zeigen. 24. §. Doch unsre Tanzspiele sollen nicht nur bloße Tänze, sondern Allegorien, und redende Bilder gewisser Dinge seyn. Lucianus will das erste Muster solcher Ballete in der Bewegung der Sterne und Planeten finden, die mit der schönsten Harmonie geschieht: und es wäre nicht unmöglich, solche planetische Tänze, welche die berühmten Weltordnungen vorstelleten, aufzuführen, wie Postel in seinem Wittekind schon gedichtet hat. Die Aegyptier sind die ersten Erfinder hieroglyphischer Tänze gewesen. Plato ist ihr Bewundrer und Schüler gewesen, und kann denjenigen nicht genug loben, der zuerst die Harmonie des ganzen Weltgebäudes in einem Tanze vorgestellet hat. Die Ausleger des Sophokles, Euripides und Aristophanes haben uns die Geheimnisse, die Plato unerklärt gelassen, entdecket. Sie sagen, alle Tänze der Aegyptier hätten die Bewegungen der Gestirne vorgestellt: weil sie allemal rings um ihre Altäre getanzet hätten, die gleichsam wie die Sonne in dem Mittelpuncte des Himmels, gestanden hätten. Daher wären nun in den Chören der Tragödien die Strophen, und Antistrophen entstanden. Denn erstlich hätten sie im Kreise von Morgen gegen Abend in die Runde getanzet, um dadurch die gemeine Bewegung des Himmels abzubilden: hernach aber hätten sie den Kreis von Abend gegen Morgen herum gedrehet, um dadurch die eigene Bewegung der Planeten wider die Ordnung der himmlischen Zeichen im Thierkreise vorzustellen. Zuletzt aber hätten sie noch die Epode, oder den Beschluß, stillstehend abgesungen; um dadurch die Unbeweglichkeit der Erdkugel abzubilden. Die Griechen haben diese ägyptische Erklärung verworfen, und die Tänze von dem Einund Ausgange des Theseus in den Labyrinth erkläret; als welcher Held die griechische Jugend zu Delos zuerst darinnen unterrichtet hatte. 25. §. Dieses ist nun die erste Art solcher bedeutenden Tänze gewesen, die mit zu den Schauspielen gezogen worden; und die Athenäus philosophische Tänze nennet, weil alles darinn ordentlich und bedeutend war. Agamemnon hat seiner Gemahlinn Clytemnestra, als er nach Troja zog, einen so philosophischen Tanzmeister hinterlassen, der ihr durch allegorische Tänze die Zeit verkürzen und zugleich die Liebe zur Tugend beybringen sollte: und dieses ist mit so gutem Erfolge geschehen, daß sie nicht eher verführet werden können, als bis Aegysthus diesen Meister ermordet hatte. Die Alten spielten auch im Tanzen den Ball, und daher kömmt das heutige Wort Ball, Ballet, womit man die Tänze benennet, von βάλλειν werfen: σφαιρα βαλλομένη, eine Kugel zum werfen, wie Suidas den Ball erklärt. Darauf haben sich allerley Meister der Ballete gefunden: Bathyllus von Alexandrien hat lustige, Pylades aber ernsthafte und pathetische Tänze zu den Schauspielen erfunden. Solche Tänze nun waren geschickt, die Bewegungen des Leibes zu bessern, so wie die Tragödie die Regungen des Gemüths in Ordnung zu bringen dienen sollte. Aber überhaupt geben die Alten, die davon geschrieben haben, diese Erklärung eines solchen Tanzspiels: Es sey eine Nachahmung derjenigen Sachen, die man sagt und singet, durch abgemessene Geberden und Bewegungen des Leibes. Und Aristoteles sagt gar, daß man die Sitten und Gemüthsbewegungen, durch die harmonischen tactmäßigen Stellungen und Tritte ausdrücken müsse. 26. §. Es ist also mit den Balleten oder Tanzspielen nicht anders bewandt, als mit den übrigen Künsten: sie sind alle Nachahmungen, nur mit dem Unterschiede, daß, da die Malerey z.E. nur die Figur, die Farben und die Ordnung der Dinge vorstellen kann; diese Tanzkunst auch die Bewegungen ausdrücket, und sogar die Natur vieler Dinge und die verborgene Beschaffenheit des Gemüths abschildern kann. Diese Nachahmung nun geschieht durch die Bewegungen des Leibes, und zwar nach der Harmonie der Musik, welche gleichfalls die Gemüthsbewegungen ausdrücket. Es ist bekannt, wie vieles man mit Geberden und Bewegungen der Gliedmaßen des Leibes zu verstehen geben kann; und die Alten haben ihre Pantomimen gehabt, die sich alles, ohne ein Wort zu sprechen, auszudrücken getrauet. Man weis auch, daß jede Gemüthsbewegung ihre eigene Stellungen und Bewegungen hat, dadurch sie sich an den Tag legt. Solche Dinge nun müssen in den Tanzspielen vorgestellet werden. Wir haben an der FOLIE D'ESPAGNE, und vielleicht auch an dem so genannten AIMABLE VAINQUEUR, wenn dieser von zweyen getanzt wird; ein Paar Tänze, die solche Gemüthsbewegungen ausdrücken. Denn jener soll den spanischen Eigensinn, dieser aber die Gemüthsart zweyer Verliebten vorstellen, die bald sehr freundlich miteinander thun, bald kaltsinnig werden, bald sich erzürnen, sich aber dennoch wieder vertragen: und es fehlt nur ein Text dazu, der sich zu allen diesen Geberden schicket, und sie zu erklären geschickt ist, so wird es ein jeder bemerken. Auch die englischen Tänze sind insgemein so allegorisch, wie z.E. der JALOUSIE-Tanz genugsam zeigen kann; der alten deutschen Schäfertänze zu geschweigen. 27. §. Doch ich vertiefe mich zu weit. Nun sollte ich weitläuftig lehren, wie ein Erfinder solcher Tanzspiele sich eine alte Geschicht, oder Fabel erwählen, oder auch eine neue ersinnen könne, die er in einem theatralischen Tanze vorstellen will. Ich sollte zeigen, wie diese Erfindung im Tanzen, gleichfalls eine Einheit in der Handlung oder Absicht haben muß, darauf alle ihre Theile abzielen. Ich sollte auch an die Hand geben, was für Mittel man habe, die Personen, die man tanzend aufführt, zu characterisiren. Ich sollte endlich zeigen, was man bey dem allen für Fehler begehen könne, und dieses mit Exempeln alter und neuer, guter und schlechter Ballete erläutern. Allein theils ist dieses schon in den vorigen Capiteln von Schauspielen geschehen, theils muß es ein Erfinder dieser Spiele aus dem Alterthume und der Mythologie wissen, theils ist es mir hier zu weitläuftig ins Werk zu richten. Uebrigens gehören aber auch geschickte Musikmeister und Tanzmeister dazu, die das, was der Poet erfunden, geschicklich auszuführen wissen. Daß ein vermögender großer Herr dazu gehöre, der zu dergleichen Spielen die Kosten hergeben kann, das versteht sich von sich selbst. Denn man braucht nicht allein eine prächtige Schaubühne, mit vielen Verzierungen, sondern auch fast bey jedem neuen Ballete, neue Maschinen, Kleidungen und Zierrathe in großer Menge. Was kostet nicht die große Anzahl Tänzer zu unterhalten, die sich oft bis auf 50. Personen und darüber erstrecken können? 28. §. Ich habe es noch vergessen zu erwähnen, daß aller Schönheit der Vorstellungen ungeachtet, dennoch oftmals diese allegorischen Tänze dem meisten Theile der Zuschauer wahrhafte hieroglyphische Figuren seyn würden, davon sie nichts verstünden: wenn nicht der Poet zuweilen den vornehmsten Personen solcher Tanzspiele auch gewisse Worte zu reden und zu singen in den Mund legte. Diese werden nun in lauter Versen, doch kurz und gut gemacht: weil die Absicht nicht ist, durch Worte, sondern durch Bewegungen des Leibes etwas anzuzeigen. Doch wer davon mehrere Anleitung verlanget, der muß den oben gerühmten Menestrier nachlesen, wo er zugleich einen großen Vorrath von Erfindungen zu Balleten antreffen wird. Man kann auch die gelehrten Abhandlungen nachlesen, die in den MEMOIRES DE L'ACADEMIE DES BELLES LETTRES & DES INSCRIPTIONS, in verschiedenen Bänden dieses Buches vorkommen. Endlich lese man auch das oberwähnte Buch THE TASTE OF THE TOWN, wo gleichfalls in der III. Abtheilung von den Tänzen, und in der IV. von Chören gehandelt wird, die beyde zu dieser Absicht gehören. Vielleicht kommen einmal in Deutschland die Zeiten, da man durch dergleichen sinnreiche Erfindungen die Schaubühne wieder emporheben, und den bisherigen Wust der unnatürlichen Opern, in solche allegorische Tanzspiele; die abgeschmackten Haupt- und Staatsactionen, in herzrührende Trauerspiele, und die närrischen Burlesken der italienischen und andrer gemeinen Comödianten, in lehrreiche und scherzhafte Lustspiele verwandelt sehen wird. ENDE. Anhang I Widmung Widmung Sr. Excellentz Dem Hochwohlgebohrnen Herrn, Herrn Johann Adolph von Looß, Sr. Königl. Maj. in Pohlen und Churfl. Durchl. zu Sachsen, Hochbetrauten wircklich geheimten Rathe und Obersten Stallmeistern etc. Meinem gnädigen Herrn. Wie auch Dem Hochwohlgebohrnen Herrn, Herrn Christian von Looß Sr. Königl. Maj. in Pohlen und Churfl. Durchl. zu Sachsen Hochansehnlichen Cammerherrn, Hofrathe und geheimten REFERENDARIO etc. Meinem gnädigen Herrn. Hochwohlgebohrne Herren, Gnädige Herren, Mitten unter den wichtigsten Geschäften, womit Ew. Excell. und Hochwohlgeb. Gnaden in den Diensten unsers allergnädigsten Landes-Vaters, das Beste dieser Lande befördern helfen; erkühne ich mich, Denenselben ein Buch, so von der Poesie handelt, vor die Augen zu bringen, ja gar Dero Hohe Nahmen auf die ersten Blätter desselben zu setzen. Es ist den grössesten Leuten niemahls gleichgültig gewesen, ob ihre Leibes-Gestalt wohl oder übel abgeschildert worden; und wir finden Prinzen in den Geschichten, die sich nur von den besten Künstlern ihrer Zeiten haben gemahlt wissen wollen. Was die Mahler-Kunst im Absehen auf den Cörper bewerkstelliget, das verrichtet die Dichtkunst, als eine weit vollkommnere Mahlerey, auch im Absehen auf die Eigenschafften des Geistes und Gemüthes: Daher es denn ein Wunder ist, daß grosse Herren es nicht längst allen ungeschickten, ja mittelmäßigen Poeten untersaget haben; sich mit ihren groben Zügen, an die Abbildungen ihrer Tugenden und Thaten zu wagen, die von rechtswegen nur von lauter ungemeinen Federn entworfen werden sollten. Dieses Buch, so Ew. Excell. und Hochwohlgeb. Gnaden zuzueignen ich die Ehre habe, enthält unter andern auch diejenigen Regeln, darnach sich alle Verfasser der Lobgedichte, und folglich auch diejenigen werden zu achten haben, die sich künftig an Dero hohes Lob machen dörften. Je trefflicher die Eigenschafften sind, dadurch Dieselben sich die Gnade eines grossen Monarchen, und die Hochachtung eines so zahlreichen Hofes erworben haben; und je grösser also das Feld ist, so sich hier einem Poeten öffnen wird: desto verwerfflicher würde seine Arbeit seyn, wenn er sich in einer so würdigen Materie vergienge, und ein so prächtiges Lob aus Unwissenheit oder Mangel der Fähigkeit gleichsam entweyhete. In Wahrheit, der durchdringende Verstand Ew. Excell. und Hochwohlgeb. Gnaden; Dero Erfahrung in den öffentlichen Staats-Angelegenheiten; die mit den vollkommensten Hofmanieren so genau verschwisterste Aufrichtigkeit des Hertzens; die aus der männlich schönen Bildung, Dero vollkommensten Leibes-Gestalt hervorleuchtende leutseelige Großmuth, dadurch sich dieselbe Hohe und Niedrige verbinden, ja gantz zu eigen machen; und was ich zu allererst hätte erwehnen sollen, der unverbrüchliche Eifer in den Diensten unsers allergnädigsten Königes, der niemahls besser, als durch das vollkommene Vertrauen Seiner Majestät, gegen Dieselben vergolten werden können: Dieses alles, sage ich, verdiente ja wohl von einem solchen Dichter beschrieben und gepriesen zu werden, dessen Gabe zu schildern so vollkommen wäre, als die Vorzüge, dadurch sich Ew. Excell. und Hochwohlgeb. Gnaden eine allgemeine Bewunderung zuwege gebracht haben. Da nun die Absicht dieses Buches auch diese hauptsächlich ist, den Grossen dieser Welt geschickte Herolde ihrer Thaten zu verschaffen; so wird es verhoffentlich so unbillig nicht seyn, wenn sich auch diese Grundregeln der Dicht-Kunst, der Prüfung solcher erlauchten Kenner unterwerfen, denen es selbst nicht einerley seyn kan, ob Ihre Abbildungen durch diese oder jene Hand der Nachwelt überbracht werden. Finde ich mich also gleich zu schwach, die Nahmen Ew. Excell. und Hochwohlgeb. Gnaden durch meine Gedichte unvergeßlich zu machen: so werden Dieselben mich doch vielleicht darum Ihrer Gnade nicht gantz unwürdig schätzen, weil ich zum wenigsten mittelbar etwas zur Verewigung derselben beyzutragen gesucht. Erlange ich nun das sonderbare Glück, die Protection so grosser Staats-Leute zu geniessen; so werde mit der eifrigsten Devotion lebenslang verharren, Hochwohlgebohrne Herren, Gnädige Herren, Ew. Excell. u. Hochwohlgeb. Gnaden Leipzig 1729 den 6 Octobr. unterthänigst-gehorsamster Diener M. Joh. Christoph Gottsched. An den Leser An den Leser. Vorrede zu A Dieses Buch würde keiner Vorrede bedörfen, wenn ich es nicht vor nöthig hielte, den Titel desselben, wieder die Einwürfe derjenigen zu vertheidigen, denen derselbe gleich bey dem ersten Anblicke anstößig scheinen dörfte. Ich besorge, daß solches auf zweyerley Art geschehen werde; darum will ich mich über beydes ausführlich erklären. Zuerst wird es vielen nicht gefallen, daß ich meine Dicht-Kunst eine Critische Dicht-Kunst nenne: theils weil sie an allem was critisch ist, einen Mißfallen haben; theils, weil sie mirs nicht zutrauen werden, daß ich mich mit sattsamer Fähigkeit dergleichen Werck auszuführen unterstanden. Wenn es Feinde der Critick unter uns giebt, so haben sie entweder keinen rechten Begriff von derselben; oder sie verstehen gar wohl was critisiren heißt, hassen es aber deswegen, weil sie ein böses Gewissen haben, und ihre Schrifften nicht gern in Gefahr setzen wollen, als schlecht erfunden zu werden. Denen ersten kan man leicht begegnen, wenn man ihnen nur zeigt, daß die wahre Critick keine schulfüchsische Buchstäblerey, kein unendlicher Kram von zusammengeschriebenen Druck- und Schreibefehlern, die in den alten Scribenten begangen worden; kein übelverdauetes Bücherlesen; kein wüster Haufe unendlicher Allegationen und fremder Meynungen von einer verderbten Stelle in Hebräischen, Griechischen und Römischen Büchern sey. Leute, so dieses alles thun, und ihr Handwerk in der That verstehen, thun uns gute Dienste, indem sie sich bemühen uns die alten Scribenten so richtig, als es möglich ist, zu liefern. Sie können auch gewissermaßen Critici heissen: aber Critici von der untersten Classe, weil sie nur mit Buchstaben und Sylben umgehen. Die Critick ist eine weit edlere Kunst. Ihr Nähme selber zeiget zur Gnüge, daß sie eine Beurtheilungs-Kunst seyn müsse, welche nothwendig eine Prüfung oder Untersuchung eines Dinges nach seinen gehörigen Grundregeln, zum voraus setzet. Da dieser Begriff aber noch gar zu allgemein ist, so darf man nur mercken, daß die Critick sich nur auf die freyen Künste, das ist auf die Grammatic, Poesie, Redekunst, Historie, Music und Mahlerey erstrecke. Die Geometrie, so bey den Alten auch zu den freyen Künsten gerechnet wurde, ist in neuern Zeiten so wohl als die Baukunst mit gutem Grunde unter die Wissenschaften gezehlet worden: weil man es darinn längst zu einer demonstrativen Gewißheit gebracht hat; die man in jenen noch lange nicht erreichen können. Ein Criticus Ist also dieser Erklärung nach, ein Gelehrter, der die Regeln der freyen Künste philosophisch eingesehen hat, und also im Stande ist, die Schönheiten und Fehler aller vorkommenden Meisterstücke oder Kunstwercke, vernünftig darnach zu prüfen und richtig zu beurtheilen. Diesen meinen Begriff zu rechtfertigen, will ich mich nur auf den, seiner grossen Einsicht und Gelehrsamkeit halber, berühmten Englischen Grafen von Schaftesbury beruffen, der im I. Th. seiner Characteristicks und zwar in dem Tractate ADVICE TO AN AUTHOR, ausdrücklich eben diese Beschreibung gemacht. Die gantze andre Abtheilung dieses Werckchens handelt weitläuftig davon, und wäre wohl werth, daß sie von allen, die Bücher schreiben wollen, vorher gelesen und wohl erwogen würde. Ich kan aber keine besondre Stelle daraus hersetzen, weil sie gar zu weitläuftig fallen, und mir also den Platz zu andern Dingen, die diese Vorrede in sich halten soll, benehmen würde. Vielleicht giebt uns jemand eine Ubersetzung dieses einzelnen Tractats, oder wenigstens eines Stückes davon; denen dadurch zu dienen, so dieses trefliche Werck in seiner Muttersprache nicht lesen, oder doch seiner nicht habhafft werden können. Was hat man nun Ursache, vor einer solchen vernünftigen Critick einen Abscheu zu bezeugen, wenn man nur vor sich sicher ist, und nicht fürchten darf, selbst in ihre Untersuchung zu gerathen? Aber das ist es eben, was viele, die sich ins Bücherschreiben mischen, mit der grösten Unruhe besorgen. Der Zoilus, der Momus, oder die Critici sind die Gespenster, die Riesen, die Zauberer, wie Schafftsbury redet, vor welchen sie zittern und beben. Und das ist kein Wunder. Ergreifen nicht die meisten die Feder, ehe sie noch wissen wie man recht schreiben müsse? Giebt man nicht allerley Bücher heraus, ehe man gewust hat, wie sie gemacht werden müssen, und nach was vor Regeln sie sich richten sollten? Daher entsteht nun die Furcht vor den Criticis; wie ihre Vorreden sattsam zeigen. Man weiß, daß dieselben unerbittliche Richter sind. Sie lassen sich nicht durch den äußerlichen Schein eines Werckes blenden; Sie bleiben nicht an der Schale kleben; Sie dringen bis aufs innerste Marck derselben; Sie durchforschen die verborgensten Schlupfwinckel einer Schrifft, sie sey von welcher Art sie wolle. Und da bleibt vor ihren scharfsichtigen Augen nichts verstecket. Werden sie offt Schönheiten gewahr, die andre nicht sehen: So entdecken sie auch offt Fehler wieder die Regeln der freyen Künste, die nicht ein jeder so gleich wahrnimmt, der solch ein Werck ohne eine tiefere philosophische Einsicht in die Natur desselben, nur obenhin angesehen. Da nun in dem letzten Falle die Leser den Criticis viel Danck schuldig sind, welche sie vor solchen gläntzenden Narben, und scheinbaren Unvollkommenheiten der Schrifften gewarnet: So haben im ersten Falle die Scribenten selbst Ursache, sie hochzuschätzen und zu verehren; weil die unsichtbaren Schönheiten ihrer Wercke, durch ihren Dienst mehr und mehr ans Licht gebracht werden. Wenn also diese Letztere ein gut Gewissen haben, daß nehmlich ihre Sachen nach den wahren Kunstregeln ausgearbeitet worden; so werden sie keine Feindschafft gegen die Criticos blicken lassen: Wiedrigen falls aber müssen sie es nicht übel nehmen, wenn diese gerechte Kunstrichter mehr auf die gantze gelehrte Welt, als auf einzelne, und zwar schlechte Schrifftsteller sehen; und zum wenigsten angehende Scribenten vor den Abwegen warnen, darauf sich ihre Vorgänger entweder aus Unachtsamkeit, oder aus andern Ursachen verirret haben. Nunmehro wäre wohl nichts besser vor mich; als wenn ich mich rühmen könnte, ein solcher Criticus zu seyn, oder wenn ich allbereit bey unsern Deutschen in dem Ansehen stünde. Allein da dieses nicht ist: so hat man freylich Ursache zu fragen: Ob ich denn eben derjenige sey, der sich zum Verfasser einer Critischen Dicht-Kunst hätte aufwerfen müssen? Dieser Frage, so gut als ich kan, zu begegnen, will ich nach dem vernünftigen Anschlage eines geschickten und scharfsinnigen Critici 1 unserer Zeit, kürtzlich diejenigen Umstände erzehlen, so mich nach und nach zu diesem Entschlusse, der meinem eigenen Geständnisse nach fast gar zu kühn und verwegen ist, gebracht haben; und also eine kurtze Historie meiner Dicht-Kunst machen, die zu desto besserm Verstande derselben viel beytragen wird. Wie ich von Jugend auf allezeit ein grosses Vergnügen an Versen gehabt, und selbst durch das Exempel meines eigenen Vaters dazu aufgemuntert worden: also fand sich 1714, gleich im Anfange meiner Academischen Jahre, eine Gelegenheit, ein sogenanntes Collegium Poeticum zu hören. Mein Lehrer war der nunmehro seel. Prof. Rohde zu Königsberg, ein sehr geschickter Mann, der selbst einen artigen Vers schrieb; und das Buch, so er zum Grunde legte, war Menantes allerneuste Art zur galanten Poesie zu gelangen. Als nachmahls der itzige Kön. Preuß. Hofrath und Leib-Medicus, Hr. D. Pietsch die Poetische Profeßion daselbst erhielte, und sonderlich das Gedichte auf den Printz Eugen heraus gab, bekam ich noch einen grössern Trieb zur Poesie: weil sein Exempel dazumahl bey jedermann viel Eindruck machte. Ich hatte nach der Zeit die Ehre mit demselben bekannt zu werden, und seine Censuren über meine Kleinigkeiten, so offt als ich es wünschete, zu hören. Dieser wackere Mann verstattete mir allezeit einen freyen Zutritt, und ihm habe ichs zu dancken, daß ich Canitzen und Horatzen mit Verstande zu lesen angefangen: weil er mir des erstern Satire von der Poesie offt auswendig hersagte, und aus dem andern zuweilen seine Ubersetzungen vorlaß. Unter so vielen Unterredungen, so ich seit 1717 bis 1724 mit demselben gehabt, dachte derselbe denn auch einmahl daß er nicht ungeneigt wäre, eine Anweisung zur Poesie zu schreiben: Nicht zwar auf den Schlag, als die gewöhnlichen Anleitungen wären, daran wir ja keinen Mangel hätten; sondern so, daß darinn der innere Character und das wahre Wesen eines jeden Gedichtes gewiesen würde. Damahls geschah es also, daß ich mir den ersten Begriff von einer Critischen Dicht-Kunst machte: deren Nutzbarkeit ich gar wohl einsahe; aber mirs noch nicht träumen ließ, daß ich mich dereinst an dergleichen Arbeit wagen sollte. Im Jahr 1724 kam ich nach Leipzig und ward in der unter Hn. Hofraths Menckens Aufsicht stehenden Poetischen, itzo Deutschen Gesellschafft, gewahr; daß man bey Verlesung eines Gedichtes unzehliche Anmerckungen machte, und solche Sachen, Gedancken und Ausdrückungen in Zweifel zog, die ich allezeit vor gut gehalten hatte. Ich fand selber wohl, daß die meisten so ungegründet nicht waren: und ob ich wohl in einigen Stücken auf meiner Meynung blieb, und die Einwürfe so man mir machte, vor ungegründet hielte; so war ich doch nicht im Stande dieselben zu heben, und meine Gewohnheit auf eine überzeugende Art zu vertheidigen. Eben damahls kamen mir die Discurse der Mahler in die Hände, die mich durch so viele Beurtheilungen unsrer Poeten, noch begieriger machten, alles aus dem Grunde zu untersuchen, und wo möglich, zu einer völligen Gewißheit zu kommen, was richtig oder unrichtig gedacht; schön, oder heßlich geschrieben; recht, oder unrecht, ausgeführet worden. Dazu fand sich nun die schönste Gelegenheit, da ich das Glück hatte, drey Jahre in des obgedachten Hn. Hofraths Hause zu wohnen, und zugleich Erlaubniß bekam, mir dessen treffliche Bibliothek zu Nutze zu machen. Hier lernte ich alle alte Scribenten, alle ausländische Poeten, alle Criticos, und ihre Gegner kennen. Ich müste ein grosses Register machen, wenn ich alle die grössern und kleinern Wercke anzeigen wollte, die ich in der Zeit durchgelesen, bloß in der Absicht mir selbst einen regelmässigen Begriff von der Poesie zu machen; und endlich eine Gewißheit in meinen Urtheilen zu erlangen. Was mir nun Aristoteles, Longin, Horatz, Scaliger, Boileau, Dacier, Bossu, Perrault, Bouhours, Fenelon, St. Evremont, Fontenelle, Callieres, Furetiere, Schafftsbury, Steele, imgleichen Corneille und Racine in den Vorreden zu ihren Tragödien, und a.m. die mir itzo nicht einfallen, vor ein Licht gegeben; das werden diejenigen sich leicht vorstellen, so nur etliche davon gelesen haben. Hierzu sind nachmahls noch des Castelvetro, Muralts und Voltaire Beurtheilungen alter und neuer Poeten, imgleichen des Hn. Bodmers hieher gehörige Schrifften, gekommen, welche mich immer mehr in den alten Ideen befestiget, und meinem Gemüthe eine neue Befriedigung gegeben haben. Ob mir nun wohl schon im Jahr 1727 von einem grossen Kenner der Poesie, unserm grundgelehrten Herrn D. Mascou zugemuthet wurde, eine Poetische Anweisung nach meinen Begriffen heraus zu geben; so trauete ich mir doch solches nicht zu, nach Würdigkeit ins Werck zu richten. Indessen fand sich das nechste Jahr eine Anzahl guter Freunde, die mich ersuchten, ihnen ein Poetisches Collegium zu lesen. Hier ergriff ich nun die Gelegenheit, mir den ersten Entwurf zu einer Critischen Dicht-Kunst zu machen, und die bisherigen unordentlichen Gedancken und Anmerckungen von der Poesie, in einen systemastischen Zusammenhang zu bringen. Es ist nunmehro ein Jahr, daß ich denselben zum Ende brachte, und seit der Zeit entschloß ich mich diesen meinen Entwurf etwas besser auszuführen, und ein ziemlich vollständiges Werckchen daraus zu machen. Da sich nun bald ein guter Verleger dazu fand, so legte ich wircklich Hand an, und liefere itzo meinem Vaterlande diesen Versuch einer Critischen Dichtkunst: den ich gewiß nicht aus meinem Gehirne angesponnen; sondern aus allen oberwehnten berühmten Scribenten, und überdas, aus den vortheilhafften mündlichen Unterredungen Hn. Costen, unsres Französischen Reformirten Predigers, eines tiefsinnigen Critici; des Hn. Geh. Secretar Königs, und Hrn. Prof. Krausens in Wittenberg, gesammlet und in einige Ordnung gebracht. Diese Arbeit, und die Fehler, so ich etwa in derselben begangen haben möchte, kan ich mir allein zuschreiben; alles übrige gebe ich nicht vor mein eigen aus. Es wird mir also zu keinem Vorwurfe dienen können, wenn man irgend sagen würde: Ich hätte dieses oder jenes nicht von mir selbst; es wäre nichts neues, sondern hier oder daher genommen etc. Ich hatte mir nur vorgesetzt dasjenige, was in so unzehlich vielen Büchern zerstreut ist, in einem einzigen Wercke zusammen zu fassen, und es denen in die Hände zu geben, die entweder selbst Poeten werden, oder doch von Poesien vernünftig wollen urtheilen lernen. Und aus dieser Nachricht wird ein jeder leicht abnehmen; ob ich mir selbst zu viel zugetrauet, da ich es unternommen eine Critische Dicht-Kunst ans Licht zu stellen? Der andre Einwurf, den ich bey meinem Titelblatte vorher sehe; wird die Worte betreffen, darinn ich sage, daß das Wesen der Poesie überhaupt, und ihrer fürnehmsten Gattungen, in der vernünftigen Nachahmung der Natur bestehe. Ich weiß, wie schwer dieses allen denjenigen eingehet, welche die Versmacher- Kunst und Poesie vor einerley ansehen; die von keinem Prosaischen Gedichte, und von keiner gereimten Prosa was hören wollen: ungeachtet beydes so gemein ist, als was seyn kan. Was mich aber bisher gegen alle Wiedersprüche von dieser Seite in Sicherheit gesetzet hat, ist dieses, daß alle meine Gegner von der Gattung niemahls eine einzige Critische Schrifft der alten oder neuern gelesen. Ich bitte also meine Leser sich nicht zu übereilen, sondern erst das Buch selbst, oder zum wenigsten die ersten sechs Capitel zu lesen, und alles wohl zu überlegen. Ich würde mich bey Verständigen auslachenswürdig gemacht haben, wenn ich die Poesie in der Kunst zu scandiren oder zu reimen gesucht hätte. Franzosen und Italiener thun das erste nicht, und haben doch Poesien die Menge. Die Engelländer schreiben so wohl als die alten Griechen und Römer, gantze Helden-Gedichte ohne Reime: wer will ihnen aber die Poesie absprechen? Alle Romane sind weder um das Sylbenmaßes noch des Reimes wegen, sondern bloß um der Fabel halber zur Poesie zu rechnen. Aristoteles hat auch ausdrücklich gesagt: Die Epopee könne in beyderley Schreibart abgefasset werden und doch ein Gedichte bleiben; hergegen Empedocles sey ein Naturlehrer, aber kein Poet zu nennen, ob er gleich ein grosse Buch in Alexandrinischen Versen geschrieben. Eben dieser grosse Criticus hat ausführlich dargethan, daß ein Poet so wohl als ein Mahler und Bildschnitzer ein Nachahmer der Natur sey; und eine Sache entweder so wie sie ist, oder gewesen; oder wie sie zu seyn scheint, und wie man sagt, daß sie sey: oder endlich wie sie von rechtswegen seyn sollte, abbilde und vorstelle. S. das XXVIste Cap. seiner Poetick. Wer nun die Sache besser zu verstehen denckt, der sey so gut und wiederlege diesen tiefsinnigen Kenner freyer Künste, der gewiß so viel Einsicht in die wahre Dicht- und Rede-Kunst gehabt, als ob er sich sein lebenlang auf nichts anders gelegt hätte. So lange man aber dieß nicht gethan, so erlaube man es mir eben den Weg zu gehen, darauf die gesunde Vernunft alle gute Poeten und Criticos, die vor mir gelebt, zu allen Zeiten und in allen Ländern geleitet hat. Man mercke aber endlich auch, daß es ein anders sey, etwas in metrischer und etwas in poetischer Schreibart abfassen. Vieles ist metrisch genug geschrieben; das ist, es scandirt und reimet gut genug: Aber es ist kein Fünckchen von Poetischem Geiste darinn; und verdient also eine gereimte Prose zu heißen. Vieles hergegen ist sehr poetisch geschrieben, ob es gleich weder Sylbenmaaß noch Reime hat. Von beydem aber ist noch ein poetischer Inhalt, wie eine Person von dem Kleide, so sie trägt, unterschieden. Ein Gedichte kan metrisch und prosaisch, schlecht weg, auch poetisch beschrieben werden: bleibt aber allemahl ein Gedichte: wie dieses alles in dem Wercke selbst ausführlicher vorkommen wird. Wegen des Dritten Capitels, vom guten Geschmacke eines Poeten, habe ich noch zu erinnern, daß ich nach der Zeit, als es schon gedruckt war, gefunden, daß auch der Hr. von Leibnitz meiner Meynung gewesen. Ich finde nehmlich in den Anmerckungen über des Grafen von Schafftsbury oberwehntes Buch, im RECUEIL DE DIVERSES PIECES, P. 285 folgende Worte: LE DISCOURS SUR LE GOUT, MISC. 3. C. 2 ME PAROIT CONSIDERABLE. LE GOUT DISTINGUÉ DE L'ENTENDEMENT, CONSISTE DANS LES PERCEPTIONS CONFUSES, DONT ON NE SAUROIT ASSEZ RENDRE RAISON. C'EST QUELQUE CHOSE D'APPROCHANT DE L'INSTINCT. LE GOUT EST FORMÉ PAR LE NATUREL & PAR L'USAGE. ET POUR L'AVOIR BON; IL FAUT S'EXERCER À GOUTER LES BONNES CHOSES, QUE LA RAISON & L'EXPERIENCE ONT DEJA AUTORISÉES: EN QUOI LES JEUNES GENS ONT BESOIN DE GUIDES. Wer diese merckwürdige Worte, des grösten Philosophen unsres Vaterlandes und unsrer Zeiten, mit meinem Capitel vom guten Geschmacke zusammen hält; der wird finden, daß selbiges gleichsam nur eine Erklärung und weitläuftige Ausführung davon zu nennen: weil er mit kurtzem eben das sagt, was ich vollständiger erwiesen und gehöriger Weise mit Exempeln erläutert habe. Es ist aber werth daß wir die Stelle des gelehrten Engelländers auch ansehen, ob er vielleicht einer andern Meynung, den Geschmack betreffend, zugethan ist, als der Hr. von Leibnitz. OUR JOINT ENDEAVOUR, heißt es P. 164, THEREFORE, MUST APPEAR THIS: TO SHOW, THAT NOTHING, WHICH IS FOUND CHARMING OR DELIGHTFUL IN THE POLITE WORLD, NOTHING, WHICH IS ADOPTED AS PLEASURE, OR ENTERTAINMENT, OF WHATEVER KIND, CAN ANY WAY BE ACCOUNTED FOR, SUPPORTED, OR ESTABLISH'D WITHOUT THE PRE-ESTABLISHMENT OR SUPPOSITION OF A CERTAIN TASTE . NOW A TASTE OR JUDGEMENT , T'IS SUPPOSD, CAN HARDLY COME READY FORM'D WITH US INTO THE WORLD. WHATEVER PRINCIPLES OR MATERIALS OF THIS KIND WE MAY POSSIBLY BRING WITH US; WHATEVER GOOD FACULTYS, SENSES, OR ANTICIPATING SENSATIONS AND IMAGINATIONS, MAY BE OF NATURE'S GROWTH, AND ARISE PROPERLY, OF THEMSELVES, WITHOUT OUR ART, PROMOTION, OR ASSISTENCE, THE GENERAL IDEA WHICH IS FORM'D OF ALL THIS MANAGEMENT, AND THE CLEAR NOTION WE ATTAIN OF WHAT IS PREFERABLE AD PRINCIPAL IN ALL THESE SUBJECTS OF CHOICE AND ESTIMATION, WILL NOT, AS I IMAGINE, BY ANY PERSON BE TAKEN FOR INNATE . USE, PRACTICE AND CULTURE MUST PRECEDE THE UNDERSTANDING AND WIT OF SUCH AN ADVANCED SIZE AND GROWTH AS THIS. A LEGITIMATE AND JUST TASTE CAN NEITHER BE BEGOTTEN, MADE, CONCEIV'D, OR PRODUC'D, WITHOUT THE ANTECEDENT LABOUR AND PAINS OF CRITICISM. Diese Stellen, wie mich dünckt, geben deutlich genug zu verstehen, daß der Geschmack nach dieser beyden grossen Männer Meynung, uns nicht angebohren, sondern erlanget werde; daß junge Leute einer Anführung darinn benöthiget sind; daß er ein Urtheil von dem was schön, angenehm, oder heßlich und verdrüßlich ist, sey, insoweit man von diesen Beschaffenheiten eines Dinges nur nach undeutlichen Empfindungen urtheilt; und daß endlich der gute Geschmack sich auf critische Regeln gründe und darnach geprüfet werden müsse: daher es denn unwiedersprechlich folget, daß zwey wiederwärtige Urtheile des Geschmackes, von der Schönheit gewisser Dinge, unmöglich zugleich wahr und richtig seyn können. Wie ich nun diese wenige Zeugnisse höher als hundert andre halte; so will ich auch weder den SPECTATEUR, noch den Herrn Rollin anführen, ob sie gleich auch meiner Meynung sind. Es ist ohnedem unnütze, mit Zeugen etwas auszumachen, was durch Gründe erwiesen werden muß; und man bedient sich derselben in solchem Falle nur gegen die, so noch in dem Vorurtheile des Ansehens stecken, und nicht im Stande sind, die Krafft gründlicher Beweise recht bey sich wircken zu lassen. Schlüßlich bitte ich alle itzt lebende Deutsche Poeten um Vergebung; daß ich ihre Gedichte in meinem Wercke nicht habe brauchen können. Ich hatte mir die Regel gemacht, gar keinen lebenden Dichter zu tadeln oder zu critisiren: daraus floß nun nothwendig die andre, daß ich auch keinen loben müste; weil sonst diejenigen, so ich übergangen hätte, solches Stillschweigen vor einen Tadel würden gehalten haben. Es war also dieses der sicherste Weg, mich weder einer Schmeicheley, noch des Hasses oder Neides halber, verdächtig zu machen. Die Nachkommen werden schon einem jeden sein Recht wiederfahren lassen; und ich werde deswegen doch einen jeden nach seinen Verdiensten zu verehren wissen, auch bey andrer Gelegenheit mich nicht entziehen, dieselben öffentlich zu rühmen. Da ich übrigens die Poesie allezeit vor eine Brodtlose Kunst gehalten, so habe ich sie auch nur als ein Neben-Werck getrieben, und nicht mehr Zeit dar auf gewandt, als ich von andern ernsthafftern Verrichtungen erübern können. Sollte ich künftig noch eben so viel Muße behalten: so dencke ich noch eine neue Ausgabe der Wercke Virgilii zu Stande zu bringen, und zwar auf eine bisher ungewöhnliche Art. Man hat, wie bekannt, drey hundert Jahre her sich bemühet, uns den Text dieses Poeten durch Gegeneinanderhaltung der alten Manuscripte so richtig zu liefern, als es möglich gewesen: und daher sind alle die Auflagen mit OBSERVATIONIBUS CRITICIS, LECTIONIBUS VARIANTIBUS, NOTIS VARIORUM, IN VSUM DELPHINI, u.s.w. entstanden; davon alle Buchläden voll sind. Andre die wohl sahen, daß diese Ausgaben mehr vor critische Grübler, als vor gemeine Leser waren, so sich aus der unendlichen Menge ihrer Anmerckungen offt keine einzige zu Nutze machen konnten; gaben die alten Scribenten mit solchen Noten heraus, die den Verstand des Textes erleichterten, und theils die Alterthümer, theils die schwersten Stellen erklärten: dergleichen die Ausgaben Bonds, Minellii, Cellarii, AD MODUM MINELLII, u. dergl. gewesen. Noch andre gaben den bloßen Text, ohne alle Anmerckungen in kleinerm Formate heraus, um dadurch denen zu dienen, die schon mit dem Texte bekannt waren, oder nicht viel auf grosse und theure Bücher wenden wollten, wie die Elzevirischen, und zum theil die Waesbergischen Editionen ausweisen. Mein Vorhaben aber ist endlich einmahl die Schaale der Worte Virgilii, damit man sich so lange aufgehalten, fahren zu lassen, und auf den Kern seiner Gedichte zu gehen. Man hat uns bisher den Virgil in die Hände gegeben, um Wörter und poetische Redensarten daraus zu lernen: um den Inhalt aber, der doch das fürnehmste war, oder um die innere Einrichtung seiner Gedichte nach den Regeln der Dicht-Kunst, hat man sich wenig bekümmert. Dieses soll also meine Arbeit seyn, daß ich I) vor die Eclogen sowohl, als vor die Georgica und die Eneis, Poetisch-critische Einleitungen setzen, und die Natur dieser Gedichte darinn erklären werde, II) will ich auch unter den Text überall diejenigen Anmerckungen setzen, so zu desto besserer Einsicht der Poetischen Kunstgriffe Virgilii dienen, und die Ursachen anzeigen werden, warum er es so, und nicht anders gemacht. III) Werde ich auch nicht unterlassen, die kleinen Fehler anzumercken, so diesem grossen Poeten zuweilen entwischet sind. Die EDITION soll so sauber werden als eine Holländische, und in solchem Formate erscheinen, daß man sie um einen billigen Preis wird geben können. Fußnoten 1 Siehe des berühmten Hn. Prof. Stolles Vorrede zu seiner Historie der Gelahrheit, in der neuern Auflage. Anhang II Vorrede Vorrede zu dieser vierten Ausgabe D. Geneigter Leser! Und meine Dichtkunst lebet noch! Sie lebet, sage ich, und hat alle die Anfälle überstanden, die man die Zeit her auf sie gethan; und denen ich sie bloß gestellet gelassen, ohne ihr im geringsten zu Hülfe zu kommen. Es ist allen bekannt, was seit etlichen Jahren, für oft wiederholte Feindseligkeiten wider sie ausgeübet worden. Jedes Meßverzeichniß neuer Bücher kündigte ihr einen neuen Angriff an; und man schien nicht ermüden oder aufhören zu wollen, bis man meine arme Dichtkunst mit Strumpf und Stiel ausgerottet hätte. Es ist wahr, diese Schriften waren klein: allein, wer weis nicht, daß auch kleine Tropfen endlich einen Stein aushölen, und durchlöchern können? Bey allen diesen vielfältigen Antastungen eines meiner ersten und liebsten Bücher, saß ich, zu großer Verwunderung vieler meiner Freunde, ganz still und unbeweglich. Ich ließ meinem Gegner und seiner kritischen Feder freyen Lauf, ohne mich im geringsten zu regen, oder nur das mindeste Zeichen des Lebens oder einiger Empfindung zu geben. Ich spielte die Rolle eines Stummen, der keine Wiederrede in seinem Munde hat; oder eines ganz Unwissenden, der nicht das geringste, zur Vertheidigung seiner Lehren und Meynungen, vorzubringen weis. So wenig dieses der Sitte der Gelehrten gemäß ist, die insgemein nicht den geringsten Widerspruch erdulden können; ja sich wohl aufs heftigste regen, wenn man gleich ohne alle Nennung ihres Namens, eine von der ihrigen abgehende Meynung behauptet: so wenig habe ich es für rathsam gehalten, dieses mitzumachen. Meine Ursachen will ich hier kürzlich entdecken. Zuförderst muß ich meinen Lesern, den ersten Grund und Anlaß, solcher Feindseligkeit meines Widersachers, entdecken, und sie zu Richtern darüber machen. Es hatte derselbe, ich weis nicht mehr bey welcher Veranlassung, die Gelegenheits-Gedichte gänzlich verworfen. Ich las solches in einer Zeitung; und wunderte mich, daß solche Meynung von einem gelehrten Manne hatte behauptet werden können. Als mir nun bey einigem Nachdenken vorkam, daß ich die Vertheidigung vieler großen Dichter alter und neuer Zeiten übernehmen würde, wenn ich die Gelegenheitsgedichte beschützen möchte: so machte ich einen kleinen Aufsatz davon, den ich in den neuen Büchersaal der schönen Wissenschaften und Fr. K. drucken ließ. Ich zeigte darinn, daß die meisten griechischen und römischen; ja auch unter den Neuern die meisten wälschen, französischen und englischen Dichter, eine Menge solcher kleinen Gelegenheitsgedichte verfertiget; und gleichwohl ihren Nationen dadurch keine Schande, großentheils aber viel Ehre gemachet. Ich handelte also diesen Satz ganz allgemein ab, ohne mit einem Worte an den Vertheidiger der obigen neuen Meynung zu denken, viel weniger etwas zu sagen, das ihm anzüglich dünken könnte. Zuletzt erläuterte ich meinen Lehrsatz, mit einem neuern Beyspiele eines schönen Hochzeitgedichtes, von dem berühmten Hrn. Prof. Richey, welches damals ganz neu in meine Hände gefallen war, und welches vieleicht einige Wahrheiten in sich hielt, die einer gewissen neuern Dichter- und Kunstrichtersecte nicht gefallen mochten. Anstatt nun, daß mein Gegner seine Meynung weiter hätte behaupten, und meine Gründe widerlegen können, schwur er meiner Dichtkunst den Untergang; gleichsam, als ob diese sich an ihm versündiget hätte. Sie war unschuldig; aber das half nichts: seine Rachgier rief ihm unaufhörlich ins Ohr: CARTHAGINEM ESSE DELENDAM! die kritische Dichtkunst müßte ausgerottet werden. HINC ILLÆ LACRUMÆ! Was daraus erfolget sey, habe ich oben erwähnet: und meine Leser mögen selber urtheilen, ob die Ursache zum Zorne rechtmäßig gewesen? So bald der erste Pfeil auf meine Dichtkunst abgedrucket worden, kam mir derselbe zu Gesichte. Ich sah ihn mit begierigen Augen an, und hielt es nicht für unmöglich, daß doch etwas Gutes darinn seyn könnte. Es war mit nur gar zu bekannt, daß ich nicht unfehlbar wäre: denn wer ist es wohl in der Welt? Ich kannte auch den großen Umfang der kritischen Wahrheiten, die zur Dichtkunst gehören, oder einigen Einfluß darein haben. Wie leicht konnten mir nun unter denselben etliche entwischet seyn? Viele Augen sehen mehr, als zwey: und ich habe mich niemals für allwissend gehalten. Zwar wollten mich einige gute Freunde versichern, daß mein Gegner der Mann nicht wäre, der mich eines bessern belehren könnte. Sie hätten ihn genau gekannt, als er vor wenigen Jahren, die ersten Begriffe von der Dichtkunst, aus meinem Buche selbst geschöpfet hätte; er würde also schwerlich im Stande seyn, seinen Lehrer zu hofmeistern. Allein dieses störte mich nicht, in dem Lesen seiner ersten Schrift: weil ich wohl wußte, daß Leute von außerordentlicher Fähigkeit, in wenigen Jahren auch ihre Lehrer übersehen, und alle ihre Vorgänger übertreffen können. Allein, was geschah? Anstatt daß mich das Durchblättern dieser Schrift hätte beunruhigen sollen: so legte ich sie weit ruhiger aus der Hand, als ich sie genommen hatte. Ich will und kann mich hier nicht ausführlicher erklären: nur so viel kann ich sagen; daß ich wegen meiner Dichtkunst eben nicht furchtsamer und verzagter ward, als vorhin; sondern vielmehr fest beschloß, sie ihrem Schicksale, und allen Pfeilen ihres Gegners zu überlassen, ohne ihr im geringsten beyzustehen. Denn, sprach ich bey mir selbst: sind die Regeln und Lehrsätze des griechischen und römischen Alterthums, die du in deiner Dichtkunst vorgetragen hast, wohl gegründet: so werden sie gewiß auch diese Angriffe überstehen; wie sie sich so viel Jahrhunderte in der Hochachtung aller Verständigen erhalten haben. Du hast dir nämlich keine neue Kunstgriffe in der Poesie erdacht; die vieleicht auf einem so seichten und lockern Grunde stehen möchten, daß sie der geringste Gegner über einen Haufen stoßen könnte. Wäre dieses, so hättest du allerdings viel zu besorgen. Allein die alten Wahrheiten, die du nur fortzupflanzen gesuchet hast, stehen fest genug; und werden sich schon zu erhalten wissen, wenn du gleich schweigest, und sie allen Widersachern bloß stellest. Diese haben schon manchem Feinde, wie jene Feile im Phädrus , der Natter zugeruffen: QUID ME, INQUIT, STULTA, DENTE CAPTAS LÆDERE? OMNE ADSUEVI FERRUM QUÆ CORRODERE. Und, wie Fontaine die Sittenlehre dieser Fabel ausgedrücket: so konnte es allemal heißen: CECI S'ADRESSE À VOUS, ESPRITS DU DERNIER ORDRE! QUI, N'ÉTANS BONS À RIEN, CHERCHEZ SUR TOUT À MORDRE. VOUS VOUS TOURMENTEZ VAINEMENT! CROYEZ-VOUS, QUE VOS DENTS IMPRIMENT LEURS OUTRAGES, SUR TANT DE BEAUX OUVRAGES? ILS SONT POUR VOUS D'ACIER, D'AIRAIN, DE DIAMANT. Diese meine Gedanken bestärkten sich noch mehr, durch folgende Betrachtungen. Ist dein Buch schlecht, dachte ich, und kann es ein jeder, der sich drüber machet, umstoßen: so mag es doch immer fallen; denn es ist gar nicht werth, daß es daure, und daß du ihm beystehst. Ist es aber gut, und gründlich geschrieben, so fürchtest du umsonst seinen Untergang. Deutschland ist schon so aufgeklärt, daß man ihm so leicht keinen blauen Dunst vor die Augen machen kann. Es wird bald sehen, ob die Gründe deines Gegners Stich halten; oder ob deine Lehrsätze gegründet sind? Ueberlaß es also der Zeit, den Ausschlag zu geben. Diese wird dich in kurzem lehren, wer recht gehabt hat, oder nicht. Meine Muthmaßung ist eingetroffen: und ich darf es nicht sagen, daß sie zu meinem Vergnügen ausgeschlagen ist. Die dritte Auflage meiner kritischen Dichtkunst ist abgegangen; und der Herr Verleger hat eine neue veranstalten müssen, die Liebhaber zu vergnügen. So schmäuchelhaft dieses für mich geschienen; so wenig habe ich mich dadurch gegen mein Buch verblenden lassen. Wie ich jederzeit gegen meine Arbeiten mistrauisch gewesen; so habe ich dieses auch hier bewiesen. Ich habe diese Dichtkunst nochmals bedächtig durchgelesen, und sie mit noch größerer Aufmerksamkeit, als bey der vorigen Ausgabe geprüfet. Damals war ich mit Verwaltung öffentlicher Aemter, und was das meiste ist, mit der Ausgabe des baylischen Wörterbuches beschäfftiget. Diese große Arbeit ließ mir so viel Zeit nicht übrig, an viele Zusätze zu meinem Buche zu denken. Ich übersah also nur das alte, und war zufrieden, daß ich hin und wieder einige kleine Verbesserungen und Erläuterungen einschaltete: die aber dem Werke sein ganzes Ansehen ließen. Itzo aber hat mich kein solches unumgängliches Hinderniß abgehalten, so zu reden, die letzte Hand an ein Buch zu legen, welches das Glück gehabt, bisher so wohl aufgenommen zu werden. Und von diesen Verbesserungen und Zusätzen muß ich itzo Rechenschaft geben. Der erste allgemeine Theil meiner Dichtkunst ist beynahe durchgehends geblieben, wie er bisher gewesen. Er enthält noch eben die Grundsätze der Alten von der Poesie, in eben so vielen Hauptstücken, und in eben der Ordnung, als vorhin. Ich habe noch nichts zu wiederrufen, nichts abzuschaffen, oder zu verwerfen darinn gefunden: ungeachtet ich mir vieleicht nicht ohne Grund schmäuchele, durch Nachdenken und Bücherlesen, zu mehrerer Kenntniß und Einsicht in kritischen Dingen gelanget zu seyn. Die Natur des Menschen, und seiner Seelenkräfte ist noch eben dieselbe, als sie seit zweytausend Jahren gewesen: und folglich muß der Weg, poetisch zu gefallen, noch eben derselbe seyn, den die Alten dazu so glücklich erwählet haben. Doch habe ich hin und wieder kleine Einschiebsel gemacht, um das vorige theils zu erläutern, theils zu bestärken, theils auf gewisse neuere Misbräuche und Abwege zu deuten, auf welche einige neuere Dichter verfallen sind. Habe ich hier zuweilen auf die Erfinder neuer Griffe gezielet, die in den freyen Künsten das Unterste zu Oberst zu kehren suchen: so kann ich nicht dafür. Steht es ihnen frey, zu lehren, was sie wollen: warum sollte es mir verbothen seyn, vor Irrthümern zu warnen, oder sie nur anzuzeigen? Ganz anders ist es mit dem II. Theile meiner Dichtkunst beschaffen gewesen. Ich habe in demselben viele Mängel bemerket, die ich gleich anfangs nicht gewahr geworden war: und diesen habe ich hier, meiner Einsicht nach, völlig abgeholfen. Man glaube nicht, daß dieses irgend die Regeln und Lehrsätze betreffe, denen ich vorhin gefolget war. Keinesweges! diese waren ja nur Folgerungen, aus den Grundsätzen des ersten Theiles. Stunden nun diese fest; wie konnte ich von jenen abgehen? Hatte ich also keine Fehler zu verbessern, so fand ich destomehr Lücken auszufüllen; die ich in den vorigen Ausgaben gelassen hatte. Es gab noch viele Arten von Gedichten, von welchen ich gar nicht gehandelt; und andere, von welchen ich nur beyläufig geredet hatte. Diese lagen mir nun so sehr am Herzen, daß ich nicht umhin konnte, diese Mängel zu ergänzen, und eine gute Anzahl neue Hauptstücke auszuarbeiten. Der Augenschein wird solches den geneigten Leser selbst lehren: wenn er nur auf das Verzeichniß der Hauptstücke dieses Theiles einen Blick werfen, und dasselbe, mit den Hauptstücken der vorigen Auflagen zusammen halten will. Gleichwohl habe ich diese Hauptstücke nicht alle durch einander geworfen, wie sie mir in den Kopf gekommen. Nach reifer Ueberlegung habe ich es für gut befunden, diejenigen Arten der Gedichte, die von den Alten schon erfunden worden, von den Erfindungen der Neuern abzusondern; ungeachtet ich in allen meinen wälschen, französischen, englischen und deutschen Vorgängern kein Exempel davon vor mir sah. Der erste Abschnitt dieses Theiles enthält also XIV. Hauptstücke, darinn ich diese bekannten Arten alter Gedichte zureichend abgehandelt; und zwar in eben der Ordnung, darinn sie allem Ansehen nach, zuerst erfunden worden: so viel als man aus den vorhandenen Ueberbleibseln derselben urtheilen kann. Hierauf folgen nun die neuern Gattungen der Gedichte in IX Hauptstücken, deren jedes aber, mehr als eine Art derselben in sich hält. Ich hielt nämlich dafür, daß gewisse verschwisterte Arten sich schon mit einander vertragen würden: angesehen mir sonst die Zahl der Hauptstücke zu groß geworden seyn möchte. Auch hier habe ich allemal auf den Ursprung und die Zeit der Erfindung gesehen. Ich habe den ersten Quellen vieler Gedichte bey den Franzosen, Wälschen, und Provenzaldichtern des XII und XIII Jahrhunderts nachgespüret; und glaube darinn manche Entdeckung gemacht zu haben, die auch dem Minturno, Crescimbeni , und Muratori , so gelehrt und scharfsinnig sie sonst gewesen, entwischet waren. Ich habe mir ferner angelegen seyn lassen, in allen diesen neuen Hauptstücken; ja auch in den Alten, die da geblieben, die nöthigsten historischen Nachrichten, von denen Dichtern zu geben, die sich dadurch hervorgethan. Um nicht in eine verdrüßliche Einträchtigkeit zu fallen, habe ich bald von den Auswärtigen, bald von den Deutschen, bald von den Alten den Anfang gemacht: nachdem die Sachen es erfoderten. Bald habe ich es im Anfange, bald in der Mitte, bald gegen das Ende der Capitel gethan: und ich hoffe, daß dieser kleine Vorschmack, von meiner weit größern Geschichte der deutschen Poesie, niemanden misfallen, oder zum Ekel werden wird. Es ist allemal was schönes, und lehrreiches, die Vorgänger in einer freyen Kunst zu kennen, deren Beyspielen man entweder zu folgen, oder deren Spuren man zu fliehen Ursache hat. Und ich schmäuchele mir, daß noch keine deutsche Dichtkunst, in diesem Stücke so viel Nachrichten gegeben hat, als die meinige. Weil nun alle diese ansehnlichen Zusätze sehr vielen Platz brauchten; ich aber mein Buch den Käufern und Liebhabern nicht viel theurer machen wollte: so war kein anderer Rath, als die Exempel unserer Dichter, bey allen den Hauptstücken wegzulassen, wo ich sie hingesetzet hatte. Ich habe den Lesern ohnedieß so viel Poeten angepriesen, und kleine Stücke aus ihren Schriften zur Probe gegeben; daß ich hoffen kann, sie werden sich selbst eine auserlesene Sammlung derselben anzuschaffen bedacht seyn. Außerdem habe ichs mit den Exempeln meinen Tadlern niemals recht machen können. Gab ich anfänglich meine eigene: so schrien sie: das sey eine unerhörte Sache, daß man seine eigenen Muster andern zur Nachahmung vorlege. Wurde nun gleich dieser Vorwurf, in den hällischen Bemühungen einer groben Unwahrheit überführet: so wich ich doch, aus Liebe zum Frieden, und gab fremde Beyspiele zu Mustern. Aber auch dabey traf ichs nicht recht. Man rückte mir vor, ich hätte den alten Dichtern manche unrechte Lesart gegeben: wenn ich irgend Anfängern zu gut, nur manchen ARCHAISMUM ein wenig gebessert hatte. Wohlan, ich mache es auch itzt, wie jener Mann in Kanitzens Fabel, der es niemals recht machen konnte. Nun bleiben alle Exempel weg: und sonder allen Zweifel, wird auch dieses nicht recht seyn. Dem sey aber, wie ihm wolle: hinfort werde ich meinen Kopf auch aufsetzen, und mit eben dem Manne sagen: – – Sollt ich mich in alle Leute schicken: So packten sie mir gar den Esel auf den Rücken. Wie nämlich meine Dichtkunst itzo ist, so soll sie bleiben: meine Widerbeller mögen sagen, was sie wollen. Der geneigte Leser lasse sich meinen Eifer ihm zu dienen, und den Flor der schönen Wissenschaften zu befördern, gütigst gefallen, und bleibe mir ferner gewogen. Dieß wird der süßeste Lohn meiner Bemühungen seyn. Geschr. den 10 des Weinm. 1751. Gottsched. 1. 2. Von äsopischen und sybaritischen Fabeln Des I. Abschnitts II. Hauptstück. Von äsopischen und sybaritischen Fabeln, imgleichen von Erzählungen 1. §. Der Ordnung des Alterthumes zu folgen, muß ich wohl von dieser Art der Dichtkunst, unmittelbar nach den Liedern handeln. Was eine Fabel überhaupt sey, habe ich oben im I. Theile, im 3ten Hauptstücke ausführlich erkläret. Sie ist eine erdichtete Begebenheit, welche erfunden worden, eine gewisse Sittenlehre darunter zu verbergen, oder vielmehr durch sie desto sinnlicher zu machen. Wir haben auch schon gewiesen, daß sie zweyerley sey; nachdem man entweder Pflanzen und Thiere, oder vernünftige Wesen darinn redend oder handelnd einführet. Hier aber muß ich noch die dritte Art hinzusetzen, darinnen man allegorische Personen dichtet, oder solchen Dingen ein Wesen und Leben giebt, die entweder ganz leblos sind, oder doch nur den Gedanken der Menschen ihr Daseyn zu danken haben: wie sichs hernach deutlicher zeigen wird. Diese Gattung nebst der ersten von Thieren, kann man eigentliche Fabeln oder Mährlein nennen; diejenigen aber, worinn lauter vernünftige Wesen, denkend, redend, und wirkend aufgeführet werden, pflegt man auch wohl Erzählungen zu heißen. Sie ändern aber darum ihre Natur nicht, und bleiben allemal erdichtete Begebenheiten, die ihre Sittenlehre bey sich führen. Menget man aber Thiere und Menschen, oder leblose und allegorische Personen, mit Geistern oder wirklich denkenden Wesen zusammen: so entstehen daraus vermischte Fabeln. 2. §. Daß indessen die Fabeln noch älter, als die übrigen Arten der Gedichte, sonderlich das Heldengedicht seyn, ist leicht zu erweisen. Ohne Zweifel ist das Buch der Richter, wenn es gleich erst um Samuels Zeiten geschrieben wäre, älter als Homer : und in demselben finden wir schon Jothams Fabel von den Bäumen, die sich einen König gewählet. Jotham also, war unstreitig lange vorm Samuel ein Fabeldichter: und da sein Gedicht dergestalt das älteste dieser Art ist, das wir kennen: so ist es wohl werth, daß wir es hier einrücken. Es steht im 9ten Capitel des bemeldten Buches, und lautet so: Die Bäume giengen hin, daß sie einen König über sich salbeten, und sprachen zum Oelbaume: Sey du unser König. Aber der Oelbaum antwortete: Soll ich meine Fettigkeit lassen, die beyde Götter und Menschen an mir preisen, und hingehen, daß ich über den Bäumen schwebe? Da sprachen die Bäume zum Feigenbaume: Komm du, und sey unser König! Aber der Feigenbaum sprach zu ihnen: Soll ich meine Süßigkeit und meine gute Frucht lassen, und hingehen, daß ich über den Bäumen schwebe? Da sprachen die Bäume zum Weinstocke: Komm du, und sey unser König! Aber der Weinstock sprach zu ihnen: Soll ich meinen Most lassen, der Götter und Menschen frölich machet, und hingehen, daß ich über den Bäumen schwebe? Da sprachen alle Bäume zum Dornbusche: Komm du, und sey unser König! Und der Dornbusch sprach zu den Bäumen: Ists wahr, daß ihr mich zum Könige salbet über euch? so kommet, und versammlet euch unter meinen Schatten. Wo nicht, so gehe Feuer aus dem Dornbusche, und verzehre die Cedern auf dem Libanon. So lautet die Fabel selbst; ihre Deutung aber mag man, nach den damaligen Umständen, in der angezogenen Stelle nachsehen. Sie ist ganz sittlich, und giebt den Sichemitern einen deutlichen Unterricht: daß sie sich unter Gideons Söhnen gerade den ärgsten ausgesuchet, der theils seine ältern und besseren Brüder erwürget hätte; theils sie selbst zu Grunde richten würde. 3. §. Die Fabel, so nächst dieser die älteste ist, steht im II. Buche Samuels im 12ten Cap. und Nathan erzählete sie dem Könige David . War die obige aus dem Reiche der Bäume genommen: so ist diese von der zweyten Gattung, und hat lauter menschliche Personen; weil nämlich die Schafe, so darinn vorkommen, nichts reden, oder handeln. Von eben der Art ist die dritte, des klugen Weibes zu Thekoa , die im 14ten Cap. desselben Buches steht: und diese wollen einige Neuere lieber Erzählungen (CONTES) nennen; weil es nämlich mehr Anschein hat, daß sie wohl geschehen seyn könnten. So liefert uns denn die Schrift selbst ältere Muster von äsopischen Fabeln und Erzählungen, als die äsopischen sind: gesetzt, daß Aesopus , wie einige Gelehrte meynen, mit dem Assaph in Davids Hofcapelle einerley gewesen wäre. Allein der ganze Orient ist in den ältesten Zeiten wegen seiner Neigung zu den Fabeln und Allegorien berühmt gewesen. Kam nicht die Königinn von Saba , den König Salomon mit ihren Räthseln zu versuchen? Erzählet uns nicht Josephus , auf desjenigen Dius Bericht, der die phönizische Geschichte geschrieben, und auf des ephesinischen Menanders Zeugniß, der die Jahrbücher der Tyrier übersetzet hatte: daß Salomon und Hiram einander Räthsel aufgegeben, und große Summen darauf gesetzet, wer sie nicht würde auflösen können? Selbst die Brachma nen , die Gymnosophisten , ja die Chineser haben in den ältesten Zeiten die Art an sich gehabt, alles in Allegorien und Erzählungen vorzutragen, was sie als gute Lehren fortpflanzen wollen. Die ältesten Römer müssen diese Art zu moralisiren auch geliebet haben, wie wir aus der Fabel des Menenius Agrippa , von dem Streite der Glieder am menschlichen Leibe sehen, womit er den aufgebrachten Pöbel besänftigte, und wieder in die Stadt brachte. 4. §. Doch wir müssen näher auf die rechten Fabelschreiber kommen. Unter den Persern ist Lockmann berühmt geworden, ja sein Ruhm ist bis nach Indien, Aegypten und Nubien gedrungen. Die heutigen Türken kennen ihn, und setzen ihn in Davids Zeiten: worinn sie sich aber, wenn er wirklich Aesopus gewesen seyn sollte, etwan um drey bis 400 Jahre irren. Man hat diese Fabeln auch in heutigen abendländischen Sprachen. Strabo erzählet, die Lehrer unter den Persern pflegten ihren Schülern die Sittenlehre in Erdichtungen vorzutragen. Cyrus , der Stifter ihrer Monarchie, erzählet beym Herodot den Gesandten der Ionier und Aeolier eine Fabel. Indessen ist sehr zu vermuthen, daß dieser Lockmann eben der phrygische Aesopus sey, den fast jedes Volk sich hat zueignen wollen. Die Araber geben vor, er sey von hebräischem Geschlechte gewesen; die Perser halten ihn für einen Aethiopier, welches denn die Etymologie des Namens Aesopus (AETHIOPS) zu bestätigen scheint. Sein Leben, welches Mircond beschrieben hat, kömmt sehr mit des Planudes Leben Aesops überein. Jenem, dem Lockmann , geben Engel die Weisheit; im Philostratus muß Mercur dem Aesop die Fabel eingeben. Kurz, die orientalischen Völker sagen, die Griechen hätten ihnen den Lockmann gestohlen, um ihren Aesop daraus zu bilden. Adam Olearius hat jenes Fabeln verdeutschet, und am Ende des persischen Rosenthals angehänget: Erpenius aber hat sie aus dem Arabischen ins Lateinische gebracht. 5. §. Von der Indianer Weisheit hat uns Sendebar , oder Sandhaber , denn man findet ihn verschiedentlich geschrieben, ein Buch hinterlassen, davon ich einen alten Druck in lateinischer Sprache besitze. Der Titel heißt: DIRECTORIUM HUMANÆ VITÆ, ALIAS PARABOLÆ ANTIQUORUM SAPIENTUM: dieser ist sonder Ort und Namen des Druckers, ohne Zahlen der Blätter und Seiten, mit alten Holzschnitten in Fol. gedruckt. In der Vorrede steht, daß es eigentlich Belile ve Dimne 1 heiße, aus dem Indianischen ins Persische, sodann ins Arabische, hernach ins Hebräische, und endlich ins Lateinische übersetzet worden. Dieser letztere Uebersetzer Johannes DE CAPUA, richtet seine Zueignungsschrift an den Cardinal Matthäus , in einem sehr barbarischen Lateine: so, wie es um die Erfindung der Buchdruckerkunst üblich war. Der Inhalt aber besteht in XVIII. Capiteln, aus lauter Fabeln, die der König Anastres Casri , durch seinen Leibarzt Berozias , aus Indien bekommen, als er ihn hingeschicket hatte, auf den Bergen Kräuter zu sammlen, womit man Todte auferwecken könnte. Als dieser sie nun gesammlet und zubereitet hatte, die Todten aber doch nicht auferwecken konnte; erfuhr er von den indianischen Weisen: daß man durch die Berge die weisen Männer, durch die Kräuter aber die Weisheit, wie durch die Todten die Thoren, verstehen müßte; und bekam von ihnen das Buch der Weisheit , welches er ins Persische übersetzte, und seinem Könige brachte. Diesem nun gefiel es überaus, daher er es gemein zu machen befahl. Starke hat es von neuem lateinisch übersetzet; der weise Herzog zu Würtemberg Eberhard aber, soll es ins Deutsche gebracht haben. Eine sehr alte deutsche Dollmetschung in Fol. habe ich zu Wien in einer Privatbibliothek gesehen; die aber ungemein selten gefunden wird. 6. §. Die Fabeln des Pilpay sind mit den vorigen fast einerley, nur die Ordnung und Einrichtung ist etwas anders. Hier ist 1. des Königs Dabschelin und Pilpays Historie nebst fünf Fabeln. Hernach kömmt das Werk selbst in 4 Capiteln. Das erste zeigt durch sechs und zwanzig Fabeln, wie man sich vor Schmäuchlern und Verläumdern zu hüten habe. Im II. sieht man in zehn Fabeln, was es mit boshaften Staatsbedienten endlich für ein Ende nehme. Das III. lehret in 8 Fabeln, wie man sich gute Freunde erwerben könne, und was ihr Umgang nütze. Endlich zeiget das IV. durch zwölf Fabeln, daß man seinen Feinden nie trauen dörfe. Ob wir eine deutsche Uebersetzung davon haben, weis ich nicht. An französischen fehlt es nicht. La Motte hat in der Vorrede zu seinen Fabeln nicht gar zu vortheilhaft davon geurtheilet; aber ihm vieleicht unrecht gethan. Bey den Alten muß man nicht alles so genau nehmen; gesetzt, daß die Allegorie nicht jederzeit ganz richtig wäre. Pilpay soll ein Bramin, oder Brachman gewesen seyn, der unter dem Könige Dabschelin, das Ruder der Staatsgeschäffte in Händen gehabt. Dieser hätte nun alle seine Weisheit in dieß Buch geschlossen, und die Könige von Indien hätten es als einen Schatz aller Einsicht und Gelehrsamkeit aufbehalten; bis der persische König Anuservan davon gehöret (so nennet ihn Huetius , in seinem Tr. vom Ursprunge der Romane), der es durch seinen Leibarzt übersetzen lassen. Der Kalife Abujafar Almansor hätte es ins Arabische bringen lassen, daraus er abermal ins Persische übersetzet worden. Wenn indessen dieser An uservan der König Chosroes ist, der um Kaiser Justinians Zeiten gelebet hat: so ist diese Sammlung von Fabeln bey weitem so alt nicht, daß sie dem Aesopus vorgezogen zu werden verdiente. 7. §. Was nun diesen letztern Fabeldichter betrifft, so hat zwar Planudes ein sehr umständliches und wunderbares Leben von ihm geliefert, das beynahe so heraus kömmt, als das homerische, welches dem Herodot zugeschrieben wird: allein es scheint, daß er es für billig gehalten, dem Urheber der Fabeln einen mit Fabeln reichlich ausgeputzten Lebenslauf zu geben. Viele haben daher gezweifelt, ob jemals ein Aesopus in der Welt gewesen, und dafür gehalten: Planudes selbst, oder sonst jemand habe allerley im Schwange gehende Mährlein gesammlet, und sie alle dem Aesopus zugeeignet; etwa wie wir die Psalmen verschiedener Urheber alle dem David zuschreiben. Allein dieses heißt wohl zu weit gegangen. Das ganze Alterthum giebt ihn für einen Phrygier aus; setzt die Zeit, da er gelebet, um Solons und des lydischen Königes Krösus Zeiten fest; läßt ihn den Chilo , einen der sieben Weisen, sprechen; ja zum Periander nach Korinth kommen, und zu Delphis sterben, wohin ihn Krösus geschicket haben soll. Meziriac hat sein Leben weit besser beschrieben, und Bayle , nebst dem Diogenes Laertius können auch von ihm nachgesehen werden. Sokra tes übersetzte schon im Gefängnisse, eine Fabel von ihm in Verse. Phädrus um Augusts Zeiten, brachte sie ins Latein, und Plutarch gedenket seiner rühmlich. Unsre Alten haben ihn auch schon gekannt und geliebet, ja häufig nachgeahmet: und selbst Luther hat ihn zum Theile verdeutschet, ja mit einer Vorrede herausgegeben. Kurz nach seinem Tode 1548. gab Burcard Waldis , sie mit einem Zusatze 100 neuer Fabeln in Versen heraus. Bald darauf lieferte uns Daniel Holzmann , sonst Xylander , des Bischofs Cyrillus 95 Fabeln, die er unter dem Titel Spiegel der natürlichen Weisheit , 1574. in Augspurg herausgab. Auch Eyering hat noch 1601. in seinen deutschen Sprüchwörtern, die er in Versen erkläret, eine Menge davon einfließen lassen. Und wer will alle die neuen Uebersetzungen zählen, die wir davon bekommen haben? 8. §. Indessen habe Aesopus so viele davon gemachet, als er will: so hat er doch die Ehre, daß sie von ihm die äsopischen Fabeln heißen, und daß sie sich allezeit in ihrer Hochachtung erhalten haben. Und ob er sie gleich nur in ungebundener Schreibart geschrieben, so haben doch alle seine Nachfolger sich um die Wette bestrebet, sie theils in Verse zu bringen, theils darinnen nachzuahmen. Unter die berühmtesten derselben sind unter den Engländern Roger L'ESTRANGE, unter den Franzosen, la Fontaine , und la Motte ; unter den Deutschen aber Stoppe, Herr Hofr. Triller , Herr von Hagedorn , und Herr Prof. Gellert , zu zählen. Einige von diesen haben fremde Fabeln und Erfindungen auf eine neue Art in Verse gebracht; andre aber haben eigene und neue erdichtet; andre aber auch Erzählungen mit eingemischet. Ich könnte von unsern Landsleuten noch viel mehrere nennen, die sich in diesem Felde geübet; wenn sie nicht entweder gar zu schlüpfrige Züge hätten mit einfließen lassen, die, wider den Endzweck der guten Fabel, mehr zu Verderbung, als Besserung der Sitten dienen, und also FABULÆ PECCARE DOCENTES heißen möchten; oder doch sonst viel zu schlecht wären, an jene Meister zu langen. Doch verdient der so betitelte deutsche Aesop , der in dem 1740 Jahre zu Königsberg herausgekommen, nicht ganz vergessen zu werden; weil viel schöne Stücke darinnen sind. Von alten deutschen Fabeln, die lange vor der Wiederherstellung der Wissenschaften, theils aus dem Aesop übersetzet, theils neu geschrieben worden, hat uns Scherz , in Straßburg eine Sammlung 1704. in 4. ans Licht zu stellen angefangen 2 ; aber bey der 51sten aufgehöret: da doch ihrer viel mehrere waren. Ich besitze etliche alte Handschriften von denselben; und werde sowohl davon, als vielen andern geschriebenen Ueberbleibseln unsrer Alten, in meiner Historie der deutschen Sprache, Dichtkunst und Beredsamkeit, zu seiner Zeit, mehr Nachricht geben. 9. §. So ernsthaft nun die äsopischen Fabeln ihrer Absicht und Einrichtung nach sind: so possenhaft und üppig sind hingegen die sybaritischen gewesen, von welchen ich noch etwas sagen muß. Sybaris war eine Stadt, im untern Theile von Italien, oder der sogenannten GRÆCIA MAGNA. Hieher waren, wie Herodot berichtet, die weichlichen und wollüstigen Sitten der Jonier und Asiater schon vorher gedrungen, ehe noch das eigentliche Griechenland damit angestecket worden. Die Zärtlichkeit in der Lebensart, die Leckerhaftigkeit in Speise und Trank, und die Ueppigkeit selbst hatten bey diesem Volke dergestalt überhand genommen, daß auch die Fabeln ihrer witzigen Köpfe davon angestecket wurden. Sie vergaßen also den moralischen Zweck ihrer ersten Erfinder und Meister, und verwandelten sie in ein Possenwerk. Die Sybariten wollten nur lachen; daher gefiel ihnen nichts, als was lustig war: wie Fontenelle dieses in seinen Gesprächen der Todten, wo Milo und Smindiride , die Sybariterinn, mit einander sprechen, gar fein abgeschildert hat. Daher bemüheten sich auch ihre Dichter nur spaßhafte Fabeln zu machen. Hesychius giebt in einer sehr verderbten Stelle zu verstehen, daß Aesopus nach Italien ge kommen; und als seine Fabeln daselbst viel Beyfall gefunden, hätte man ihnen einen andern Schwung gegeben, und sie sybaritische genennet. Worinn aber die Veränderung bestanden, sagt er nicht. Suidas glaubt, sie hätten den äsopischen ähnlich gesehen: aber er irret ohne Zweifel. Der alte Scholiast des Aristophanes saget: Die Sybariten hätten sich der Thiere in ihren Fabeln bedienet; so wie Aesopus , der Menschen. Allein die Stelle ist ohne Zweifel verderbet; denn wer weis nicht, daß Aesopus sich der Thiere bedienet hat? Eben das bestärket Aristophanes im folgenden; da er den Philokleon eine äsopische, und eine sybaritische Fabel erzählen läßt, wo denn in der ersten Thiere, in der andern aber Menschen vorkommen. 10. §. Aelian soll uns also durch eine Probe lehren, wie sie ausgesehen haben: »Ein Kind zu Sybaris, heißt es, gieng mit seinem Hofmeister über die Straße; und da es einen Menschen sah, der gedörrte Feigen verkaufte, stahl es ihm eine weg. Der Hofmeister gab ihm einen derben Verweis darüber, nahm ihm die Feige weg, und aß sie selbst.« Diese Fabel nun besteht aus menschlichen Personen, und hält noch eine Lehre in sich, so spaßhaft sie auch ist; und wenn sie alle so gewesen wären, so hätte man nicht viel dagegen zu sagen. Allein sie wurden allmählich so geil, daß selbst Ovidius eine von der Art unter die allerüppigsten Stücke rechnet, die er gesehen. Viele Gelehrte glauben, er habe von dem Werke eines gewissen Sybariten Hemitheon geredet, dessen auch Lucian , als eines rechten Zotenkrämers gedenket. Allein dieses Buch war kurz vorm Ovidius gemachet, und Sybaris war schon von den Crotoniaten fünfhundert Jahre vorher zerstöret worden. Hemitheon hätte auch eher ein Thurier, als ein Sybarit heißen sollen; weil er aus Thurium war, welches die Athenienser nahe an der Stelle gebauet hatten, wo Sybaris gestanden hatte; wenn er nicht solche sybaritische Zoten geschrieben hätte. Oder vieleicht ist auch dieß ovidische Zotenwerk noch sonst von einem Römer, nach sybaritischer Art geschrieben gewesen; wie nachmals unter den Kaisern mehrere dergleichen Ueberschrift geführet. Die Römer nämlich hatten schon zu Ovids Zeit ihre Sitten sehr zu verderben angefangen, und fielen unter den folgenden Kaisern immer tiefer in die Schwelgerey und Ueppigkeit. Sonst findet man noch, daß diese Fabeln sehr lakonisch, das ist, in sehr kurz gefaßter Schreibart abgefasset gewesen. 11. §. Soll ich nun mein Urtheil davon sagen: so ist es eben nicht sehr zu bedauren, daß diese sybaritischen Fabeln so gar verlohren gegangen: wofern nicht irgend die berühmte Matrone von Ephesus, die uns Petron aufbehalten hat, zu dieser Zahl zu rechnen ist. Denn ungeachtet die menschlichen Personen, die darinnen vorkommen, nicht schlechterdings zu tadeln sind; ja lange vor den Sybariten, vom Nathan, dem klugen Weibe von Thekoa, u.a.m. gebrauchet worden: so ist doch das possenhafte und geile Wesen derselben auf keine Weise zu billigen. Die Dichtkunst ist um edlerer Absichten halber erfunden worden, als bloß die Menschen üppiger und wollüstiger zu machen: und auch ohne Zuthun der Poeten können sich die Sitten der Völker nur gar zu sehr verderben. Weit gefehlt also, daß man hier eine Anleitung finden sollte, wie sie zu verfertigen wären; so will ichs vielmehr allen angehenden Dichtern ernstlich widerrathen, ihre Muse niemals so tief zu erniedrigen, daß sie eine Dienstmagd der Geilheit, oder eine Kupplerinn abgeben sollte. Einen bloßen Possenreißer zu spielen, ist ebenfalls kein rühmliches Handwerk, und kann den sogenannten Pritschmeistern überlassen werden, die längst unter uns ehrlos geworden. Wie sehr wäre es zu wünschen, daß auch Fontaine in seinen Erzählungen, die größtentheils sybaritisch genug klingen, und andre witzige Köpfe unter uns, ihre Federn nicht so erniedriget hätten, der Unfläterey Vorschub zu thun! Ich nenne keinen, meyne aber alle, die sich mehr oder weniger mit den Lastern so gemein gemachet; daß sie sich hier getroffen finden. Es ist gewiß ein elender Ruhm, den man sich durch Zoten erwirbt, und, wie Rachel sagt: Durch solche Bubenpossen, Die auch kein Hurenwirth sollt hören unverdrossen. 12. §. Nun muß ich überhaupt die Regeln solcher äsopischen Fabeln geben, so wie sie von den besten Meistern in dieser Art beobachtet worden. Daher werde ich zuerst sagen: Man setze sich einen untadelichen moralischen Satz vor, den man durch die Fabel erläutern, oder auf eine sinnliche Art begreiflich machen will. So sind die ältesten und besten Fabeln, Jothams, Nathans, Aesops, Lockmanns, Pilpays u.a.m. Die Poesie nämlich ist in diesen ältesten Zeiten die Philosophie des menschlichen Geschlechtes gewesen. Man suchte den gemeinen Mann zu unterrichten, und ihm die sittlichen Wahrheiten, unter angenehmen Bildern beyzubringen. Die Fabeln schickten sich nun sonderlich dazu, um die an sich bittern Lehren, gleichsam zu verzuckern. Sie führen auch eine solche Ueberzeugungskraft bey sich, daß man schwerlich an demjenigen zweifeln kann, was einem ein solcher Wolf, oder Fuchs, ein Lamm, oder Hund nicht so wohl prediget, oder einschärfet, als vielmehr in seinem eigenen Beyspiele als wahr oder gerecht, als klüglich oder thöricht angefangen darstellet. Bey dieser so reinen als löblichen Absicht der weisen Alten, muß man die Fabeln zu erhalten suchen. Alle Völker haben ihre Mährlein gehabt, wodurch Mütter und Wärterinnen ihren Kindern zuerst die Tugend einzuflößen gesuchet. Rollenhagen gedenket in der Vorrede zu seinem Froschmäuseler, des altdeutschen Mährleins vom frommen Aschenpössel und seinen spöttischen Brüdern; vom albernen und faulen Heinzen , vom eisernen Heinrich , von der alten Neidhartinn u.d.m. die nur immer mündlich fortgepflanzet worden, und nun bereits vergessen zu seyn scheinen. Wie übel also diejenigen thun, die auf gut sybaritisch , Fabeln zu Ausbreitung der Ueppigkeit und Geilheit misbrauchen, und ihren Lesern nichts als Wein, Wollust und Ehebruch predigen, kann ein jeder, der es mit dem menschlichen Geschlechte gut meynet, zur Gnüge ermessen: da auch Heyden, ja unter ihnen der sonst so unzüchtige Ovid , in seinen Verwandlungsfabeln, die Tugend allezeit geschonet, und von den Lastern mit Abscheu geredet haben. 13. §. Die II. Regel sey: man kleide die erwählte Sittenlehre in eine solche Begebenheit von Pflanzen, Bäumen oder Thieren ein, daß ihre Wahrheit aus dem Erfolge der Begebenheiten selbst erhellet. Man beobachte aber in der Wahl derselben die Natur und Eigenschaft eines jeden solchen Wesens; daß keines etwas rede und thue, das seiner bekannten Art zuwider läuft. Hieraus nämlich wird die Wahrscheinlichkeit entspringen, ohne welche einer Fabel das hauptsächlichste fehlet. Ein Thier also, das räuberisch ist, muß als gottlos und ungerecht, ein faules faul, ein frommes fromm, ein geduldiges und schläfriges ebenfalls nach seiner gewohnten Art reden und handeln. So kann man auch von den Pflanzen z.E. eine hohe Tanne, oder Eiche, als stolz über ihren Vorzug vor geringern Bäumen; eine bunte Tulpe, als eitel über ihre Farben; ein Veilchen, als demüthig; eine Lilge, als reinlich und unschuldig; eine Rose, als verliebt u.s.w. vorbilden. Ja alles, was nur den geringsten Anschein der Sitten, oder sittlichen Neigungen bey diesen, und andern leblosen Geschöpfen hat, kann einem Dichter zu einer Fabel Anlaß gegben. So hat Stoppe den Stein und den Dornbusch am Wege; imgleichen den Ofen und die Fenster, ferner den Studentendegen und das Soldatenschwert, ihrer Art und Natur nach, sehr gut redend eingeführet. So hat auch la Motte bisweilen die mythologischen Götter, die Ehre, das Glück, den Tod, die Kunst, und den Reichthum, und andre solche allegorische Wesen sehr glücklich gebrauchet, seine Absichten auszuführen: und viele von unsern Landsleuten sind ihm darinn nicht uneben, oder mit schlechterm Glücke nachgefolget. 14. §. Will man menschliche Erzählungen machen: so haben wir schon eine Menge gesammleter Historien, die sich sehr gut würden lesen lassen, wenn sie von guten Federn in Verse gebracht würden. Vor 200 Jahren ohngefähr hat Kirchhof eine solche Sammlung unter dem Namen Wendunmuth geschrieben, worinn manches Stück wohl werth wäre, poetisch erneuert zu werden. Man müßte nur sowohl aus diesem, als aus andern dergleichen Büchern, die besten auslesen, die nicht anstößig, oder schmutzig; sondern vielmehr lehrreich wären. Auch in Zinkgräfs apophthegmatischer Sammlung der Deutschen Weisheit, ist manch schönes Stück, das hieher gehöret; ja im gemeinen Leben fallen sehr oft Dinge vor, die einem Dichter schöne Gelegenheit geben, solche in poetische Erzählungen einzukleiden. Und hier braucht er sich eben nicht gar zu sclavisch an die Wahrheit der Geschichte in allen Umständen zu halten. Er kann damit nach Belieben schalten, und manches ändern, weglassen, oder hinzu dichten, damit es zu seinen sittlichen Absichten bequem werde. Nur hüte man sich vor gar zu deutlichen und persönlichen Satiren: dabey man diejenigen mit Fingern zeigen kann, die es trifft. Es ist besser, wenn die Lehre allgemein ist, und sich auf viele deuten läßt; als daß sie gar zu genau auf einzelne Personen passet, und also minder nützlich wird. Ob nicht manche von unsern Fabeldichtern es darinn versehen, und oft mehr besondern Absichten, als der gemeinen Besserung zu gut, gedichtet haben, das wollen wir ihnen ins Gewissen schieben. 15. §. Eine solche Fabel oder Erzählung nun, muß III. kurz seyn. Denn da Fabeln bloß der Erbauung wegen gemachet werden: so muß man sich auch erinnern, daß man sie als Sittenlehren anzusehen, und also nicht gar zu lang auszudehnen habe. Horaz sagt ausdrücklich: QUIDQUID PRÆCIPIES, ESTO BREVIS; UT CITO DICTA PERCIPIANT ANIMI DOCILES, TENEANTQUE FIDELES. Trifft nun dieses gleich hauptsächlich die am Schlusse derselben angehängte Lehre; als welche bey einer Fabel nicht leicht ausbleiben kann; sie müßte denn schon überaus deutlich von sich selbst ins Auge fallen: so gilt es doch auch überhaupt von der ganzen Fabel. Die Alten sind uns hierinn mit den trefflichsten Mustern vorgegangen. Nichts ist wunderwürdiger, als die Einfalt und Kürze Aesops : aber nichts ist auch schwerer nachzuahmen. Alle neuern Fabeldichter vom Fontaine an, bis auf die neuesten, sind oft große Schwätzer dagegen. Sie zerren und dehnen die geringste Sache so lang hinaus, daß dem Leser oft Zeit und Weile lang wird, ehe er das Ende findet. Man nehme nur la Mottens und Stoppens Fabeln zur Hand, und sehe, wie weitläuftig ihre Eingänge, wie geschwätzig sie in ihren Erzählungen, und wie postillenhaft sie oft in den angehängten Lehren sind. Ganz unnütze Umstände, Kleinigkeiten, die nichts zur Absicht beytragen, recken sie so weit auseinander, daß ungeübte Leser endlich das Hauptwerk darüber aus den Augen verlieren. Man sehe z.E. den Wetterhahn und die Glocke in Stoppen nach, wo so viel fremdes mit eingemischet ist, daß man endlich den Zweck fast verkennet. Und klingt mancher Einfall oder Ausdruck gleich possirlich: so möchte man doch einem solchen Dichter mit dem Horaz zurufen: Dieß alles ist schon gut, nur hier gehörts nicht her! Und anderwärts: OMNE SUPERVACUUM, PLENO DE PECTORE MANAT. Was überflüssig ist, vergißt man gar zu leicht. 16. § Endlich ist auf die Schreibart noch zu sehen, die man in den Fabeln und Erzählungen brauchen soll. Aesopus und Phädrus haben sich des allerungekünsteltsten und natürlichsten Ausdruckes bedienet, und doch die pöbelhafte Sprache sorgfältigst vermieden. Diese edle Einfalt müssen sich billig alle Fabeldichter zum Vorbilde nehmen, und sie, so viel möglich, ein jeder in seiner Sprache, zu erreichen suchen. Allein diese Regel ist den meisten Neuern zu schwer geworden. Viele haben wohl gar in Uebersetzung der äsopischen Fabeln eine rechte possenhafte Pöbelsprache gebrauchet; wie ich oben in dem Hauptstücke von der Schreibart dergleichen aus Riederern angeführet habe. Andere haben gar zu sehr ihren Witz zeigen wollen, und sind also auf eine gar zu sinnreiche Schreibart verfallen, wie DE LA MOTTE; der mit vielen seiner gar zu spitzfindigen Einfälle, zum Gespötte geworden. Z.E. wenn er den Fuchs, ( UN PYTHAGORE À LONGUE QUEÜE) den langgeschwänzten Pythagor ; ein Gerücht Kraut: ein Topfphänomenon ; oder eine Küchenerscheinung ; (UN PHENOMENE POTAGER) und dergleichen mehr genennet: so ist er im DICTIONNAIRE NEOLOGIQUE damit sehr übel angekommen. Was könnte man nicht aus Stoppens und andern Fabeln für Wortgespenster , (wenn ich diese kauderwälsche Art sinnlich zu machen, so reden darf,) zusammen tragen; die wohl in dem Munde eines Pickelherings, aber nicht auf den Lippen eines moralischen Fabeldichters Entschuldigung verdienen? Was soll ich von denen sagen, die aus äsopischen Fabeln gar asotische, oder sybaritische machen? Ein Sittenlehrer muß seinen Charakter bedenken, und da er andere lehren will, nicht sich selbst verächtlich machen. Man sage nicht, er müsse auch belustigen: das ist wahr, und eben durch das Belustigen muß er unterrichten. Allein, die Fabel an sich selbst belustiget schon, durch die Aehnlichkeit, die sie mit den Neigungen und Handlungen der Menschen hat: was brauchet er nun noch die zotenhafte Schreibart? Ich überlasse es dem Urtheile der Leser, ob es nicht auch dahin gehöre, daß Fontaine und la Motte , ihre Thiere einander Gevatter und Gevatterinn nennen lassen; und wenn in Stoppen eine Eiche einmal zu einem andern Baume sagt: Ich will wohl eine Hure seyn! Exempel von guten und schlechten Fabeln, wird man in obangezogenen Büchern zur Gnüge finden. Fußnoten 1 In Stollens Hist. der Gel. steht KELILAH WA DIMNAH. Welches ist recht? 2 Der Titel heißt: PHILOSOPHIÆ MORALIS GERMANORUM MEDII ÆVI SPECIMEN PRIMUM, EX MANUSCRIPTO NUNC PRIMUM IN LUCEM PUBLICAM PRODUCTUM. ARGENTOR. 1704. IN 4. 1. 3. Von scherzhaften Heldengedichten Des I. Abschnitts III. Hauptstück. Von scherzhaften Heldengedichten. 1. §. In allen menschlichen Dingen und Erfindungen geschieht nichts auf einmal, oder durch einen Sprung; sondern alles wird nach und nach erfunden, verbessert, und allmählich zur Vollkommenheit gebracht. Diejenigen kennen also die Wirkungsart der Natur sehr schlecht, die sich einbilden, Homer habe auf einmal das große Heldengedicht, Ilias , zuerst erfunden, und zugleich den höchsten Gipfel der Dichtkunst dadurch erreichet. Durch ordentliche menschliche Kräfte wäre solches gewiß nicht möglich gewesen: und es ist also nur gar zu wahrscheinlich, theils daß Homer in dieser Art von Heldengedichten Vorgänger gehabt; theils, daß er sich selbst in einigen kleinen Arten von epischen Gedichten geübet haben müsse, ehe er sich an ein so großes Werk gemachet. Was das erste betrifft, so bestätiget die Geschichte unsere Muthmaßungen. Orpheus, Musäus, Linus, Eumolpus, Phemius, Demodokus u.a.m. 1 hatten sich schon vor ihm im Dichten hervorgethan, und mochten unter andern auch kriegerische Thaten beschrieben haben. Das andere aber lehret uns der Augenschein selbst. Denn wir finden nicht nur, daß Homer verschiedene Lobgesänge auf die Götter, Apollo, Merkur, Venus, Bachus, Mars u.s.w. gemachet, sondern daß er sich auch durch ein scherzhaftes Heldengedicht vorbereitet, und geübet habe, dereinst ein größeres Werk dieser Art zu verfertigen. So ist denn die Dichtkunst nicht mit einem Sprunge von der äsopischen Fabel zum Heldengedichte, gestiegen; sondern sie hat sich allmählich und stufenweis bis auf diesen Gipfel erhoben. 2. §. Um nun dieses desto besser begreiflich zu machen, wollen wir dieses älteste spaßhafte epische Gedicht etwas näher ansehen. Er nennet es Βατραχομυομαχία, oder der Froschmäusekrieg , weil darinn erzählet wird, daß die Frösche mit den Mäusen einen schweren Krieg gehabt. Die Fabel verhält sich kürzlich so: Psicharpax , des Mäusekönigs einziger Prinz, wird von der Katze verfolget, und flieht durstig ans Wasser, wo der Frösche König, Physignatus sitzt. Dieser fraget jenen, wer er sey, und woher er komme? Der Mäuseprinz pralet mit seiner königlichen Abkunft, und seiner zärtlichen Erziehung, erzählet auch alle Leckerbissen, die er zu essen pflege; imgleichen, wie er sich vor keinem Menschen fürchte, und nur den Habicht und die Katze und die Mäusefalle zu scheuen habe. Physignatus spottet über sein leckerhaftes Maul, und sagt: auch die Frösche hätten viel wunderbares zu Wasser und Lande: weil Jupiter ihnen zweyerley Lebensart verliehen hätte. Wenn er dieses sehen wollte, sollte er sich nur seinem Rücken anvertrauen; so wolle er ihn in sein Haus führen. Psicharpax springt auf, und Physignatus schwimmt mit ihm in den See. Kaum aber läßt sich eine Wasserschlange blicken, so erschrickt dieser, taucht sich unter, und der Mäuseprinz kömmt elendiglich um. Lichopinax , sein Gefährte, der am Ufer steht, wird es gewahr, läuft nach Hause, und erzählet es den andern Mäusen. König Troxartes berufet des andern Morgens seine Stände zusammen, klaget ihnen sein Unglück, daß er seinen ersten Sohn durch die Katze, den zweyten durch die Mäusefalle, und nun auch den dritten und letzten durch die Bosheit des Froschkönigs verlohren habe, und bittet um ihren Beystand. Alle stimmen ein, diesen Schimpf an den Fröschen zu rächen, und waffnen sich zum Kriege. 3. §. Als nun der Mäuse Herold kömmt, den Krieg anzukündigen, leugnet Physignatus , daß er den Mäuseprinz ermordet habe; und sagt, er habe aus Muthwillen, gleich den Fröschen, schwimmen wollen, darüber er ersoffen sey. Indessen redet er sein Volk gleichfalls an, und ermuntert sie zur Gegenwehr: worauf sich alles waffnet. Als Jupiter nun beyde Heere am Ufer ihre Lanzen schwingen sieht, wie Centauren und Riesenheere irgend thun möchten: fraget er die Götter mit Lächeln: wer von ihnen den Mäusen, oder den Fröschen beystehen wolle? Minerva sagt: sie möchte den Mäusen nicht beystehen, weil sie ihr viel Schaden gethan hätten. Es wäre auch besser, daß sich die Götter nicht darein mengeten, und sich um ihrenthalben verwunden ließen. Sie wollten der Sache lieber vom Himmel zusehen, und sich daran ergetzen: welches auch von allen Göttern beliebet wird. Darauf blasen zwo Mücken mit ihren Trompeten zur Schlacht, und Jupiter giebt vom Himmel das Zeichen eines bösen Krieges. Die Schlacht geht an, und viele Helden fallen beyderseits; bis Meridarpax , ein tapfrer Held unter den Mäusen, sich vorsetzet, das ganze Froschgeschlecht auszurotten. Jupiter erbarmet sich der Frösche, und will den Mars und die Pallas wider ihn in den Streit schicken. Mars aber versetzet, sie beyde würden den Untergang von den Fröschen nicht abwenden können: alle Götter müßten ihnen zu Hülfe ziehen. Jupiter wirft also selbst einen Blitz und Donnerkeil herab, davor beyde Heere erschrecken. Allein die Mäuse hören nicht auf, die Frösche zu metzeln. Darauf schickt ihnen Jupiter die Krebse zu Hülfe, die geharnischt, stark von Brust und Schultern, mit Scheren und acht Füßen versehen sind, über quer gehen, und mit Händen nicht gegriffen werden konnten. Diese klemmten den Mäusen Schwänze, Arme und Beine ab: daher sie sich fürchteten, und auf die Flucht machten, so daß der ganze Krieg in einem einzigen Tage aus war. 4. §. Dieß ist der kurze Inhalt eines Gedichtes, welches vielen neuern und viel weitläuftigern Werken zum Muster gedienet hat. Ehe wir nun dieselben erzählen, müssen wir die Absichten und Kunstgriffe entdecken, die Homer darinn vor Augen gehabt, und angewandt hat. Ohne Zweifel hat er irgend eine kurze und lächerliche Zwistigkeit einiger kleinen Städte, oder Dörfer, die zu seiner Zeit irgendwo vorgefallen, lächerlich machen wollen. Weil die Völker klein und ohnmächtig gewesen, so hat er sie unter dem Bilde verächtlicher Thiere abbilden wollen; und die einen, die vom festen Lande waren, mit den Mäusen, die andern aber, die vieleicht Fischer und Seeleute gewesen, mit Fröschen verglichen, die mit beyden Elementen zurecht kommen können. Ihre Rüstungen beschreibt er, nach Art solcher Thiere sehr kurzweilig; ohne Zweifel, weil der wahre Streit, bey der damaligen Seltenheit eiserner Waffen, auch auf eine lächerliche Art geführet worden. Aber die Sache desto lustiger zu machen, vergleicht er sie mit Centauren und Riesen, menget auch ein Rathschlagen der Götter drein: denn nichts ist lächerlicher, als wenn große Dinge ins Kleine gemenget werden. Der Held Meridarpax , mag auch etwa einen verwegenen Großsprecher bedeuten, der sich unter den Landleuten gefunden hat; und da diesen auch ein Donnerwetter nicht furchtsam gemachet, mögen vieleicht einige geharnischte, und besser bewaffnete Leute den Fischern zu Hülfe gekommen seyn, die er spashaft als Krebse beschreibt: dadurch denn die Landleute zurückgetrieben, und der ganze Krieg geendiget worden. Die abgezielte Lehre kann seyn: daß es thöricht sey, wenn kleine Gemeinen einander über bloße Unglücksfälle, in die Haare gerathen, und einander gar zu Grunde richten wollen. 5. §. Ich muthmaße dieses alles, aus der innern Beschaffenheit dieses Gedichtes, und der Voraussetzung: daß ein so großer Geist, als Homer , auch bey diesem anscheinenden Spielwerke, nicht bloß Possen treiben; sondern unter einem, obwohl lächerlichen Bilde, doch etwas ernsthaftes habe vorstellen wollen. Seine Art ist es sonst allemal, lehrreiche Fabeln zu dichten: und warum sollte er hier davon abgewichen seyn? Es ist wahr; man findet bey den Alten keine Nachricht von einer solchen Begebenheit. Allein wie kann mans fodern, daß lange vor Herodots Zeiten, als noch keine Geschichtschreiber waren, Begebenheiten von so geringer Wichtigkeit, als die Schlägerey von ein paar Dörfern, sollte aufgezeichnet worden seyn: da wohl viel wichtigere Thaten keinen Schriftsteller gefunden haben? Will indessen jemand durchaus ein bloßes Spielwerk daraus machen: so werde ich darüber nicht zanken, und einem jeden seine Meynung lassen? Genug, daß auch ein solches Spielwerk der homerischen Muse lehrreich ist, und in Nachahmungen zu ernsthaften Absichten dienen kann; ja wirklich oft gedienet hat. Beyläufig will ich nicht unerinnert lassen, daß, nach dem Suidas , von einigen die Batrachomyomachie dem Pigres , oder Tigres , einem Bruder der Artemisia , zugeschrieben worden; wie denn auch Henrich Stephan bezeuget, daß er auf einer Abschrift dieses Gedichtes den Namen PIGRETI, oder TIGRETI CARI, geschrieben gefunden. Allein eine Schwalbe, macht keinen Sommer, und die allgemeine Meynung ist vorzuziehen. Ein gewisser Elisius Calentius , hat, so wohl als Smetius , dieß Gedicht in lateinische Verse gebracht. 6. §. Indessen ist es zu bewundern, daß unter einer so unglaublichen Menge griechischer Poeten, als le Fevre und Vossius uns beschrieben haben, kein einziger den Homer in diesem Stücke nachahmen wollen. Denn die GALEOMYOMACHIAM, die in DORNAVII AMPHITHEATRO SAPIENTIÆ SOCRATICÆ JOCOSERIÆ steht. kann ich deswegen hieher nicht rechnen, weil sie ein dramatisches Stück ist. Selbst von den Lateinern hat sich so eigentlich niemand in dieses Feld gewaget. Denn wenn gleich Virgil in seiner Jugend, um sich zum Heldengedichte vorzubereiten, ein Gedicht auf die Mücke , und ein anders, auf den Vogel CIRIS, den einige für eine Lerche, Scaliger aber, für eine Art von Reyger halten, gemachet: so kann man sie doch nicht eigentlich in dieses Fach ziehen. Das erste beschreibt nämlich einen schlafenden Schäfer, zu dem sich eine Schlange nähert, ihn zu stechen. Die Mücke sieht das, und will ihn davor warnen, sticht ihn also in den Backen; daß er davon erwachet. Der Schäfer ist böse über diesen Stich, und erdrücket die Mücke; wird aber sogleich die grausame Schlange in der Nähe gewahr, die er sich eifrig vom Halse schaffet; und darauf von neuem wieder einschläft. Die Seele der erschlagenen Mücke erscheint ihm hier im Traume, und rücket ihm seine Ungerechtigkeit vor, da er sie um ihrer wohlgemeynten Warnung wegen erschlagen; und erzählet ihm alles, was sie im Reiche der Todten, und den elysischen Feldern angetroffen: da denn die alten römischen Helden nach der Länge erzählet werden. Der Schäfer erwachet, erkennet sein Unrecht, und richtet der Mücke ein schönes Grabmahl von Rasen auf, dabey er allerley Blumen und schöne Stauden pflanzet. Die CIRIS aber ist nichts anders, als eine Erzählung, wie des Königes Nisus Tochter, die Scyl la , in einen Vogel verwandelt worden. Dieses ist also freylich wohl ein kleines episches, aber kein scherzhaftes Gedicht zu nennen, es wäre denn, daß man die ovidischen Verwandlungen alle auch so taufen wollte. 7. §. Die Ehre also, Homers Nachahmer in diesem Stücke zu werden, ist im XVten Jahrhunderte unserm Landsmanne, Hinrick von Alkmar aufgehoben gewesen, der uns Reinicken den Voß, in plattdeutschen, oder sächsischen Knittelversen geliefert hat. Ich weis wohl, daß man eine lange Zeit geglaubet, wie aus Rollenhagens Vorrede zum Froschmäuseler, und Morhofs Tractate, von der Deutschen Sprache und Poesie erhellet, Baumann , ein Professor in Rostock, habe dieses Gedicht geschrieben, und 1522. zuerst ans Licht gestellet. Allein der Irrthum ist entdecket worden, als die erste Ausgabe dieses Werkes einem gelehrten Manne zu Helmstädt in die Hände gefallen, der 1709. in einer akademischen Einladungsschrift die beste Nachricht davon gegeben. Da hat sichs nun gewiesen, daß dieselbe bereits 1498. zu Lübeck in 4. herausgekommen, und daß der Verfasser in der Vorrede so von sich geschrieben: Ick Hinreck von Alkmer, Scholemester vn tuchtlerer des eddelen dogentlicken Vorsten vn Heren, Hertogen von Lotryngen, umme bede wyllen mynes gnedigen Heren, hebbe dyt geghenwerdige Boeck uth walscher vn französescher Spracke gesocht, vn vmmgeset in dütsche Spracke, to dem Lawe vn to der Ere Gades, vn to heylsamer Lere der, dei hirynne lesen, vn hebbe düt sülve Boeck gedeelet in veer part. vn hebbe by yglick capittel gesett eyne korte Utlegginge vn Meinninge des selvsten poeten, vmme to verstaen den rechten sin des capitels. Ob nun wohl dieser Dichter sich nur für einen Uebersetzer ausgiebt: so ist doch das französische Original in Frankreich nirgends zu finden: und es kann gar wohl seyn, daß er sich bloß dieses Vorgebens bedienet habe, um selbst nicht wegen des Inhalts zur Rede gesetzet, oder zur Verantwortung gezogen zu werden. Zu Wolfenbüttel hat man indessen 1711. in 4. diese alte Lübeckische Ausgabe aufs genaueste nachgedrucket, unter dem Titel: REINEKE DE VOSS MIT DEM KOKER, d.i. Köcher, wegen des im Anhange beygefügten Gedichtes, das diesen Namen führet. 8. §. Sollen wir also von Baumannen unsere Gedanken sagen: so hat er zwar sehr wohl gethan, daß er eine neue Auflage dieses so trefflichen und sinnreichen Werkes veranstaltet; auch viel schöne Auslegungen und Zeugnisse, aus dem Renner, Freydanken, Morsheimen, Sebastian Branden, Schwarzenbergen, dem Memorial der Tugend, u.a.m. beygefüget. Allein er verdienet auch eben so viel Tadel, daß er 1.) die alte Schreib-und Mundart des Verfassers, nach seiner meklenburgischen Sprache geändert, wie man aus der Gegeneinanderhaltung beyder Ausgaben sehen kann. 2.) Daß er die Vorrede des Verfassers, und so gar seinen Namen weggelassen, und sich also stillschweigend für den Urheber desselben ausgegeben. Denn ob er wohl in den Auslegungen von dem Dichter des Buches allezeit in der dritten Person redet, und ihn Poeta nennet: so scheint doch solches nur eine Bescheidenheit zu seyn; weil er nirgends den Namen desselben mit einfließen lassen, und ihn also recht sorgfältig verschwiegen hat. 9. §. Indessen war dieß Werk kaum etwas bekannter geworden, als man es um die Wette überall nachgedrucket, übersetzet und wieder aufgeleget hat. Ich besitze selbst eine plattdeutsche Auflage von 1549. wie auf dem letzten Blatte steht; ungeachtet es am Ende des Registers heißt: Gedrückt tho Rostock, dorch Ludowich Dietz M.D.L. IIJ. in 4. imgl. eine in 8. von 1575. zu Frf. am M. gedruckt; ferner eine hochdeutsche in Fol. die 1545. zu Frankf. am Mayn bey Cyr. Jacobi zum Bock , unter dem Titel, der ander Theil des Buches Schimpf und Ernst etc. und eine lateinische, die 1595. zu Frf. am M. von Hartmann Schoppern , unter dem Titel, SPECULUM VITÆ AULICÆ, in 12. ans Licht gestellet worden. Außer diesen bediene ich mich auch der Wolfenbüttelischen von 1711. anstatt des Originales. Die holländische Dollmetschung ist mir nie vorgekommen: die hochdeutsche aber ist sehr ungetreu; so, daß Laurenberg noch zu wenig gesagt, wenn er geschrieben: Man hefft sick twar toomartert dat Boeck tho bringen In hockdütsche Sprack, man it wil gantz nich klingen: It klappet gegen dat Original tho recken, Als wenn man plecht een Stück vul holt tho brecken; Edder schmit eenen olen Pot gegen de Wand; Dat makt, dewyl velen yß onbekant, De natürlicke Eegenschop dersülven Rede, Welke de angebohrne Zierlichkeit bringet mede. 10. §. Ich will mich hier dabey nicht aufhalten, daß ich die Veranlassung und das wahre Urbild des Reinike , als des Haupthelden dieses lustigen Buches, aus den Geschichten zeige. Dieses soll zu seiner Zeit in einem andern Werke geschehen. Hier ist genug zu sagen, daß der Verfasser die Eigenschaften eines scherzhaften epischen Gedichtes sehr schön eingesehen, und beobachtet hat; obgleich er keine kriegerische That zu beschreiben hatte. War nämlich Homers Froschmäusekrieg, der Ilias zu vergleichen: so ist dieses Scherzgedicht der Odyssee ähnlicher, indem es uns das Hofleben unter einem sehr lebhaften Bilde darstellet. Es hat auch destomehr Schönheiten in sich, je weitläuftiger es ist, und je mehr Verwirrungen, listige Streiche, Lügen und Ausflüchte der Fuchs anbringt, um zu seinem Zwecke zu gelangen. Er erhält denselben endlich, aller seiner Uebelthaten ungeachtet, dennoch recht glücklich, und wird des Königes Kanzler, oder erster Minister, und triumphiret also über seine Feinde, die ihn vorher schon auf die Galgenleiter gebracht hatten. Hier ist die Einigkeit der Handlung, nach Ueberwindung aller Schwierigkeiten, recht nach dem Muster der Odyssee und der Aeneis beobachtet; wie wir im folgenden Hauptstücke hören werden. Seine Personen aber sind lauter Thiere, die zwar nach menschlicher Art, auf gut äsopisch redend und handelnd eingeführet werden; gleichwohl aber sich ihren bekannten Naturen und Charakteren nach verhalten. Alles dieses nun kömmt so spaßhaft heraus, als irgend ein andres scherzhaftes Werk; und ist darzwischen mit den herrlichsten Sittensprüchen angefüllet: so daß der angezogene Laurenberg mit allem Rechte sagt: In weltlycker Wyßheit ys keen Boeck geschrewen, Dem men billick mehr Rohm vn Loff kan geven, As Reinke Voß: een schlicht Boeck, darinne To sehnde ys een Spegel hoger Sinne, Verstendicheit in dem ringen Gedicht, Als een dürbar Schat verborgen licht, Glyck als dat Füer schulet in der Asche, Un güldne Penninge in eener schmerigen Tasche. 11. §. Fast auf eben den Schlag hat sich Rollenhagen in seinem so betitelten Froschmäuseler verhalten. Es ist wahr, und er gesteht es in der Vorrede selbst, daß er den Grundstoff dazu aus Homers Batrachomyomachie genommen, darüber er als ein Student 1566. zu Wittenberg Prof. Windsheimen lesen gehöret. Als aber dieser gelehrte Mann seine Zuhörer angefrischet, dieses und andere dergleichen Stücke der Alten ins Deutsche zu bringen, ja wohl gar weiter auszuführen; habe er sich daran gemachet, und seines Lehrers Beyfall erhalten. Nachdem er es nun viele Jahre liegen lassen, sey er endlich aufgemuntert worden, es ans Licht zu stellen; welches er auch endlich 1595. gethan. Es kam also zuerst zu Magdeburg 1594. in 8. heraus, welche Ausgabe ich selbst besitze; ist aber nachmals öfters, und noch 1730. zu Dresden auf Veranstaltung Herrn Hofrath Müldeners , meines werthen Freundes, wieder aufgeleget worden. Was der Inhalt desselben sey, kann man aus dem weitläuftigen Auszuge des homerischen Froschmäuselers schon erkennen: allein da dieser kaum drey hundert Verse lang ist; so ist Rollenhagens seiner ein Buch von ein paar Alphabethen beworden; so viel hat er von seinem eigenen hinzugesetzet. Der Witz, womit er es gethan, und das satirische trockene Wesen im Ausdrucke, ist auch untadelich: ja selbst an der Sittenlehre ist nichts auszusetzen. Nur darinn hat er das rechte Maaß überschritten, daß er sowohl den Mäuseprinz Bröseldieb , als den Froschkönig Pausback , gar zu geschwätzig gemacht hat. Denn sie erzählen einander ohne Maaß und Ende alle mögliche Fabeln von Mäusen, Füchsen, Vögeln, Fröschen, und andern Thieren; so daß man darüber die Geschichte, als das Hauptwerk ganz aus den Augen verliert. Es ist wahr, daß alles sehr lehrreich ist, und sonderlich das Hofleben, die Staatskunst, ja gar das Pabstthum und die Glaubensreinigung sehr lebhaft abschildert. Allein zwey Drittheile des Buches mit so weitgesuchten Dingen anzufüllen, und kaum das letzte Drittheil zur Hauptfabel zu brauchen; das ist, meines Erachtens, über die Schnure gehauen. Sonst ist aber nichts angenehmer zu lesen, als dieser Froschmäuseler. 12. §. Ich habe den Froschmäuseler vorangesetzet, weil er eher verfertiget worden, als folgendes; ungeachtet dieses etliche Jahre eher ans Licht getreten ist. Es ist der Muckenkrieg , ein artig poetisches Gedicht, wie die Mucken, neben jren Consorten, sich wieder die Amaysen und jren Beystand zu Felde gelagert, auch endlich zu beiden teilen ein starkes treffen, vnd grewliche schlacht miteinander gehalten haben; in III. Bücher abgetheilet, 1580. gedruckt zu Schmalkalden, bey Michael Schmuck. Der Verfasser gesteht in der kurzen gereimten Vorrede, wobey er sich H.E.F. nennet, daß er diesen Krieg aus dem Gedichte eines sogenannten COCALII, das in einem mit Wälsch untermengtem Lateine geschrieben gewesen, nur verdeutschet habe. Es ist also keine ursprünglich deutsche Geburth, aber schon werth, daß sie auch in der Uebersetzung gelesen werde. Es ist sehr spaßhaft, und voller Sittenlehren; beobachtet auch die Wahrscheinlichkeit seiner kriegenden Völker und Helden sehr schön. Ich würde auch ein anders, welches den Titel führet: Flöhhatz, Weibertratz, von Hultrich Elloposcleron , (d.i. Fischarten) beschrieben, welches 1594. in 8. herausgekommen; imgleichen, die so betitelte Erbermliche Klage der lieben Frau Gerste, und ihres Brudern Herrn Flachs , angehöret, und zu Papier bracht von Andreas Tharäus , Pfarrern, 1609. 8. hier erwähnen müssen, wenn dieses nicht vielmehr poetische Gespräche wären. Eben dahinge hören Rebmanns Gespräch von Bergen und Bergleuten, und ein noch älteres, der Bauren Reichstag betitelt; die aber auch mehr ins ernsthafte Fach, als ins lustige zu stellen sind. Ja selbst nicht alles Lustige in Versen, kann hier einen Platz finden; wie denn z.E. weder des Esels Adel, und der Sau Triumph , noch das Lob Niemands , die ich in Dornaus oberwähntem AMPHITHEATRO finde, unter die Zahl epischer Gedichte zu zählen sind. 13. §. Wir müssen uns also zu den Ausländern verfügen, die uns gleichfalls, wiewohl in neuern Zeiten dergleichen spaßhafte Heldengedichte geliefert haben. Der älteste davon ist Alexander Tassoni, ein Modeneser, der 1611. in wenig Monathen seine SECCHIA RAPITA, oder den geraubten Eimer geschrieben, und ihn 1622. zuerst ans Licht gestellet, um einen Krieg zu verspotten, der damals zwischen den Städten Modena und Ferrara geführet worden. Zwar Crescimbeni zweifelt, ob er diesem, oder einem andern wälschen Dichter Franz Bracciolini , die Erfindung der heroisch-komischen Schreibart zuschreiben soll; deren dieser seinen SCHERNO DE GLI DEI, zwar vier Jahre später herausgegeben, aber viel Jahre eher gemacht hat. Uns kann das gleichviel gelten; da unsere Landsleute lange vor ihnen dergleichen komische Heldengedichte gemachet. Hierauf folgete in England Samuel Buttlers Hudibras; ein spaßhaftes Gedicht, welches er zur Zeit der Kromwellischen Händel geschrieben, um die fanatischen Katzenkriege der damaligen bürgerlichen Verwirrungen lächerlich zu machen. Es trat selbiges zuerst in der Hälfte des vorigen Jahrhunderts ans Licht: und 1663. erschien schon eine Nachahmung unter dem Titel, THE SECOND PART OF HUDIBRAS. Allein so wohl diese, als andere Versuche von dieser Art wiesen, daß er unnachahmlich sey. König Karl der II. soll auch dieß Gedicht so fleißig gelesen haben, daß ers fast auswenig gekonnt. Buttler starb 1680. Ich besitze die Londener Ausgabe von 1704. in gr. 8. Es ist artig, daß er eben so in drey Theile abgesondert ist, als unser Froschmäuseler. Der Versuch einer deutschen Uebersetzung, den man in Zürch gemachet hat, ist sehr schlecht und ungetreu gerathen. 14. §. Nunmehr folget Boileau Despreaux mit seinem Lutrin , oder Pulte, den er im 1674. Jahre verfertiget hat, um einen Zank zu verspotten, der sich zu Paris in der heiligen Capelle 1667. zwischen dem Schatzmeister derselben Claudius AUVRY, gewesenen Bischofe von Coutance in Normandie, und dem Cantor daselbst, Jacob Barrin , der von gutem Hause war, zugetragen hatte. Die Zänkerey war von keiner Wichtigkeit, aber der Poet beschreibt sie auf die ernsthafteste Art von der Welt, und eben dadurch macht er sie lächerlich. Ich habe in den Schriften der deutschen Gesellschaft allhier den ersten Gesang davon verdeutschet, und werde vieleicht noch das übrige hinzuthun. Hieher gehören auch des Füretiere HISTOIRE DE LA GUERRE DERNIEREMENT ARRIVÉE DANS LA ROYAUME DE L'ELOQUENCE, und eines andern NOUVELLE ALLEGORIQUE, DE LA GUERRE ENTRE LES ANCIENS ET LES MODERNES, ob sie gleich nur in ungebundener Rede geschrieben sind. Endlich hat sich Alex. Pope , noch mit seinem Lockenraube, (THE RAPE OF A LOCK) als einen Meister in dieser Art von Gedichten erwiesen; davon ich destoweniger sagen darf, da die deutsche Uebersetzung meiner Freundinn es in Deutschland bekannt genug gemachet hat. Auch seine Dunciade gehört in diese Zahl, womit er die Menge unvernünftiger Feinde, die ihn ohne Unterlaß mit Schand- und Lästerschriften anbelleten, auf einmal abfertigte. Wo bleibt noch Scarrons Gigantomachie , nebst seinem VIRGILE TRAVESTI? imgleichen die HENRIADE TRAVESTIE, davon man im Neuen Büchersaale der schönen Wissenschaften einen Auszug finden kann; und womit man dem Herrn von Voltaire diejenige Ehre angethan, die dort dem Virgil wiederfahren war? Endlich muß ich auch die Quenellomachie nicht vergessen, die 1741. in Amsterdam herausgekommen, und worinn die Geschichte der Constitution Unigenitus auf eine spaßhafte Art erzählet worden. 15. §. Man denke indessen nicht, daß unsere Deutschen in neuern Zeiten in diesem Stücke saumselig zurückgeblieben. Nein, sie haben sich seit zehn Jahren (ich schreibe dieß 1751.) nicht minder geschickt darinn gewiesen, als die Ausländer. In den Belustigungen des Verstandes und Witzes I. Bande a.d. 49. S. steht der deutsche Dichterkrieg angefangen, und wird in den folgenden Bänden fortgesetzet: der zwar nur in ungebundener Rede, aber doch in poetischer Schreibart abgefasset ist; und dabey es nur schade ist, daß ihn der Verfasser nicht zum Ende gebracht. Im II. Bande a.d. 224. und 354. S. steht das Meisterspiel im Lombre ; das ebenfalls hieher gehöret, ob es gleich in ungebundener Rede geschrieben ist. Im IV. Bande a.d. 71. 283. und 551. S. steht der Dieb , ein episches Gedicht. Im VI. Bande auf der 47. 172. 244. 338. 428 und 525. S. ist der Renommist , ein komisches Heldengedicht in Versen anzutreffen; und auch einzeln ist in Berlin 1741. die Tänzerinn auf diese Art beschrieben worden. Alle diese Stücke haben nun zur Gnüge gewiesen, daß es unsern Landsleuten an Witz und Geschicklichkeit nicht fehle, dergleichen witzige und scherzhafte Dinge auszuführen, wenn sie sich darauf legen wollen. Hier sind nicht etwa schwache Nachahmungen der Ausländer, oder knechtische Uebersetzungen, sondern wirkliche Originale vorgekommen, deren jedes seine eigenen Schönheiten hat; gesetzt, daß sie einander an Vollkommenheit nicht gleich kämen. Wenigstens haben sie die Fehler eines Tassoni und Buttlers nicht an sich, daß sie nämlich einen schmutzigen und niederträchtigen Ausdruck brauchen. Der heutige geläuterte Geschmack unserer Deutschen, leidet keine Unflätereyen oder Zoten; seit dem sich wohlgesittetere Dichter und Kunstrichter gefunden haben, als es zu des Froschmäuselers und Rachels Zeiten gegeben. 16. §. Ich habe mich so lange bey dem historischen Theile dieses Hauptstückes aufgehalten, daß ich nun bey dem dogmatischen desto kürzer werde seyn können. Gute Beyspiele vertreten nämlich die Stelle unzähliger Regeln: und ich glaube Anfängern einen weit sicherern und angenehmern Weg gewiesen zu haben, indem ich ihnen die besten Muster großer Meister angepriesen habe; als wenn ich ihnen ein dickes Buch tiefsinnig ausgedachter und gründlich erwiesener Regeln vorgeschrieben hätte. Wer von Natur keinen Witz zum Scherzen hat, der lernet es doch durch alle Anleitungen nicht: in wem aber nur die Funken eines feinen Geistes verborgen liegen, der wird weit besser durch die Kraft rührender Meisterstücke, als durch trockene Vorschriften aufgewecket. Um aber doch einen Anfänger nicht ohne alle Regeln zu lassen, und dieselben auch aus den rechten Quellen herzuleiten, müssen wir uns erst einen deutlichen Begriff von einem komischen Heldengedichte machen. Aus Betrachtung der obigen Exempel erhellet so viel, daß selbiges die Nachahmung einer lächerlichen That sey, die der Dichter in eine solche Erzählung einkleidet, daraus das Auslachenswürdige derselben auf eine spaßhafte und doch lehrreiche Art erhellet. Ich darf diese Erklärung nicht weitläuftig rechtfertigen. Der allgemeine Begriff der Dichtkunst, daß sie eine Nachahmung sey, herrschet auch hier billig. Die That oder Handlung muß lächerlich, das ist, ungereimt aussehen, ohne sehr schädlich zu seyn. Diese muß, vermittelst einer spaßhaften Erzählung, so sinnlich gemachet werden, daß die Leser dadurch belustiget und belehret werden; und also Lust und Nutzen, als der Zweck eines wahren Dichters, daraus entstehe. 17. §. Das erste also, was ein komischer Heldendichter zu thun hat, ist die Wahl der That, oder Handlung, die er besingen will. Diese kann entweder wirklich vorgefallen seyn, und dann ist es desto besser; oder er kann sie selbst erdichten. Gesetzt aber, er er dichtete sie, so muß doch etwas wahres dabey zum Grunde liegen. Denn gesetzt, der meiste Theil der Leser wüßte nichts von dem geraubten Wassereimer, von der Zänkerey der Geistlichen über den Pult im Chore, oder von der abgeschnittenen Haarlocke der Belinde, u.d.m. so ist es doch für die, so es wissen, desto lustiger; und der Dichter selbst hat aus der Wahrheit und Verschiedenheit der Umstände viele Vortheile und Hülfsmittel, seine Fabel desto lebhafter zu schildern. Tassoni, Boileau und Pope haben also mit Fleiß etwas wirklich geschehenes besingen wollen; und eben so hat es Heinrich von Alkmar in Reineken dem Fuchse gemachet. Scarron und Rollenhagen aber haben alte Fabeln zum Grunde gelegt, und dieselben als Geschichte angesehen, darauf sie, als auf Wahrheiten bauen könnten. Andere haben nicht minder etwas wirklich geschehenes, oder mehr als einerley im Sinne gehabt, ob wir es gleich nicht allemal wissen. Diese That nun darf eben nichts großes und wichtiges; sondern soll vielmehr an sich etwas kleines und lächerliches seyn. Denn wenn etwa ein Bauerdorf mit einem Fischerdorfe in ein Handgemenge gerathen, welches Homer in der Batrachomyomachie beschreiben wollen; oder der schlaue Hofmann Reinald einen König von Frankreich seiner Zeit betrogen und geäffet, welches zum Reineke Fuchs Anlaß gegeben; oder ein paar Städte einander einen Eimer weggestohlen, u.s.w. so sind dieses an sich lächerliche Dinge, die ein Dichter, als lächerlich nachzuahmen, oder zu beschreiben suchet. Und hier könnte es auch wohl kommen, daß ein Poet eine Sache von einer gewissen Seite als lächerlich ansehen und zeigen könnte, die vielen andern als ernsthaft vorgekommen wäre. Hierinn ist der Grund von den lustig eingekleideten ernsthaften Heldengedichten Virgils und Voltairens zu suchen. 18. §. Ist nun die Wahl dergestalt geschehen: so muß man sich entschließen, ob man eine thierische, oder menschliche Fabel daraus machen will. Das erste haben Homer , und von Alkmar , nebst dem Rollenhagen , imgleichen der Verfasser des Mücken- und Ameisenkrieges gethan: das letztere aber haben die andern komischen Heldendichter erwählet. Beydes ist gleichgültig, und des Spaßhaften fähig, wenn der Dichter nur sein Handwerk versteht. Zuweilen hat eins, zuweilen das andere seine Vortheile. Bey dem ersten klingt das schon zuweilen lächerlich, wenn man Thiere nach menschlicher Art reden und handeln läßt; z.E. die Bewaffnung der Mäuse und Frösche, im Homer , der es ihnen weder an Stiefeln noch Harnischen, weder an Sturmhauben, noch Schilden und Spießen fehlen läßt. Rollenhagen läßt gar die Mäuse noch von ausgehöhlten Kürbsen eine Flotte ausrüsten, u.d.gl. Im zweyten Falle fällt dieses Lächerliche zwar weg; aber die Wahrscheinlichkeit gewinnet destomehr. In beyden Fällen aber besteht das Lustige hauptsächlich darinn, daß man von kleinen Sachen, große und erhabene Redensarten und Gleichnisse; von großen aber kleine brauchet. So vergleichet Homer die Scharmützel seiner Mäuse und Frösche, mit dem Kriege der Centauren, und dem Aufruhre der Riesen gegen die Götter; und Pope den Zank seiner Belinde und des Edelmanns, der ihr die Locke abgeschnitten, mit dem Kriege vor Troja, in den sich alle Götter und Elemente gemischet. Doch darf die Schreibart, aus eben dem Grunde nicht allemal gleich seyn. Es kann hier, ohne Bedenken, das Hohe mit dem Niedrigen, das Ernsthafte mit dem Lustigen, und die wichtigste Sache mit der geringsten Kleinigkeit vermenget werden. Z.E. Pope : Puder, Schönfleck, Liebesbrief, Bibel, alles liegt beysammen, Imgleichen: Eher mag doch Luft und See, und der ganze Ball der Erden. Mann und Aff und Papagey, Katz und Hund zum Chaos werden! 19. §. Ein wichtiger Punct ist noch übrig, was nämlich die sogenannten Maschinen, oder das Wunderbare anlanget. Man versteht dadurch den Beystand der Götter, oder anderer übermenschlichen geistlichen Wesen, welchen sie denen im Handeln begriffenen Menschen oder Thieren leisten. Homer hat den Jupiter mit allen Göttern über die Drohung des Mäusehelden Meridarpax, rathschlagen lassen; ja er schlägt wirklich mit Blitz und Donner drein, um die Mäuse zu schrecken; so wie er sonst die Riesen vom Himmel zurück geschlagen. Pope hat dagegen die Sylphen und Gnomen, das ist, die Luft- und Erdgeister des Grafen von Gabalis , auf eine sehr spaßhafte Art in sein Gedicht gemenget, um es desto wunderbarer zu machen. Boileau mischet die Zwietracht, als eine Göttinn, in seine Fabel, vom Pulte; und eben so ist im deutschen Dichterkriege Eris mit im Spiele. Auf gleiche Weise könnte ein Dichter im Deutschen entweder einen Alp, oder Poltergeist, einen Wassernix, oder ein Bergmännchen; oder doch sonst eine allegorische Gottheit, aus der Zahl der Laster und Tugenden, in eigener, oder fremder Gestalt erscheinen lassen. Dieses geschieht nun billig in dem eigenen Charakter jeder solcher Person, und dadurch erlangen auch Kleinigkeiten ein größeres Ansehen. Man darf auch in solchen scherzhaften Sachen eben nicht gar zu bedachtsam damit umgehen: nein, auch unnöthige und überflüssige Maschinen werden hier billig geduldet; wie z.E. Umbriel im Lockenraube ist. 20. §. Was die Schreibart solcher komischen Gedichte betrifft, so ist freylich die poetische besser, als die ungebundene: wählet aber jemand diese, so muß er sie doch mit vielen poetischen Ausdrückungen zu zieren wissen. Was die Verse betrifft, so können sie entweder alte Knittelverse seyn, wie im Reinicke Fuchs, oder Froschmäuseler; oder wie im Hudibras, im Scarron , in der Quenellomachie, und der umgekleideten Henriade: oder sie können auch ordentlich seyn, wie in der SECCHIA RAPITA, im Pulte und Lockenraube. Es kömmt auf die Wahl des Dichters an; nur muß er das, was er machet, recht in seiner Gewalt haben. Wer sich nicht den rechten Geschmack der alten Knittelverse im Lesen alter Poeten erworben hat, der bleibe lieber bey den neuern Versen. Ich kenne nur einen Dichter in Deutschland, den Herrn Hofr. Müldener in Dresden, der uns dergleichen glückliche Proben geliefert hat. Hier fällt mir erst ein, daß auch der Herr von Hollberg in dänischer Sprache ein solch komisches Gedicht von Peter Paars geliefert, welches man unlängst auch verdeutschet hat. Ich habe es noch nicht gelesen, kann also nichts davon sagen. Wer eine genauere Oekonomie des innern Wesens solcher Fabeln wissen will, der muß das folgende Hauptstück mit durchlesen. Hier verlohnte sich die Mühe nicht, die ganze Verfassung epischer Gedichte noch vollkommener zu erklären. Fußnoten 1 Vossius in seinem Tractate DE POETIS GRÆCIS will zwar nicht zugeben, daß es ältere griechische Dichter, als Homer , oder Hesiodus , gegeben: indessen erkläret er sich so, daß er solche meyne, deren Schriften noch übrig wären. Dieß kann man ihm zugeben: aber daß es viele andere gegeben, beweiset der Verfasser des engl. Buches THE LIFE OF HOMER. LOND. 1703. in gr. 8. und Pope in seinem Leben Homers , siehe die deutsche Uebersetzung meiner Freundinn in den auserles. St. 1. 5. Von milesischen Fabeln, Ritterbüchern und Romanen Des I. Abschnitts V. Hauptstück. Von milesischen Fabeln, Ritterbüchern und Romanen 1. §. Homer und Hesiodus waren eine lange Zeit in Griechenland gelesen worden, als sich endlich ein Pherecydes und Herodot hervorthaten, die auch in ungebundener Rede zu schreiben anfiengen. Kaum wurden ihre Schriften recht bekannt, als sie mehrere Nachfolger fanden, die das, was vorhin nur in Versen geschehen war, auch in Prosa thaten; ich meyne, die auch Fabeln und Gedichte, in einer freyen Schreibart zu Papiere brachten. Es kann seyn, daß sie darinn die Hebräer zu Vorgängern gehabt, die das Buch Esther , das Buch Judith , und das Buch vom Tobias geschrieben haben: welches theils um die Zeiten des Cyrus , theils noch eher, theils etwas später geschehen seyn mag. Dieses sind solche Gedichte, die mit den milesischen Fabeln oder Romanen sehr genau übereinkommen. Denn es liegt überall eine verliebte Geschichte zum Grunde, die durch allerley geschickte Nebenfabeln wahrscheinlich gemacht, und erweitert wird. Allein da wir nicht versichern können, daß die ersten Erfinder milesischer Fabeln das Phönizische, oder Hebräische verstanden: so können wir auch nicht sagen, daß sie sich diese jüdische Bücher zu Mustern genommen: es müßten denn die beyden letztern seyn, die griechisch geschrieben sind. Doch was bedarf es fremder Muster? Homer selbst, giebt in seiner Odyssee, theils durch die Geschichte der Penelope und ihrer Freyer, theils in den Erzählungen von der Circe , Kalypso und Nausikaa , nur gar zu guten Anlaß, dergleichen Liebesfabeln zu schreiben. Es hat also in klein Asien, einem blühenden und reichen Lande, wo es seit den ältesten Zeiten an witzigen Köpfen nicht gefehlet, gar leicht jemand darauf fallen können, solche ausführliche Liebesgeschichte zu schreiben; die entweder ganz, oder doch größtentheils erdichtet waren, und also unstreitig zur Dichtkunst gehören. 2. §. Die Ionier waren vor andern schon ein Volk, welches, weil es im Ueberflusse lebte, zu den Wollüsten geneigt war; als Cyrus den Krösus schlug, und ganz klein Asien eroberte. Die strengen Sieger sahen es gern, daß sie bey dieser Lebensart blieben, damit sie keinen Aufstand von ihnen zu besorgen hätten. Sie ergaben sich also nur immer mehr dem Wohlleben und Schmausen: sie schmückten sich mit Blumen und wohlriechenden Salben, sie bauten prächtig, und erfanden neue Zeuge zu Kleidungen und Teppichen; die von ihnen weit und breit verführet wurden. Sie erfanden auch üppige Tänze, wodurch die Jugend weichlich und wollüstig gemachet ward. Daher befahl Cyrus auf des Krösus Rath, daß die streitbaren Lydier , ihre Nachbarn, ihre Kinder auf Ionisch sollten erziehen lassen; das ist, sie zu Tänzern, Sängern und Spielleuten machen sollten, wodurch sie unfehlbar zur Wollust und Ueppigkeit gelangen würden. Dieß geschah: und so wurden die Lydier weichlich und weibisch. Man ließ sie als Gaukler und Tänzer nach Griechenland, Hetrurien und Rom kommen, und auf öffentlichen Schaubühnen sich zeigen: ja die Römer nannten von ihnen die Spiele LUDOS. Doch die Milesier übertrafen in allen diesen Künsten ihre übrigen Landesleute noch: und sie waren die ersten, die auch solche verliebte Fabeln zu schreiben begunnten. Daher bekamen sie denn von ihnen den Namen der milesischen : obwohl auch die Cyprier und Cilicier , ihre Nachbarn, gewissen Arten derselben ihren Namen gegeben haben: als welche letztern wegen ihrer Gabe zum Lügen in Griechenland zum Sprüchworte wurden. Diese milesischen Fabeln nun wurden allgemach sehr frech und geil, ob sie gleich im Anfange ziemlich ehrbar und bescheiden gewesen seyn mochten. 3. §. Indessen sind alle diejenigen, die zwischen dem Cyrus und Alexandern dem Großen geschrieben worden, gänzlich verlohren gegangen. Findet man gleich bey den Alten einen Dionysius von Milet, der unter dem ersten Darius gelebet, und fabelhafte Geschichte geschrieben haben soll: so ist es doch nicht gewiß, ob es milesische, das ist, verliebte Fabeln gewesen. Eben so wenig kann man den Hegesipp und andre hieher rechnen, deren milesische Geschichte Parthenius anführet; welcher um Augusts Zeiten eine Sammlung verliebter Geschichte geschrieben: da die daraus angeführten Stücke sattsam zeigen, daß sie bloß die Historie von Miletus enthalten. Zu Alexanders Zeiten lebte Klearchus von Soli , in Cilicien, ein Schüler Aristotels ; und dieser hat verliebte Bücher geschrieben: aber auch diese könnten leicht Sammlungen wahrer Begebenheiten gewesen seyn. Theophrast , der gleichfalls Aristotels Lehrling gewesen, soll eben so wohl als sein Lehrer erotische Sachen geschrieben haben. Wer aber ihre Art zu denken kennet, wird viel eher glauben, daß sie, als Weltweise, von der Liebe gehandelt. Diogenes Laertius redet von einem Ariston , der auch erotische Abhandlungen verfertiget hat: und Athenäus nennet den Titel des Buches eines andern Aristons Liebesgleichnisse. Philipp von Amphipolis, Herodian , und Amelius der Syrer, haben nach dem Berichte eines alten Arzneylehrers, auch verliebte Fabeln gemachet. Aber wer kann uns von ihrem Inhalte versichern, ob sie philosophisch, mythologisch, historisch, oder romanhaft gewesen? So bleibt uns denn nur Antonius Diogenes übrig, der nach des Photius Muthmaßung, bald nach Alexandern , einen wahrhaften Roman von den Reisen und der Liebe des Dinias und der Dercyllis gemachet hat. Dieser hat augenscheinlich die Odyssee nachgeahmet; und ob er wohl auch viel abgeschmackte Mährchen und unwahrscheinliche Erzählungen eingemenget, so ist er dennoch ziemlich bey der Regel geblieben. 4. §. Diesen Schriftsteller haben sich nachmals Lucius, Lucian, Achilles, Tatius, Jamblichus und Damascius , zum Muster dienen lassen: wie Photius in seiner Bibliothek berichtet Er hat aber selbst einen Antiphanes genennet, der sein Vorgänger in dergleichen Fabeln gewesen. Dieser war ein komischer Dichter gewesen, von welchem Stephanus , der Erdbeschreiber meldet, daß er unglaubliche und possirliche Erzählungen geschrieben. Er war von Berge in Thracien; daher die Griechen Gelegenheit nahmen, zu sagen, wenn jemand Lügen vorbrachte, daß er bergenzete. Aristides von Miletus , hat kurz vor dem Triumvirate des Marius, Cinna und Sylla gelebet: denn Sisenna, ein römischer Geschichtschreiber, hatte seine milesische Fabeln ins Latein übersetzet. Daß selbige voller Unflätereyen gewesen, können wir daraus schließen, weil Surenas , der parthische Feldherr, der den Römer Crassus schlug, dieses Buch in dem Geräthe des Roscius , als eine Beute fand; und deswegen vor dem Rathe zu Seleucia über die römische Ueppigkeit spottete, als die auch im Felde solche wollüstige Bücher mit sich schleppete. Nun folgeten Lucius von Patras, und Lucian von Samosata, fast zu einer Zeit. Jener machte eine Sammlung von magischen Verwandlungen der Menschen in Thiere, oder Hexenmährchen; die er aber ganz ernstlich glaubte. Lucian hingegen war gescheider, und erzählte eben dergleichen in seinem Esel; den er nach jenem Lucius nennet, um darüber sein Gespött zu haben. Es hat noch einen solchen fabelhaften Esel gegeben, welchen Ammonius , ein Sprachlehrer geschrieben: und dieser ist so witzig gewesen, daß er das Fressen und Saufen vergessen, wenn er einen schönen Vers lesen gehöret. Lucian hat überdem seine zwey Bücher wahrhaftiger Lügen gemachet, die gleichfalls hieher gehören; und die sowohl Rollenhagen , als eine neuere Feder verdeutschet hat: wie man in der kleinen Sammlung der lucianischen Schriften sehen kann, die ich ans Licht gestellet habe. 5. §. Um eben die Zeit, nämlich unterm Kaiser Antonin , hat Jamblichus seine babylonischen Fabeln von der Liebe des Rhodanes und der Sinonis geschrieben, darinn er alle seine Vorgänger übertroffen hat. Photius giebt uns einen Auszug davon, und hieraus sieht man, daß er nur eine einzige Haupthandlung mit den gehörigen Zierrathen und Episodien ausgeschmücket; und die Wahrscheinlichkeit genau beobachtet. Indessen ist er der Zeitordnung gar zu historisch gefolget, und hat den Leser nicht gleich in die Mitte seiner Begebenheiten geworfen; wie Homer in der Odyssee gethan. Es sollen noch Manuscripte davon vorhanden seyn. Man muß aber diesen Jamblichus nicht mit dem Schüler Porphyrs , einem platonischen Weltweisen vermengen, der erst um Julians Zeiten gelebet hat. Das vollkommenste Stück in dieser Art aber, hat uns Heliodor , in seiner äthiopischen Historie vom Theagenes und der Chariklea hinterlassen. Nichts ist züchtiger und tugendhafter, als die Liebe dieses Paares; und dieses sollte billig allen Romanschreibern nach der Zeit zum Muster gedienet haben. Man könnte sagen, diese Ehrbarkeit hätte man der christlichen Religion zu danken, der Heliodor zugethan gewesen; und darinn er sich durch besondere Verdienste bis zur bischöflichen Würde geschwungen: wenn es nicht unzählige andere schmutzige Nachfolger gegeben hätte, die sich nicht weniger, als er, Christen genennet. Sein eigenes tugendhaftes Herz muß ihm also einen Abscheu vor allen Unflätereyen gemachet haben. Er war Bischof zu Tricca in Thessalien, und führte daselbst, wie Sokrates berichtet, die Gewohnheit ein, die Geistlichen abzusetzen, die sich nicht derjenigen Weiber enthielten, die sie vor erlangtem Priesterorden geheirathet hatten. Daher wird denn des leichtgläubigen Nicephorus Erzählung verdächtig, als ob in einer provinzial Kirchenversammlung, dem Heliodor, die Wahl vorgeschlagen und auferleget worden: entweder sein Buch verbrennen, oder sein Bisthum fahren zu lassen; davon er aber das letzte erwählet hätte. Seine Fabel indessen zeiget eine reiche Erfindungskraft; alles ist darinn abwechselnd, neu, unvermuthet, wahrscheinlich, wohl eingefädelt, und glücklich aufgelöset. Die Auswickelung ist so schön, als natürlich, und beweglich; ja aus der Sache selbst hergeflossen. Man kann die neue Uebersetzung davon lesen, die uns vor kurzem Herr M. Agricola im Deutschen geliefert hat. Huetius tadelt seine gar zu gekünstelte Schreibart, und seine gar zu vielen Beschreibungen. Allein wir glauben dem Photius lieber, der die erste gelobet hat. Er hat zu des Kaisers Theodosius Zeiten gelebet. 6. §. Achilles Tatius , hat eine solche Erzählung von der Liebe Klitophons und der Leucippe , geschrieben, und dem Heliodor stark nachgeahmet; doch auch viel eigenes hinzugesetzet. Gleichwohl ist er ihm weder in der Reinigkeit der Sitten, noch in der Mannigfaltigkeit, noch in der Wahrscheinlichkeit der Begebenheiten zu vergleichen. Er hat auch viel aus dem Lucian und Philostratus gestohlen, und es nicht einmal zu verbergen gewußt. Huet zieht seine Schreibart Heliodors seiner vor: ob er gleich zuweilen nach der Schule schmeckt, und gar zu sehr mit seiner Beredsamkeit pralet; die doch damals sehr im Verfalle war. Er schweifet auch in Beschreibungen öfters aus, wie mäßige Köpfe zu thun pflegen, ob sie gleich öfters abgeschmackt dadurch werden. Gleichwohl haben Tasso und Herr von Urfe ihre Pastorale mit seinen Erfindungen ausgeputzet. Tatius soll auch ein Christ, und endlich Bischof geworden seyn: man muß also sein üppiges Buch bald vergessen haben. Nichts ist artiger zu lesen, als was Huetius von einem untergeschobenen Buche des Athenagoras , von der vollkommenen Liebe, schreibet; welches ein gewisser Franzos geschrieben, und für eine Uebersetzung aus dem Griechischen ausgegeben. Hier sieht man die feinsten Regeln der Kritik angewandt, diesen Betrug ans Licht zu bringen. Ich übergehe es aber, weil es in Deutschland nicht bekannt geworden. Mit besserm Rechte setze ich des Longus seinen Schäferroman hieher, ob er wohl dem Heliodor gar nicht gleich zu schätzen ist. Die Tugend ist bey weitem nicht so geschonet, obwohl die Wahrscheinlichkeit und Abwechselung ziemlich darinn herrschet. Seine Schreibart schmecket ebenfalls nach dem Verfalle der schönen Wissenschaften zu seiner Zeit. Man kann in dem Biedermann einen Auszug daraus sehen, weil wir ihn im Deutschen ganz noch nicht haben. Des Damascius Werk von fabelhaften Geschichten verdient nicht hieher gerechnet zu werden. Ein anders ist es mit des Joh. Damascenus Geschichte von Barlaam und Josaphat ; davon wir auch alte deutsche Uebersetzungen in gebundener und ungebundener Rede haben. S. der krit. Beytr. VII. B. 657 S. Dieß ist schon eine Legende zu nennen, weil es nur von der Liebe Gottes handelt, und endlich alles aufs Klosterleben hinausläuft. Es soll einer wahren Geschichte gleich sehen, ist aber gar zu fabelhaft gerathen. 7. §. Was Xenophon , der Epheser, von seinem HABROCOMAS , und der Anthia für Liebesgeschichte geschrieben, das hat uns Herr Cocchi vor wenigen Jahren ans Licht gestellet; so wie unlängst Herr Dorville Charitons , des Aphrodisiers, verliebte Begebenheiten des Chärea und der Kallirhoe , mit unsers Herrn D. Reiskens Uebersetzung zu Amsterdam herausgegeben. S. des Büchers, der schön. Wissens. X.B.a.d. 124. S. Dieser soll in der Mitte des fünften Jahrhunderts gelebet haben; und hat auch seine Erzählungen mehr historisch, als poetisch, oder romanhaft eingerichtet. Huet hat nichts mehr von ihm gewußt, als was Photius saget, und von diesem, daß eine Handschrift davon auf der Vaticanischen Bibliothek wäre. Theodorus Prodromus, hat von der Liebe des Dosikles , und der Rhodante; Eustathius , Bischof von Thessalonich, aber soll vom Hysminias und der Hysmine , eben dergleichen geschrieben haben. Dieser lebte unter dem griechischen Kaiser Emanuel Komnenus , im 12ten Jahrhunderte. Allein dieses Werk ist viel zu schlecht, als daß man es dem gelehrten Ausleger Homers zueignen könnte. Daher mögen diejenigen Abschriften wohl recht haben, die den Namen Eumathius und nicht Eustathius nennen. Er führet seinen Helden redend ein, und läßt ihn seine Begebenheiten erzählen. Das Frauenzimmer verliebt sich zuerst, erkläret sich auch zuerst, und giebt ihm ohne alle Scham und Artigkeit alle mögliche Gelegenheit zur Ausschweifung; die er aber ohne alle Empfindung und Gegenliebe ergreift. Theodor ist etwas künstlicher verfahren; kann aber doch den Wohlstand und die Einträchtigkeit seiner Charactere nicht beobachten, und löset alles durch Maschinen; das ist, Wunderwerke, auf. Eustathius hat in etlichen Stücken den Longus nachgeahmet, z.E. wenn er den Lieb haber bey der Tafel aus dem Becher, den ihm die Geliebte reichet, auf eben derselben Stelle trinken läßt, wo sie vorher in dieser Absicht getrunken hatte. Noch ist zu bemerken, daß Prodromus in Versen geschrieben; da alle übrige Griechen in ungebundener Rede gedichtet. Und so viel von den Griechen. 8. §. Was die Römer betrifft, so haben dieselben zwar an Fabeln schon in den ältesten Zeiten ein Vergnügen gefunden; aber in der romanhaften Art wenig Muster aufzuweisen. So lange die Republik daurete, waren ihre Sitten zu strenge: allererst unter den Kaisern fiengen sie an, wollüstiger zu werden, wozu die unermeßlichen Reichthümer Griechenlandes, Asiens und Aegyptens den Grund geleget hatten. Ovid ist der erste Dichter, der etliche verliebte Historien in seine Verwandlungen mit einfließen lassen. Er läßt, z.E. die Töchter des Mineus einander bey ihren Handarbeiten verliebte Fabeln erzählen, und diese sind, 1.) die vom Pyramus und der Thisbe ; 2.) die vom Mars und der Venus , 3.) die von der Salmacis und dem Hermaphroditus . Wo bleiben noch so viele andere, die er selbst erzählet? Ob er nun wohl selbst der Züchtigste nicht seyn mochte: so hat er sich doch sehr in den Schranken gehalten, daß er sie nicht gar zu schlüpfrig gemachet; sondern die Ehrbarkeit und Tugend noch ziemlich geschonet hat. Virgil läßt die Najaden, Töchter des Flusses Peneus , einander unterm Wasser die Liebesgeschichte der Götter erzählen; zu geschweigen was er selbst von der Liebe der Dido , und der Lavinia gegen den Aeneas , doch auf eine sehr schamhafte Art mit einfließen lassen. Petron , ein Consul und sehr artiger Weltmann um Nerons Zeit, schrieb ein so genanntes Satiricon, aus Versen und Prose zusammengesetzet, das aber wirklich ein Roman heißen kann. Aber es ist auch so viel schlüpfriger, als seine Zeiten, gegen Augusts erste Jahre, verderbter waren. Vieleicht sind noch viel garstigere Stücke davon verlohren gegangen, als wir übrig behalten haben. Seine Schreibart ist indessen sehr gezwungen; ob er gleich ein strenger Kunstrichter seyn wollen. Die Art seiner Ezählungen ist gar nicht so natürlich, als die wir von Augusts Zeiten, selbst in Dichtern finden. Sogar seine Gedankenspiele sind oft sehr frostig, und nicht allemal richtig. Es ist sehr zu besorgen, daß ihn seine Bewundrer nur um der Zoten halber so hochschätzen; ob sie es gleich nicht gestehen wollen. 9. §. Unter den Antoninen hat Apulejus uns seine Verwandlung des Esels, aus dem Lucius von Patras gezogen; wie auch Lucian schon gethan hatte: doch mit dem Unterschiede, daß dieser sie abgekürzet, jener aber erweitert hat. Das Episodium von der Psyche Liebe, so er eingeschaltet hat, ist schön: aber seine Schreibart ist entsetzlich hart, wilde und gezwungen; kurz, recht africanisch. Der Kaiser Clodius Albinus , soll auch seine Feder so erniedriget haben, daß er milesische Fabeln geschrieben; die doch ziemlich schlecht gerathen sind. Er ward vom Severus ermordet, und dieser verwies es dem Senate, daß er einen Herrn für gelehrt gepriesen: ob er gleich nichts, als des Apulejus verliebte Fratzen gelesen, und sich mit alten Weibermährchen und Kinderpossen beschäfftiget hätte. Das war der Lohn solcher unkaiserlichen Bemühungen, die sowohl seine verderbte Sitten zeigten, als andre zu verderben dienten. Von andrer Art ist des Martianus Capella Werk, das er auch ein Satiricon nennet; weil er es aus Prosa und Versen vermischet, wie Petron. Er wollte von allen freyen Künsten handeln; darum verwandelt er sie in Personen, und dichtet: daß Mercur , der sie zu seinem Gefolge hat, die Philologie heirathet, und ihr die schönsten und kostbarsten Sachen schenket. Dieses ist nun zwar eine allegorische Fabel, aber keine Liebesgeschichte. Die Erfindung ist nicht die richtigste; seine Schreibart aber ist überaus barbarisch, voll unbändiger Tropen und Figuren, und so dunkel, daß man ihn kaum errathen kann. Er hat noch vor dem Justinian gelebt, und man weis nicht gewiß, ob er ein Africaner gewesen. Und hiermit haben alle lateinische Liebesgeschichte der Alten ein Ende: man müßte denn des Boethius Trost der Weisheit, weil er eine Fabel ist, hieher rechnen wollen; welches aber nicht zureichend wäre. 10. §. Ehe ich nun weiter gehe, ist es Zeit, aus allen diesen Stücken der Alten, das wahre Wesen, und die vornehmsten Regeln einer rechten milesischen Fabel fest zu setzen, und ihren Unterscheid von dem epischen Gedichte zu bestimmen. Ist eine äsopische Fabel eine Begebenheit, die nach dem itzigen Weltlaufe niemals hat geschehen können; weil sie Pflanzen, Thiere, ja leblose und allegorische Dinge, reden und handeln läßt: so sind die sybaritischen, epischen und milesischen Erzählungen, Begebenheiten, die gar wohl hätten geschehen können: weil sie lauter Menschen, und andere geistliche Wesen zu ihren Personen brauchen. Ist aber eine sybaritische Fabel von der äsopischen dadurch unterschieden, daß diese mehr zum Nutzen der Leser; jene aber mehr zur Lust gemachet wird: so geht auch eine milesische Liebesgeschichte vom Heldengedichte darinn ab, daß jene mehr zum Vergnügen, diese aber mehr zum Unterrichte der Menschen bestimmet ist. Daher kömmt es, daß das Heldengedicht, oder die Epopee, sich an große Thaten berühmter Helden bindet; die Liebe aber nur beyläufig, als ein Nebenwerk brauchet. Die milesische Fabel aber, machet aus der Liebe, auch wohl mittelmäßiger, ja ganz unbekannter und erdichteter Personen ihr Hauptwerk: die Heldenthaten aber werden nur zuweilen als Zierrathe mit eingeschaltet, und als Episodien zur verliebten Absicht gebrauchet. Haben nun beyde, nach dem großen Muster der Natur, die Einheit der Handlung vor Augen; auf welche alles übrige sich bezieht, wie die Theile auf ein Ganzes, oder wie die Mittel zum Zwecke: so sind sie beyde regelmäßig. Weichet aber der epische Dichter von dieser Einheit ab, so wird anstatt einer Epopee, ein Ritterbuch daraus: so wie ein unwissender Dichter, der die Regeln nicht kennet, oder aus den Augen setzet, an statt einer guten milesischen Fabel, einen schlechten Roman machet, der aus dem hundertsten ins tausendste verfällt. 11. §. Ich weis wohl, daß viele sich wundern werden, daß ich den Liebesgeschichten eben das Joch auflegen wolle, welches die Heldendichter so drücket. Allein ich kann nichts dafür, daß die besten unter den alten Romanschreibern hierinn den Homer nachgeahmet. Sie folgen fast alle dem Muster der Odyssee: wie sonderlich Heliodor und Achilles Tatius gethan haben. Eine einzige Haupthandlung, die auf eine Liebe hinausläuft, ist derjenige Zweck, wohin alles abzielet. Dieses ahmet nun der Natur nach, die in allen ihren Meisterstücken, viele Glieder unter einem Haupte und Herzen vereiniget. Ja, wenn gleich eine doppelte Handlung in einem solchen Gedichte zu seyn scheint; so bezieht sich doch die eine auf die andere, und macht sie desto vollkommener. Des Longus Schäferfabel hergegen, und des Damascenus Barlaam, sind nichts weniger, als regelmäßig. Beyde verfolgen ihre Hauptpersonen von der Wiege bis ins Grab; wie die SCRIPTORES CYCLICI. Es sind also Lebensläufe, nicht Gedichte zu nennen; zu denen nicht nur die Einheit der Person, sondern der Handlung erfodert wird. Die Menge der schlechten Romane, die dieses nicht beobachten, macht diesen Fehler nicht gut: und wenn sie noch so viel Beyfall gefunden hätten. Die meisten Leser geben ihren Beyfall unbedachtsamer Weise, um gewisser Kleinigkeiten halber, die ihnen gefallen. Der wahren Kenner hergegen giebt es wenige. Es geht nämlich bey den Romanen, wie bey andern Gedichten, davon Horaz sagt: NON QUIVIS VIDET IMMODULATA POEMATA JUDEX, ET DATA ROMANIS VENIA EST INDIGNA POETIS. Und anderwärts: INTERDUM VULGUS RECTUM VIDET; EST UBI PECCAT. 12. §. Ich muß dieses mit einer merkwürdigen Stelle des Bischofs Huetius erläutern, dem wir einen gelehrten Tractat vom Ursprunge der Romane, zu danken haben; dessen ich mich oben zum Theile bedienet habe. Er streitet auf der 82. u.f. Seite der Ausgabe von 1639. wider den Giraldi ; der diesen Fehler der Romane, für eine Schönheit gehalten, und als eine besondre Erfindung der Wälschen gelobet hatte. »Wenn es wahr ist, heißt es, daß ein Roman einem vollkommenen Körper gleichen soll, wie er selbst erkennet, und daß er aus verschiedenen wohlgebildeten Theilen sich in einem Haupte vereinigen muß: so folget, daß die Haupthandlung, die gleichsam das Haupt des Werkes ist, nur einzeln seyn, und in Vergleichung der andern hervorleuchten müsse; daß hingegen die Nebenhandlungen, sich als Glieder zu diesem Haupte fügen, ihm an Schönheit und Würde weit nachgehen, es zieren, unterstützen, und auf eine abhängliche Art begleiten sollen: weil es sonst ein ungestaltes zweyköpfigtes Ungeheuer seyn würde. Ovids Beyspiel, welches er zu seinem Behufe anführet, und der andern cyklischen Dichter ihres, die er auch anführen könnte; rechtfertigen ihn nicht. Denn da die Verwandlungen der alten Fabeln, die Ovid in ein Gedicht sammlen wollen, und die Fabeln der cyklischen Gedichte, ganz absonderliche und an Schönheit fast ähnliche Handlungen sind: so war es so unmöglich, einen schönen Körper daraus zu machen, als aus lauter Sande ein vollkommenes Gebäude aufzuführen. Der Beyfall, den diese fehlerhaften Romane seiner Nation gefunden, und worauf er so trotzet, schützet ihn noch weniger. Von einem Buche muß man nicht aus der Zahl, sondern aus der Gültigkeit der Stimmen urtheilen, die es erhält. Alle Welt glaubt das Recht zu haben, von Gedichten und Romanen zu urtheilen. Alle Pfeiler 1 auf dem großen Saale des Pariser Rathhauses; und alle Schlafkammern des Frauenzimmers, werfen sich zu Tribunalien auf; wo man von dem Werthe großer Werke entscheidende Endurtheile spricht. Daselbst bestimmet man kühnlich den Werth eines ganzen Heldengedichtes, bloß nach Durchlesung eines Gleichnisses, oder einer Beschreibung: ja ein den Ohren etwas harter Vers, wie ihn vieleicht Ort und Materie erfodert haben, bringt es zuweilen um seinen guten Ruf. Eine einzige zärtliche Leidenschaft macht das Glück eines Romans; und ein etwas gezwungener, oder altväterischer Ausdruck stürzet ihn. Allein ihre Urheber unterwerfen sich solchen Aussprüchen nicht. Sie wissen, daß die Kenntniß und der Geschmack von solchen Werken, wie Longin von den Werken der Beredsamkeit saget, die letzte Frucht eines sehr langen Umganges mit denselben ist. Sie erinnern sich des ciceronischen Grundsatzes: daß der Werth eines Gedichtes, auf das Urtheil sehr weniger Personen ankömmt; und des Horazianischen: daß es nicht jedermanns Ding sey, dessen Fehler wahrzunehmen, Und wie jene Komödiantinn, die der Pöbel von der Bühne stieß, sich auf des Adels Beyfall berief, und damit zufrieden war: so sind auch die Dichter vergnügt, wenn sie den feinsten Kennern, die nach ganz andern Regeln urtheilen, gefallen. Diese Regeln nun, sind so wenigen Leuten bekannt; daß die guten Richter solcher Stücke so selten sind, als die guten Romanschreiber und Dichter: und unter der kleinen Zahl derer, die sich auf Verse verstehen, findet man kaum einen, der sich auf die Dichtkunst versteht; oder nur weis, daß Verse und Poesie zwey ganz verschiedene Dinge sind.« 13. §. Als das römische Reich dem Verfalle des guten Geschmackes und der Wissenschaften nachfolgete; und unsre Vorfahren, die Gothen, Longobarden, Burgunder, Vandaler, Sueven und Franken, die Länder desselben unter sich theileten, und darinn allerley Reiche anrichteten: fieng sich auch, bey allmählich erfolgter Ruhe und guter politischer Verfassung, eine Art von Witz an hervorzuthun, der sich in Versen, Fabeln und Gedichten an den Tag legte. Zwar hatten auch schon die alten Barden der Deutschen, Gallier und Britten, ja die Scaldrer der nordischen Völker sogar, ihre Gesänge und Heldenlieder gehabt: doch, da sie nicht sonderlich schreiben konnten, sondern sich mit dem Gedächtnisse behelfen mußten; so giengen sie allmählich verlobten. Karl der Große suchte sie zwar durch eine Sammlung, die er davon machte, vor dem Untergange zu bewahren: allein umsonst. Auch diese hat uns die lateinische Mönchsbarbarey der folgenden drey Jahrhunderte vernachläßiget; sonst würden wir vieleicht auch von den Liebesgeschichten der alten Deutschen einige Proben aufzuweisen haben. Indessen entstund, auch mitten in der Unwissenhheit und Einfalt dieser Zeiten, in Brittannien ein Fürst, der den witzigen Köpfen Gelegenheit und Stoff an die Hand gab, ihre Dichtungskraft zu üben. Dieses war König Artus in Kornwallien, Königs Uterpendragons Sohn, welcher durch seine runde Tafel, daran er alle tapfere Ritter zog, der Tapferkeit und der Liebe ein großes Feld öffnete, sich um die Wette hervorzuthun. Ich will hiermit nicht behaupten, daß alles wahr sey, was Thelesin , der im VI. Jahrhunderte unter seiner Regierung gelebet haben, und ein Barde gewesen seyn soll; und Melkin , ein anderer Schriftsteller, davon geschrieben. Indessen muß doch etwas davon wahr gewesen seyn: da Camden berichtet, daß man den Grabstein des Königes Artus gefunden; den er auch mit seiner alten Aufschrift in Kupfer gestochen, liefert. Von dieser runden Tafel, oder sogenannten Tafelrunde des Königes Artus , haben unzählige Ritterbücher und Romane der Provenzalpoeten und deutschen Dichter ihren Ursprung genommen, wie wir hernach hören werden. 14. §. Fast um eben die Zeit, soll Hunibald , ein Frank, gelebet haben, der gleichfalls ein Buch voller ungeschickter Fabeln zusammengestoppelt hat, wie der Witz, oder vielmehr die Unwissenheit seines Jahrhunderts es erlaubte. Daß auch der Gothen König, Dieterich von Bern , oder THEODORICUS VERONENSIS, unsern deutschen Dichtern viel Gelegenheit zu Ritterbüchern und Liebesgeschichten gegeben, habe ich im vorigen Hauptstücke schon erinnert; nur scheinen die Verfasser derselben schon im XI. XII. und XIII. Jahrhunderte gelebt zu haben. Karl der Große, war der dritte Held, der den Dichtern Stoff zu Fabeln und Gedichten gab; und zwar hauptsächlich, nachdem der falsche Turpin , (der ein paar Jahrhunderte nach dem wahren gelebet, welcher um Karls Zeiten, Erzbischof zu Rheims gewesen;) von den Thaten dieses Kaisers eine sehr fabelhafte Geschichte geschrieben hatte. Hier fanden nun unzählige Dichter in Frankreich und Deutschland Stoff zu ihren Gedichten. In Frankreich hat man noch alte Manuscripte von dergleichen Werken. (S. die Historie der Paris. Akad. der schönen Wissensch. I.B.a.d. 364. u.f.S.) und bey uns hat ein ungenannter Dichter im X. oder XI. Jahrhunderte auf ihn und den großen Roland , ebenfalls ein solch Gedichte gemacht, welches Striker im XII. Jahrhunderte erneuert; Schilter aber in seinem THESAURO ans Licht gestellet. S. des Neuen Büchers, der schönen Wissensch. und fr. K. IV. B.a.d. 387. und folg. S. Und wo bleibt die schöne Geschichte von den vier Haymons Kindern, Adelhart , Ritsart , Writsart und Reynhold , und ihrem starken Rosse, Bayard ; darinn der große Karl von Anfang bis zum Ende eine sehr lustige Rolle spielen muß. Der Bischof Tulpin , der große Roland, Ogier , oder Holger, der Däne, u.a.m. spielen ihre Personen auch darinn, so gut es die Einfalt der Zeiten dem Verfasser erlaubet hat, sie zu schildern. Und das Ende läuft darauf hinaus, daß der unüberwindliche Reynold endlich ein Mönch und ein Heiliger wird, der auch sogar Mirakel thun muß: wie die Legenden der mittlern Zeiten es mit sich bringen. Wir haben auch im Deutschen dieß schöne Werk unzähligemal aufgelegt; ja ich zweifle fast, ob es einen andern als deutschen Ursprung habe. Davon überredet mich das Ende des Buches hauptsächlich, wo Reinhold nicht nur in Cölln begraben, sondern auch nach Dortmund, als Schutzpatron, gebracht worden; indem der Karren, ohne Pferde und menschliche Hülfe, mit seinem Körper davon gelaufen seyn soll, sobald man ihn darauf gesetzet: andrer Gründe zu geschweigen. Indessen ist dieser Roman nicht regelmäßig, weil er den ganzen Lebenslauf Reynolds in sich hält, ja ihn von der Wiege bis zur Heiligsprechung begleitet. 15. §. So haben auch schon zu Karls des Großen Zeiten, Hanco, Solco, Sivard, der weise Johann , der Sohn eines Königs der Friesen, und Adel Adelung , gleichfalls ein Prinz aus königl. Friesischen Geblüte, alle fünf Friesen, dergleichen fabelhafte Bücher geschrieben. So hat Gildas , ein brittischer Mönch aus der Provinz Wallis, vom König Artus, Parcifall und Lancelot , viel wunderbare Sachen erzählet. So hat auch Ocko , ein Urenkel des obigen Solko , um Kaiser Ottens des Großen Zeit, und Gaufried von Monmouth, vom Artus und Merlin , viel alte Geschichte oder Fabeln getreulich für wahr ausgegeben. Diese Wunderdinge gefielen den Lesern; und so wurde die Geschichte in lauter Gedichte verstellet. Die Poeten in der Provence, die im XI. Jahrhunderte entstunden, und entweder von den Westgothen, die vorher daselbst und in Languedoc gewohnet; oder vom Gottfried Rudel , dem ältesten ihrer Zunft, als einem Deutschen, wie sein Namen zeiget, reimen gelernet, wurden in TROUBADOURS, CONTADOURS, IONGLEURS, VIOLARS. MUSARS, u.d.gl. Leute mehr eingetheilet; und ihre Kunst zu Dichten nannte man LE GUAY SABER, oder die lustige Wissenschaft. Als nun der karolingische Stamm vor dem Hugo Capet erlosch, bekam dieses poetisirende Volk in ganz Frankreich freyen Lauf, und breitete auch seine Reimkunst darinnen aus: darinnen sie ihre FABLIAUX, PASTORAUX, ROMANTS CHANTARELS, VIRELAYS, MOTETS, MORAUX, TENSONS, AUBADES, BALADES und MARTEGALLES, alles in alter romanischer, das ist, verderbter lateinischer Bauersprache verfasseten. Am andern Ende von Frankreich hatten die Normänner, von ihren Vorfahren, den Deutschen, Dänen und Norwegern auch reimen gelernet; und als Wilhelm der Eroberer, sich Brittanniens bemächtigte, schrieben sie große Gedichte vom Brutus, Alexander dem Großen, und andern Helden mehr: die denn mit unzählichen Fabeln erfüllet waren, daran Heldenthaten und Liebe keinen geringen Antheil hatten. S. die MEMOIRES DE L'ACAD. DES BELL. L.T. III. p. 465. der holländ. Auflage. 16. §. Indessen ist des Meister Eustache sein Roman von der Rose: beynahe der älteste, der diesen Namen Roman führet: und es ist nöthig zu wissen, woher derselbe seinen Ursprung hat. Einige haben ihn aus dem griechischen Ῥώμη, die Stärke , herleiten wollen: weil insgemein von der Tapferkeit der Helden darinn gehandelt ward. Andre wollten ihn von der Stadt Rheims herleiten, wo Turpin Erzbischof gewesen war, und wo es die meisten Barden gegeben: weil die alten Belger, in deren Gebiethe sie lag, die tapfersten unter den Celten gewesen; wie Pigna , ein Italiener, dafür hält. Allein das sind bloße Anspielungen. In Frankreich redeten die Könige von dem merovingischen und karolingischen Stamme noch die deutsche oder fränkische Sprache bey Hofe; und nur irgend in den Kanzeleyen und in Befehlen, die ins Land ergiengen, das Latein, so gut man es in den verfallenen Zeiten konnte: weil ganz Gallien unter der römischen Herrschaft diese Sprache hatte annehmen müssen. Weil nun die fränkischen Sieger und Herren der Gallier dieses, für die Sprache der Römer ansahen; so nannten sie dieselbe romanisch : so wie hingegen Ottfried seine und König Ludewigs deutsche Sprache, frankisgo Zungo , die fränkische Sprache, nennte. Alles was also in dem täglich mehr abfallenden Bauerlateine, oder der LINGUA ROMANA RUSTICA, geredet und geschrieben ward, das hieß ROMANCE. So führt Menage eine alte Uebersetzung der Fabeln Aesopi an, da die Verfasserinn sagt: AU FINEMENT DE CEST ESCRIT, QU'EN ROMANS AY TOURNÉ ET DIT. Allein was schrieb man damals viel anders, als Ritterbücher und Liebesgeschichte? Diese Schriften bekamen daher unvermerkt diesen Namen; und daher wurden hernach alle fabelhafte Helden und Liebesbegebenheiten Romane genennet. S. davon des Neuen Büchersaals der schönen Wissens, und fr. K.V.B.a.d. 112. 128. S. wo aus Massieus HISTOIRE DE LA POESIE FRANÇOISE, und a.d. 317. u. folg. S. wo in der Einleitung zu Königs Thiebauls von Navarra Gedichten, der Ursprung der französischen Poesie erzählet wird. Siehe auch des Crescimbeni HISTORIA DELLA VOLGAR POESIA T.I. LIB. V. CAP. I. P. 325. ED. VEN. 1731. in 4. 17. §. Ob wir also gleich den Franzosen den Ursprung des Namens der Romane , gern einräumen: so können wir doch so freygebig nicht seyn, als Giraldi , der ihnen auch die erste Erfindung der Sache selbst einräumet. 2 Denn zu geschweigen, daß Griechen und Römer vor Alters unstreitig ihre Vorgänger gewesen, wie wir oben gesehen: so sind auch die brittischen und friesischen Verfasser der Fabeln vom König Artus , Tristrant , u.d.gl. viel älter, als die Provenzalpoeten, und Meister Eustachius . Und wo bleiben noch die alten deutschen und nordischen Fabeln, vom Dietrich von Bern, Hildebrand , gehörnten Seyfried , starken Renneward , vom Holger dem Dänen, und an dern mehr, die man in isländischer Sprache hat? Salmasius hat indessen die Araber in Spanien, zu den Lehrern aller Europäer, in der Kunst Romane zu schreiben, machen wollen: weil diese lange vorher den Fabeln und der Dichtkunst ergeben gewesen. Allein die Araber kamen nicht eher, als bey der Rebellion des Grafen Julians , im 91sten Jahre nach der Flucht Mahomets , d.i. im 712ten Jahre Christi nach Spanien. Sollte nun von ihnen die Poesie auf die Franzosen und Wälschen kommen, so müßte man ihnen Zeit dazu geben. Allein, Thelesin und Melkin , und Hunnibald der Frank, hatten schon im 550sten Jahre vom Könige Artus geschrieben: und also kamen die Araber fast 200 Jahre zu spät, als daß diese ihre Schüler hätten seyn können; wie Huetius sehr gründlich angemerket hat. Mögen doch also die Mohren in Africa und Spanien, ja in Arabien selbst gedichtet haben; so viel sie wollen: die Britten, Franken, Friesen, Normannen und andere nordische Völker konnten diese Kunst von sich selbst: und Tacitus berichtet gar schon, daß die Deutschen Herkuls Thaten besungen, wenn sie in den Krieg gegangen; wie Huetius selbst auf der 153 S. seines Tractats gesteht. Alles, was also die Spanier vom Amadis, Don Belianis, Kyrie Eleison von Montauban , und allen den Helden haben, die der Barbier des Don Quischote, mit seiner Haushälterinn zum Feuer verdammet, sind viel neuer; als daß sie uns, oder den Franzosen zu Mustern gedienet haben könnten. 18. §. Wie indessen unsere Nation viel ernsthafter war, als die mittäglichen Völker, die sich mehr der Wollust ergaben: so findet man auch, daß unsere alten Fabeln mehr Ritterbücher, als Romane gewesen. Die Heldenthaten haben immer die Oberhand darinnnen: dadurch verdienen die Ritter die Liebe der Schönen. Diese schätzen auch keinen Liebhaber hoch, als der viele andere aus dem Sattel gehoben, und wohl gar ein Dutzend oder mehr Feinde erschlagen, Drachen und schreckliche Lindwürmer aus dem Wege geräumet, Riesen erleget, und Zauberzwerge, die zwölf Mannsstärke hatten, im Kothe zertreten hatte. So bildet uns das alte Heldenbuch den Kaiser Ottnitt , den Hug und Wolf Dietrich , und andere solche Helden ab. So lauten auch die meisten Romane, die im 16ten Jahrhunderte Feyerabend zu Frankfurt am Mayn, unter dem Namen des Buches der Liebe, zusammen drucken lassen. Die Ritterspiele, die Heinrich der Vogler eingeführet hatte, und die nachmaligen Kreuzzüge ins gelobte Land, wider die Saracenen, brachten diesen Geschmack auf den höchsten Gipfel der Vollkommenheit. Denn es ist fast kein Held in den alten Ritterbüchern, der nicht zum heiligen Grabe, oder gar nach Babylon, Persien, Indien, und zu den Mohren, ja zu solchen wunderlichen Völkern kömmt, die wohl gar lange Schnäbel in den Gesichtern haben, wie Störche; oder lange Storchshälse und Vogelköpfe, u.d.g.m. Man wird die Beweise davon sehen, wenn ich die Auszüge aus dergleichen Gedichten, in meiner Geschichte der deutschen Sprache und Poesie ans Licht stellen werde. Dieser Geschmack hat nun bis auf Pfinzings Ritter Theuerdank gewähret, der gleichsam den Beschluß der Rittterbücher bey uns gemachet: da dieselben in Wälschland und Spanien erst durch des Cervantes unvergleichlichen Don Quixote gedämpfet und ausgerottet worden. 19. §. Ohne uns viel um die alten Romane der Wälschen und Franzosen zu bekümmern, wollen wir nur von den unsrigen noch etliche nennen, die seit der Erfindung der Buchdruckerkunst ans Licht getreten. Viele darunter sind Uebersetzungen, darunter ich Wolframs von Eschenbach , eines Dichters aus dem XII. und XIII. Jahrhunderte, Parcifall , den er aus Meister Christians von Troyes, eines Provenzaldichters Originale übersetzet hat, für den ältesten halte. Dieser ist 1477. in Fol. gedruckt, ohne Meldung des Ortes und Druckers. Der zweyte ist die Geschichte Tschyonatulanders , die gleichfalls von Meister Albrechten von Halberstadt, der am Hofe Landgraf Hermanns von Thüringen gelebet, aus dem Provenzalischen deutsch übersetzet worden. Beyde sind in Versen: und auf eben den Schlag haben wir auch das Heldenbuch , welches ich für eine Arbeit Heinrichs von Affterdingen halte, der um eben die Zeiten gelebet hat. Sein Namen steht auch am Ende des kleinen Rosengartens, als des letzten Stückes von diesem Heldenbuche. Den Ritter Seyfried , haben wir auch in Versen gedruckt, so wohl als den Ritter Torelle : davon ich jenen für ein deutsches Original halte. Die Geschichte vom Herzog Ernst von Bayern, die man noch unter dem Pöbel in Prosa liest, hat Heinrich von Veldecke , im XII. Jahrhunderte in Versen beschrieben: wie das Manuscript auf der gothaischen Bibliothek zeiget; und eben dieser hat auch die Aeneis in einer Romansgestalt deutsch gereimet. Der Theuerdank ist bekannt, und verwandelt Kaiser Maximilians Geschichte in ein Ritterbuch. Mehr geschrieben vorhandene Ritterbücher in Versen, habe ich im vorigen Hauptstücke gemeldet. Prosaische alte Sachen haben wir an dem Kaiser Octavian , und an den sieben weisen Meistern, denen Kaiser Pontian seinen Sohn befohlen. Die vier Haymons-Kinder habe ich oben genennet, und das Buch der Liebe gleichfalls, darum Ritter Tristrant , und sehr viel andre solche Bücher stehen; daraus Hans Sachs und Ayrer eine Menge Tragödien und Komödien gemachet: des verdeutschten Amadis und unzählicher andern voritzo zu geschweigen. 20. §. Bey der opitzischen Aufklärung der schönen Wissenschaften, bekamen wir zum Theil von ihm, die Arkadia der Gräfinn von Pembrok, die Philipp von Sidney geschrieben, und Valentin Theokritus von Hirschberg übersetzet hatte. Des Herrn von Urfe Schäferroman von der schönen Diana, haben wir auch deutsch bekommen. Dieser Schäfergeschmack zog mehr Nachahmungen nach sich; z.E. der schönen Schäferinn Juliana , und die von Lysandern und Kalisten , welches als ein deutsches Original 1650. zu Amsterdam, bey Elzevieren gedrucket worden. Neumark gab 1648. zu Königsberg den Hirten Filamon mit seiner edlen Schäfernymphen Bellifloren heraus. Philipp von Zesen schrieb nicht nur eine Assenath , sondern auch einen Simson und Holofernes , lauter Liebesgeschichte. Der abentheuerliche Simplicissimus , der Landstörzer Gußmann , die Dianea , die deutsche Argenis , und andre mehr, sind auch bekannt und beliebt gewesen. Von einer andern Art ist die Fabel vom Eselkönig , eine wunderseltsame Erzählung, wie nämlich die Monarchei und Gubernement über die vierfüßigen Thiere geändert, das Königreich umgefallen, und die Kron auf einen Esel gerathen; von Adolph Rosen von Kreuzheim . Diese Fabel ist nämlich satirisch und politisch. Schochs philyrenische Kriegs- und Friedensschäferey, ist die Historie des dreyßigjährigen Krieges in Meißen, nach Schäferart eingekleidet. Was soll ich von der aus dem Französischen übersetzten Clelia , und Prinzessinn von Cleve sagen? Den Don Quixote haben wir gleichfalls schon im vorigen Jahrhunderte, und vor etwa 20 Jahren von neuem übersetzet bekommen. Alle andere Romane aber übertreffen, an der Größe und Würde ihres Urhebers, Herzog Anton Ulrichs zu Braunschweig, Octavia und Aramena . Nechst ihnen sind Buchholzens deutscher Herkules mit seiner Valiska , sein Herkuliskus und Herkuladisla, imgleichen Lohensteins Arminius und Thusnelda, zu merken: denen ich noch Zieglers asiatische Banise beyfügen muß. Von allen eine Kritik zu machen, das würde mich hier zu weit führen; noch weiter aber, wenn ich alle übrige deutsche Romane in ein Verzeichniß bringen wollte, die der fruchtbare, obwohl nicht allemal ordentliche Witz unserer Landsleute zum Vorscheine gebracht. Es ist Schade, daß die meisten ohne Regeln und Ordnung, auch mehrentheils in einer schwülstigen und unrichtigen Schreibart abgefasset worden. Doch wäre es eine nicht ganz unnütze Arbeit, wenn irgend ein Liebhaber davon ein vollständiges chronologisches Verzeichniß aller deutschen Originale sammlen und bekannt machen wollte. 21. §. Um aber meine Leser in den Stand zu setzen, daß sie selbst von den vorkommenden Romanen urtheilen können; so will ich ihnen folgende Regeln an die Hand geben. Was den Inhalt anbetrifft, so darf zum I. ein Roman eben nicht nach Art der Heldengedichte, einen berühmten Namen aus den Geschichten haben. Denn Liebesbegebenheiten können auch Leuten aus dem Mittelstande begegnen, und auch diese können durch falsche Namen noch verstecket werden. Indessen schadet es nicht, daß man in der Geschichte einen berühmten Held wählet, um seine Erzählungen desto wichtiger zu machen. So haben es Lohenstein mit dem Arminius, Plüche mit dem Sethos, Ramsay mit dem reisenden Cyrus , die Urheber der Ruhe des Cyrus und des Memnons , und Prevot D'EXILES mit dem Cleveland , Cromwells Sohne, gemacht. Diese letztern Bücher sind die besten Romane, die in neuern Zeiten geschrieben worden. Die Ursachen sind leicht zu sehen; denn wenn man dergestalt einen bekannten Helden hat, dessen Begebenheiten mit andern Geschichten seiner Zeiten in eine Verbindung kommen: so erlangt der Roman einen weit größern Grad der Wahrscheinlichkeit, als wenn man lauter erdichtete Namen nennet. Wie aber der Verfasser dadurch viel Stoff und Hülfe zu seinen Erdichtungen bekömmt: also muß er auch in den Alterthümern, oder Geschichten damaliger Zeiten sehr geschickt seyn, um nichts zu dichten, das bekannten Sachen widerspricht. Er muß aber auch die Charactere der Personen nicht verändern. Denn in diesem Falle gilt Horazens Regel auch von dem Romanschreiber, die wir oben a.d. 22 u.f.S. angeführet haben. Gesetzt aber, daß man auch lauter erdichtete Personen aufzuführen hätte: so ist gleichwohl die Regel zu beobachten; daß man sich genau nach den Sitten der Zeiten, der Oerter, des Standes, Geschlechtes und Alters seiner Personen richten müsse. Diejenigen Romanschreiber sind also sehr verwerflich, die allen Personen die Sitten ihrer eigenen Zeit, ihres Landes, und ihres Standes geben. In der Banise sollten asiatische, in der Octavia römische, im Arminius deutsche Sitten herrschen. Allein wie oft ist dawider gefehlet worden? Wie oft läßt Lohenstein seine alten Helden, wie belesene Schulmeister reden? Und ist nicht Zieglers Prinz Balacin ein so hochtrabender Sophist, als ob er aus Christian Schröters Schule entlaufen wäre? 22. §. Was nun II. die Ordnung der romanhaften Erzählung betrifft, so ist die einfältigste die historische, der Zeit nach: wie Homer die Ilias, Ramsay den Cyrus, Exiles den Cleveland , u.s.w. beschrieben hat. Allein die poetische ist weit künstlicher, die ebenfalls Homer in der Odyssee, Virgil in der Aeneis, Heliodor im Theagenes, Fenelon im Telemach, und Ziegler in der Banise beobachtet haben. Hier führt der Dichter seinen Leser gleich in die Mitte der Geschichte, und holet im folgenden das vorhergegangene nach; indem er es von jemanden erzählen läßt. Dadurch kann auch ein Poet den Umfang seiner Geschichte verkürzen, die ihn sonst zu weit führen würde. Denn ungeachtet man einem Roman solche enge Gränzen nicht setzet, als einer Epopee; so soll er doch kein Lebenslauf werden. Und dieses giebt die III. Regel an die Hand: daß nämlich der Roman nicht von der Wiege bis ins Grab gehen; sondern nur eine Haupthandlung des Romanhelden, nebst allem, was dazu gehöret, erzählen solle. Auch darinn darf ein Roman dem Heldengedichte nicht gleich kommen, daß er den wunderbaren Einfluß der Götter, oder Geister, Hexen, u.d.m. nöthig hätte. Diese Stücke würden ihn mehr verunzieren, weil sie ihn unglaublich machen würden. Denn wer machet sich wohl viel aus den arabischen Geschichten, Tausend und eine Nacht; den französischen CONTES DE FÈES, oder Hexenmährchen, Prinz Titi u.d.gl. m.? Endlich IV. was die Schreibart betrifft, so ist zwar lange in Deutschland die Mode gewesen, sie recht poetisch, wie man glaubte, d.i. schwülstig und hochtrabend zu machen; wie Arminius , die Banise , und unzähliche andre die Proben geben. Allein eine natürliche Art zu erzählen, die der Vernunft und Wahrheit gemäßer ist, machet einen weit größern Eindruck in den Gemüthern, als ein so gefirnißter und gleißender Ausdruck; der insgemein die Schwäche seines Urhebers verräth. Je näher also die Schreibart in Romanen der historischen kömmt, desto schöner ist sie: und sie bleibt darum doch aller Schönheit fähig, die ein geläuterter Witz, und eine feine Sprache, wohlausgearbeiteten Schriften, z.E. dem Sethos , und der Ruhe des Cyrus geben. Schlüßlich muß ich noch V. erinnern, daß ein guter Roman auch den Sitten keinen Schaden thun muß. Die Liebe kann, nach Heliodors Exempel, auch eine unschuldige und tugendhafte Neigung seyn. Dieses zeiget auch das Exempel der Pamela in neuern Zeiten: ja selbst diese ist vielen Kunstrichtern noch nicht von allen Buhlerkünsten frey genug. Wie unzählich vielen Romanen wird durch dieß Urtheil nicht der Stab gebrochen! Fußnoten 1 Wo sehr viele Kram- und Buchläden anzutreffen, sind, vor welchen die Käufer von Büchern urtheilen. 2 Er schreibt: MI PAR, DI PÓTER DIRE, CHE QUESTA FORTE DI POESIA HABBIA HAVUTA LA PRIMA ORIGINE ET IL PRIMO PRINCIPIO, DA FRANCESI: DÀ IL QUALI HA FORSE ANCO HAVUTO IL NOME. DA FRANCESI POI É PASATA QUESTA MANIERA DI POETAGGIARE A GLI SPAGNUOLI, E ULTIMAMENTE E STATA ACCETTATA DA GLI ITALIANI. 1. 6. Von heroischen Lobgedichten Des I. Abschnitts VI. Hauptstück. Von heroischen Lobgedichten. 1. §. Wenn man vollständige Ausgaben vom Homer, z.E. Schrevels seine, nachschlägt, so findet man verschiedene Lobgedichte, unter dem Namen Ὑμνοι, auf die heidnischen Götter, z.E. auf den Apollo und Merkur, auf die Venus, den Bacchus, und den Mars, imgleichen auf den Pan, die Diana, und Pallas, u.s.w. Es kann seyn, daß einige von diesen Stücken nicht ganz unstreitig vom Homer herrühren; wie denn die Kunstrichter an vielen zweifeln. Alle miteinander aber, demselben abzusprechen, halte ich die Gründe nicht für zulänglich: weil wirklich sowohl die Art zu denken, als der Ausdruck, den übrigen homerischen Schriften so nahe kömmt; daß schwerlich ein anderer ihn so genau hätte nachahmen können. Diese Gedichte nun haben mit den obigen epischen viel ähnliches. Denn ungeachtet sie bey weitem so lang nicht sind, als jene: so sind sie doch auch nicht eben so gar kurz. Z.E. das Lobgedicht auf die Venus , ist so lang, als die Batrachomyomachie, das ist auf die 300 Verse: das auf den Apollo, enthält nah an sechstehalb hundert, und das auf den Merkur, 575 Verse. Die Versart, die er darinn beobachtet, ist auch die heroische; denn sie bestehen aus lauter Hexametern. Der Inhalt ist auch größtentheils episch, das ist erzählend; indem er die Geburt, die Erziehung, und die Thaten seiner Götter, und was sonst vor Alters von ihnen geglaubet ward, erzählet. Endlich kommen diese Lobgedichte auch darinn mit den epischen überein, daß er in etlichen die Musen anruft, ihm beyzustehen. Z.E. in dem, auf den Merkur , heißt es gleich anfangs: Ἑρμην ὑμνει Μουσα Διος και Μαιαδος ὑιον ETC. MERCURIUM LAUDA MUSA, JOVIS AC MAJÆ FILIUM ETC. Und das auf die Venus, hebt so an: Μουσα μοι ἐννεπε ἐργα πολυχρυσου Ἀφροδισης ETC. MUSA MIHI DIC OPERA AUREÆ VENERIS ETC. Diese Aehnlichkeit veranlasset mich, von dieser Art von Gedichten, gleich nach den obigen zu handeln. 2. §. Es erhellet auch, ohne mein Erinnern, von sich selbst, daß diese Gedichte von den Oden gänzlich unterschieden sind. Weder die kurze Versart, noch die Abtheilung in Strophen, noch die Kürze der Oden, schicket sich zu diesen großen Lobgedichten: am allerwenigsten aber würde sich der erzählende fast historische Inhalt, den diese erfodern, zu den Oden schicken, die ihn, so viel als möglich ist, fliehen müssen. Man darf also nicht denken, daß ich die Arten der Gedichte ohne Noth vervielfältige: zumal da eine Menge neuerer Dichter dem Homer hierinn gefolget sind, daß sie eine Menge Lobgedichte auf Götter und Helden geschrieben haben, die man unmöglich zu Oden machen kann. Von den Griechen zwar sind uns, außer dem Kallimachus , wenige von dieser Art übrig geblieben. In der großen Sammlung griechischer Dichter, die 1614. bey Petern DE LA ROVIERE, in Fol. herausgekommen, trifft man kein einziges Stück an, welches genau von derselben Art wäre. Lykophrons Cassandra , scheint dem Inhalte und der Absicht nach, hieher zu gehören: allein es ist selbige nicht in heroischen, sondern jambischen Versen geschrieben, auch in einer so verstrickten, dunkeln und schwülstigen Schreibart abgefasset, daß man sie gar nicht loben kann. Die zehn Hymni des Synesius , sind eben sowohl als des Gregorius von Nazianz Lieder, mit besserm Rechte Oden zu nennen: weil sie in den kürzesten Versarten, nicht aber in heroischen Versen abgefasset sind. Johann von Damascus , hat die Theogonie auch in Jamben besungen; Maximus Margunius aber seine Hymnos gar in anakreontischen Versen geschrieben. Endlich sind auch des sogenannten Johannis Geometrä Hymni , auf die Jungfrau Maria; nicht in heroischen Versen, sondern als Elegien abgefasset. Es bleibt mir also der einzige Kallimachus übrig, der auf eben den homerischen Schlag, Hymnen auf den Jupiter und Apollo , die Diana und Ceres , und auf die Insel Delos gemachet. Auf das Bad der Pallas aber hat er sein Loblied als eine Elegie eingerichtet. Indessen finden wir sonst Nachrichten genug, daß alte Dichter Götter und Helden auf diese Art besungen: wie z.E. dem großen Alexander, Chörilus , obwohl in sehr schlechten Versen, dergleichen Ehre erwiesen hat; nach Horazens Zeugnisse: LIB. II. EPIST. 1. GRATUS ALEXANDRO REGI MAGNO FUIT ILLE CHŒRILUS, INCULTIS QUI VERSIBUS, ET MALE NATIS, RETULIT ACCEPTOS REGALE NUMISMA PHILIPPI. Selbst Aristoteles soll auf den Hermias ein solch Lobgedicht geschrieben haben, das sich angefangen: Ἄγνε θεῶν, πρεσβεύτ᾽ ἑκατήβολε ETC. SANCTE DEUM, LONGEQUE SENEX JACULANS ETC. 3. §. Wenn wir auf die Lateiner kommen: so hat schon in alten Zeiten ein Ennius dergleichen heroische Lobgedichte gemacht: davon wir aber nur unvollkommene Stücke übrig haben. Um Cicerons Zeiten schrieb Catull seine ARGONAUTICA, ein heroisches Gedicht, das gleichsam einem Virgil den Ton angab, wie die lateinische Epopee klingen müßte. Selbst der CULEX dieses Dichters, gehört unter diese Zahl, weil er nicht scherzhaft genug war, unter die komischen Heldengedichte gezählet zu werden. Tibull besang den Messalla, in einem sogenannten Panegyricus. Darauf folgte Petronius , der uns in seinem Satiricon eine Probe gab, wie der Bürgerkrieg in Rom heroisch beschrieben werden müßte: ORBEM JAM TOTUM VICTOR ROMANUS HABEBAT ETC. Claudians Ruffinus , und Eutropius , imgleichen seine Bücher, DE BELLO GILDONICO und GETICO, wider den Alarich ; seine Consulate des Honorius, Mallius, Probinus , und Olybrius ; seine LAUDES STILICONIS, und seiner Gemahlinn Serena , u.s.w. gehören auch hieher. Ich übergehe, was in den SILVIS des Statius für Stücke von dieser Art vorkommen: sie mögen nun zuweilen auf Todesfälle, oder auf andere Gelegenheiten gerichtet seyn, dabey man das Lob eines Großen, eines Freundes oder Blutsverwandten besingen kann. Im X. Jahrhunderte, und also mitten in der barbarischen Finsterniß des Occidentes, hat HROSWITHA, eine gelehrte Klosterjungfrau zu Gandersheim, eine PANEGYRIN ODDONUM, das ist, ein heroisches Gedicht auf die sächsischen Kaiser, die Otten verfertiget: anderer geistlicher Stücke, die auf eben die Art geschrieben sind, zu geschweigen. Ich würde noch den Joseph Iscanius hieher rechnen, der im XIII. Jahrhunderte den trojanischen Krieg in VI. Büchern heroischer Verse beschrieben hat: wenn er nicht für diese Classe von Gedichten zu groß und episch wäre, und also vielmehr unter die SCRIPTORES CYCLICOS, oder fehlerhaften epischen Dichter zu zählen wäre; die sich ganze lange Historien, nicht aber einzelne Thaten großer Helden, in Versen zu beschreiben vorgenommen haben. Dieser nämlich beschreibt erstlich der Argonauten Zug nach Kolchis, hernach den Raub der Hesione , durch den Herkules , dann das Urtheil des Paris , den Raub der Helena , der Griechen ihren Zug wider Troja , den Tod der Zwillinge, Castor und Pollux etc. etc. bis ans Ende des ganzen Krieges. 4. §. Wollten wir auf die neuern lateinischen Dichter kommen, und dieselben alle erzählen, so möchte mir ihr Verzeichniß zu groß werden. Doch will ich etliche nennen, die vor andern einen Vorzug verdienen. Ulrich von Hutten , ist einer von den ersten in Deutschland gewesen, die sich in dieser Art von Gedichten hervorgethan. In der straßburger Ausgabe seiner poetischen Werke von 1538. in 8. finde ich erst auf die Fischerey der Venediger, ein heroisches Gedicht; weit größer und schöner aber ist das, worinn er zeiget, daß Deutschland von seinem alten Ruhme nichts verlohren, GERMANIA NON DEGENER. Sein TRIUMPHUS CAPNIONIS, und der PANEGYRICUS auf den Erzbischof, Albrecht zu Maynz , sind noch weit wichtigere Stücke, die allerdings viel Lob verdienen. In den Gedichten der beyden Italiener Strozza , die beym Aldus Manutius, ohne Meldung der Jahrzahl in 8. gedruckt worden, stehen außer der VENATIONE AD DIVAM LUCRETIAM BORGIAM, FERRARIÆ DUCEM, auch verschiedene EPICEDIA, auf fürstliche und andere Personen in heroischer Schreibart, die vortrefflich gerathen sind. Sogar Joh. Secundus hat seine sonst zärtliche Muse ein paarmal verlassen, um etwas heroisches zu versuchen, als er theils den Tod eines französischen Delphins, König Franz des I . Erbprinzen, theils die REGINAM PECUNIAM besungen. Des berühmten Dichters, Ge. Sabins, Gedichte, die 1563. hier in Leipzig bey Vögelin in 8. gedruckt worden, enthalten auch, auf die Vermählung des pohln. Königs, Sigismund Augusts , mit einer kaiserlichen Prinzeßinn, ein treffliches Stück von dieser Art. Was soll ich von Frischlins heroischer Muse sagen, welche eine wirtembergische Hochzeit, u.a.m. dergestalt besungen hat? Was von des Elias Corvinus Gedichten, die gleichfalls mit Vögelins Schriften 1568. gedruckt worden, und deren erstes Buch lauter heroische Sachen enthält. Pantaleon Candidus hat seine Bohemais , auf alle böhmische Herzoge und Könige; imgleichen seine Gothiberis , auf die gothischen Könige in Spanien, 1587. zu Straßburg in 4. ans Licht gestellet. Im folgenden Jahrhunderte würde es noch schwerer fallen, alle lateinische Dichter dieser Art zu nennen. Doch will ich ein paar nennen, die mir aus Liebe zu meinem Vaterlande gefallen haben. Der erste ist Christoph Kaldenbach , ein Schlesier, dessen Gedichte 1651. und also eben vor 100 Jahren zu Braunsberg in Preussen in 12. herausgekommen; daraus seine AQUILA, CUPRESSUS, und die BORUSSA PHILÆNIS hieher gehören. Der zweyte aber Joh. Augustin Fasch , der im Anfange dieses Jahrhunderts, seine PRUSSIAM TRIUMPHANTEM in 3 Büchern zu Helmstädt in 4. ans Licht gestellet. Alle diese haben sich als starke heroische Lobdichter erwiesen; ohne jedoch andern ihr Verdienst hiedurch im geringsten abzusprechen. 5. §. Da ich nun dergestalt auf die Deutschen komme, die, wie in andern Stücken, also auch in diesem, in die Fußtapfen der Alten getreten, so muß ich zum voraus erinnern: daß sie im Anfange unserer ältesten Poesie zwar solche große Lobgedichte, aber nicht in langen Versen gemachet. Das EPINICION, oder Siegeslied, auf die von König Ludewigen geschlagenen Normannen, welches uns Schilter zuerst ans Licht gestellet, ist aus dem IX. Jahrhunderte, und gehört unstreitig zu dieser Art. Allein man liebte damals nur kurze Verse; die so heroisch freylich nicht klingen, als die sechsfüßigen. Doch ist man lange bey dieser Art geblieben, und hat sonderlich nach dem XII. Jahrhunderte sehr viel solche Lobgedichte auf Kaiser, Fürsten und Herren, ja wohl gar auf göttliche und geistliche Dinge gemachet. Eins davon hat uns Opitz , unter dem Titel, RYTHMUS DE SANCTO ANNONE, ARCHIEPISCOPO COLONIENSI, ans Licht gestellet, daraus ein guter poetischer Geist hervorleuchtet. Was davon noch in Handschriften vorhanden ist, werde ich in meiner Geschichte der deutschen Sprachkunst und Poesie ausführlich erzählen. Wollte ich indessen alle Geschichte in Reimen hier namhaft machen, so müßte ich sowohl Ottokars von Horneck österreichische Historie, die P. Petz im III. Bande seiner Sammlung von Geschichtschreibern ans Licht gestellet, als Hansen des Enenkels Fürstenbuch anführen; welches 1618. zu Linz, und abermal 1740. in 8. gedruckt worden, also nun schon über 500 Jahre alt ist. Ferner müßte ich eines Ungenannten Leben der heil. Elisabeth , Landgräfinn von Thüringen, das in Menkens SCRIPT. RER. GERM. T. II. steht, und endlich MARESCHALCI THURII Geschichte der meklenburgischen Herzoge anführen, das in der westphälischen Sammlung enthalten ist. Allein magere Geschichte sind keine Gedichte, und gehen uns also nicht sonderlich an. Mit weit besserm Rechte gehören Matthias Holzwarts von Harburg Lustgart neuer Deutscher Poeterei, zu Ehren dem fürstlichen Hauß Würtemberg; und Frischlins von Beyern , verdeutschte würtembergische Hochzeit hieher: deren jene 1568. in Fol. diese aber 1578. in 4. ans Licht getreten. Wir wollen aber die Zeiten vor Opitzen , immer vorbey lassen, und uns nur um diejenigen Dichter bekümmern, die seit der durch ihn verbesserten deutschen Dichtkunst, sich durch deutsche heroische Gedichte gewiesen haben. 6. §. Unter diesen nun, steht sonder Zweifel Martin Opitz selbst oben an. Sein Lobgedicht auf König Vladisla in Pohlen, ist schon längst von allen unsern Kunstrichtern für ein Meisterstück gehalten worden. Er hebt so an: Der Höchste lebet ja, es wallet sein Gemüthe, Noch vor Barmherzigkeit und väterlicher Güte; Er lenket deinen Sinn, dem seiner günstig ist, Daß er, o Vladislav, für Krieg die Ruh erkiest, Und Langmuth für Geduld. Die falschen Herzen klagen; Die guten freuen sich, daß du nicht ausgeschlagen, Der Waffen Stillestand; und daß dein Sinn, o Held! Den Frieden höher schätzt, als etwas in der Welt, Das mit der Welt vergeht. Die, so vorhin durch Kriegen Nach Ewigkeit gestrebt, und längst begraben liegen, Sind selbst vermuthlich froh, daß itzund durch Verstand Und Glimpf erworben wird, was ihre strenge Hand Zu schaffen, nie vermocht. Herr! dieses thun die Gaben, Damit dich die Natur und Gott bereichert haben. O du, des Himmels Wunsch, der Völker Trost und Zier! Du scheuest keinen Streit; doch nimmst du itzt dafür, Was auf den Streit erfolgt. Sonst bist du zwar gebohren Zu aller Tapferkeit, zum Strengeseyn erkohren, Zu kämpfen angewöhnt. Du kömmst von Leuten her, Die häufig vor der Zeit durch ihr so kaltes Meer Mit heißer Brunst gesetzt; und Rom, den Zaum der Erden; Der Völker Königinn, gezwungen, zahm zu werden, Zu tragen fremdes Joch; von Leuten, derer Macht Noch bis auf diese Zeit in ihren Gliedern wacht; Die nach der Ehre mehr, als nach dem Leben fragen etc. Daß aber Opitz , ausdrücklich die Alten in ihren Hymnis nachzuahmen gesuchet, das hat er durch seinen Lobgesang des Kriegsgottes und des Bacchus erwiesen, den er aus des Daniel Heinsius holländischer Urschrift verdeutschet hat. Ja als ein Christ, hat er uns auch einen Lobgesang Jesu Christi geliefert; aber allemal, anstatt der Hexameter, die sechsfüßigen Jamben gebrauchet, worinn ihm fast alle unsere Dichter gefolget sind. Sein nächster Nachfolger war Paul Flemming , ein Meißner, der in der heroischen Schreibart so stark war, daß ihn auch Morhof zu einer Epopee für geschickt gehalten. Sein Gedicht auf das Leiden Christi, giebt eine von den stärksten Proben davon ab: wiewohl er deren noch mehrere, sonderlich im II. B. seiner poetischen Wälder, an Olearien und Grahmannen , und an die fürstlichen holsteinischen Gesandten verfertiget hat. Nun folgte Simon Dach , ein Preuße, der sowohl auf seine Landesherren, Georg Wilhelmen und Friedrich Wilhelmen , als auf andere fürstliche Personen, bey Einzügen und Beylagern; imgleichen auf das hundertjährige Jubelfest der Stadt Tilsit , und die Erbauung einer neuen Kirche in Königsberg, seine Stärke in der heroischen Dichtart gewiesen. Martin Kempe , übte seine heroische Feder zwar mehrentheils in geistlichen Materien; doch setzte er auch das Lob der Unsterblichkeit , und wagte dabey eine Neuerung: indem er es in fünffüßigen Jamben aufsetzte, da sich die erste und vierte Zeile reimet; die fünfte und sechste aber wieder zusammen gehören. Da er nun dieses durchgehends beobachtet, so wollte ichs lieber für eine Ode halten; die aber dergestalt 100 sechszeilige Strophen lang seyn würde. Auch Just Sieber , hat sowohl in seiner Margenis , über den westphälischen Frieden, als in seiner Adelinne über das Lob des Adelstandes, und auf Herrn von Oppeln, der ihn zum Dichter gekrönet hatte, u.s.w. seine Stärke in dieser Art gewiesen. Johann Frankens Susanna gehört auch hieher. Und was soll ich von Neumarken sagen, der in seinem poetisch historischen Lustgarten, den sieghaften David , in der langen trochäischen Versart, die recht heroisch klinget; imgleichen die verständige Abigail , die erhöhete Fryne Bozene , die Kleopatra und Sophonisbe , mit lauter heroischen Gedichten besungen hat. 7. §. Dieß waren nun Dichter des vorigen Jahrhunderts, die das itzige nicht erlebet haben, und also zu den alten gehören: die noch nicht die völlige Reinigkeit und Lieblichkeit erreichet hatten, welche ein feinerer Geschmack dem itzigen Jahrhunderte verliehen. Hier habe ich nun vier große Dichter zu nennen, die alle ihre Vorgänger weit übertroffen haben. Der erste war Besser , die Ehre des königl. Preussischen Hofes, bis er in seinem Alter denselben verließ, und in Dresden seine Zuflucht fand. Wie er unter Friedrich Wilhelmen dem Großen, und Friedrichen dem I. ein Augenzeuge großer Thaten war: also konnte es ihm an Gelegenheiten nicht fehlen, seine Stärke in heroischen Gedichten zu zeigen. Aus seinem Lobgedichte auf den ersten, haben wir nur ein Stück, welches die Beschreibung der Warschauer Schlacht enthält, durch welche sich der große Churfürst den Weg zu der höchsten Oberherrschaft von Preußen, und seinem Nachfolger zur königlichen Krone gebahnet. Dieses Stück aber zeiget uns eine große Stärke des Dichters in dieser Schreibart. Es hebt so an: Der flüchtge Casimir, der ersten Furcht entstrickt, War wieder in sein Reich aus Schlesien gerückt: Indeß daß groß und klein, bis auf die Tartarhorden, Für ihn und seinen Thron, war aufgebothen worden. Mit diesen lag er erst bey Warschau an der Stadt; Doch weil zu große Macht auch große Kühnheit hat: War er den Weichselstrom diesseits herüber gangen, Uns desto schleuniger im Anmarsch zu empfangen. Fast hundert tausend Mann bedecketen das Feld: Sie hielten gegen uns als eine halbe Welt. Wie man die Kranche hört bey ihren Zügen girren, Und in der Sommerszeit die reifen Saaten schwirren: So rasselte der Klang von Pferden, Schild und Spieß, Den diese große Schaar von weitem hören ließ. Wie alles stäubt und bebt bey Ankunft einer Heerde: So schwärzte sich die Luft, und zitterte die Erde; Als dieser Völker Trifft, und deren Hinterhalt, Auf unsre Läger drang mit stürmischer Gewalt. Sechs gegen einen Arm, so sollten unsre kämpfen; Ja was man hört und sah, schien uns den Muth zu dämpfen. Des Feindes Grausamkeit; die ungeheure Tracht, Von Häuten und von Filz in eine Form gebracht; Die theils mit Gold und Stahl gepanzerten Husaren: Das große Feldgeschrey und Lermen der Barbaren, So sie aus aller Macht aus Erzt und Horn erweckt, Hätt' auch die Tapfersten bey andern abgeschreckt etc. Eben das bestärket die Beschreibung der Schlacht bey Fehrbellin, worinn die Schweden aufs Haupt geschlagen wurden, imgleichen die Bombardirung von Stettin. Allein nicht weniger erweiset solches die Danksagung des befreyten Unterrheins, an Churfürst Friedrichen den III. und das Verhängniß getreuer Liebe, womit er seine Kalliste beehret hat; wiewohl in dem letzten die Traurigkeit durchgehends herrschet. 8. §. In Neukirchs Gedichten, die ich selbst ans Licht gestellet habe, ist das auf den Tod der Königinn Sophie Charlotte , imgleichen sind etliche Lobgedichte auf den König sehr hoch zu schätzen; darinnen er nämlich die ungetrennten heroischen Verse gebrauchet hat. Das erste hebt so an: Ihr Musen! die ihr mich, der Preußen Held zu singen, Oft glücklich angefeurt, helft meine Feder zwingen, Und führt sie von der Höh', nach der ich lüstern bin, Von Friedrichs Siegesbahn zu seinen Thränen hin! Sein unerschöpfter Muth ist weit genug erklungen, Seit dem ihm Noth und Recht die Waffen abgedrungen, Dem Franzen schüttert noch die kaum erlaufne Haut, Wenn er auf Schwabens Feld betrübt zurücke schaut, Und an den Tag gedenkt, da Ludwigs große Thaten Mit Schrecken in die Nacht der Finsterniß gerathen, Und auf einmal verlöscht. Was Preußen da gethan, Das zeigen, schweig ich gleich, viel andre besser an. Dießmal betracht ich nicht, wie unser König blitzet, Wann ihm der Feinde Trotz, der Freunde Schmach erhitzet; Nein! sondern, wie er selbst halb todt darnieder liegt; Und dennoch über Tod und auch sich selbsten siegt. Charlott', ach! kann ich auch dieß große Wort noch sprechen? Charlotte liegt erblast: und unsre Augen brechen Zugleich vor kalter Angst. Wir sehen nichts, als Nacht: Und gleichwohl sehen wir Europens Zierd' und Pracht, Des größten Helden Lust, der Damen Preis und Krone, Das mütterliche Haupt von einem Königssohne, Minervens Ebenbild, der keuschen Liebe Sitz, Und alles, was jemals, Natur, Verstand und Witz Nur herrliches gezeugt, nur schönes kann erdenken, Ins Haus, ins schwarze Haus der bleichen Schaar versenken. Ach! leider! allzuviel! zuviel auf einen Schlag! Wer ist, der unsern Schmerz nur halb ergründen mag? Und wer, der recht beschreibt, was unser König fühlet? Wie dort, Euridice! dein Orpheus gespielet, Wenn er des Morgens schon mit seiner Zitter Klang; Wenn er des Abends noch von deiner Liebe sang; So sieht man Friedrichen sich um Charlotten quälen: So hört man seinen Mund ihr reiches Lob erzählen etc. Sein übersetzter Telemach , gehört ins Fach der Epopeen, und ist nur übersetzet. 9. §. Nächst ihm ist ferner auch Amthor ein trefflicher heroischer Dichter gewesen, der ihn an erhabenen Gedanken und Ausdrückungen fast noch übertroffen hat. Diejenigen Stücke, womit er 1713. den königl. Dänischen Sieg über das Steenbockische Heer, und den Geburthstag Königs Friedrichs des IV. gefertiget, zeigen seine ganze Stärke. Großmächtigster, so ists! vor deiner Waffen Blitzen Kann in die Länge doch allein der Oelzweig schützen! Der ungezähmte Feind entsagt dem starren Sinn, Und legt den Lorber gern vor deinen Palmen hin: Vergnügt bey seinem Fall, daß er zu deinen Füssen Nur so gelinde mag den stolzen Frevel büssen; Und da sonst Noth und Tod ihm unvermeidlich sind, Er seine Rettung noch in deiner Gnade findt. Der Vortheil, den er kaum durch schnöde List errungen, Wird mit gerechtem Lohn ihm dreyfach abgedrungen, Und was durch seinen Schein der Schweden Muth erhub, War eben, was die Gruft zu ihrem Fehltritt grub. Die Trave mußte flugs den ungebahnten Rücken, Durch Kunst und Fleiß besiegt, vor ihrem Anzug bücken: Sie hielten Meklenburg für ihren Ruhm zu klein, Und schlossen die Begier in keine Gränzen ein. Umsonst trieb Boreas der Wolken starke Düfte, Den kalten Flockengraus, durch die bezognen Lüfte: Je tiefer sich der Frost in Tellus Schooß gelegt, Je mehr ward jedes Wuth erhitzt und angeregt. Ihr Eifer schlug so gar durch angehetzte Flammen, Mit fremdem Scheelsuchtstrieb in eine Glut zusammen, Die zwar den Stiftern hat Neronens Lust gebracht, Doch sie mit ihrem Dampf auf ewig schwarz gemacht. Ists möglich? hat der Neid zu diesem Brand gerathen? Erhält man so das Lob der alten Heldenthaten? Kann unbewehrtes Volk, nebst todtem Kalk und Stein, Auch wohl der Gegenstand beherzter Leute seyn etc. 10. §. Endlich folgt Pietsch , der sowohl in seinem Siege Karls des VI. über die Türken, in IV. Büchern, als in vielen andern Lobgedichten auf seinen König, und andere Großen, zur Gnüge bewiesen, daß er ein Meister in dieser heroischen Art, ja fast allein dazu gebohren gewesen. Z.E. auf Karl den VI. hebt er so an: Wo kämpft, wo siegt mein Karl? Ihr Musen führt mich hin! Ein kriegrisches Geschrey bewegt mir Geist und Sinn, Rückt den verwöhnten Fuß von unsern sanften Höhen, Ihr sollt auf Waffen, Blut und kalten Leichen gehen. Was fesselt mich und euch durch heimliche Gewalt? Wird mein erloschner Trieb auf blassen Körpern kalt? Will der geweihte Brand nicht meine Brust durchdringen; Und läßt mein Phöbus mir kein feurig Lied gelingen: So ruf ich dich, o Mars! um deine Flammen an, Wer weis, ob nicht ein Held mehr als die Musen kann. O Karl! ich sehe dich. Nun bin ich schon erhitzet! Wer glüht, wer brennet nicht, wo deine Rechte blitzet? O Karl! ich sehe dich, und deinen Muth zugleich. Wer nur an dich gedenkt, ist an Erfindung reich, Wie du an Thaten bist. Man darf sie nicht erst suchen, Und wenn man sie nicht findt, auf das Gestirne fluchen, Wie sich ein armer Geist mit kleinen Werken quält; Unsterblich großer Held! wer sich dein Lob erwählt, Wird stark durch deine Macht. Ein jeder darf sich wagen, Karl! Karl! man nennt dich nur, was kann man größers sagen? Sind die Triumphe nicht ein Anfang deiner Kriege? So fährest du auch fort, und endest mit dem Siege. Der Sieg hat nur bey dir die Flügel abgelegt, Und dein gegründtes Glück die Kugel nicht bewegt. Weil dieses aber nicht von ungefehr geschehen: So lässest du die Welt ein neues Schauspiel sehen, Greifst deinen Donner an, und häufest Streich auf Streich, Und häufest Sieg auf Sieg. Das ausgestreckte Reich, Das Achmets Zepter drückt, zieht alle Kraft zusammen; Doch du zertheilest sie mit schreckenvollen Flammen, Und zehrest alles auf, was dir entgegen zieht, Bis alles untergeht, bis alles vor dir flieht etc. Ich schweige noch von Wenzeln, Philandern , und dem Corvinus , als die jenen vieren nicht gleichzuschätzen sind. 11. §. Sollte ich nun ferner auch auf die itztlebenden Dichter fortschreiten: so würde ich noch viel berühmte Namen zu nennen haben, die sich in dieser Schreibart hervorgethan. Herrn Hofr. Trillers Prinzenraub, des Herrn von Scheyb Theresiade, Herrn D. Lindners tartarische Schlacht, des Herrn Secret. Stöckels Gedichte, auf die neulichen preußischen Siege in Schlesien und Böhmen, Herrn M. Pantkens Lobgedichte auf Ludewigen den Weisen, von Anhalt-Köthen, u.a.m. würden mir solche Stücke darbiethen, die ich unmöglich übergehen könnte. Allein die Nachwelt wird ihnen, und allen andern, die ich verschweige, auch ohne mich, Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Nur ein Paar von den verstorbenen, muß ich noch nachholen, die ich bald vergessen hätte, nämlich Günthern und Königen . Der erste hat viel Feuer, und edle Gedanken besessen, ein heroisches Gedicht recht gut abzufassen: wie man aus dem Lobgedichte auf den hochsel. König August sieht, welches er gleich darauf machte, als König ihn durch allerley Hofstreiche, um die Stelle eines Hofpoeten gebracht hatte. Dieß einzige Gedicht ist mehr werth, als alles, was König jemals geschrieben: allein es war zu spät; und wenn es gleich Kenner bey Hofe gegeben hätte, Günthers Verdienste recht zu schätzen. Indessen ist es nicht zu leugnen, daß die schmutzige Lebensart, darinn Günther sich, aus Armuth und böser Gewohnheit herumwälzete, auch in seine edelsten Gedichte allemal was niederträchtiges mit eingemenget: welches er vieleicht würde vermieden haben, wenn er bey Hofe hätte leben, und bessere Sitten lernen können. Königs Feder aber war viel zu steif und hölzern, und sein Geist viel zu schwer und kalt, als daß er sich zu dem heroischen Schwunge dieser Art von Gedichten hätte erheben können. Man darf nur sein Heldenlob, und hernach den August im Lager lesen: so wird man bald sehen, daß es unmöglich ist, ein Wohlgefallen an seinen Versen zu haben. Ihre Härte und Rauhigkeit benimmt allen seinen, zuweilen noch leidlichen Gedanken, den ganzen Werth: und eben daher ist es kein Wunder, daß sein I. Gesang vom August im Lager , zu Maclatur geworden; den Verfasser aber von der Fortsetzung abgeschrecket hat. 12. §. Aus Homers Exempel sehen wir, daß es bey Verfassung eines heroischen Lobgedichtes fürs erste rathsam sey, sich der langen Versart zu bedienen, die in jeder Sprache am prächtigsten klinget: ohne sie in gewisse Strophen abzutheilen; als welches sie den Oden ähnlich, und zu Gesängen machen würde. Die Epopee selbst hat in diesem Stücke nichts vor den Lobgedichten der Götter und Helden voraus: denn beyde sind an Wichtigkeit des Inhaltes einander gleich. Daher sagt Horaz : RES GESTÆ REGUMQUE DUCUMQUE ET TRISTIA BELLA, QUO POSSENT NUMERO SCRIBI, MONSTRAVIT HOMERUS. Könnten wir nun im Deutschen die Hexameter schon mit derjenigen Anmuth setzen, die dem Leser gefiele: so wäre es gar wohl erlaubt, auch Lobgedichte darinn abzufassen; wie Heräus solches auf Kaiser Karl den VI. versuchet hat. In Ermangelung dessen aber, haben unsere Vorgänger sich der sechsfüßigen Jamben mit ungetrennten Reimen, oder theils auch wohl der achtfüßigen Trochäen bedienet. Außer Neumarken , dessen ich oben erwähnet, hat auch Zesen , und noch in diesem Jahrhunderte Wenzel und Herr D. Lindner , solches mit gutem Erfolge gethan. Je prächtiger man nun den Wohlklang, und je reiner man das Sylbenmaaß in diesen Gedichten machen kann, desto besser wird es sie zieren: da hingegen ein gezwungenes, hartes Wesen dieselben sehr verstellet. Ferner lehrt Homers Beyspiel, daß man in solchen wichtigen Gedichten auch den Beystand einer Gottheit anrufen könne: zumal, wenn sie lang und weitläuftig gerathen. Dieses haben auch die meisten alten und neuern Dichter nachgeahmet; sonderlich, wenn sie ihre Arbeiten gar in etliche Bücher abgetheilet haben, so daß sie einigermaßen den Epopeen ähnlich gesehen. Allein auch hier haben die Anmerkungen statt, die im ersten Theile bereits davon gegeben worden. Ein christlicher Dichter thut besser, wenn er entweder den wahren Gott, oder den Geist Gottes, in geistlichen und sehr ernsthaften Materien; oder in weltlichen, die Wahrheit, die Tugend, die Großmuth, die Dankbarkeit, die Freundschaft, die Liebe, oder die Ehre anrufet; als wenn er immer bey der Muse Klio , oder Kalliope bleibt. Unsere Vorfahren haben dieses zwar gethan; und ich tadle sie deswegen nicht gänzlich: ob ich gleich sage, was besser ist. 13. §. Was nun den Inhalt solcher Gedichte betrifft; so muß zuförderst der, so jemanden loben will, wissen, was für Eigenschaften eigentlich ein wahres Lob verdienen: denn sonst läuft er Gefahr, auch scheinbare Laster als große Tugenden heraus zu streichen, und dadurch bey den Verständigen zum Gelächter zu werden; bey Unverständigen aber viel Schaden zu stiften. Zweytens muß man den Character derjenigen Person wohl kennen, die man loben will; damit man ihr nicht unrechte Eigenschaften beylege. Denn aus den allgemeinen Quellen der Lobsprüche solche Schmäucheleyen zu schöpfen, die sich auf hundert andere eben so wohl schicken, als auf den, welchen man nennet; das heißt kein rechtes Lob, sondern eine niederträchtige Lobesucht, Da keiner Weisheit Spur, Kein Salz noch Eßig ist, als bloß der Fuchsschwanz nur. wie Rachel sie beschreibt. Eine rechte Lobschrift muß sich ganz sonderbar auf denjenigen Helden schicken, den man lobt, und auf keinen andern gebraucht werden können. Es ist gratulantenmäßig, wenn man auf alle seine Gönner gleichsam einerley Verse macht; und ihre Gottesfurcht, Wohlthätigkeit etc. mit großem Geschreye erhebt. Eben so verächtlich ist der Kunstgriff, in dem Lobe eines neuern allemal einen alten Helden herunter zu machen. Venus muß nicht mehr schön, Alexander kein Held, Plato kein Philosoph, und Cicero kein Redner mehr seyn, wenn der Poet es so haben will. Oder man schmelzt gar alle große Leute des Alterthums zusammen, um einen einzigen Neuern daraus zu gießen: der doch gemeiniglich kaum werth ist, dem geringsten von jenen die Schuhe aufzulösen. Ein rechtschaffener Poet schämet sich dieser verächtlichen Schmäucheleyen, und lobet keinen, als von dem man was besonders zu sagen und zu rühmen weis. 14. §. Doch da die Gewohnheit es eingeführet hat, auf viele Leute Verse zu machen, wenn uns gleich keine solche ruhmwürdige Eigenschaften von ihnen bekannt sind: so bediene man sich des Kunstgriffes, den Pindar ersonnen hat; wenn er auf die Ueberwinder in den olympischen Spielen nicht viel zu sagen wußte. Er lobte etwa einen andern griechischen Helden oder Gott, oder handelte eine ganz andere Materie ab, die nützlich und angenehm war: zuletzt aber dachte er nur mit wenigen Worten an denjenigen, dem zu Ehren es verfertiget wurde. Diese Erfindung hilft uns zuweilen ganze Bogen füllen, ehe mans gewahr wird. Man erzählet bey Königen und Fürsten das Alterthum ihres Hauses, die Thaten ihrer Vorfahren, in Kriegs-und Friedenszeiten; oder man schildert überhaupt das Bild guter Regenten, Feldherren, oder anderer großer Männer ab. Man beschreibt Tugenden und entgegengesetzte Laster, so viel sich ohne Beleidigung dessen, den man ehren will, thun läßt. Die Gedichte werden auch eben dadurch für andere Leser erbaulicher, und kommen also eher bis auf die Nachwelt, als wenn sie lauter kalte Lobsprüche in sich halten. Zum wenigsten muß man hier und dar lehrreiche Ausschweifungen zu machen bedacht seyn; um dem Ekel der Leser zuvor zu kommen. Man sehe nur zu, daß man nicht gar zu weit gesuchte Materien ausführe; die sich auf keine andere Weise auf unsern Helden deuten lassen, als wenn man sagt: Doch, wo gerath ich hin? 15. §. Die Schreibart aller dieser Gedichte muß, nach Beschaffenheit der Sachen und Personen, davon sie handeln, bald prächtig und erhaben, bald sinnreich und nachdenklich, bald pathetisch, bald auch natürlich werden. Hofrath Pietsch hat in seinen meisten Gedichten eine so edle Art des Ausdruckes, und so erhabene Gedanken gebrauchet, daß er zu solchen Lobgedichten fast allein gebohren zu seyn geschienen: wie man unter andern aus seinem Gedichte auf den Grafen zu Waldburg, und dem langen Gesange auf den Prinzen Eugen sehen kann, der sich anhebt: O feuriger Eugen! der aber einer Ode ähnlicher sieht, als einem heroischen Gedichte. Opitz giebt in seinem Lobgedichte auf den König Vladislas, ein treffliches Muster einer edlen Einfalt des Ausdruckes. Er geht nicht auf Stelzen, sondern ist von Natur durch die Art seiner Gedanken erhaben. Er kennet die Pflichten eines Königes, und alles dessen, was ihn wirklich groß machet. Dieses schildert er nun so natürlich, daß er seinen Leser dahin reißt, und ihn in Bewunderung seines Helden setzet. Sein Herz, und nicht sein Witz scheint die Feder zu führen, wenn er lobet. Nächst ihm hat Neukirch in seinen Lobgedichten auf den König in Preußen die rechte Schreibart in seiner Gewalt gehabt. Auch er flößt lauter edle Bilder von seinem Helden ein: da hergegen König , wenn er den Augustus loben will, nur auf seine Stärke, große Nase, und starke Augenbraunen verfällt: gerade als ob solche Kleinigkeiten zu der Würde eines Königes etwas beytrügen. Auch das ist tadelhaft, wenn Dichter in ihren Lobgedichten auf Fürsten, nur ihre Kronen, Gold, Edelsteine, Purpur, Sammt, Trabanten, Pracht und Gefolge loben. Dieß sind Dinge, die zwar des Pöbels Augen blenden, aber keine wahre Größe zeigen. Ein Nero kann sie eben sowohl, als ein Titus und Trajan haben: aber diese wissen andere Mittel, sich ansehnlich und beliebt zu machen. Ein Dichter muß die Gedanken seiner Leser über die Vorurtheile des gemeinen Wahnes zu erheben, nicht aber darinn zu bestärken suchen. Man hüte sich endlich auch vor allen schwülstigen Ausdrückungen, in welche die lohensteinische Schule eine Zeitlang gerathen war; und wovon auch Neukirch in seiner Jugend angestecket gewesen. Eben deswegen habe ich aus der Sammlung seiner Gedichte, die ich ans Licht gestellet, alle die Stücke ausgeschlossen, darinn dieser böse Geschmack noch herrschete. 16. §. Doch ehe ich dieses Hauptstück schließe, muß ich noch etwas erinnern, was zu diesem und allen vorhergehenden Hauptstücken dieses andern Theiles gehöret. Es betrifft die Titel, die man zu seinen Gedichten machen soll. Hier fragt sichs nun, wie man dieselben einzurichten habe? Viele Leute lieben die gekünstelten oder hochtrabenden, das ist, die metaphorischen oder allegorischen Titel: und diese pflegen ihre vornehmste Erfindungskraft schon auf der Ueberschrift zu verschwenden. Neidhard hat eine Cantate gemacht, deren Titel dieser war: die mit blauen Adlersflügeln gen Himmel geflogenen güldenen Sonnen. Die Erfindung war aus dem Wappen desjenigen Grafen genommen, bey dessen Leiche dieses Stück zur Trauermusik dienete. Wer sieht aber nicht, wie ungereimt die Phantasie des Poeten gewesen, der das Herz gehabt, die blauen Flügel an die Sonnen zu setzen, um sie damit gen Himmel fliegen zu lassen? In andern Gedichten findet man eben solche Ausschweifungen: ja in ganzen Büchern der Poeten ist es nichts seltsames, daß man poetische Trichter, Helikone, Parnasse, Tempel, Altäre, Rosenblätter, Rosengebüsche, Cedern- Lor- bern- Myrten- und Cypressen-Häyne, Posaunen, Harfen, Glocken, Cymbeln, und warum nicht auch Schällen? von ihnen zu sehen bekömmt. 17. §. Allein, wenn ich die Wahrheit davon gestehen soll; so machen alle diese metaphorische Titel einem Buche kein sonderliches Ansehen. Die Alten haben ihren größten und besten Gedichten sehr einfache und schlechte Namen gegeben. Die Ilias und Aeneis, nebst allen Trauerspielen der Griechen, können genugsam davon zeugen. Andere kleine Werke, hießen auch schlechtweg, Ode, Idylle, Satire, Elegie, Schreiben, Sinngedichte, u.s.w. ohne ein großes Geprale von dem wunderwürdigen Inhalte solcher Stücke zu machen. Und in den neuern Zeiten, haben auch die besten Dichter sich solcher hochtrabenden Titel enthalten. Man sieht wohl, daß Opitz, Flemming, Kanitz, Besser, Philander und Günther sich aller dieser weitgesuchten Ueberschriften, sowohl in einzelnen Stücken, als in ganzen Sammlungen enthalten haben. Bey denen aber, die sich auf eine pralerische Art mit seltsamen Ueberschriften breit gemachet haben, hat es mehrentheils geheißen: QUID TANTO DIGNUM FERET HIC PROMISSOR HIATU? PARTURIUNT MONTES, NASCETUR RIDICULUS MUS. Man bleibe also bey einer ungezwungenen natürlichen Kürze in den Titeln seiner Gedichte; und halte fest dafür: daß es weit besser sey, wann hernach im Gedichte oder im Buche mehr enthalten ist, als man aus dem Titel vermuthet hätte; als wenn auf dem Titel mehr wäre versprochen worden, als der Poet im Werke selbst leisten gewollt oder gekonnt: NON FUMUM EX FULGORE, SED EX FUMO DARE LUCEM COGITAT, UT SPECIOSA DEHINC MIRACULA PROMAT. 1. 6. Von dogmatischen Gedichten Des I. Abschnitts VIII. Hauptstück. Von dogmatischen Gedichten. 1. §. Wir haben in dem ersten Hauptstücke des ersten Theils gesehen, daß die Dichter die ältesten Lehrer des menschlichen Geschlechtes gewesen; und daß also die Dichtkunst die Weltweisheit der rohen Völker abgegeben. Diesen Begriff bestätiget nichts so sehr, als die Betrachtung einer großen Menge von eigentlichen Lehrgedichten, die uns aus dem Alterthume übrig geblieben; und die uns H. Stephanus, unter dem Titel, POESIS PHILOSOPHICA, ans Licht gestellet. Nun leidet es zwar mein Raum hier nicht, von allen denselben zu reden: allein von den vornehmsten muß ich doch einige Nachricht geben, um die Regeln der dogmatischen Poesie daraus zu ziehen. Dieses wird zugleich deutlich zeigen, daß die Poeten nicht nur das Belustigen , sondern auch ganz eigentlich das Unterrichten ihrer Leser zum Zwecke gehabt: AUT PRODESSE VOLUNT, AUT DELECTARE POETÆ; AUT SIMUL & JUCUNDA, & IDONEA DICERE VITÆ: Aus den fabelhaften Gedichten allein wollen dieses einige Feinde der Dichtkunst, z.E. Le Clerc , noch nicht sattsam einsehen: wie denn dieser in seinen Parrhasianen die Poeten mit geschickten Kegelspielern vergleicht, und nicht begreifen kann, wozu sie einer Republik nütze wären. Siehe in der kritisch. Beytr. VI. B.a.d. 572. u.f.S. meine Uebersetzung, von dieser Abhandlung, nebst den Anmerkungen dazu. Allein aus den eigentlichen Lehrgedichten muß die Sache so deutlich ins Auge fallen, daß die Absicht der Dichter auch das eigentliche Lehren gewesen sey, und seyn könne: wie ich in der lateinischen Abhandlung, die ich vor der leipziger Ausgabe von des Card. Polignac, Antilucrez, deutlich erwiesen habe. Man sehe auch in der Geschichte der parisischen Akademie der schönen Wissenschaften VI. B. XII. Art. a.d. 132. u.f. S. was Racine daselbst sehr gelehrt von dieser Sache geschrieben hat. 2. §. Die allerältesten Gedichte dieser Art würden unstreitig die sybillinischen Orakel seyn: wenn es nur ausgemacht wäre, daß dieselben nicht in neuern Zeiten untergeschoben worden. Allein ihr Inhalt zeiget zur Gnüge, daß die noch vorhandenen Bücher derselben von denen ganz unterschieden sind, deren Livi us und andere Alten gedenken. Diese zielten nämlich zu Beförderung der Abgötterey, und des Heydenthums ab: dahingegen jene allenthalben das klare Christenthum im Munde führen; und auf den Götzendienst los ziehen. Zudem findet man, daß die wahren sybillinischen Bücher, die zu Rom bis auf des ältern Theodosius Zeiten, von den Zehnmännern zu Rathe gezogen werden mußten, unter dem Honorius vom Stilicon verbrannt worden: worüber denn die Heyden sehr bittere Klagen geführet. Rutilius Numatianus schreibt davon im XI Buche: NEC TANTUM GETICIS GRASSATUS PRODITOR ARMIS, ANTE SYBILLINÆ FATA CREMAVIT OPIS. ODIMUS ALTHÆAM CONSUMTI FŒDERE TORRIS; NISÆUM CRIMEN FLERE PUTANTUR AVES. AT STILICHO ÆTERNI FATALIA. PIGNORA LIBRI, ET PLENAS VOLUIT PRÆCIPITARE COLUS. Und wie ungereimt ist es nicht, zu glauben, daß die blinden Heyden, ein größeres Licht vom künftigen Messias gehabt haben sollten, als die Juden; denen die Propheten nur räthselhaft davon geweissaget. Die Sybille nennet ausdrücklich den Namen der Mutter Christi, Maria , und ihres Sohnes Jesus ; die ein Esaias nicht wußte. Kein Prophet hatte vorher gesaget, daß Jesus im Jordan getaufet werden würde: aber die Sybille weis es; ja sie setzet auch hinzu, die ganze Dreyeinigkeit werde sich dabey offenbaren. Wo bleibt nun noch die so berufene Dunkelheit der sybillinischen Schreibart; die sich in den vorhandenen Gedichten gar nicht findet? Ja dieser ihr Ausdruck ist nicht einmal recht griechisch, sondern wimmelt von Fehlern. Endlich zeiget der Inhalt, daß die Verfasser derselben allererst um die Zeit der Antoninen gelebet: ob gleich die vermeynte Sybille vorgiebt, sie sey mit ihrem Manne beym Noah im Kasten gewesen. S. den Vossius DE POETIS GRÆCIS CAP. I.a.d. 3. u.f.S. 3. §. Die heilige Schrift liefert uns also an dem Buche Hiobs, an den Sprüchen, und dem Prediger Salomons unstreitig die allerältesten Lehrgedichte, die nur vorhanden sind. Daß nämlich Hiobs Buch das älteste Stück der Schrift sey, bekennen alle Ausleger; und daß es poetisch geschrieben sey, gestehen sie gleichfalls; wenn man den Eingang davon ausnimmt. Doch so verschieden die Schreibart desselben klingt, so gewiß ist auch dieser poetisch; so gar, daß Josephus deswegen dieß Buch für ein episches Gedicht ausgegeben hat. Es würde sich auch so ziemlich zu dieser Classe rechnen lassen: wenn nicht die Zahl der Gespräche und moralischen Unterredungen, die Erzählungen bey weitem überträfe; als die nur im ersten und letzten Kapitel hauptsächlich vorkommen. Der Hauptinhalt ist also unstreitig dogmatisch; indem Hiob mit seinen Freunden von den Wegen der Vorsehung, von der Gerechtigkeit Gottes, von der Tugend und dem Laster, und von beyder Belohnungen und Strafen handelt. Seine Lehrart aber wird dadurch desto lebhafter, daß sie ganz dramatisch, oder gesprächsweise abgefasset ist. Kurz, es ist ein Meisterstück in seiner Art. Salomons Vortrag hingegen ist in seinen Schriften ganz davon unterschieden. Er redet lauter Sprüche, und drücket seine Sittenlehren sehr kurz aus: nicht anders, als ob er die Regel Horazens vor Augen gehabt hätte: QUIDQUID PRÆCIPIES ESTO BREVIS! UT CITO DICTA, PERCIPIANT ANIMI DOCILES, TENEANTQUE FIDELES. Dieses ist nun durchgehends im Oriente, bis nach China hin, die älteste Lehrart gewesen. In seinem Prediger suchet Salomon zwar hauptsächlich die Wahrheit zu behaupten, daß alles eitel sey: doch kommen noch viel andere vortreffliche Lehren vor, die er sehr rührend einzuschärfen weis. Wenn das Buch der Weisheit, und das Buch Sirachs poetisch abgefasset wären: so würde man sie ebenfalls in diese Classe rechnen können. Allein sie würden auch in neuern Zeiten, lange nach dem Hesiodus gehören. 4. §. Der älteste heydnische Lehrdichter bleibt also wohl Hesiodus , aus Cuma gebürtig, der um Homers und des Eumelus , eines andern Dichters Zeiten gelebet, in Ascra einem Flecken am Fuße des Berges Helikon erzogen, ja selbst ein Priester Apollons gewesen seyn soll. Ein großer Beweis seines Alters ist es, daß er selbst anmerket, das Gestirn Arkturus sey zu seiner Zeit in Böotien, den 8 März, ἀκρόνυχος aufgegangen: woraus Jos. Scaliger, in seinen Anmerkungen über den Eusebius beobachtet: man könne in Bestimmung seiner Zeit über siebenzig Jahre nicht fehlen. Er muß nämlich um die Zeit der ersten Olympiaden, oder um des Romulus Zeiten gelebet haben. Sein vornehmstes Werk, das hieher gehöret, sind seine Εργα και Ἡμεραι, wiewohl auch seine Theogonie , und sein Schild des Herkules zu dieser Classe gerechnet werden können. In dem ersten muntert er zuförderst den Perses zum fleißigen Ackerbaue auf; nachdem er ihn aus der Fabel vom Prometheus , dem Epimetheus , und der Pandora belehret: woher es komme, daß es dem Menschen itzo so sauer werde, seine Lebensmittel aus der Erde zu ziehen? Ferner lehret er diesen Freund, alle Tage im Jahre, daran gewisse Feldarbeiten, oder andere Beschäfftigungen eines Landmannes vorgenommen werden müssen: als welche Kenntniß in den alten Zeiten, ein großes Stück der allernützlichsten Weisheit der Menschen ausmachete. In der Theogonie lehret er seine Leser gleichsam den Ursprung aller Dinge, d.i. der Götter und der Welt nach seinem und anderer Weisen damaligen Begriffe. Es ist wahr, daß hier viel Fabeln mit vorkommen, die sich sehr schwer erklären lassen. Allein wer will es von seinen Zeiten fodern, daß sie eine bessere Einsicht gehabt haben sollen? Die Welt riß sich damals erst aus ihrer Rauhigkeit und Dummheit; darinn sie so viel Jahrhunderte begraben gelegen hatte. Es war also schon viel, daß es nur einige gab, die an solche erhabene Dinge zu denken anfingen, und auch andere auf solche Gedanken bringen konnten. 5. §. Ferner finden wir, daß Xenophanes, Parmenides , und Empedokles , der Sicilianer, von der Naturlehre in Versen geschrieben. Theognis hat schöne Sittenlehren in kurze Sprüche poetisch eingekleidet; Timon , der Phliasier, ein pyrrhonischer Weltweiser, und Kleanthes , des zittischen Zenons Nachfolger in der Schule, haben gleichfalls philosophische Gedichte geschrieben; und von diesem letzten habe ich oben im XII. Hauptstücke des I. Th. a.d. 404. und 405. S. eine Probe gegeben. Aratus , ein Sternkundiger, hat seine ganze Wissenschaft des Himmels in einem poetischen Werke vorgetragen; welches den samischen Aristarch , zweene Aristyllen , zweene Krates, zweene Eueneten , den Numenius, den magnesischen Pyrrhus , einen gewissen Thales , und den Zeno zu Auslegern, den Cicero aber zum Uebersetzer bekommen; wie wir noch in seinen Schriften finden. Unter dem Ptolomäus Auletes , oder dem Flötenspieler, lebte ein Alexander, der eine Kosmographie in Versen hinterlassen: und um Cicerons Zeiten lebte Philodemus , ein Epikurer und Dichter. Unter dem Nerva und Trajan , schrieb der Epheser Rufus sechs Bücher in heroischen Versen von Kräutern, wie Galenus erwähnet; und unter dem Antoninus blühete Marcellus Sidites , der die ganze Arzneykunst in 42. poetischen Büchern beschrieben. Amphilochius , Bischof in Ikonien, schrieb ein jambisches Gedicht, darinn er einem Freunde rieth, was für Bücher der heiligen Schrift er lesen sollte. Und wird man endlich nicht auch den Tzetzes hieher rechnen müssen, der uns in seinen Chiliaden eine Menge alter Begebenheiten gelehret hat, die wir sonst nicht wissen würden? wiewohl er auch viel abgeschmacktes Zeug mit eingestreuet hat. 6. §. Kommen wir auf die Lateiner, so steht hier Lucretius billig oben an, der in Hexametern die ganze epikurische Naturlehre beschrieben, und sie so viel möglich, mit poetischen Zierrathen ausgeputzet hat. Allein hin und wieder ist seine Schreibart zu prosaisch und matt, auch mit vielen unnützen Umschweifen erfüllet, die sich für Verse nicht schicken. Ungleich edler hat Virgil den Feldbau beschrieben, darinn er gewiß auch den Hesiodus übertrifft, und alle Künste der edelsten poetischen Schreibart bey einer Materie angebracht, die derselben am wenigsten fähig zu seyn schien. S. die oben angeführte Abhandlung des Racine , von den dogmatischen Gedichten, in der Historie der paris. Akad. der schön. Wissens. VI. B. Ovidius hat nicht nur von der Kunst zu lieben, und den Gegenmitteln wider die Liebe, dogmatische Gedichte geschrieben, sondern selbst seine Verwandlungen und Zeitbücher, oder FASTORUM LIBRI, gehören hieher; darinn er nämlich seine Leser von den ältesten Dingen, dem Ursprunge der Welt, u.d.m. belehren will. Horaz schrieb seine Dichtkunst, auch als ein dogmatischer Poet. Des Cato moralische Disticha sind jedermann bekannt. Boethius streuete in seine philosophischen Trostbücher sehr viel dogmatische Gedichte von den wichtigsten Lehren der Weltweisheit in allerley Versarten ein: Prudentius aber brauchte gar die Dichtkunst, die Lehren des Christenthums darinn vorzutragen. Seine Apotheosis , widerlegt die Secte derer, die da lehrten, Gott der Vater hätte im Sohne gelitten. Seine Hamartigenia ist wider die Marcioniten gerichtet, und erkläret den Ursprung des Bösen. Seine Psychomachie lehret den Streit wider die Sünde, in einer beständigen allegorischen Fabel, die fast einer epischen Erzählung eines Krieges ähnlich sieht. Endlich auch das Gedicht wider den Symmachus, gehört hieher. Was würde ich nicht aus den mittlern Zeiten für eine Menge dogmatischer Dichter anführen müssen, wenn ich mir Leysers Historie derselben zu Nutze machen wollte? Ich will aber nur aus dem XII. Jahrhunderte den Marbodeum DE LAPIDIBUS PRETIOSIS anführen, den Herr Brückmann 1704. wieder in 4. drucken lassen; davon wir auch alte deutsche Uebersetzungen haben. Unter neuern Dichtern fallen mir itzo Daniel Hermanns , eines Preußen, Werke in die Hände, den ich schon, wegen seines epischen Gedichtes, auf die Stiftung der straßburgischen Universität 1567. und vieler andern Lobgedichte wegen, unter die heroischen Dichter hätte rechnen können. Aber er hat auch auf den Fall Adams und die Erlösung des menschlichen Geschlechtes, imgleichen ein anders von dem Begräbnisse Christi, und noch ein anders DE VITA LITTERATA, FIVE SCHOLASTICA, ein langes Lehrgedicht zu Straßburg öffentlich hergesaget. Die ganze Sammlung ist 1604. zu Riga in 4. gedruckt. Des Palingenius ZODIACUS VITÆ ist ebenfalls ein philosophisch moralisches Gedicht, das sehr angenehm zu lesen ist. Endlich hat Schotanus ein metaphysisches aus des Cartesius Meditationen, unser Herr D. Hebenstreit eine metrische Physiologie; MILCOLUMBUS FLEMYNG zu Amst. 1741. in 8. die NEUROPATHIAM, POEMA MEDICUM; und BENED. STAY endlich zu Rom 1747. eine ganze Philosophie in Versen in VI. B. ans Licht gestellet. Des Cardinals Polignac Antilucrez, welchen ich selbst vor wenigen Jahren, hier neu wieder herausgegeben habe, ist eins von den wichtigsten Stücken in dieser Art. 7. §. Auf die Ausländer zu kommen: so sind unter den Engländern folgende die berühmtesten. Denham hat den CATO MAJOR unter dem Titel OLD AGE, in ein solch Gedicht gebracht. Philipps hat vom Cyder ein ausführliches Lehrgedicht geschrieben, worinn er lehret, wie man ihn recht machen soll. Cowley hat tat. vier Bücher von Pflanzen geschrieben, die man in englischen Versen übersetzet hat. Pope hat nicht nur sein ESSAY ON MEN, oder die ETHIC EPISTLES, sondern auch das ESSAY ON CRITICISM, und den TEMPLE OF FAME geschrieben; wo man nicht dieß letztere unter die heroischen Gedichte rechnen will: alsdann aber werde ich seinen Windsorer-Wald dafür hieher ziehen, der voll lehrreicher Gedanken ist. Thomsons vier Jahreszeiten, die Brockes sehr schlecht übersetzet hat, gehören auch unter diese Classe. Ein gewisser Ungenannter hat eine umgekehrte ARTEM POETICAM, unter dem Titel, HARLEQUIN HORACE, auf eine ironische Art geschrieben: und Young hat in seinen NIGHT-THOUGHTS, vom Leben, Tode, und der Unsterblichkeit, auf eine sehr philosophische Art gehandelt. Unter den Franzosen hat Bartas in seiner Woche, die Schöpfung der Welt, nach der mosaischen Geschichte derselben, poetisch abgehandelt. Pibrac hat in vierzeillichten Versen allerley Sittenlehren abgefasset. Boileau, hat die Dichtkunst, in ein ordentliches Lehrgedicht gebracht; an dessen Ordnung und Einrichtung gleichwohl ein holländisches Frauenzimmer, Jungf. Hooghard in ihren LETTRES ANTIPOETIQUES sehr viel auszusetzen gefunden. Der Abt Genest hat in seinen PRINCIPES DE PHILOSOPHIE, den Beweis vom Daseyn Gottes und von der Seelen Unsterblichkeit ausführlich beschrieben; welches wir gleichfalls von Brocksens matter Feder deutsch haben. Der jüngere Racine hat von der Religion ein schönes Lehrgedicht verfertiget, welches wir auch schon deutsch haben. Der Abt Berni hat sich in dieß Feld auch glücklich gewaget, als er ein Stück eines Gedichtes wider die Freygeister ans Licht gestellet. Von wälschen Sachen dieser Art kommen mir des Dantes Hölle und des Petrarcha Triumphe, imgleichen des Tasso MONT OLIVETO in die Hände; davon ich eine einzelne Ausgabe von 1605. in 4. besitze: wiewohl man dieses auch leicht zu der heroischen Art zählen könnte. Nach diesem hat vor etlichen 20. bis 30. Jahren ein Sicilianer die ganze Naturlehre in einem poetisch abgefaßten Folianten ans Licht gestellet. Und Riccoboni , der Vater, hat von der guten Aussprache eines Schauspielers auf der Bühne, ein ausführliches Gedicht im Wälschen gemacht: welches bey seiner Historie der wälschen Schaubühne mit verkaufet wird. 8. §. Es ist Zeit, auf die Deutschen zu kommen: und was könnte ich hier nicht für ein Verzeichniß machen, wenn ich aus allen Zeiten die Lehrgedichte unserer Poeten erzählen wollte? Ottfrieds Evangelien würden hier oben an stehen: ja ich würde ganze übersetzte Bibeln in Menge aus den ältern Zeiten u.a.s. Dinge anführen müssen. Doch weil diese noch nicht gedruckt sind, so verschiebe ich sie in meine Historie der deutschen Sprache. Der Freydank und Hugens von Trymberg Renner hergegen, sind gedruckt, obwohl selten zu haben, und gehören unstreitig zu den moralischen Lehrgedichten. Das Memorial der Tugend des von Schwarzenberg , der getreue Eckard, Morsheims Hof leben, und das Gedicht von Frau Untreu , das im Reineke Fuchs so fleißig angeführet wird; Sebastian Brands Narrenschiff; Burcards Waldis Pabstthum, Ringwalds lautere Wahrheit, imgleichen sein Gedicht von Himmel und Hölle, auch Räbmanns Gespräch von Bergen und Bergleuten; und endlich Jamsthalers spagirisches Buch von der Kunst Gold zu machen, gehören zu den alten Werken in dieser Art. Von Uebersetzungen haben wir nicht nur Dedekinds Grobianus, und Catons Disticha, nebst Pibracs vierzeilichten Versen, und des Bartas Woche; sondern auch den ganzen Palingenius von Sprengen verdeutschet. Allein von neuern ist Opitz an die Spitze aller guten Lehrdichter zu setzen. Sein großes Trostgedicht in Widerwärtigkeit des Krieges ist moralisch; sein Vesuv physikalisch; sein Vielgut, und von Ruhe des Gemüthes, imgleichen sein Zlatna, oder Lob des Feldlebens, gehören völlig hieher. Ein Engländer, mit Namen Teate , hat ein poetisches Werk unter dem Titel TER TRIA geschrieben, welches wir von Wagnern auch deutsch haben. Philander hat aus Sam. Slaters Gedichten, ein Gespräch des Glaubens und der Seele verdeutschet. Eckard , Herr M. Lange , und ich selbst, haben Horazens Dichtkunst übersetzet; und von Brück hat in den Schriften der deutschen Gesellschaft allhier eine eigene gemacht. Brockes und Herr Hofr. Triller haben sehr viel physikalische Gedichte geschrieben, und übersetzet; derer zu geschweigen, die ich schon oben genennet habe. Herr D. Lindner und Herr D. Tralles endlich haben verschiedene schlesische Merkwürdigkeiten von Flüssen und Bergen überaus glücklich in Versen beschrieben, die allerdings zu den Lehrgedichten zu zählen sind. 9. §. Daß es also angehe, dergleichen philosophische, theils natürliche, theils sittliche Materien in Versen abzuhandeln, lehret der Augenschein selbst: und daß es nicht uneben sey, zeigen die angeführten Exempel der größesten Männer. Das fraget sich nur, ob man diese und dergleichen Schriften Gedichte nennen könne? Nach der oben fest gestellten Beschreibung der Poesie überhaupt, kann man ihnen diesen Namen so eigentlich nicht einräumen. Alle diese großen und weitläuftigen Werke sind zwar in Versen geschrieben; in der That aber keine Gedichte: weil sie nichts gedichtetes, das ist, keine Fabeln sind. Aristoteles hat daher in dem ersten Capitel seiner Poetik, dem Empedokles , den Titel eines Poeten abgesprochen, und ihm nur den Namen eines Naturkündigers zugestanden: ob er wohl wußte, daß die Unverständigen ihn, seiner alexandrinischen Verse halber, mit dem Homer in eine Classe zu setzen pflegten. Was er von dem Empedokles geurtheilet hat, das müssen wir von allen übrigen oberwähnten Büchern und Schriften sagen. Es sind philosophische Abhandlungen gewisser Materien, Vernunftschlüsse, Untersuchungen, Muthmaßungen der Weltweisen, Ermahnungen zur Tugend, Trostreden im Unglücke; aber keine Gedichte, keine Nachahmungen der Natur. Also würden denn wohl alle diese Stücke gar nicht in die Poesie laufen, wenn sie in ungebundener Schreibart abgefasset wären: da hingegen die Heldengedichte, Romane, Trauerspiele, Komödien, Schäferspiele, und überhaupt alle Fabeln, dennoch Gedichte bleiben, und in die Poesie gehören; wenn sie gleich nur in ungebundener Rede abgefaßt werden. Indessen, da wir gleichwohl Oden, Elegien und Briefe, bloß wegen der poetischen Schreibart, darinn sie abgefaßt werden, zur Poeterey rechnen; obgleich selten eine Fabel darinn vorkömmt: so können wir auch diesen größern Arten poetisch abgefaßter Schriften hier die Stelle nicht versagen. Die Einkleidung, der Ausputz, die Zierrathe, der geistreiche und angenehme Vortrag der allerernsthaftesten Lehren, machet, daß sie Poesien werden: da sie sonst ihn [richtig: in] ihrem gehörigen philosophischen Habite ein sehr mageres und oft verdrüßliches Ansehen haben würden. 10. §. Es fragt sich ferner hier, ob es rathsam sey, dergleichen dogmatische Sachen, insonderheit aber Künste und Wissenschaften, poetisch abzuhandeln? Vor einigen Jahren kamen in Holland die LETTRES ANTIPOETIQUES von der Jungfer Hooghard heraus, darinn des Boileau ART POETIQUE mit großer Heftigkeit, und nicht geringer Gründlichkeit angegriffen wurde. Dieses gelehrte Frauenzimmer, welches noch wirklich in Amsterdam leben soll, will es durchaus nicht zugeben, daß man vollständige Künste, dergleichen die Dichtkunst ist, in einer poetischen Schreibart vortragen solle: weil sie der Meynung ist, die Regeln des Sylbenmaaßes und der Reime, insonderheit aber das Feuer der Poeten, wäre einer systematischen Ordnung und rechten Verbindung der Lehren schnurstracks zuwider. Sie untersucht auch in der That den guten Boileau nach den Regeln ihrer lieben Logik, wie sie selbst schreibt, mit so vieler Einsicht und Scharfsinnigkeit; daß man ihr größtentheils Recht geben muß. Und endlich vergleicht sie den ersten Gesang seiner Dichtkunst mit einem zerdrümmerten Tempel Apollons, wo hier ein schöner Pfeiler, da ein prächtiger Altar, dort ein treffliches Gemälde, hier wieder ein köstliches Marmorbild u.s.f. ohne Ordnung und Verbindung, über und durch einander geworfen, läge. Ja, sie macht selbst eine ganz neue Einrichtung dieses zerschlagenen Gebäudes. Sie ordnet seine Materien ganz anders; und zeiget, daß hier und da manche Lücke auszufüllen, anderwärts aber viel Ueberflüßiges wegzuwerfen wäre. Und was dieselbe, von diesem Meisterstücke des berühmten Despreaux mit so gutem Grunde behauptet, daß ließe sich freylich von allen übrigen dogmatischen Poesien ebenfalls darthun, wenn man sie so genau auf die Probe stellen wollte. 11. §. Ich gebe es also zu, daß man eine Wissenschaft mit völliger Gründlichkeit, weder synthetisch, noch analytisch in Poesien abhandeln könne. Wer ein Freund einer so strengen Lehrart ist, wo man nichts unerklärt und unerwiesen annimmt; der muß solche poetische Abhandlungen nicht lesen. Die Poeten bescheiden sichs auch gar leicht, daß sie keine geometrische Methode in Ausführung ihrer Materien beobachten. Das würde sehr trockne Verse und einen schläfrigen Vortrag geben. Die tiefsinnigsten philosophischen Geister mögen sich also nur an ihre ordentliche prosaische Schreibart halten. Wenn sich die Poeten in ihre Wissenschaften mengen, so thun sie es bloß, den mittelmäßigen Köpfen zu gefallen, die nur einiger maßen etwas davon wissen wollen; und sich um den höchsten Grad der Gründlichkeit nicht bekümmern. Diese machen allezeit den größten Theil des menschlichen Geschlechts aus: und da ist es genug, wenn man ihnen nur nichts Falsches sagt; die Wahrheit in solcher Ordnung vorträgt, daß man sie ziemlich verstehen und ihren Zusammenhang wenigstens klar einsehen könne; dabey aber alles mit Zierrathen einer poetischen Schreibart so lebhaft und sinnreich ausbildet, daß man es mit Lust und Vergnügen lesen könne. Da nun auch die bittersten Wahrheiten, sonderlich in moralischen Sachen, auf solche Art gleichsam verzuckert und übergüldet werden: so sieht man wohl, daß es nicht undienlich sey, dergleichen Schriften zu verfertigen; und also Erkenntniß und Tugend der Welt gleichsam spielend beyzubringen. 12. §. Es versteht sich aber von sich selbst, daß ein solch dogmatisches Gedicht entweder den ganzen Inbegriff einer Kunst oder Wissenschaft, oder nur einzelne dahin gehörige Materien abhandeln könne. Jenes haben die meisten obberührten Alten; dieses aber hat unser Opitz gethan. Vida hat die ganze Poesie in III. Büchern; imgleichen den Seidenwurm und das Schachspiel; Ulrich von Hutten aber nur die lateinische Verskunst allein beschrieben. In beyden Fällen setzet man zum Grunde, daß der Poet die Sache wohl verstehe, und sich nicht unterfange, etwas auszuführen, dem er nicht gewachsen ist. Denn hier gilt auch insonderheit, was Horaz von allen Poeten fodert. SUMITE MATERIAM, VESTRIS QUI SCRIBITIS AEQUAM VIRIBUS, ET VERSATE DIU, QUID FERRE RECUSENT, QUID VALEANT HUMERI. Denn sich in Dingen, die man nicht versteht, zum Lehrer aufzuwerfen, das würde in der Poesie eben so schädlich seyn, als anderwärts. Die Wahrheit und Tugend muß, wie allezeit, also auch hier, der einzige Augenmerk eines Poeten seyn: und es wäre zu wünschen, daß Ovidius philosophisch genug gesinnet gewesen wäre, so würde er seine Kunst zu lieben nicht geschrieben haben. Diese seine Schrift gehört sonst auch hieher, und er hat sich darinn bemüht, eine ohnedem gar zu liebliche Sache durch seine angenehme Schreibart noch beliebter zu machen; das ist, ein schädliches Gift zu überzuckern. Er scheint, solches nach der Zeit selbst bereuet zu haben, da er auf eben die Art REMEDIA AMORIS geschrieben, die gewiß mit so vielem Nutzen, als Vergnügen gelesen werden können. 13. §. Viel vernünftiger hat unser Opitz in seinen dogmatischen Poesien gehandelt. Er zeiget überall eine philosophische Stärke der Vernunft, einen großen Eifer für alles Gute, ein gesetztes männliches Herz, das die Eitelkeit der menschlichen Dinge verachtet, und den hohen Adel der Weisheit und Tugend allein hochschätzet. Sonderlich wären sein Vielgut, Zlatna und die vier Bücher der Trostgedichte werth, daß sie der Jugend beyzeiten in die Hände gegeben, erkläret, und von derselben von Wort zu Wort auswendig gelernet würden. Dieses würde derselben mehr edle Grundsätze der Tugend und Sittenlehre geben, als die lateinischen Sprüchelchen, die sie mehrentheils ohne Verstand herbethen lernt, Und länger nicht bewahrt, Als bis der kluge Sohn nach Papageyenart, Sie zu der Aeltern Trost, dem Lehrer nachgesprochen. Die alten Griechen hieltens mit ihrem Homer so; und ich weis nicht, warum wir gegen den Vater unsrer Poeten noch so undankbar sind: da doch seine oberwähnten Gedichte mehr güldene Lehren in sich fassen, als die ganze Ilias und Odyssee . 14. §. Ob man in dieser Gattung von Gedichten die Musen, oder sonst eine Gottheit, um ihren Beystand anrufen könne, das ist im V. Capitel des I. Theils bereits gewiesen worden. Vom Lucretius ist bekannt, daß er die Venus angerufen, weil sie der Erzeugung der Dinge vorsteht. Virgil, in seinen Büchern vom Feldbaue, ruft ein ganzes Dutzend Götter an, die beym Feldbaue was zu thun haben. Opitz ruft in seinem Vesuvius die Natur an, weil er von natürlichen Wundern schreiben will: Natur, von deren Kraft Luft, Welt und Himmel sind, Des höchsten Meisterrecht, und erstgebohrnes Kind, Du Schwester aller Zeit, du Mutter aller Dinge, O Göttinn! gönne mir, daß mein Gemüthe dringe In deiner Werke Reich, und etwas sagen mag, Davon kein deutscher Mund noch bis auf diesen Tag Poetisch hat geredt. Hätte er es nun dabey bewenden lassen, so wäre es gut gewesen: aber er fährt fort, und ruft auch den Apollo nebst allen Musen herbey, die doch bey dieser Materie vom Vesuvius nichts zu sagen haben: Ich will mit Wahrheit schreiben, Warum Vesuvius kann Steine von sich treiben, Woher sein Brennen rührt, und was es etwa sey, Davon die Glut sich nährt. Apollo, komm herbey! Mit deiner Musenschaar; laß ihre Hand mich leiten Auf dieser neuen Bahn: so will ich sicher schreiten, Wohin mein Geist mich trägt. Indessen wenn man ihn entschuldigen will, so darf man nur sagen: daß gleichwohl die Form des ganzen Werkes poetisch sey, und also des Beystandes der Musen nicht entbehren könne. In seinem Vielgut macht er seine Anrufung gerade zu Gott selbst: So komm, o höchstes Gut! du Ursprung guter Sachen, Des Bösen ärgster Feind, erwecke mir Versland; Verleihe kecken Muth, und schärfe meine Hand, Zu dringen durch den Neid des Volkes auf der Erden, Das sonst mit seiner Schaar mein Meister möchte werden, Und Wahrheit kaum verträgt. Eben das hat er in den Büchern der Trostgedichte gethan, wo er sich den heiligen Geist, als den höchsten Trost der Welt zum Helfer und Beystande erbittet. Wie nun hieran nichts auszusetzen ist: also ist es auch nicht allzeit nöthig, dergleichen Anrufung zu machen. Horaz und Boileau haben in ihrer Dichtkunst keine gemacht. Opitz in seinem Buche von der Ruhe des Gemüths, thut es auch nicht; ob es gleich eben so groß ist, als eins von den vorhergehenden. 15. §. Was für Verse man zu solchen dogmatischen Gedichten brauchen solle, das können die Exempel der Alten und Neuern lehren. Jene haben die Hexameter für geschickt dazu gehalten, und Opitz hat die langen jambischen dazu bequem gefunden. Und in der That schicken sich zu einem langen Lehrbuche keine kurze Verse. Corneille hat dieses wohl gewußt, daher hat er den Thomas von Kempis durchgehends in einerley zwölf- und dreyzehnsylbigte Verse, nicht aber in andere Arten derselben gebracht. Auch Philander von der Linde hat das lange geistliche Gedicht Sam. Slaters , welches ein Gespräch der Seele mit dem Glauben vorstellt, in keine andere Art von Versen übersetzt. Und es wäre zu wünschen, daß man solches in der deutschen Uebersetzung des Thomas von Kempis auch gethan hätte: da hingegen die eine, die wir davon haben, bald aus Elegien, bald aus heroischen, bald aus trochäischen Versen besteht; die andere aber, die nicht längst heraus gekommen, gar wie ein Gesangbuch aussieht. Wenn jemand Zeit und Lust hätte, ein solches dogmatisches Werk in unsre Sprache zu übersetzen, der dürfte nur den Palingenius dazu wählen, welcher in dieser Classe gewiß eins von den schönsten und erbaulichsten Büchern ist, die ich je gelesen habe. 1. 14. Von Sinngedichten, Grab- und Ueberschriften Des I. Abschnitts XIV. Hauptstück. Von Sinngedichten, Grab- und Ueberschriften. 1. §. Ich bin mit allen größern Arten der alten Gedichte fertig, insoweit dieselben durch ihren innern Inhalt unterschieden sind. Nur fehlen mir noch die kleinern Arten, die unter verschiedenen Namen vorkommen, doch unter die allgemeine Benennung der Sinngedichte gezogen werden können. Wir geben ihnen im Deutschen diesen Namen, weil sie gemeiniglich etwas scharfsinniges, oder besser, etwas Sinnreiches in sich haben, das dem Leser ein angenehmes Nachsinnen erwecket. Im Griechischen, ja auch im Latein nennet man sie schlechtweg EPIGRAMMATA, d.i. Ueberschriften; darunter man denn auch Unterschriften, unter Bilder, Bildsäulen, und andere Gemälde, oder Sinnbilder zu rechnen pflegt. Imgleichen gehören EPITAPHIA, oder Grabschriften, und allerley kurze zufällige Gedanken der Dichter, über vorkommende merkwürdige Gegenstände hieher, die eben nirgends drüber oder drunter geschrieben werden sollen. Da nun so leicht kein großer oder kleiner Dichter in der Welt gewesen seyn wird, der nicht dergleichen Einfälle bisweilen gehabt, und in etliche Verse gekleidet haben sollte: so ist auch die Anzahl der epigrammatischen Dichter und Poesien ungleich größer, als aller obigen Arten geworden. 2. §. Was die griechischen Dichter anbetrifft: so haben wir theils vom Homer etliche, theils vom Kallimachus über ein Schock. Außer denen aber findet man in der großen Sammlung derselben eine unglaubliche Menge solcher Sinngedichte gesammlet, und in VII. Bücher abgetheilet. Nur die Namen der Verfasser herauszuziehen, würde beynahe einen Bogen füllen; und wie groß ist nicht die Menge derer Stücke, deren Verfasser man nicht weis? Dabey ist es aber nicht geblieben. Es giebt noch neuere Sammlungen griechischer Ueberschriften, oder sogenannte Anthologien, d.i. Blumenlesen, die den Liebhabern des Alterthums bekannt sind, andern aber nichts nützen. Es ist wahr, daß verschiedene Stücke darunter sind, die uns auch itzo noch vergnügen können; weil sie wirklich sinnreich sind. Allein es giebt auch eine Menge, die man verachten würde, wenn sie deutsch wären; und die weiter nicht schätzbar sind, als weil sie alt, und zwar griechisch sind: welches bey gewissen Gelehrten schon genug ist, um sie zu bewundern: vieleicht, weil sie nicht ein jeder versteht, und man sich also sehr breit damit machen kann, daß man sie versteht; oder doch errathen kann, was sie sagen wollen, ungeachtet man unzählige male fehlschießt. Manches darunter ist auch wohl schmutzig, und manches giebt den Auslegern nur schöne Gelegenheit, ihre antiquarische Gelehrsamkeit auszukramen. Doch es ist noch eine Classe, die ich nicht vergessen muß. Die Griechen haben auch die Kunst erfunden, malerische Sinngedichte zu machen; ich meyne aus Versen Bilder zusammen zu setzen, Theokritus hat uns einen Altar, und ein paar Flügel; wie Simmias eine Axt, ein Ey, eine Hirtenpfeife mit sechs ungleichlangen Röhren, Syrinx genannt, hinterlassen; vermuthlich weil es Ueberschriften auf dergleichen Dinge haben seyn sollen. Allein das ist nun eben nicht das schätzbarste daran; und es hat Deutsche genug gegeben, die sie in solchen Tändeleyen nachgeahmet, ja übertroffen haben. S. Schottels deutsche Prosodie a.d. 215. u.f.S. 3. §. Was die lateinischen Dichter betrifft, so haben wir von denenselben lange nicht so viel poetische Aufschriften oder Sinngedichte zu lesen bekommen. Catullus scheint der erste zu seyn, der sich damit hervorgethan, obwohl sich schon Plautus eine poetische Grabschrift gemachet hatte, u.d.m. Virgil machte sich durch eins zuerst bekannt, welches er an den kaiserlichen Pallast anschlug, als auf eine stürmische Nacht ein sehr schöner Tag folgte, welchen Augustus gewissen öffentlichen Schauspielen gewidmet hatte. Es hieß: NOCTE PLUIT TOTA, REDEUNT SPECTACULA MANE, DIVISUM IMPERIUM CUM JOVE CÆSAR HABET. Ovid und Horaz haben nichts von dieser Art hinterlassen. Der jüngere Plinius ist ein Liebhaber davon gewesen; aber es sind uns kaum ein Paar davon in seinen Briefen übrig geblieben. Martial hergegen hat es so weit gebracht, daß er fast allein in dieser Art für einen Meister bekannt geworden: und man kann ihm in der That einen feinen Witz nicht absprechen. Wir haben XIV. Bücher Sinngedichte von ihm, deren Mannigfaltigkeit wundernswürdig ist. Sie sind nicht alle gleich kurz, und einige füllen ganze Seiten. Ein artiges zur Probe zu geben, mag das 69 ste aus dem VIII. Buche dienen; das er an den Vacerra, einen großen Bewunderer der Alten, gerichtet: MIRARIS VETERES, VACERRA, SOLOS, NEC LAUDAS, NISI MORTUOS POETAS: IGNOSCAS PETIMUS, VACERRA; TANTI NON EST, UT PLACEAM TIBI, PERIRE. Du lobst, Vacerra, nur die Alten; Die todten Dichter bloß sind würdig zu behalten. Wohlan! verwirf nur mein Gedicht; Dir zu gefallen, sterb ich nicht! Imgleichen das 9 te aus dem III. B. VERSICULOS IN ME NARRATUR SCRIBERE CINNA: NON SCRIBIT, CUJUS CARMINA NEMO LEGIT. Man spricht, daß wider mich Misander Verse schreibt: Doch sagt mir: schreibt wohl der, der ungelesen bleibt? Auch Ausonius und Prudentius haben sich endlich in dieser Art gewiesen: wiewohl des Letztern seine mehrentheils von geistlichem Inhalte sind. 4. §. Unter den neuern Dichtern haben Ulrich von Hutten , Strozza, Johannes Secundus, Sabinus, Taubmann, Elias Corvinus , ja auch Stigelius, sich mit allerley Sinngedichten, oder doch kurzen Grabschriften hervorgethan. Selbst in August Buchnern wird man kurze Gedichte genug finden, die hieher gehören. Doch niemand hat sich mehr mit dergleichen hervor gethan, als Owenus , der so zu reden für den neuern Martial gehalten wird. Er kann diesen Namen, theils im Guten, theils im Bösen führen: denn er ist bisweilen eben so witzig und scharf, aber auch vielmals eben so schmutzig als jener. Ein Paar Exempel von der guten Art können nicht schaden. Im 1 B. beschreibt er Saturns drey Söhne: THEOLOGI AMBIGUI; JURISTÆ LENTI & INIQUI, IMMUNDI MEDICI: MUNDUS AB HIS REGITUR. Doch ist er auch zuweilen ein Liebhaber von Wortspielen. Z.E. CUNCTA TRAHUNT AD SE MAGNATES AUREA: SICUT AD SE MAGNETES FERREA CUNCTA TRAHUNT. Und folgendes: DICTA FUIT MULIER, QUASI MOLLIOR: EST TAMEN EVA, NON DE CARNE SUI, SUMTA SED OSSE VIRI. Imgleichen hat Andrenus sein Landsmann, eben dergleichen gemachet; aber auch eben so theils gespielet, theils Zoten gerissen. Unter den Franzosen hat Ronsard schon unter seinen sogenannten Mascaraden, Desportes aber theils unter den verliebten Gedichten, theils unter den EPITAPHES, oder Grabschriften, viele gemachet. Theophile hat an Schmutzigkeit, Benserade an Artigkeit, und Boileau an Scharfsinnigkeit den Alten auch nichts nachgegeben. Rousseau endlich ist in allen dreyen ein ziemlicher Martial zu nennen. Unter den Holländern, sind Heinsius und Cats in diesem Stücke reich gewesen. In des ersten Gedichten, die 1618. zu Amst. in 4. ans Licht getreten, findet man nicht nur viel verliebte, sondern auch viel moralische Sinnbilder mit poetischen Ueberschriften; und in des letztern Spiegel der alten und neuern Zeit, imgleichen in seinen Sinnsprüchen und Beysprüchen kommen gleichfalls unzählige vor; der Todtenkiste für die Lebendigen voritzo zu geschweigen. 5. §. Was die Deutschen anlanget: so könnte ich erstlich aus alten Handschriften eine Menge solcher Sinngedichte bekannt machen, wenn dieses hier der Zweck wäre. Allein von gedruckten haben wir von Opitzen eine Menge, die er nicht allein aus dem Cato und Pibrac, und noch einem Franzosen von der Welt Eitelkeit übersetzet; sondern auch noch ein FLORILEGIUM verschiedener Sinngedichte. Tscherning hat eines persischen Weisen Sittensprüche in kurze Verse gesetzt: Sieber und Rist habens daran auch nicht fehlen lassen. Hoffmannswaldau aber, so wohl als Lohenstein , sehr viel eigene gemachet. In den sogenannten hofmannswaldauischen Gedichten, die Neukirch theils gesammlet, theils selbst gemachet, steht auch eine Menge solcher Stücke. Wir haben auch den ganzen Owenus 1661. von Val. Löbern zu Jena in 12. deutsch bekommen: und Sal . von Golau , oder vielmehr von Logau , hat uns eine starke Sammlung von solchen kleinen Dichterblumen ans Licht gestellet. Und wer kann sie alle namhaft machen, zumal, wenn man auch Bessers und Kanitzens Gedichte bey Wirthschaften und Verkleidungen; oder des letzten Gedanken auf die Kaiser hieher rechnen will? Noch in diesem Jahre ist ein Schubsack voll bäyerischer Sinngedichte in 4. ans Licht getreten, die gewiß für einen bäyerischen Dichter nicht zu verachten sind. 6. §. Soll ich nun kürzlich auch die Natur und das Wesen dieser Sinngedichte erklären, so sieht man wohl, daß sie mit Lobgedichten und Satiren ganz nahe verwandt sind. Kurz zu sagen, eine Ueberschrift, ist der poetische kurzgefaßte Ausdruck eines guten scharfsinnigen Einfalles, der entweder jemanden zum Lobe, oder zum Tadel gereichet. So beschreibt sie Boileau im II. Gesange seiner ART. POET. L'EPIGRAMME PLUS LIBRE, EN SON TOUR PLUS BORNÉ, N'EST SOUVENT QU'UN BON MOT DE DEUX RIMES ORNÉ. Ich nehme das Wort scharfsinnig im ordentlichen Verstande, für die Wahrnehmung eines Umstandes an einer Sache, den nicht ein jeder würde gesehen haben. Zu dieser Scharfsinnigkeit kömmt vielmals auch der Witz, der zwischen einem solchen Umstande und etwas anderm, eine Aehnlichkeit findet, selbiges entweder zu erheben, oder zu verkleinern. Dieser Gedanken aber muß kurz gefasset werden, damit er in dem Verstande des Lesers eine plötzliche und unvermuthete Wirkung thue. Die Weitläuftigkeit des Ausdruckes würde nur machen, daß man durch die Umschweife schon von weitem zu rathen anfinge, was nachkommen würde: wodurch aber das Vergnügen über denselben um ein vieles gemindert werden, ja gar verschwinden würde. Indessen ist es gewiß, daß nicht alle Ueberschriften, oder Sinngedichte der Alten sogar kurz und scharfsinnig sind. Manche bestehen wohl aus zehn, zwölf, funfzehn, ja zwanzig Zeilen. Man nennt sie aber EPIGRAMMATA, weil man ihnen keinen andern Namen geben kann. 7. §. Die besten Exempel scharfsinniger Sinngedichte, werden bestätigen, was ich davon gesagt habe. Virgil hat an den Pallast des Kaisers Augusts, obige Zeilen angeschrieben, wodurch er zuerst bekannt geworden; die man deutsch so geben kann: Es stürmt die ganze Nacht; der Morgen bringt uns Lust: So herrscht zwar Jupiter, doch neben ihm August. Woher entsteht hier das Sinnreiche? Erstlich daher, daß Virgil an einem Tage etwas wahrgenommen, darauf andere nicht Acht gegeben: daß nämlich auf eine regnichte Nacht, mancherley Lustbarkeiten in Rom angestellet worden. Zweytens darinn, daß er den August mit dem Jupiter vergleicht, und das Regiment der Welt unter sie eintheilet. Dieses war nun für den Kaiser sehr schmäuchelhaft, und folglich angenehm. Die berühmte Grabschrift des Ausonius, auf die Dido , wird eben das zeigen: INFELIX DIDO NULLI BENE NUPTA MARITO: HOC PEREUNTE FUGIS, HOC FUGIENTE PERIS. Die Männer wirken dir, o Dido, lauter Noth; Des einen Tod die Flucht; des andern Flucht den Tod. Hier bemerkt der Poet abermal, daß Dido ohne ihre Ehemänner würde glücklich gewesen seyn, woran nicht gleich ein jeder denkt. Hernach vergleicht er die beyden Trübsalen mit einander, und findet selbst in dem Gegensatze der Flucht und des Todes, eine gewisse Aehnlichkeit, die noch keinem eingekommen war. 8. §. Außer diesen wahren Scharfsinnigkeiten, da der Witz mit den Sachen beschäfftiget ist, giebt es noch viel andere, die in bloßen Wortspielen bestehen. Z.E. Ein Schüler der Jesuiten in Frankreich, hat seinen Lehrern zu Ehren folgendes gemacht. Man muß aber wissen, daß ihre beyde berühmteste Schulen zu Dole und LA FLECHE sind, davon jene einen Bogen, und diese einen Pfeil im Wapen führt. ARCUM DOLA DEDIT PATRIBUS: DEDIT ALMA SAGITTAM FLEXIA. QUIS FUNEM, QUEM MERUERE, DABIT? Hier will man, dem Scheine nach, sagen: Bogen und Pfeile hätten die Jesuiten schon, an ihren zwo berühmten Schulen; nun fehle ihnen nichts mehr, als die Sehne zum Bogen, das ist die dritte Schule. Weil aber das Wort FUNIS zweydeutig ist: so kann es auch heißen, wer wird ihnen zu dem längstverdienten Stricke, das ist, an den Galgen verhelfen? Hier ist die Absicht boshaft genug, aber der ganze Witz kömmt nur auf die Worte, und nicht auf die Sache an. Dergleichen Wortspiele nun, wird man im Martial und Owenus unzählige antreffen, ja auch die Wälschen und Franzosen haben sich mehr darauf zu gute gethan, als die Vernunft, und ein feiner Geschmack von rechtswegen erlauben sollten. 9. §. Ob nun wohl der gute Geschmack den Spitzfindigkeiten überhaupt zuwider ist: so hat mans doch in solchen Sinngedichten nicht eben so genau nehmen wollen. Sogar Boileau hat dieses verstattet, wenn er schreibt: LA RAISON OUTRAGÉE ENFIN OUVRIT LES YEUX, LA ( POINTE ) CHASSA POUR JAMAIS DES DISCOURS SERIEUX, ET DANS TOUS LES ECRITS LA DECLARANT INFAME, PAR GRACE LUI LAISSA L'ENTRÉE EN L'EPIGRAMME: POURVÛ QUE SA FINESSE ECLATANT À PROPOS, ROULA SUR LA PENSÉE, & NON PAS SUR LES MOTS. Man sieht aber wohl, daß er auch die Spitzfindigkeiten in den Gedanken, nicht aber in den Worten allein gesucht haben will. Denn gleich darauf schimpft er auf die Pritschmeister, die noch bey Hofe geblieben, und nennt sie abgeschmackte Lustigmacher, unglückliche Stocknarren, verjährte Verfechter grober Wortspiele. ISIPIDES PLAISANS, BOUFFONS INFORTUNEZ, D'UN JEU DE MOT GROSSIER PARTISANS SURANNEZ. Will man Exempel von solchem elenden Zeuge haben, so lese man das XL. Stück im II. Theile der vern. Tadlerinnen , wo etliche von dieser Gattung beurtheilet worden, die gewiß recht kindisch und lächerlich sind. Von solchen aber, die erträglich sind, fallen mir ein Paar ein, davon eins auf den NOSTRADAMUS, das andere auf den Erasmus gemacht war. Jenes hub an: NOSTRA DAMUS, DUM FALSA DAMUS etc. Das andre sagte: den Erasmus hätte der Tod uns zwar rauben können, und schloß: SED DESIDERIUM TOLLERE NON POTUIT. Doch wenn die ganze Welt nach meinem Sinne urtheilete, so würde man auch diese Art für thöricht erklären 10. §. Man braucht diese Sinngedichte zu Unter-oder Ueberschriften bey Gemählden und Sinnbildern, zu Grabschriften, zu Erleuchtungen, Ehrenpforten, oder wo man sonst will. Gemeiniglich loben oder tadeln sie etwas, wie schon oben erinnert worden: zuweilen aber ist der Gedanken auch nur wegen seines Nachdruckes, oder der Neuigkeit halber angenehm. Ein lobendes, war jenes auf des Königs in Frankreich Residenzschloß: PAR URBI DOMUS EST, URBS ORBI, NEUTRA TRIUMPHIS, ET BELLI & PACIS, PAR, LUDOVICE, TUIS. Dein Haus kann man der Stadt, die Stadt der Welt vergleichen, Doch beydes, Ludewig, muß deinen Siegen weichen. Ein anderes auf Ludewigs Bildsäule in dem botanischen Garten, zu Paris, lautete so: VITALES INTER SUCCOS PLANTASQUE SALUBRES, QUAM BENE STAT POPULI VITA SALUSQUE SUI! Bey Säften voller Kraft, bey den gesunden Pflanzen, Wie schön steht da das Heil und Leben seiner Franzen! Besiehe davon der Belust. des V. und W. 1742. im Herbmonate a.d. 245. S. woselbst eine gelehrte Streitigkeit darüber vorkömmt. Ein tadelndes mag folgendes abgeben: IN MARE CORNUTOS JACIENDOS, PONTIUS INQUIT. PONTIA RESPONDET: DISCE NATARE PRIUS. Ersäuft, was Hörner trägt! schreyt Mops mit lauter Stimmen: Ach Schatz! versetzt sein Weib; so lern bey Zeiten schwimmen. Von der dritten Art darf man die Exempel nur in Catons moralischen Lehrversen suchen; davon Opitz viele sehr rein und glücklich ins Deutsche übersetzt hat. Ueberhaupt kann man auch Tschernings Frühling, Flemmings und Morhofs Gedichte, und insonderheit des von Golau gesammlete Sinngedichte nachsehen; wo viel artiges, theils neues, theils übersetztes vorkömmt. 11. §. Aus diesen wenigen angeführten Exempeln, da ich von lateinischen Sinngedichten lauter zweyzeilige Uebersetzungen gegeben habe, wird man leicht sehen, daß unsere Sprache nicht eben so ungeschickt zu einem kurzgefaßten und scharfsinnigen Ausdrucke sey, als wohl einige denken. Ja man könnte vielmehr einem Lateiner zu thun machen, eine jede ursprünglich deutsch abgefaßte Ueberschrift, in eben so vielen und gleichlangen Zeilen zu geben. Man hat aber in dieser Art hauptsächlich auf die Kürze zu sehen, in soweit dieselbe mit der Verständlichkeit und Richtigkeit des Ausdruckes bestehen kann. Denn die Weitläuftigkeit verderbet alles: es wäre denn, daß die letzte Zeile einen ganz unvermutheten Gedanken in sich hielte, den man gar nicht vorher sehen, oder nur errathen können. Ich schließe indessen diese Abhandlung der Sinngedichte durch ein Exempel, welches die Natur derselben kurz in sich schließt; wie ich dieselbe schon von andern, wiewohl nur prosaisch beschrieben gefunden: Machst du ein Sinngedicht: so laß es neu und klein, Fein stachlicht, honigsüß; kurz, Bienen ähnlich seyn. Ende des ersten Abschnitts. 2. 2. Von Gedichten, die in neuern Zeiten erfunden worden Des II Theiles II. Abschnitt. Von Gedichten, die in neuern Zeiten erfunden worden. Das I. Hauptstück. Von allerley kleinen Liedern, als Madrigalen, Sonnetten und Rondeaux, oder Kling- und Ringelgedichten 1. §. Wenn ich hier von den neuerfundenen Liedern und Gesängen der europäischen Völker handeln will: so ist es meine Meynung nicht, von allen Arten derselben zu reden, die entweder von den Provenzaldichtern, oder wälschen Poeten, in unsäglicher Menge ausgehecket worden, und die man im Crescimbeni und dem Muratori DELLA PERFETTA POESIA, imgleichen in des Anton Minturni ARTE POETICA, die 1725. zu Neapel in 4. herausgekommen ist, beschrieben lesen kann. Meine Absicht ist nur von denen wenigen Arten zu handeln, die auch bis nach Deutschland gekommen sind, und einigen Beyfall gefunden haben. Auch ist es meine Meynung nicht, alle Erfindungen unserer Meistersänger in ihren verschiedenen ja unzähligen Weisen, oder Tonen zu erzählen; wovon Wagenseil einen ziemlichen Theil, in seinem Buche von ihrer Kunst, namhaft gemachet und beschrieben hat. Ich könnte diese seine Nachrichten freylich um ein großes vermehren, wenn ich aus den 25. bis 30. Bänden alter geschriebener Meistersänger Lieder, die ich aus des sel. Gottfried Thomasius zu Nürnberg, Verlassenschaft, käuflich an mich gebracht, Auszüge machen wollte. Allein da diese Arbeit für Anfänger keinen Nutzen haben würde: so verspare ich sie in mein größeres Werk von der Geschichte der deutschen Sprache und Poesie; dahin solche historische Nachrichten mit besserm Rechte gehören. 2. §. Das kürzeste und kleinste Stück, der neuern lyrischen Poesie ist sonder Zweifel das Madrigal; dessen Namen und Art wir Deutschen von den Wälschen, diese aber, ihrem eigenen Geständnisse nach, von den Provenzalpoeten bekommen haben. Die erste Frage ist, was das Wort Madrigal eigentlich bedeute? Und davon sind verschiedene Meynungen. Bembus (PROS. L. 2.) führet zwo an, deren er keine der andern vorzieht. Die erste ist, Madrigal hieße gleichsam Material ; weil nämlich die ersten Lieder dieser Art, von groben, schlechten, niedrigen und verächtlichen Sachen verfertiget worden: und die ser Meynung giebt Joh. Bapt. Doni , (COMP. DEL TRATT. DE MODI DELLA MUS. p. 113.) Beyfall. Die zweyte ist, daß Madrigal von Mandre , d.i. einen Schäfer in der Provenzalsprache herkomme: weil es anfänglich lauter Schäfer- oder Hirtenlieder, von Wäldern und Heerden, und andern verliebten Schäferbegebenheiten gewesen. Und da bemerket Joh. Bapt. Strozzi, in seinen Lectionen über das Madrigal, p. 195. daß Petrarcha, Boccaccio , u.a.m. in ihren Madrigalen, von nichts, als Flüssen, Thälern, Pflanzen, und andern bäurischen Sachen geredet haben: ja selbst Trissino, Dolce, Minturno und Menage , sind dieser Meynung. Crescimbeni pflichtet ihr gleichfalls bey: aber alle diese Herren sagen uns nicht, wo sie die Sylbe gal herbekommen? Sie können es auch, ohne die Kenntniß des Deutschen, nicht thun. Ich habe oben schon erinnert, daß der erste Provenzaldichter, Gottfried Rudel , ein Deutscher gewesen seyn muß, von dem die übrigen die Kunst zu reimen gelernet. Dieser Deutsche hat nun sonderzweifel auch das Wort Gall , oder Hall, Schall aus seiner Muttersprache gewußt, welches wir noch in Nachti gall, in gällen u.d.gl. haben. Dieses hat er nun mit dem Worte Mandre , ein Schäfer, welches wohl gar aus dem Deutschen, Mann, seinen Ursprung haben mag, zusammengesetzet, so daß es ein Männergall , oder Schäferlied hat heißen sollen. Denn daß andre es von MADRE DELLA GALA, MADRE GALANTE, oder DELLA GAYA, oder, wie Ferrarius (in ORIG. LINGU. ITAL.) von dem Spanischen MADRUGAR, früh aufstehen, herleiten wollen; das sind bloße Anspielungen, die keine Aufmerksamkeit verdienen. 3. §. Die ersten Madrigale sind nicht unter sechs, und niemals über eilf Verse lang gemachet worden; und also die kleinste Art von Liedern gewesen. Doch hat man sie damals aus lauter gleich langen eilfsylbigten Versen gemacht: wie Crescimbeni bezeuget. Allmählich aber ist man so wohl von der Zahl der Zeilen, als von ihrer gleichen Länge abgewichen, und diesen Exempeln der Neuern sind auch unsere Deutschen gefolget. Nur diese Unbequemlichkeit entstund daraus, daß bey der unendlichen Abwechselung, die sich nunmehr in den Madrigalen fand, die alten Melodien sich nicht mehr darauf schicketen: daher denn so zu reden jedes neue Madrigal, eine eigene Singweise foderte. Weil nun nicht alle Dichter Tonkünstler waren, sich selbst neue Melodien zu machen: so wurden eine Menge ihrer Madrigale gar nicht in Noten gesetzet, und folglich auch nichts gesungen. Und so ist es sonderlich in Deutschland gegangen. Italienische Madrigale in Noten gesetzt, habe ich selber im Drucke. 1 Allein in einer großen Menge deutscher in Noten gesetzter und gedruckter Lieder, die ich besitze, finde ich kein einziges Madrigal. Ja in allen unsern Anweisungen zur Dichtkunst, habe ich es noch nirgends erwähnet gefunden, daß Madrigale eigentlich zum Singen erfunden worden. Indessen ist es nicht anders: und ich glaube gar, daß die kleinen Chansons der Franzosen, die nur Lieder von einer Strophe sind, und aus ungleich langen Zeilen bestehen, nichts anders als Madrigale sind, und billig so heißen sollten. Caspar Ziegler hat bey uns ein ganzes Büchlein von Madrigalen 1653 herausgegeben, welches auch 1685 wieder gedrucket worden. Martin Kempe und Ernst Stockmann haben auch gute Madrigale geschrieben: und auch bey andern unserer Dichter kommen derer eine Menge vor. 4. §. Will man die Natur und Regeln der Madrigale wissen: so merke man kürzlich folgendes. 1) Soll ein Madrigal, nach der ersten Erfindung, mehrentheils von schäfermäßigem, oder doch verliebtem Inhalte seyn. Käme es hoch, so könnte sonst ein galanter, oder doch lustiger und scharfsinniger Einfall darinn ausgedrücket werden. Denn mir kömmt es vor, ein Madrigal sey bey den Neuern das, was die anakreontischen Oden bey den Alten gewesen. 2) Mache man das Madrigal mehrentheils in jambischen Versen; wie alle unsere deutsche Vorgänger gethan haben. 3) Lasse man es nicht unter sechs, und nicht leicht, auch nicht viel über eilf Zeilen lang seyn; höchstens zu 13 bis 15 Zeilen hinauf steigen. Denn da es nur eine Singstrophe vorstellen soll: so möchte sonst die Weise zu lang und beschwerlich fürs Gedächtniß werden. 4) Mache man die Zeilen in der Länge nicht gar zu ungleich; das ist, keine unter sechs, und keine über eilf Sylben. Einige unserer Poeten haben dawider verstoßen, und bald viersylbige, bald wieder zwölf und dreyzehnsylbige Verse unter einander laufen lassen. Allein welch ein Uebelstand ist das nicht? 5) Lasse man die Reime zwar mit einander wechseln, aber auch nicht zu weit von einander ausschweifen: denn wenn drey, vier, oder mehr andere Zeilen darzwischen kommen, so hat man sie vergessen; und merket es nicht mehr, ob sie sich reimen, oder nicht. 6) Ist es erlaubt, zuweilen, eine, oder zwo Zeilen ungereimt mit unterlaufen zu lassen; als ob es aus Versehen geschehen wäre. Und 7) muß man den zehn und eilfsylbigten Versen nach der vierten Sylbe einen Abschnitt machen. Ein Exempel aus Zieglern mag die Sache klar machen: Ich frage nichts, nach allen Lästerkatzen, Sie speyen auf mich los, Und dichten was sie wollen: Ich werde dennoch groß. Ihr Geifer kann nicht haften, Die Unschuld bleibt in ihren Eigenschaften, Sie sollen mich in solcher Blüthe sehn, Daß ihnen noch die Augen wässern sollen: Und das soll bald geschehn! Denn wenn mich erst die Lästerzungen stechen, Fang ich erst an, mich recht hervorzubrechen. 5. §. Man wird wohl ohne mein Erinnern wahrnehmen, daß dergestalt in dieser Art von Liedern eine große Freyheit herrschet: und eben diese Freyheit ist einigen Dichtern so reizend vorgekommen, daß sie sich der madrigalischen Verse auch in viel längern Gedichten, und die gar nicht zum Singen bestimmet waren, bedienet haben. So hat im Französischen Herr von Fontenelle seine Schäfergedichte, und der Abt Genest seine Philosophie in dieser ungebundenen Art geschrieben. Die Engländer haben sich darein gleichfalls verliebet, und theils große Oden oder Singgedichte in ungleichen madrigalischen Strophen, theils andere kleinere Stücke, in dieser wilden Versart abgefasset. Bey uns hat sich schon im vorigen Jahrhunderte Wagner die Freyheit genommen, sein TER TRIA, aus dem Englischen des Teate so regellos zu verdeutschen; und endlich hat sich auch der sel. Brockes in dieselbe so sehr verliebet, daß er ganze Bände voll solcher Gedichte drucken lassen; ja wohl gar Werke der Ausländer, die in richtigen gleichlangen Versen waren, als Thomsons vier Jahreszeiten, und Popens Versuch vom Menschen, in diese Poesie der Faulen, die lang und kurz durch einander laufen läßt, übersetzet hat. Wie indessen nicht leicht eine Neuerung ohne Nachfolger bleibt, sie sey so schlecht, als sie wolle: so hat es auch Brocksen nicht daran gefehlet. Ich kann es aber nicht leugnen, daß mir eine so libertinische Dichtungsart im geringsten nicht gefällt; weil sie weder dem Ohre noch dem Gemüthe dasjenige Vergnügen bringt, das ein wohlabgemessener ordentlicher Vers ihm bringt. Und was ist es wohl für eine Kunst, dergleichen Gemenge ungleicher Zeilen durch einander laufen zu lassen, wie ein Hirt großes und kleines Vieh zum Thore hinaus treibt? 6. §. Ich schreite zu den Sonnetten. Auch diese sind eine Erfindung der Provinzialdichter, und von diesen nach Wälschland, von da aber zu uns, und nach Frankreich gekommen. Auch dieses zähle ich zu den Singgedichten, wozu es eigentlich erfunden worden, ungeachtet unsere poetischen Anweisungen bisher kein Wort davon gewußt. Ich habe aber die Italiener auf meiner Seite; die es einhällig gestehen: und selbst der deutsche Namen eines Klinggedichtes , wie es die Unsrigen zu geben pflegen, hätte sie darauf bringen können; daß es zum Klingen und Singen gemachet worden. Aus diesem Begriffe folgen nun auch die Regeln, des Sonnets, welche sonst so willkührlich aussehen, und so schwer zu beobachten sind, daß Boileau , nicht ohne Wahrscheinlichkeit dichtet: Apollo habe dasselbe bloß den Poeten zur Plage ausgedacht: ON DIT À CE PROPOS, QU'UN JOUR CE DIEU BIZARRE, VOULANT POUSSER À BOUT TOUS LES RIMEURS FRANÇOIS, INVENTA DU SONNET LES RIGOUREUSES LOIX: VOULUT, QU'EN DEUX QUATRAINS, DE MESURE PAREILLE, LA RIME AVEC DEUX SONS FRAPPAT HUITFOIS L'OREILLE; ET QU'ENSUITE SIX VERS ARTISTEMENT RANGEZ, FUSSENT EN DEUX TERCETS PAR LE SENS PARTAGEZ. SUR TOUT DE CE POEME IL BANNIT LA LICENCE, LUI MÊME EN MESURA LE NOMBRE & LA CADENCE; DEFENDIT, QU'UN VERS FOIBLE Y PUT JAMAIS ENTRER, NI QU'UN MOT DEJA MIS, OSOIT S'Y REMONTRER. DU RESTE IL L'ENRICHIT D'UNE BEAUTÉ SUPREME. So wenig Licht nun diese Beschreibung einem, der es noch nicht kennet, vom Sonnette geben wird: so wenig ist es auch gegründet, wenn er hinzusetzet: UN SONNET SANS DEFAUT, VAUT SEUL UN LONG POEME. 7. §. Crescimbeni hat in seiner ISTORIA, in ganzen sechs Capiteln bloß vom Sonnette gehandelt, und alle Kleinigkeiten und Veränderungen, die dasselbe betroffen haben, mit Sorgfalt angeführet. Es erhellet aber kürzlich so viel daraus, daß weder die Erfinder desselben in der Provence, noch die ältesten Italiener, als Dantes , anfänglich diese Art Lieder so gar genau in gewisse Regeln eingeschränket. Weder die Zahl noch Länge der Zeilen, noch die Abwechselung der Reime war dazumal recht bestimmet, bis Petrarch durch seine verliebten Lieder auf die Laura, die fast lauter Sonnette waren, dem Dinge seine rechte Ordnung gab. Vermuthlich hat er ein paar beliebte Melodien auf die ersten seiner Sonnette gehabt; denen zu Gefallen er hernach alle übrige gemachet. Ihm aber sind hernach alle übrige Dichter mehrentheils gefolget. Es ist also schon der Mühe werth, ein Muster von seiner Arbeit anzuführen; wozu ich gleich das erste nehmen will, das gleichsam eine Vorrede zu allen übrigen ist: VOI, CH'ASCOLTATE IN RIME SPARSA IL SUONO, DI QUEI SOSPIRI, ONDE IO NUDRIVA IL CUORE, IN SUL MIO PRIMO GIOVENIL ERRORE, QUANDRO ERA IN PARTE ALTRE'HUOM, DA QUAL CH'IO SONO. DEL VARIO STILE IN CH'IO PLANGO, & RAGIONO, FRA LE VANE SPERANZE, E'L VAN DOLORE, OVE SIA, CHI PER PROVA INTENDA AMORE, SPERO TROVAR PIETÀ, NON CHE PERDONO. MA BEN VEGGI'HOR, SI COME AL POPOL TUTTO, FAVOLA FUI GRAN TEMPO; ONDE SOVENTE, DI ME MEDESMO MECO MI VERGOGNO: ET DEL MIO VANEGGIAR VERGOGNA E'L FRUTTO, E'L PENTIRSI, E'L CONOSCER CHIARAMENTE, CHE QUANTO PIACE AL MONDO È BREVE SOGNO. 8. §. Aus diesem Exempel nun können wir die Regeln eines rechten Sonnettes abnehmen. Es besteht 1) aus vierzehn Zeilen, und darf weder mehr, noch weniger haben. 2) Diese Zeilen müssen alle gleich lang seyn; zumal im Wälschen, wo man lauter weibliche Reime machet. Im Deutschen hergegen, kann es seyn, daß die, mit männlichen Reimen, eine Sylbe weniger bekommen. 3) Müssen sonderlich die langen Verse dazu genommen werden: welches bey den Wälschen die eilfsylbigten, bey uns und den Franzosen aber die alexandrinischen sind. 4) Müssen dieselben vierzehn Zeilen, richtig in vier Abschnitte eingetheilet werden; davon die ersten beyden, jeder vier, die beyden letzten aber, jeder drey Zeilen bekommen. 5) Müssen die zwo ersten Abschnitte einander in den Reimen vollkommen ähnlich seyn, ja in acht Zeilen nicht mehr als zwey Reime haben: so daß sich einmal der erste, vierte, fünfte und achte, sodann aber der zweyte, dritte, sechste und siebente mit einander reimen. Endlich 6) müssen die drey und drey im Schlusse sich wieder zusammen reimen; doch so, daß man einige mehrere Freyheit dabey hat. Indessen lehret mich auch hier das Beyspiel des Petrarcha, daß auch diese beyden Dreylinge auf einerley Art ausfallen müssen, damit man sie auf einerley Melodie singen könne. Denn kurz und gut: die zwei ersten Vierlinge müssen nach der ersten Hälfte der Singweise, die, wie gewöhnlich, wiederholet wird; die zwey letzten Dreylinge aber nach der andern Hälfte der Melodie, die gleichfalls wiederholt wird, gesungen werden können. Dieß ist der Schlüssel, zu allen obigen Regeln. 9. §. Nach diesen Regeln nun haben sich unsere deutschen Dichter auch gerichtet; sonderlich die Alten, die eine große Menge von Sonnetten gemachet haben, ohne daß vieleicht ein einziges jemals gesungen worden. Opitz, Flemming, Mühlpfort, Sieber, Gryph, Kiene, u.a.m. haben ganze Bücher voll geschrieben; davon ich ein paar zu Mustern hersetzen muß. Denn da wir im Deutschen männliche und weibliche Reime zu vermischen pflegen; so entstehen auch zweyerley Arten bey uns, die sich bald mit einem weiblichen, bald mit einem männlichen Reime anfangen. Sie brauchen auch alle die sechsfüßigen Jamben, anstatt der eilfsylbigten der Italiener. Ich bleibe bey Flemmingen, und dieß erste ist dem petrarchischen vollkommen ähnlich: Sonnet, an sich selbst: Sey dennoch unverzagt! gib dennoch nicht verlohren! Weich keinem Glücke nicht! steh höher als der Neid! Vergnüge dich an dir, und acht es für kein Leid, Hat sich gleich wider dich, Glück, Zeit und Ort verschworen. Was dich betrübt und labt, halt alles für erkohren; Nimm dein Verhängniß an, laß alles unbereut, Thu, was gethan muß seyn, und eh mans dir gebeut, Was du noch bessern kannst, das wird noch stets gebohren. Was klagt, was lobt man dich? Sein Unglück und sein Glücke, Ist ihm ein jeder selbst. Schau alle Sachen an, Dieß alles ist in dir: laß deinen eiteln Wahn, Und eh du förder gehst, so geh in dich zurücke. Wer sein selbst Meister ist, und sich beherrschen kann, Dem ist die weite Welt, und alles unterthan. Dieses Sonnet hat nur einen Fehler: daß nämlich, bey der dritten Zeile der zweyten Hälfte, der völlige Sinn nicht aus ist, sondern sich erst mit der folgenden endet. Dieses würde im Singen einen großen Uebelstand machen; weil beym Schlusse der Melodie, der Verstand noch nicht befriediget wäre; welches doch von rechtswegen seyn soll, wie Petrarcha es auch sehr wohl beobachtet hat. 10. §. So gern ich noch eins, das ohne Fehler ist, finden will, so schwer ist mirs. Denn bald schließt der Verstand nicht mit der vierten, bald nicht mit der achten, bald nicht mit der eilften Zeile. Bald sind die letzten zwey Dreylinge, an Ordnung der Reime einander nicht gleich, u.s.w. Ich will also noch eins von eilfsylbigten Versen aus Flemmingen nehmen, ob es gleich auch von einer weiblichen Zeile anfängt. Es ist das XX. des andern Buches. Auf eine Hochzeit. Was thun wir denn, daß wir die süßen Jahre, Der Jugend Lenz, so lassen Fuß für Fuß Vorüber gehn? Soll uns denn der Verdruß Der Einsamkeit noch bringen auf die Baare? Sie kehrt nicht um, die Zeit, die theure Waare! Bewegt uns nicht, das was man lieben muß, Die Höflichkeit, der Muth, die Gunst, der Kuß? Die Brust, der Hals, die goldgeschmiedten Haare? Nein, wir sind Fels, und stählern noch als Stahl, Bestürzt, verwirrt; wir lieben unsre Quaal, Sind lebend todt, und wissen nicht was frommet. Dieß einige steht uns noch gänzlich frey, Daß wir verstehn, was für ein gut Ding sey, Das uns stets fleucht, und das ihr stets bekommet. Dieses wäre nun wohl so ziemlich zur Musik bequem: außer, daß der Sinn aus der zweyten Zeile, bis in die dritte geschleppet wird: welches im Singen übel klappen würde. Ueberhaupt kömmt es bloß daher, daß unter vielen hundert Sonnetten, kaum ein vollkommenes anzutreffen ist, daß die Poeten es nicht gewußt, daß ein Sonnett zum Singen gemachet werden müsse. Da wir sie aber bey uns niemals singen: so sehe ich gar nicht ab, warum ein Poet sich quälen soll, einem solchen Zwange ein Gnügen zu thun, da man viel leichtere Versarten hat, die eben so angenehm sind. 11. §. Ehe ich aufs Rondeau , oder das Ringelgedicht komme, muß ich noch anmerken, daß Mühlpfort auch in vierfüßigen Versen ein Sonnet gemachet. Es ist gleich das zweyte unter seinen Sonnetten; und würde selbst durch die Beyspiele der Wälschen, zu rechtfertigen seyn: wenn es nur durchgehends sich ähnlich, und in den letzten sechs Zeilen nicht fehlerhaft wäre. Die ersten acht Zeilen sind nämlich allen Regeln gemäß und lauten also: Abendgebeth. Das Licht vergeht, die Nacht bricht an, Verzeihe Gott! die schweren Sünden; Die mich, als wie mit Stricken binden, Daß ich nicht vor dich treten kann. Ich habe leider deine Bahn Der Heiligkeit nicht können finden: Weil ich stets auf den Wollustsgründen, Bin hangen blieben mit dem Kahn. Allein nun kömmt das falsche: Ein Irrlicht hat mich so verführt, Das mir die Welt hat aufgestecket, Ich habe nie die Lust gespürt, Bis daß ich mich mit Koth beflecket. Gedenke nicht, o Herr! der Sünden meiner Jugend, Ich wende mich hinfort zur Frömmigkeit und Tugend. Hier sieht ein jeder, daß sich drey und drey Zeilen unmöglich nach derselben zweyten Hälfte einer Melodie würden singen lassen. Noch viel fehlerhafter sind die sogenannten Sonnette, die König bey seiner Ausgabe von Kanitzens Gedichten bin und wieder eingeflicket: denn er hat weder alle diese Regeln, noch die allergemeinste und leichteste, daß ein Sonnet 14 Zeilen haben muß, beobachtet. Andere wunderliche Veränderungen der Sonnette, entweder durchgehends mit einerley, oder ohne alle Reime, deren Omeis in seiner Dichtkunst gedenket, übergehe ich mit Fleiß; weil sie billig in keine Betrachtung kommen. 12. §. Das Rondeau selbst anlangend, so ist dasselbe nicht von wälscher oder alter provenzalischer, sondern von französischer neuerer Erfindung. Außer dem, daß Voitüre dergleichen eine gute Anzahl gemachet hat, wie man bey seinen Briefen angehenket finden wird: so hat man auch die Verwandlungen Ovids , in französischen und deutschen Rondeaux, oder Ringelgedichten erkläret, die zu Nürnberg 1698. in 8. mit Figuren herausgekommen sind. Auch diese sind eigentlich im Anfange zum Singen bestimmt gewesen. Wir wollen zum Muster eins aus der alten Welt vom Marot nehmen, und zwar dasjenige, so er an Kaiser Karl den V, auf seinen Abschied aus Paris gemachet, wo er König Franz den I, nach seiner Erledigung aus der Gefangenschaft besuchet. L'Adieu de France à l'Empereur. ADIEU CESAR! PRINCE BIEN FORTUNÉ, DE VRAI HONNEUR PAR VERTU COURONNÉ. ADIEU LE CHEF DE LA NOBLE TOISON, AU DEPARTIR DE LA PROPRE MAISON, DONT LE BON DUC, TON GRAND AYEUL, FUT NÉ. QUAND JE T'AURAI CENT FOIS À DIEU DONNÉ, ET À GRAND DUEIL DES YEUX ABANDONNÈ, LE COEUR FERA, POUR TOI SON ORAISON. ADIEU CESAR! LE SUPPLIANT, QU'UN JOUR JA ORDONNÈ, TE VOYE ICI DES TIENS ENVIRONNÈ: J'ENTEND DES TIENS, QUI SONT MIENS PAR RAISON, OR J'ATTENDRAI CETTE HEUREUSE SAISON, EN GRAND DESIR, QUE TU SOIS RETOURNÈ. ADIEU CESAR! 13. §. Aus diesem Exempel wollen wir nun die Regel des rechten Ringelgedichtes herleiten. Man sieht zuförderst, daß selbiges nicht mehr, als dreyzehn einsylbigte Zeilen hat, deren fünf im Anfange, und fünf am Ende, einen besondern Verstand ausmachen; drey aber in der Mitte abgesetzet werden, und wieder ihren eigenen Sinn haben. 2) bemerket man, daß in dem ganzen Gedichte nicht mehr, als zweyerley Reime sind; die aber in dem ersten und letzten fünfzeiligten Stücke auf einerley Art abwechseln; so daß dieselben nach einer Melodie gesungen werden können: das Mittelstück aber für sich den ersten Reim zweymal, und den andern, einmal haben muß. 3) Endlich sieht man, daß der Anfang, von vier Sylben, oder zwey Jamben, nach deutscher Art zu reden; für sich einen Verstand haben, und so wohl nach dem dreyzeiligten Mittelstücke, als ganz am Ende wiederholet werden muß. Wer sieht nun nicht, daß auch dieses Gedicht der Musik zu gut erfunden worden? Die erste Hälfte der Melodie muß auf fünf Zeilen zulangen; und dabey muß sich der Verstand schließen. Die andere Hälfte langet auf drey Zeilen; und um anzuzeigen, daß man nun die erste Hälfte noch einmal wird singen müssen: so werden auch die Anfangsworte wiederholet. Sodann folget der Beschluß nach der Melodie der ersten Hälfte; und sodann wiederholet man die Anfangsworte noch einmal, dadurch es denn zu einem völligen Ringelgedichte wird. Nichts ist nunmehr begreiflicher, als alle diese Regeln, die bisher noch von keinem unserer Dichter gehörig eingesehen worden; und also ganz willkührlich und abgeschmackt ausgesehen haben. Rotthe, Omeis , und Menan tes , wissen nichts davon zu sagen, als daß ein Rondeau aus dreyzehn Zeilen bestehen, und sowohl nach der achten, als letzten Zeile den Anfang wiederholen müsse: dadurch man auf den Wahn verfällt, daß es nur aus zwey Theilen, einem achtzeiligen Rumpfe und fünfzeiligen Schwanze bestehe; davon man aber wieder keinen Grund einsieht. Vielweniger kann man daraus die Ordnung der Reime begreifen, die sie einem vorschreiben, wenn es heißt, daß sich die 1. 2. 5. 6. 7. 9. 10 und 13 Zeile; und hernach wieder die 3. 4. 8. 11. und 12 Zeile reimen müsse. 14. §. Da ich nun den Grund der Erfindung, aus der Beobachtung der ältesten Muster, glücklich entdecket: so wird man daraus leicht sehen, daß viele Rondeaux, die man in unsern Dichtern antrifft, eben so fehlerhaft sind, als die Sonnette oben befunden wurden. Doch ist dasjenige, was Omeis anführet, wenn ich es nach der rechten Art schreibe, ganz richtig gerathen. Es ist vollbracht! der Schatten ist vergangen, Es liegt zerknirscht, das Haupt der alten Schlangen, Der Höllen Thor hat Simson umgekehrt, Und Michael das feste Schloß zerstört, Darinn der Mensch lag auf den Tod gefangen. Es schäumt der Drach in Ketten und in Zangen, O Siegeswort! davon wir Trost erlangen, Das man am Kreuz von Christo hat gehört: Es ist vollbracht! Herr! steh mir bey, wenn endlich meine Wangen, Vom Todtenhauch erblasset sollen hangen: Wann meine Seel nun aus dem Kerker fährt; So laß auch mich, im Glauben unversehrt, Und freudenvoll, mit deinem Letzwort prangen: Es ist vollbracht! Eins ist hier nur zu bemerken, darinn dieß Ringelgedicht von dem französischen abgeht: nämlich daß dieses lauter männliche Reime hatte, das deutsche aber dieselben mit weiblichen abwechselt. Allein daß jenes im Französischen keine Regel sey, zeigen viele andere in eben dem Marot, und in andern Dichtern, die gleichfalls gewechselt haben. Und eben daraus erhellet auch, daß man eben sowohl mit einem männlichen Reime anfangen könne, wann nur das übrige hernach in eben der Ordnung beybehalten wird. Fußnoten 1 Z.E. Eins führt den Titel: LIBRO I. DE MADRIGALI, A CINQUE VOCI, COL BASSO CONTINUO, & SUOI NUMERI, DEL SIGNOR GIO. GIROLAMO KAPSPERGER, NOBILE ALLEMANNO. RACCOLTI DAL SIGN. CAVALLIER MARCANTONIO STRADELLA. IN ROMA. 1608 in kl. fol. 2. 2. Von allerley neuen Arten größerer Lieder Des II. Abschnitts II. Hauptstück. Von allerley neuen Arten größerer Lieder, als Ringeloden, Sechstinnen und Gesängen. 1. §. Nach dieser letzten Art hat man auch andere Ringeloden im Deutschen zu machen versuchet, und verschiedene Arten derselben auf die Bahn gebracht. Denn theils hat man am Ende jeder Strophe die erste Zeile derselben wiederholet. Ein Exempel mag mir Philander von der Linde geben. Es steht in seiner Unterredung von der Poesie a.d. 227. S. 1. Lieben hab ich zwar verredt, Aber nicht verschworen. Weil die Liebe Schmerzen bringet Und nach Wunsche nicht gelinget, Mag ich nicht: jedoch ich muß Wenn zuletzt des Himmels Schluß Mir was auserkohren. Lieben hab ich zwar verredt, Aber nicht verschworen. 2. Meine Freyheit steht mir an, Doch nur eine Weile: Denn es kommen doch die Stunden, Da die Seele wird gebunden. Und voll süßer Fessel ist. Daß mit diesem was mich küßt, Ich mein Herze theile. Meine Freyheit steht mir an, Doch nur eine Weile. 3. Lieben hab ich zwar verredt, Aber nicht verschworen. Soll mich endlich was vergnügen, Mags der Himmel glücklich fügen. Spielt die Hoffnung wunderlich Ey! so ist sie doch für mich Auch nicht ganz verlohren. Lieben hab ich zwar verredt, Aber nicht verschworen. Die andere Art, wiederholt im Anfange jeder Strophe den Schluß der vorhergehenden; und dergestalt hängen die Strophen gleichsam wie die Glieder einer Kette an einander; der Schluß der letzten Strophe aber schließt auf den Anfangsworten des ganzen Liedes. Ein Exempel giebt Menantes in seiner gal. Poesie a.d. 119. S. Erbarme dich, du Schönheit dieser Welt, Und nimm von mir die Fessel meiner Seelen! Wenn Stahl und Eis dein Herz umschlossen hält, Durch Sclaverey mich auf den Tod zu quälen, So denke nur, die Größe meiner Noth Ist schon der Tod! Ist schon der Tod ein Opfer deiner Lust, etc. Und die letzte Strophe schließt so: Mein Herz giebt nur den Seufzer noch von sich, Erbarme dich! Eben dergleichen kömmt auch auf der 175. u.f.S. vor, und hebt an: Ergötze dich, befriedigtes Gemüthe, An allem was der Himmel fügt. etc. 2. §. Fast zu eben dieser musikalischen Art gehören die Wiederhallslieder. Man versteht durch dieselben solche Lieder, die an Oertern gesungen werden können, wo das Echo die letzten Sylben jeder Strophe wiederholet; dieses aber dem Dichter Gelegenheit zu einem neuen Gedanken giebt, dem er in der folgenden Strophe weiter nachdenket. Denn ob wohl einige auch andere Arten von wiederhallenden Versen zu machen gelehret, die nicht gesungen werden können, und wo das Echo an keinen gewissen Stellen etwas wiederholet: so kommen mir doch dieselben viel unnatürlicher und abgeschmackter vor. Denn wer wird in einen Wald hintreten, um einen fertigen Vers so laut abzulesen, daß ihm das Echo antworten könne. Hergegen ein Lied, kann man schon so laut singen, daß der Wiederhall ertönen kann: und da Verliebte die Einsamkeit in Wäldern suchen; so ist es so ungereimt nicht, daß man ihnen auch solche Lieder mache, die zu guten Gedanken Anlaß geben. Das Muster will ich wieder aus dem Menantes , oder vielmehr Hrn. Neumeister nehmen. Es steht a.d. 253. S. Wozu entschließt sich mein Gemüthe? Wo findt mein Herz die beste Ruh? Welch Glücke zeigt mir seine Güte? Und welch Vergnügen deckt mich zu? Doch was mir längst ist vorgeschrieben, Das ist der freye Weg im Lieben. Echo . Im Lieben! Wie? artge Nymphe, willst du scherzen? Und stimmest dem Entschlusse bey: Daß Lieben für galante Herzen Das allerbeste Labsal sey? So laß sich alles glücklich fügen, Mich durch die Liebe zu vergnügen. Echo . Vergnügen. Vergnügen! doch nicht bloß durch Worte, Die That muß selber Zeuge seyn etc. Obwohl ich nun diese Erfindung an sich nicht verwerfe: so kömmt mir doch dieses etwas zu gezwungen vor, wenn der Verfasser, alle diese Schlußwörter seiner Strophen, zusammen genommen, einen besondern Sinn ausmachen läßt; als ob ihm nämlich die Waldnymphe die Sittenlehre, hätte zuruffen wollen: Im Lieben Vergnügen suchen, betrüget Thoren; ich (SCIL. hab es) erfahren: als nämlich Echo in den Wiederhall verwandlet worden. Denn dieses erhellet, aus der gewaltsamen und unerlaubten Auslassung, in dem letzten Nachklange: zugeschweigen, daß ein Echo, das zwo Sylben nachruffet, allemal dabey bleibet, und schwerlich drey, aber gewiß nicht vier nachruffen kann. 3. §. Noch eine weit gezwungenere Art von Liedern, haben die Provenzalpoeten, und Wälschen an ihren Sechstinnen eingeführet: wobey es aber auf nichts anders, als aufs Reimen, und die Wiederholung und Verwechselung der Reime ankömmt. Das Muster, das uns Crescimbeni davon giebt (L.I.p. 25.) ist vom 1560sten Jahre, von dem friaulischen Dichter Amalteo , und die erste Strophe lautet so: L'AURA, CHE GIA DI QUESTO FRAGIL LEGNO, HEBBE 'L GOVERNO, ET LA GUARDA DA SCOGLI, OR ME CONTESA DA RABBIOSI VENTI, E VER ME SENTO CONGIURATE L'ONDE NE FRA TANTE PROCELLE SCORGO IL PORTO, AND'IO PAVENTO A COSI LUNGO CORSO. Hier sieht man nun eine sechszeiligte Strophe, deren Verse sich gar nicht reimen: deren Schlußwörter aber in den folgenden fünf Strophen, denn soviele müssen noch dazu gemacht werden, wieder vorkommen; so daß das letzte davon, CORSO, gleich in die erste Zeile der folgenden Strophe kömmt; die andern aber wechselsweise, von oben und von unten folgen. In diesem Falle nämlich kommen die Reime der folgenden Strophen so. CORSOVENTIPORTOONDESCOGLI 1.)LEGNO2).CORSO3).VENTIPORTOONDE PORTOL'ONDESCOGLI4).LEGNO5).CORSO SCOGLILEGNOCORSOVENTIPORTO L'ONDESCOGLILEGNOCORSOVENTI VENTI.PORTO.L'ONDE.SCOGLI.LEGNO. Hier sieht man wohl, was einem Dichter von dieser tyrannischen Art der Ordnung der Reime, für ein hartes Joch auferleget wird: indem es nicht anders ist, als ob er lauter BOUTS-RIMEZ, zu machen hätte, wie er denn wirklich nicht Reime zu den Versen und Gedanken; sondern Gedanken und Verse zu den Reimen zu suchen hat. Ob sich nun dabey die Mühe verlohne, die man bey Anstrengung seines Witzes und der Erfindungskraft anwenden muß, das ist eine andere Frage. Der Wohlklang der Reime verliert sich ja durch ihre Entfernung und Vermischung ganz und gar: und in der That sind es nicht einmal Reime zu nennen, da nur jedes Wort in sechs Strophen sechsmal wiederholet wird, ohne daß sich ein anderes darauf reimet. 4. §. Vielleicht ist das die Ursache gewesen, warum andere, noch einen größern Zwang gesuchet, und in öfterer Wiederholung derselben Schlußwörter ihre Kunst bewiesen haben. Einige machten zwölfzeilige Sechstinnen, worinn ein Schlußwort z.E. DONNA, sechsmal mit andern Wörtern, als TEMPO, LUCE, FREDDO, PIETRA, vermischet ward, welche bey den letztern auch zweymal wiederholet wurden. Andere blieben zwar bey sechszeiligten Strophen, brauchten aber jedes Schlußwort, z.E. DONNA und PIETRA, wechselsweise dreymal: so daß in der ganzen Sechstinne jedes Schlußwort achtzehnmal am Ende zu stehen kam. Ja weil sie noch die Zahl der Strophen zu verdoppeln für gut befanden: so kam sowohl DONNA als PIETRA jedes sechs und dreyßigmal darinnen vor. Was für ein Geklingel derselben Wörter, und was für ein Ekel der Ohren daraus entstanden, das kann sich ein jeder aus dieser Strophe vorstellen: CHI NON SA BEN, COM'UNA FIERA DONNA, L'ALTRUI MISERE MEMBRA VOLGA IN PIETRA: MIRI IL GUARDO CRUDEL DE LA MIA DONNA, CH'A FORZA DI CANGIAR CIASCUNO IN PIETRA. ALMA NON È SI DI STESSA DONNA CH'ELLA CON GLI OCCHI SUOI NON FACCIA PIETRA. Eben so sehen alle eilf folgenden aus: und es scheint sowohl aus diesem, als aus vielen andern wälschen Erfindungen, die bloß aufs Reimen, und auf vieles und schweres, ja recht wunderliches und ekelhaftes Reimen hinauslaufen; daß die Köpfe der wälschen Dichter sich etliche Jahrhunderte hindurch, in lauter Reimregister verwandelt gehabt: ja daß keine Verse in der Welt, den Namen RIME, mit besserm Rechte verdienet haben, als die italiänischen; weil der bloße elende Reim eine geraume Zeit das Hauptwerk derselben geworden war. 5. §. Doch was soll ich von unsern deutschen Sechstinnen sagen? Diese sind gewiß noch künstlicher geworden, als die bisherigen wälschen: wie mich die Beyspiele in unsern Dichtern davon belehren. Im Christian Gryphius , der sonst noch einen ziemlich gesunden Geschmack hatte, finde ich auf der 900sten u.f.S. eins, darinn er das Haar, die Augen, die Wangen, die Lippen, den Hals und die Brust des Frauenzimmers, um die Ehre des Vorzuges streiten läßt. Jedes von diesen Mitwerbern redet in sechs Zeilen, die sich alle reimen: und das folgende behält eben dieselben Reimwörter, so daß es von dem letzten der vorigen Strophe den Anfang machet; die übrigen aber in derselben Ordnung von oben herunter wiederholet. Ein paar Strophen machen die Sache klar: denn ganz mag ich das Papier damit nicht verderben: Wir fangen Geist und Seel und Leben, doch verschränket Zu steter Dienstbarkeit; der Schmuck, so an uns henket, Ist vieler Buhler Netz, wenn itzt die Locke tränket Ein süßer Himmelsthau, und uns die Freyheit schenket, Daß man sich Kerkerlos um beyde Brüste schwenket, Und das erstarrend' Aug als wie ins Grab versenket. Hat jemals unsre Glut ein schwarzes Haar versenket, Hat unsre Sonnen je der Locken Nacht verschränket, Nein, wo der helle Stral von Diamanten henket, Da quillt der Liebe Brunn, der tausend Herzen tränket, Wir haben Sterbenden das Leben oft geschenket, Wenn unser reizend Blitz die Siegesfahn geschwenket. Hier ist der Rosen Feld, wo sich Cupido schwenket, etc. Doch ein jeder kann sichs nun schon selbst vorstellen, was das für eine ekelhafte Monotonie, und für ein kindisches Geklapper, einerley, zumal lauter weiblicher Reime giebt; die der majestätischen Art unsrer Sprache nicht im geringsten gemäß sind. Gleichwohl sind alle die Exempel und Regeln, in unsern vollständigsten Anweisungen der Dichtkunst, auf eben den Schlag eingerichtet. Man sehe des Menantes gal. Poes. a.d. 262. u.f.S. 6. §. Anstatt der großen Lobgesänge auf die Götter und Helden bey den Alten, die in heroischen Versen gemachet waren, und in einem fortgiengen; haben die neuern die langen Gesänge in eilfsylbigten, oder alexandrinischen Versen, von acht bis zehnzeiligten Strophen eingeführet. Die eilfsylbigten und achtzeiligten, mit wechselnden Reimen sind wohl zuerst von den Wälschen eingeführet, und werden OTTAVA RIMA genennet. Sowohl Ariost hat seinen rasenden Roland, als Tasso seinen Gottfried, in solchen Strophen besungen; und beyde nannten daher, eine größere Abtheilung des ganzen Gedichtes, die bey den Alten ein Buch geheißen haben würde, nur einen Gesang: weil in der That, ein Gedicht von lauter gleichen Strophen, nach einer und derselben Melodie gesungen werden könnte. Aus dem Tasso habe ich schon im ersten Theile einige Strophen angeführet: itzo will ich aus dem Ariost eine Probe geben. In der venetianischen Ausgabe von 1577. in 4. der ich mich bediene, lautet die erste Strophe so: LE DONNE, I CAVALIER, L'ARME GLI AMORI, LE CORTESIE, L'AUDACI IMPRESE IO CANTO; CHE FURO AL TEMPO, CHE PASSARO I MORI D'AFRICA IL MARE E IN FRANCIA NOCQUER TANTO, SEQUENDO L'IRE, E I GIOVENIL SURORI D'AGRAMANTO LOR RE; CHE SI DIE VANTE, DI VENDICAR LA MORTE DI TROJANO, SOPRA RE CARLO IMPERATOR ROMANO. Hier sieht man nun, daß diese OTTAVA RIMA, im Anfange der Strophe jeden Reim dreymal wiederholet, und also mit zween abwechselnden Tönen sechs Zeilen schließt; hernach aber mit einem Dritten, die beyden letzten paaret. Und eben so ist auch der ganze Tasso , nicht nur in gewöhnlichen Ausgaben, sondern auch in der neapolitanischen Mundart, in welche man ihn 1689. übersetzet, nebst dem Grundtexte in fol. zu Napoli herausgegeben. Weil dieß Stück seltsam ist, will ich auch die erste Strophe mittheilen: CANTO LA SANTA MPRESA E LA PIATATE CHAPPE CHILLO GRAN HOMMO DE VALORE CHE TANTO FECE NE LA LIBBERTATE DE LO SEBBURCO DE NOSTRO SEGNORE. NÒ NCE POTTE LO NFIERNO, E TANT ARMATE CANAGLIE NÒ LE DETTERO TERRORE CA L'AJOTAIE LO CIELO, E DE CARRERA L'AMMICE (E) SPIERTE ACCOUZE A LA BANNERA. 7. §. Wie nun unsere Deutschen zur Nachahmung gemacht und gebohren sind: also haben auch die Uebersetzer dieser zwey Heldengedichte es für ihre Pflicht gehalten, dieselbe Versart der Wälschen von achtzeiligten Strophen, beyzubehalten: nur so, daß sie die eilfsylbigten Verse der Wälschen in sechsfüßige Jamben verwandelten. Von diesem letzten will ich hier aus der 1651. herausgekommenen verbesserten Auflage Diederichs von dem Werder , die Uebersetzung beyfügen; da ich aus der ersten Ausgabe schon bey anderer Gelegenheit ein Muster gegeben. Von Waffen sing ich hier, ich singe von dem Held, Dem Held, der Christi Grab das werthe Grab erstritten, Der mit Verstand und Hand, viel Sachen fortgestellt, Der in dem großen Sieg auch trefflich viel erlitten; Dem sich die Höll umsonst zuwider aufgeschwellt, Auf den viel Heiden auch umsonst zusammen ritten; Als er die Fürsten hat, aus GOttes Huld und Macht, Bey ihr groß Kreuzpanier vereinigt erst gebracht. Da nun dieser Zwang durch das ganze Gedicht hinaus, ohne Zweifel dem Uebersetzer viel Mühe gemacht; so ließ sich durch sein Exempel, das 1626. zuerst im Druck erschien, der Dollmetscher des rasenden Rolandes nicht verführen. Er behielt zwar die achtzeiligten Strophen bey, wie er sie im Ariost fand; allein die dreyfachen Reime und die Abwechselung derselben stund ihm nicht an: vielmehr wählte er die heroischen mit abgewechselten männlichen und weiblichen, aber ungetrennten Reimen. Eine Strophe wird zeigen wie sie geklungen, als sie 1632. allhier in Leipzig zuerst ans Licht traten: Von Frauen, Rittern, Lieb und Waffen will ich singen, Wie auch von Höflichkeit und vielen tapfern Dingen, Geschehen zu der Zeit, als mit gar großem Heer, Die Moren schifften ran, durchs Africaner Meer; Und thaten überall in Frankreich solchen Schaden. Sie folgten Agramant dem König, der beladen Von Zorn, noch rächen wollt, aus jungem stolzen Muth. An Kaiser Karlen jetzt Trojani Tod und Blut. 8. §. Doch so geschickt und bequem diese Art von heroischen Gesängen war, so finde ich doch nicht, daß ihm ein einziger von unsern Dichtern des vorigen Jahrhunderts darinn gefolget wäre. Zwar Gesänge von sechszeiligten Strophen findet man hin und wieder: sonderlich in Bessern. Sein brandenburgischer Glückslöwe, den er 1684. auf Friedrich Wilhelms des Großen Geburtsfest gemachet, war von der Art: ich will aber lieber aus dem Gedichte auf die Krönung Friedrichs des Weisen, und ersten Königes, die Probe nehmen, wiewohl ihre Reime nicht in eben der Ordnung, als in der itztgedachten, folgen: Nun, großes Königberg! nun wird an dir erfüllt, Was du vor langer Zeit im Namen hast geführet, Nun, Preußen! wird dir kund; was diese Krone gilt, Mit welcher um den Hals dein Adler ist gezieret, Da Friederich, dein Fürst, den Königsthron besteiget, Und sein gesalbtes Haupt sich in der Krone zeiget. Ein jeder sieht wohl, daß man auf eben den Schlag auch mit weiblichem Reime hätte anfangen, und mit männlichen schließen können, wie selbst Besser bey andern Gelegenheiten gethan. Allein dieser hatte es auch vorher schon mit achtzeiligten Strophen versuchet; als er am Tage der brandenburgischen Erbhuldigung dieses III. Friedrichs 1688. seinen Gesang so anstimmete: Will denn nun Brandenburg sich gar zu tode grämen? Ist mit dem großen Pan, denn alle Hoffnung todt? Nein! selbst der Himmel zeigt den Hafen unsrer Noth: Der uns die Zuflucht heißt in Friedrichs Arme nehmen. Ist Friedrich Wilhelm todt; lebt Friederich sein Sohn! Das Bild von seinem Geist und seinem großen Herzen: Und da er heut besteigt den väterlichen Thron; Wie trösten wir uns nicht bey unsern langen Schmerzen! Siehe auch das auf den Tod von Friedrichs erster Gemahlinn aus dem Hause Cassel: welches auch eine kleine Aenderung in den Reimen versuchet hat. 9. §. Nun folgte der Freyherr von Kanitz , der zwar in seinem Kampfe wider die Sünde hierinn Bessern folgete, aber auch selbst einen Gesang von zehnzeiligten Strophen, auf den Tod des Grafen von Dohna 1686. versuchete. Der Anfang lautet so: Laß, mein beklemmtes Herz der Regung nur den Zügel, Begeuß mit einer Fluth von Thränen diesen Hügel, Weil ihn mein treuster Freund mit seinem Blut benetzt. Auf dieser Stelle sank mein tapfrer Dohna nieder, Hier war sein Kampf und Fall, hier starrten seine Glieder, Als ein verfluchtes Bley die theure Stirn verletzt: Das, eh der Sonnen Rad den andern Morgen brachte, Ihn leider! gar zu bald zu einer Leiche machte. Dieses vortreffliche und bewegliche Stück nun, hat sonder Zweifel Neukirchen, der bald darauf nach Berlin gekommen, und einigen andern Dichtern zum Muster gedienet, daß sie verschiedene Gesänge von der Art verfertiget, die man in den Hofmannswaldauischen Gedichten antrifft. Weil aber Neukirch damals noch den Lohensteinischen Geschmack liebte, als er sie verfertigte: so habe ich sie in die Sammlung seiner Gedichte nicht mit gesetzet. Sie heben an: Der Geist der Poesie etc. Wir armen Sterblichen etc. Geiz, und Verschwendung hat etc. Der Affe der Natur etc. Der Zunder der Natur etc. Daß Himmel und Gestirn etc. und stehen alle im I. Theile der Hofmannsw. Ged. Auch vor dem II. Theile des Arminius wird man noch ein Beyspiel dieser Art finden. Doch hat er auch achtzeiligte Strophen versuchet, z.E. auf den Geheimen Rath von Fuchs , u.a.m. die aber auch noch von dem wilden Witze strotzen. Andere sind noch weiter gegangen, und haben auch zwölfzeiligte Strophen in solchen Gesängen versuchet, wie man im III. Th. der Hof. W. Ged. sehen wird; aber wenig Beyfall und keine Nachfolger gefunden. Pietsch aber hat die achtzeiligten Strophen mit ungetrennten Reimen in seinen schönsten Gesängen mit dem besten Erfolge von der Welt gebrauchet; worinn ihm denn viele neuere nachgefolget sind. Z.E. sein heroischer Gesang an den Prinzen Eugen von 1716. hebt so an: O feuriger Eugen! wirkt dein entbrannter Muth, Auch in dieß kalte Land? Ja, ja, die hohe Glut Die deinen Geist bewegt, hat mich auch überwunden. Mein Geist wird bandenlos, da du den Feind gebunden; Der mich, wie schwach er sonst die matten Flügel regt, Doch itzt vom Helikon auf Wall und Schanzen trägt, Durch Dampf und Leichen führt, und mich dahin gerissen, Wo unter Türkenblut mir meine Reime fließen. 10. §. In eben dieser Versart, hat Hr. Secr. Kopp , die neue Uebersetzung des Tasso , mit sehr gutem Erfolge verfasset. Es wäre zu wünschen, daß auch Brockes seinen marinischen Kindermord auf eben diese ordentliche Art übersetzet hätte. Allein er hat sichs für erlaubt gehalten, die richtigen Strophen des Wälschen in unrichtige deutsche zu bringen, die bald sechs, bald acht, bald zehn Zeilen haben, und ihre Reime bald so, bald anders abwechseln: bloß, damit er in seiner Dollmetschung keine Zeile mehr, oder weniger bekommen möchte, als das Original hat. Hat aber Hr. Kopp dieses gleichwohl beobachtet; so müßte es auch im Marino angegangen seyn; wenn ja ein so schwülstiger Dichter übersetzet werden müssen. Allein Brockes war zu allen Licenzen sehr geneigt, und man könnte ihn den dithyrambischen Dichter unter uns nennen; weil wirklich solche ungebundene Versarten, bald von langen, bald von kurzen Strophen, und allerley Versen, ohne Regel und Ordnung diesen Namen verdienen. Ich sage dieses nicht, als ob er keine Exempel bey den Ausländischen, auch wohl gar bey den Griechen, vor sich gehabt hätte. Nein, diese haben auch Dithyramben, das ist, wilde Verse gemacht; ja Wälsche, Franzosen und Engländer haben STANCES IRREGULIERES, u.d.gl. gemachet. Allein, wir finden auch Bilderreime bey den Alten; und was für schlechtes Zeug ist nicht bey den Wälschen zu finden, wie man selbst im Muratori und Crescimbeni finden kann. Wer also Gesänge machen will, der muß die Strophen so gleich machen, daß sie nach einer Singweise gesungen werden können. Nicht aber wie das Stück auf der 284sten S. des III. Th. der Hof. W. Ged. Und gesetzt, daß manche gar nicht gesungen werden sollen: so ist doch ein harmonisches Lesen eines guten Gedichtes auch schon eine Art von Musik, und Gesange: und auch da ergetzet es das Ohr eines Zuhörers, wenn allemal dieselbe Zahl, und einerley Abwechselung der Reime, in allen Strophen beobachtet wird. Von jenen wunderlichen Misgeburten aber heißt es, aus dem Horaz : UT GRATAS INTER MENSAS SYMPHONIA DISCORS, ET CRASSUM UNGUENTUM, ET SARDO CUM MELLE PAPAVER OFFENDUNT; POTERAT DUCI QUIA CŒNA SINE ISTIS: SIC ANIMIS NATUM INVENTUMQUE POEMA JUVANDIS SI PAULLUM A SUMMO DISCESSIT, VERGIT AD IMUM. 11. §. Wenn ich hier von allen denen Gesängen hätte handeln wollen, welche die Italiener CANZONI nennen, deren Strophen bald aus langen, bald aus kurzen Zeilen bestehen: so hätte ich auch von den mannigfaltigen Liedern unserer alten Meistersänger handeln müssen, die sie Bar nennen, und deren jede Art der Strophe ihren besondern Ton hat. Allein diese beyden Arten gehören nicht in diese Classe: und theils hat Wagenseil schon von ihnen gehandelt, theils werde ich selbst an seinem Orte noch weit ausführlichere Nachricht davon geben. Von der obigen Art wird man ganze Abtheilungen solcher Gesänge in meinen Gedichten antreffen. 2. 5. Von Wirthschaften, Mummereyen, und Balletten Des II. Abschnitts V. Hauptstück. Von Wirthschaften, Mummereyen, und Balletten. 1. §. Eine große Verwandschaft mit den Opern haben die itzt benannten poetischen Erfindungen: nur mit dem Unterschiede, daß hier bey weitem nicht alles gesungen, sondern vieles nur geredet, vieles nur stumm vorgestellet, und vieles getanzet wird. Ich will von allem eine zulängliche Nachricht geben, und dadurch zeigen, daß große Herren auch in Ermangelung der Opern, bey ihren Höfen allerley Vergnügungen und poetische Lustbarkeiten anstellen können. Ich werde ihnen die Beyspiele ausländischer und einheimischer Fürsten vorhalten, die darinn ihre Vorgänger gewesen; ehe die Oper diese weit edlern Ergetzungen, daran die vornehmsten Leute selbst Theil nahmen, verdrungen. Denn sonder Zweifel vergnüget es fürstliche, gräfliche und adeliche Personen weit mehr, wenn sie Gelegenheit haben, selbst ihre Rollen, auf eine anständige Weise, mitzuspielen, und sich ihrem Character gemäß, mit ihrer Geschicklichkeit, vor einem ganzen Hofe zu zeigen; als wenn sie bloß müßige Zuschauer einer wälschen Castratenbande abgeben sollen; die durch den erhaltenen Beyfall, und die großen Kosten, so man auf sie wendet, so stolz wird, daß sie alle Hofleute hernach kaum über die Achsel ansieht. Ich kann mich hier zwar auf die tägliche Erfahrung beruffen; will aber doch aus vorigen Zeiten einen Beweis anführen. Im 1705ten Jahre gab ein Reisender von Adel, eine Relation vom Kaiserl. Hofe heraus, die sehr wohl geschrieben ist, und unter andern auch der damaligen Opernhelden in Wien, ihre Sitten und Lebensart abschildert. Weil das Buch nicht überall zu haben ist, will ich ein Stück daraus meinen Lesern mittheilen. 1 2. §. Was also die Wirthschaften betrifft, so hat es diese Bewandniß damit. Große Herren wollen bisweilen zur Lust, auch die Süßigkeit des Privatstandes schmecken; und gleichsam, nach Art der Alten, Saturnalien feyren. Daher verkleidet sich insgemein der regierende Herr und seine Gemahlinn, in einen gemeinen bürgerlichen Wirth, und in eine Wirthinn, und die andern fürstlichen Personen, die man etwa beehren und bewirthen will, in Gäste; ihre Hofbedienten aber in Hausknechte, Köche, Kellner, Diener, Küchenmägde, Hausmägde, Gärtnerinnen, auch wohl Bauermädchen. Unter diesen angenommenen Gestalten, wird nun irgend entweder eine Hochzeit, oder nur sonst ein Gastmahl, welches die Alten eine Wirthschaft nenneten, vorgestellt: jede Person aber pflegt irgend, auf des Poeten Angeben, gewisse Verse bey Gelegenheit herzusagen. So finden wir z.E. Kanitzen dergleichen poetische Gedanken auf eine Wirthschaft, die 1682, bey einer Wirthschaft in Berlin, eine Diane, eine Sultaninn, der Sultan, der Schäfer, die Zigeunerinn, die Mohren, der Hausknecht, der Charlatan, ein Jude und zwo Jüdinnen, ein Pickelhering, eine Moscowiterinn, eine Gärtnerinn, hersagen sollen. Eben dergleichen findet man in Bessers Gedichten; wo bey dem Jahrmarkte und der Masquerade, die der Churfürst Friedrich 1700. auf den Geburthstag der Gemahlinn gefeyert, verschiedene vermummte Damen als Quacksalber, Zigeunerinnen und Taschenspieler vorgestellet, und redend eingeführet werden. Wollte man nun gleich sagen, der Dichter habe nur diese zufälligen Gedanken über die also verkleideten Personen ausgelassen: so sehe ich doch, daß sie alle ausdrücklich so aufgesetzt sind, daß jede Person sie nach ihrem Character hat reden können, um die Gesellschaft zu vergnügen. Z.E. Diana , die Zweifelsfrey von einer großen Prinzessinn, vieleicht der Churfürstinn selbst vorgestellet worden, spricht: Wo hab ich mich verirrt? wo bin ich eingekehret? Warum ist dieser Ort so herrlich ausgerüst? Es scheinet, wo ich bin, daß auch mein Tempel ist, Weil hier so manches Volk, als Göttinn, mich verehret. 3. §. Sollte es jemanden bedünken, daß dieses schon einigermaßen zu den Mummereyen, oder Maskeraden gehöre; so will ich nicht sehr zuwider seyn, und aus dem P. Menestrier, ein altes Muster einer schönen Verkleidung anführen, welches in Wälschland, gegen das Ende des XV. Jahrhunderts von dem Bergonzo Botta, einem Lombardischen von Adel zu Tortona, dem Herzoge von Meyland, Joh. Galeazzo, zu Ehren, bey dessen Beylager mit der Prinzessinn Isabella von Arragonien, vorgestellet worden. Als alles bey der Tafel saß: so ward keine Schüssel aufgetragen, dabey nicht eine vermummte Person, mit einem Gedichte, Liede, oder einer Fabel aus dem Alterthume erschien. Z.E. Jason brachte das goldne Vließ aus Kolchis. Mercur erzählte, mit was für List er dem Apollo, der des Admetus Vieh weidete, ein Kalb gestohlen, um dieser Mahlzeit das Gebratene zu liefern. Diana brachte den in einen Hirsch verwandelten Actäon geführet, und nachdem sie die Ursache ihres Zornes erkläret, schloß sie für ein Wild, das aus einem Menschen entstanden wäre, sey kein würdiger Grab, als der Durchl. Braut Magen, zu ersinnen. Orpheus kam, und sagte, als er auf dem apenninischen Gebirge den Verlust seiner Euridice beweinet, und von diesem prächtigen Beylager gehöret, wären zu dem Klange seiner Leyer die leckersten Vögel herzu geflogen, die er hiermit zur Tafel liefern wollte. Atalanta brachte des kalydonischen Ebers Kopf, den sie so viel Jahrhunderte aufbewahret hätte, zu diesem Feste; und gestund, daß sie der Durchl. Braut an Schönheit gern weichen wollte. Als ein gekochter Pfau aufgetragen ward, kam Iris, der Juno Vorläuferinn, die einen Wagen führte, der von Pfauen gezogen ward; und Argus trug die Schüssel. Theseus brachte das übrige von dem Eber; Hebe, Jupiters Mundschenkinn, trug das Confect auf, und sagte, daß es Ambrosia von der Göttertafel wäre. Arkadische Schäfer brachten Käse und Milchspeisen, die Pan selbst zubereitet hätte. Vertumnus und Pomona brachten Früchte, und sagten, sie hätten mit Fleiß ihre Zeitigung beschleuniget. Die Najaden und Flußgötter, brachten Fische, Austern und Muscheln. Ulysses endlich brachte eine Sirene geführet, die er gefangen hätte, um sie der fürstlichen Braut zu schenken. 4. §. Als die Tafel aufgehoben war, kam Orpheus in griechischer Tracht, und foderte den Hymen singend auf. Dieser erschien, von einem Schwarme kleiner Liebesgötter begleitet, die wechselsweise ein Brautlied sungen! Die drey Gratien mit einem Gürtel umgeben, erschienen im Dreyecke, und dreheten sich geschicklich in die Runde, wobey die letzte artige Verse gegen die Braut hersagte. Die eheliche Treue folgte in einem schneeweißen Kleide, und trug ein weißes Häschen in der Rechten, und ein Halsband von Jaspis in der Linken: womit sie sich der Braut zu eigen widmete. Hierauf kam Merkur vom Himmel geflogen, und brachte die Fama geführet. Diese ward vom Virgil an einer, und dem Livius an der andern Seite begleitet, und erklärte ihr Amt, in ewiger Ausbreitung alles Guten und Bösen. Virgil sagte darauf ein lateinisches Gedicht her. Nun erschien Semiramis, von einem Schwarme unzüchtiger Weiber, Helena, Medea, Kleopatra, begleitet; die aber, als sie ihre Schandthaten erzählen wollten, von der ehelichen Treue bestrafet, und auf ihren Befehl von den Liebesgöttern mit ihren brennenden Fackeln, womit sie ihre Kleider ansteckten, hinausgetrieben wurden. Nun erschien ein Chor ehrbarer Frauen; Penelope, Lucretia, Tomyris, Judith, Portia, Sulpitia, die alle mit Versen die Tugend priesen, und die Prinzessinn Isabella lobten. Zum Beschlusse kam noch ein betrunkener Silen auf seinem Esel ins Zimmer geritten, der so lange herumtaumelte, bis er vom Esel fiel, und der ganzen Vorstellung ein lustiges Ende machete. Nun urtheile man, ob wohl was sinnreichers und artigers ausgedacht werden kann, als dergleichen maskirte Vorstellung, darinn sich Erfindung, Witz und Pracht zugleich gezeiget, und so zu reden, die ganze Dichtkunst ihre Reichthümer erschöpfet hat, ein Beylager zu verehren. 5. §. Doch ich muß noch eins anführen, welches der engl. Aufseher im II. Bande, im 115. St. aus dem Strada genommen, und beschrieben hat. Dieses ist Pabst Leo dem X. zu Ehren aufgeführet worden: ich will es aber mit den eigenen Worten der Uebersetzerinn hier einrücken: Man weis überall, daß Pabst Leo der Zehnte ein großer Gönner der Gelehrsamkeit gewesen, und bey den Ausführungen, Gesprächen und Disputationen der besten Schriftsteller seiner Zeit zugegen zu seyn pflegte. Auf diesen Grund erzählet Strada folgendes: Als dieser Pabst auf seinem Lusthause gewesen, welches auf einer Höhe an dem Ufer der Tiber gelegen, so hätten die Dichter folgendes Schauspiel zu seiner Ergetzung ausgesonnen. Sie haben einen hohen schwimmenden Berg gemacht, der gleich dem Parnaß, auf der Spitze gespalten gewesen. An diesem waren verschiedene Merkmaale, daß er zur Wohnung der epischen Poeten bestimmt wäre. Von allen Musen erschien die einzige Calliope. Der Berg war von oben bis unten mit Lorberwäldern bedeckt. Pegasus erschien an der Seite des Berges, nebst einem Fluße, der aus seinem Hufe entsprang. Dieser schwimmende Parnaß floß unter dem Klange der Trompeten den Fluß hinunter, und zwar in einer Art von epischem Maaße; denn er ward mit sechs Schrauben, drey an jeder Seite, fortgezogen, die durch ihre beständige Bewegung diese Maschine bis vor den Pabst führeten. Die Ebenbilder der alten Poeten waren auf solche Plätze gestellet, die eines jeglichen Charactere gemäß waren. Statius stund auf der höchsten von den zwo Spitzen, die als ein Abgrund gebildet war, und über den übrigen Theil des Berges auf eine schreckliche Art hing, so daß die Leute ihn mit eben dem Entsetzen, und mit derselben Begierde ansahen, als sie einem kühnen Seiltänzer zusehen, von dem sie alle Augenblicke fürchten, er werde fallen. Claudian saß auf dem andern Hügel, der etwas niedriger, und zugleich etwas ebener und gleicher war, als der vorige. Man sah auch daß er fruchtbarer war, und an einigen Orten Gewächse hatte, die in Italien unbekannt und von der Art sind, die die Gärtner ausländisch nennen. Lucretius war mit dem Fusse des Berges sehr beschäfftiget, indem er lediglich auf die Bewegung und Einrichtung dieser Maschine acht gab, welche unter seiner Aufsicht stund, und auch wirklich von ihm erfunden war. Er war zuweilen in das Schraubwerk so sehr vertieft, und mit Maschinen bedeckt, daß nicht viel über die Hälfte des Dichters den Zuschauern sichtbar blieb, ungeachtet zu anderer Zeit, wenn das Uhrwerk gieng, er mit erhoben und so sichtbar ward, als seine Mitbrüder. Ovidius hielt sich an keinen festen Ort, sondern flatterte über den ganzen Parnaß mit großer Behendigkeit und Flüchtigkeit. Da er nun nicht viel nach der Arbeit und Mühe fragte, welche erfodert ward, um auf den obern Theil des Gipfels zu kommen, so schwärmete er beständig an dessen Boden herum. Keiner aber stund auf einem höhern Orte, und hatte eine größere Aussicht vor sich, als Lucan . Er sprang auf den Pegasus gleich dem hitzigen und unerschrockensten Jünglinge, und schien begierig zu seyn, auf dessen Rücken bis in die Wolken zu dringen. Da aber die Hinterbeine des Thieres im Berge steckten, indem der übrige Leib sich in freyer Luft aufbäumte, so erhielt sich der Dichter mit genauer Noth, daß er nicht hinunter glitte: so daß das Volk ihn auch schon oftmals aufgab, und alle Augenblicke aufschrie, er fiele bereits. Virgil , dessen Blicke sehr bescheiden waren, saß neben der Kalliope , mitten in dem Lorberwäldchen, welches dick um ihn herum wuchs, und ihn fast mit seinem Schatten verdeckte. Er wollte in dieser Eingezogenheit fast nicht einmal gesehen seyn: allein es war unmöglich, die Kalliope zu sehen, ohne zugleich auch den Virgil zu erblicken. Kaum war diese poetische Mummerey vor des Pabstes Lusthause angekommen, als sie auf das Land gebethen ward, welches sie auch that. Der Saal, so zu ihrer Aufnahme zubereitet war, erfüllte eine Versammlung von den vornehmsten Personen an Stande und Artigkeit. Die Dichter satzten sich, und lasen jeglicher ein Gedicht in der Schreibart, und mit demselben Schwunge vor, als die unsterblichen Dichter würden gethan haben, deren Stelle sie vertraten. 6. §. Noch ein ausländisches muß ich aus dem Crescimbeni anführen. Als im vorigen Jahrhunderte der Herzog von Braunschweig, zu Venedig war, ward ihm zu Ehren folgendes vorgestellet. Auf dem großen Canale kam ein ungeheurer Wallfisch geschwommen, auf welchem Morpheus der Gott des Schlafes saß, und ein Lied absang. Hierauf eröffnete sich das Ungeheuer, und verwandelte sich in einen Hügel, der eine Art der elysischen Felder, oder die Gärten der Hesperiden vorstellete, darinn alle Bäume voller Lampen waren, dazwischen man die schönsten Früchte sah. Darunter sah man auf dem Hügel in theatralischen Kleidungen ein kleines Drama aufführen, und mit einer schönen Musik beschließen. Ich schweige vieler andern, die zu Parma, Rom und Florenz vorgestellet worden. Ja man hat von solchen Mummereyen ein ganzes Buch, unter dem Titel CANTI CARNASCIALESCI, welches Grazini 1559. herausgegeben. Allein auch unsre Deutschen haben es an dergleichen Erfindungen nicht fehlen lassen. In David Schirmers Rautengepüsche von 1657. finde ich ein Drama, oder Liebesspiel der Nymphen und Satyren, darinn Nymphen, Satyren, Amuretten, Diana, und Jäger vorkommen, und in etlichen Auftritten ihre Personen spielen. Eben dahin rechne ich Georg Neumarks Gesprächspiel vom Lobe und den Gemüthsgaben Herzog Wilhelms des IV. zu Sachsen Weimar, welches an dessen 61sten Geb. Tage 1659. in einem theatralischen Aufzuge vorgestellet worden. Imgleichen den lobwürdigen Kadmus der 1663. in Kopenhagen, dem König von Dännemark Friedrich dem III. und der Königinn zu Ehren, von Adam Fr. Wernern , im Deutschen aufgeführet worden; und noch ein anders, das eben daselbst und in eben dem Jahre, dem Churfürsten zu Sachsen, seiner Gemahlinn und seinem Churprinzen zu Ehren, unter dem Titel Masquerada, die Waldlust, vorgestellet, und zu Kopenhagen gedruckt worden. In Morhofs Gedichten findet sich endlich auch eine Masquerade auf des Herzogs von Holstein Geburtstag 1669, den 3. Febr. die man a.d. 157. S. bey ihm nachlesen kann. 7. §. In etwas neuerer Zeit hat Besser zu Berlin bey großen Feyerlichkeiten, eben dergleichen versuchet. Er nennt das eine, das 1696. der verw. Churfürstinn zu Sachsen, Eleonoren, zu Ehren angestellet worden, Florens Frühlingsfest. Darinn hat die Churfürstinn selbst die Flora vorgestellet; Marggraf Albrecht hat selbst einen Schäfer, der Churprinz, Fr. Wilhelm, den Cupido; andere Vornehme haben den Vertumnus, die Diana, den Silvan, die Pales, die Gratien, den Merkur, die Venus, den Mars, Schäfer und Schäferinnen vorgestellet; und viele Tänze haben das Spiel abgewechselt. Eben dergleichen scheint mir der Triumph der Liebe zu seyn; der 1700. an dem Beylagersfeste des damaligen Hessencasselischen Erbprinzen, und nachmaligen Königes von Schweden, Friedrichs, mit einer brandenb. Prinzeßinn, zwar als eine Tafelmusik aufgeführet worden, aber sich weit besser zu einer Verkleidung fürstlicher Personen geschicket hätte. Denn es ist ein Gespräch zwischen Peleus und Thetis, und ein Chor von Flußgöttern und Najaden stimmen mit ein; und alle thun Wünsche an das neue Paar. Endlich finde ich auch im Heräus dergleichen Erfindung, da er 1702. auf den Geb. Tag der Fürstinn von Sondershausen eine solche Masquerade, durch etliche kleine Prinzen aufführen lassen, deren einer den Cupido, der andere den Apollo vorgestellet. Dieses sind die Muster, die ich vor Augen gehabt, als ich vor einem Jahre für die durchl. Kaiserl. junge Herrschaft in Wien, ein kurzes Götterdrama aufsetzete, um selbiges an Ihrer Kaiserl. Königl. Maj. Hohem Namenstage vorstellen zu lassen: wie man im II. B. meiner Gedichte finden wird. 8. §. Es ist Zeit, auf die Ballete zu kommen, welches künstliche, aus vielen Personen bestehende, und mehrentheils dramatische, d.i. etwas vorstellende und bedeutende Tänze sind. Denn gesetzt nun, daß die obigen Wirtschaften und Verkleidungen, an manchen Höfen nicht Beyfall fänden; oder wegen der Mühe im Auswendiglernen und Vorstellen, die dabey auch vornehme Personen trifft, sich nicht gar zu oft brauchen ließen: so darf man deswegen doch noch nicht zu den Opern seine Zuflucht nehmen. Denn fraget man mich: Was sollen aber große Herren zu ihrer Ergetzung, bey großen Solennitäten, für Lustbarkeiten anstellen? Oder sollen sie denn an Pracht und Kostbarkeit vor gemeinen Bürgern nichts voraus haben? so antworte ich erstlich: ein gutes Trauerspiel kann mit eben solcher Pracht aufgeführet werden, als ein Singespiel, wenn man nur an Verzierung und Erleuchtung der Schaubühne, an den Kleidungen der Komödianten, an der Musik, und an Tänzen, die zwischen den Aufzügen eingeschaltet werden, nichts sparen will. So habe ich zu unsers hochseligen Königs Augusts Zeiten, die französischen Trauerspiele, auf dem dreßdenischen Opertheater im Zwinger, vielmals aufführen sehen: und so ist auch mein sterbender Cato, auf der braunschweigischen großen Schaubühne, vor des hochseligen Herzogs Ludwigs Rudolphs Durchl. mehrmals von der neuberischen Gesellschaft aufgeführt worden. Doch gesetzt, man wollte noch etwas anders auf der Schaubühne haben, dabey mehr Musik, und mehr Vorstellungen vorkämen: so kann schon Rath dazu werden, ohne zu den Opern seine Zuflucht zu nehmen. Man erfinde doch nur künstliche Ballete , nach der Art der alten Griechen, und neuern Franzosen. Diese werden zu der größten Pracht in Verkleidungen, zu neuen und seltenen Verzierungen der Schaubühne, zu vielen musikalischen Compositionen, und recht sinnreichen allegorischen Tänzen Gelegenheit an die Hand geben. 9. §. Der gelehrte Menestrier hat im Französischen einen sehr schönen Tractat, dES BALLETS ANCIENS ET MODERNES, SELON LES REGLES DU THEATRE, geschrieben. Diesen preise ich allen denen an, die etwas zur Vergnügung großer Herren erfinden wollen, das neu ist, und in die Augen fällt. Wir haben auch in Deutschland schon Proben davon gesehen. Vom 1661. Jahre habe ich ein gedrucktes Ballet von des Orpheus und der Euridice Trauergeschichte, ohne Ort und Verfasser. Am Bayreuthischen Hofe ist 1662. ein Ballet der Natur mit ihren vier Elementen, der Markgräfinn zu Ehren vorgestellet; und 1665. zu Dresden von Chyträus, auf eben diese Markgräfinn, ein Ballet der Elbe aufgeühret worden. Eben daselbst ist 1667. das Ballet der Glückseligkeit von Schirmern entworfen, und theils einzeln, theils in seinem Rautengepüsche gedrucket worden: und das Jahr darauf hat Morhof vor den Herzog von Holstein eins angegeben, wie in seinen Gedichten a.d. 135. u.f.S. zu lesen ist. Wer kann alle übrige erzählen, die ich auch selbst gedruckt besitze? Nur Bessern und den Heräus kann ich nicht vergessen, deren jener am Berlinischen, dieser am Sondershäusischen Hofe dergleichen angegeben. S. die 208. S. seiner Gedichte. Was Moliere hierinn für Erfindungen gehabt, wird einem jeden aus seinen Schriften bekannt seyn: wiewohl ich zweifle, ob alle die angeführten Stücke, nach Menestriers Regeln die Probe halten dörften. 10. §. Und von diesem schönen Werke einen kleinen Vorschmack, und denen, die zur Erfindung solcher Tänze Gelegenheit haben sollten, eine kleine Anleitung dazu zu geben; will ich einen kurzen Auszug aus demselben geben. Ich halte mich aber bey der Historie des Tanzens nicht auf. Ein jeder weis, daß es sehr alt ist. Die Schwester des Moses tanzte mit allen israelitischen Weibern nach dem Durchgange durchs rothe Meer, und sang dazu. Die Töchter von Siloh hatten ein jährliches Fest, da sie tanzten. David tanzte vor der Bundeslade, und vorhin hatten alle jüdische Weiber getanzet, als derselbe den Philister Goliath geschlagen hatte. Dieses waren nun fast lauter andächtige und religiöse, Tänze. Eben so haben die heidnischen Völker bey ihrem Gottesdienste allerley Tänze eingeführt gehabt; ja sie sind auch in der ersten Kirche an vielen Orten gewöhnlich gewesen, wo man sie in dem Chore der Kirchen, der, wie man noch itzo in Deutschland sieht, als eine Schaubühne erhaben war, gehalten; bis sie vieler Misbräuche halber abgeschaffet worden. Die alten Kirchenväter haben wider die theatralischen Tänze der Heiden geeifert; nicht weil sie Tänze waren; sondern weil sie sehr freche und üppige Tänze waren, die ein großes Aergerniß gaben. Von solchen ungeistlichen Tänzen aber ist hier gar nicht die Rede, wenn wir von den Balleten handeln: und also darf man gar nicht besorgen, daß dadurch das Heidenthum mit seinen Schandbarkeiten wieder eingeführet werden würde. 11. §. Wir wollen uns auch bey denen Tänzen nicht aufhalten, die nach den besten alten Dichtern, den heidnischen Gottheiten beygelegt worden. Beym Athenäus tanzet einmal Jupiter selbst. Pindarus nennt den Apollo einen Tänzer: Virgil läßt Dianen mit ihren Nymphen an dem Flusse Eurotas tanzen. Apulejus sagt, Venus habe auf der Psyche Hochzeit getanzet; und Horaz meldet, sie habe es bey Mondenscheine, in Gesellschaft der Gratien, auch einandermal gethan. Bacchus soll in Indien getanzt haben. Hesiodus läßt die Musen um den Altar Apollons vor Sonnenaufgange tanzen. In einer Idylle des Theokritus tanzen die Nymphen der Brunnen; und im Virgil tanzen auch die aus den Schiffen verwandelten Seenymphen um den Aeneas her. Alles dieses führe ich an, um zu zeigen, daß man nach der Wahrscheinlichkeit der alten Fabeln, auch die Götter könne tanzen lassen: denn diese mythologischen Personen haben an unsern Ballets einen großen Antheil: und so sparsam sie in den Trauerspielen statt haben, so häufig können sie in diesen Tanzspielen vorkommen. Ja in Ermangelung bequemer Gottheiten, kann man sich allegorische Personen dichten, und sie tanzend aufführen. Z.E. Die Jahreszeiten, die Welttheile, die Schutzgeister der Länder und Völker, die Monate, die vier Winde, die sieben Planeten, die Stunden des Tages und der Nacht, die himmlischen Zeichen, die Tugenden und Laster, die Wissenschaften und Künste; kurz, alles was ein Poet, durch eine Personendichtung redend einführen kann, das kann auch in einem solchen Tanzspiele, tanzend vorgestellet werden. 12. §. Wie nun ein jeder hieraus sieht, daß es bey diesen unsern Tänzen nicht nur auf die Figuren der Tänze allein, sondern auch auf die tanzenden Personen ankömmt: also muß ich auch gleich anfänglich erinnern, daß alle die Tanzspiele allegorische und bedeutende, d.i. wie man itzo spricht, pantomimische Tänze in sich halten müssen. Fragt man nun, was denn diese Tänze bedeuten können und sollen? So antworte ich; erstlich eine Verehrung vornehmer Personen, an deren Festtagen sie aufgeführet werden: denn die Alten glaubten, daß das Tanzen eine Art des Gottesdienstes wäre, welche den Göttern sehr gefällig seyn müßte. Man meynt, dieses habe seinen Ursprung, aus der Meynung des Pythagoras, der dafür gehalten, daß Gott eine Harmonie, (NUMERUS) oder ein Tact, das ist ein abgemessenes, sehr wohl übereinstimmendes Wesen sey. Dem sey nun wie ihm wolle: so haben doch fast alle Völker bey ihrem Gottesdienste Musiken und Tänze gehabt; diejenigen Gottheiten zu verehren, denen die Feste geweihet waren. Daher ward auch in allen wohlbestellten Republiken die Jugend zum Tanzen angeführet, theils daß sie geschickt, theils daß sie stark von Leibe werden möchte: denn es gab auch martialische Tänze, die mit voller Rüstung, oder doch mit einigen Waffen geschahen. Selbst die lacedämonische Jugend war davon nicht ausgenommen: und die größten Helden haben solche Tänze theils geliebet, theils mitgemachet, wie die Exempel Merions aus Creta, des Ulysses, des Antiochus, des Polysperchon, des Philippus, Alexanders Vater, des Epaminondas, des Scipio, u.a.m. zeigen. 13. §. Doch unsre Tanzspiele sollen nicht nur bloße Tänze, sondern Allegorien, und redende Bilder gewisser Dinge seyn. Lucianus will das erste Muster solcher Ballete in der Bewegung der Sterne und Planeten finden, die mit der schönsten Harmonie geschieht: und es wäre nicht unmöglich, solche planetische Tänze, welche die berühmten Weltordnungen vorstelleten, aufzuführen; wie Postel in seinem Wittekind schon gedichtet hat. Die Aegyptier sind die ersten Erfinder hieroglyphischer Tänze gewesen. Plato ist ihr Bewunderer und Schüler gewesen, und kann denjenigen nicht genug loben, der zuerst die Harmonie des ganzen Weltgebäudes in einem Tanze vorgestellet hat. Die Ausleger des Sophokles , des Euripides und Aristophanes haben uns die Geheimnisse, die Plato unerklärt gelassen, entdecket. Sie sagen, alle Tänze der Aegyptier hätten die Bewegungen der Gestirne nachgeahmet: weil sie allemal rings um ihre Altäre getanzet hätten, die gleichsam, wie die Sonne, in dem Mittelpuncte des Himmels, gestanden hätten. Daher wären nun in den Chören der Tragödien die Strophen, und Antistrophen entstanden. Denn erstlich hätten sie im Kreise von Morgen gegen Abend in die Runde getanzet, um dadurch die gemeine Bewegung des Himmels abzubilden: hernach aber hätten sie den Kreis von Abend gegen Morgen herum gedrehet, um dadurch die eigene Bewegung der Planeten, wider die Ordnung der himmlischen Zeichen im Thierkreise vorzustellen. Zuletzt aber hätten sie noch die Epode, oder den Beschluß, stillstehend abgesungen; um dadurch die Unbeweglichkeit der Erdkugel abzubilden. Die Griechen haben diese ägyptische Erklärung verworfen, und die Tänze von dem Ein- und Ausgange des Theseus in den Labyrinth erkläret; als welcher Held die griechische Jugend zu Delos zuerst darinnen unterrichtet hatte. 14. §. Dieses ist nun die erste Art solcher bedeutenden Tänze gewesen, die mit zu den Schauspielen gezogen worden; und die Athenäus philosophische Tänze nennet, weil alles darinn ordentlich und bedeutend war. Agamemnon hat seiner Gemahlinn Clytemnestra, als er nach Troja zog, einen so philosophischen Tanzmeister hinterlassen, der ihr durch allegorische Tänze die Zeit verkürzen, und zugleich die Liebe zur Tugend beybringen sollte: und dieses ist mit so gutem Erfolge geschehen, daß sie nicht eher verführet werden können, als bis Aegysthus diesen Meister ermordet hatte. Die Alten spielten auch im Tanzen den Ball: und daher kömmt das heutige Wort Ball, Ballet, womit man die Tänze benennet, von βάλλειν werfen: σφαῖρα βαλλομένη eine Kugel zum werfen, wie Suidas den Ball erklärt. Darauf haben sich allerley Meister der Ballete gefunden: Bathyllus von Alexandrien hat lustige, Pylades aber ernsthafte und pathetische Tänze zu den Schauspielen erfunden. Solche Tänze nun waren geschickt, die Bewegungen des Leibes zu bessern, so wie die Tragödie die Regungen des Gemüths in Ordnung zu bringen dienen sollte. Aber überhaupt geben die Alten, die davon geschrieben haben, diese Erklärung eines solchen Tanzspiels: Es sey eine Nachahmung derjenigen Sachen, die man saget und singt, durch abgemessene Gebärden und Bewegungen des Leibes. Und Aristoteles sagt gar, daß man die Sitten und Gemüthsbewegungen, durch die harmonischen tactmäßigen Stellungen und Tritte ausdrücken müsse. 15. §. Es ist also mit den Balletten oder Tanzspielen nicht anders bewandt, als mit den übrigen Künsten: sie sind alle Nachahmungen, nur mit dem Unterschiede, daß, da die Malerey z.E. nur die Figur, die Farben und die Ordnung der Dinge vorstellen kann; diese Tanzkunst auch die Bewegungen ausdrücket, und sogar die Natur vieler Dinge und die verborgene Beschaffenheit des Gemüthes abschildern kann. Diese Nachahmung nun geschieht durch die Bewegungen des Leibes, und zwar nach der Harmonie der Musik, welche gleichfalls die Gemüthsbewegungen ausdrücket. Es ist bekannt, wie vieles man mit Geberden und Bewegungen der Gliedmaßen des Leibes zu verstehen geben kann; und die Alten haben ihre Pantomimen gehabt, die sich alles, ohne ein Wort zu sprechen, auszudrücken getrauet. Man weis auch, daß jede Gemüthsbewegung ihre eigene Stellungen und Bewegungen hat, dadurch sie sich an den Tag legt. Solche Dinge nun müssen in den Tanzspielen vorgestellet werden. Wir haben an der FOLIE D'ESPAGNE, und vieleicht auch an dem so genannten AIMABLE VAINQUEUR, wenn dieser von zweyen getanzt wird; ein Paar Tänze, die solche Gemüthsbewegungen ausdrücken. Denn jener soll den spanischen Eigensinn, dieser aber die Gemüthsart zweyer Verliebten vorstellen; die bald sehr freundlich mit einander thun, bald kaltsinnig werden, bald sich erzürnen, sich aber dennoch wieder vertragen: und es fehlt nur ein Text dazu, der sich zu allen diesen Gebärden schicket, und sie zu erklären geschickt ist; so wird es ein jeder bemerken. Auch die englischen Tänze sind insgemein so allegorisch, wie z.E. der JALOUSIE-Tanz genugsam zeigen kann; der alten deutschen Schäfertänze zu geschweigen. 16. §. Doch ich vertiefe mich zu weit. Nun sollte ich weitläuftig lehren, wie ein Erfinder solcher Tanzspiele sich eine alte Geschieht, oder Fabel erwählen; oder auch eine neue ersinnen könne, die er in einem theatralischen Tanze vorstellen will. Ich sollte zeigen, wie diese Erfindung im Tanzen, gleichfalls eine Einheit in der Handlung, ober Absicht haben muß, darauf alle ihre Theile abzielen. Ich sollte auch an die Hand geben, was für Mittel man habe, die Personen, die man tanzend aufführt, zu characterisiren. Ich sollte endlich zeigen, was man bey dem allen für Fehler begehen könne, und dieses mit Exempeln alter und neuer, guter und schlechter Ballete erläutern. Allein theils ist dieses schon in den vorigen Hauptstücken von Schauspielen geschehen; theils muß es ein Erfinder dieser Spiele aus dem Alterthume und der Mythologie wissen; theils ist es mir hier zu weitläuftig ins Werk zu richten. Uebrigens gehören aber auch geschickte Musikmeister und Tanzmeister dazu, die das, was der Poet erfunden, geschicklich auszuführen wissen. Daß ein vermögender großer Herr dazu gehöre, der zu dergleichen Spielen die Kosten hergeben kann, das versteht sich von sich selbst. Es wäre denn, daß in einer großen Residenz, z.E. wie Wien ist, die Menge der Zuschauer so viel eintrüge. Denn hier habe ich 1749. auf der deutschen Schaubühne am Kärnther-Thore die artigsten pantomimischen Ballette vorstellen gesehen, die alle sehr redend waren, ungeachtet kein Wort dabey gesprochen wurde. Aber hier sah man auch eine prächtige Schaubühne, mit vielen Verzierungen, ja auch fast bey jedem neuen Ballette, neue Maschinen, Kleidungen und Zierrathe in großer Menge. Was kostet nicht die große Anzahl Tänzer zu unterhalten, die sich oft bis auf 30 und mehr Personen und drüber erstrecken können? 17. §. Ich habe es noch vergessen zu erwähnen, daß aller Schönheit der Vorstellungen ungeachtet, dennoch oftmals diese allegorischen Tänze dem meisten Theile der Zuschauer wahrhafte hieroglyphische Figuren seyn würden, davon sie nichts verstünden; wenn nicht der Poet zuweilen den vornehmsten Personen solcher Tanzspiele auch gewisse Worte zu reden und zu singen in den Mund legte. Diese werden nun in lauter Versen, doch kurz und gut gemacht: weil die Absicht nicht ist, durch Worte, sondern durch Bewegungen des Leibes etwas anzuzeigen. Doch wer davon mehrere Anleitung verlanget, der muß den oben gerühmten Menestrier nachlesen, wo er zugleich einen großen Vorrath von Erfindungen zu Balletten antreffen wird. Man kann auch die gelehrten Abhandlungen nachlesen, die in den MEMOIRES DE L'ACADEMIE DES BELLES LETTRES & DES INSCRIPTIONS, in verschiedenen Bänden dieses Buches vorkommen. Endlich lese man auch das oberwähnte Buch THE TASTE OF THE TOWN, wo gleichfalls in der III. Abtheilung von den Tänzern, und in der IV. von Chören gehandelt wird, die beyde zu dieser Absicht gehören. Vieleicht kommen einmal in Deutschland die Zeiten, da man durch dergleichen sinnreiche Erfindungen, die das vorige Jahrhundert schon gekannt, und geliebet, die Schaubühne wieder emporheben, und den bisherigen Wust der unnatürlichen Opern, in solche allegorische Tanzspiele; die abgeschmackten Haupt- und Staatsactionen, in herzrührende Trauerspiele; und die närrischen Burlesken der italienischen und anderer gemeinen Komödianten, in lehrreiche und scherzhafte Lustspiele verwandelt sehen wird. Fußnoten 1 Ueber die Gelehrsamkeit versteht der Kaiser auch die Musik, und läßt oft in seiner Hofcapelle Stücke von seiner eigenen Composition aufführen. Das ist auch die Ursache, warum er verschiedene MUSICOS, sonderlich Italiener unterhält, die sich dann wegen dieser Zuneigung bey verschiedenen Gelegenheiten sehr ungebührlich aufführen. Es ist mehr als einmal geschehen, daß, wenn sie sind beysammen gewesen ein Concert zu halten, sie sich im Angesichte des Kaisers und ganzen Hofes geweigert, indem sie vorgegeben, sie würden nicht richtig bezahlet. – – – Ich kann sagen, daß ich diese Fasten selbst ein Zeuge ihrer Ungezogenheit gewesen. Denn als ein solcher Halbmensch sich durch das Volk die Stiege hinauf dringen wollte, als eben ein musikalisches Oratorium gesungen ward, ungeachtet er keine Partie dabey zu singen hatte, wollte er einen fremden Cavalier, so ihm im Wege stund, fortstoßen, und wie ihm dieser nicht sogleich den verlangten Respect bezeigete, sagte er gleichsam dräuungsweise: EGO SUM ANTONIUS MANNA, MUSICUS SACRÆ CÆSAREÆ MAJESTATIS; gleich als wenn ihn diese kleine Qualität gegen die ganze Welt hätte schrecklich machen sollen. – – – Wenn man aufrichtig sagen soll, was man dabey gedenket, so ist man wahrhaftig nicht wenig gegen die Musikanten erbittert, und hat man zu Venedig und durch ganz Italien solche empfindliche Gedanken über ihre Unbescheidenheit geführet: denn da sie von dem gemeinsten Pöbel herstammen, von welchem man sie nimmt, und sie hernach von großen Herren, in Ansehung ihrer Stimme, gesuchet und geliebkoset werden: so entreißt sich ihr kleiner Verstand bey diesen Gnadenbezeugungen, seiner Gränzen etc. Weil sie sich Geld verdienen, daß sie als Leute von Stande leben können, und einige Protection bey großen Herren genießen, so unterstehen sie sich, alle Leute ungestrafet zu beleidigen; ob sie gleich sonst mit allen Lastern angefüllet sind, daraus sie sich noch eine Ehre machen, um für Leute, die etwas zu sagen haben, angesehen zu werden. So redet man von den MUSICIS vom ersten Orden, und von den Helden der Singe-CAN – – die die Gnade der großen Herren misbrauchet. 2. 6. Von Schäferspielen, Vorspielen und Nachspielen Des II. Abschnitts VI. Hauptstück. Von Schäferspielen, Vorspielen und Nachspielen. 1. §. Ich habe zwar oben im ersten Abschnitte von Idyllen, oder Schäfergedichten gehandelt; auch beyläufig erinnert, daß dieselben zum Theil auch dramatisch, das ist gesprächsweise, eingerichtet würden. Und so viel lehrten mich die Exempel und Meisterstücke der Alten. Allein von ganzen theatralischen Schäferstücken weis das ganze Alterthum nichts: ungeachtet nichts natürlicher gewesen wäre, als darauf zu gerathen. Denn ahmet das Trauerspiel die vornehmste Classe der Menschen, ich meyne das Leben der Könige und Fürsten nach; so schildert das Lustspiel den Mittelstand der Welt, an Adel und Bürgern ab. Nun ist noch die dritte Lebensart, nämlich der Landleute übrig: davon wir bey den alten dramatischen Dichtern keine Nachahmungen finden. Dieses ist nun destomehr zu bewundern, da die ganze theatralische Dichtkunst auf den Dörfern und Flecken zuerst entstanden. Soll ich meine Gedanken von der Ursache entdecken, so werden es diese seyn: Landleute, welche die Beschwerlichkeiten ihrer Lebensart zur Gnüge kannten, konnten unmöglich begierig seyn, den Abriß derselben auf der Bühne zu sehen. Hergegen konnten sie, nach der natürlichen Neubegierde der Einfältigen, gar wohl begierig seyn, das Leben der Könige und Fürsten, kennen zu lernen; oder auch das Stadtleben des Bürgerstandes vorgestellet zu sehen. Nach beydem konnte das unwissende Landvolk lüstern seyn: so wie wir im Gegentheile finden, daß die Großen dieser Welt sich gern an den Thorheiten des Mittelstandes, und wohl gar an den Bauerpossen eines Hanswursts, oder andern groben Lümmels, er sey nun wälsch oder deutsch, belustigen; ernsthafte Trauerspiele aber, von Königen und Fürsten gar nicht sehen mögen; es wäre denn, daß sie nach Art der Opern ganz ins verliebte Fach gehöreten, und durch Musik und Tänze in Stücke aus Schlaraffenland verwandelt worden. 2. §. Ich weis wohl, was die Bewunderer des Alterthums hier sagen werden. Um zu behaupten, daß es ihm auch an Schäferstücken nicht gefehlet habe, werden sie sich auf die satirischen Schauspiele der Griechen berufen; davon Casaubonus ein ganzes Buch geschrieben. Ich kenne es, und habe es mit Bedacht gelesen, wie es 1605. unter dem Titel ISAACI CASAUBONI DE SATIRICA GRÆCORUM POESI, & ROMANORUM SATIRA, zu Paris in 8. herausgekommen. Hier darf zuförderst niemand den ken, daß die griechische Satire von eben der Art gewesen, wie die lateinische, eines Lucils, Horaz , oder Juvenals , nachmals gewesen. Nein, sie war kein Gedicht zum Lesen, wie etwa Homers Margites; sondern ein dramatisches Stück, welches man auf einer Bühne mit lebendigen Personen vorstellete. Sie hatte den Namen von des Bacchus Gefährten, den Silenen und Satiren; weil nämlich diese dem Bacchus zu Ehren, an seinen Festtagen, von dem betrunkenen Landvolke vorgestellet wurden. Horaz beschreibt uns diesen Zustand, in dem Schreiben an den Kaiser August: AGRICOLÆ PRISCI, FORTES, PARVOQUE BEATI, CONDITA POST FRUMENTA, LEVANTES TEMPORE FESTO CORPUS, & IPSUM ANIMUM, SPE FINIS, DURA FERENTEM, CUM SOCIIS OPERUM & PUERIS & CONJUGE FIDA, TELLUREM PORCO, SILVANUM LACTE PIABANT; FLORIBUS & VINO, GENIUM, MEMOREM BREVIS ÆVI. FESCENNINA PER HUNC INVENTA LICENTIA MOREM, VERSIBUS ALTERNIS OPPROBRIA RUSTICA FUDIT. Von diesem Ursprunge nun, will Casaubonus die satirische Poesie der Griechen herleiten: und ich bin ihm in soweit nicht zuwider, als die ganze theatralische Dichtkunst ihren Ursprung daher genommen. Diese theilte sich nun bald nach dem Thespis und Pratinas in tragische und komische Stücke ab: davon jene ernsthaft und traurig, diese aber beißend und lustig waren; weil sie dem Bacchus zu Ehren gespielet wurden. Allein dabey sehe ich nicht die geringste Spur unserer Schäferspiele. 3. §. Soviel gelehrte Sachen vom Ursprunge der Schauspiele Casaubonus auch anführet, und so richtig dieselben auch sind, so beweist er doch nichts mehr, als daß es alte Dorfstücke, die sehr beißend und spöttisch gewesen, gegeben; und darinn man Faunen und Satyren aufgeführet, ja sie von diesen mit leichtfertigem Hüpfen und Springen, und lüderlichen Worten, spielen lassen. Dieß ist also der Ursprung der Komödie, wie er selbst gesteht; daß σατυρικὰ δράματα oder schlechtweg Σάτυροι nur den Tragödien entgegengesetzet worden; weil ihre Chöre aus Silenen und Satyren bestanden. Eben das bezeigt Horaz , wenn er schreibt: MOX ETIAM AGRESTES SATYROS NUDAVIT, & ASPER INCOLUMI GRAVITATE (SCIL. TRAGŒDIARUM) JOCUM TENTAVIT. Er nennt auch einen komischen Dichter SATYRORUM SCRIPTOREM; und die Natur dieser Spiele drückt er durch RISORES & DICACES SATYROS aus: VERUM ITA RISORES, ITA COMMENDARE DICACES CONVENIET SATYROS. Was zeigt das anders, als daß eine griechische Satyre kein unschuldvolles, ruhiges und verliebtes Schäferspiel; sondern höchstens eine etwas gröbere und unflätigere Bauerkomödie gewesen sey. Eben dieses beweiset das einzig übriggebliebene Stück von dieser Art, des Euripides Cyklops, auf den er sich beruft. Denn man lese denselben durch, so oft man will, so wird man nichts ähnliches mit einem neuern Schäfergedichte darinn finden. Der Riese Polyphem, Ulysses, seine Gefährten, und alle übrige Personen desselben, sind diejenigen Schäfer nicht, die wir auf unsere Pastoralbühne stellen könnten; um das unschuldige Weltalter unter Saturns Regierung, die tugendhaften Zeiten des Patriarchen, oder die Sitten des glückseligen alten Arkadiens vorzustellen: wie ich dieses im I. Abschnitte und V. Hauptstücke abgeschildert habe. 4. §. Bleibt also die Pastoralpoesie eine neuere Erfindung: so fragt sichs, wem wir dieselbe eigentlich zu danken haben? Schlage ich den Minturno , als einen Lehrer der wälschen Dichtkunst nach, der sein Buch, als Bischof zu Uguento 1563. geschrieben hat: so finde ich noch gar keine Spur von den Pastoralstücken darinnen; als die zu seiner Zeit noch nicht erfunden, oder doch nicht bekannt gewesen. Crescimbeni hergegen bemerket im IX. Cap. des IV. B. vom I. Bande seiner ISTORIA DELLA VOLG. POES. daß dieselbe in der Hälfte des XV. Jahrhunderts allererst ins Geschick gekommen. Denn nach einigen unförmlichen Versuchen älterer Dichter, die etwas schäfer- oder bauermäßiges in Verse gebracht, die sie bald FAVOLA, bald RAPRESENTATIONE DELLA FAVOLA, bald ECLOGA, bald COMEDIA RUSTICALE genannt, habe Angelus Politianus das Stück Orpheus gemacht; welches 1518. zu Venedig gedrucket worden. Nach diesem habe ein Ferrareser, Cinthio genannt, nach dem Muster der Alten 1545. eine sogenannte Satire, mit allerhand Faunen und Satiren vermischet, aufführen lassen, die den Namen Aegle geführet. Zehn Jahre hernach sey denn endlich das erste eigentliche Schäferstück, von einem andern Ferrareser, Beccari ,unter dem Namen IL SAGRIFIZIO, FAVOLA PASTORALE, erschienen, und das Jahr vorher gespielet worden. Im 1561 Jahre hat Cieco seine CALISTO, vorstellen lassen, ob sie wohl erst 1582. gedrucket worden. Darauf hat 1563. Albert Lollio , dem Herzoge Alfonsus von Ferrara zu Liebe, nach jenem Muster, die Aretusa gemacht, die er COMEDIA PASTORALE genannt. Bis endlich im 1573. Jahre der Amintas des Torquato Tasso , als eine FAVOLA BOSCARECCIA, zu Venedig ans Licht getreten; worauf denn endlich des Guarino sein PASTOR FIDO, und des Buonarelli FILLI DE SCIRO gefolget sind, die diese Art von dramatischen Vorstellungen völlig berühmt gemachet haben. 5. §. Es ist nicht zu leugnen, daß nicht der große Beyfall, den diese Stücke gefunden, und wodurch sie auch bis über die Alpen gedrungen, auch bey uns zuerst die Schäferstücke bekannt und beliebt gemacht. Zwar wenn wir bloße Bauerstükke machen wollten: so würden wir in Hans Sachsen und Ayrern eine gute Anzahl derselben antreffen. Z.E. Des erstern schwangerer Bauer, von 1544. und der Bauer mit dem Kuhdiebe, von 1550. der Baurenknecht will zwo Frauen haben, von 1551. u.s.w. Ja schon vor beyden würde Martin Rinckard uns in seinem münzerischen Baurenkriege 1520. eine Probe davon gegeben haben. Allein dieses ist unserer obigen Erklärung zuwider. Der erste aber, der, meines Wissens, des Guarini Pastor FIDO ins Deutsche gebracht, ist Eilger Manlich gewesen, der ihn in Reime gebracht, und 1619. in 12. zu Mühlhausen drucken lassen. Diese Verdeutschung führte den Titel: PASTOR FIDO, ein sehr schön, lustige und nützliche TRAGICO COMŒDIA etc. Das war nicht genug. Denn 1636. kam zu Schleusingen, unter eben dem Titel, einer TRAGICO COMŒDIA eine andere Dolmetschung zum Vorscheine. Indem aber diese Uebersetzungen im Schwange giengen, fand sich auch 1638. Herrn. Heinr. Scheren von Jewer, der uns eine neuerbaute Schäferey von der Liebe Daphnis und Chrysilla, nebst einem anmuthigen Aufzuge vom Schafdiebe, lieferte, und zu Hamb. in 8. drucken ließ: welches Stück ich auch besitze. Ja 1642. folgte auch des Torquati Tassi , Amyntas, von M. Mich. Schneidern , Prof. zu Wittenberg verd. und zu Hamb. gedr. Und zwey Jahre darauf gab Augspurger zu Dresden 1644. einen ganzen Band Schäfereyen ans Licht, darinn vier Schäferspiele in ungebundener Rede, nach den vier Jahrszeiten eingerichtet sind. 6. §. Ich würde noch ein großes Verzeichniß hersetzen müssen, wenn ich nun alle Nachfolger dieser Versuche nennen wollte. Ich will nur melden, daß sowohl der Pastor Fido , als der Amyntas noch mehr als einmal übersetzet erschienen. Der erste nämlich kam 1663. zu Weimar oder Erfurth in ungebundener Rede heraus, wiewohl hin und wieder einige Verse mit unterlaufen. Er hat die Ueberschrift auch PASTOR FIDO, oder die allerschönste TRAGI-COMŒDIA, der getreue Hirte genannt, so jemals auf dem großen Theatro der Welt gesehen worden etc. Es scheint, daß der Uebersetzer Statius Ackermann geheißen; denn dieser eignet dieselbe einem sächsischen Herzoge, Joh. George, zu, und wünschet, daß sie auf einer rechten pastoralischen Scena agiret werden möchte. Hierauf folgten Hofmannswaldau , und Abschatz , die ihn in Versen, aber in ungleich langen madrigalischen Zeilen verdeutschten, und sehr viel Beyfall damit erhielten. Der zweyte aber ist, der ältern Uebersetzungen nicht zu gedenken, noch vor wenig Jahren, von neuem poetisch ins Deutsche gebracht worden. Andreas Gryphius aber, der uns des Corneille schwärmenden Schäfer, als ein satyrisches Lustspiel betitelt, 1663. verdeutschet, um die überhandnehmende Schäfersucht lächerlich zu machen; hat uns auch die verliebte Dornrose, als ein kleines Bauerspiel selbst verfertiget. Unter den Originalen des vorigen Jahrhunderts aber, ist Hallmanns Urania, ein Schäferspiel, zu merken; und noch vor derselben hat er die sinnreiche Liebe, oder den glückseligen Adonis , und die vergnügte Rosibella , als ein Pastorell, auf die Vermählung Kaiser Leopolds 1673. verfertiget. Vor etwa zwanzig Jahren habe ich meine Atalanta, als ein Schäferspiel, verfertiget; und nachdem sie vielmal gespielet und in meiner Schaubühne bekannt worden, hat man sie an verschiedenen Orten nachgedrucket; ja es sind dadurch die Schäferspiele von neuem beliebt, und von vielen nachgeahmet worden. Ich könnte ein ganzes Verzeichniß neuerer Schäferstücke, die theils länger, theils kürzer ausgefallen, hersetzen, die seit zehn Jahren ans Licht getreten; wenn dieses die Absicht wäre. In der Historie der deutschen Schaubühne wird dieses ausführlicher geschehen. 7. §. Was nun die Einrichtung solcher Schäferstücke betrifft, so kann sie dem nicht schwer fallen, der die obigen Hauptstücke von Idyllen, von Trauer- und Lustspielen wohl verstanden hat. In dem ersten sieht er die ganze Art des Schäferlebens, welches in einer gewissen Einfalt und Unschuld vorgestellet werden muß, wie man sichs in dem güldenen Weltalter einbildet. Man muß nämlich dadurch den Zuschauern eine Abschilderung der alten Tugend geben; um ihnen dieselbe als liebenswürdig zu entwerfen. Die Liebe kann darinn zwar herrschen, aber ohne Laster, und Unart: und wenn gleich zuweilen auch Personen von höherm Stande, oder aus Städten mit unterlaufen; so müssen dieselben doch dieser herrschenden Tugend des Landlebens keinen Eintrag thun: wie man an der Elisie in meiner Schaubühne sehen kann. Eine solche Liebesfabel nun muß ebenfalls ihre Verwickelung, ihren Knoten, und ihre Auflösung haben, wie ein Lust- und Trauerspiel. Es können unerkannte Personen darinn vorkommen, die allmählich entdeckt werden, und dadurch eine Peripetie , oder einen Glückswechsel verursachen; der aber insgemein ein vergnügtes Ende nehmen muß. Denn weil im Stande einer solchen Unschuld, keine Laster herrschen, so muß auch Schmerz und Unglück weit davon verbannet seyn; außer was die kleinen Bekümmernisse unglücklicher Liebenden etwa nach sich ziehen. Ein vernünftiger Poet schildert auch die Liebe der Schäfer zwar zärtlich, aber allemal keusch, und ehrbar, treu und beständig: damit niemanden ein böses Exempel, zum Schaden der Tugend, gegeben werde. 8. §. Ein Schäferspiel soll auch eigentlich fünf Aufzüge haben: doch haben einige auch wohl nur drey gemachet; wenn es ihnen an Materie gefehlet, fünfe damit anzufüllen. Diejenigen ganz kurzen Stücke, die gleichsam nur aus einem Aufzuge, von sechs, acht oder zehn Auftritten bestehen, werden als Nachspiele bey größern Trauer- und Lustspielen gebrauchet. In allen aber muß die Fabel ganz, in ihrem völligen Zusammenhange vorgestellet werden, so daß sie Anfang, Mittel und Ende habe, ohne die Dauer eines halben oder ganzen Tages zu überschreiten. Der Ort der Scene muß auch im ganzen Stücke derselbe, etwa ein Platz vor einer Schäferhütte, oder an einem Gehölze, oder in einer Wiese zwischen etlichen Gebüschen seyn, und durch das ganze Stück bleiben. Die Schreibart muß niedrig, aber nicht pöbelhaft, vielweniger schmutzig und unflätig seyn. Wenn gleich die Lustspiele die ungebundene Rede sehr wohl vertragen können: so sind doch in Schäferspielen die Verse sehr angenehm: wenn sie nur natürlich und leicht fließen. Denn gezwungene und hochtrabende Ausdrücke schicken sich für diesen Stand nicht. Spitzfindige Einfälle gehören hieher auch nicht: wie denn Schäfer von allen Erfindungen und Künsten der Städte nichts wissen sollen. Wenn man glaubet, daß solche Schreibart leicht ist, so betrügt man sich sehr: so spielend sie auch aussieht, wenn man sie gut beobachtet findet. Viele fallen ins pöbelhafte oder in die Zoten, ehe sie es meynen: wie Dünnehaupt in seinem gedrückten und erquickten Jacob, davon man den Auszug in den krit. Beyträgen sehen kann; oder ein neuerer Dichter, in seiner Liebe in Schäferhütten, welches mehr ein Bauerstück als Schäferspiel heißen kann. Andere neuere Dichter aber haben ihre Stücke bisweilen zu künstlich im Ausdrucke gemacht: und ihre Schäfer mit fontenellischer Spitzfindigkeit reden lassen. Die Mittelstraße ist nirgends nöthiger, als hier; von welcher aber auch Tasso und Guarini bisweilen abgewichen sind, wie oben im Haupst. von Idyllen bemercket worden. 9. §. Es haben viele auch musikalische Schäferspiele, als Opern gemachet, und aufgeführet. Von diesen ist der innern Einrichtung nach, nichts anders zu sagen, als von den andern. Eins von dieser Art ist der fontenellische Endymion , den ich deutsch übersetzet habe, ohne ihm die Gestalt einer Oper zu geben. Doch habe ich den ersten Aufzug in den Schriften der deutschen Gesellschaft auch auf diese Art eingekleidet, als ich einmal für den Hochsel. Herzog von Weißenfels eine Oper machen sollte: die aber durch eine Landestrauer unterbrochen ward. Man hat zwar viel solche einzelne Stücke gedruckt; daran doch manches auszusetzen wäre, wenn man sie prüfen wollte. Die Kleidungen der Schäfer müssen sehr einfältig und nicht kostbar, aber doch reinlich seyn. Weißes Leinen, und grüne wöllene Kleider zieren sie am besten. Seide, Gold und Silber kennen sie nicht. Ihre Strohhüte und Stäbe zieren sie mit etlichen bunten Bändern. Nichts ist angenehmer, als wenn man Kinder in dergleichen kleinen Schäferspielen übet, und sie mit den gehörigen Kleidungen vor Gästen, die man vergnügen will, etwas vorstellen läßt. Denn da durch werden sie herzhaft, üben ihr Gedächtniß, lernen ihre Person wohl spielen, deutlich reden, auf alle ihre Gebärden und Stellungen wohl acht geben, u.s.w. Ich kenne hier eine Familie, da die Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren sehr geschickt in diesem Stücke sind. Und geschickte Schulmänner haben bisweilen mit größern Schulknaben auch meine Atalanta u.d.m. zu vielem Vergnügen ihrer Zuschauer, sehr wohl aufgeführet. 10. §. Nun muß ich noch etwas weniges von Vorspielen und Nachspielen gedenken. Diese beyden Arten theatralischer Vorstellungen sind auch einestheils ganz neu: theils haben wir doch aus dem Alterthume kein Muster übrig behalten, darnach sich unsere Dichter hätten richten können. Das erste gilt von den Vorspielen. Denn diese pflegt man bey gewissen feyerlichen Tagen, an großer Herren Geburtsund Namenstagen, bey Beylagern, oder bey der Geburt hoher Prinzen, bey Jubelfesten von Akademien und Schulen, u.d.m. aufzuführen. Sie sollen also, dieser Absicht nach, die allgemeine Freude des Landes, der Städte, gewisser Gesellschaften und Stände, an den Tag legen, auch wohl gute Wünsche mit anbringen. Man muß also zu allegorischen oder mythologischen Personen seine Zuflucht nehmen, die sonst in andern Schauspielen billig keine statt finden. Man läßt das ganze Land z.E. Germania , Saxonia , Lusa tia u.d.gl. als ein Frauenzimmer mit einer Städtekrone; man läßt Städte, die Religion, die Wissenschaften, die freyen Künste, den Handel, u.d.m. auftreten. Zu diesen letzten brauchet man insgemein den Apollo, die Minerva, die Musen, den Merkur u.s.w. Bisweilen kann man auch wohl die Venus, den Cupido, die Gratien, die Diana, den Vertumnus, die Flora, die Pomona u.a.m. brauchen, um die Schönheit, Liebe, Anmuth, Jagd, den Frühling, Herbst, u.s.w. vorzustellen. Alle solche Personen müssen nach der Mythologie mit den gehörigen Kleidungen und Kennzeichen versehen und unterschieden werden: und man muß sich wohl vorsehen, daß unter solche allegorische oder mythologische Personen, keine wirkliche oder historische gemenget werden. In diesem Stücke ist Simon Dachs Schauspiel von der Sorbuise, auf das erste Jubelfest der Königsb. Universität, fehlerhaft: weil er beyderley untereinander menget. Auf das zweyte Jubelfest dieser hohen Schule steht ein Prologus oder Vorspiel in meiner Schaubühne VI. Bande. 11. §. Die Nachspiele betreffend, so sind dieselben freylich bey den Griechen unter dem Namen der Satiren , und bey den Lateinern unter dem Namen der atellanischen Fabeln gewöhnlich gewesen. Allein jene bestehen, wie ordentliche Stücke, aus fünf Aufzügen; da unsere Nachspiele viel kürzer sind, und nur aus einem Aufzuge bestehen: von diesen aber weis man nichts rechtes, als daß sie kleine bürgerliche Fabeln des Stadtvolkes in Rom, vorgestellet. Man hat auch FABULAS TABERNARIAS gehabt, die noch gemeinere Leute aufgeführet: und allem Ansehen nach alle lustig und possenhaft gewesen. Vermuthlich haben auch die Schauspieler solche Stücke nach einem bloßen Entwurfe, und aus dem Kopfe vorgestellet: daher es denn kömmt, daß wir nichts davon übrig behalten haben. Unsere Komödianten haben es auch eine lange Zeit her so gemachet, und nach dem Exempel der wälschen Bühne aus dem Stegreife ihre Fratzen hergespielet. Allein da sich viel schlechtes Zeug darunter gemenget, welches artigen Stadt- und Hofleuten einen Abscheu gemachet: so hat man endlich, nach dem Exempel der Franzosen, kleine Stücke von der Art mit Fleiß ausgearbeitet, und sie wohl gar in Versen gemacht, damit die Komödianten sie auch auswendig lernen müßten. Doch hat man sie auch bisweilen in ungebundener Rede verfertiget; von welcher Art in meiner Schaubühne auch ein paar Stücke vorkommen. Der Inhalt solcher Stücke kann aus dem gemeinen bürgerlichen Leben hergenommen seyn; doch so, daß der kleine Adel auch nicht ganz ausgeschlossen wird. Man hat aber auch kleine Schäferspiele schon in guter Anzahl, und diese thun eine gute Wirkung, zumal in Versen. Endlich haben die Franzosen auch schon Hexenmährchen auf die Bühne gebracht: die als was neues, welches den Parisern immer gefällt, großen Beyfall gefunden haben. Auch bey uns ist das Orakel, und ein paar andere von der Art, schon im Deutschen aufgeführet worden. 12. §. Soll ich meine Gedancken davon sagen, so sind die beyden ersten Arten, als Nachahmungen der Natur, theils wie sie gut und unschuldig, theils verderbt und lasterhaft ist, sehr gut: wenn sie sonst den Regeln der Wahrscheinlichkeit folgen, und die Einigkeit der Zeit und des Ortes beobachten. Allein, was die letztern betrifft, so sind dieselben aus dem Lande der Hirngespinste, der arabischen Mährlein, oder aus dem Reiche der Hexen genommen: und haben folglich kein Vorbild in der Natur. Die Sittenlehren die darinn herrschen, sind auch gemeiniglich sehr unsichtbar, oder gehen bloß auf die schlüpfrige Liebe; ein glattes Eis, darauf, auch ohne solche Anreizungen, schon Zuschauer genug zu straucheln pflegen. Ist dieser Zweck aber der Mühe werth, durch solche gezwungene Mittel befördert zu werden? Es haben sich ohne dieß schon komische Dichter genug gefunden, die auf den ordentlichen Wegen, dieser Leidenschaft mehr Vorschub gethan haben, als zu wünschen wäre. Und was werden wir für eine Nachkommenschaft bekommen, wenn wir so eifrig an Verderbung der Sitten der Jugend arbeiten wollen? In diesem einen Stücke scheint mir der Verfasser der Abhandlung recht zu haben, der im vorigen Jahre den Preis der Akad. zu Dijon erhalten hat. Nur die üppigen Poeten, und andere ihnen gleichgesinnte Schriftsteller, befördern die Verderbniß der Zeiten, und thun der Welt dadurch einen schlechten Dienst: da sie dieselben eben so leicht bessern könnten; wenn sie einhällig ihre Federn dem Dienste der Tugend widmen wollten. Man lese hierbey des Riccoboni Tractat von der Verbesserung der Schaubühne, DE LA REFORMATION DU THEATRE. 2. 7. Von politischen Fabeln, und andern dergleichen Erdichtungen Des II. Abschnitts VII. Hauptstück. Von politischen Fabeln, und andern dergleichen Erdichtungen. 1. §. Der Schluß des vorigen Hauptstückes giebt mir den Anlaß, auch von dieser weit nützlichern Art von dichtenden Schriftstellern zu handeln. Es ist wahr, daß mancher sie kaum unter die Poeten wird rechnen wollen. Allein, nach der aristotelischen Erklärung der Dichtkunst, kann und muß ich sie mit eben dem Rechte hieher rechnen, womit Huetius die Romane zur Dichtkunst gezogen. Das Alterthum hat uns nur ein einziges Muster von dieser Art hinterlassen, und dieß ist Xenophons Cyropädie. Dieser große Weltweise und Geschichtschreiber wollte der Welt einen guten Begriff, von der Auferziehung eines königlichen Prinzen geben; der zu einem großen Monarchen vorbereitet werden sollte. Um seine Zeit hatte man keinen größern Helden in den Geschichten, als den Stifter der persischen Monarchie Cyrus. Von dessen ersten Jugendjahren hatte man in Griechenland, wenig oder keine Nachrichten. Xenophon bemächtigt sich also dieses Helden, und macht eine Erdichtung, von seiner vermuthlichen Auferziehung; die er aber der Wahrscheinlichkeit nach, so umständlich erzählet, als ob sie wirklich geschehen wäre. Dieß ist nun ein politisches Gedicht, weil es in die Staatskunst einschlägt, und jungen Prinzen die vortrefflichsten Regeln geben kann. Es läßt sich aber, wie ein jeder sieht, in die engen Regeln eines Heldengedichts nicht einschränken: sondern erstrecket sich auf viele Jahre. Kein anderer von den Alten hat diesen Weg, so viel mir wissend ist, betreten. 2. §. Von den Neuern hingegen haben wir fast unzählige solche Werke. Der erste, der in politischen Absichten dergleichen unternommen hat, ist Thomas Morus gewesen. Sein Gedicht heißt Utopia ; und enthält eine Beschreibung eines unbekannten Landes, darinn die bürgerlichen Verfassungen der Städte und des Landvolkes, mit besonderer Geschicklichkeit beschrieben werden. Nächst ihm kann Thomas Campanella , der unter dem Titel CIVITAS SOLIS POETICA, einen Begriff von einer philosophischen Republik gab. Es ist sehr sinnreich geschrieben, und verdient allerdings gelesen zu werden. Ihm folgte Franz Baco , Baron von Verulam , mit seiner neuen Atlantis . Auch diese zeiget die Gedanken eines großen Mannes, der überall viele Einsicht in Staatssachen verräth, und allerdings viel Aufmerksamkeit verdienet. Auf eben dieser Spur folgte ein Deutscher, der sich aber unter dem Namen MERCURII BRITANNICI versteckete; und sein Buch MUNDUS ALTER & IDEM nennete, darinn ein unbekanntes Südland beschrieben wird, unter dessen Bilde er bloß unsere Welt satirisch abschildert. Ich habe in dem Biedermann vor mehr als zwanzig Jahren einen Auszug daraus gegeben. Ich weis nicht, ob ich noch Melchior Inchofers, eines gewesenen Jesuiten MONARCHIAM SOLIPSORUM hieher rechnen soll; die gleichfalls das Regiment des Jesuiterordens auf eine satirische Art beschreibt. Man hat dieß Werk auch französisch unter dem Titel LA MONARCHIE DES SOLIPSES, in groß 12. gedruckt; und es ist allerdings werth, daß man es liest. Den Barclajus muß ich endlich nicht vergessen, der uns in seiner Argenis einen wirklich politischen Roman beschrieben hat, dazu bey einigen Ausgaben auch der Schlüssel zu finden ist. 3. §. Ehe ich auf die deutschen Werke dieser Art komme, muß ich einiger französischen erwähnen. Das erste, so mir bekannt ist, heißt Sethos , und enthält eine ägyptische Geschichte eines alten Königes, oder Prinzen, der von seiner Stiefmutter verfolget, und in einer Schlacht gefangen und weggeführet wird; hernach einen Zug zur See um ganz Africa thut, verschiedener wilden Völker Gesetzgeber, ein Erretter der karthaginensischen Fürsten wird; endlich nach Aegypten kömmt, seinen Vater gegen den Aufstand gewisser Rebellen schützet, endlich erkannt wird, seinen Brüdern aber Braut und Reich abtritt, und sich, als ein Eingeweiheter, zu den Priestern begiebt. Dieß ist eine treffliche Fabel, voll edler Bilder der Tugend, und Großmuth; die ungemein viel politische Wahrheiten enthält. Der Abt Plüche , soll der Verfasser davon seyn. Die zweyte ist Ramseys Reise des Cyrus. Ist gleich derselbe ein Engländer, so hat er doch französisch geschrieben, ob er sie gleich hernach auch englisch herausgegeben. Er dichtet auf eine andere Art, wie Cyrus seine Jugend angewandt, daß er ein so großer Held geworden; und läßt ihn alle berühmte Männer seiner Zeiten, in Asien, Aegypten und Griechenland sprechen. Auch dieses ist ein treffliches Buch, das wir auch im Deutschen lesen können. Das dritte ist die Ruhe des Cyrus , eines Ungenannten: der noch eine dritte Art ersonnen hat, wie Cyrus hätte erzogen werden können, um ein großer Mann zu werden. Und ob es gleich sehr wohl geschrieben ist: so ist es doch den obigen beyden nicht gleich zu schätzen. Herr Prof. Bärmann in Wittenberg hat es sehr schön ins Deutsche übersetzet. Ich würde noch den Neoptolemus und Memnon hieher zählen, wenn sie nicht Heldengedichten weit ähnlicher wären, und also besser zum Telemach gehöreten: der aber auch reich an politischen Materien und Lehren ist. Den ersten hat Herr M. Pantke sehr schön in deutsche Verse gekleidet. Die Geschichte der Severamben aber, die Reisen des Masse, und den englischen Philosoph, Cleveland kann man mit besserm Rechte hieher rechnen. 4. §. Hätte ich nicht oben schon Reineken den Fuchs billig unter die scherzhaften Heldengedichte zählen müssen: so würde er diesen Namen einer politischen Fabel vollkommen verdienen. Eben das könnte gewisser maßen vom Froschmäuseler gelten. Allein es fehlt uns an andern solchen Büchern nicht. Im 1585sten Jahre kam zu Dresden ein solches Stück heraus, von den losen Füchsen dieser Welt in 4. Bald darauf, nämlich 1592. kam heraus Reichstag, oder Versammlung der Bauren, gehalten zu Friedberg im Rychthal, darinnen die gemeine Klage itziger Welt gehöret wird etc. in 8. der Verfasser davon wird Vtz Eckstein genannt, und hatte 65 Jahre früher gelebet. In ungebundener Rede haben wir vom 1625sten Jahre den Eselkönig, eine wunderseltzame Erzehlung, wie nemlich die Monarchei vnnd Gubernement vber die vierfüßige Thier, geändert, das Königreich vmbgefallen, vnd die Krone auff einen Esel gerathen; welchergestalt derselbe regieret, vnd wunderbarer weyse, mit gefahr leibs vnd lebens bald wider vmb das Königreich kommen etc. durch Adolph Rosen von Creutzheim, in 4. Auf eben die Art kam 1638. heraus Legation , oder Abschickung der Esel in PARNASSUM, durch Randolphum von Dießburg. Unter den Eseln werden hier die Unterthanen, sonderlich die Landleute verstanden, die sich über die Härtigkeit der Fürsten beklagen. Dahin gehöret auch Relation von den Liebesneigungen der allerschönsten Princessin Europa; sodann von den wunderbaren Begegnissen Ihrer mit weyland Keyser Carl dem Großen erzeugten fürstl. jungen Herrn etc. abgelegt in dem Parnasso von MERCURIO PLATONISSANTE, in 12. Endlich würde auch der politische Lauf der Welt und Spiel des Glücks, zum Spiegel menschliches Lebens, in der wunderwürdigen Lebensbeschreibung Tychanders hieher gehören, der von Hieron. Dürern 1685. ans Licht gestellet worden. 5. §. Von neuern noch eins und das andere zu erwähnen: so muß ich zuförderst Swifts Reise nach Caklogallinien, sowohl als Gullivers Reisen nach Liliput und Brobdingnac, hieher rechnen: Erdichtungen, die gewiß voll politischer Gedanken und Anmerkungen sind. Hernach hat bey uns Amadäus von Creutzberg das Land der Zufriedenheit, oder die Insel der Glückseligkeit beschrieben; und darinn seinen Begriff von einer platonischen Republik gegeben. In Dännemark hat Herr von Holberg seines Klimms unterirdische Reisen auf diese Art beschrieben, daß er viel politische Betrachtungen über die Fehler der Staaten, unter verdeckten Bildern zu verstehen gegeben. Und wo bleibt Menoza , der asiatische Prinz, der auf seinen Reisen durch ganz Europa gute Christen suchet; aber überall die Gebrechen und guten Eigenschaften der Regierungen anmerket. Der Verfasser dieses überaus nützlichen Buches soll der sel. Rath Gramm , gewesen seyn: welches auch seinem vernünftigen Inhalte nach, gar wohl möglich ist. Noch ein französisches Gedicht von dieser Art fällt mir ein, welches der große Leibnitz gemacht hat. Es steht in Herrn Kortholts kleiner Sammlung französischer Briefe dieses Sterns erster Größe: und handelt von einer politischen Wahrheit, die man vor dem Successionskriege, im Anfange dieses Jahrhunderts den Holländern begreiflich machen wollen: indem man ihnen die vormalige schädliche Sicherheit, der in dem Harlemersee überschwemmten Städte und Dörfer poetisch abgeschildert. 6. §. Wer auch nur etliche von allen diesen Fabeln gelesen hat, der wird wohl sehen, daß sie gar nicht nach einerley Regeln gemachet worden. Die Dichtungskraft ihrer Urheber hat sich alle mögliche Freyheiten genommen, bald so, bald anders zu wirken. Bald hat sie sich an die glaublichen Fabeln gehalten, und lauter menschliche Personen gebraucht: bald hat sie sich in das äsopische Feld gewaget, und allerley Thiere aufgeführet; bald gar neue Geschöpfe hervor gebracht, wie Klimm und Gulliver . Die Wichtigkeit der Absichten ist auch nicht allemal gleich; weil sie bisweilen auf ganze Reiche und Länder, bisweilen auf kleinere Provinzen und Städte, bisweilen auch nur auf besondere Gesellschaften der Menschen abzielen. Von diesen letzten fallen mir noch ein Paar ein, die beyde von spanischem Ursprunge sind. Jenes ist des Gracians Criticon; dieses aber des Saavedra Republik der Gelehrten, die uns neulich ein hiesiger berühmter Gelehrter deutsch ans Licht gestellet. Wie das erste etwas allgemeiner ist, und sehr viele Stände des Lebens betrifft: also geht dieses letztere nur die einzigen Gelehrten an; indem es uns die Fehler der gelehrten Welt in einer artigen Erdichtung vor Augen malet. Man beobachtet endlich auch weder in Ansehung der Zeit, noch der Handlung eine Einheit: so daß diese Art von Fabeln, billig die allerungebundenste heißen kann. 7. §. So wenig also diese Erdichtungen den Regeln unterworfen zu seyn scheinen: so gewiß ist es doch, daß eine darunter schöner ist, als die andere. Ohne Zweifel aber kömmt die vorzügliche Schönheit der einen, von der Beobachtung gewisser Regeln her, die in der andern übertreten worden. Die I.) davon ist überhaupt, die Wahrscheinlichkeit in der Erdichtung. Bey derselben nun kömmt alles auf die Beobachtung der Charactere der Personen, der Zeiten, und der Oerter an. Das will Horaz , wenn er schreibt: FICTA VOLUPTATIS CAUSSA, SINT PROXIMA VERIS, NEC QUODCUNQUE VOLET POSCAT SIBI FABULA CREDI. In diesem Stücke ziehe ich die Reisen des Cyrus , der Ruhe des Cyrus ungemein vor. Denn jene beobachten die Sitten und andere Umstände der Zeiten dieses Helden viel genauer, als diese: wenn sie z.E. den Cyrus eine Maler- und Bildhauerakademie, eine Societät der Wissenschaften und freyen Künste, stiften, ja Schauspiele von tragischer und komischer Art emporbringen läßt. Wie schicket sich das auf jene alte Zeiten? da alle solche Dinge noch nicht gebohren, oder doch in der Wiege waren. Eben das tadle ich an Gullivers Pferdelande, die er Houyhms nennet. Denn er legt diesen Thieren solche Dinge bey, die sie mit ihren Hufen unmöglich bewerkstelligen können. Klimms Baummenschen sind hierinn ungleich wahrscheinlicher. Man glaubt aber nicht, wie schwer es hier sey, die Regel des Horaz – – SERVETUR AD IMUM QUALIS AB INCEPTO PROCESSERIT, & SIBI CONSTET FABULA. zu beobachten. 8. §. Die II. Hauptregel, die man noch geben kann, ist diese, daß man durch alle seine Fabeln Wahrheit und Tugend zu befördern suchen, Lastern und Thorheiten aber zu steuern bemühet seyn muß. Ein Dichter muß ein Weltweiser seyn, der die Glückseligkeit der Menschen zu bauen trachtet, soviel er kann. Alle seine Erdichtungen muß er also zu Mitteln zu dieser edlen Absicht brauchen; nicht aber aus Leichtsinnigkeit oder Unverstand das Gegentheil bemerken. Der berufene Mandeville hätte also mit seiner Fabel von den Bienen, die doch auch politisch ist, wohl zu Hause bleiben können: weil sie bloß die Verderbniß der Sitten zu befördern suchet. Und wieviel böse Brüder hat er nicht hierinn gehabt? Die Partey einer erleuchteten Religion nehmen, der Unschuld und Tugend das Wort reden, die Erkenntniß, sonderlich der sittlichen Wahrheiten befördern; und die Ruhe des gemeinen Wesens zu erhalten suchen; das sind Merkmaale, welche schätzbare Fabeln von thörichten unterscheiden. Man prüfe hiernach die obigen: so wird man selbst sehen, was verwerflich und löblich ist. Es ist erstaunlich, daß ein heidnischer Xenophon , es hierinn vielen heutigen Scribenten zuvorgethan; die sich doch für viel erleuchteter halten, und es nach dem größern Lichte, das itzo herrschet, auch leicht hätten seyn können. Daß endlich III. auch die Schreibart dieser Fabeln gut seyn müsse, brauche ich wohl nicht zu erinnern; weil es sich von sich selbst versteht. Doch darf sie deswegen so gefirnißt nicht seyn, als des Barclajus seine in der Argenis : die, wenn sie natürlicher wäre, weit mehr Leser finden würde. 2. 8. Von allerhand Arten von Scherzgedichten Des II. Abschnitts VIII. Hauptstück. Von allerhand Arten von Scherzgedichten. 1. § Damit es meiner Dichtkunst, soviel möglich ist, an nichts fehle, was zur Poesie gerechnet zu werden pflegt: so muß ich hier noch allerhand Stücke nachholen, die zwar mehrentheils läppisch sind; doch eine Zeitlang ihre Liebhaber gefunden haben. Ich werde sie aber großentheils nur nennen, und nothdürftig beschreiben: weil sich die Mühe nicht verlohnet, sie durch Regeln zu lehren. Ich hebe also von den kürzesten an, und das sind I. die Leberreime . Ich begreife es nicht, wie die Lebern der Hechte zu der Ehre gekommen sind, daß sie bereimet werden müssen, ehe man sie verzehret. Indessen ist es eine alte Sitte, auf diese Art einen Spaß über der Tafel zu machen: und da heißt es zum Exempel: Die Leber ist vom Hecht, und nicht von einem andern Thiere, welches man will; darauf sich aber in der andern Zeile ein gewisser Gedanken reimen muß, der sich zu den gegenwärtigen Umständen schicket. Mehr brauche ich nicht zu sagen: denn es giebt ganze gedruckte Sammlungen davon. II. Kommen die Ge sundheiten in Reimen . Auch diese sind in Deutschland, zumal in Sachsen, sehr gewöhnlich, und in großer Menge im Schwange. Sie bestimmen insgemein in zwey, drey, vier oder sechs Zeilen, wem man Gutes wünschet, oder wer da leben soll. Es wäre nur zu wünschen, daß nicht viel Unflätereyen mit unterliefen, die nur entweder von verderbten Sitten zeugeten, oder dieselben noch zu verderben geschickt wären. Auch davon haben wir gedruckte Sammlungen. 2. §. Die folgenden beyden Arten sind etwas künstlicher, Man nennet sie Ereosticha , oder Chronosticha und Akrosticha . Die ersten halten Jahrzahlen in sich, wenn man alle die römischen Zahlbuchstaben, die darinn vorkommen, zusammen rechnet. Jochim Döbler hat 1685. eine ganze Chronologie der Weltgeschichte in solchen Versen, sowohl lateinisch als deutsch drucken lassen, darinn alle Begebenheiten ihre Zahlen bey sich führen. Z.E. in das Jahr der Geburt Christi bringt er lauter Wörter, die weder ein M. noch D. noch L. noch X. noch V. noch I. haben, und also 0 bedeuten. Ohn Zepter Gottes Heer hat Gottes Erstgebohrnen. Und so fährt er fort, ein I. zwey II. drey III. und so weiter in die folgenden Zeilen zu bringen. Z.E. auf König Ottokars völlige Besiegung der heydnischen Preußen, die 1255. geschehen, heißt die Zeile so: GesChlagen PreVßen steht ganz, hat es BöhMer StärCk. Ein jeder sieht, was das für ein Zwang ist. Nicht besser ist die andre Art, da man Namen vor die Zeilen eines Gedichtes brämet; so, daß vor jedem Verse ein Buchstab zu stehen kömmt. Günther spottet mit Recht darüber, wenn er schreibt: Ich flocht auch, wie noch viel, die Namen vor die Lieder, Und gieng oft um ein A, drey Stunden auf und nieder. Man sehe auch, wie in den vernünftigen Tadlerinnen diese Kinderey verlachet worden: indem ein poetischer Buhler seine Cynthia durch ein Stoßgebethlein verehret, darinn vorn herab, und ins Kreuz überall CYNTHIA mit lateinischen Buchstaben zu lesen ist. Man hat aber auch andere Erfindungen, davon jede Strophe mit einem besondern Worte anfängt, das zu einem ganzen Spruche gehöret. So ist z.E. das Lied, Befiehl du deine Wege , gemachet; denn die Anfangsworte aller Strophen heißen: Befiehl dem Herrn deine Wege, und hoffe auf ihn; er wirds wohl machen. Man wird aber auch in der letzten Strophe, an dem Mach End , o Herr etc. wohl gewahr werden, wie groß der Zwang dabey zu seyn pflegt. 3. §. Ein neues Paar solcher Künste sollen die Endreime , und Irreime , abgeben. Die erste Art scheint eine Erfindung der Franzosen zu seyn; indem man in ihren besten Dichtern dergleichen Stücke, sonderlich Sonnette findet, die auf vorgeschriebene Reime gemachet werden. Und je seltsamer diese Wörter zusammen gesuchet worden, desto künstlicher ist es, wenn der Dichter ihnen hernach durch seine Einfälle einen ungezwungenen Zusammenhang geben kann. Auch unsere deutschen Dichter haben dergleichen zuweilen, aber weit seltener gemacht; und noch seltener drucken lassen: so daß ich itzo, da ich eins brauche, nicht einmal im Stande bin, eins zu finden. Es ist aber auch nichts daran gelegen: denn es ist eine elende Beschäfftigung, wenn man seine Gedanken auf die Folter spannen muß, um die eigensinnigen Schlußtöne mit anzubringen. Die andere Art ist nicht viel besser. Denn da soll man Verse machen, welche zweyerley Verstand haben können, nachdem man sie liest. Menantes giebt folgendes Exempel: 1. Treu und Liebe soll mich krönen, 3. Doris lebenslang bey dir. 2. Aber nur bey Lisimenen, 4. Geb ich falsches Schmäucheln für. 1. Meine Seele wird entzücket, 3. Wenn ich täglich bey dir bin: 2. So sie jenes Bild erblicket, 4. Sterb ich bald vor Grauen hin. Hier geben die Strophen einen ganz andern Sinn, wenn man sie nach der Ordnung der Zahlen liest, als wie sie gedruckt stehen. Aber auch ohne mein Erinnern sieht man, was dergleichen Labyrinthe werth sind. 4. §. Es giebt aber auch Wiedertritte , wie ich beym Morhof und Omeis finde. Man möchte sie besser Krebsreime nennen: weil sie erst vor, dann hinter sich gehen; wie folgendes zeigen wird. Morhof im Unterr. von der deutsch. Spr. a.d. 801. S. setzt: Der Wassergott sah einst den Paris eilen, Durch seine Fluth, sich mit der Beut zu heilen: Sprach bey sich selbst: Der meynet sich zu heilen, Und schlägt sich wund mit seinem Raub und Eilen. Omeis aber in s. Reim- und Dichtk. a.d. 122. S. schreibt so: Ich lob ein Buch, und einen Kiel, Die sind mein Wünschen und mein Ziel. Ich achte kein Karthaunen Spiel. Was suchet das Karthaunen-Spiel? Des Menschen Blut ist nur sein Ziel. Es tilgt was bauet Buch und Kiel. Mich dünkt, nach diesen Beyspielen wird sich niemand darein verlieben: und es ist ein Wunder, daß gelehrte Männer sich zu solchen Kinderspielen haben herunter lassen wollen. Zum Gefährten will ich diesen Wiedertritten , den Wiederhall geben; ungeachtet ich schon bey den Liedern davon geredet. Denn man ist damit nicht zufrieden gewesen, daß das Echo am Ende der Strophen antwortete; sondern hat es fast bey allen Reimen haben wollen. Z.E. Omeis spielet so: Nennest du mich noch den Deinen? Und begehrest sonsten keinen? Echo: keinen . Nun so komm und laß uns scherzen! Was beliebet deinem Herzen? Echo: Herzen . Schau, hier hast du zehen Küsse. Sind sie sauer oder süße? Echo: Süße . herrlich! Aber es kömmt zuweilen noch schöner; z.E. aus dem Zesen : Wirst du mich trösten, und sonst keine? Echo: Eine . Läßt mich in Angst und Ablaß gehn. Echo: laß gehn . Wem soll ichs danken mit der Zeit? Echo: der Zeit . 5. §. Nun kommen die Räthsel und Logogryphen : ein sehr ähnliches Schwesternpaar: womit sich gleichfalls die Franzosen mehr, als die Deutschen die Köpfe zerbrochen haben: welches uns zu keiner Schande gereichet. Zwar Räthsel findet man noch zuweilen: ja es giebt ganze Sammlungen solcher Tändeleyen; darunter zuweilen eins und das andre noch sinnreich genug ist. Z.E. Menantes macht eins, davon die vier ersten und letzten Zeilen diese sind: Es lebet Mann und Weib, die unzertrennlich sind, Doch gleichwohl so, daß man, keins bey dem andern findt. Sie sind einander feind, und können einig leben, Wenn einem etwas fehlt, das will das andre geben, etc. So bald der Mann erwacht, muß jene schlafen gehn, Und gehet er zur Ruh, so pflegt sie aufzustehn. Man siehet sie sich nie vermischen oder küssen, Und gleichwohl kann die Welt manch Kind von ihnen wissen. Dieses bedeutet Tag und Nacht . Man macht auch auf die Buchstaben dergleichen: wie Menantes eins vom R giebt: Es ist ein Wunderding, das auch GOtt selbst nicht hat etc. Noch seltsamer ist der Logogryph . Man würde in Deutschland fast kein Exempel davon finden, wenn nicht im 8ten Bande der kritisch. Beyträge auf der 97. S. eine solche Seltenheit zur Beurtheilung wäre eingeschicket worden. Der Herr Verf. hat es ein Worträthsel genennet, und es hebt so an: Eilf Littern machen mich geehrter Leser aus. Du könntest ohne mich hier keine Sylbe lesen, Wo ich dir nicht vorhin in meinem eignen Haus Was du itzt deutlich siehst mit Fleiß so auserlesen. Ich bin in dieser Welt noch nicht gar lang bekannt, Mein Stammherr wird mit Recht von deutschem Blut genannt etc. Doch es ist mir zu lang. Man mag es am angef. Orte nachsehen. Der Schlüssel dazu ist, Buchdrucker . 6. §. Kettenreime von allerley Art kann man beym Menantes nachsehen; der sie selber nach seiner Art zu spaßen, werth hält, vom Prevost des Parnasses in Ketten und Banden geschlossen, und in ein Loch geworfen zu werden, daraus sie nimmer wieder ans Tagelicht kämen. Ich will sie also auch darinnen stecken lassen: weil sich noch kein gescheider Dichter damit was zu schaffen gemacht hat. Ich schreite also vielmehr zu dem Quodlibet , als einer größern Art. Und deren giebt es zweyerley; davon eine Art ganz verwerflich; die andere aber noch wohl zu dulden ist, wenn sie recht gemachet wird. In der ersten heißt die Regel: je toller und unsinniger, je besser . Man kann leicht dencken, was das für ein Empfehlungsschreiben abgiebt. Gleichwohl hat es Leute gegeben, die ein Vergnügen gefunden haben, ihre Vernunft so zu verläugnen; daß sie dergleichen Zeug gemacht; und andere, die nicht viel klüger gewesen, um sie mit Vergnügen zu lesen. Z.E. ein solch Blümchen ist dieß: Der Esel hat Pantoffel an, Kömmt übers Meer geflogen. Das soll nun spashaft seyn! RISUM TENEATIS AMICI! Die andere Art der Quodlibete ist eine vermischt Satire in Dithyrambischen, d.i. ungebundenen, ungleich langen, bald jambischen, bald trochäischen, bald daktylischen Versen; ohne Ordnung und Verbindung. Menantes giebt ein Paar Exempel von der Art, die nicht schlimm sind, und allerley gute Gedanken in sich halten. Hierinn können zuweilen mit Lachen allerley gute Wahrheiten gesaget werden: wenn der Dichter das UTILE DULCI recht zu vermischen weis. Bey Hochzeiten lassen sich dergleichen Scherzgedichte schon anbringen; wenn sie nur nicht unflätig werden. Denn Zweydeutigkeiten, zumal von schlüpfrigen Dingen, sind eine verächtliche Art des Scherzes, die sich nur für Pritschmeister schicket, die bey Schnepperschießen ihre Zoten auskramen: wie König vormals zu thun pflegte. 7. §. Die Knittelverse sind noch eine andere Gattung der Scherzgedichte: darinn man die einfältige Versart der Alten vor Opitzens Zeiten; z.E. des Hans Sachs , des Burkards Waldis, Ringwalts , in der deutschen Wahrheit, des Froschmäuselers, u.d.m. nachahmet. Dieses nun nach der rechten Art zu thun, ist gewiß eine Kunst: so wie es in Frankreich eine Kunst ist, den Marot , und in England den Hudibras nachzuahmen. Wer diese alten Dichter nicht fleißig gelesen hat, und eine natürliche Geschicklichkeit dazu mitbringet, der wird schwerlich damit zurecht kommen. Geander von der Oberelbe; oder Herr Hofr. Müldener ist ein besonderer Meister in dieser spaßhaften Art, wie man in seinen poetischen Kleinigkeiten sehen kann. Es hat auch vor kurzem ein Ungenannter, ein Handvoll Knittelgedichte herausgegeben, darinn manches ganz hübsch gerathen ist; aber an den ersten Meister langet es nicht. Eine andere, fast ähnliche Art ist, wenn man im Plattdeutschen den Reinecke Fuchs , oder Laurenbergen nachzuahmen sucht: wie in der Poesie der Niedersachsen dergleichen Stücke vorkommen. Nur hat es damit seine Schwierigkeit, wegen der verschiedenen Mundarten des Plattdeutschen; das sich fast alle zehn Meilen merklich ändert; wenigstens in allen großen Städten anders gesprochen wird. Der Pommer spricht anders, als der Mecklenburger, dieser ist vom Hollsteiner, und der vom Bremer und Oldenburger, so wie diese vom Braunschweiger und Westphalen ganz unterschieden. Indessen kann ein jeder an seinem Orte in seiner Mundart spaßen, und bey seinen Landesleuten Beyfall finden. 8. §. Die Wälschen haben eine Art von Versen erfunden, die sie die Macaronische nennen; welche Crescimbeni weitläuftig beschreibet, und in ihre Classen theilet. Einmal vermischet man das Latein mit dem Wälschen, und zweytens die alte Provinzialsprache, mit demselben: entweder so, daß Zeile und Zeile aus einer andern Sprache ist: oder daß wälsche Wörter ins Latein, oder lateinische Wörter ins Wälsche gemenget werden. Weil dieser berühmte und gelehrte Mann sich nicht geschämet, von dergleichen und allen obigen Arten des poetischen Kehrichts zu handeln: so will ich doch zeigen, daß die Deutschen auch in Thorheiten fast eben so groß und sinnreich gewesen, als die Italiäner. Was nun erst die lateinischen Mixturen anlanget; so hat schon vor viertehalb hundert Jahren PETRUS DRESDENSIS dergleichen versuchet, als er das Lied: IN DULCI JUBILO, nun singet und seyd froh etc. gemachet. S. Thomasens DISSERT. von demselben. Er hatte aber schon Vorgänger in Grabschriften gehabt. Z.E. diese ist von 1380: Hye lyt ein Fürste löbelich, QUEM VULGUS FLEBILE PLANGIT. Von Misne Marcgraf Friderich CUJUS INSIGNIA PANGIT. CLERUS, CLAUSTRALIS, LAICUS, Den Fürsten leidlich klagen, DIVES INOPS, ALTUS, INFIMUS Fürstlich Werk von ihm sagen etc. Noch eine andere Art machte man mit halben Zeilen: Heer Peter Wiese TUMBA REQUIESCIT IN ISTA, God geev em Spise, CŒLESTEM, QUIQUE LEGIS STA. Und jener machte eine Beschreibung von Westphalen, in folgenden Zeilen: HOSPICIUM VILE, grof Brod, dün Beer, lange Myle, SUNT IN WESTPHALIA, SI NON VIS CREDERE, loop da. 9. §. Unter Neuern hat dergleichen Verse Jakob Balde , der bayerische Jesuit gemacht. Sein Agathyrsus zum Lobe der Magerkeit, hebt so an: Wolan, so will ich dann, Links, rechts, Latein u. Teutsch zugleich Eins singen wie ich kann. EXSULTA FELIX MACIES, LÆTARE TORVA FACIES, Du stehst wohl an eim Mann Wans Menschen Leib nit wär IMAGO FŒDI CARCERIS: So wär feist seyn ein Ehr. SED VERE CAPTI VIVIMUS, OMNES ENIM PECCAVIMUS, Von Adams Zeiten her. u.s.w. Andere haben nur ins Lateinische deutsche Brocken gemenget, und sie nach römischer Art eingerichtet, z.E. HEM VOS STUDENTES, OMNES NUNE RUFITE: JUCHHEY! LUSTIGEOS QUE SIMUL MULTOS ANSTIMMITE LIEDROS, SCHMAUSITE ET IN TIEFAM SUB SCHMAUSIS SAUFITE NACHTAM: NON ETENIM VOBIS UNQUAM BONA BIERIA FEHLUNT. Ein anderer versuchte die daktylischen Verse, in einer mehr deutschen Mischung: QUICUNQUE kein JOCUM noch Lustigkeit übet, IS IPSE mag SEMPER seyn heftig betrübet: VOS FRATRES sa! lasset CORNELIUM fahren, NAM HICCE kömmt TAMEN bey künftigen Jahren etc. Und noch ein anderer sang so auf eine Hochzeit: Herr Baltzer Koch ist guter Art, PATRICIUS, SENATOR, HUMANUS ehrbar wohlgelahrt, VIRTUTIS ET AMATOR. Er hält gar nichts von BIBERE, das man itzt treibet sehre, SED NON VULT VERSUS SCRIBERE, das bringt ihm größre Ehre. Doch, wie gedacht, das sind Lappereyen, die keinen Platz hier verdienen würden: wenn ich nicht gesehen hätte, daß Crescimbeni dergleichen, in seine große Geschichte der Wälschen Dichtkunst VOL. I.L. VI. c. 5. 6. u. 7. eingerücket hätte. Z.E. SUSPIRIA IN HAC NOCTE RECESSERUNT E ANDARO A RITROVAR LA MIA REINA. IN GREMIUM SUUM SALUTAVERUNT, DIO VI MANTENGA DONNA PELLEGRINA &C. imgleichen von dieser Art: SURGITE SOCII , CHE DEL SONNO SORGERE, IAM VENIT HORA , CH'EL TERREN RINVERDE, HIRUNDO CANIT , ET PER QUI SI PERDE, OPTATA DIES SENZA PIU VI ACCORGERE. Endlich auch solche: SQUASSABAT QUONDAM PELAGI FORTUNA MARANUM, QUI DE SALATA CARNE PIENUS ERAT &C. 10. §. Zum Beschlusse kann man hier auch noch die in lateinischer Sprache gereimten Gedichte herrechnen, deren es in den mittlern Zeiten eine unglaubliche Menge gegeben hat. Leyser in der HISTORIA POETARUM MEDII ÆVI hat sehr viele davon aufbehalten, und man findet sie auch in andern alten Büchern häufig. Ulrich von Hutten hat sie in den EPISTOLIS OBSCURORUM VIRORUM, nebst andern solchen Leckerbissen unwissender Mönche ausgelachet: z.E. AMICE BONE, QUI NON ES NEBULONE, FACIS PERGRATUM, QUOD PUERORUM NATUM, JAM HABES CURAM, ET AD HORUM USURAM, NUNC OBSCURORUM IN LUCEM DAS VIRORUM, VENUSTA SCRIPTA, QUÆ DOCENT EX BARALIPTA, UT EST SCRIBENDUM JAM AD LAUDEM MERENDUM. Es ist nur zu verwundern, daß auch ernsthafte Leute in neuern Zeiten sich mit dieser wunderlichen Versart, ohne Beobachtung lateinischer Quantitäten haben vermengen wollen; die uns wohl geistliche Gesangbücher in dieselbe übersetzet; oder gar wie Hübner neue Lieder darinn gemachet haben. Was man an den alten Mönchen mit Lachen laufen läßt, die vieleicht nichts bessers machen konnten: das schickt sich für unsere Zeiten nicht: es wäre dann, daß man es auch bloß zum Scherze brauchen wollte: wie Balde gethan. Doch nein, er hat sie auch im Ernste gebraucht; als er ein Trauerlied, tragödienweiß bey nächtlichen Windlichtern zu singen , aufsetzte: EHEU QUID HOMINES SUMUS VANESCIMUS SICUTI FUMUS, VANA, VANA, TERRIGENUM SORS CUNCTA DISSIPAT IMPROBA MORS. EXSTINCTA EST LEOPOLDINA FRUSTRA CLAMAT: O LUCINA! LACRYMOSA PUERPERÆ MORS, MISERANDA MULIERUM SORS! &c. 2. 9. Von Wahlsprüchen, Sinnbildern und ihren Ueberschriften Des II. Abschnitts IX. Hauptstück. Von Wahlsprüchen, Sinnbildern und ihren Ueberschriften. 1. §. Anstatt der bloßen Sinngedichte der Alten, haben die Neuern die Malerkunst zu Hülfe genommen, und vermittelst derselben in gewissen Figuren, mit etlichen darüber gesetzten Worten, oft die artigsten und nützlichsten Gedanken ausgedrücket. Man theilet sie in zwo Classen, nämlich Wahlsprüche oder Devisen; und in Sinnbilder oder Emblemata . Was die bloßen Bilder anlanget, darinn man auf eine räthselhafte Art etwas zu verstehen geben wollen: so sind dieselben schon sehr alt. Es ist bekannt, daß die Aegyptier viel auf ihre hieroglyphischen Figuren gehalten haben. Auch die Juden hatten in ihrem Gottesdienste viel solche symbolische Vorstellungen, die viel bedeuteten. Selbst die Griechen hatten in den ältesten Zeiten solche redende Gemälde gehabt. Joseph , der jüdische Geschichtschreiber erzählet, daß Arrhius , König in Sparta, ein Petschaft geführet, darinn ein Adler, der eine Schlange in der Klaue hielt, gestanden. Und Plutarch meldet, daß in Athen Alcibiades einen Liebesgott, der Donnerkeile in der Hand trug, in seinem Schilde geführet; wodurch er seine eigene Gemüthsart abzuschildern gesucht. Endlich haben unter den Römern, Pompejus einen Löwen, der ein bloßes Schwert in der Tatze hatte; Augustus aber einen Sphinx, in ihren Siegeln geführet. 2. §. Allein von solchen Bildern der Alten, ohne alle Ueberschrift, reden wir hier nicht. Diese sind gar zu räthselhaft, und so zu reden, nur für todte Körper, ohne Seelen anzusehen: dahingegen ein bloßes Sinngedicht, davon wir oben gehandelt haben, oder ein Wahlspruch, gleichsam ein Geist ohne Leib zu nennen ist. Ein Sinnbild aber muß nicht nur eins, sondern beydes haben. Wir verstehen nämlich dadurch ein ansehnliches Gemäld, dessen Bedeutung mit einer sehr kurzgefaßten Ueberschrift zu verstehen gegeben wird. Es sind aber dieselben zweyerley, theils sogenannte Devisen , theils die bekannten Emblemata . Wann die Kunst erfunden worden, solche Devisen und Emblemata zu machen, das ist eben so ungewiß, als wer ihr erster Urheber gewesen. Die Italiäner streiten mit den Franzosen um die Ehre der Erfindung: ja einige wollen gar die Ritter von der runden Tafel in England für die Erfinder ausgeben. Doch so viel ist gewiß, daß die barbarischen Zeiten der Unwissenheit, zu dieser an sich schönen Sache, Gelegenheit gegeben haben. Die Turniere sind ohne Zweifel zu Kais. Heinrichs des I. Zeiten in Deutschland aufgekommen, und diejenigen sind also unrecht berichtet, die solche Ehre den Franzosen einräumen wollen. Selbst Crescimbeni in seiner HISTORIA DELLA VOLGAR POESIA VOL. I.L.V.p. 319. tritt hier auf die gute Seite der Wahrheit, wenn er zeiget: daß das erste Turnier 934, das zweyte unter Otten dem Großen 938 zu Magdeburg u.s.w. gehalten worden; von welcher Zeit an bis 1487. sechs und dreyßig solche Ritterspiele von den Kaisern angestellet worden. Hergegen berichtet du Cange im GLOSS. aus einer alten Chronik, daß in Frankreich Gottfried II. von Previlly , welcher 1066 gestorben: das erste Turnier gehalten habe, (GAUFRIDUS DE PRULIACO) in Wälschland aber gesteht Crescimbeni , habe man erst 1147 zu Bologna das erste gehalten, und selbige Art der Ritterübungen aus Deutschland bekommen. Die Ritter nun, so darinnen ihre Tapferkeit zeigen wollten, suchten ihre Unternehmungen und edle Gemüthsneigungen, auf ihren Schildern, durch solche Bilder mit Ueberschriften, an den Tag zu legen. Dieses zeiget auch der italienische Namen der Devisen, IMPRESE; der aus dem alten französischen EMPRISE oder ENTREPRISE, seinen Ursprung genommen hat: wie der berühmte Pater LE MOINE in seinem ausführlichen Werke, von der Kunst, Devisen zu machen, darthut. Folglich wird man wohl Deutschland für das Vaterland der Sinnbilder halten müssen, und aus dieser ersten Erfindung, wird man leicht die wahre Natur derselben abnehmen können. 3. §. Es ist also ein Sinnbild eine metaphorische Vorstellung dessen, was jemand für eine Neigung, Absicht oder Meynung bey seinem Vornehmen hat; die theils durch ein Bild, theils durch eine kurze Ueberschrift geschieht. Daß dieses so sey, lehret uns die alte Redensart, da man spricht, etwas im Schilde führen : denn das heißt so viel, als eine gewisse Absicht, ein Vorhaben oder eine Neigung haben. Man hat nämlich so wohl in Deutschland, als auch in Frankreich die Sinnbilder in die Schilde der Helden oder Ritter gemalt. So findet man im alten Heldenbuche, daß der eine Held eine Geige, der andere einen Löwen u.s.w. im Schilde geführet. Hieraus entstehen folgende Regeln der Sinnbilder: 1) Muß das Bild eine Sache vorstellen, die sich leicht malen, und auch von weitem gut erkennen läßt. 2) Muß ein solches Bild mit derjenigen Absicht, die es vorstellen soll, eine gewisse Aehnlichkeit haben; so, daß man sagen kann: Gleichwie dieses sich so und so verhält; also ist es auch mit der Absicht, Neigung oder Unternehmung dessen, der das Sinnbild hat, beschaffen. Z.E. Ein Liebhaber erwählet sich den Vogel Phönix, der sich verbrennet, mit der Ueberschrift: SINE PARI. Da heißt die Erklärung: Gleichwie der Phönix seines gleichen nicht hat: so hat auch die Person, die ich liebe, ihres gleichen nicht. 3) Muß die Ueberschrift das so genannte TERTIUM COMPARATIONIS in sich halten, oder die Aehnlichkeit des Bildes mit der Absicht dessen, der es führet, anzeigen. Und daher kömmt es, daß ein und dasselbe Bild zu verschiedenen Absichten gebraucht werden kann: wie dieses unter vielen andern der gelehrte Herr Wachter in seinen Sinnbildern über die berlinische Aloe erwiesen hat. 4. §. Aus diesen Hauptregeln kann man nun leicht schließen, daß es noch besondere Nebenregeln giebt, die zur Schönheit eines guten Sinnbildes etwas beytragen. Denn 1) muß das Bild so einfach seyn, als es möglich ist: denn sehr vielfache Figuren sind nicht wohl zu unterscheiden. So war das Sinnbild, welches bey der Krönung des hochseligen Königs in Preußen erfunden worden, beschaffen; da man einen Granatapfel malete, und die Ueberschrift dazu setzte: EX ME MEA NATA CORONA. So hat sich auch der vorige König von Preußen, Friedrich Wilhelm , schon als Kronprinz, den Adler, der nach der Sonne fliegt, mit der Ueberschrift: NEC SOLI CEDIT, zum Sinnbilde gewählt: anzudeuten, daß der preußische Adler, auch der französischen Sonne nicht weichen dörfe. Hernach muß 2) ein Sinnbild weder in der Figur, noch in den Worten etwas überflüßiges haben. Als wenn ich oben bey dem Phönix noch die Sonne malen wollte, die das Nest desselben anzündete, so wäre es ganz überflüßig. Oder wenn ich bey diesen beyden scharf gehen wollte: so würde das SOLI und CORONA überflüßig seyn; indem man schon aus dem Bilde sieht, daß eine Sonne und eine Krone da ist. Die Ueberschriften könnten also kürzer geworden seyn, wenn sie geheißen hätten: EX ME IPSO NATA, und CEDERE NESCIT. Ferner ist es 3) hübsch, wenn die Ueberschrift bey ihrer Kürze auch wohl klinget: welches im Lateinischen geschieht, wenn man ein Stück vom Verse dazu nimmt; oder doch sonst einen Wohllaut beobachtet. So kurz war jenes Königes in Frankreich DEVISE, der über ein gemaltes Stachelschwein, welches bekannter maßen seine Stacheln auch in die Ferne auf einen Feind schießen kann, die Worte schrieb: COMINUS, ET EMINUS: d.i. Nah, und fern . So hätte z.E. die Ueberschrift einer Gluckhenne, die auf ihren Eyern sitzet, die ich irgendwo gesehen habe: QUIES MEA NON EST OTIOSA, besser also heißen können: NON OTIOSA QUIES. Und der Bär, der sich die Pfoten sauget, den der Herr Verleger dieses Buches zum Sinnbilde hat; hat eine gute Beyschrift: IPSE ALIMENTA MIHI. Im Deutschen pflegt man auch wohl Verse dazu zu machen: allein man muß die Erklärung des Sinnbildes von der Ueberschrift desselben unterscheiden; wie dieses die Mitglieder der fruchtbringenden Gesellschaft, u.a.m. wohl beobachtet: ob sie gleich sonst viel Lächerliches dabey begangen haben, das den obigen Regeln zuwider läuft. 5. §. Noch eine Hauptregel haben die Kunstverständigen von guten Devisen gefodert. Sie wollen nämlich, daß keine menschliche Figur jemals zum Körper der Sinnbilder gemacht werden solle. Denn sagen sie, der Mensch ist viel zu edel dazu, daß er durch sich selbst erst die Absichten, die er hat, entdecken und vorstellen sollte. Sonst aber steht ihm die ganze Natur zu Diensten. Er kann vom Himmel die Sonne, den Mond, ihren Aufgang und Untergang, ihre Finsternisse, ja die Sterne und Cometen dazu brauchen. Er kann aus der Luft die Wolken, den Regenbogen, den Hof um die himmlischen Lichter, die Blitze, und die Vögel von allerley Art dazu nehmen, wenn man sie nur an ihren Bildern erkennen kann. Er kann sich von der Erde die großen und kleinen Thiere, Bäume, Pflanzen und Blumen erwählen. Er kann auch aus der See sich der Fische, Muscheln, Schnecken, Perlen, Corallen, und alles dessen bedienen, was sich deutlich und kenntlich malen läßt. Er kann ferner von menschlichen Kunstwerken, als Thürmen, Schlössern, Pyramiden, Schiffen, Rudern, Kronen, Helmen, Spießen, Schwertern, Beilen, Pfeilen, Ringen, und tausend solchen Dingen mehr, seine Sinnbilder hernehmen: so daß man ein recht großes Feld vor sich hat, solche Erfindungen zu machen. Es kömmt nur auf einen witzigen Kopf an, der die Aehnlichkeit, die in solchen Dingen stecket, herauszusuchen, und in kurzen Worten auszudrücken weis. 6. §. Wer nun nach solchen Regeln die gemeinen Sinnbilder, die so häufig, zumal bey Erleuchtungen großer Städte, auch wohl in eigenen Büchern, die den Malern zu gut, oder sonst zur Belustigung der Liebhaber erfunden worden, beurtheilen will: der wird leicht sehen, daß die wenigsten was taugen. Zwar ein einziges kann noch dienen, viele unrichtige Sinnbilder zu entschuldigen, wenn man nämlich saget, es wären nicht eben Devisen, die gleichsam die Stellen der Wahlspruche vertreten sollten; sondern nur Emblemata , die nützliche Wahrheiten vorstellen, und auf eine sinnreiche Art abbilden sollten. Dieses ist nämlich die Beschreibung dieser zweyten Gattung, davon ich noch mit kurzem handeln muß. Dieß Emblema nun ist freylich so kützlich nicht. Es kann sich aller Arten der Bilder bedienen, und so wohl die Gestalt eingebildeter, als natürlicher Dinge, so wohl die ungereimten, als die ordentlichen leiden. Es kann auch viele auf einmal, oder gar nur halbe und verstümmelte brauchen, ja selbige gar auf unerhörte Art zusammen setzen. Es darf auch nicht eben gewissen Personen eigen seyn, sondern stellt allgemeine Lehrsätze vor: nur soll es allezeit eine gute Lebensregel in sich halten; die, wenn sie in einem Bilde vorgestellet wird, eine bessere Wirkung thut, als wenn man sie mit Beweisen und Vernunftschlüssen begleitet hätte. Hiermit hat nun die Devise nichts zu thun: als welche nur Ausdrückungen der Tapferkeit, der Rache, der Hochachtung und Liebe, kurze Lobsprüche und kurze Klagen in sich fasset. Hernach braucht auch ein Emblema eben kein Gleichniß in sich zu halten: und wenn es ja geschieht, so ist es nur ein Ueberfluß. 7. §. Doch wird auch ein jeder sehen, daß selbst unter diesem Titel die wenigsten Bilder mit Ueberschriften stehen können: zumal diejenigen nicht, wo man allemal ganze weitläuftige Erklärungen hinzusetzen muß, ehe man sichs getraut, daß der Leser das Bild und die Ueberschrift recht verstehen werde. Wenn ein solch Bild nicht selbst redet, und wenigstens von einem etwas witzigen Kopfe, der es betrachtet, verstanden werden kann: so taugt es nicht. Denn für die Einfältigen muß es ein Räthsel seyn und bleiben, bis es ihnen von einem Klügern erkläret wird. So ein Gemälde ist die Tafel des Cebes bey den Alten gewesen: solche Bilder sind auch bey des berühmten Grafen Shaftsbury gesammleten Werken in Menge zu finden. Ja überhaupt sollen alle Titelkupfer bey unsern Büchern, die keine Bilder ihrer Urheber sind, solche emblematische Gemälde vorstellen. Dergleichen ist das Kupfer vor dieser Dichtkunst und das vor dem Heldengedichte Hermann, welche sich ohne eine weitläuftige Erklärung verstehen lassen. Doch will ich damit nicht behaupten, als ob man nicht auch Devisen vor Bücher setzen könnte. Nein, viele haben dieses mit gutem Bedachte gethan, unter andern Herr Bar. Wolf , vor seinen philosophischen Schriften; die auch mehrentheils sehr wohl gerathen sind. Wer ausführlichere Nachricht von allem haben will, der muß das vollständige Werk des Pater LE MOINE, DE L'ART DES DEVISES, davon nachlesen, der alles, was Paul Jovius, L'AREZZI, CORTILE und LE FERRO, imgleichen Hercules Tasso davon geschrieben, in einen Zusammenhang und ins Reine gebracht hat. 8. §. Den Franzosen zu Ehren muß ich noch eine seltsame Art von redenden Bildern erwähnen, die sie erfunden haben, und darinn sie keine geringe Art der Scharfsinnigkeit zu zeigen meynen. Sie malen Bilder, die theils ohne alle Wörter, theils mit einer Sylbe, oder einem Worte zusammen genommen, etwas bedeuten. Z.E. Ein altes Weib hat ein Buch auf dem Schooße liegen, als ob sie darinn läse; darauf steht aber TUL, TUL, TUL. Was heißt nun das? Es heißt TERTULLIANUS. Denn TER heißt (dreymal) TUL, (welches auf dem Buche steht.) LIT (liest) ANUS, (das alte Weib). Diese vortreffliche Erfindung nun, heißt ein REBUS. Noch ein schöneres Beyspiel giebt mir der in solchen Einfällen berühmte DES ACCORDS, dessen auch Bayle in seinem Wörterbuche gedenkt. Er malet einen todten Abt auf einer Wiese liegend, und stecket ihm, auf eine, ich weis nicht welcher Höflichkeit der Sitten gemäße Art, eine Lüge in den entblößten Hintern. Was soll nun dieses sinnreiche Gemälde sagen? Es bedeutet die vortreffliche Sittenlehre! Habe den Tod allezeit vor Augen. Will man begreifen, wie das heraus kömmt: so muß man fürs erste die Regel lateinisch machen: HABE MORTEM PRAE OCULIS; und hernach dieses Latein auf gut Französisch aussprechen, so wird heraus kommen: ABBÉ, MORT EN PRÉ, AU CUL LIS! Ist das nicht ein vortrefflicher, wunderwürdiger Witz, womit sich der französische ESPRIT CREATEUR, allen heutigen und vormaligen Völkern so überlegen erweist? RISUM TENEATIS AMICI! Solche ungereimte Dinge hat doch noch kein deutscher Kopf ausgehecket! 9. §. Weil wir einmal beym Malen sind, so muß ich doch eine andere vermeynte sinnreiche Art halb hieroglyphisch und ägyptisch zu schreiben, nicht vergessen, die von den Wälschen erfunden, und auch bis zu uns ausgebreitet worden. Man ersinnt sich Zeilen von Versen, darinn viele Wörter, oder auch nur Sylben vorkommen, die sich malen lassen; es sey nun eigentlich, oder nur Anspielungsweise. Da schreibt man nun die übrigen Worte, die nicht gemalet werden können, nur mit Buchstaben, die Bilder aber schaltet man an gehörigen Orten ein; so daß ein witziger Leser nach vielem Kopfbrechen endlich den Sinn zusammen buchstabiren kann. Z.E. Crescimbeni giebt folgende Erfindung zur Probe. Wer das nicht lesen kann, der muß sich nicht für scharfsinnig halten; es wäre denn, daß er kein Italienisch verstünde. Es heißt aber diese Zeile soviel: DOVE SON GL'OCCHI E LA SERENA FORMA? Heißt das nicht getändelt, so weis ich nicht was gespielet, ja ich möchte sagen, gekindert heißen soll! Indessen hat man bey uns solche Spruchbücher, unter dem Namen der Bilderbibeln gemacht; ja wohl gar Hochzeitverse, und andere dergleichen Sachen dergestalt ausgekünstelt. Schade um den Witz, den man bey solchen Possen verschwendet, der gewiß viel gescheider könnte angewandt worden seyn. Doch, worauf verfallen müssige Köpfe nicht, wenn sie einmal keine richtige Art zu denken besitzen, und keine Kräfte haben, sich auf eine wirklich sinnreiche Art hervor zu thun? Verständige Leute denken dabey: TURPE EST DIFFICILES HABERE NUGAS, ET STULTUS LABOR EST INEPTIARUM. Ende des neunten Abschnitts, und zweyten Theils. Anhang III 1. Kapitel I. Kapitel Auf den Hochfürstlichen Geburtstag des regierenden Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen. 1728. So brich denn an, erwünschtes Licht! Verkläre den beglückten Morgen, Sonst wird des Himmels Angesicht, Von unserm Haupte Stralen borgen. Von Günthern, der dem Phöbus gleicht, Der Wissenschaften ehrt und liebet, Die Künste schützt, die Meister übet, Den Musen selbst die Lorbern reicht. Wohlan, es weicht der Schatten Macht, Aurora fängt schon an zu prangen, Sie streicht den dunklen Flor der Nacht, Ganz munter von den Rosenwangen. Der Sonnen Gold streut Blitz und Glanz Auf die gewölkten Himmelsbogen; Sie blickt schon aus den Wasserwogen, Sie zeigt sich halb, und endlich ganz. Willkommen, angenehmes Fest! Geweihter Jahrstag unsers Prinzen! So oft dein Licht sich spüren läßt; Erquickst du Völker und Provinzen. Du hast zuerst vergnügt gesehn In jener schönen Purpurwiegen, Die Lust des treusten Landes liegen: O wär es auch von mir geschehn! O! zeigten sich noch itzt einmal Die glück- und lusterfüllten Stunden, Da sich bey Wünschen, ohne Zahl, Der theure Günther eingefunden. Da Hof und Bürger, Stadt und Land, Bey der Geburt, so sie erfreute, Sich tausend Gutes prophezeihte, Sich schon in Hoffnung glücklich fand. Doch nein! der wirkliche Genuß, Von Günthers sanftem Regimente, Besiegt der Hoffnung schwachen Schluß, So sicher ihn die Ahndung nennte. Wir schmecken mehr, als man gehofft. Er nährt und schützt mit Vaterhänden: Man will ihm gern das Herz verpfänden, Allein er selbst beschämt uns oft, Der Weisheit hold, der Thorheit feind, Der Bürger Trost, des Landes Sonne: Der Bösen Furcht, der Guten Freund, Der Unterthanen Lust und Wonne, Wes ist das Bild? Wo trifft es ein? Sprich, sage, frohes Sondershausen! Mich dünkt, man hört die Antwort sausen: Wer kann das sonst, als Günther seyn? Ja, theurer Fürst! wer ist wie du Der Tugend sanft, den Lastern strenge, Ein reicher Quell von Glück und Ruh, Ein Muster in der Fürsten Menge? Uns rührt kein misvergnügter Neid, Ihr unermeßlichweiten Staaten! Wenn ihr bey harten Potentaten, Nicht Kinder, sondern Sclaven seyd. Die Liebe streitet diesen Tag, Sie kämpft und ringt auf beyden Seiten, Und sinnt, so gut sie weis und mag, Auf Anmuth, Pracht und Lustbarkeiten. Wenn bald das Haupt sein Volk ergetzt, Und bald das Volk sein Haupt verehret; Wird jeder, der es sieht und höret, Entzückt, und aus sich selbst gesetzt. Ach möchte das Verhängniß doch Den Tag noch funfzigmal erneuren! So könnte Pflicht und Treue noch Dieß Fest auf späte Zeiten feyren. Gott geb es! raffet Land und Stadt: Gott geb es! schallt das Echo wieder; Gott geb es, wünschen meine Lieder, Wo Schmeicheley kein Antheil hat. Auf das Absterben der (Tit.) Fr. Prasidentinn und Cammerherrinn von Bünau. 1728. Ist mir je ein Lied gelungen, Deutsche Musen, meine Lust, Wenn ich mit entzückter Brust Euren Tönen nachgesungen: O! so stimmt mir itzt die Seyten, Rührt mir selber Hand und Herz, Helft mir unsers Bünaus Schmerz Zu der Gattinn Gruft begleiten; An die Gruft, wo Stein und Sand Seine Wehmuth mit empfand. Seufzer, Thränen, Lob und Klagen Wechseln hier in reicher Zahl, Seit Morbona sein Gemahl Starr und kalt dahin getragen. Seht! wie er die matten Hände Ueber dieser Leiche ringt; Hört! sein trüber Ruf durchdringt Auch der Gräber düstre Wände: Bis er in der dicksten Nacht Selbst die Schatten traurig macht. Wie die prächtigen Narcissen, Die ein Sturmwind hingerafft, Voller Glanz, Geruch und Kraft, Ihrer Blüthen Schönheit schliessen: Die verletzten Kronen sinken In das abgestreifte Laub, Wo sie, zwischen Gras und Staub, Die geschmolznen Schlossen trinken: Ach! wer kann, was da geschehn, Ohne Schmerz und Beyleid sehn? So verwelkt Augustens Blüthe, So verschwindet Pracht und Zier, Anmuth und Gestalt an ihr, Gaben, von besondrer Güte! Harte Parcen! haltet innen, Reißt noch nicht den Faden ab: Denn auf ein so theures Grab Werden tausend Thränen rinnen; Thränen, deren heiße Fluth Oft dem Schicksal Einhalt thut. Doch umsonst! die Kräfte schwinden, Stirn und Lippen werden Eis, Und ein tropfenreicher Schweis Läßt sich auf den Wangen finden. Mitten unter Angst und Wehe, Blickt ihr halb gebrochner Stral Auf den jammernden Gemahl, Auf die Pfänder ihrer Ehe: Endlich thut der schwache Mund Den betrübten Abschied kund. Liebstes Herz! getreuste Seele! Meiner Tage Trost und Licht, Schaue, wie mein Auge bricht, Denn ich muß zur Todtenhöle. Habe Dank für deine Liebe, Dank für alle Zärtlichkeit: Denke künftig jederzeit Unsrer stets verneuten Triebe; Ausser welchen in der Welt Mich sonst nichts zurücke hält. Lebet wohl! ihr zarten Erben, Ach! wie heftig rührt ihr mich! Selbst mein Herz ermuntert sich, Und will euch zu gut nicht sterben. Liebste Pflanzen, holde Zweige, Wachset, blüht und traget Frucht, Folget eures Vaters Zucht, Wenn ich gleich die Scheitel neige. Und wenn euch mein Grab betrübt, Denkt, daß ich euch auch geliebt. Ach ihr Musen! laßt mich wissen, Wie der Wittwer sich gekränkt, Als sie drauf das Haupt gesenkt, Und der Tod den Geist entrissen. Starke Seelen klagen selten, Doch, wenn solch ein Fall sie rührt, Muß der Gram, den sie gespürt, Doppelt, ja wohl zehnfach gelten. Wer verwirft denn seine Quaal, Um ein solches Ehgemahl? Nein! er klagt mit vollem Rechte; Der Verlust, den er erfährt, Ist fürwahr bedaurens werth, Und betrübt ein groß Geschlechte. Könnt ich doch mit rechten Bildern, Theurer Döring, deine Noth, Um der Tochter frühen Tod, Und der Freunde Thränen schildern: O! so würde solche Pein Nirgends sonder Wirkung seyn. Könnt ich doch die Seufzer zählen, Die des Hofes Traurigkeit Ihrer Leiche schon geweiht: Denn wer kann den Schmerz verhelen? O so wollt ich – – – doch vergebens! Wähle dir, verirrter Kiel, Die Erblaßte selbst zum Ziel, Und den Vorzug ihres Lebens; Der, wenn man sie gleich begräbt, Doch in unsern Herzen lebt. Treue Brüder der Poeten, Wahre Schüler der Natur, Kommt und helft und theilt euch nur, In die Pflichten unsrer Flöten. Malt der schönen Glieder Prangen, Malt den langen Körper ganz, Malt der muntern Augen Glanz, Sammt den vollen Liljenwangen. Geist und Tugend soll allein Meiner Lieder Inhalt seyn. Doch, wer faßt so edle Gaben In ein allzuenges Blatt? Wer, wie sie, nichts gleiches hat, Muß ein hohes Loblied haben. Neukirch müßte sie besingen, Dem, wenn er die Laute nimmt, Phöbus selbst die Seyten stimmt, Daß sie Wald und Felsen zwingen: Dann wollt ich mich unterstehn, Ihm von ferne nachzugehn. Aber nein! kein fremdes Loben, Keine Dichtkunst gnüget hier: Theurer Bünau! bloß von dir, Wird sie nach Verdienst erhoben. Wie dort Canitz, reich an Trauren, Seiner Doris Aschenkrug Singend ins Gewölbe trug, Ihren Abschied zu bedauren: So bist du allein geschickt, Zu beklagen, was dich drückt. Schlug ein Meister in Gedichten Dort sein künstlich Seytenspiel: Hier verewigt sie dein Kiel, In unsterblichen Geschichten. Da du Deutschlands alte Thaten Aus der Vorwelt Nebel zeuchst, Und der Helden Lob erreichst; Wird dir auch ein Buch gerathen, Wo uns dein erhabner Geist, Deiner Gattinn Abriß weist. Schreibe dann mit regen Sinnen, Was vorlängst dein Herz empfand, Als es sich zu ihr gewandt, Ihre Liebe zu gewinnen. Schreibe von den reinen Küssen, Die dich sieben Jahr ergetzt; Schreibe, was dich itzt verletzt, Da sie dir der Tod entrissen: Dieß ist einzig, großer Mann, Was dich wieder trösten kann. Dann erhebe dich von neuen, Deinen Aemtern nachzugehn, Und den Musen vorzustehn, Die sich deiner Aufsicht freuen. Kömmst du nun an unsre Linden, Wo der Künste Wohnplatz ist, Deren Haupt und Schmuck du bist; So laß deinen Schmerz verschwinden: Regt er aber dennoch sich, O so denk auch einst an mich. Auf Ihro Durchl. der regierenden Fürstinn zu Schwarzburg-Sondershausen Geburtsfest, in fremdem Namen. Der schönste Lenz kann nicht so sehr Die aufgelebte Welt erquicken; Wenn Sonn und Wärme mehr und mehr Dem Norderpole näher rücken: Des Monden voller Frühlingsschein, Kann nie so schön und heiter seyn, Nie Herz und Augen so ergetzen: Als dieses Festes Pracht und Lust, Durchlauchte Fürstinn! unsre Brust In Freud und Wonne weis zu setzen. Der jüngst verwichne letzte Merz Hat vormals dich der Welt geschenket, Und deiner Unterthanen Herz Schon oft mit vieler Lust getränket. Denn, Landesmutter, solch ein Tag, Erlaube, daß mans sagen mag, Erscheint nicht allzuoft auf Erden; Daran zu unserm Glück und Ruh Dergleichen Fürstenhaupt, als du, Pflegt an das Licht gebracht zu werden. Du bist an Hoheit, Geist und Witz Ein Muster großer Prinzessinnen; Die Tugend selbst kann ihr zum Sitz Kein fürstlicher Gemüth gewinnen. Der Gaben hohe Trefflichkeit, Der Gnadenblicke Seltenheit, Die Anmuth und die Pracht der Glieder, Das alles reizt zwar dich zu sehn, Wiewohl, wenn solches kaum geschehn, Schlägt Ehrfurcht uns das Auge nieder. Wenn Neid und Zwiespalt anderweit, Gleich ungestümen Meeren, brausen; So schmückt das Gold der Einigkeit Das Ruh erfüllte Sondershausen. Die Eintracht wirft den hellen Blick Auf unsrer Fürsten Fried und Glück, Und schwert, hier ewiglich zu grünen: Die Vorsicht sieht der Eintracht zu, Und segnet selbst die edle Ruh Von Günthern und von Albertinen. So künstlich Feder, Glock und Rad Ihr Meister in der Uhr verbunden, Wenn Zahl und Schlag sich nie zu spat, Auch nie zu zeitig eingefunden. So augenscheinlich, hohes Paar, Ist auch bisher so manches Jahr Dein süßes Liebesband gewesen: Wenn Ehstand oft ein Wehstand hieß, So war er hier ein Paradies, Wo ihr des Friedens Frucht gelesen. Dieß alles hat zwar Stadt und Land Schon längst verwundrungsvoll gesehen, Doch hat es niemand mehr erkannt Als es von meiner Brust geschehen. Die Fürstenhuld, Durchlauchte Zwey! Die eures Knechtes Dienst und Treu Aus Staub und Niedrigkeit gezogen; Die Gnade, so mich itzt noch trägt, Beschützt, versorgt, erhält, verpflegt, Hat mich noch mehr dazu bewogen. Der Himmel segne stets dein Haus, Du Lust des Landes, Albertine! Es weiche Leid und Furcht hinaus, Daß Glücke, Freud und Lust ihm diene. Es müsse dieses Festes Pracht, Das selbst das Schicksal herrlich macht, Gemahl und Volk noch oftmals feyren: So wird auch deines Knechtes Brust Die heut empfundne Jubellust, So lang ich Odem hab, erneuren. Auf eine Bürgerhochzeit in Leipzig 1729. in fremdem Namen. Schöner Frühling, komm und labe Komm und labe Stadt und Land! Zeuch durch Florens Wunderhand, Gras und Blumen aus dem Grabe. Unsrer Gärten welke Pracht Ist durch späten Schnee verletzet: Da uns sonst der Lenz ergetzet, Schreckt uns itzt der Kälte Macht; Daß die Knospen auf den Bäumen, Furchtsam sind hervor zu keimen. Seht! die zärtlichen Narcissen Strecken kaum ihr Haupt empor: So erschrecken sie davor, Daß sie Frost empfinden müssen. Auch die Tulpen sind erstarrt, Und ersterben in der Wiegen: Eh sie noch hervor gestiegen, Wird ihr junges Blatt verscharrt. Ja man sieht auf Feld und Fluren, Kaum der Saaten erste Spuren. Selbst den lauten Nachtigallen, Giebt noch kein belaubter Wald Den gewünschten Aufenthalt, Echo hört sie noch nicht schallen. Auch die Schwalben sind noch scheu, Die sich sonst auf unsern Gassen, Häufig sehn und hören lassen, Durch ihr zwitscherndes Geschrey: Bey des Nordwinds rauhem Wehen Muß ihr Nest noch ledig stehen. Selbst der hart gewöhnten Lerche, Der beliebten Sängerinn, Fällt die Lust zum Singen hin: Und wie zittern unsre Störche? Die gereut ihr früher Zug, Wollen fast den Rückweg nehmen: Denn sie scheinen sich zu schämen, Weil ihr übereilter Flug, Eh der Winter noch verschwunden, Sich in Meissen eingefunden. Auch das Volk verbuhlter Frösche, Das in lauen Sümpfen heckt, Wird dieß Jahr zu spät erweckt; Denn wo hört man ihr Gewäsche? Wo sie noch auf Schnee und Eis, Mit den kalten Füssen hüpfen; Können sie sich nicht verknüpfen; Wieder der Natur Geheiß: Ja sie werden unterdessen Ihr Gekröchze gar vergessen. Bey dem allen, werthe Beyde, Dient euch doch der Ehestand, Durch ein sanftes Liebesband, Statt der schönsten Frühlingsfreude. Ihr verlachet Schnee und Frost; Wenn der Lenz gleich aussen bliebe, Labt euch doch die Lust der Liebe, Als die beste Frühlingskost. Küßt kein Zephir die Narzissen; Amor lehrt euch besser küssen. Trotzet dann den rauhen Tagen, Trotzt der stürmischkalten Zeit, Laßt der Lüfte Wiedrigkeit, Euch fein früh zu Bette jagen. Folget, wenn euch Hymen rufft; Mag das Wetter auf der Erden, Künftig doch noch kälter werden, Ja es fülle Schnee die Luft; Eure Heyrath vor dem Mäyen Darf und wird euch niemals reuen. Laßt euch nicht im Schlafe stören, Wenn gleich bald nach Mitternacht Sich Aurora fertig macht, Ihren Kindern zuzuhören: Wenn gleich Titan selbst erscheint, Und an manchem kühlen Morgen Der verliebten Träume Sorgen, Durch sein Licht zu hemmen meynt. Wiederholt auch beym Erwachen, Kuß und Scherz und Lust und Lachen. Bringet künftig eure Jahre Gleich dem schönsten Lenzen zu, Daß man nichts als Fried und Ruh, Glück und Heil von euch erfahre. Euer Beyder frohes Haus Blüh auf späte Zeit im Segen; Denn um seiner Wohlfahrt wegen, Brech ich in den Glückwunsch aus: Daß ein unverrückt Gedeihen Euren Ehstand soll erfreuen. Seyd vergnügt, ihr Hochzeitgäste, Hola! kommt und schenkt mir ein! Bräutigam, dieß Gläschen Wein Schmeckt uns allen auf das Beste. Gießt es mir noch einmal voll; Gießt, und liefe gleich was über. Denn es heißt: Je mehr, je lieber, Wenn man sich berauschen soll. Gut, das neue Paar soll leben, Und uns bald was Kleines geben! Auf Sr. Durchl. des regierenden Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt anders Beylager, in fremdem Namen. Erfüllt das jüngst erneute Jahr Mit neuem Glanze, neuer Freude, Auch Euer Haus, Durchlauchte Beyde! Auch dich, gepriesnes Fürstenpaar! Und hat Aurorens später Schimmer, Nach überstandner längsten Nacht, Auch in dein hohes Hochzeitzimmer Ein lusterfülltes Licht gebracht: So laß auch deiner Knechte Singen, Den Zuruff für dein Glück zu deinen Ohren bringen. Gott Lob! der trübe Trauerflor Sinkt Rudolstadt vom Angesichte, Die Kummernacht weicht Hymens Lichte, Und treibt so manchen Wunsch empor. Der Fürstenhof gleicht einem Garten, Der nach des Winters Schnee und Eis, Mit tausend frischen Blumenarten, Den Gärtner zu vergnügen weis: Doch allen Schmuck, der ihn erhebet, Dem Himmel selbst verdankt, der seinen Grund belebet. Durchlauchter Fürst! Dein heitrer Blick, Sammt deiner Fürstin Trefflichkeiten, Vermehren jetzt das Gold der Zeiten, Und deines treuen Landes Glück. Der Bürger sieht mit frohem Herzen Der neuen Hochzeitfackeln Schein, Und glaubt, daß so viel helle Kerzen Ihm so viel Glücksgestirne seyn; Und spürt bey seines Hauptes Trieben, Von neuem einen Zug, dich unverrückt zu lieben. Auch wir, die Philurenens Schooß Als treue Musenkinder nähret, Wo uns Minervens Stral verkläret, Sind dergestalt der Schmerzen los. Wir klagten jüngst bey deinen Thränen, Und jauchzen jetzt bey deiner Lust; Und diese reizt uns zu erwähnen, Was Rudolstadt zwar längst gewußt, Doch niemals nach Verdienst erhoben: Wie rein und zärtlich wir dein sanftes Herrschen loben. Des Himmels Huld bestimmte dir, Nach deiner ersten Gattinn Leichen, Ein wiederholtes Gnadenzeichen, Durch aller Prinzeßinnen Zier. Sein Auge sah' sogleich Christinen, Aus Frießlands fürstlichem Geschlecht. Drauf hieß es: Diese soll mir dienen, Sie sey der Lohn für meinen Knecht: Weil Gandersheims geweihter Orden Bisher nach Herzenswunsch von ihr gezieret worden. Des Höchsten Schlüsse fehlen nicht. Man hörte bald aus Famens Munde: Sophia tritt zum holden Bunde, Wo Amor ihr die Kränze flicht. Sie hatt' ihr Herze Gott geweihet; Das hebt der Ehstand gar nicht auf. Und da sich Stadt und Land erfreuet; So folget Glück und Segen drauf: So wird ihr Beyspiel künftig lehren, Wie glücklich Bräute sind, die Gottes Wink verehren. Es sey so! rufft ganz Rudolstadt, Es sey so! wünschet Volk und Adel, Dieß neue Band ist ohne Tadel, Dieweil es Gott zum Stifter hat. Durchlauchter Fürst, dein mildes Wesen, Dein gnadenreiches Angesicht Scheint auch den Musen auserlesen, Und treibet sie zu ihrer Pflicht: Und Phöbus läßt dir mit Ergetzen, Den lusterfüllten Wunsch zu deinen Myrthen setzen. Dein neuer Ehstand, theurer Fürst, Sey deine Lust, der Bürger Wonne, Die du, als deines Landes Sonne, Mit Licht und Kraft beseelen wirst. Es diene dir ein stetes Glücke! Dein Ehstand sey an Segen reich! Und siehst du einst auf uns zurücke, So denk an unsre Treu zugleich; Die dich zu ihrer Lust erkohren, Und deinem Namen Preis, dir Ehrfurcht zugeschworen. Auf eines Anhaltzerbstischen Hofjunkers von Kospoth Ableben, in fremdem Namen. Vertieft euch nur, verwöhnte Seelen, Im Schlamme schnöder Eitelkeit! Verbannt den Staub der Todtenhölen Zu ewiger Vergessenheit! Die blasse Furcht vor Grab und Leichen Macht keinen von der Sichel frey: Morbona rufft: Es bleibt dabey! Ihr Menschenkinder müßt erbleichen! Es sey nun, daß in frohen Jahren Die Wangen voller Rosen stehn; Es sey, daß bey gebleichten Haaren Die Schenkel schwach und wankend gehn; Es sey, daß Schönheit, Gold und Titel Das Vorrecht edler Seelen sind: Der Tod schlägt alles in den Wind, Und webt uns doch den Sterbekittel. Ihr Weisen! schreibt nur in die Bücher, Die Tugend mache Göttern gleich: Euch selbst bedecken Grabetücher, Ihr selber müßt ins Todtenreich. Die aufgelösten Geister dringen In das gewölbte Sternenzelt: Wer zweifelt dran? Doch in der Welt Muß sie vorher der Tod bezwingen. O träfen solche Trauerlieder Nur nicht bey tugendhaften ein! So dürften Kospoths kalte Glieder Kein Beyspiel dieser Wahrheit seyn: So dürften wir bey Gram und Thränen, Die uns sein Abschied ausgepreßt, Bey seinem welken Ueberrest, Uns nicht nach unserm Freunde sehnen. Wer war, wie er, an Muth und Jugend, An Witz, Verstand und Anmuth reich? Wie herrlich sprach er von der Tugend? Wie zärtlich liebt er sie zugleich? Wie that er noch vor wenig Wochen Ihr übergroßes Wesen kund, Indem sein wohlbegabter Mund Ihr himmelhohes Lob gesprochen. Ists wahr, daß hochbetagte Schwanen Des nahen Todes Einbruch sehn; Und sich den Weg zum Sterben bahnen, Wenn sie zuletzt noch singend flehn: So hat auch mit beredter Zungen Der Seligste, bevor er schied, Ein unvergleichlich Schwanenlied, Zum Ruhm der Tugend, abgesungen. Das war die Frucht von seinem Wissen, Die Wirkung der Gelehrsamkeit, Darauf er sich mit Ernst beflissen, Seit dem er sich der Kunst geweiht. Das war der Vortheil kluger Reisen, Da manches weit entlegne Land An ihm bereits ein Muster fand, Die eigne Jugend drauf zu weisen. Kein aufgeblasnes stolzes Wesen Hat seinen Wandel je verstellt; Sein Blick und Wort war auserlesen, Sein Umgang eine Lust der Welt. Bescheidenheit! du seltne Gabe! Du warst ja Kospoths schönster Schmuck. Wie nun? Ist das nicht Ruhms genug? Und doch liegt alles das im Grabe. Doch nein! es sind nur morsche Scherben, Zerbrochne Hülsen sind es nur. Die große Seele kann nicht sterben, Sein Geist war himmlischer Natur. Ein unauslöschlich Angedenken Verewigt ihn in unsrer Brust. O könnt uns dieß die alte Lust, Nach Schmerz und Kummer wieder schenken! Auf eine verstorbene Wöchnerinn, in fremdem Namen. Ach Rahel stirbt! und Jacob weinet, Kein Schmerz ist seinem Schmerze gleich, Sein Liebstes fällt ins Todtenreich, So, daß er gänzlich trostlos scheinet. Ach! rufft sein hochbestürzter Mund, Ach! seufzt er mit verwirrten Sinnen, Mein Allerliebstes eilt von hinnen, Und trennt der reinsten Liebe Bund. Ach, Rahel bleibt im Wochenbette! O daß sie nie gebohren hätte. Du armer Jacob, deine Plage Ist unerträglich, ist zu schwer. Geh, zähle nun die Stunden her, Da dir dein Schatz in Armen lage. Gedenk einmal der süssen Zeit, Da du zuerst ihr Bild erblicket, Da sie zuerst dein Herz entzücket, Da du dich ihrer Huld erfreut. Da du in zweymal sieben Jahren Fast stündlich neue Lust erfahren. Ach Schmerzenssohn! Pfand treuer Liebe! Mußt du der Ursprung meiner Pein, Die Quelle meines Unglücks seyn? Ach, daß die Mutter lebend bliebe! Nun will ich meiner Tage Rest Mit lauter Gram und Seufzen schliessen; Nun sollen meine Thränen fliessen, Bis mich das Schicksal folgen läßt. Dann soll mein Leichnam mit Vergnügen Bey dir, geliebter Körper, liegen. So klagte dort vor grauen Zeiten Ein Ehmann, der sein Weib verlohr, Und füllte manch bestürztes Ohr Durch seiner Gattinn Seltenheiten. Gekränkter Wittwer, sieh allhier Ein deutlich Vorbild deiner Schmerzen; Der Tod reißt dir ein Stück vom Herzen, Und trennt dein Ehgemahl von dir. Fürwahr den Schmerz von solchen Wunden Hat Jacob kaum so stark empfunden. Ihm blieb die letzte Frucht am Leben, Sein höchstgeliebter Benjamin; Dir reißt der Tod gar beydes hin, Du mußt ihm Sohn und Mutter geben. Kein Wunder, daß dein matter Geist Gerührt, bestürzt, erstarrt, erschrocken, Den bangen Ton der Trauerglocken Sein angenehmstes Labsal heißt, Und kaum vermag den treuen Zähren Der heissen Tropfen Strom zu wehren. Ja weint nur, weint, ihr Anverwandten! Was ihr verliert, ist Thränen werth, Der Unfall, der euch wiederfährt, Erschüttert alle, so ihn kannten. Der frommen Hanna Gegenbild, Das Muster andachtvoller Seelen, Hat itzt die Wände dunkler Hölen Durch ihre Glieder ausgefüllt. Und so wird, eh ihr noch geglaubet, Euch ihrer Seufzer Kraft geraubet. Sprecht, sah man nicht in ihren Zimmern, Allwo sie oft bey Tag und Nacht Die Zeit mit Bethen zugebracht, Ein reines Oel des Glaubens schimmern? Ihr Bibelbuch bezeugt dabey, Daß sie bey ungestörtem Lesen Des Geistes Schülerinn gewesen, Und selbst von Gott gelehret sey: (Was man ihr auf dem Sarg kann schreiben) Bis in den Tod getreu zu bleiben. Das that sie mit gelaßnen Sinnen. Noch mehr, sie sprach in frommer Ruh, Den Freunden selbst ein Trostwort zu, Und schied darauf nach Salems Zinnen. Betrübte, schaut dieß Muster an, Ach! nehmt die Todte zum Exempel, Ihr Herze war der Tugend Tempel, Drum folgt, drum thut, was sie gethan: So werdet ihr das Glück erwerben Dereinst so schön, als sie, zu sterben. Gebeugter Witwer, laß dein Leiden Dir als ein Christ zu Herzen gehn, Du kannst, du wirst es überstehn, Ja Ungeduld und Murren meiden. Der Ewigkeit gestirnter Saal Ist deiner Liebsten Ehrenbühne; Da prangt itzt deine Wilhelmine, Da hält sie schon das Abendmahl, Und freut sich noch im Engelorden, Daß sie an dich vermählet worden. An Thalia. Komm, Thalia, hilf mir lachen, Ich soll wieder Verse machen, Aber keine Stacheln drein. Denn der Welt verkehrtes Wesen Mag durchaus kein Lied mehr lesen, War es sonst gleich ungemein; Wo man nicht von Lumpendingen, Will als großen Wundern singen. Drum, ihr Musen, laßt euch rühren, Reizt mich nicht mehr zu Satiren, Reizet mich zum Schmeicheln an. Sagt, was hilft es, daß ich schmähle, Und der Thoren Thun erzähle? Kehrt sich doch die Welt nicht dran. Stimmt mir lieber Rohr und Seyten, Nach der Lobsucht unsrer Zeiten. Künstelt Riesen aus den Zwergen, Maulwurfshügel macht zu Bergen, Solche Lieder klingen fein. Fragt nicht: Ob es sich gezieme, Daß man einen fälschlich rühme? Itzo packt die Wahrheit ein. Solch ein Thor verdirbt auf Erden, Der durch sie beliebt will werden. Sie erscheint, die Heucheldirne, Clio, die mit frecher Stirne, Stümper oft zu Meistern macht. Priesterinn der Schmeicheleyen! Dir will ich die Feder weihen, Nimm sie künftig wohl in acht; Daß sie nichts nach Würden lohne, Und der ärgsten Thoren schone. Wie geschieht mir? Fürst der Musen! Füllt sich doch mein reger Busen, Mir ganz neuen Trieben an. Hört doch, wie ich nach einander Manchen großen Alexander, Durch mein Lied vergöttern kann; Ob er gleich durch eignes Wagen, Niemals einen Floh erschlagen. Ach was sind für große Dichter Unsres Vaterlandes Lichter! Hört, wie unser Pindus schallt. Phöbus sitzt umringt von Söhnen, Und kann kaum die Helfte krönen, Weil er seinen Lorberwald, Den wir so verwüstet schauen, Bloß zu Kränzen kahl gehauen. Thöricht war die Zahl der Weisen, So uns die Geschichte preisen, Gegen unsrer Weisen Zahl. Groß an Klugheit, jung an Jahren, Viel gelernt und viel erfahren, Doch am Kinne glatt und kahl; Das sind itzo, da ich singe, Die gemeinsten Wunderdinge. Ganze Millionen Weiber Haben itzt so schöne Leiber, Als das schönste Venusbild. Nach Lucretiens Exempel Sind sie lauter Keuschheitstempel, Nur mit Scham und Zucht erfüllt. Amors Pfeil und Liebeswunden, Haben sie noch nie empfunden. Doch, was mach ich? Clio schweige! Fleuch mit deiner Heuchlergeige, Fleuch, verhaßte Lügnerinn! Andre magst zu schmeicheln lehren, Ich will bloß die Wahrheit ehren, Der ich längst ergeben bin. Komm, Thalia! du Getreue, Straf und schilt die Welt aufs neue. Lehre mich die Wahrheit schreiben, Die der Welt zu Trotze bleiben, Und sie schamroth machen soll. Mache täglich Schand und Laster, Unverstand und Wahn verhaßter, Zeige stets den alten Groll, Den du längst der Schaar der Thoren Angedroht, ja zugeschworen. An Herrn M. Just Gottfried Rabenern. Freund, von altem Schrot und Korne, Deutschgesinnter Ehrenmann, Phöbus reizt mich itzt zum Zorne, Daß ich mich nicht halten kann: Aber sprich, wer hört mir zu? Werther Rabner, das bist du. Ruh einmal von deinen Schriften, Schone deinen scharfen Kiel, Der dir größern Ruhm wird stiften, Als mein schlechtes Seytenspiel; Da zumal der deutschen Welt Itzt nur Bav und Mäv gefällt. Heraklit ist auszulachen, Ists nicht wahr, geliebter Freund? Der bey allen Lumpensachen Wie ein altes Weib geweint, Und was alle Welt ergetzt, Herber Thränen werth geschätzt. Sprich, wo hat an allen Ecken, Süd und Ost und Mitternacht, Irgend einen ärgern Gecken An das Licht der Welt gebracht? Nein, ich weis, fürwahr ich weis, Heraklit behält den Preis. Tausend Dank sey euch, ihr Alten! Die ihr durch manch ewig Blatt, Uns den Demokrit erhalten, Dessen Ruhm nichts gleiches hat; Weil er stets mit ganzer Macht Aller Thoren Thun verlacht. Freund, ich weis, du kannst nicht pinseln, Denn du bist kein Sauertopf: Und wie schickt sich flehn und winseln, Für dergleichen muntern Kopf? Ists nicht wahr? ein kluger Scherz Labet dir und mir das Herz. Lache dann von Herzensgrunde, Lache doch, ich lache mit, Wenn Serran und Kunigunde Freudig in den Ehstand tritt; Bloß weil keins von beyden sieht, Was ihm schon für Elend blüht. Lache, wenn die Einfalt pralet, Und ihr hundertjährig Haus Marmorähnlich übermalet, Lache solch ein Babel aus; Das mit seiner Farben Pracht, Narrenmasken schamroth macht. Lache, wenn Pralanders Künste Weiter nichts als Rauch und Wind, Weiter nichts als faule Dünste, Seines kranken Hirnes sind: Ob ihn gleich die halbe Welt Für der Klugheit Muster hält. Lache, wenn Asträens Krone, Schülern an der Scheitel blitzt, Bloß weil Themis auf dem Throne Mit verbundnen Augen sitzt, Und sich selber zum Verdruß Jeden Stümper krönen muß. Lache, wenn sich junge Knaben, Die den edlen Priscian Noch nicht halb begriffen haben, Pilzen gleich hervorgethan, Und, als Schüler im Latein, Doch der Weisheit Meister seyn. Lache! doch du wirst schon wissen, Was recht lachenswürdig sey. Es ist Zeit mein Lied zu schliessen, Fällt dies aber irgend bey, Daß ich elend Zeug gemacht: Gut: So sey es ausgelacht! Das heimliche Anliegen. Harter Himmel! dein Geschicke Macht mir täglich neuen Schmerz: Deiner Fügung rauhe Blicke, Foltern mein gequältes Herz. Ich empfinde tausend Plagen, Tausend Martern und Verdruß; Die ich aber keinem sagen, Keiner Seele klagen muß. Mir allein bekannte Sorgen Schläfern mich des Abends ein; Und der angebrochne Morgen Läßt mich nicht vergnügter seyn: Denn nach dem verschwundnen Schlummer, Wird die alte Marter neu; Ja mein stiller Seelenkummer Läßt mir keine Stunde frey. Scheint mein Antlitz gleich vergnüget, So ist doch der Geist betrübt: Mein verstelltes Auge trüget; Wenn es frohe Blicke giebt. Herz und Seele schwimmt in Zähren, Wenn der falsche Mund schon lacht. Ach! wenn wird das Leid sich kehren, Das mich so verkehrt gemacht! Ach wenn wird das Licht erscheinen, Das die Finsterniß zerstreut! Wenn verwandelt sich das Weinen, In erwünschte Frölichkeit? Oeffne, taubes Glück, die Ohren, Zeige mir den hellen Tag, Der mich aus den schwarzen Thoren Dieses Jammers führen mag. Wohl mir! mein versöhntes Glücke Spottet meiner Seufzer nicht; Es verkehrt die finstern Blicke, In ein heitres Sonnenlicht. Ach! ein Anblick süßer Freuden, Stralt mich schon von weitem an, Glücklich ist, wer nur im Leiden, Lust und Glück erwarten kan! Die Zufriedenheit. Ich such und finde mein Vergnügen In ruhiger Zufriedenheit. Drum soll mich Wahn und Eitelkeit Durch falsche Güter nicht betrügen. Kann ich vergnügt mit allem seyn; So ist der ganze Weltkreis mein. Ihr Fürsten! strebet nur nach Kronen, Bis ihre Last euch blutig drückt; Ich schätze mich weit mehr beglückt, Als alle, die in Schlössern wohnen: Denn darf ich nur kein Sclave seyn; So ist der ganze Weltkreis mein. Ein Geizhals strebet nur nach Schätzen Und setzet seinem Durst kein Ziel. Doch, ist er reich, was hilfts ihm viel? Mein Armuth kann mich mehr ergetzen: Denn darf ich nur nichts schuldig seyn; So ist der ganze Weltkreis mein. Ein reicher Schlemmer lebt im Sause Und sucht darinn sein Himmelreich: Allein, die Lust versalzt sich gleich, Man trägt ihn krank und matt vom Schmause. Hab ich ein einzig Gläschen Wein; So ist der ganze Weltkreis mein. Was gehen mich die stolzen Kleider, Der Höfe leeres Blendwerk, an? Wenn ich nicht Purpur tragen kann; So schwänzt mich auch kein schlauer Schneider. Ist nur mein Kleid bezahlt und rein; So ist der ganze Weltkreis mein. Fortuna! spare deine Gaben Und mache meine Freunde groß: Denn sitzen die dem Glück im Schooß, So werd ich keinen Mangel haben. Ihr, Werthe! dörft nur glücklich seyn; So ist der ganze Weltkreis mein. Doch, sollt ich einen Thron besteigen, Ich würd ihn meiner Chloris weihn. Wiewohl mein Reichthum ist sehr klein; Ich hab ein Herz, das ist ihr eigen! Wird ihrs dafür das meine seyn; So ist der ganze Weltkreis mein. Hat Salomon gleich tausend Frauen, Er hat auch tausendfache Noth. Ich habe kaum für eine Brod; Doch der kann ich mein Herz vertrauen. Wird sie mir nur beständig seyn; So ist der ganze Weltkreis mein. So such und find ich mein Vergnügen In ruhiger Zufriedenheit: So soll mich Wahn und Eitelkeit Durch falsche Güter nicht betrügen. Ich kann vergnügt mit allem seyn; Drum ist der ganze Weltkreis mein. Ein Trinklied aus dem französischen übersetzt. Man strebet vergebens die Wahrheit zu finden, Wofern uns nicht Bachus die Sinnen erhitzt; So konnten die Alten die Weisheit ergründen, Wenn ihnen die Stirne vom Weine geschwitzt. Ja freylich, vom Trinken erwacht der Verstand: Dieß hat schon Hippokrates weislich erkannt, Der selber verordnet, so wie mich bedünket, Wohl dem, der sich jährlich ein paarmal betrinket! Der göttliche Sokrates, den wir so loben, Gieng oftmals ins Wirthshaus und schenkte voll ein; Wenn seine Xantippe begunnte zu toben, Vergrub er die Grillen in griechischem Wein: Wer schämt sich nun dessen, was dieser erkannt? Und was auch Hippokrates dienlich befand; Der selber verordnet, so wie mich bedünket, Wohl dem, der sich jährlich ein paarmal betrinket! Der prächtige Plato wird göttlich genennet, Das macht, er bewies sich im Schmausen nicht dumm: Denn die Philosophen, die er nur gekennet, Die bath er zu Gaste, und trunk frisch herum. Da wieß er im Wählen der Weine Verstand: Ihm war des Hippokrates Regel bekannt, Der ernstlich befohlen, so wie mich bedünket, Wohl dem, der sich monatlich einmal betrinket! Auch selbst Aristoteles mochte nicht dürsten; Das zeigt uns sein Schüler in Asien an: Was hat Alexander, das Schrecken der Fürsten, Mit Gläsern und Waffen für Thaten gethan? Oft hat er beym Trunke die Wahrheit erkannt, Die vor ihm Hippokrates dienlich befand; Der selber verordnet, so wie mich bedünket: Wohl dem, der sich monatlich zweymal betrinket! Diogenes, spricht man, hat Wasser gesoffen; Doch bilde sich niemand die Unvernunft ein: Ich glaubs nicht und will es auch nimmermehr hoffen, Er kroch in die Tonne, denn die roch nach Wein. Drauf hat er die hölzerne Schale verbannt, Und trank wie Hippokrates nützlich befand; Der selber verordnet, so wie mich bedünket: Wohl dem, der sich wöchentlich einmal betrinket! Demokritus war schon dem Charon im Nachen, Doch als er den Wein nur zu riechen bekam, Entgieng er des Todes gefährlichem Rachen, Und lebte drey Tage den Parcen zur Scham. Da sieht mans! der Tod wird durchs Trinken verbannt, Wie solches Hippokrates weislich erkannt; Der selber verordnet, so wie mich bedünket: Wohl dem, der sich wöchentlich zweymal betrinket! Man liest, Heraklitus hab immer geweinet: Das klingt nun in Wahrheit für Männer nicht fein. Doch wie mir aus allem ganz deutlich erscheinet, So quollen die Thränen vom häufigen Wein. Denn dadurch hat er sich die Schwermuth curirt, Wie selber Hippokrates weislich verspürt; Der ernstlich befiehlet, so wie mich bedünket: Wohl dem, der sich täglich ein paarmal betrinket! Wo bleibt Epikurus, der Meister im Schmausen? Der führte das Essen und Trinken recht ein! Was haben wir Menschen doch, weil wir hier hausen, Für bessere Güter, als Lachen und Wein? Die übrigen Grillen sind Irrthum und Tand: Drum thut, was Hippokrates nützlich befand; Der weislich verordnet, so wie mich bedünket: Wohl dem, der sich täglich ein paarmal betrinket! Das hat auch Galenus, der treffliche Lehrer! Im zehnten Capitel vom Weine gesagt: Der ist ja vom Trinken ein rechter Verehrer, Weil er die HUMORES PECCANTES verjagt, Und alles Geblüte recht purificirt, Wobey er Hippokrates Regel anführt, Der selber verordnet, so wie mich bedünket: Wohl dem, der sich täglich und stündlich betrinket! Auf eine vorgeschriebene Melodie für einen andern. Schönste Augen, holde Kerzen, Die ihr mir zur Marter brennt. Ihr entzündet tausend Herzen, Doch was hilfts, daß man euch kennt? Ueberall stralt euer Licht. Nur mich Armen seht ihr nicht. Dreht euch doch, ihr süßen Blicke, Auch auf ein verschmachtend Herz; Zieht euch nicht so schnell zurücke, Denn von euch entspringt mein Schmerz. Habt ihr mich nun selbst verwundt; Ey! so macht mich auch gesund. Wüßtet ihr nur was ich denke, Wenn ihr mich so gar verschmäht; Und indeß, daß ich mich kränke, Wohl nach schlechtern Seelen seht: Würdet ihr bey meiner Pein Nicht so unempfindlich seyn. Klärt euch aus, ihr holden Sterne! Und verändert euren Blick. Meine Demuth steht von ferne, Wünscht und hofft ein besser Glück; Hofft das Ende meiner Quaal, Ach! erbarmt euch doch einmal! 2. Kapitel II. Kapitel Cantata Auf Sr. Königl. Maj. in Polen und Churfürstlichen Durchl. zu Sachsen hohen Namenstag 1728. vom Schottischen Collegio Musico aufgeführet. Landesvater! Held, August! Sey uns tausendmal willkommen! Dein Entfernen bringt dem Herzen Treuer Unterthanen Schmerzen; Deine Rückkunft labt die Brust. Sey uns tausendmal willkommen, Landesvater! Held, August! So sang nur jüngst Saxonia, Indem sie mit vergnügtem Blicke, Den Quell von ihrem Glücke, Nun wiederum in ihrer Hauptstadt sah. Sie hatt' Ihm traurig nachgesehn, Als jener Zug in fremde Grenzen, Wo Brandenburgs geübte Waffen glänzen; Ja nach Sarmatien geschehn. Sie wußte sich nicht gleich darein zu finden, Und trat bey Leipzig an die Linden; Und da der Gram ihr Herz und Lippen brach, So rief sie Ihm die Wünsche nach. Zeuch beglückt zu Deinem Freunde, Der Dir jüngst sein Herz geschenkt! Das Verhängniß, so euch lenkt, Schreckt durch euer Band die Feinde. Aber wenn man in Berlin, Sich, durch hundert Lustbarkeiten, Dich zu fesseln wird bemühn: So gedenke doch zu Zeiten, Daß sich Sachsen um dich kränkt. Zeuch beglückt etc. Zwar damals rief sie so, Und härmte sich bey trüben Stunden: Nun aber war sie wieder froh, Daß all' ihr Leid verschwunden; Indem ihr Held, ihr weiser Salomo, Sich wiederum in Dresden eingefunden. Sie schmückte Haupt und Haare, Nicht durch der Frühlingskinder Glanz: Ein dichtgeflochtner Aehrenkranz, Die neue Frucht von diesem fetten Jahre, Womit sonst Ceres pflegt zu prangen, Umschloß die Stirn und hieng ihr auf die Wangen. Sie pries der Aecker Fruchtbarkeit, Und wußte zwar der reichen Furchen Segen, Mit dankbarer Zufriedenheit, Als Gottes Wohlthat auszulegen: Doch daß ich reich und sicher erndten kann, Daß, sprach sie, meiner Felder Saaten, In keines Feindes Hand gerathen: Das hat nächst Gott, mein Held, August, gethan. Unter den schützenden Schwerdtern der Sachsen, Grünet und blühet das ruhige Land. Wo man die friedliche Raute sieht wachsen, Ist kein Verheeren, kein Morden bekannt. Glücklicher Stand! Unter den schützenden Schwerdtern der Sachsen, Grünet und blühet das ruhige Land. Indem sie dieses kaum gesungen, Daß Wald und Feld davon erklungen; So kam ein tanzend Chor, Der lieblichscherzenden Najaden, Die sonst am Pleißenufer baden, Aus ihrem nassen Schilf hervor. Man merkte bald, daß sie den Heldennamen, Augustus, zu verehren kamen, Der abermal erschienen war. Sie bauten gleich von Rasen den Altar, Und wußten Ihm darauf, aus angenehmen Rinden, Ein süßes Räuchwerk anzuzünden. Sie schmückten sich mit frischen Kalmuskränzen, Und sungen dieses Lied, am Reihen, zu den Tänzen. Auf! auf! Saxonia! Des Helden Fest ist da. Komm, laß bey unsern Chören, Komm, laß bey dieser Lust, Auf unsern Held August, Auch deine Lieder hören. Auf! auf! Saxonia! Des Helden Fest ist da. Beglückt ist Land und Stadt, So Ihn zum Fürsten hat. O möcht Er lange leben! O würd er aller Welt, Zum Haupte vorgestellt, Zum Könige gegeben! Beglückt ist Land und Stadt, So Ihn zum Fürsten hat. Gott stütze Deinen Thron, Du andrer Salomon, Gott segne Deinen Erben, Der Tugend Eigenthum. Und lasse Sachsens Ruhm, In Ewigkeit nicht sterben. Ja weiser Salomon, Gott stütze Deinen Thron! Auf den Geburtstag Sr. Hochehrwürden, Herrn D. Schützens, im Namen seiner Tischgesellschaft 1728. Belobter Lehrer, deine Freude, Dein Wohlseyn ists, was uns vergnügt. Die Trauernächte sind besiegt, Und nun folgt Lust nach deinem Leide. In Wahrheit, wie es scheint, Hast du zwey ganzer Jahre Genug geklagt, genug geweint. Es warf dir ja des Himmels Schluß Dein Liebstes auf die Todtenbaare. Aufs Trauren folgt die Freudensonne. Vor kurzem glänzte dir der Hochzeitfackeln Schein, Und heute fällt dein froher Jahrstag ein. Heitres Licht! erwünschte Stunden! Bannet alle Trübsal aus, So dieß theure Haupt empfunden, Wie sein hochbetrübtes Haus. Nun ist aller Gram verschwunden, Heitres Licht etc. Ward nicht dein Heyrathsbund Ganz Leipzig mit Vergnügen kund? Die hochgeschätzten Anverwandten, Und alle, die dich kannten, Vergnügten Ohr und Herz an deinem Glück, Und zeigten ihre Lust Durch Wort und Werk, durch Mund und Blick. Die wohlgezognen Kinder, Des Hauses Schmuck, erfreuten sich nicht minder. Und liessen wir gleich, dir zu Ehren, Kein aufgewecktes Lustlied hören: So war doch unser Geist erfreut. Wir haben himmelwärts geblicket, Und zu dem gütigen Geschick, Für deines neuen Ehstands Glück, Die Seufzer abgeschicket. Höchster! segne Schützens Ehe, Mache sie an Wohlfahrt reich, Schenke diesem theuren Paare, Viel erwünschte Freudenjahre. Lebet lang und sterbt zugleich! Höchster, segne Schützens Ehe, Mache sie etc. Den Wunsch wird Gottes Huld erfüllen, Denn aller Menschen Glück entsteht Von seinem Willen; Bloß er kann unser Seufzen stillen. Man sieht ja heute schon Den frohen Anfang machen. Indem er deinem Leben, Gepriesner Mann, ein neues Jahr gegeben. So sieht man dich und dein Geschlecht Vergnügt und ruhig lachen. Und wo es uns von statten geht; So wollen wir mit Reim und Seyten, Die Zeichen ihrer Lust begleiten. Rauscht ihr Töne, klopft ihr Herzen, Dieser Festtag macht uns froh. Weicht ihr Schmerzen, Laßt uns scherzen, Fügt es doch die Vorsicht so! Rauscht ihr Töne, klopft ihr Herzen! Dieser etc. So rühret uns, vermählte Beyde, Der Anblick eurer Freude. So wünscht man dieser Stunde, Mit höchstvergnügtem Munde, Gott selber wolle seinen Segen Zu ihrem Einbruch legen, Der oft geschehen soll. Laß, theures Haupt! dieß Opfer dir gefallen. Zwar dein gelehrt und frommes Wesen, Ist beßrer Lieder werth, Als dessen, so du hier gelesen: Doch thun wir, was die Pflicht begehrt, Und lassen dir zuletzt noch diesen Glückwunsch schallen: Lebt recht beglückt im neuen Bande! Was Gott verknüpft, zerreißt nicht bald. Drum werdet mit Vergnügen alt, Und preiset ihn in eurem Stande. Ein Glück, so niemand zählen mag, Verkläre diesen Freudentag: So preist ihr Gott in eurem Stande. Lebt recht etc. Auf Seiner Magnificenz Herrn Hofrath Rechenbergs Geburtstag im Namen eines seiner Söhne. Ihr Westenwinde, spielt und scherzt, Als wolltet ihr jetzt Floren küssen: Wenn gleich mit trüben Finsternissen Ein später Herbst den Himmel schwärzt. Der Themis unverfälschter Freund, Ein Mann von ungemeinen Gaben, Muß, da sein jährlich Fest erscheint, Den Himmel selbst zum Herold haben. Von forne. Also half heute nur Die höchst-erfreute Philurene, Die Mutter so viel edler Söhne, Asträens Kindern auf die Spur. Selbst Themis sah mit munterm Blicke, Auf ihren Schmuck, den theuren Rechenberg, Erkannte dessen Glücke Für seiner seltnen Klugheit Werk; Und sah wohl, daß von allen In Philurenens Lindenschooß, Kein Lehrer fast so groß, So würdig sey, der Welt und Nachwelt zu gefallen. Drum reizte sie die Musen an, Den hochverdienten Mann Durch neue Lieder zu erheben; Und seinem Ruhm ein neues Lob zu geben. Rührt die wundervollen Seyten, Jauchzet, singt und spielt zugleich, Holde Musen, denn durch euch Lebt man bis in graue Zeiten. Rechenbergs Verstand und Tugend Ist ein Vorbild meiner Jugend: Rühmt ihn; Er verdients um euch. Rührt die wundervollen Seyten, Jauchzet, singt und spielt zugleich. Kaum hörte dieß das Chor Der unentschlafnen Pierinnen, So ließ es sich bereits gewinnen, Und trat vergnügt auf dem Parnaß hervor. Der frohe Phöbus selbst Ergriff bey dieses Festes Feyer, Die allmachtreiche Leyer, Und ließ bey seiner Schwestern Singen Die göttlichschönen Töne klingen. Rechenberg ist unser Freund, Rechenberg, Asträens Ehre, Der er durch die weise Lehre, Tausend Seelen günstig macht. Darum soll der Zeiten Nacht Seinen Nachruhm nie bedecken, Der sich weiter wird erstrecken, Als Dianens Silber scheint. Rechenberg ist unser Freund. Kaum ward ich solcher Lust gewahr, So stellte mir die Kindespflicht, Der es an Regung nie gebricht, Auch meine Schuld an diesem Tage dar. Sogleich ward Ehrfurcht, Zärtlichkeit, Und Treu in meiner Seelen rege. Ich blickte mit Ergebenheit, Auf meines klugen Vaters Pflege, Auf seine Sorgfalt, Huld und Liebe; Da brachen nun die eiferreichen Triebe Für sein belobtes Haus, Und dessen ungekränktes Glücke, Zu Gottes ewigem Geschicke, In diese Wünsch und treue Seufzer aus. Segne Verhängniß, mit daurenden Kräften, Rechenbergs, meines Versorgers, Gedeihn! Kröne die Scheitel mit silbernen Haaren, Laß sein Gedächtniß der Ewigkeit weihn! Laß ihn in funfzig vergnüglichen Jahren, Leipzig und Sachsen beförderlich seyn. Stärk ihn auch täglich in seinen Geschäfften! Segne, Verhängniß, mit daurenden Kräften, Rechenbergs, meines Versorgers, Gedeihn! Serenata Auf die Homann- und Menkische Hochzeit in Leipzig 1725. DIE NATUR. Auf! süßentzückende Gewalt, Die du aus Gottes Hand entspringest, Und alles, was ich bin, durchdringest, Komm, zeige dich, in lieblicher Gestalt. Auf, süßentzückende Gewalt! In allem, was der Bau der Welt, In ungezählten Himmelskreisen, Vor seines Schöpfers Augen stellt; In allen Thieren, die das Feld, Luft, Erde, Wald und Wasser in sich hält, Ja selbst in Bäumen, Stein und Eisen, Zeigt sich die ungeschwächte Kraft, Der allerstärksten Leidenschaft. Wer merkt nicht überall die Liebe? Wer spürt nicht, daß durch ihre Triebe Das ganze Weltgebäu besteht? Denn daß es noch bisher nicht gar zu Grunde geht, Das macht der Liebe festes Band. Sie hemmet ganz allein der Sachen Unbestand. Entfernet euch, ihr kalten Herzen! Entfernet euch, ich bin euch feind. Wer nicht der Liebe Platz will geben, Der flieht sein Glück, der haßt das Leben, Und ist der ärgsten Thorheit Freund: Ihr wählt euch selber nichts als Schmerzen; Entfernet euch, ihr kalten Herzen! Entfernet euch, ich bin euch feind. DIE SCHAMHAFTIGKEIT. Wie das? o gütige Natur! Soll ich denn auch zur Liebesfahne schweren? Soll ich denn auch die stille Lockung hören, Die deine Kraft in mir erregt? Ach nein, Natur, ach nein! Die Liebe kann kein Kind der wahren Tugend seyn. Ach nein, ich glaub es nicht! Ich fühle, daß das Herz mir schlägt, Das warme Blut färbt meine Wangen, Wenn man zu mir vom Lieben spricht, Ich fühle zwar ein heimliches Verlangen; Doch deckt es sich mit steter Blödigkeit. Ich fürchte stets der Frechheit Netze, Und sorge, daß nicht mit der Zeit, Die wachsende Verwegenheit Die Regeln göttlicher Gesetze, Durch diesen schlauen Trieb verletze. Drum weg damit! ich höre nicht, Was die Natur vom Lieben spricht. Unschuld! Kleinod reiner Seelen, Schmücke mich durch deine Pracht. Keine Laster, keine Flecken, Sollen mir das Liljenkleid Unberührter Reinigkeit, Durch der Liebe Schmutz bedecken, Der auch Schnee zu Dinte macht. Unschuld, Kleinod reiner Seelen, Schmücke mich durch deine Pracht. DIE TUGEND. Du irrest, liebes Kind, Du irrest sehr in diesem Stücke; Ich bin so grausam nicht gesinnt. Ich hasse zwar der Geilheit Lasterstricke, Durch welche dieß verdammte Weib Der wilden Jugend Fuß umschlinget; Bis daß sie endlich Seel und Leib In tausendfaches Unglück bringet. Allein die Liebe rechter Art Hat dessen Arm, der alles lenket, So wohl als mich, den Sterblichen geschenket. Sie scheut nicht meine Gegenwart, Und meine Glut schlägt oft mit ihren Flammen, Ganz lieblich zusammen. Folge nur den sanften Trieben, Die dein zartes Herz gespürt. Wenn dich ihre Flamme rührt. O so laß nur deine Sinnen, Eine Seele lieb gewinnen, Die sich durch die Tugend ziert; Und die mußt du ewig lieben. Folge nur den sanften Trieben, Die dein zartes Herz gespürt. DIE NATUR. Nun hörst du ja, die Tugend selbst stimmt ein. Wirst du der Liebe denn ganz wiederspenstig seyn? Ersticke nicht länger das wallende Wesen, Das meine Hand dir eingepflanzt. DIE SCHAMHAFTIGKEIT. Der Tugend Wort ist zwar von großer Kraft, Und sollte mich fast überwinden: Allein, ich fürchte doch die starke Leidenschaft, Und weis mich nicht darein zu finden. DIE NATUR. Ersticke nicht länger das wallende Wesen, Das meine Hand dir eingepflanzt. DIE SCHAMHAFTIGKEIT. Die Liebe scheint sehr unruhvoll Und ungestüm zu seyn. Ich wollte wohl; – – doch nein! Ich weis nicht, was ich machen soll? DIE NATUR. Verwirf die blöde Phantasey, Und mache dein Gemüthe frey, Das sich durch irrende Gedanken, In den vermeynten Tugendschranken, Mit steter Blödigkeit umschanzt. Wie ist es? hörst du mich? Mich dünkt, du änderst dich, Ich kan es an deinem Gesichte schon lesen. Ersticke nicht länger das wallende Wesen, Das meine Hand dir eingepflanzt. DIE SCHAMHAFTIGKEIT. Gefährlicher Entschluß! Den ich anitzo fassen muß. Wohlan, Natur! ich folge deinen Trieben: Doch sage mir, was soll ich lieben? DIE NATUR. Ach sorge nicht, der Himmel sorget schon, Der hat, eh du daran gedacht, Den ewigfesten Schluß gemacht, Durch wen er dich vergnügen wollen, Und wen dein reines Herz am ersten lieben sollen. Selbst der Höchste schliesset Ehen, Die ihm wohlgefällig sind. Wenn die Menschen nicht verstehen, Welchen Pfad ihr Fuß soll gehen, Da versorgt er und verbindt Manches tugendhafte Kind. Selbst der Himmel schliesset Ehen, Die ihm wohlgefällig sind. DIE SCHAMHAFTIGKEIT. So wird es auch vielleicht geschehen, Daß seine Vaterhuld bald auf mein Wohl wird sehen. DAS VERHÄNGNISS. Sieh da, du tugendhaftes Herz, Nimm hin das Kleinod meiner Liebe. Verwandle deine Furcht in Scherz, Und laß hinfort die reinen Triebe Nur ihm allein, Wie seine Brust nur dir, gewidmet seyn. Die Wohlfahrt soll auf allen Seiten, Dich, neuverknüpftes Paar, begleiten! CHOR DER NYMPHEN AN DER PLEISSE. Lebe, neues Paar, vergnügt! Selbst das Schicksal hats gefügt, Daß der Zweck von deinem Hoffen, Nach Verlangen eingetroffen. Lebe, neues Paar, vergnügt! Glück und Wohlfahrt, Heil und Segen, Müsse deiner Tugend wegen, Sich um deine Wohnung legen, Lebe, neues Paar, vergnügt! Orpheus und Euridice in einer Serenate entworfen. Ihr empfindlichzarten Herzen, Liebt wohl niemals recht beglückt. Eure Glut, so rein sie brennet, Wird durch manche Fluth erstickt: Und wenn euch ein Band bestrickt, Wird es unverhofft getrennet. Ach was fühlt ihr dann für Schmerzen! Ihr etc. Euridice, das wunderschöne Weib, Des großen Orpheus andre Seele, Befand sich schon mit Geist und Leib In Plutons tiefer Schattenhöle: Als ihres Gatten zartes Herz, Für Gram und Schmerz, Sich nicht zu laßen wußte; Und seine Zähren doch, O hartes Kummerjoch! Den wilden Thraciern verbergen mußte. Doch selbst im Zwange merkte man, Was heftige, was treue Liebe kann. Aermster Dichter! Schleuß nur auch die trüben Lichter, Schleuß die nassen Augen zu. Stirb, und lege dich zur Ruh; So wird dein getrennter Schatten Sich mit seiner Freundinn gatten. Stirb doch, warum säumest du? Aermster Dichter etc. Er gehet ganz verwirrt, Und martert sich mit traurigen Gedanken. Das Herz wird matt, die Knöchel wanken, Das Auge thränt, die Zunge girrt. Der Wälder Einsamkeit Vertreibt ihm nun die lange Zeit, So ihm vorhin, mit süßem Lieben, Euridice, das holde Weib, vertrieben. Der Wiederhall Erinnert sich, bey seinen Klagen, Der eignen Liebesplagen, Und hilft, durch manchen Gegenschall, Das Winseln und das Aechzen mehren, Und läßt die Seufzer doppelt hören. Bis endlich Orpheus, ganz ergrimmt, Sein Seytenspiel, die Wunderlaute nimmt, Der Oberwelt den Rücken zeiget, Und in Avernus Klüfte steiget. Da hofft er noch, daß seine Pein Der Höllen selbst empfindlich werde seyn, Und will durch sein bezaubernd Singen, Euridicen zurück, ans Licht des Tages, bringen. Schreckliche Gottheit, gewaltige Liebe! Wie verwegen sind die Triebe, Die dein Stral im Herzen wirkt? Fluthen und Flammen und Donner und Blitz, Schrecken nicht, wen du erfüllet; Ja wenn vor des Pluto Sitz Jenes Ungeheuer brüllet; Hat dein Schild die Brust umzirkt, Hast du sie kühn gemacht, alles zu tragen, Alles für etwas Geliebtes zu wagen. Drum steigt er in die finstre Kluft, Die dampf- und nebelvolle Luft, Erheitert sich von seinem Lautenklange, Und wunderthätigem Gesange; Dadurch er sonst manch wildes Thier bewegt, Davon wohl gar ein Wald zu tanzen pflegt. Hier klagt er nun, daß er zu viel verlohren: Und rufft bey Ach und Weh! Ach warum hatt ich dich erkohren! Euridice, mein Schatz Euridice! Ach! soll ich dich so zeitig missen? Geliebte Seele! scheidest du? Ihr frommen Schatten, hört mir zu! Mein halbes Herz ist mir entrissen, Die allertreuste Zärtlichkeit Gebiert mir itzt das herbste Leid. Euridice! mein Licht! Euridice! Erbarme dich, o Fürst der Höllen! Erbarme dich! und laß mich ein. Verschleuß doch nicht, zu meiner Pein, Die Pforten an Avernus Schwellen, Du selber hast ja sonst geliebt; Drum weist du schon, was mich betrübt. Euridice! mein Herz! Euridice. Gedenk einmal an Proserpinen, Erinnre dich der süßen Lust, Wenn dir an ihrer Götterbrust Dein Reich ein Himmelreich geschienen. Du raubtest sie der Oberwelt: Warum ist mirs nicht frey gestellt? Euridice! mein Schatz! Euridice. Dieß Lied durchdrang der finstern Hölen Düfte. Der grimme Wächter dunkler Klüfte Vernahms von weitem kaum, So gab er schon dem Wunderklange Raum, Die Wuth der drey beschäumten Zungen, War durch des Dichters Kunst bezwungen. Der Tobende vergaß das Bellen, Er streckte sich gemächlich an die Schwellen, Er schlief allmählich ein, Und Orpheus drang beherzt hinein. Der Höllengott war selbst gerührt. So bald sein Ohr des Dichters Lied gespürt, Sein Flehen war erhöret: Nimm hin, so ward der Schluß verfaßt, Nimm hin das Liebste, so du hast. Euridice soll noch auf Erden, So wie vorhin, von dir umarmet werden; Und das soll gleich geschehn. Da ist sie! führe sie zurücke, Doch hüte dich, und laß die Blicke, Nicht eh nach ihrer Schönheit sehn: Als bis die Oberwelt, Euch wiederum in ihren Grenzen hält. Orpheus! ach wie wunderschön, Ach wie schön ist dirs gelungen! Durch das Lied, so du gesungen, Durch dein kühnes Unterstehn, Ist der Höllen Grimm bezwungen. Pluto selber ist besiegt. Wie vergnügt Kannst du nun zurücke gehn! Orpheus, ach wie wunderschön, Ach wie schön ist dirs gelungen! Er tritt den Rückweg freudig an; Euridice, die auf sein Bitten, Die Unterwelt verlassen kann, Folgt willig seinen Schritten. Allein wie quält ihn die Begier! Sein Herze brennt nach ihr, Er wünschet sie zu sehen: Doch darf und soll er keinen Blick, O marterndes Geschick! Nach ihr zurücke drehen, Aus Furcht, sein Liebstes von der Erden Möcht abermal dadurch verscherzet werden. O grimmiges Schicksal, wie quälst du die Herzen Der Zärtlichverliebten mit folternder Pein! Deine Begnadigung selber wirkt Schmerzen, Wenn auch die Blicke Lechzender Seelen so eingeschränkt seyn, Wenn, o grimmiges Geschicke! Auch das Auge mit Verdruß, Was es liebt, nicht sehen muß! Er zwingt, er martert sich, Der Rückweg daurt ihm gar zu lange, Der schnelle Schritt verdoppelt sich im Gange; Sein Vosatz bleibt noch unveränderlich. Er hemmet seiner Sehnsucht Zügel, Und wünscht den Schenkeln Flügel; Um desto eh mit reger Brust, Euridicen, der treuen Augen Lust, Zu sehen und zu küssen. Und seht, der finstre Gang scheint sich zu schliessen, Ein schwaches Licht, Das durch der Berge Spalten dringet, Fällt dem Betrübten ins Gesicht; Und macht, daß ihn die Ungeduld bezwinget. Ein falscher Stral scheint seinem Schmerze Ein Sonnenlicht zu seyn. Hier ist, denkt sein betrognes Herze; Hier ist das Ende meiner Pein. Was hindert mich, mein Liebstes anzusehen? Er thuts, er blickt sie an: Doch als ers kaum gethan, So ist es auch um seine Lust geschehen. Sie sinkt zurück ins Schattenreich, Und wird so wie zuvor geschiednen Seelen gleich. Jammervoller Orpheus, weine! Weine, statt der Thränen, Blut. Seht, ihr unbelebten Steine, Seht, was zarte Liebe thut: Wenn die gar zu heissen Herzen, Oft aus ihrer eignen Schuld, Oft aus großer Ungeduld, Ihr erwünschtes Glück verscherzen! Jammervoller Orpheus, weine! Weine, statt der Thränen, Blut. Entsetzen, Reue, Zorn und Zagen, Verzweiflung, Jammer, Angst und Qual, Und was man größers weis zu sagen, So man kaum einzeln kann ertragen, Bestürmet hier den Dichter auf einmal. Die schönste Hoffnung geht zu nichte! Er steht und sieht mit starrendem Gesichte, Der fast erlösten Seele, Bis in den Schlund der wüsten Höle, Ja wie er glaubt, bis in den Abgrund nach. Allein umsonst! Sie ist verschwunden. Es bleibt dabey, was Pluto sprach, Als er der Höllen Regeln brach, Da ihn die Kunst des Dichters überwunden. Forthin hat keine Bitte statt; Weil er beym Styx geschworen hat. Dieß, dieß macht ihm das Maaß des Unglücks voll, Daß er hinfort auch nicht mehr hoffen soll. Nein nein! hinfort ist nichts zu hoffen, Betrübter Orpheus, fasse dich! Der Höllenweg steht nicht mehr offen, Was quält denn dein Gemüthe sich? Dein großer Geist muß sich bezwingen. Auf! laß dein schönes Seytenspiel, Das auch den Schatten wohlgefiel, Von starker Seelen Großmuth singen. So lindert deine Marter sich. Nein nein etc. Nach langer Ohnmacht, die ihn schwächte, Als ihn der Unfall niederschlug, Kam er doch nach und nach zurechte, So dass sein Schritt ihn aus den Klüften Zum heiteren Tageslichte trug. Die Töchter Thraciens vernahmen Des Dichters doppelt schwere Pein: Die Artigsten, die Allerschönsten kamen, Und wollten ihm mit Trost behülflich seyn. Sie reizten ihn zum Lieben, Allein umsonst; denn Amors strenge Macht, Ward nach der Zeit von ihm verlacht, Sein Herz ist ewig frey geblieben. Doch sagt man, daß er stets, wenn ihn sein Harm bezwungen, Euridicen, die er so zart geliebt, Euridicen, die ihn so sehr betrübt, Durch dieses Klagelied besungen. Du hast mein ganzes Herz besessen, Hinfort besitzt es keine mehr, Ich habe mich zu hart vermessen, Den Meyneid straft der Himmel sehr. Du lebest noch in meiner Brust, Du bist und bleibest meine Lust, Ich will und kann dich nicht vergessen, Du hast mein ganzes Herz besessen. 3. Kapitel III. Kapitel I. Ekloge Auf die Homann- und Menkische Hochzeit in Leipzig. 1725. Da, wo die Elster ihre Fluthen, Mit Rauschen in die Pleiße lenkt, Und durch den sanften Strom, die krummgewachsnen Ruthen, Um Philurenens Garten, tränkt: Da ist, an den beliebten Linden, Zwar mancher schöne Platz zu finden; Doch fand sich jüngst ein sehr vertrautes Paar Von Schäfern, derer Herz ganz gleich gesinnet war, Bey einer starken Buchen ein. Sie liessen ihre Heerden weiden, Umarmten sich mit Freuden, Und weil der warme Sonnenschein Durch die halb kahl, halb gelben Zweige blickte, Und sie bey kühler Luft durch ihren Stral erquickte, So setzten beyde sich ins welke Gras darnieder. Sie schwatzten anfangs dieß und das, Und wusten öfters selbst nicht was. Darauf geriethen sie auf ihre Hirtenlieder. Silvander bließ und Damon sang, Von seinem ungemeinen Leiden, Als er gezwungen ward von Dorilis zu scheiden, Dabey die Zärtlichkeit ihn oft zum Seufzen zwang. Bald wechselten sie wieder, Silvander sang und Damon bließ, Von einer Schäferinn, die Dorimene hieß, Die ihm die schönsten Blicke giebet; Wiewohl er sie nicht wieder liebet. Zuletzt vergieng die Lust zum Spielen und zum Singen; Denn als es Abend ward, und sie nach Hause giengen, Hub Damon unterwegens an, Die Schäferinnen herzuzählen, Die sich zu ihrer Lust noch keine Schäfer wählen. Er zählte fast ein Schock auf seinen Fingern her, Die er zwar nicht ganz völlig kannte, Doch jeder ihren Buhler nannte. Drum war die Rechnung gar nicht schwer; Denn so viel, als ich wissen kann, So sprach er zu Silvandern, Hat keine Schäferinn ein unempfindlich Herz, Als bloß die Tochter von Philandern? Philander, der in unsern Hütten, Der ganzen großen Schäferzunft, Den Preis im Singen abgestritten, Und dessen Lieder alle lieben, Die sich, als Freunde der Vernunft, Im Singen und im Dichten üben. Denn sieh nur unsre Schäferinnen, Und nimm dabey in acht, Wie leicht sie einen lieb gewinnen, Der sich, wie Jupiter, zum goldnen Regen macht. Silvander ja, ich wollte wetten, Wenn wir ein Angesicht, wie Mops, mein Schaafhund, hätten, Wenn wir im Kopfe dumm, Im Rücken und an Füssen krumm, In Worten grob, in Sitten häßlich wären, Und wollten uns dabey nur für verliebt erklären; So würden wir doch mit Geschenken, Die Herzen aller Schönen lenken. Allein, Philanders muntres Kind, Ist in der That ganz sonderbar gesinnt. Ihr Alter ist in schönster Blüte, Sie hat ein aufgeweckt und zärtliches Gemüthe; Sie weis mit allen Leuten Recht artig umzugehn; Sie tanzt und schlägt die Seyten So unvergleichlich schön, Daß es nicht anders klingt, als ob sie zaubern wollte. Da nun ein jeder denken sollte, Daß dieser Schönen nichts gebricht, So fehlt ihr dennoch eins; denn lieben kann sie nicht. Kein Schäfer kann durch zärtliche Geberden, Durch Schmeicheln, durch Gefälligkeit, Von ihrer Neigung Meister werden. Wie ist ihr nicht vor kurzer Zeit Der junge Thyrsis nachgegangen? Er drang sich fast in allen Tänzen, Ganz merklich nach Philindens Hand. Er ehrte sie sehr oft mit schönen Blumenkränzen, In Hoffnung, ihren Wiederstand Durch die Beständigkeit zu schwächen, Und endlich ganz und gar zu brechen. Allein, es war umsonst. Noch neulich hoffte Polidor, Durch den beliebten Ton der Seyten, Philinden zu bestreiten; Allein, es war umsonst. Menalkas wollte sie durch sein geübtes Rohr, Und angenehme Lieder zwingen: Er sang ihr ihren Ruhm, und seine Schmerzen vor, Und dachte ganz gewiß, es würd' ihm noch gelingen; Allein, auch dieses war umsonst. Ihr Herz blieb frey von allen Trieben. Philinde kann, Philinde mag nicht lieben. Silvander hörte dieß mit stillem Lächeln an, Gleich einem, der was weis, und gleichwohl schweigen kann. So meynst du, Damon, denn, so brach er endlich los, Philindens Kälte sey so groß? Nein, lieber Damon, nein. Das Wesen der Natur muß dir verborgen seyn, Sonst würdest du auch in Philinden, Die Wirkung ihrer Kräfte finden. Was dünkt dich von der Post? Menalkas hat mir zugeschworen, Philanders Tochter hat die Härtigkeit verlohren. Sie liebt bereits, sie brennt für lauter Liebe. Durch des Amintas heiße Triebe, Ist ihre kalte Brust entbrannt. Ich selber sah sie jüngst zusammen ausspazieren, Er führte sie, ganz zitternd, an der Hand, Sie ließ sich frey und willig führen. Sie schienen auch zu scherzen: Philinde ließ sich gar ganz ungezwungen herzen. Nun, Damon, kannst du leichtlich spüren, Daß auch der allerhärtste Sinn, Der unbesiegten Schäferinn, Durch des Amintas Kunst verschwunden. Mich dünkt, die Wahl ist recht beglückt, Weil sich dieß Paar sehr wohl zusammen schickt. Philander kann an unsrer Pleißen, Mit Recht der Glücklichste von allen Schäfern heissen. Und wer kennt nicht die schönen Triften, Die dem Amintas Ruhm und vieles Ansehn stiften? Sprich, wessen Hütten sind bey euch Den Hütten seines Vaters gleich? Allhier erholte Damon sich Aus der Verwunderung, die seinen Geist entzückte, Und aus den zweifelnden verwirrten Minen blickte, Weil ihm sonst nichts so sonderlich, Als diese Nachricht schien. Drum rief er endlich aus; Vergebliches Bemühn! Du sprichst, Amintas hat Philindens Herz bewogen, Silvander, nein! du bist betrogen. Was zweifelst du doch viel? war hier das Gegenwort, Die ganze Zahl der Schäfer stimmet bey, Daß diese Zeitung richtig sey. Die Hochzeit selber geht in wenig Wochen fort. Die größten Schäfer unsrer Linden, Sind schon bereit, sich häufig einzufinden. Silvander, wie es scheint, so bist du selbst erfreut? Ja freylich, weil ich dieß schon längstens prophezeiht. Es ist noch nicht ein volles Jahr, Als ich so glücklich war, Philindens Jahrstag zu beehren. Ich sang ein Lied nach meiner schlechten Art, Das gütig aufgenommen ward, Da ließ ich mich zuletzt mit dieser Ahndung hören: * * * Ihr Nymphen! eilt herzu, den neuen Kranz zu winden, Wozu die Blumen schon in vollen Knospen stehn; Denn eh dieß nächste Jahr noch völlig wird verschwinden, Wird dieser Schönen Haupt in solchem Putze gehn. * * * Was meynst du nun? Gehören die Poeten Nicht wirklich unter die Propheten? Ja freylich, kann es doch dein eigen Beyspiel zeigen; Allein, wenn alles richtig ist, So können wir gewiß bey dieser Lust nicht schweigen. Und wo du mit mir einig bist, So ist es warlich unsre Pflicht, Philandern und sein Kind, Durch einen Glückwunsch, zu verehren. Mein Damon, zweifle nicht, Ich bin wie du gesinnt. Philander, den ich längst an Vaters statt geliebt, Der mir von seiner Huld fast täglich Proben giebt, Soll unsre treue Lieder hören. Wir wollen hier, so, wie zu andern Zeiten, Im Spielen und im Singen streiten. Allhier ward dieß vergnügte Paar, Bey kühler Demmerung und trüber Luft, gewahr, Daß ihre Hütten schon ganz nah vor Augen stunden. Die Lämmer fiengen an zu laufen und zu springen, Und zwiefach durch die Thür des Stalles einzudringen, Worauf die Schäfer sich vergnügt zusammen funden. Ein jeder schenkte sich ein Maaß von neuem Wein, In den zwar hölzernen doch reinen Becher ein. Ein jeder trank ihn zweymal aus, Zuerst Philanders werthes Haus, So dann das neue Paar zu ehren. Der Rebensaft erhitzte Haupt und Brust, Drum liessen sie, mit ungemeiner Lust, Der frohen Lieder Streit, nebst ihren Flöten hören. Schäfer unsrer Philurenen, Kommt, und singt von dieser Schönen, Die die Tugend selbst muß krönen. Sagt, ist unter unsern Linden, Wohl ein besser Paar zu finden, Als Amintas mit Philinden? Ach Philinde liebt vergnügt! Weil ein Schäfer sie besiegt, Dem sie willig weichen mußte. Nein, Amintas ist beglückt, Weil ihn eine Braut erquickt, Die noch nichts vom Lieben wußte. So viel Knospen aus den Zweigen Unsrer kahlen Linden steigen, Die der Frühling grün wird zeigen; So viel Wohlfahrt, Glück und Heil Werde diesem Paar zu Theil, Daß sich über ihr Gedeihen Alle Pleißenschäfer freuen! So viel Flocken auf die Erden, Und auf unsre Wollenheerden Diesen Winter schneyen werden; So viel müssen mit der Zeit, Aus Philindens Fruchtbarkeit, Aus Amintas Liebesflammen, Wohlgerathner Erben stammen! II. Ekloge. Auf eine Priesterhochzeit in der Laußitz. 1728. CORYLAS und AMARYLLIS. Bey Zittau, wo die Hand der gütigen Natur, Aus reicher Müdigkeit, die Auen, Wald und Flur Mit tausend Gaben schmückt, wo sich in vollen Ställen, Kein räuberischer Wolf zu Schafen darf gesellen; Wo manch vergnügter Hirt, wenn ihn die Liebe zwingt, Auf seinem Haberrohr von seiner Phillis singt; Wo jeder Jüngling wünscht, die blöden Schäferinnen, Durch Höflichkeit und Witz und Künste zu gewinnen; Da liegt bey Läutersdorf ein angenehmer Wald, Der Faunen liebster Platz, der Nymphen Aufenthalt, Und hier ergetzte sich nur neulich noch, im Stillen, Der Schäfer Corylas mit seiner Amaryllen. Der Tag war angenehm, die Luft ganz hell und warm, Als dieß verliebte Paar, befreyt von Leid und Harm, Des Jahres letzte Lust vergnügt geniessen wollte, Eh sich der kühle Herbst dem Winter nähern sollte. Er satzte sich so gleich ins halb verwelkte Gras, Und sprach zur Schäferinn, die eben bey ihm saß! Sieh doch, wie eifrig dort die wilde Wachtel eilet, Wenn sie das Weiblein lockt, so daß sie nichts verweilet. Bist du mir wohl so hold? Als ich dich gestern rief, Und dir zu Liebe fast das halbe Dorf durchlief, Da warest du nicht da, da warst du nicht zu sehen, Und ich, ich wußte kaum, wie mir dabey geschehen. Doch sie schwieg still und zog die halb erzürnte Hand Von seinem Schooße weg, und sah ihn halb verwandt Von einer Seiten an, in Hoffnung, durch ihr Schweigen, Dem guten Corylas noch mehr zu sich zu neigen. Ihr Wunsch verfehlte nicht; denn als er Raum gewann, Hub sein getreuer Mund die Schmeichelreden an, Und wußte sie gar leicht durch sanftes Händedrücken, Durch Lächeln, durch den Stral von angenehmen Blicken, Durch manchen klugen Schluß, der Herz und Geist besiegt, Zur Lindigkeit zu ziehn. Und kurz, sie schien vergnügt, Und ließ den Corylas, um ihre Schuld zu büssen, Den hingereckten Mund, doch halbgezwungen, küssen. So schienen sie versöhnt; allein der Schäferinn Lag Eifersucht und Furcht und Argwohn in dem Sinn. Der Oberhirt allda, ein Mann von vielen Gaben, Desgleichen wenige von sich zu rühmen haben, Begab sich dazumal mit seiner Galathee, In den erwünschten Stand der angenehmsten Eh. Die Braut war angenehm, ja jung und schön zu heissen: Ihr fernes Vaterland war das beglückte Meissen. Kaum sah der Bräutigam dieß Bild der Artigkeit, So hat er es geliebt und gar darnach gefreiht. Sie stammte zwar gleich ihm aus frommem Schäferstande, Doch war ihr Aufenthalt fast gar nicht auf dem Lande. Sie lebte mehrentheils in jener Lindenstadt, Wo Geist und Artigkeit den rechten Wohnplatz hat: Doch hatte noch die Pest der höchstverderbten Sitten, So sonst in Städten herrscht, ihr Wesen nicht bestritten. Denn Eitelkeit und Stolz, die Spiel- und Modesucht, Die schnöde Klätscherey, des Müßigganges Frucht, Und das gemeine Gift, die Frechheit in dem Lieben, Galanterie genannt, war ihr verhaßt geblieben. Drum fiel es ihr nicht schwer, den wackern Galatin, Und seinen Schäferstand den Städten vorzuziehn, Und ihrem Bräutigam, den sie schon kennen lernen, Zu Liebe, sich vergnügt aus Leipzig zu entfernen. Die Hochzeit selber war denselben Tag geschehn, Und weil hier Corylas die Galathee gesehn, War seine Schäferinn in Eifersucht entglommen, Aus Furcht, daß ihm die Braut vielleicht das Herz genommen. Ja, sprach sie; freylich wohl, bin ich so artig nicht, Als man von Galathee, der Meißnernymphe spricht. Sie geht weit zierlicher, als unsers Schulzen Käthe, Und lebt und spricht galant, nach Art der großen Städte. Was meynst du wohl damit? versetzte Corylas, Das klingt mir räzelhaft? Sprich, wie verstehst du das? Ach du verstehst mich wohl, gab mit gebrochnem Blicke, Die Schäferinn darauf, doch halb beschämt zurücke. Wer solche Schönen sieht, die durch ein seidnes Kleid, Durch einen Puderputz und manche Kostbarkeit, Die nicht auf Dörfern wächst, den zarten Körper schmücken, Den muß ja solch ein Bild weit heftiger entzücken, Als was ein schlechtes Dorf erzeuget und erzieht; Daran man keinen Schmuck, als Flachs und Wolle sieht: Dafern die Blumen nicht mit ihrer Farben Schimmer, Ein glattes Haar – – doch kurz, ich bin kein Frauenzimmer! Du weist schon, was ich will. Ach liebste Schäferinn, Versetzte Corylas, was hast du doch im Sinn? Dich quält die Eifersucht. Ich weis schon, was geschehen, Du zürnst, weil ich vorhin die Galathee gesehen. Allein du zürnst umsonst. Zwar ich gesteh es gern, Ich sah sie, doch ich stund ein wenig allzufern. Man hat bald hie, bald da, in letztverwichnen Wochen, Von ihrer Trefflichkeit so viel zu mir gesprochen, Daß ich begierig war, die Wahrheit selbst zu sehn; Allein, was ist nun mehr? Dadurch ist nichts geschehn, Das dir zuwieder ist. Du kannst es leicht erachten, Ich konnte sie so sehr von weitem nicht betrachten, Als du vielleicht geglaubt. Die Leute drängten sich, Ich drängte mich zwar auch, doch dacht ich gleich an dich, An dich, mein andres Herz, und sprach mit Wiederwillen: Viel lieber geh ich ja zu meiner Amarillen. Drauf kam ich auch zu dir. Indessen bleibts dabey, Daß unser Galatin im Freyen glücklich sey. Und er verdient es auch. Du kennst sein kluges Wesen, Und hier hat er gewiß was Schönes auserlesen. Ich finde nichts an ihr, das tadelswürdig ist: Und wenn du nur nicht noch so voller Argwohn bist; So will ich dirs gewiß ganz offenbar bekennen, Sie sey in Wahrheit schön und liebenswerth zu nennen. So redte Corylas für Eifer halb empört. Als Amaryllis dieß geduldig ausgehört, Vernahm sie freylich wohl des lieben Schäfers Treue, Und gab ihm zu verstehn, daß sie die Furcht bereue, Dadurch sie ihn weit mehr, als er wohl sie verletzt. Darauf ward aller Streit erwünscht bey seit gesetzt. Ihr Auge sah nunmehr mit aufgeklärten Blicken, Demselben ins Gesicht: Sie klopft ihm auf den Rücken Und sprach: Ey seht doch nur, wie zornig er sich stellt! Ich liebe dich weit mehr als alles in der Welt, Sprach er; allein du stellst mich stets auf neue Proben, Doch sollst du mit der Zeit noch meine Treue loben. Itzt zeige mir einmal dein aufgeräumter Geist, Daß du nicht Argwohn hegst, nicht eifersüchtig seyst, Und wünsche, daß das Paar, so sich itzund verbunden, So glücklich leben mag, als klug es sich gefunden. Daß unser Galatin mit seiner Galathee, In kurzer Monden Frist, sein Haus in süßer Eh Gesegnet spüren mag; und daß so viel Vergnügen Als dürre Blätter schon in unserm Walde liegen, Als Tropfen unser Teich in seinen Ufern hegt, Als Härchen unser Vieh in seiner Wolle trägt, Hinfort betreffen soll. Das that sie nun mit Willen, Darauf schied Corylas von seiner Amaryllen. III. Ekloge Auf eine adeliche Hochzeit in Schlesien. 1727. An unsrer Saal begrüntem Strande, Saß Thyrsis neulich ganz vergnügt, Und dachte ruhig nach, wie sich im Schäferstande Das Schicksal oft nach Wunsche fügt. Hier seh ich, sprach sein Herz, den Musenhügel liegen, Den Preußens Friedrich eingeweiht: Dort konnte neulich mich das Pleißathen vergnügen, In welchem Deutschlands Witz und alle Lieblichkeit Sich ganz verschwistert und verbunden. Ach! ich gedenke noch der angenehmen Stunden, Die ich daselbst in mancher schönen Flur, Darinnen sich die Kunst und die Natur Mit lauter Meisterstücken zeigt, empfunden. So schwärmten diesesmal dem Thyrsis die Gedanken, Sein Geist entriß sich fast aus seines Körpers Schranken, Der starr und sprachlos saß, und fast zu träumen schien. Palämon, den er liebt, ein Freund von ächter Treue, Traf ohngefähr hier ein. Wiewohl, dieweil er ihn Mit keinem schreckenden Geschreye, In seiner, wie es schien, recht angenehmen Ruh Gesonnen war zu stören; So kam er nur von hinten auf ihn zu, Und ließ den zärtsten Ton von seinem Rohre hören. Wie sonst ein Schlummernder erwacht, Wenn ihn ein Ruf früh morgens munter macht: So fuhr auch Thyrsis auf, so bald er ihn vernommen. Palämon, war sein Wort, bist du zu mir gekommen? Freund, sage mir, wie fandst du mich? Mein Thyrsis, sagte der, wie sollt ich dich nicht finden? Weis ich denn nicht, daß du in diesen Gründen Dich gern ergetzen magst? Drum sucht ich eben dich Am allerersten hier. Ich wünschte dich zu sprechen: Und siehe, so gelingt es mir. Wie schliefst du aber so? Schlief ich? hub Thyrsis an, Du irrst, ich war nur in Gedanken. Und wie man sich dabey gar leicht vertiefen kann, So wollt ich sie dießmal mit Fleiß nicht unterbrechen. Was meynst du, war Palämons Wort, Dein Pylades zog jüngst aus Sachsen fort, Um in Elysien, bey seinen eignen Heerden, Der Oberhirt zu werden. Ich weis, er war dein unverstellter Freund, Ich weis, wie herzlich du es auch mit ihm gemeynt: Nun rathe, wie es ihm gegangen? Ich warte noch bisher mit sehnlichem Verlangen Auf einen Brief von seiner werthen Hand: Drum ist mir nichts von seinem Thun bekannt. Und weist du mehr als ich, so sag es nur heraus. Dein Pylades sucht sich was Liebes aus, Und hat es allbereit gefunden. Hat Pylades sich schon verbunden? Was sagst du mir? Palämon, scherze nicht. Ich sage, was ein jeder spricht. Ey, wäre was daran, er hätte dran gedacht, Und seine Liebe mir vor andern kund gemacht. Freund, laß dich nicht durch falsche Nachricht blenden. Die Zeitung kömmt aus guten Händen. Ich glaub es kaum; denn denke selber nach, Wie heilig er es mir, und wie ichs ihm versprach, Wenn wir einmal was schönes lieben sollten, Daß wirs einander schreiben wollten. Doch endlich; es kann seyn. Nur, ist sein Schatz auch schön? Ich sage dir kein Wort, du wirst es selbst gestehn. Cythere nennt sie sich, du kennst auch ihr Gemüthe! O wie erreget sich für Freuden mein Geblüte! Ich kenne diese Schäferinn, Ich weis, daß ich ihr selbst geneigt gewesen bin. Sie hat an Artigkeit und Zucht kaum ihres gleichen, Es muß ihr Galathee und Chloris selber weichen. Die schöne Galathee, die an der Pleiße lebt, Die alles, was sie kennt, ja einmal sieht, erhebt. Und Chloris, die allhier die Schäfer an der Saal, Gleich auf das allererstemal Durch ihre Reizungen vermögend ist zu zwingen. O möcht es mir einmal im Freyen so gelingen! Du wünschest ganz umsonst. Dergleichen seltnes Glück, Erlangt nur der, den keiner Schönen Blick, Ins Buhlernetz gezogen. So meynst du denn, ich wäre schon betrogen? Palämon, nein! mich fängt so leicht kein Weib, Mein Lieben ist ein Scherz und bloßer Zeitvertreib, Man muß ja oft der lieben Mädgen lachen, Wenn manche, der man wo ein Blumensträußchen schenkt, So gleich vergnügt in ihrem Herzen denkt, Man wolle sie gewiß zu seiner Frauen machen. Das Ding ist gar zu wunderlich! Denn wer ein Mägdchen liebt, der will sie nicht gleich nehmen. Die guten Kinder trügen sich, Und sollten sich der groben Einfalt schämen. Gesetzt, man hätte gleich einmal, in hundert Jahren, Dergleichen Ding erfahren, So ist es doch nicht gar zu oft geschehn. So haben denn die schönsten Schäferinnen, Die dich allhier so reizend angesehn, Noch nie vermocht, dein Herze zu gewinnen? Bisher, Palämon, warlich nicht! Doch höre, was itzt Thyrsis spricht: Weil Pylades, mein Freund, in seinem Vaterlande, Cytherens Herz und Mund gewonnen hat: So soll mich weder Feld noch Stadt, An diesem Saal- und jenem Pleißenstrande, Durch seiner Nymphen Reiz und Lieblichkeit berücken, So wird es mir dereinst, wie meinem Freunde glücken. Du sagest recht, geliebter Freund. Indessen müssen wir unfehlbar, wie es scheint, Dem Pylades der alten Freundschaft Pflichten, Durch einen treuen Wunsch, nach Schäferart entrichten. Sey nur bereit, sein Hochzeitfest, Sobald er uns davon die Nachricht geben läßt, Durch deine Lieder zu beehren. Ich folge dir, du mußt der erste seyn, Ich falle, wenn du singst, mit meiner Flöten ein. Werther Pylades, dein Freyen Müsse dir nach Wunsch gedeihen, Müsse dir ersprießlich seyn. Deiner Schönen Lieblichkeiten, Nehmen dich zu allen Zeiten Mit erneuter Reizung ein. So viel Fische jener See, Und das Ufer Gras und Klee, Dir, mein Pylades, wird zollen: So viel Segen, Heil und Glück, Gönne dir des Himmels Blick; Bis wir gleichfalls folgen sollen. Eh der schwangre Schooß der Erden Wird von Blumen trächtig werden, Die der Frühling nährt und säugt; Werden wir schon von Cytheren Die erwünschte Zeitung hören. Daß sie uns was kleines zeigt. So vielmal des Monden Licht Jährlich neuen Glanz verspricht; So vielmal soll es geschehen, Daß dieß neuverliebte Paar, Künftighin von Jahr zu Jahr, Sein Geschlecht vermehrt wird sehen. IV. Ekloge. Auf den sechzigsten Geburtstag Meines lieben seligen Vaters. 1728. Wo Sachsens Paradies, das fette Meißnerland, Den Kummer aus der Brust beglückter Hirten bannt; Wo Erd und Himmel lacht, und sich in flachen Auen Noch mancher Ueberrest der güldnen Zeit läßt schauen; Wo Schäfer alter Art, wie dazumal geschehn, Die Ställe voller Vieh, die Fluren fruchtbar sehn; Wo manch vergnügter Greis vergnügt am Stabe gehet, Und mitten in der Schaar umkränzter Enkel stehet; Kurz, wo die Unschuld herrscht, wo alles lacht und liebt, Weil kein tyrannisch Joch das freye Volk betrübt; da saß Prutenio, ein fremder Hirt, im Schatten, Als seine Herden sich ins Gras gelagert hatten. Hier sann er ganz vertieft dem seltnen Schicksal nach, Das ihn dahin gebracht. Er seufzte laut, und sprach: O Himmel! der du mir viel Gutes zugemessen, Soll ich mein Vaterland denn ganz und gar vergessen? Den mütterlichen Schooß, die Brust, so mich gesäugt? Den Vater, der mir selbst der Weisheit Bahn gezeigt? Ich ehre deinen Schluß, du Schöpfer meiner Tage! Du weist, ich murre nicht, indem ich solches sage: Du fügest alles wohl, und hast, mit Vorbedacht, Auch mich aus ferner Luft an diesen Ort gebracht. Dein Rath, den niemand noch recht würdiglich gepriesen, Hat sich fürwahr an mir recht sonnenklar gewiesen. Ich suchte Sicherheit, des Friedens edle Frucht, Ich wünschte Ruh und Glück, und fand, was ich gesucht. Allein, ich dachte nicht, daß mir die Meißnerhürden, So lang ein Aufenthalt und Wohnplatz bleiben würden, Als sie es itzt schon sind. Mich dünkte, daß ein Jahr Schon ein geraumes Ziel zum Aussenbleiben war, Und daß des Mondes Glanz kaum zwölfmal wechseln sollte, Bis ich mich wiederum zurück begeben wollte. Itzt ist das fünfte Jahr schon größtentheils vorbey, Und man vermißt mich noch bey jener Schäferey, Die dort am Pregelstrom auf bunten Hügeln weidet, Die Flora wohl so schön mit Gras und Blumen kleidet, Als dieses Meißnerland. Was hab ich nun gethan, Daß ich mein Vaterland nicht wieder sehen kann? Soll ich mir Haab und Gut in fremder Luft erwerben, Ein Fremdling lebend seyn, und als ein Fremdling sterben? O Himmel, das ist hart! Ach möcht es doch geschehn, Daß ich die Schäferzunft noch einmal könnte sehn, Die mich von Jugend auf so treu und redlich liebte, Und sich, indem ich schied, mit reger Brust betrübte; Die ich sehr hoch geschätzt, weil ihre Gütigkeit Mir oft behülflich war, mich oftmals sehr erfreut. Hier leb ich ohne Dank, und muß in ferner Erden, Mir selber innerlich ein rechter Abscheu werden. O daß mich doch kein Wind nur einen halben Tag, Zu dieser Hirten Zahl in Preußen führen mag! Wie munter würde da mein treues Herze springen! Wie würde mir die Lust durch Mark und Adern dringen! Wie eifrig wollt ich da durch alle Hütten gehn, Und mündlich überall die Gunst und Huld erhöhn, Die mir, vor hunderten, die meines gleichen waren, In Proben mancher Art, zehn Jahre wiederfahren. So trug Prutenio die strengen Seufzer vor, Und warf für Kümmerniß sein sanftes Haberrohr, An einen Haselstrauch, daran die Lämmer stunden, Als welche sich bey ihm im Klagen eingefunden. Geht, weidet nur vergnügt! so hub er traurig an; Ihr übertrefft mich weit, und seyd viel besser dran. Euch trennt kein harter Riß von eurer Mütter Ställen, Ihr wisset nichts von Gram und trüben Unglücksfällen, Wie der geplagte Mensch; seit dem die güldne Zeit Die Welt verlassen hat, und lauter Dienstbarkeit Den frohen Seelen droht. Hier sank er kraftloß nieder, Die Lämmer legten sich, und käuten traurig wieder, Und sahen, wie es schien, mit wehmuthvollem Blick Den matten Schäfer an. Doch seht! zu allem Glück War Damon, den er sich vor andern auserlesen, Indem er so geklagt, nicht weit davon gewesen. Er hatte zugehört, wie sein betrübter Freund Die Fügung des Geschicks beseufzet und beweint, Und nahte sich nunmehr mit übereilten Schritten. Der Boden rauschete bey seinen schnellen Tritten, Weil das verwelkte Laub, der Bäume Schmuck und Haar, Die Herbstluft schon gefühlt und abgefallen war; So, daß Prutenio ihn freudig wahrgenommen, Noch eh derselbe ganz zu seinem Sitz gekommen. Du thust nicht wohl, o Freund, war Damons erstes Wort, Daß du so traurig bist. Verbanne nur sofort Den ungerechten Gram aus dem beklemmten Herzen, Verbanne, was dich kränkt, und dämpfe Leid und Schmerzen. Mir geht es fast wie dir; allein ich bin vergnügt, Und nehm es frölich an, was mein Verhängniß fügt. Und du, der du dich längst der Weisheit ganz ergeben, Willst doch bekümmert seyn? Willst voller Unruh leben? Ist nicht die ganze Welt des Weisen Vaterland? Und ist dirs nicht bewußt, daß unser Hirtenstand Hier weit beglückter ist, als in dem armen Preußen? Zudem Prutenio, was fehlt dir hier in Meißen? Du lebt ja ganz vergnügt, kein Mangel, keine Noth, Bestürmet deine Ruh. Du hast dein täglich Brodt, Du hast noch mehr als das, und darfst bey fremden Hütten, Aus Niederträchtigkeit um keine Gabe bitten. Du nährst dich deiner Kunst und guten Wissenschaft, Man lobet dein Bemühn und deines Fleißes Kraft, Und viele sind dir hold, die Witz und Tugend lieben. Was soll dein Kummer denn? Was willst du dich betrüben? Sieh dieses Blatt nur an, das ich nur gestern früh Mit vieler Lust gemacht. Du liebst die Poesie, Und solltest so, wie ich, des Vaters Fest besingen, Und ihm, wie ich gethan, ein Lied zum Opfer bringen. Du hast mirs sonst gesagt, drum fällt mirs itzo bey, Daß heute, wo mir recht, sein Fest erschienen sey. Auf! wünsch ihm Glück dazu, und zeig in treuen Zeilen, Die Zärtlichkeit, so du nicht mündlich kannst ertheilen. Dieß Wort war voller Kraft; der Hirt Prutenio Umarmte seinen Freund, und ward von Herzen froh. Mein Werther, hieß es bald, dein Zuspruch giebt mir Stärke, Indem ich Trost und Muth in meiner Seelen merke. Du hast sehr recht gesagt, und meynst es gut mit mir, Gib deinen Glückwunsch her; fürwahr ich folge dir In Leistung meiner Pflicht. Ich will mit meinen Reimen Des Vaters Jahrstag auch nicht undankbar versäumen. Dein Beyspiel reizt mich an; mein Wunsch soll kindlich seyn, Komm, sprich nur selbst bey mir in meiner Hütten ein, Ein guter Freudentrunk soll unser Herz erfreuen, Vergiß dein Rohr nur nicht, nebst deiner Feldschalmeyen. Itzt neiget sich der Tag. Kommt Schäfchen, kommt zurück, Hinfort beneid ich nicht der jungen Lämmer Glück. Freund Damon, hilf mir nur die Wollenheerden treiben, Den Abend wollen wir vergnügt beysammen bleiben. Urania ein Schäfergedichte. 1734. Silvander, Damons Freund, ein wohlbekannter Hirt, Der itzo ganz vertieft durch Tahl und Auen irrt, Der Heerden oft vergißt, und in entlegnen Gründen, Bey stiller Einsamkeit, sein Labsal hofft zu finden; Verlohr sich neulich auch auf einer bunten Flur: Gleichwohl genoß er nicht die Schönheit der Natur, Die sich an Feld und Wald in voller Blüte zeigte; Weil ein geheimer Gram sein Herz zum Trauren neigte. Er kam aus Lindenfeld, dem schönen Aufenthalt, Wo lauter Freude wohnt, und lauter Lust erschallt; Wo Schäfer ohne Zahl von zarten Trieben brennen, Und ihre Glut erwünscht, sich selber glücklich nennen. Er hatte zugesehn, wie herzlich Dämon liebt, Dem eine Schäferinn geneigte Blicke giebt, Die alles ehren muß, was sie nur sieht und kennet, Die man vor tausenden mit Recht vollkommen nennet: Indem ein edler Geist, des hohen Körpers Pracht, Und heller Augen Blitz sie fast zum Wunder macht. Drum hatte Damon sich dem frohen Paar entrissen, Und hier ins tiefe Gras an einen Baum geschmissen: Da lag er ganz entstellt. Es floh ihn alle Ruh; Selbst Zephir blies umsonst ihm kühle Lüfte zu. Das schattenreiche Laub entzog ihn zwar der Hitze; Doch ihn vergnügte nichts. Oft sprang er von dem Sitze Bey tiefen Seufzern auf, und hub zu gehen an: Doch wußt er nicht wohin. Kaum hatt' er dieß gethan, So sank er kraftlos hin mit ganz bethränten Wangen. Indessen war sein Freund ihm heimlich nachgegangen, Er hatte wohl gemerkt, daß in Silvanders Brust Sich Gram und Quaal erregt. Drum gieng er von der Lust, Verließ so gar die Hand der schönen Cölestinen, So herzlich er sie liebt, um ihm vielleicht zu dienen. Er fand ihn endlich hier, nachdem er lang gesucht: Silvander, war sein Wort, warum nimmst du die Flucht? Ist unsre Schäferzunft, sind alle Schäferinnen, Nicht fähig, deine Brust allmählich zu gewinnen? Warum entzeuchst du dich? Was soll der Eigensinn? Was willst du hier allein? Komm wieder mit dahin. Man hat dich gleich vermißt, so bald du nur verschwunden, Und fragt mich, ob du dich vielleicht nicht wohl befunden? Hier wachte nach und nach der matte Schäfer auf: O, sprach er, laß doch nur den Sorgen ihren Lauf, Die mich bisher gequält. Hier häng ich meinem Schmerzen, Mit reger Seele nach. Hier geb ich meinem Herzen, Und den Gedanken Raum. Hier werd ich nicht gestört, Weil niemand meinen Gram und meine Seufzer hört. Ach! Damon, liebster Freund, du kennst die zarten Triebe; Du selbsten fühlst die Glut der allerstärksten Liebe; Ich fühle sie wie du, in soweit sind wir gleich: Doch du bist höchst beglückt, und ich bin jammerreich. Des Himmels Meisterstück, der Tugend Ehrenbühne, Dein schöner Gegenstand, die holde Cölestine, Die Geist und Tugenden und Artigkeit verbindt, Bey der auch Munterkeit und Klugheit Schwestern sind, Die lacht dich gütig an; es ist dir nichts entgegen: Denn lebst du bloß für sie; so lebt sie deinetwegen. Du liebest sonder Furcht, kein Unfall fällt dir hart; Und, was dein Glück erhebt, dich labt die Gegenwart! Allein wie geht es mir? Mein Lieben ist ein Leiden; Von Kummer weis ich bloß, jedoch von keinen Freuden. Urania, mein Licht, mein Liebstes auf der Welt, Ist mir zwar auch geneigt, und das ganz unverstellt. Sie zieht mich allen vor, so wenig ichs verdiene, Und gleicht fast ganz und gar der edlen Cölestine. Der schlanken Glieder Bau und ein erhabner Sinn Schmückt warlich, sie sowohl, als deine Schäferinn. Sie spricht, sowohl als die, mit fremder Völker Zungen, Und dichtet so geschickt, als keine je gesungen. Die Seyten rühret sie mit großer Wissenschaft: Ihr Wesen ist beliebt, ihr Wandel tugendhaft; Und kurz, an Witz und Geist, an Schönheit und Verstande, Ist sie ein wahrer Schmuck von ihrem Vaterlande. Jedoch, o hartes Wort! Ich bin entfernt von ihr; Ich bin zu weit entfernt! Nun sprich, was hilft es mir, Daß unsre Herzen zart und voller Sehnsucht lieben, Wenn unsre Wünsche stets ohn aEe Frucht geblieben? Genug, fiel Damon ein. Mich rührt dein hartes Leid, Ich fühle schon den Schmerz, der dein Gemüth zerstreut, So lebhaft als du selbst. So hast du dein Betrüben Mir zwar noch nicht durchaus, doch nicht umsonst beschrieben. Doch fasse dich, o Freund. Dein Herz erhole sich, Wenn dich der Kummer plagt, so denke nur an mich: An mich, den ebenfalls dergleichen Noth bestritten; An mich, der ebenfalls so viel als du erlitten. War ich nicht auch entfernt von meiner Schäferinn? Der Himmel weis, wie schwer ich abgeschieden bin; Wie sehr ich mich gesehnt, sie wiederum zu sehen; Wie sehr ich mich gegrämt, bis solches itzt geschehen! Jedoch auf Leid und Gram erfolgt zuletzt die Lust: Darum sey gutes Muths und geh mit starker Brust, Der hoffnungsvollen Zeit getrost und frisch entgegen, Die dich vergnügen wird; so wird dein Gram sich legen. Mich dünkt, du pflegest sonst so kleinlaut nicht zu seyn: Du weist, auf Ungestüm erfolgt der Sonnenschein; Kann dein gesetzter Geist denn hier so zaghaft werden? Gut, war Silvanders Wort, in allerley Beschwerden Hab ich bereits gesucht dem Gram zu wiederstehn; Beherzt und unverzagt ins Unglück selbst zu gehn; Oft hab ich auch gesiegt! So gar in meiner Liebe, So tadelfrey sie war, bezwang ich oft die Triebe Der starken Leidenschaft. Auch der Entfernung Last Ertrug ich mit Geduld. Noch mehr, ich war gefaßt, Sie ferner wie bisher geduldig zu ertragen: Doch du erneuerst mir die fast vergeßnen Plagen. Ich seh, wie lieblich dir das Glück im Lieben lacht; Ich seh, wie froh und frisch dich Cölestine macht, Da wird bey deiner Lust mein stiller Kummer rege. Nicht, weil ich irgendwo den Neid im Herzen hege; Du kennst mich, werther Freund. Dein Glück erfreut mich sehr; Es giebt dir nicht zu viel; denn du verdienst noch mehr. Drum seh ichs voller Lust mit herzlichem Vergnügen, Wie deine Sehnsucht sich nach Herzenswunsche fügen, Dich glücklich machen wird. Doch jeder matte Blick, Den ich nach dir gethan, vermehrt mein Ungelück. Verwundre dich nur nicht. Dem Leben, Cölestine, Erquicket deine Brust mit jeder holden Mine: Doch mich betrübet das. Der muntern Augen Stral, Der dir so reizend ist, erweckt mir lauter Qual. Ihr witzerfüllter Mund, ihr Scherzen und ihr Lachen, Ihr ganzer Umgang dient mich wehmuthsvoll zu machen. Warum? Ich denke stets, an Schönheit, Art, und Geist, Der Schönen, die das Glück so grausam mir entreißt. Ich weis, du warst entfernt: Doch sage selbst, wie lange? Es war ja noch kein Jahr; doch that es dir so bange, Daß du sie nicht gesehn. Betracht hingegen mich. Fünf Jahre sind vorbey, das sechste fänget sich Mit diesem Monden an, seit ich von ihr geschieden. Und gleichwohl wär ich noch mit allem wohl zufrieden; Wenn nur ein Ungemach, ein härter Schicksal nicht Mein Herz noch mehr bestürmt. Allhier schwamm sein Gesicht In einer heissen Fluth ganz ungehemmter Zähren. Denn länger konnt er sich derselben nicht erwehren. Darum fiel Damon ein: Was ist es, das dich quält? Hat deine Schäferinn sich anderwärts vermählt? Hat sie der Tod vielleicht schon auf dem Sterbebette? Zerreißt der Eltern Wort die sanfte Liebeskette, Die eure Seelen bindt? Entdecke mirs, o Freund! Weil eins von diesen doch dein Leid zu wirken scheint. Nein! war Silvanders Wort, bey halbgestillten Thränen: Kein einziges davon erweckt mir Gram und Sehnen. Ich fürchte nicht bey ihr der Neigung Unbestand; Von schwerer Krankheit ist mir gleichfalls nichts bekannt; Die Eltern stören nicht der Tochter reine Triebe. Zwar ist der Vater todt, doch wußt er meine Liebe, Und hieß sie selber gut. Die Mutter stimmet ein, Ich soll ihr Tochtermann, ihr Sohn und Alles seyn. Ach Damon! könnt ich dir dieß edle Paar beschreiben, Du würdest ganz entzückt für Lust und Ehrfurcht bleiben. Hier herrschet Redlichkeit, Verstand und Lebensart: Gelehrsamkeit und Witz und Tugend sind gepaart. Palämon war geübt in aller Kräuter Kräften, Und wußte durch die Kunst aus Wurzeln, Blüt und Säften, Für Krankheit, Schmerz und Tod ein Gegengift zu ziehn: Drum war der Schäfer Heil sein einziges Bemühn. Wie manchen hat er nicht der dunkeln Gruft entrissen! Doch endlich hat er selbst die Grube füllen müssen. Er liebte Kunst und Fleiß, Verstand und Wissenschaft, Und war in allem Thun fromm und gewissenhaft. Ohn allen Eigennutz hat er mir Huld erwiesen: Und wer ihn nur gekannt, der hat ihn auch gepriesen. Die kluge Doris ist der Frauen Musterbild, Ihr sanftes Wesen ist mit Witz und Geist erfüllt. Belesenheit, Verstand und Einsicht vieler Dinge Sind andern viel zu schwer, iedoch für sie geringe. Sie kennt die Welt und sich. Der Sitten Artigkeit Verbindet sie mit Huld und mit Bescheidenheit. Im Unglück weis sie sich, mehr als ein Mann, zu fassen, Und wird kein murrend Wort aufs Schicksal hören lassen. Zwo Töchter hat sie selbst zur Weisheit angeführt, Dadurch ihr edles Haus sich auf das schönste ziert. Jedoch, wo komm ich hin? Ich sollte dir nur sagen, Die Quelle meines Grams, den Ursprung meiner Plagen; Vernimm es denn: Der Krieg, der schwere Krieg allein Erweckt mir alle Qval, erweckt mir alle Pein! Der Feind bestürmt den Ort, wo meine Freundinn wohnet. Da wird nun keine Wuth, Gewalt und List geschonet. Man mordet, brennt und tobt, mit wilder Grausamkeit; Und niemand ist dabey in voller Sicherheit. Drey Monden sind es schon, daß sie der Stücke Knallen Ohn Unterlaß gehört um ihre Wälle schallen, Daß mancher Feuerball bald hier, bald dar ein Haus Zerschmettert und zerstört. Doch kann kein Mensch heraus! Die Thore sind gesperrt, die Posten aufgehoben: Was dünkt dich nun, o Freund, von diesen Unglücksproben? Ein banger Zweifel stürzt mein Herz in Angst und Noth: Ich weis nicht, lebt sie noch? Ich weis nicht, ist sie todt? Vielleicht hat sie bereits ein sinkend Dach erdrücket! Vielleicht hat sie ein Schlag der Bomben schon zerstücket! Vielleicht hat Glut und Dampf sie jämmerlich verzehrt, Und alle meine Lust in ewig Leid verkehrt! Erbarme dich, o Freund! bey so gerechten Schmerzen! Dieß rührte Damons Brust, es gieng ihm sehr zu Herzen; Drum sprach er ihm zwar Trost, mit vielen Gründen, ein; Doch sah er, alle Müh würd hier vergeblich seyn; Bis ihm ein sichrer Brief die Nachricht würde geben: Die Stadt sey wieder frey, die Freundinn noch am Leben. Darum ergriff er ihn, ganz freundlich bey der Hand, Und sprach: Komm lindre dir den harten Jammerstand Durch deiner Freunde Lust. Komm, laß dir Cölestinen Zur Lindrung deiner Pein durch ihren Umgang dienen. Ich weis, sie selber nimmt an deinem Kummer Theil; Ihr Herz ist großmuthsvoll, und aller Menschen Heil Ergetzt sie allezeit. Komm! denn in ihren Blicken Wird selbst Urania dein mattes Herz erquicken. Silvander folgte zwar, doch mit gezwungnem Schritt; Denn Gram und Kummer gieng an seiner Seite mit: Doch sein gekränkter Geist ist bey dem holden Wesen Der edlen Schäferinn gleichwohl noch nicht genesen. 4. Kapitel IV. Kapitel I. Elegie. Im Namen eines Clienten an seinen Gönner, auf das Absterben seiner Gemahlinn. Bekümmerter Patron, Die ungemeinen Schmerzen, So dein bestürmter Geist vor kurzer Zeit gespürt, Erwecken überall das Beyleid zarter Herzen, Was Wunder ist es denn, daß sie auch mich gerührt? Ich, dein entfernter Knecht, empfieng voll Angst und Schrecken, Ein unvermuthetes und trübes Trauerblatt, Dadurch man mir gesucht den Jammer zu entdecken, Der dein beraubtes Haus so schnell betroffen hat. Ists möglich, war mein Wort, was ich allhier gelesen? Trifft meines Gönners Haupt denn alle Noth zugleich? Ist er denn ganz allein des Unglücks Ziel gewesen? Und warum fühlt nur er des Todes rauhen Streich? Zwey Kinder! ein Gemahl! drey höchstgeliebte Leichen Raubt ihm ein harter Tag: Allein noch nicht genug. Es muß ihm noch ein Sohn, ein lieber Sohn erbleichen, Bevor man jene noch in ihre Gräber trug. Verhängniß! fuhr ich fort, wir ehren deine Schlüsse, Und tadeln keinen Rath, den deine Macht vollzieht: Doch strafe nur dabey nicht unsre Thränengüsse, Wenn man von deinem Zorn dergleichen Proben sieht. Die Klagen sind gerecht. Wer will die Zähren schelten, Wenn solch ein herber Fall die Seelen niederschlägt? So laß uns denn, o Gott! die Seufzer nicht entgelten, Dadurch sich Gram und Leid schon an den Tag gelegt. Mein Gönner, dieses war die allererste Klage, Die dein Verlust und Schmerz mir plötzlich ausgepreßt, Vergib die Kühnheit nur, dadurch ichs thränend wage, Daß meine Feder dich dieselbe lesen läßt. Dafern dein Kummer sich allmählich so gemindert, Daß dein gesetzter Geist sich wieder fassen kann, Und keine Thränenfluth den Stral der Augen hindert, So schaue dieses Blatt mit holden Blicken an. Du gleichest einem Baum, auf den, bey hartem Knallen, Im Sturme, Stral auf Stral aus finstern Wolken schlägt, So, daß Blatt, Frucht und Ast von seinem Gipfel fallen, Wenn selbst den halben Stamm ein Blitz darnieder legt. Es zittert, wer es sieht. Die schüchtern Tauben weichen, Der Boden rings umher ist nur mit Graus bedeckt, Das Gras ist umgewühlt, und von den kleinen Sträuchen, Liegt eine große Zahl zerschmettert hingestreckt. Ein matter Hirt entflieht mit übereiltem Schritte, Und seufzt, daß ihm der Fall vor andern weh gethan: Weil dieses Baumes Laub ihm selber Schirm und Hütte Vor Sonn und Regen war, und klagt das Wetter an. Da siehest du dein Bild, du hochbestürzter Hagen, Der Unfall, der dich trifft, erschreckt nicht dich allein, Er hat so manches Herz mit dir zugleich geschlagen, Ja deine Traurigkeit ist völlig allgemein. Es klagt nicht nur Bayreuth; das nahe Nürnberg weinet, Das sie zur Welt gebracht und dir zur Braut geschenkt, Wo ihr berühmt Geschlecht in schwarzem Flor erscheinet, Und an der Tochter Tod mit tausend Aechzen denkt. Wie seufzt das Armuth nicht, dem sie mit offnen Händen, Die Last der Dürftigkeit erleichtert und versüßt, Und dem die Zähren itzt fast gar die Augen blenden, Seitdem es diesen Trost durch ihren Tod vermißt. Wie sehr bedauret sie, was Geist und Witz verehret, Was Häuslichkeit und Zucht und Gottesfurcht beliebt: Die alle sind bestürzt, die alle sind gestöret, Indem die theure Frau der Erden Abschied giebt. Kurz: jedermann beklagt die ungemeine Tugend, Den trefflichen Verstand, die Gott geweihte Brust, Die seltne Mildigkeit und die beliebte Jugend, Darinn sie dir erblaßt und aus der Welt gemußt. Man sieht die Kinder an, die du zugleich verlohren, Darinn ein jeder noch ihr Ebenbild erblickt; Und die sie dir zur Lust zwar an das Licht gebohren, Doch dir zur Marter auch mit sich ins Grab gerückt. Ach! denke, mein Patron, an der Verblichnen Träume, So ihr den herben Fall zum Voraus angezeigt. Doch, wie verirren sich die ungestümen Reime? Viel besser, daß man dieß verhelet und verschweigt! Erwege denn vielmehr die Bilder deiner Treuen, So sie dir hinterläßt, indem sie selber stirbt: Und laß dich manchen Sohn an ihrer statt erfreuen, Der sich dereinst, wie du, der Fürsten Huld erwirbt. Sie theilte sich mit dir in die erzielten Erben, Ein Theil verläßt sie dir zum Denkmahl ihrer Eh, Ein Theil nimmt sie für sich, und läßt es mit sich sterben: So billig handelt hier die theure Salome! Bestille denn den Schmerz in deiner großen Seele, Die noch wohl mehr, als das gesetzt ertragen kann: Und weinest du ja noch bey deiner Liebsten Höle, So thu es anders nicht, als wie ein weiser Mann. Jedoch, was darf man dir viel Trost und Lehren schreiben? Du selbst bist standhaft gnug und giebest Fürsten Rath: So kann mein schlechtes Blatt wohl gar zurücke bleiben, Dafern es anders nichts an dich zu melden hat. Doch ja, es ist noch was von andrer Art vorhanden, Das ist ein treuer Wunsch, für meines Gönners Glück. Die Schmerzen, so sich itzt, so häufig bey dir fanden, Die nehme Gottes Hand auf lange Zeit zurück. Es müsse dich hinfort kein harter Fall betrüben, Es weiche bald der Flor der trüben Trauernacht! Dieß wünschen alle die, so deine Wohlfahrt lieben, Und die dein Wittwerstand voll Kümmerniß gemacht. Es wünscht es auch dein Knecht mit redlichem Gemüthe, Der dich und deine Huld seit vielen Jahren kennt, Und stets verehren wird, zumal, wenn deine Güte Auch künftig, wie bisher, ihm Schutz und Beystand gönnt. II. Elegie. An eine Wittwe über den Hintritt ihres Ehegatten, im Namen seiner Mutter und Brüder. Betrübte! nehme sie dieß thränenvolle Blatt, Mit ruhigem Gemüth und trosterfülltem Herzen, Und da der Schlag nebst ihr auch uns betroffen hat; So höre sie auch itzt den Ausbruch unsrer Schmerzen. Sie klaget hier vielleicht das lange Säumen an, Und zweifelt ob wir Theil an ihrer Trauer nehmen: Allein, wo Hand und Kiel sich recht erklären kann, So soll sie deutlich sehn, wie herzlich wir uns grämen. Wir kommen freylich spät, und zeigen unser Leid, Nachdem man unsern Sohn und Bruder längst begraben: Und scheinen dergestalt von aller Traurigkeit, Die sie so stark gerührt, fast nichts gefühlt zu haben. Allein, es scheint nur bloß. Wir trauren in der That, Beweinen noch den Fall, der sie und uns betroffen. Wir suchen selber noch für unsern Kummer Rath, Und wissen doch bisher noch wenig Trost zu hoffen. Kaum ward die Trauerpost uns neulich kund gethan, So drang das Schrecken uns in die bestürzten Seelen. Bald klagten wir verwirrt das harte Schicksal an, Bald nahten wir im Geist zum Staube seiner Hölen. Ach Höchster! sprach der Mund, wie heftig schlägest du! Warum erblaßte der im Sommer seiner Jahre? Du schlägst ein treues Weib, und schlägst auch uns dazu, Und legst uns alle fast auf des Erblaßten Bahre. So war der eigne Gram der meisten Klagen Ziel, So mußten sich bisher die matten Herzen kränken: Je schwerer nun der Fall uns allen selber fiel, Je schwerer ließ sichs thun, an fremde Noth zu denken. Noch mehr, gebeugte Frau! wir waren sehr getrennt, Die Oerter schieden uns durch weit entlegne Grenzen: Wer die Entfernung nun, und ihre Wirkung kennt, Wird, wenn wir ja gefehlt, den Mangel leicht ergänzen. Kaum ließ der herbe Schmerz allmählich etwas nach, Kaum wollte sich die Brust der Traurigkeit entschlagen, Als eine neue Post von frischer Trauer sprach, Als man noch einen Sarg zu früh ins Grab getragen. Erwege sie den Stral, der uns ins Herze fuhr! Ein neuer Pfeil zerriß die kaum verharschten Wunden. Und frage sie nur selbst die Regung der Natur, Was hier ein Mutterherz, was Brüder hier empfunden? Ihr ältstes Söhnchen starb! hier wankte Herz und Sinn. Hier schien es, als ob Gott im Zorn auf uns ergrimmte. Er nahm den Vater weg, und riß den Sohn dahin; O jammerreiche Zeit! die uns sein Rath bestimmte. Zwey Kinder fast zugleich! zwo Leichen auf einmal! Wem sollte nicht der Schmerz Verstand und Feder hindern? Der Kummer zog uns selbst in halber Leichen Zahl, Wie konnten wir durch Trost ein fremdes Leiden lindern? Wir selbst bedurften ihn, und fanden ihn doch nicht; Wer nichts empfunden hat, kann leichtlich Worte finden, Allein, wie kann ein Spruch, den das Gedächtniß spricht, Ein tiefverwundet Herz erquicken und verbinden? Hier sieht sie, theure Frau, der langen Säumniß Grund, Hier hat sie den Entwurf von unserm Schmerz gelesen: Vielleicht erkennt ihr Geist, vielleicht gesteht ihr Mund, Daß unsre Langsamkeit nicht sträflich sey gewesen. Wenn nun ein später Brief noch Kraft und Nachdruck hat, So soll ihr dieser Reim den Trauerfall beklagen; So soll dieß traurige, dieß wehmuthsvolle Blatt, Das Beyleid, so man hegt, zwar kurz, doch redlich, sagen. Ihr Trauren ist gerecht; doch weis sie selber schon, Daß Gott, der sie betrübt, sie auch erfreuen könne: Und daß sein Vaterherz auf manchen Jammerton, Den Seinigen hernach bald Freudenlieder gönne. Der Todte war nichts mehr, als was wir alle sind, Ein Geist, dem Fleisch und Blut zur Wanderhütten diente, Ein Sohn der Sterblichkeit, ein nichtig Adamskind, Dem die Verwesung selbst in Haut und Adern grünte. Was Wunder ist es denn, daß er die Frucht gebracht, Da ihn des Todes Hand in Gruft und Staub gestrecket? Er ruhe sanft und wohl, bis ihn des Höchsten Macht, Durch den Posaunenhall, zum letzten Tage wecket! Sein Leben dünkt uns kurz; allein die größte Zahl Der Monden dieser Zeit ist stets sehr klein zu nennen: So spät ein Greis erblaßt, so wird er allemal Den langen Lebenslauf für allzukurz erkennen. So eilt der Stunden Strom, so schwindet Jahr und Tag, So fliegen wir davon, und kommen nicht zurücke: Wer ist denn in der Welt, der von sich rühmen mag, Er habe mehr gelebt, als wenig Augenblicke? Genug, Bekümmerte, der Himmel sey ihr Schutz! Ihr Trost, ihr Haupt, ihr Rath im trüben Wittwenstande! So biethet sie forthin auch Feind und Neidern Trutz, Und denkt auch künftig noch an unsrer Freundschaft Bande. III. Elegie. Im Namen eines Bruders Auf seiner Schwester Hochzeit. Wer kann die Zärtlichkeit durch Witz und Kunst beschreiben, Die in der heissen Brust getreuer Väter wohnt? Wer will den Liebestrieb Gedichten einverleiben, Der keiner Mutter Brust mit seiner Regung schont? Kaum tritt ein schwaches Kind aus seinen Finsternissen Ans helle Tageslicht, kaum sieht es Sonn und Welt; So wird der Eltern Herz durch Angst und Gram zerrissen, Sobald die zarte Frucht ein kleiner Schmerz befällt. Wie mancher Zufall droht der höchstgeliebten Wiegen? Der Tag ist voll Gefahr, die Nächte noch vielmehr: Im Schlafe können sie für Furcht nicht sicher liegen, So gar ein Traum erweckt ihr schüchternes Gehör. Die Kinder nehmen zu und heben an zu lallen, Da mehrt sich abermal der Eltern zarter Schmerz: Der Fuß, so gehen lernt, pflegt hundertmal zu fallen, Und was empfindet dann ein treues Mutterherz? Mit jedem Tage wächst die bange Zahl der Sorgen, Mit jeder Stunde steigt der Kummer höher an, Mit Grämen wird es Nacht, mit Aengsten wird es Morgen, Bis Sohn und Tochter sich erwachsen nennen kann. Hier, dächte man vielleicht, wird sich der Jammer enden, Die völlige Vernunft braucht fremder Sorgfalt nicht; Der Sohn erwirbt sein Brodt mit arbeitsamen Händen, Wenn sich die Tochter selbst den schönsten Brautkranz flicht. So scheint es freylich wohl, wenn man, mit fernen Blicken, Von weitem hier und dar beglückte Väter sieht: Weit anders nimmt mans wahr, wenn man in vielen Stücken, Sich um den wahren Stand der Kinderzucht bemüht. Weg! Dina, die zu frech des Vaters Haus verlassen, Und durch gebüßte Lust den Jungferschmuck entehrt. Weg! Brüder, die voll Zorn die wilden Schwerdter fassen, Wenn ihrer Schwester Schimpf die Raserey empört. Weg hier mit Amnons That! der, durch den Wollusttempel, In Thamars keuschem Arm die Bahn zur Grube fand. Weg auch mit Absaloms verdammlichem Exempel! Der voller Kronensucht nach Davids Leben stand. Was Jacob dort gefühlt, was David hier empfunden, Wie sonst manch böses Kind der Eltern Herz gekränkt; Ist noch so ganz und gar bey Menschen nicht verschwunden, Indem noch jedermann mit Schrecken dran gedenkt. Allein, man setze gar, daß wohlgerathne Kinder Der Eltern Augenlust ja Trost und Freude seyn: Der Sorgen schwere Last wird doch dabey nicht minder, Und tränkt die Eltern oft mit herbem Wermuthwein. Manch frommer Sohn erblaßt, und füllet Sarg und Baare, Und reißt der Mutter Herz fast mit sich in die Gruft. Ein andrer zieht davon, vergißt auf viele Jahre Das liebe Vaterland in weit entfernter Luft. Die Töchter selber sind den Eltern nicht getreuer, So bald sie mannbar sind, verlassen sie das Haus: Denn meldet sich einmal ein angenehmer Freyer, So ziehn sie mehrentheils mit tausend Freuden aus. Kein Ort ist so entfernt, kein Land so sehr entlegen, Dahin Rebecca nicht zu ihrem Jacob eilt. Da ist ihr weder Frost noch Hitze sehr entgegen, Das liebe Jawort wird auf schneller Post ertheilt. Da bleibt ein Vater denn der Kinder gar beraubet, Die Mutter sieht ihr Haus von Sohn und Tochter leer: Und wenn man hier dem Gram in ihren Blicken glaubet, So scheint es anders nicht, als ob sie trostlos wär. Was soll ich denn von dir, geliebte Schwester, sagen? Indem dich ebenfalls ein Liebesband bestrickt. Es hat ein werther Freund dein Herz davon getragen, Und jedermann hält dich an seiner Brust beglückt. Allein was wird dabey dein lieber Vater denken, Da du die letzte bist, die er erzogen hat? Wird dein Vermählungstag nicht seine Seele kränken? Und findet wohl bey ihm die mindste Freude statt? Drey Töchter waren ihm ans Licht der Welt gebohren, Drey Töchter waren auch der Eltern Augenlust: Allein die ersten zwo sind allbereits verlohren, Und du betrübst nun auch die treue Vaterbrust. Doch nein, ich irre sehr. Er wird dich täglich sehen, Hannover bleibt ja noch dein steter Aufenthalt. Da wird sein reger Blick nach deinem Hause gehen, Daraus ihm lauter Glück und Lust entgegen schallt. Du bist die einzige, so ihn nicht ganz verlassen, Du wirst auf seinen Schooß die Kindeskinder ziehn. Die wird sein Vaterarm mit Zärtlichkeit umfassen, Und kurz, dein Ehstand labt, ergetzt und tröstet ihn. Ich selbst erfreue mich bey deinen Hochzeitkerzen, Die dich nicht ganz und gar von unserm Ort getrennt. Und wünsche dir dabey aus treuem Bruderherzen, Ein unverändert Glück, das keinen Abfall kennt. Dein wohlgelungnes Band umschlinge dich mit Freuden, Dein Ehbett wisse nichts von Kummer oder Weh. Der Himmel schone dich mit allem Gram und Leiden, Und gebe, daß dein Glück auf festen Pfeilern steh. So wünschen zweifelsfrey die Schwestern in der Ferne. Genug! mein Wunsch ist kurz, allein sehr wohl gemeynt. Was säumst du, neues Paar? Es winken dir die Sterne: Geh! mache, daß dieß Jahr der Liebe Frucht erscheint. IV. Elegie. Auf eine Doctorhochzeit in Leipzig, in f.N. Die Liebe schläfet nie. Die Schaar der alten Dichter Hat sie nicht ohne Grund den Göttern beygezählt, Sie schleußt kein einzigmal die muntern Augenlichter, Und Amors Bogenschuß hat nie sein Ziel verfehlt. Der Himmel wälzt sich stets, wo wir den Sinnen trauen, Wo nicht, so thut es doch der Erdkreis Tag und Nacht. Der Mond ist stets bewegt auf seiner Bahn zu schauen, Und hat den langen Lauf noch nie zum Ende bracht. So macht es Amor auch. Seit dem die Welt gestanden, Hat sein bemühter Arm den Bogen stets gespannt: Es war kein Jahr, kein Tag, kein Augenblick vorhanden, Darinn man seinen Pfeil ganz still und müßig fand. Der Frühling lacht nicht stets mit angenehmen Blicken, Der Sommer brennt nicht stets das ausgedorrte Feld, Der Herbst kann uns nicht stets durch Most und Wein erquicken, Der Winter drückt nicht stets die halberstorbne Welt. Die Liebe läßt nicht nach. In allen Jahreszeiten Ist ihrer Zärtlichkeit die Witterung bequem, Die Luft sey warm und kalt, die Winde mögen streiten; Das alles und noch mehr ist ihr ganz angenehm. Wenn Florens Gras und Laub den Schooß der Erden decket, Wenn Lerch und Nachtigall mit süsser Kehle singt, Wenn ein gelinder West die Blumen aufgewecket, Ein buntes Tulpenheer aus seinen Zwiebeln dringt: Dann heißt es: Die Natur lehrt selbst die Menschen lieben, Es liebet Wald und Feld, es liebet Luft und Flur; Gevögel, Thier und Fisch ist voll von süssen Trieben: So kommt und liebet dann und folget der Natur. Sobald der Sonnenstral den Himmel angezündet, Die heisse Sommerluft bey langen Tagen sticht, Und sich die erste Frucht in unsern Gärten findet: So zeigt uns Amor auch ein freundlich Angesicht. Ein heiß verliebtes Paar sitzt in dem kühlen Schatten, Und labet den Geschmack mit einer süssen Frucht, Und läßt sich Mund und Mund mit heissen Lippen gatten, Und lacht oft insgeheim der Buhler Eifersucht. Erscheint der milde Herbst mit Aepfeln oder Trauben, Und fällt das falbe Blatt von seinen Zweigen ab: Dann lehrt uns Amor erst die Liebesäpfel rauben, Und droht den Buhlern gar durch ihr zukünftig Grab. Liebt, heißt es, weil ihr könnt, und weil die Jugend währet. Wer weis, wie bald der Tod die kurze Lust verbeut! Liebt, eh des Alters Sturm der Schönheit Schmuck verzehret, Und wie das gelbe Laub in Staub und Erde streut. Der Winter kömmt herbey. Da sollte mancher denken, Die liebe würde kalt und unempfindlich seyn, Wenn Zapfen von Crystall sich an die Dächer henken: Allein das heisse Blut friert nicht wie Wasser ein. Je mehr die Kälte tobt, je mehr verliebte Herzen Verhüllt ein dichter Pelz, ein wohl gefüttert Kleid: Man sieht sie desto mehr in warmen Zimmern scherzen, Jemehr der Frost das Land mit Flocken überstreut. Du selbst, verliebtes Paar, du selber wirst bekennen, Daß keine Witterung der Liebe schädlich sey: Man sieht im Jenner auch die süssen Flammen brennen, Und also stimmt ihr selbst dem festen Satze bey. Die Kälte tobte sehr, allein die Glut der Liebe Nahm bey der strengsten Luft nur stärker überhand; Der rauhe Nordenwind blies Funken in die Triebe, Die man in eurer Brust bereits entzündet fand. Wohlan! so liebet dann. Die Zeit ist euch gewogen, Des Winters Schnee und Eis kühlt eure Regung nicht. Und wenn die lange Nacht den Flor um euch gezogen, So liebt euch ungestört, bis früh der Tag anbricht. Wie angenehm wirds seyn des liebsten Mund zu küssen, Wenn draussen Wind und Sturm mit scharfem Sausen pfeift! Tibullus lehrt mich dieß, ich könnt es sonst nicht wissen; So lange nicht der Arm nach fremden Aepfeln greift. Sie, hochgeschätzte Braut, verzeihet meinem Scherzen, Sie hat wohl in der That noch mehr von mir verdient. Es liegt mir wirklich noch ein kleiner Groll im Herzen, Weil sie sich ohne mich zu freyen hat erkühnt. Man pflegt die Aeltern sonst um guten Rath zu fragen, Nun weis sie selber wohl, daß ich ihr Vater bin: Wie kann sie dieß so ganz aus den Gedanken schlagen? Wie fällt mein Ansehn doch so schnell und plötzlich hin? Sie weis ja das Geboth von treuer Kinder Pflichten, Und was für Segen folgt, wenn man gehorsam ist. Wie kann sie denn so gar die Schuldigkeit vernichten? Wie kömmt es, daß sie mein so ganz und gar vergißt? Doch dießmahl geht es hin: Ich will ihr alles schenken, Ich unterdrücke gern den ausgelaßnen Groll: Wird sie nur übers Jahr an ihren Vater denken, Und fragen, wie alsdann ihr Kleines heissen soll? V. Elegie. Auf die Schimmelpfenning- und Kochische Hochzeit, in eigenem Namen. So ist denn, Werthester, der süße Tag erschienen, Der dir nunmehr gewährt, was du bisher geliebt; Da sich das Tugendbild der schönen Cölestinen, Als deiner Triebe Ziel, dir in die Arme giebt. O laß mich deiner Lust ein Freudenopfer zollen! Und meinen Lorberzweig bey deinen Myrten stehn: Ja wenn die Gäste spät dem Hymen weichen wollen, Mich in Gedanken nur an deine Kammer gehn. Dein Hannchen schämet sich vielleicht bey diesem Worte, Und scheut ein Schlafgemach, wo meine Muse lauscht: Allein was schadet das? Sie bleibt nur an der Pforte, Und wird nichts mehr gewahr, als daß ihr Küsse tauscht: Mehr will, mehr darf sie nicht mit keuschen Augen schauen, Ihr unentweihtes Haupt trägt noch den Jungferschmuck; Drum darf die Schöne nur den blöden Blicken trauen, Die sonst ihr heller Stral schon einmal niederschlug. Das edle Merseburg sieht euren Hochzeitkerzen, Mit ungewohnter Lust und tausend Wünschen zu, Und prophezeiht zugleich den treuverliebten Herzen Ein ewig Wohlergehn und ungestörte Ruh. Und was? Wen sollte nicht ein solches Paar erfreuen, Das sich aus reiner Huld verbunden und vermählt? Ja welchem in der That zu völligem Gedeihen, Nur ein so schönes Band, als dieses ist, gefehlt. Zwar viele fragen hier, wenn sie den Ort bedenken, Daher der Bräutigam, daher die Braut entsprießt: Kann Amor denn ein Paar durch so viel Meilen lenken, Als Preussens Weichselstrom von Meißens Saale fließt? Hegt Danzigs Größe denn nicht angenehme Nymphen? Ist hier in Sachsenland kein Freyer für die Braut? Und scheinen beyde nicht ihr Vaterland zu schimpfen, Da man sie Beyderseits was Fremdes lieben schaut? Ja freylich, scheint es so, bey denen, die nicht wissen, Daß Gott die Ehen schließt: Allein es scheint auch nur, Denn wer es recht bedenkt, wird selbst gestehen müssen, Dieß sey des Himmels Werk und seiner Vorsicht Spur. Freund, wer dein Danzig kennt, in dessen starken Wällen Die Edlen, Fürsten gleich, die Bürger edel sind; Wo Lust und Höflichkeit und Reichthum sich gesellen, Und wo man Glück und Pracht im Ueberflusse findt: Wer Straß' und Häuser kennt, wo tausend Töchter wohnen, An welchen die Natur ein Meisterstück erwies. Der wird dein Vaterland mit diesem Vorwurf schonen, Den dort die Neubegier von sich vernehmen ließ. Verlangt man Artigkeit und angenehme Sitten, Gelehrsamkeit, Verstand und fremder Sprachen Zier; O! wer hat Danzig hier den Vorzug abgestritten? Auch solche Schönen sind nicht unerhört allhier. Ach Opitz! solltest du aus deiner Gruft erwachen, Womit noch Danzig prangt, und die ich jüngst gesehn, Du würdest manches Lied auf solche Schönen machen, Wie sonst von deiner Kunst wohl hundertmal geschehn. Und doch mußt du, o Freund, in fremden Grenzen finden, Was deine Vaterstadt dir in der Nähe gab; Kein Blick war stark genug dein freyes Herz zu binden, Nur Meißen nöthigt dir die ersten Seufzer ab. Hier wurdest du besiegt, als deine Cölestine Den allerersten Stral nach deiner Jugend schoß. Hier wirkte nur ein Blick, nur eine holde Mine, Daß dein sonst kaltes Herz in heisser Liebe floß. Beschreibe selbst die Lust, die du dasmal empfunden, Als du zu allererst die schöne Hand geküßt; Und sage, ob dich nicht ein einzig Wort gebunden, Womit ihr kluger Mund dich dazumal begrüßt. Mich dünkt, du fühlst es noch; wiewohl mit größrer Freude, Weil Wunsch und Hoffen sich in den Genuß verkehrt. Und wahrlich! deine Braut, der treuen Augen Weide, War deiner, werther Freund, so wie du ihrer werth. Zwar sieht man auch wohl sonst dergleichen Ehen schliessen, Da Freyer weit und breit nach einer Gattinn ziehn. Man sieht sie manches Land und manche Stadt begrüssen, Doch so, daß jeder merkt, warum sie sich bemühn. Was suchen sie? Ein Weib? O nein! den vollen Beutel: Sie finden endlich auch, was ihre Sehnsucht stillt; Doch, werden sie auch reich? Nein! Geld und Gut ist eitel, Wenn eine Furie das Haus mit Unglück füllt. Wie viel verständiger hast du, o Freund, gewählet, Da du dein treues Herz der schönen Kochinn giebst: Du hast die Tugenden, und nicht ihr Gold gezählet, Indem du die Person, nicht ihr Vermögen liebst. So recht! Es ruht auf dir der frommen Eltern Segen; Was darfst du denn so sehr nach großen Schätzen sehn? Sie liebet dich um dich, du sie um ihrentwegen; So sollte billig wohl ein jedes Band geschehn. Indessen zürnet nicht, ihr schönen Weichselinnen! Ihr kennet noch vielleicht kein meißnisch Frauenbild. Die Schimmelpfenniginn wird euer Herz gewinnen; Denn ihre Schönheit ist mit Artigkeit erfüllt. Wer weis, wer euch einmal aus dem belobten Preußen, Mit gleicher Zärtlichkeit in fremde Grenzen führt. Dann kommt und zeiget auch in Deutschland oder Meißen, Daß Schönheit, Geist und Witz auch kalte Länder ziert. Du, höchstvergnügter Freund, zeuch hin zu deinen Linden, Damit sich Danzigs Wall gleich seinen Gassen schmückt; Die Freunde warten dein, und werdens bald empfinden, Daß deine Heyrath dir nach Herzenswunsch geglückt. Dein theurer Vetter selbst geht dir erfreut entgegen, Und lobet deine Wahl, darinn er dich bestärkt, Ja giebt, an Vaters statt, euch beyden seinen Segen, Nachdem er Gottes Hand in deinem Thun bemerkt. Das Glücke wird dich einst auf neue Stuffen heben, Dein edler Bürgerstand giebt dir auf alles Recht; Dein eigenes Verdienst wird dir ein Ansehn geben, Und so erhältst du einst dein würdigstes Geschlecht. Und du, beglückte Braut! zeuch hin, in ferne Lande, Zeuch hin, durch Brandenburg und Pommern, an den Belt, Und sieh die Handelstadt am fetten Weichselstrande, Das Tyrus dieser Zeit, wo Thetis Hofstadt hält. Du wirst viel neues sehn, viel fremdes da erblicken; So viel man Städte zählt, so viel man Moden findt: Doch dein Verstand und Geist kann sich in alles schicken, In Sachen, die nur nicht der Tugend wiedrig sind. Noch eins, gepriesnes Paar, du wirst es mir verzeihen! Ich gebe dir den Gruß an meine Gönner mit. Ich weis, es nützet sehr, und muß mir wohl gedeihen, Wenn solch ein Paar, als ihr, dort meinen Platz vertritt. VI. Elegie. Im Namen einer Schwester an ihren Bruder, als er Doctor wurde. Geliebter! dieses Blatt voll schwesterlichen Zeilen, Soll itzt vom Elbestrom zu deinem Saalathen, Aus Sachsens Residenz, zum Musenhügel eilen, Wo Themis fertig steht, dich freudig zu erhöhn. O könnte Lust und Wunsch mir Taubenflügel schenken! Ich flöge, wie ein Pfeil nach diesem Pindus zu: Ich wollte dich erfreut in Schwesterarme schränken, Und sprechen: Brüderchen, wie herrlich prangest du! Fürwahr, Asträens Kranz, der deine Scheitel schmücket, Und dein Verdienst belohnt, steht dir so artig an; Daß niemand, der dich sieht, von deinem Blick bestricket, Wie wohl du ihm gefällst, genug beschreiben kann. Ich sehe schon im Geist die angenehmen Minen, Wie sie dein Doctorhut gedoppelt lieblich macht; Dein Wesen, so mir zwar stets Anmuthvoll geschienen, Doch itzt noch eins so schön aus deinen Augen lacht. Ach! wüßte nur mein Reim die Bilder zu entwerfen, Die mein erfreuter Geist gleich, als im Traume, sieht: So sollte sich zugleich die stumpfe Feder schärfen, Die deinen Abriß hier mit dunkeln Strichen zieht. Ich schriebe von dem Witz, den du bisher erwiesen, Da dich die Lindenstadt und Helmstädt in sich schloß: Ich schriebe, wie man dich und deinen Fleiß gepriesen, Wenn der gelehrte Schweiß von deiner Stirne floß: Ich schriebe von dem Schmerz, den meine Brust empfunden, Da die Entfernung dich so lang von uns getrennt: Ich schriebe von der Lust der hochbeliebten Stunden, Wenn mich ein Brief von dir, mein Schwesterchen, genennt. Ich schriebe noch weit mehr, von unsrer treuen Liebe, Die wir von Jugend auf einander uns erzeigt; Und schlösse denn daraus die Kraft der starken Triebe, Dadurch die Freude mich dir Glück zu wünschen neigt. O daß mein Vater nicht den Tag erleben sollen, Der seines Sohnes Haupt mit neuer Würde schmückt! Mein Vater, den ich gern vom Tode retten wollen, Als ihm des Höchsten Hand die Augen zugedrückt. Wie hätte sich nicht da sein zärtliches Gemüthe, Bey so erwünschter Lust gedoppelt stark bewegt? Wie hätte nicht sein Herz das wallende Geblüte, Bey hocherfreuter Brust noch eins so schnell geregt? Das war ja stets sein Wunsch. Er wünschte nicht zu sterben, Bevor der seinen Glück sein Herze recht erfreut: Zumal er deutlich sah, daß ihm an seinen Erben Die angewandte Zucht kein einzigmal gereut. Betrübter Schmerzenstag! O Tag von tausend Klagen! Der unsers Vaters Wunsch und Hoffnung unterbrach. Wir sahen ihn bestürzt in seine Grube tragen, Und folgten seinem Sarg mit tausend Thränen nach. Ach Liebster, zürne nicht! Mein Kiel ist ausgeschweifet, Cypressen schicken sich zu deinen Lorbern nicht, Die Zärtlichkeit hat mich mit Schmerzen überhäufet, Die dir ein falbes Reis in deine Kränze flicht. Wiewohl des Vaters Lust vertritt der Mutter Freude, Wie klopft ihr reges Herz bey dieser schönen Post? Sie lacht, ich lache mit, wir lachen alle beyde, Denn diese Zeitung schmeckt wie süsse Götterkost. Komm, theurer Bruder, komm! ach komm doch bald zurücke, Wir öffnen dir bereits Haus, Zimmer, Thür und Herz. Wir zählen allesammt Tag, Stund und Augenblicke, Und wissen, ohne dich, von nichts als Gram und Schmerz. Komm, theurer Bruder, komm! ich warte mit Verlangen, So oft ein Wagen fährt, seh ich vergnügt hinaus. Als Bruder, will ich dich ganz schwesterlich umfangen, Es dehnen sich bereits die frohen Arme aus. Komm, theurer Bruder, komm! und laß dich wieder küssen, Erzähle, was bisher dir zugestossen ist, Wir möchten gerne viel von Wien und Halle wissen, Wo du nur neulich warst, und wo du itzo bist. Den allerersten Tag, wenn du wirst wiederkommen, Soll aller Schlummer weit von unsern Augen fliehn: Und wenn der Schlaf zuletzt die Geister eingenommen, Soll erst Aurora sehn den Vorhang um uns ziehn. Ihr Posten! säumt euch nicht: Mein Bruder hat zu eilen, Geliebter, denke nicht, daß hier mein Kiel gescherzt, Und laß dir dieses Blatt den schönsten Gruß ertheilen, Das deiner Schwester Mund an deiner statt geherzt. VIII. Elegie. An Jungfer L.A.V. Kulmus, zum Antritte des 1735sten Jahres. ROWE. WHEN THY LOV'D SIGHT SHALL BLESS MY EYES AGAIN, THEN WILL I OWN, I OUGHT NOT TO COMPLAIN: SINCE THAT SWEET HOUR IS WORTH WHOLE YEARS OF PAIN. Viel Glück, erlesne Braut! viel Glück zum neuen Jahre! O längstgewünschtes Jahr, erscheinst du endlich doch? Du kommst, doch du entziehst dem treuverbundnen Paare Die Zeichen zarter Huld, die ersten Küsse noch. Ja, Freundinn, edler Art, Vergnügen, Lust und Leben! Wie freudig macht mich itzt der nahe Neujahrstag? Ach, könnte dir mein Kiel nur halb den Abriß geben Von dem, was sonst vielleicht kein Mensch empfinden mag. O könnt ich dir, mein Herz, mit Worten so beschreiben, Wie es für Liebe lechzt, wie es für Sehnsucht brennt: Wie Furcht und Hoffnung es noch wechselsweise treiben, Und wie die matte Brust fast keine Ruhe kennt; O solltest du nur sehn, wie sehr ich oftmals klage, Wie oft mein banger Mund dein schönes Bildniß küßt; Wie oft ich jedes Blatt mit Lust in Händen trage, Das mir von deiner Huld ein sichres Zeugniß ist; O solltest du nur sehn, wie sich bey späten Stunden, Oft gar bis Mitternacht mein Augenlied nicht senkt; Wenn mein vergnügter Geist den Gegenstand gefunden, An den er immer zwar, doch dann am schärfsten denkt. O solltest du die Zahl der langen Nächte zählen, Wenn mich das Bette zwar, doch ohne Schlummer trägt: Weil mir die Regungen das Wachen anbefehlen, Die deine Trefflichkeit in meiner Brust erregt: So würdest du gewiß, o Freundinn! selbst gestehen, Es lieb in aller Welt kein Mensch so zart als ich; So würdest du fürwahr mit Herzenslust ersehen, Dein Gottsched lebe zwar, doch ganz allein für dich. Gedenke nun der Zeit, da ich zum erstenmale, Durch ein gereimtes Blatt mein Herze dir geweiht; Und wie du mir darauf in dem bekannten Saale, (Mich dünkt, ich seh ihn noch!) ein sprödes Herz gedreut. Du trafest mich allein, wir waren sonder Zeugen, Und hieltest meinen Reim doch einer Antwort werth: Es hieß: Ich sollte dir mein Absehn nicht verschweigen! Worauf ich dir sogleich mein ganzes Herz erklärt. Ich drückte dir die Hand, und bath mit blödem Munde: O Schönste, nimm mich doch zum Eigenthume hin! Und schenke mir dein Herz! Wie glücklich ist die Stunde, Dafern ich nicht zu schlecht zu deinem Freunde bin. Die Antwort fiel: Umsonst! Ich muß die Freyheit lieben; Mein Herz verschenk ich nicht: Es bleibet ewig mein. Ach! sprach ich, welcher Zwang herrscht denn bey zarten Trieben! Auch wo die Liebe wohnt, kann wahre Freyheit seyn. Und warum zweifelst du, dein Herze zu verschenken, Wenn dir ein treuer Freund das seine wieder giebt? Drum laß, o schönstes Kind! dich durch mein Bitten lenken, Und glaube, daß dein Knecht dich bis zur Grube liebt. Hier dacht ich dir, mein Licht, die schöne Hand zu küssen; Allein dein Wiederstand und Weichen war zu stark: Mir ward mein schönstes Licht mit aller Macht entrissen, So, daß ich mich beschämt vor deinem Zorn verbarg. Wie? sprach ich bey mir selbst: Kann sie dich ernstlich hassen? Warum verlangt sie denn Erklärungen von dir? Und ist sie dir nicht feind; wie kann sie dich verlassen? Ja, warum leidet sie nicht einen Kuß von mir? Doch nein! So fuhr ich fort: Ich bin ihr nicht zuwieder: Sie prüft nur meine Brust, und forscht nach meiner Treu. Warum behält sie sonst das Opfer meiner Lieder? Und warum sagt sie nicht: Daß ich zu strafen sey? Nein, nein! Sie haßt mich nicht; und kann mich ziemlich leiden, Sie kennt mich nur nicht recht und meinen treuen Sinn; Genug! Ihr Sprödethun soll mich von ihr nicht scheiden, Bis sie erkennen wird, daß ich beständig bin. Es wird schon eine Zeit sie kräftigst überzeugen, Daß wahre Liebe sich durch keine Ferne schwächt: Alsdann läßt sich gewiß ihr hartes Herze beugen, Alsdann dünkt ihr vielleicht mein Opfer nicht zu schlecht. So dacht ich dazumal, und das hat eingetroffen, Die Zeit hat mich geprüft und manches Leid bewährt: Nun steht mir, liebste Braut! dein Herze völlig offen, Nun hast du mirs geschenkt: Was hab ich mehr begehrt! Ganz Preußen weis es schon; B – – hats auch erfahren, Selbst D – – spricht davon, und Leipzig wundert sich. Es heißt: Weis dieser sich in Sachsen nicht zu paaren? Doch wenn man dich nur nennt, so lobt ein jeder mich. Die Musen, Engelskind! die unsre Brust verbunden, Die machen dich durch mich, und mich durch dich bekannt. Man spricht: Dergleichen Paar wird nicht so leicht gefunden, Man fand es kaum in Rom, und kaum in Griechenland. Mir ist, als würd ich stolz, daß uns ein jeder kennet; Denn woher kömmt es sonst, als bloß von unserm Fleiß, Daß unsre Flamme nicht in finstern Winkeln brennet, Daß halb Germanien von unsrer Liebe weis. Wohlan! Es sey also. Die ganze Welt mags wissen! Ich liebe Witz und Geist und Tugend und Verstand. Wer so was Edles wählt, darf nicht verstohlen küssen, Und wer mich tadeln will, der knüpf ein schöner Band! Ich weis, die Nachwelt selbst wird unser Beyspiel preisen, Denn wer dereinst ein Paar, das wohl gewählt, beschreibt, Der wird auf Gottscheds Wahl an seiner Kulmus weisen, Die bis auf späte Zeit ohn allen Tadel bleibt. Sey mir nur ferner hold, Victoria, mein Leben! Und schätze lebenslang mich deiner Liebe werth: So will ich gegentheils dir tausend Proben geben, Daß dir des Himmels Schluß den treusten Freund beschert. Ich bin kein Flattergeist, und hab es schon erwiesen, Sechs Jahre bin ich dir auch in der Ferne treu. Wie manches Frauenbild ward mir nicht angepriesen. Gleichwohl blieb meine Brust von solchen Netzen frey. Mit dir allein wünsch ich mein Leben hinzubringen, In deinen Armen soll der Tod mir lieblich seyn: Und kann mir noch ein Wunsch, wie mancher schon, gelingen; So schlaf ich einst zugleich mit meiner Freundinn ein. Indessen soll mein Reim dich unermüdet ehren; Weil deine Gaben doch ganz unvergleichlich sind: Ich will die halbe Welt durch meine Lieder lehren, Was für ein edles Herz dein Freund in dir gewinnt. Ich will der späten Zeit die reine Glut beschreiben, Die weder Eitelkeit noch Ehrgeiz angeflammt; Kein Gold hat sie genährt: Drum wird sie ewig bleiben, Weil wahre Freundschaft stets den Wankelmuth verdammt. Ich siegte, so wie du, durch kein verstelltes Gleissen, Kein Reichthum, Stand, Geschlecht, noch Vorspruch stund mir bey. Ich konnte dir, mein Licht! nichts, als mich selbst verheissen, Drum bleibt die Neigung denn auch bis ins Alter neu. Komm, angenehmer Tag, du Anfang meines Glückes! Und bringe mich, nach Wunsch, an meiner Freundinn Brust, Und gönne mir allda die Kraft des klugen Blickes, Der mich mit solcher Macht an sich zu ziehn gewußt. Ihr Wochen fliesset schnell! verkürzet euch, ihr Stunden! Wer schon sechs Jahre hofft, dem seyd ihr Monden lang. O wäret ihr vorbey! o wäret ihr verschwunden! O hätt ich sie umarmt! was wüßt ich euch für Dank. Hernach mögt ihr einmal um desto sanfter fliessen, Wenn meine Schöne mir entzückt im Arme liegt; Denn jede Stunde wird mir gar zu schnell verschiessen, Darinn ihr holder Kuß mein mattes Herz vergnügt. Inzwischen lebe wohl, mein einziges Verlangen! Ich sende dir dieß Blatt mit tausend Wünschen hin: Und wirst du es recht zart und hocherfreut empfangen; So schwer ich, daß ich mehr, als je, der Deine bin. MR. DE FONTENELLE. QUAND VOS VŒUX SONT SATISFAITS, AMANS, NE CHANGEZ JAMAIS! UNE FLAME CONTENTE N'EN DOIT PAS ÊTRE MOINS ARDENTE. L'AMOUR NE VOUS REND PAS HEUREUX, POUR VOUS RENDRE MOINS AMOUREUX. QUE TOUJOURS LES ZEPHIRS ET FLORE VOUS TROUVENT, À LEUR RETOUR, PLUS CHARMEZ ENCORE D'UN MUTUEL AMOUR. IX. Elegie. An eben Dieselbe, im Jahr 1735. den 11. Apr. in Danzig. Nun ist mein Wunsch erfüllt, Victoria! mein Leben! Ich schreib es ganz entzückt; nun ist mein Wunsch erfüllt! Nun hat des Himmels Huld mir endlich das gegeben, Was meiner treuen Brust gerechte Seufzer stillt. O dreymal schöner Tag! O ihr erwünschten Stunden, Darinn ich, theure Braut, dein Antlitz wiedersah; Da ich den ersten Kuß von dir so zart empfunden, Daß ich kaum selber weis, wie mir dabey geschah. Bestürzung voller Lust! Vergnügen voll Entsetzen! Du nie empfundner Zug! ganz ungewohnter Trieb! Wie konntet ihr mein Herz verwirren und ergetzen, Als ich für Freuden stumm bey meiner Schönen blieb. Ach allerliebstes Herz! vergib dem blöden Munde, Wenn er dich dazumal nicht brünstig gnug geküßt, Und wenn die erste Frucht von unserm zarten Bunde, Noch unreif, noch zu neu, und matt gewesen ist. Vergib, daß dich mein Arm nicht fest genug umschlossen; Daß ich dich noch zu schwach an meine Brust gedrückt; Daß ich die Zärtlichkeit kaum halb und halb genossen, Die mich zum erstenmal an deiner Hand entzückt. Wie gieng es anders an? Wer kann in solchen Freuden, Wer kann bey solcher Lust doch seiner mächtig seyn? Das Herz ergiesset sich, so wie bey starkem Leiden, Und selbst die Seele nimmt ein halber Schlummer ein. Du hast, o Theureste! nach diesem schon gespüret, Wie heiß die Regung ist, womit dein Freund dich ehrt. Wie stark dein holder Blick, dein süsser Kuß mich rühret, Wie feurig mich dein Mund dich wieder küssen lehrt. Braut! Engel! Herz und Licht! Mein einziges Vergnügen! Mein irdisch Paradies, mein Alles auf der Welt! Vermochtest du allein mich völlig zu besiegen, So sage nun, wie dir mein treues Herz gefällt? Doch was? Es ist nicht mein; dein ist mein ganzes Wesen, Du bist die Siegerinn, ich selbst gehöre dir. Nur sage, reut dichs auch, daß du dir mich erlesen? Und ist dein edler Geist auch recht vergnügt mit mir? Du bist was bessers werth, ich hab es oft gestanden; Du solltst beglückter seyn, als ich dich machen kan: Jedoch wo ist ein Herz in aller Welt vorhanden, Das mir an Eifer gleicht und mehr um dich gethan? Wer hat dich schon verehrt bevor er dich erblicket? Wer reiste, dich zu sehn, fast hundert Meilen her? Wen hast du auch entfernt sechs Jahre lang entzücket? Wem ward um deine Huld kein Leiden allzuschwer? Jedoch, was rühm ich mich? Was hast du meinetwegen, O Freundinn! nicht gethan, erlitten und verschmerzt? Auch da man, mich zu fliehn, dir heftig angelegen, Und dir wohl gar gedroht, daß du dein Glück verscherzt. Nein, theure Freundinn, nein! ich habe nichts zu sagen, Dein edles Herz that mehr um mich, als ich um dich: Aus Großmuth hast du mich und meine Lieb ertragen, Aus Großmuth liebtest du, aus Großmuth wählst du mich. Dieß ist der andre Grund der unbewegten Treue, Dadurch dein zarter Sinn mich doppelt fest gemacht; Dadurch verbandest du dir deinen Freund aufs neue, Nachdem dein Geist und Witz ihn um sein Herz gebracht. Ich sah den seltnen Trieb, der dich zur Weisheit führte, Die große Fähigkeit, die Lust zur Wissenschaft, Der theuren Mutter Fleiß, die dich mit Tugend zierte; Dieß alles war bey mir von unumschränkter Kraft. Wiewohl mein Zweck ist hier nicht deinen Werth zu preisen, Es ist schon sonst geschehn, dieß Blatt ist viel zu klein; Ganz Deutschland kann uns schon die schönsten Proben weisen, Wie stark dein Witz und Geist in klugen Schriften seyn. Die Schönen, die vor dir ein deutsches Lied gesungen, Erstaunen, wenn sie sehn, was du für Lieder singst: Die Jugend hat in dir der Jahre Kunst bezwungen, Und jeder sieht vorher, wie hoch du künftig dringst. Doch wie verleitet mich der Trieb zu deinem Ruhme? Ach Schönste! zürne nicht; er stammt aus Zärtlichkeit. Dein Lob wird künftighin auch mir zum Eigenthume, So wie ich mich, und das, was mein ist, dir geweiht. Was schenk ich dir dann itzt, da mich der Tag erfreuet, Der dich der Welt zum Schmuck und mir zum Glück gebahr? Wird nur mein altes Lied mit frischer Lust erneuet, Das ich schon sonsten sang, als ich entfernet war? Weis ich denn anders nichts, als Leben und Vergnügen, Als Freude, Glück und Lust, das ich dir wünschen kann? Und wünsch ich immer noch, das Schicksal zu besiegen, Das durch die Trennung mir so lange weh gethan? Dieß war der Inhalt sonst von meinen ersten Liedern, Die Hoffnung war zuletzt der meisten Reime Schluß: Soll ich nun meinen Wunsch noch ferner so erniedern? O nein! mich labt ja schon dein unschuldvoller Kuß. Ja, liebste Seele, ja! ich ändre mein Verlangen, Ich wünsche dir sonst nichts, als stete Gunst zu mir. Drum wird dein Arm mich stets mit gleicher Huld umfangen, So hab ich alles Glück und alle Lust in dir. Wünsch ich noch ferner was, so ists ein langes Leben, Von Krankheit, Schmerz, und Pein und Schwachheit nur befreyt, Das andre wird uns schon die Liebe selber geben, Und die geprüfte Macht der treuen Zärtlichkeit. Verlangst du mehr, mein Herz! Soll ich dir was versprechen, Verlangst du ein Geschenk, das irgend etwas gilt, So nimm mich selber hin! Dieß Wort will ich nicht brechen, Was hier die Feder schreibt, das wird gewiß erfüllt. Allein was sag ich viel? Wie lange wird es währen? Mein auserwähltes Licht! acht Tage sind nur hin, So werd ich laut und frey den theuren Eid beschweren, Daß ich dir ewig treu und ganz dein eigen bin. Ich freue mich darauf! O wär es schon geschehen! Ich weis auch, daß er mir sehr leicht zu halten ist; Wenn du nur, die ich mir vor Tausenden ersehen, Mir allezeit geneigt und immer zärtlich bist. Dieß ist kein Zweifelmuth; es ist ein Demuthszeichen, Ich zweifle bloß allein an meiner Würdigkeit: Da scheint mirs wirklich schwer, die Höhe zu erreichen, Darauf kein Kaltsinn mir der Neigung Abnahm dreut. Allein dein großes Herz, Victoria, mein Engel, Dein edler Geist ersetzt, was deinem Freunde fehlt: Dem überlaß ich mich, wie alle meine Mängel, Ich weis, du hast mich nicht aus Unbedacht erwählt. Drum lebe, schönstes Kind! drum lebe stets in Freuden! Dein Festtag bleibt mir stets ein Himmel auf der Welt: Wenn du mich ferner liebst, so will ich alles leiden, Und weis, daß mir kein Schmerz ganz unerträglich fällt. Wie sanft wird künftig uns der Jahre Strom verfliessen! Wie süß wird uns der Lauf des ganzen Lebens seyn! Genug, auf diesesmal: Ich muß die Zeilen schliessen. Mein Liebstes! lebe wohl! Ich bin auf ewig dein. 5. Kapitel V. Kapitel. I. Schreiben. An Seine Königl. Maj. in Polen und Churfürstliche Durchl. zu Sachsen 1727. im f.N. Zwey Jahre sind es, Herr, als dein betrübtes Land Sonst nichts so schmerzensvoll, als deinen Abschied fand; Als Sachsen, voller Neid, auf Polens großes Glücke, Mit einem traurigen, doch eifervollen Blicke, Dich, seine Grenzen zwar, doch nicht zugleich sein Herz Zurücke lassen sah. O welch ein herber Schmerz Erfüllte da die Brust bestürzter Unterthanen! Man sah dir thränend nach, es schien uns fast zu ahnen: Der Abschied unsers Haupts wird mehr als jährig seyn. Und nichts traf leider! mehr, als dieser Kummer ein. Sarmatien war froh, sobald sein Wunsch geschehen, Was ließ dein Warschau nicht für Freudenzeichen sehen? Und wie empfieng dein Volk mit tausendfacher Lust; Sein königliches Haupt, dich, gnädigster August. Wie zarte Kinder sonst, mit unverstellten Thränen, Sich nach der Gegenwart entfernter Mütter sehnen, Und wenn der Tag erscheint, der ihren Wunsch erfüllt, Der all ihr Kümmerniß und all ihr Seufzen stillt, Sich voller Zärtlichkeit nach ihren Armen dringen, Und lächlend Brust und Hals mit Mund und Hand umschlingen: So sehnte sich vorher dein weitgestrecktes Reich, So fand sich, da du kamst, die alte Lust zugleich. Der Adel und das Volk gieng dir mit Lust entgegen, Die Fürsten jauchzeten bloß deiner Ankunft wegen. Wer die Regierungslast nicht recht begreifen kann, Der sehe dich allhier in deinem Polen an; Wo der Geschäffte Zahl sich jeden Tag vermehrte, Und wo das Regiment dir alle Ruhe störte. Die Sorgfalt, die du stets für deine Länder trägst, So willig, so getreu ins Werk zu richten pflegst: Daß niemand zweifeln darf, ob auch bey deiner Krone, Mehr Arbeit oder Lust, mehr Last als Ruhe wohne? Die Sorgfalt, sag ich, Herr, macht dich gedoppelt groß; Wenn so viel Völker sich, in deinen Gnadenschooß, Was ihre Seelen kränkt, bemühen auszuschütten, Und niemals dich umsonst um Schutz und Hülfe bitten. So gieng es damals auch, du Titus unsrer Zeit. Und ob dein Sachsen gleich mit vieler Zärtlichkeit, Nach deiner Gegenwart, der Quelle seines Lebens, Sich allezeit gesehnt; so war es doch vergebens. Das Glück Sarmatiens vertrug den Abzug nicht: Indessen huben wir ein brünstig Angesicht Zum Sitz der Allmacht auf; und seufzten mit Verlangen: O Himmel! laß uns doch den König bald umfangen! Jedoch ein trüber Tag vergrößerte die Quaal, Ach! welch ein neuer Schmerz betraf uns dazumal, Als alle Posten sich zu unsrer Pein verschworen, Als jeder Bothe sprach: Der König ist verlohren! Wir wußtens wohl, o Herr, daß Famens Unbedacht Oft kleine Dinge groß und große klein gemacht, Die Wahrheit oft verletzt und gar zu kühn gehandelt, Die Krankheit in den Tod, den Tod ins Grab verwandelt: Allein der mindste Ruff von Friedrich Augusts Schmerz, So falsch er jemals ist, betrübt ein jedes Herz, Das deine Gnade kennt. Drum galt auch hier kein Zweifeln. Man sah den Jammer schon aus unsern Augen treufeln, Die Zeitung war gewiß, als man den Reichstag schloß, Daß dir ein strenger Schmerz in einen Schenkel schoß. Die Aerzte riethens nicht um solcher Krankheit willen, Den Weg von Grodno aus bis Warschau zu erfüllen: So gar daß Bialostock, ein unbekannter Ort, Dein Krankenbette ward. O schmerzerfülltes Wort! Hat darum, riefen wir, der König uns verlassen, Und schien er darum denn den festen Schluß zu fassen, Sein Polen zu erfreun; daß Schwachheit und Verdruß Theils ihn belästigen, theils uns beschweren muß? Ach! wäre doch August in Sachsenland geblieben, Ach! hätt ein Wink von ihm das Ungemach vertrieben, So jenes Reich bedroht: So würde diese Pein, So würde dieser Gram uns nicht begegnet seyn. Warum betrübst du uns, du sonst geliebtes Polen? Gib uns das Haupt zurück, das wir dir anbefohlen. So sprach die Ungeduld bey Kummer, Angst und Gram, So oft von deinem Schmerz eine neuer Bothe kam. Nicht zwar, als hätt uns hier bey deinem Aussenbleiben, Ein würdig Haupt gefehlt, das große Werk zu treiben, Das du in Gegenwart sonst selbst zu treiben pflegst, Ach nein! der Sorgen Last, die du sonst selber trägst, Hat dein durchlauchter Prinz, zu jedermanns Behagen, An deiner statt, o Herr, ja fast wie du, getragen. Dein königlicher Sohn heißt so wie du, August, Und ist auch, so wie du, der Unterthanen Lust. Und da er bisanher dein Amt verwalten sollte, So schiens, als ob uns Gott die Schmerzen lindern wollte, Die dein Entfernen uns für diesesmal erweckt. Mein König, bloß dein Schmerz hat uns so sehr erschreckt, Dein Schmerz, den du nicht mehr an deines Schenkels Wunden, Als jedermann von uns in seiner Brust empfunden. Herr, hättest du dießmal der Seufzer Zahl erblickt, Die dein gekränktes Land gen Himmel abgeschickt: So hätte dir, wiewohl dich nie ein Leid bezwungen; Der Eifer deines Volks noch Zähren abgedrungen. Der Himmel gab auch bald auf unsre Wehmuth acht, Und schwächte nach und nach des Uebels strenge Macht; Ganz Sachsen aber ließ, bey grober Stücke Knallen, Sein Loblied fast so laut, als ihren Donner schallen. Nichts hat uns mehr gefehlt, als deine Wiederkehr O König! in das Land. Was wünschte man so sehr? Und wornach seufzte man, nachdem die Cur geschehen; Als dich, mein König, bald genesen hier zu sehen. Du hast den Wunsch erhört. Du kamst in Sachsen an, Der Frühling schmückte selbst die vor beschneyte Bahn, Mit Blumen, Laub und Gras, die deinen Fürsten-Wagen, Von Warschaus Thoren an bis Leipzig sollte tragen. Sie trug dich freudig hin, und wer ward nicht gerührt, Und wer hat nicht die Lust der regen Stadt gespürt, Als der vermischte Ruf: Der König ist gekommen, Augustus ist schon da! die Gassen eingenommen. Die Fremden, die man itzt in unsern Mauren sieht, Weil sie Gewinnst und Glück nach Leipzigs Thoren zieht, Erstaunen fast dabey; und könnens nicht begreifen, Wie sehr sich Lust und Dank auf unsern Lippen häufen. Das macht, sie wissens nicht, wie höchstbeglückt man ist, Wo Friedrich August herrscht, wo du, Herr, König bist. Doch treten sie mit uns voll Sehnsucht und Entzücken, Zu tausenden hervor, dein Antlitz zu erblicken. Verzeihe, theurer Held, daß deines Knechtes Pflicht Von dem, was schon geschehn, mit so viel Worten spricht. Der angebrochne Tag, der dich der Welt geschenket, Hat den erfreuten Kiel auf Schmerz und Lust gelenket, Die uns zum Theil betrübt, zum Theil hernach erfreut, Doch itzt hat in der That der Sachsen Freudigkeit, Den höchsten Grad erlangt. Das Jahr hat sich erneuert. Es wird von Hof und Stadt das große Fest gefeyert, Das dich gebohren hat. Herr, soll denn ich allein, Bey allgemeiner Lust ein stummer Zeuge seyn? Soll meine Zunge nur bey diesem Jubel schweigen, Und ihre Regung nicht durch heisse Wünsche zeigen? Nein, König, bin ich gleich dein allertiefster Knecht, Und klingt gleich dieser Reim vor hundert andern schlecht; Soll doch dein Gnadenblick aus diesen Zeilen lesen, Daß dieser Tag auch mir ein Freudentag gewesen. Du kennest, Gnädigster, du kennst das herbe Leid, So Neid und Eifer mir vor kurzem angedräut. Doch itzt verstummen sie: Ein Wink von deinen Gnaden Weis mich im Augenblick des Kummers zu entladen. Der Himmel liebe dich, wie du dein Sachsen liebst, Dem du das Leben itzt von neuem wieder giebst, Du müssest neue Kraft in Geist und Gliedern spüren, Und noch einmal so lang, als schon geschehn, regieren. Verschmähe dieß Geschenk von meinen Händen nicht, Und zeige mir forthin dein göttlich Angesicht, Mit gleicher Gnad und Huld, als ich bisher genossen; So wird mein Glücksbaum noch mit neuen Zweigen sprossen. II. Schreiben. An Seine Königl. Maj. in Polen und Churfürstl. Durchl. zu Sachsen 1729. Warum entzeucht, o Herr! da Eis die Berge deckt, Da Frost und Reif und Schnee das starre Land noch schreckt, Warum entzeucht dich uns Sarmatiens Verlangen? Was zwingt dich eben itzt die Reisen anzufangen? O Held, bist du dein selbst zu schonen nicht gewohnt; So werde doch in dir der Sachsen Heil geschont! Ach Vater! schone dein! So seufzet unsre liebe, So ruffet Land und Stadt mit eintrachtvollem Triebe. Versehre durch den Frost die zarten Schenkel nicht, Und warte doch vielmehr, bis dich ein Frühlingslicht, Auf Blumen, Gras und Laub zu deinem Volke führet. Ach Vater! schone dein! ganz Polen ist gerühret, Und sorget für dein Haupt. Es bittet für dein Heil, Und nahm nur neulich noch an deinen Schmerzen Theil, Und ließ mit uns zugleich Gebeth und Flehen schallen, Als dich des Uebels Macht so heftig angefallen. Ach Vater! schone dein! Bewegt dich denn kein Flehn? Muß deinen Gliedern denn durchaus Gewalt geschehn? Wie lange bist du hart? Doch alles ist verlohren, Der König hört uns nicht. Er eilt aus Dresdens Thoren, Wo alles klagt und bebt. Er zeucht aus Sachsen fort, Indem der Winter tobt, und selbst der kalte Nord Die edlen Rosse spornt, bis sie mit schnellen Füssen, Geschwinden Tauben gleich, den König hingerissen. So hat kein Seufzen denn des Helden Brust bewegt, Kein thränenvolles Volk den Vatersinn geregt: Indem ein starker Zug von königlichen Trieben Sein großes Herz besiegt und unverrückt geblieben. Kein Wunder! Polens Staat, das Volk von edlem Blut, Fleht seinen Schutzgott an und dessen Heldenmuth, und hofft, wenn er nur eilt dem Reiche vorzustehen, Der drohenden Gefahr beyzeiten zu entgehen. Wie, wenn bey rauhem Sturm der Wolken trüber Duft Den Tag in Nacht verkehrt, und die geschwärzte Luft Mit dickem Nebel füllt, die matten Schiffer zagen; Weil sie rings um sich sehn, die wilden Fluthen schlagen, Weil sich der Abgrund selbst von unten aufgedeckt, Von oben Blitz und Knall die blöden Sinne schreckt; Und wie sie ganz bestürzt, mit aufgehabnen Händen, Zu Gott um Hülfe schreyn, den Schiffbruch abzuwenden: So hat Sarmatien, das manche Noth gedrückt, Zu seinem Friederich die Seufzer abgeschickt, Das feste Knie gebeugt, mit Hand und Mund gebethen, Das hartbedrängte Reich als König zu vertreten. Was sollte nun der Held bey solchem Flehen thun? Sollt er sein Volk verschmähn? Sollt er gemächlich ruhn? Sollt er den rauhen Weg, ja Wind und Wetter scheuen? Wer solchen Argwohn hegt, mag seinen Wahn bereuen: Er kennt den König nicht. O nein! der Held verlacht Den Schmerz, der ihn gedrückt, die Glieder matt gemacht. Ihr Polen freuet euch! Er macht sich auf die Reise. Die Weichsel hebt ihr Haupt aus dem zerbrochnen Eise, Weil keine Last bey ihr die Freude hemmen mag. Sie lacht, und legt die Lust mit Jauchzen an den Tag: Komm, Landesvater! komm! Wen rührt dein Angesichte, Wen rührt dein Auge nicht mit seinem Götterlichte? Auf, Warschau! öffne dich! du königlicher Sitz, Empfange deinen Held mit der Carthaunen Blitz, Entdecke deine Lust in frohen Lobgesängen, Laß deine Jugend sich mit Macht entgegen drängen, Des Königreiches Schmuck, die Hoffung später Zeit.; Dann magst du, edles Volk, mit reger Freudigkeit, Zu Hause manchen Kranz aus Lorberzweigen binden, Und sie des Fürsten Bild um Haupt und Schläfe winden. Und wenn du dergestalt mit andachtvoller Hand Dem Haupte deines Staats den Weihrauch angebrannt; So ruffe noch zu Gott: Er woll ihn lange schützen, Des Reiches schwere Last durch seinen Arm zu stützen. So spricht sie und verbirgt, in der bestandnen Fluth, Ihr weißbereiftes Haupt. Doch wie wallt uns das Blut? Wie schmerzt die Wunde nicht, wenn wir erwegen wollen, Daß wir, o Vater, dich indeß entbehren sollen, Da du dich uns entzeuchst. Wiewohl uns tröstet schon Dein Friederich August, dein königlicher Sohn, Der Erbe deines Stuhls und deiner Heldengaben, Der ists, der wird das Land an deiner Stelle laben. Er ist an Weisheit groß, an Tugend ungemein, Und wird der Völker Trost, der Länder Wonne seyn. Dieß lindert Meißens Schmerz. Seyd frölich, ihr Provinzen! Ihr seht des Vaters Bild verjüngt in seinem Prinzen. Es herrscht auf späte Zeit ein Friederich August, Des deutschen Reiches Preis, des Vaterlandes Lust. O Vater! zeuch denn hin, und hilf dem edlen Pohlen. Wir haben dich bereits dem Himmel anbefohlen, Und flehn unausgesetzt um dein beständig Heil, Was sich dein Herze wünscht, das werde dir zu Theil! Und wenn du nächstes Jahr, nach ausgeführten Thaten, Darüber du dereinst zum Wunder wirst gerathen, Gesund zurücke kehrst, und mir ein Lied gelingt, Das lieblicher als dieß in deinen Ohren klingt, So soll man es von mir mit tausend Freuden hören, Dich Herr! und dein Geschlecht vor aller Welt zu ehren. III. Schreiben. An Ihro Hoheit den Königlichen und Chursächsischen Erbprinzen. 1727. Du müßtest nicht so reich an Tugend und Verstand, An Großmuth, Gütigkeit und Gnade für das Land Und andern Gaben seyn: Wenn ich mich scheuen sollte, Und heute dich, o Prinz, nicht auch verehren wollte. Allein du bist zu groß, o Friederich August! Das Land bewundert dich und nennt dich seine Lust. So bald man dich erblickt; so läßt dein hohes Wesen Des Vaters Heldenart, des Vaters Größe lesen. Wie könnte denn an dir ein treuer Unterthan Den tugendhaften Lauf, auf seiner Heldenbahn, So nah vor Augen sehn, und dennoch strafbar schweigen, Und seinen Lorber nicht vor deinen Palmen neigen. Man weis zwar, theurer Prinz, daß dieß beglückte Licht Mehr von des Vaters Ruhm als deinem Lobe spricht. Der Tag, den Stadt und Land zu ihrer Lust erkohren, Ist freylich wohl der Tag, der ihn zur Welt gebohren: Allein, Durchlauchtester, man schließt dich hier nicht aus. Das Licht, so ihn gebahr, hat Sachsens Heldenhaus Zugleich durch dich erfreut. Vom Stamme sprossen Zweige, Und wenn ich Haupt und Knie vor einer Ceder beuge; Verehr ich auch den Arm, der Nahrung, Saft und Kraft Aus ihren Wurzeln zieht, und jeder Eigenschaft Des ganzen Stammes folgt. So sind denn diese Stunden, Durchlauchter Königssohn! mit deiner Lust verbunden. Denn wer begreift es nicht, daß deines Vaters Fest, Das uns so freudig macht, sich doppelt feyren läßt: Zuerst, dieweil es uns durch ihn so sehr beglücket; Hernach, weil du durch ihn das Licht der Welt erblicket. Fürwahr, Johann Georg, der Nestor seiner Zeit, Erblickte jenen Tag mit vieler Freudigkeit, Daran ihm sein Gemahl den andern Prinzen brachte, Aus dem die Majestät schon in der Wiege lachte. Und da sein ältster Sohn, nach kaum erlangter Chur, So früh, so unverhofft zu seinen Vätern fuhr; So wäre dieß Geschlecht zu zeitig aufgerieben, Dafern es nicht annoch im Bruder übrig blieben. Wir hätten nach der Zeit die Thaten nicht gesehn, Die durch den Herkules der deutschen Welt geschehn. Die Krone hätte noch den Churhut nicht geschmücket, Der Adler wäre nicht zum Rautenkranz gerücket, Und das Erzmarschallschwerdt der Sachsen wäre nicht Dem Reuter beygesellt. Doch was der Himmel spricht, Dem kann, Durchlauchter Prinz, kein Zufall wiederstreben. Gott wollte Sachsens Stamm Thron, Kron und Zepter geben; Drum gab er ihm ein Haupt, das Unglück und Gefahr, Sowohl als Glück und Pracht zu tragen, fähig war: Drum mußte dazumal, zum Schmuck und Heil der Erden, Ein Friederich August zur Welt gebohren werden. Mich dünkt, o großer Prinz, dein Herz wird hier entflammt, Indem dein Glück nächst Gott von diesem Helden stammt. Du selber bist zwar groß, und stralst mit eignem Lichte, Man sieht ja freylich wohl in deinem Angesichte Was kronenwürdiges. Denn was dich trefflich macht, Ist dir an Geist und Leib vom Himmel zugedacht; Und Sachsen würde dich, von wegen solcher Gaben, Aus ungezwungner Wahl zum Haupt erkohren haben. Doch wie der Aeltern Glanz auch auf die Kinder fällt, Und ihre Trefflichkeit noch mehr vor Augen stellt; So mehrt sich auch dein Licht durch deines Vaters Stralen. Du darfst nicht fabelhaft, wie Alexander, pralen, Daß Hammons Jupiter dein rechter Vater sey: Die Wahrheit steht dir selbst mit größern Ahnen bey. Sonst rühmte sich ein Held, er stamme von Alciden, Du, königlicher Prinz, bist noch weit mehr zufrieden, Daß Friederich August, dem du so ähnlich bist, Dein Anherr, was? noch mehr! dein eigner Vater ist. Herr, drum gefällt es dir, daß wir den König loben: Wer deinen Vater rühmt, der hat auch dich erhoben. Ja, Prinz, drum wünscht man dir, an deines Vaters statt, Zu diesem Tage Glück, der ihn gebohren hat. Man weis, du gönnest ihm ein unverrückt Gedeihen, Man weis, es kann dich nichts so ungemein erfreuen, Als deines Vaters Heil. Sein überstandner Schmerz Gieng wahrlich keinem so wie dir, o Held, ans Herz. Du selber bist mit uns vor Gottes Thron getreten, Du selber hast ihn jüngst für dich und uns erbethen; Das macht August beherrscht zwar selber seinen Staat: Doch setzt er dich dabey zu seinem nächsten Rath. Er liebt Gerechtigkeit, und du, o Herr, desgleichen, Muß ihm Vespasian, so muß dir Titus weichen. Vergib, Durchlauchter Prinz, daß sich ein Fremdling wagt, Und was er heute denkt, mit froher Ehrfurcht sagt. Ich bin dir ewiglich zu Dank und Dienst verbunden, Ich habe Schutz und Ruh bey deinen Schwerdtern funden. O nähme mich dein Land zu seinem Bürger an! Ich bliebe Lebenslang dein treuster Unterthan. Und strebte, bis ich mir einmal den Ruhm erworben: Als Friedrich Augusts Knecht ist er vergnügt gestorben. IV. Schreiben. An Ihro Durchl. den regierenden Fürsten zu Schwarzburg-Rudolstadt. I.f.N. Durchlauchtster Fürst und Herr, darf man sich unterstehn, Dir, durch ein schlechtes Blatt, vors Angesicht zu gehn, Und dir den muntern Blick der holdesten Sophien, Der Fürstinn, die du liebst, in etwas zu entziehen; So schaue, was sich hier der Knechte Pflicht erkühnt, Die, da sie dir mit Lust und fester Treue dient, Dich heute segensvoll, mit Wünschen und mit Bethen, Zum zweytenmal gesehn in Hymens Orden treten. Wir spüren allzuwohl das alles, was du bist; Ein Fürst, dem nichts als Ruhm und Tugend eigen ist; Ein gütiger Regent; ein Vater deines Landes; Ein Freund der Wissenschaft; ein Kenner des Verstandes. Die Klugheit wohnt in dir, du bist des Höchsten Bild, Ein unerschöpfter Quell, daraus die Wohlfahrt quillt, Die Rudolstadt bisher, in viel beglückten Jahren, Von deiner Hand geneust, in deinem Schutz erfahren. Wenn dich der Adel liebt, wenn dich der Bürger ehrt, Wenn dir der Diener Herz als eigen zugehört, Wann dich die Musen selbst, als ihren Schutzgott lieben, Die sich, da du sie nährst, in freyen Künsten üben: Denn wird ja jedermann vollkommen überführt, Daß sich was Göttliches in deinem Wesen rührt, Und spricht von dir: Anton verdient, vor hundert Prinzen, Ein vielmal größer Reich an Völkern und Provinzen. Und wem befremdet das? Dein gnädiges Gemüth, Das deiner Diener Herz stets fester an sich zieht, Lehrt dich das Regiment, nach Vorschrift jener Alten, Nicht für ein schlechtes Werk, auch für nichts leichtes halten. Darum regierst du so, daß sich ein Vatergeist In allem, was du thust, belohnst und strafest, weist. Tyrannen lassen sich beym ersten Anblick scheuen; Du bist bemüht, dein Volk und alles zu erfreuen. Dein ungemeiner Sinn hat jederzeit erkannt, Ein Fürst sey für das Volk, und nicht für ihn das Land; Er sey dem Unterthan, nicht dieser ihm, gebohren. Drum hältst du jeden Tag, wie Titus, für verlohren, Daran dein kluger Arm, der selbst das Ruder lenkt, Nicht auch mit milder Hand den Dürftigen beschenkt, Die Wittwen oft versorgt, der Waysen Haupt geschützet, Der Unschuld Recht geschafft, die Tugend unterstützet. Wohin geräth der Kiel, da ihn dein Lob entzückt? Verzeihe, theurer Fürst! so bald man dich erblickt, Vergißt man seiner selbst, verfehlt man seiner Pflichten, Und säumt zuweilen gar, das Beste zu verrichten. Dein froher Hochzeittag, ein Tag voll Lieb und Lust, Daran dein fürstlich Herz, an seiner Fürstinn Brust, Sein altes Leid vergißt, erweckt auch unsre Sinnen. Wir sehn an deiner Hand den Schmuck der Prinzeßinnen, Wir sehn und ehren sie, und stutzen zweifelsvoll, Wodurch man dieses Fest nach Werth erheben soll, Wodurch man tüchtig sey, theils dich, und theils Christinen, Dieß neue Glücksgestirn, mit Eifer zu bedienen. Sie sieht der Pallas gleich an Minen und Gesicht, Weil ihr der Weisheit Stral aus beyden Augen bricht. Ihr Herz liebt Gottesfurcht, da ein geweihter Orden Bisher in Gandersheim ihr Aufenthalt geworden. Wo Witz und Frömmigkeit nun beyeinander stehn, Da folgt der Segen nach, da folgt das Wohlergehn, Da steht des Himmels Huld, so ihr, als andern, offen, Was kann nun Schwarzburg nicht von dieser Fürstinn hoffen? Wohlan, so kröne denn des Höchsten Gnadenhand, Durchlauchtes Fürstenpaar, dein neuverknüpftes Band, Es schmücke sich dereinst, nach viel vergnügten Jahren, Bey Kräften, Glück und Heil, dein Haupt mit grauen Haaren. Seyd beyde, wie bisher, der treuen Bürger Lust, Und nehmt die Ehrfurcht an, die eurer Diener Brust Euch voller Zärtlichkeit und treuer Liebe weihet, So wird man freudig sehn, daß unser Wunsch gedeihet. V. Schreiben. An die Königliche und Churfürstl. Sächs. Hofmalerinn, Frau Wernerinn, 1729. Du Tochter der Natur, berühmte Künstlerinn! So wahr ich, wie du weist, ein Freund der Musen bin, So treulich schwer ich dir, daß deine Kunst vor allen, Die Dreßden in sich hegt, mir neulich wohlgefallen. Dem Freunde dank ichs noch, durch den es mir geglückt, Daß ich manch Meisterstück von deiner Hand erblickt, Ja, daß ich dich zugleich, die Meisterinn gesehen, Du Zierde deiner Zeit! Der Tag, da dieß geschehen, Soll unvergeßlich seyn. Ich halt ihn ewig werth, Und wenn der Moder mir einst Hand und Kiel vezehrt, Soll doch die späte Zeit aus diesen Zeilen lesen, Daß du, o Künstlerinn, auch mir bekannt gewesen. Ihr Meister von Athen, die der vernarrten Welt So manches Wunderbild zum Abgott dargestellt; Ihr Künstler, die ihr sonst mit zarten Pinselzügen Einander oft gesucht, im Wettstreit zu besiegen; Ihr, deren Zauberkunst der wilden Vögel Schaar, Durch die gemalte Frucht ein falsches Lockbrodt war; Ja, deren Hand so gar die Künstler selbst betrogen, Die ein gemaltes Tuch vergebens weggezogen: Ach prahlt doch ja nicht mehr! das kleine Preussenland Beschämt euch itzt so gar durch eine Weiberhand, Hat euren Witz erreicht, und läßt die Männersinnen, So stark sie immer sind, den Vorzug nicht gewinnen. Wer traf wohl unter euch so glücklich die Natur? Wer folgte so getreu der immer sichern Spur Der Wahrheit und Vernunft? Wo wiesen eure Werke, So viel Erfindungskraft, Geist, Ordnung, Leben, Stärke? Stolziere nur, Apell, mit Alexanders Gunst! Vielleicht verstund er sich nicht mehr auf deine Kunst, Als auf die Poesie; wo er die magern Proben Des albern Chörilus, wie den Homer, erhoben. Wer weis auch, ob dirs nicht durch Schmeicheley geglückt: Wenn du vielleicht sein Bild weit schöner ausgedrückt, Als er wahrhaftig war; den Mangel seiner Länge Durch deinen Riß ersetzt; ein göttliches Gepränge Um seinen Thron gemalt, als war er Hammons Sohn? Das, das gefiel ihm recht! Man kennt die Stolzen schon, Die voller Eitelkeit die Künstler doppelt zahlen, Von welchen sie sich sehn nach ihrem Dünkel malen, Bald fett, bald jung, bald schlank, bald lieblich, weiß und roth; Das bringt auch Hudlern Lob, den ärgsten Stümpern Brodt. Und kurz, wir würden nichts von dem Apelles lesen, Wär eine Wernerinn in Griechenland gewesen. Dieß merkte nicht gar längst der Sachsen Haupt, August. Zwar Dresden war bereits der freyen Künste Lust; Die Baukunst, die Musik, das Schildern, Schnitzen, Dichten, Und was die Meister sonst in Gold und Stein verrichten; Das alles und was hier der Reim nicht fassen kann, Trifft man vollkommen schön in seinem Chursitz an. Wer kennt nicht Pantalons berühmte Wunderseyten? Wer ehrt nicht Dinglingern in seinen Seltenheiten Der Kunst und der Natur? Wem ist Balthasars Hand In Marmor, Pellegrin in Farben unbekannt? Die alle liessen schon, in ungemeinen Werken, Den edelsten Geschmack der alten Römer merken; Die nährte schon August in seiner Mauren Schooß, Und ward dadurch sowohl, als durch sein Herrschen groß; Doch fand er, wenn sein Blick die Künstler überzählte, Daß ihm die Meisterinn, die Wernerinn, noch fehlte. Der Mangel that ihm weh. Er rief dich aus Berlin, Und hieß dich von der Spree an seinen Elbstrom ziehn, Dort liebte dich der Hof, der Prinz, die Prinzeßinnen; Hier suchte Dresden dich durch Wohlthun zu gewinnen. Allein, der Wink Augusts und deiner Eltern Wort War ein zu starker Zug; so gieng der Abzug fort. Dein Danzig zeugte dich, du Schmuck von unserm Preußen. Die Mark hat dich geliebt, itzt lohnt und nährt dich Meißen. Das edle Meißnerland, wo noch die Kunst besteht, Und keiner, der was kann, verächtlich betteln geht. Das macht, hier herrscht August, der alle Künste liebet, Und keinem Ludewig den mindsten Vorzug giebet; Der selbst ein Kenner ist, und nie aus Unverstand Dem, der es nicht verdient, Besoldung zugewandt. Der Held, bey dessen Schwerdt die Musen sicher wohnen, Den trieb die Großmuth an, auch deiner Kunst zu lohnen. Das ists, o Künstlerinn, was deinen Ruhm erhebt, Darnach so mancher geizt, und ihn doch nie erlebt. Das zeigt von deinem Werth, und wird die Nachwelt lehren, Wie höchst gerecht wir sind, indem wir dich verehren. Die Nachwelt nenn ich hier, und dieses mit Bedacht; Weil deine Meisterhand dich unvergeßlich macht, Und selbst die Musen dir kein großes Opfer zollen, Wenn sie dein Lob und dich der Zeit entreissen wollen. Denn du vermählst dich selbst mit der Unsterblichkeit, Die Proben deiner Kunst kennt Deutschland weit und breit. Man werfe nur den Blick auf unsers Canitz Schriften, So ihm und seinem Geist ein ewig Denkmaal stiften; So sieht man dich dabey. Manch prächtig Kupferblatt, Darinn sich deine Hand so stark gewiesen hat, Verewigt deinen Ruhm, auch sonder unsre Flöten. Was brauchst du dergestalt die Lieder der Poeten, Und ihrer Seyten Klang? Dieß schmerzt und kränket mich. So hoch ich dich verehr, so gerne rühmt ich dich Durch ein unsterblich Lied, dich einst berühmt zu machen. Denn was besitz ich sonst den Moder zu verlachen; Als meine Poesie, die Schwester deiner Kunst; Als einen Lorberzweig, den mir der Musen Gunst Vom deutschen Pindus bricht? Der wünschte dir zu dienen, Der wollte gern einmal um deine Schläfe grünen. Den Lorber um mein Haupt? So fragst du hier vielleicht: Ja freylich! wie gesagt. Und wo dirs fremde deucht, So höre meinen Grund. Ich zürne mit den Alten, Die deine Wunderkunst nicht mehr im Werth gehalten. Neun Musen glaubte man: Doch für die Malerey War keine Gottheit da, kein Frauenbild dabey. Wie kam das immermehr? Was hatte sie verschuldet, Daß Phöbus sie nicht auch auf dem Parnaß geduldet? War Daphne nicht von ihr so vielmals vorgestellt, Wie sie der Arme Paar empor geschwungen hält, Und wie sich Hand und Haupt, bevor er sie berühret, In Lorberäste kehrt, in Zweig und Blatt verliehret? Hat sie nicht seinen Berg, der klugen Schwestern Sitz, So wohl bekannt gemacht, als aller Dichter Witz? Und braucht ihr Wesen nicht sowohl des Himmels Gaben, Als Dichtkunst und Musik dieselben nöthig haben? Fürwahr es ist nicht recht, daß man sie nachgesetzt, Und sie der Musen Huld nicht gleichfalls werth geschätzt. Drum wird man künftig hin dich Wernerinn erwählen, Und für die Malerkunst als zehnte Muse zählen. Du bist der Ehre werth, weil du die erste bist, Dadurch der Männerzunft der Preis entzogen ist, Der Preis in deiner Kunst. Man ehret zwar mit Rechte Den ungemeinen Werth am weiblichen Geschlechte. Sie haben Geist und Witz, Verstand, Belesenheit, Kunst, Sprachen, Wissenschaft, ja Muth und Tapferkeit, Und noch weit mehr gezeigt. Wird Sappho nicht gepriesen? Wie hat Theano sich vor grauer Zeit gewiesen? Wer kennt Aspasien und ihre Weisheit nicht, Von welcher Griechenland mit solchem Ruhme spricht? Wer will Cornelien, der Mutter jener Grachen, In dem gepriesnen Rom, ihr Lob zu Schanden machen? Wo bleibt die Scudery, die edle Schurmanninn, Die kluge Dacier und Preußens Möllerinn, Und soviel andre mehr, die wir noch lebend ehren? Allein, wo wird ein Mensch von diesen Frauen hören, Daß sie den höchsten Grad in ihrer Kunst erreicht, Und daß der Männer Hand vor ihren Künsten weicht? So hoch sie es gebracht, in allem, was wir lesen, So ist es freylich wohl, für Weiber, viel gewesen; Für Männer aber nicht. Fürwahr, Anacreon Trägt vor der Sappho doch den Lorberkranz davon. Und so gehts überall. Nur du und deine Künste Entziehn den Meistern selbst die herrlichsten Gewinnste. Ach denke selber nach, ist dieses nicht zu viel? Auf! stecke deiner Kunst bescheidentlich ein Ziel; Und sey die erste nicht, die, eh man es geglaubet, Dem männlichen Geschlecht das Vorzugsrecht geraubet. Wiewohl du fährest fort und strebst dem besten nach, Und denkest nicht so wohl an unsrer Meister Schmach, Als an den Grad der Kunst, den sie erreichen sollten, Dafern sie deine Hand zurücke lassen wollten. Wie herrlich schützest du des Vaterlandes Ruhm? Denn die Erfindungskraft ist auch dein Eigenthum. Ein Schüler macht zur Noth ein Nachbild fremder Werke; Du sinnst was eignes aus, und zeigest uns die Stärke Des Geistes, der dich treibt, der durch die rege Kraft Dem Schöpfer ähnlich wird und stets was neues schafft. So kannst du denn mit Recht die Gallier verlachen, Und Welschlands Uebermuth und Ruhm zu Schanden machen, Die eine deutsche Faust für viel zu dumm geschätzt, Als daß sie selbst einmal ein Bild ins Werk gesetzt, Was sie zuerst erfand. Es ist sehr oft geschehen, Daß dich die Franzen selbst für fränzisch angesehen, Die Welschen gar für welsch, (so fertig spricht dein Mund Den beyden Völkern nach, daß der Betrug bestund,) Doch wenn sie neben dir dein Meisterstück betrachtet, Und stolz auf deine Kunst, der Deutschen Witz verachtet, Des Risses Schönheit, Geist, und Ordnung angemerkt, Und ihren Wahn dadurch noch mehr und mehr bestärkt; Hast du dich selbst entdeckt, und ihrem Stolz zu Schanden Dein deutsches Vaterland ganz frey heraus gestanden. Ich schweige, Künstlerinn, wie deines Pinsels Fleiß Der Vorschrift der Natur so scharf zu folgen weis; Dein kleines Hündgen läuft vor dem gemalten Hunde, Und bellt dein Kunststück an, so ihm vor Augen stunde. Ich schweige, daß die Welt zwar vieler Frauen Geist, In mancher andern Kunst, doch nicht in deiner preist: Indem wir fast kein Weib in den Geschichten lesen, Die eine Meisterinn der Malerkunst gewesen. Ich schweige, wie du dich in Büchern umgesehn, Wie du, was vor der Zeit im Alterthum geschehn, Auf deinen Fingern zählst; die Fabeln der Poeten, Die Sittenlehre kennst. Denn was ist das vonnöthen? Das Lob der Malerkunst schließt alles dieß schon ein, Und wer das nicht versteht, der kann kein Meister seyn. O wenn mein Opitz nur aus seinem Grabe blickte, Der seinen Strobel sonst der Sterblichkeit entrückte, Und deine Bilder sah: Wie würd er sich bemühn, Dich, edle Wernerinn, mit Ruhm hervorzuziehn, Und deines Pinsels Kunst weit würdiger zu loben, Als seines Schülers Kiel hier dich und sie erhoben! VII. Schreiben. An ein Paar Landesleute nach Halle bey ihrer Magisterpromotion 1728. Was hör ich? Ist es wahr? Ihr Freunde, zeigt mir an, Wie weit ich dem Bericht aus Halle glauben kann? Man sagt, Ihr beyde seyd in den Magisterorden Verwichne Woche nur mit Ruhm erhoben worden. So sehr gemein das Ding, hier wo die Pleiße fließt, Und in der Nachbarschaft auf Luthers Lehrstuhl ist; So seltsam dünkt es mich, daß man bey euch desgleichen Der Weisheit edlen Kranz, euch Pallaskindern reichen, Und euch belohnen will. Die stolze Themis zwar Und Meditrine prangt mit Tempel und Altar; Indem Eusebia, den Sitz von diesen Beyden, Wo sie die Hofstadt hält, noch ziemlich pflegt zu leiden. Allein Minervens Geist, die Philosophenzunft, Der thörichte Verstand, die heydnische Vernunft, Ist ihrer Heiligkeit vorlängst verhaßt gewesen. Denn wer den Plato liebt, den Stagirit gelesen, Den klugen Tullius und Seneca studirt, Ja gar der seltnen Brut der Zweifler nachgespürt; Der grübelt allzuviel mit thörichten Gedanken, Und will sich gar zuletzt um Glaubenspuncte zanken. Bald ist ihm das nicht recht, bald fällt ihm da was ein; Er will ein schlauer Luchs und andrer Argus seyn: Denn kann sein spitzer Kopf nicht jeden Satz begreifen, So sieht man ihn mit Macht die Zweifelsknoten häufen. Er pocht auf die Vernunft und macht den kühnen Schluß: Daß sie als Richterinn den Streit entscheiden muß; Ja liesse sich wohl gar viel lieber Geist und Glauben, Als den geringsten Satz aus seiner Weisheit rauben. Wie billig ist es denn, daß man mit Vorbedacht, Bey euch nicht gar zu viel aus Philosophen macht; Die Einfalt höher schätzt, als des Verstandes Gaben, Die mit Natur und Welt zu viel Gemeinschaft haben! Ihr Freunde, seht ihr nun, was mich in Zweifel setzt? Ich wundre mich, daß euch ein Lorberkranz ergetzt: Da ihr doch willens seyd das Eitle zu verfluchen, Das wahre Christenthum mit allem Ernst zu suchen, Von lauter Gnade sprecht; hingegen Fleisch und Blut, Dem Geist, Vernunft und Witz fast immer Vorschub thut, Ersticket und verdammt. In Wahrheit, dieß Bezeigen Erweckt in meiner Brust ein zweifelhaftes Schweigen. Denn wie stimmt euer Thun mit eurer Absicht ein? Wie kann man weis' und fromm, gelehrt und heilig seyn? Die Weisheit dieser Welt für Aberwitz erkennen; Und sich doch öffentlich der Weisheit Meister nennen? Sucht in Geschichten nach, wie manche Ketzerey Die schnöde Misgeburt der Philosophen sey? Wie manchen Irrthum schon die Weisheit ausgehecket, Wenn man sich gar zu sehr in ihren Wust gestecket. Wenn Manes, Marcion, Nestor', Origenes, Arius, Macedon, Novatus, Eutyches, Celest' und sein Gesell Pelagius gelermet; Da hat ja, wie man glaubt, bloß die Vernunft geschwärmet. Was Abälard, Servet, Socin, Arminius, Crell, Grotius und Lock, Selden und Clericus, Spinosa, Connor, Brown, und Hobbes ausgesonnen, Was Whiston neulich noch für Thorheit angesponnen, Das alles brütet ja der menschliche Verstand, Deutsch, Weisheit; Griechisch sonst Philosophie genannt. Ist nun Minervens Kunst ein Quell der Ketzereyen; Wer wollte nicht den Putz von ihren Händen scheuen? Jedoch mir fällt was ein. Vielleicht ists euer Scherz? Ihr schenkt der Pallas wohl so wenig euer Herz, Als mancher heilig ist, der Kopf und Nase hänget, Bis er sich unvermerkt in Christi Schafstall dränget. Ihr richtet euch vielleicht nach unsrer Modewelt, Wo man der Titel Pracht für unentbehrlich hält, Weil sie so trefflich wohl vor unsern Namen klingen; Gesetzt, man wüßte nichts ans Tageslicht zu bringen, Dadurch man sie verdient. Die Weisheit sonderlich Theilt sie oft häufig aus, und sieht wohl neben sich Ein Schock Gekrönte stehn, davon fast sechs bis sieben Getrost entschlossen sind sich künftig drinn zu üben. Die andern insgesamt gestehens öfters frey, Daß Pallas ihnen kaum von Ansehn kennbar sey. Und was? Wie mancher ist, nachdem der Lehrerorden Ihn öffentlich geschmückt, noch kaum ihr Schüler worden? So, Freunde, nehmt ihr auch vielleicht den Titel an, Daß man euch künftig nur Magister nennen kann. Nicht, weil ihr Willens seyd zu schreiben und zu lesen, Bloß weil zu dieser Zeit die Mode so gewesen. Nein, Werthe! Nein, ich weis, ihr seyd von andrer Art. Ihr habt in Pallas Dienst nicht Oel, nicht Schweiß gespart, Der Weisheit und Vernunft viel Jahre nachgespüret, Den Geist mit Wissenschaft und mancher Kunst gezieret, Und euch geschickt gemacht im Lehrerschmuck zu stehn, Und andern, als ein licht im Dunkeln, vorzugehn. Ihr habt vorlängst erkannt, daß unser Christenglaube Das menschliche Geschlecht nicht der Vernunft beraube, Daß ein geübter Geist die Schriftgelehrsamkeit, Viel besser fassen kann, und oft in kurzer Zeit Noch eins sowohl begreift, als wenn sich dumme Köpfe, Die weder Gott noch Welt, noch irgend ein Geschöpfe Mit Augen der Vernunft erkannt und angesehn, Doch in Geheimnissen zu forschen unterstehn. Kein Wunder ist es denn, daß euch Minerva krönet, Ihr habt das Vorurtheil der blinden Welt verhönet, Die unsers Glaubens Bau mit lockerm Sande stützt, Und die Vernunft verwirft, die doch am meisten nützt. Glück zu! Geehrte Zwey! Betretet einst die Stuffen Dahin Verdienst und Glück Euch um die Wette ruffen. Das kluge Königsberg erwartet eurer schon: Wie sehnlich hofft allda so mancher Musensohn Auf eure Wiederkunft, die wohlgefaßten Lehren, Wie schon bisher geschehn, noch ferner anzuhören. Zu Mustern stellet euch ein theures Kleeblatt für Die Lust Eusebiens, Minervens Schmuck und Zier, Wer sind sie? Fragt ihr noch? Ganz Preussen wird sie kennen, Und Quandten, Lilienthal und meinen Kreuschner nennen. 6. Kapitel VI. Kapitel I. Satire. Die Reimsucht. PERSIUS. CORUOS QUIS OLIM CAESAREM SALUTARE, PICASQUE DOCUIT NOSTRA VERBA CONARI? MAGISTER ARTIS, INGENIQUE LARGITOR VENTER; NEGATAS ARTIFEX SEQUI VOCES. QUODSI DOLOSI SPES REFULSERIT NUMI, CORUOS POETAS ET POETRIAS PICAS CANTARE CREDAS PEGASEIUM MELOS. Verstimmte Seyten auf! verstummte Töne klingt! Da ein verwegnes Volk auf allen Strassen singt, Da so viel Stümper itzt auf lahmen Fiedeln geigen, Darf meine Leyer wohl durchaus nicht langer schweigen. Jedoch, besinne dich, mein übereilter Geist, Ersticke Trieb und Lust, die dich zum Dichten reißt. Ist dir der Musen Kunst noch nicht versalzen worden, Nachdem des wilden Pans verhaßter Sängerorden, Itzund so manches Nest voll Jungen ausgeheckt, Und durch die rohe Brut halb Deutschland angesteckt? Man hört ja mit Verdruß die Hungerlieder schallen, Die das geborgte Rohr, dem Magen zu gefallen, Dem Drucker zum Gewinn, aus Noth erzwingen muß. Man sieht ja dieses Volk, durch übereilten Schluß, Ein welkes Pappelreis an statt der Lorbern wählen, Und nachmals sich ganz frech zu Phöbus Söhnen zählen. Ganz Sachsen ist erstarrt, und wundert sich dabey, Die deutsche Welt erschrickt, und weis nicht, was es sey. Wie kömmt es, fragt man oft, daß sich, auf allen Gassen, Das Dichtervolk bisher so häufig hören lassen? Man hat ja jederzeit vom Musengott gehört, Daß er nicht alle Welt mit seiner Gunst beehrt. Das alte Griechenland hat in viel hundert Jahren Kaum sechs bis siebenmal ein solches Glück erfahren. Ein Orpheus, ein Homer, und ein Hesiodus, Ein großer Sophokles, Menander, Pindarus, Sind fast allein berühmt. Und Rom, das Haupt der Erden, Schien auch vorzeiten zwar an Dichtern reich zu werden; Doch sungen Varius und Maro fast allein. Ja nahm man irgend wen in diesen Orden ein, So mußte doch sein Ton gleich Flaccus Oden klingen, Und wie Ovidius mit reiner Stimme singen. Doch itzo, wie man sieht, verkehret sich die Welt. Die deutsche Dichterzunft ist trefflich wohlbestellt! Die Mücken wären fast in warmen Sommertagen, Viel leichter, als der Schwarm der Sänger zu verjagen, Der um die Pleiße, Saal, und Elb und Oder summt. Man gebe doch nur acht, wie alles heult und brummt; Wie manche Leyer kreischt, wie mancher Dichter schreibet, Daß fast kein Blatt Papier zu andern Sachen bleibet. So klagt Germanien sich selber seine Noth. Und freylich hat es Recht. Denn Opitz ist ja todt. Ein Flemming und ein Dach und Tscherning ist verschwunden; Auch Canitz liegt vorlängst, wie Amthors Geist gebunden; Auch Günther ist dahin. Kein edler Besser lebt, Und Neukirch selber stirbt, den Phöbus noch begräbt. Die alle dorften sich um keine Kränze reissen, Die Musen liessen gern sich ihre Schwestern heissen. Drum sieht sie Deutschland auch als große Dichter an, Man kennet ihren Geist, man weis, was sie gethan. Die späte Nachwelt wird die edlen Lieder preisen. Doch seht, da wir die Welt auf diese Meister weisen, Erhebet sich ein Schwarm, der um ein Frühstück reimt, Der lauter Rastrum säuft und von den Hefen schäumt: Und will sich mit Gewalt, durch sein erbärmlich Singen, Auf den geweihten Sitz des Musenfürsten dringen. Der ehrliche Hans Sachs lacht selbst in seiner Gruft, Wenn solch ein rauher Schall bis in die dunkle Kluft Der Unterwelt ertönt. Er rufft: Ihr ekeln Zeiten, Was hat doch das Geschrey der Stümper zu bedeuten, Davon der beste kaum mein Schüler heissen mag? Ich denke tausendmal an den vergnügten Tag, Da meine Leyer mich zum Haupte der Poeten Am Pegnitzstrom gemacht. Da wurden keine Flöten Geduldig angehört, wo nicht der reine Klang, Fein zärtlich in das Ohr und in die Herzen drang. Wie kann denn itzt die Welt das tolle Volk ertragen? Itzt, da man lieblicher die Seyten weis zu schlagen; Da meine Dichtkunst selbst in blöder Röthe steht, Und für gerechter Scham allmählich untergeht. Ich selber würde ja, die Sudler auszulachen, Ein spöttisch Strafgedicht in Knittelversen machen. Doch hört der Pöbel noch das kahle Lobesan, Des ungehirnten Chors mit großem Eifer an; Bewundert, was er hört, und läßt wohl täglich fragen: Ob Bav und Mäv kein Lied dem Drucker hingetragen? Das macht die Sängerzunft mit ihren Reimen stolz. Ihr kühner Arm will sich, aus grobem Erlenholz, Ein festes Stuffenwerk auf Pindus Spitzen bauen, Das blöde Musenvolk empfindet Furcht und Grauen, Und gläubet, daß Silen den Berg zu stürmen dräut; Weil alles, was man hört, gleich seinem Thiere schreyt. Apollo kann indeß das Lachen kaum verhalten, Und wird sein hohes Amt zur Lust also verwalten, Daß, wenn dieß kühne Heer für großer Thorheit schwärmt, Und trunknen Bauren gleich vor seinem Tempel lermt, Merkur, für einen Kranz von frischen Lorberzweigen, Nur Hasenpappeln soll um ihre Scheiteln beugen. Und solches nach Verdienst. Denn wer nimmt nicht in acht, Was für Verwirrungen ihr Wahnwitz ausgedacht? Man will dem Scheine nach gebundne Reden schreiben, Und läßt die Zeilen doch so durch einander treiben, Daß nirgends Reim und Reim an seinem Ort erscheint. Ein Leser irret sehr, der da zu finden meynt, Was ihm die lange Zeit vermögend ist zu kürzen: Ein solches Blatt wird ihn in Scheu und Ekel stürzen. Geht auf den Trödelmarkt, da hat man Briefe feil; Selbst Name, Jahr und Tag hat an den Versen Theil. O unerhörte Kunst! wo hast du deines gleichen? Es muß Athen und Rom vor deinem Meister weichen; Die auch nach ihrer Art so manchen Brief gemacht, Doch solche Künste nicht ins Sylbenmaaß gebracht. Wie mancher läßt uns noch ein abgeschmackter Wesen, In neuen Zeitungen vom Venussterne lesen? Was heckt Frau Fama nicht für saubre Jungen aus? Kurz, dieser Helikon ist wie ein Narrenhaus, Wo Aberwitzige mit offnen Augen träumen, Und wie Beseßne thun, in ihrem Anfall schäumen. Ich sage nicht zu viel. Der halbverrückte Sinn Kleckt alles, was ihm träumt, auf seine Blätter hin. Da sieht man Geilheit, Spott, Verläumden, Lästern, Schmähen, Und tausend Possen mehr in allen Zeilen stehen. Ja, wie wohl sonst ein Thor den andern ausgelacht, Der sich aus Aberwitz zum Großvezier gemacht, Sich selbst indessen doch den Tartarcham geheissen: So pflegt sich auch bey uns dieß Dichterchor zu beissen. Der eine sticht auf den, und der auf diesen los, Wer andre nackend schilt, der geht doch selber bloß, Man tadelt, was man thut, und lobt wohl gar zuweilen Auch Stümper, wenn sie nur ein schmeichlend Lob ertheilen. O du belobtes Volk! du Zierde dieser Zeit, Du, du verdienst mit Recht die Unvergeßlichkeit; Du wirst der Deutschen Schimpf an welschen Zungen rächen, Und den geschwollnen Muth der stolzen Franzen brechen: Die voller Sprödigkeit auf unsre Sprache sehn, Und deutscher Lieder Ton als rauh und grob verschmähn. Du weist den Vorwurf wohl am besten abzuwälzen, Wenn Reim und Einfall hinkt, so hebst du sie auf Stelzen. Das Deutsche ganz allein beleidigt dein Gehör, Ein fremdes Wort erhebt der Zeilen Anmuth sehr. Die Muttersprache scheint zu knarren und zu zischen, Drum denkst du mit Bedacht was Sanftes einzumischen. Berühmte Heldenthat, die unsern Ruhm erhöht! Ein Deutscher ist gelehrt, der euer Deutsch versteht, Wie Canitz allbereits vor langer Zeit geschrieben: Denn wer euch lesen will, muß neue Regeln üben, Und grüblen, was der Sinn des hohen Dichters sey. Ein Kluger lacht euch aus, und sagt wohl gar dabey, Daß Lieder solcher Art der blöden Welt zum Schrecken, Wie Misgeburten sonst, des Himmels Zorn entdecken. Wie glücklich sind wir doch, daß Frankreich es nicht hört! Sonst dächt es in der That, durch stolzen Witz bethört, Ein Deutscher könne nichts, als sudeln, raspeln flicken, Und müsse Mund und Reim in fremde Falten rücken. Der bunten Sprache kömmt ihr bunter Einfall gleich. Ihr fruchtbares Gehirn ist an Erfindung reich. Claus Narr hat klüger Zeug zu seiner Zeit geträumet, Als dieß verwirrte Volk bey allen Sinnen reimet. Man quälet sich fast todt, um aufgeweckt zu seyn, Wem fiele von sich selbst ein lustig Scherzwort ein? Umsonst sieht man sie oft den wüsten Kopf zerkratzen, Bevor der matte Kiel ein Dutzend glatte Batzen Zum Dichterlohn erwirbt. O theure Poesie, Wie groß ist dein Gewinn für die gehabte Müh! Wer wollte nicht dafür in späte Nächte sitzen, Und wie ein Kranker pflegt, am kalten Ofen schwitzen? Kein Wunder, wenn hernach der bettelarme Geist Das erste, was er trifft, in lahme Reime schleußt. Kein Schusterjunge darf auf ihrer Straße laufen, Kein Wächter einen Krug voll Merseburger saufen, Kein Licht wird fast geputzt, kein Floh wird umgebracht, So hat es ein Poet zum Wunderwerk gemacht: Ja kein geheimer Wind darf im Verborgnen streichen, Der Dichter setzt ihm stracks ein schriftlich Ehrenzeichen. So schmutzig führen sich die neuen Musen auf, Sie sammlen Koth und Schlamm, und bauen Schlösser drauf. Drum kann kein edler Geist dieß stankerfüllte Wesen, Das nach dem Schreiber riecht, unmöglich überlesen. Die Zoten fliessen ihm mit ganzen Strömen zu, Wer kann, o großer Geist, die Kunst so gut, als du? Man hört dich allezeit von lauter Ehebrechen, Und der verletzten Zucht geschwächter Nymphen sprechen. Was ist dir Leipzig sonst, als ein verdächtig Haus? Du theilst den Federbusch an alle Männer aus, Als hättest du allein den Freyheitsbrief erhalten, Das Kuppleramt allhier Zeit Lebens zu verwalten: Damit Priapus ja im Reich der Hurerey Nicht länger ganz allein Patron und Schutzherr sey. Ja, sey es künftig nur: Wer wird es dir doch wehren? Doch darf kein kluger sich an solche Narrheit kehren. Wie Gallensüchtigen auch Wermuth bitter schmeckt, Und der, so grünes Glas auf seine Nase steckt, Nur lauter grünes Zeug vor beyden Augen spüret, Obwohl der falsche Schein nur von der Brille rühret. So muß es auch allhier den geilen Dichtern gehn: Weil ihre Lüste stets in reger Wallung stehn, Muß selbst Lucretia, die Zierde dieser Erden, Durch ihre Phantasey zur frechen Thais werden. Mein Leser, zürne nicht, daß mich der Zorn bewegt, Wer hemmt der Triebe Macht, womit uns Phöbus regt, Wenn Gänseschnäbel sich aus Unverstand nicht scheuen, Den Reim, das Heiligthum der Musen, zu entweihen. Ihr Schnattern reizte mich zu diesem Eifer an, Und machte, daß mein Kiel, der solches nie gethan, Dieß scharfe Strafgedicht auf diese Blätter spritzet. Ach daß doch Flaccus schon im Todtenreiche sitzet! Ach daß doch Juvenal nicht mehr die Welt bewohnt! Der manches Stümpers Trotz zu seiner Zeit belohnt; Wenn sein geschärfter Kiel, durch ein satirisch Lachen, Das albre Zeug gewußt zu Schimpf und Spott zu machen. Ach! daß mir nicht Despreaux den kühnen Griffel schickt, Der manchen Chapelain in seinen Vers gerückt, Vor welchem Saint Amant, Quinaut, Cotin erbebte, Da Perrault selbst zuletzt nur seiner Gnade lebte. Doch meine Muse brennt, und eifert allzusehr, Wenn ich sie dämpfen will, so flammt sie desto mehr. Ich bin dem Heucheln feind, ich muß es nur bekennen, Ich muß ein jedes Kind bey seinem Namen nennen: Was nicht bey Kräften ist, das nenn ich niemals stark, Ein Stein heißt mir ein Stein, den Steifmatz nenn ich Quark. Ein Narr heißt mir nicht klug, die Zwerge sind nicht Riesen. Und wer es nicht verdient, wird nie von mir gepriesen. Ja sollt es einst geschehn, daß unsre Dichterschaar So lang an Ohren wär, als vormals Midas war: So würde man, wie dort aus den beschilften Röhren, Den Ruff: Dieß tolle Volk hat Eselsohren! hören. II. Satire. Der Mensch. JUUENALIS. HUMANI GENERIS MORES TIBI NOSSE VOLENTI, SUFFICIT VNA DOMUS. Verdammter Gulliver! was brütet dein Verstand, Dein fabelhafter Witz für manch verkehrtes Land? Und was hat immermehr dein roher Kopf gewonnen, Indem er uns zum Schimpf die Houynhnyms ausgesonnen; Ein seltsam Pferdevolk dem Menschen vorgesetzt, Die man Jahoos nennt, und kaum wie Esel schätzt. Verhaßter Misantrop! Du Bastard dieser Erden, Verdienst ein Pferd zu seyn, und oft gepeitscht zu werden. So schalt, so eiferte die aufgebrachte Welt, Als Swift sein Reisebuch ans Tagelicht gestellt. Wo sein verschmitzter Geist die Thorheit aufgedecket, Darein das klügste Thier, der Mensch, sich selbst verstecket. Kein Wunder, daß man zürnt. Geht in ein Narrenhaus, Und rufft den tollen Schwarm von Mann zu Mann heraus, Und wagt euch, jeglichem: Du bist nicht klug! zu sagen: Wie wird der ärgste Narr den klügsten Doctor jagen? So geht es dir, mein Swift! Du hast das gröste Recht, Und klagest mit Vernunft das menschliche Geschlecht Des Unverstandes an; du spottest unsrer Werke, Gelehrsamkeit, Gewalt, Kunst, Tugend, Pracht und Stärke; Du lachst die Thorheit aus, die man für Klugheit hält, Und tadelst dergestalt den ganzen Lauf der Welt. Das, das ist dein Versehn, dein schreckliches Verbrechen! Das heißt man, der Vernunft ins Antlitz wiedersprechen! Du hast zu viel gewagt, und etwa nicht bedacht, Daß Schmeicheley beliebt, und Wahrheit Feinde macht. Verwirf dein schlaues Buch; kauf jedes Stück zusammen, Reiß Blatt vor Blatt entzwey, und wirf es in die Flammen. Zerstampf es gar zu Koth; und geht dir keins recht an: So wiederleg es nur, wie Augustin gethan, Und laß dereinst die Welt zu deinem Lobe lesen, Daß alles, was du schriebst, nicht gleich dein Ernst gewesen. Ich seh, du lachst mich aus, und sprichst: Ich sey nicht klug; Der Zorn bestärke ja des Buches Werth genug: Die Hunde bellten nur, die sich getroffen finden; Dein Gulliver sey werth in Saffian zu binden. Genug, mein Freund, genug! Ich bin ihm selber hold. Man geb ihm einen Rock von lauter Samt und Gold, Er mag den schönsten Platz im Bücherschrank erfüllen, Denn er verdient ihn mehr als zwanzig Schock Postillen. Die Wahrheit herrscht darinn; und wenn es Fabeln sind, Was man von Liliput und Brobdingnackern findt, So dienen sie der Welt, die Lehren zu vergülden: Was pflegt ein kluger Arzt nicht Kranken einzubilden? Ich unterschreibe mich, und hab es längst gespürt, Daß unsre Welt den Witz je mehr und mehr verliert, Und von der güldnen Zeit, die man so schön beschrieben, Uns kaum ein Loth Vernunft in allem übrig blieben. Denn heißt der tolle Mensch noch ein vernünftig Thier, So rückt der Titel ihm nur seine Thorheit für; Und zeigt ihm, was er seyn, und nicht nur heissen sollte, Wenn er des Schöpfers Bild auf Erden tragen wollte. Man sage mir einmal, wo liegt das Wunderland, Das jenes Sonnenkind durch lange Schiffahrt fand; Das Sevaramber-Volk, in dessen edlen Grenzen, Witz, Klugheit und Verstand in vollem Lichte glänzen? Wer Menschen suchen will, der suche sie allda, In jener Mittagswelt, und in Utopia; Nur in Europa nicht, wo Diogen vorzeiten, Im witzigen Athen, bey so viel tausend Leuten, Sie schon umsonst gesucht, sein Licht umsonst verbrannt. O! käme Diogen in unser Vaterland, Es würd ihm alsofort so Muth als Lust verschwinden, Ein halbes Pfennigslicht zum Suchen anzuzünden. Ihr zweifelt? wagt es selbst! Steckt hundert Fackeln an, Sucht Menschen in der Welt, die niemand schelten kann; Durchziehet Stadt und Land und forscht an allen Enden, In Nord, Ost, Süd und West, in groß und kleinen Ständen; Durchsuchet jedes Reich und prüfet jeden Staat, Nehmt Bürger, Adel, Hof, ja Bauer und Soldat, Die Hochbetitelten, Gelehrten und Pedanten, Vom allerweisesten bis auf den Ignoranten, Den reichen Handelsmann, und armer Künstler Zunft, Und saget mir hernach, was spürt ihr für Vernunft? Mich dünkt, ihr werdet mir am Ende selbst gestehen, Die Fackeln fiengen an zu zeitig auszugehen. Was? wirft hie mancher ein, den dieser Satz erschreckt: Hast du noch keine Spur der Menschlichkeit entdeckt? So bist du selbst ein Narr, der uns nur Thoren nennet, Und doch aus blindem Stolz den eignen Wurm nicht kennet. Freund, übereilt euch nicht. Ich weis, ich bin ein Thor. Die Weisheit hielte mir vorlängst den Spiegel vor, Und lehrte mich zuerst in meinen eignen Werken, Auf allen Uebelstand auf alle Mängel merken. Je mehr ich mich nun selbst in schnöder Thorheit fand, Je mehr ward mir dadurch der andern Pest bekannt: Und desto billiger darf ich den Griffel schärfen, Was mir und euch gebricht, mit Eifer zu entwerfen. Als mich die Kindheit noch in Wieg und Windeln schloß, Und mein noch zarter Mund nur Muttermilch genoß, War alles, was ich that, ein Lächeln oder Weinen: Was konnte nun bey mir wohl für Vernunft erscheinen? Vielleicht hat sich bereits die Ungeduld geregt, Wenn mich die Amme nicht nach meinem Sinn gepflegt. Vielleicht ist mir bereits die Rachgier angekommen; Wenn man mir allzufrüh die süße Brust genommen. Weit stärker zeigte sich des schwachen Geistes Art, Als Fuß und Schritt gewiß, die Zunge schwatzhaft ward. Ich äffte thöricht nach, was Thoren mir gewiesen, Und lobt und that mit Lust was mir ein Narr gepriesen. Ich haßte Zucht und Fleiß, und liebte Müßiggang, Bey Büchern wurden mir die Stunden Tage lang, Und für ein eitles Spiel hätt ich mein halbes Leben, Ja Vater, Mutter, Haus und Haabe hingegeben. Und hätte man mir nicht durch Härtigkeit und Glimpf, Durch Strafe, Lohn, Verweis, Ernst, Güte, Lob und Schimpf, Das Gute beygebracht, der Lüste Schwarm gestöret; Mein Gott, wie hätten sie sich nach der Zeit empöret! Wie mächtig würde nicht die Thorheit worden seyn, Als Muth und Alter wuchs, und selbst der Freyheit Schein, Auf hohen Schulen mir der Aeltern Aufsicht raubte, Und alles zugestund, was mir mein Herz erlaubte. Dem Himmel sey gedankt, der selber mich bewahrt, Daß meine Jugend nicht, nach eingerißner Art, Den Lasterweg erwählt; dem selten wer entgehet, Weil man darauf geräth, bevor man es verstehet. Ich hab ihn oft gesehn, ich hab ihn auch begehrt. Doch hat die Vorsicht stets den ersten Schritt gewehrt; Des Fußes Trieb gehemmt, der sich, wiewohl mit Beben, Zuweilen schon entschloß, sich auf die Bahn zu heben, Die zum Verderben trägt. Daß er es nicht gethan, That meine Tugend nicht. Ich dachte kaum daran! Allein die Schickung war mir allezeit zuwieder, Und schlug mir unverhofft den bösen Vorsatz nieder. Bald hinderte mich dieß, bald fehlte wieder das: Bald störte mich die Scham, bald war es sonsten was. Ich wollt, und konnte doch die Lüste nicht erfüllen: Und war, und blieb ich fromm; so that ichs wieder Willen. Dafern das frommseyn heißt, wenn man nicht schlimm seyn kann, Weil uns die Bosheit flieht, darauf das Herze sann. Dieß ist mein Lebenslauf, ein jeder mag ihn lesen, Und forschen ob er selbst viel klüger sey gewesen? Wo war nun dazumal, als ich noch so gelebt, Die herrschende Vernunft, die man so sehr erhebt? Was war ich für ein Mensch, als sich in meinen Brüsten Nichts anders spüren ließ, als eine Brut von Lüsten? Von Lüsten, die ein Vieh, ein unvernünftig Thier, Nicht ärger bey sich fühlt, nicht halb so arg, als wir. Soll uns nicht die Vernunft die Lebensregeln lehren? Soll ihre Herrschaft nicht die bösen Triebe stören? Soll sie den Sinnen nicht mit Nachdruck wiederstehn, Und zeigen, wie man muß zum höchsten Gute gehn, Wo wir von keinem Gram und Misvergnügen wissen, Und in Zufriedenheit das ganze Leben schliessen? Wie that sie das bey mir? Hätt ich nicht manche Nacht, Und manchen sauren Tag in Büchern zugebracht, Der Sittenlehrer Kunst mit Eifer nachgespüret, Und durch ein fremdes Licht den eignen Geist regieret; Hätt ich der Weisheit nicht geduldig nachgestrebt, Die tausend Regeln giebt, wie man gebührend lebt; Und hätte sie mir nicht die Tugend jener Alten, Die man als Helden rühmt, zu Mustern vorgehalten: Ich wüßt die Stunde noch, bey männlich reifer Zeit, Sehr wenig von Vernunft, gar nichts von Menschlichkeit; Und müßte mich fürwahr nach Billigkeit bequemen, Bey wilden Bestien in Wäldern Platz zu nehmen. Du sprichst: Wer kann dafür, daß du nicht klüger bist? Gut! zeige mir den Mann, der hierinn besser ist; Der die Begierden zähmt, der stets nach Regeln wandelt, In allem, was er thut, nach strenger Tugend handelt, Nichts wünschet, nichts verlangt, als was ihm wiederfährt, In keinem Unfall murrt, sich nicht für Gram verzehrt, Die arme Tugend ehrt, das reiche Laster hasset, Sich selbst und andern nützt, nicht geizet, auch nicht prasset, Dem Feinde Gutes thut, sein Wort gleich Eiden schätzt, Verleumder niemals hört, die Unschuld nie verletzt, Nicht schmeichelt, niemals lügt, die Großen nie beneidet, Sich weder gar zu schlecht, noch gar zu prächtig kleidet, Nicht stolz in Kutschen fährt und allen schuldig bleibt, Die Stadt regieren soll und Kinderpossen treibt; Nicht seines Nachbars Weib, die sich wie Phryne schmücket, Von geiler Lust empört, an Mund und Brust gedrücket: Und hundert andres mehr. Ja, zeige mir den Mann, An dem ich überall ein Beyspiel nehmen kann: So will ich meinen Satz sogleich zurücke ziehen, Und nur mein eigen Herz als Gift und Seuchen fliehen. Wiewohl, mich dünkt du siehst, du siehst und merkst vielleicht, Was Welt und Menschen sind. Drum sage, was dich deucht: Ich ließe herzlich gern die Welt vernünftig bleiben, Könnt ich nur die Vernunft nach ihrer Art beschreiben. Heißt das vernünftig seyn? wenn wir zuweilen blind Der Tugend zugethan, des Lasters Feinde sind; Das schelten, was wir thun, das loben, was wir hassen, An Regeln fruchtbar sind, die Thaten unterlassen. Heißt das vernünftig seyn? wenn uns der Zwang nur hält, Daß man nicht offenbar in Lasterpfützen fällt; Aus Scham den Tag verschont, mit Frevel zu beflecken, Und sich das Dunkle wählt, die Schande zu verstecken. Heißt das vernünftig seyn? wenn man nach Gütern strebt, So reich als Crösus ist, so arm als Irus lebt, Das Armuth erst betrügt, um Bettlern auszuspenden, Bey Groschen sparsam ist, um Thaler zu verschwenden. Heißt das vernünftig seyn? wenn wir nach Titeln sehn, Und den, der sie verdient, nur nicht erlangt, verschmähn. Wenn man die Jugend schon in aller Thorheit übet, Und seinem Hause selbst der Bosheit Muster giebet. Heißt das vernünftig seyn? wenn ein verkehrt Gebeth Um das, was Schaden bringt, zum höchsten Wesen fleht; Und seine Weisheit lehrt, nach unserm tollen Dichten, Die Fügung seines Raths und Willens einzurichten. Heißt das vernünftig seyn? wenn man Papier bekleckt, Und die gelehrte Welt mit großen Tröstern schreckt, Die doch nur dienlich sind, bey Lesern, die schon irren, Das schwärmende Gehirn noch ärger zu verwirren. Heißt das vernünftig seyn? wenn man die Wahrheit flieht, Weil sie nicht Vortheil bringt, Verfolgung nach sich zieht, Zur eingeführten Schnur der Lehrart sich nicht reimet, Und Hirngespinste stört, die man bisher geträumet. Heißt das vernünftig seyn? wenn unser Geist nur sinnt, Wie der Begierden Durst ein neues Labsal findt. Heißt das vernünftig seyn? wenn wir geschickt verhüten, Daß unsre Laster nur nicht gar zu merklich brüten. Heißt das vernünftig seyn? wenn die Vernunft nur dient, Daß man sich glücklicher, verkehrt zu seyn erkühnt. Heißt das vernünftig seyn? wenn man sich nur so nennet, Doch weder die Vernunft, noch ihre Wirkung kennet. Heißt das vernünftig seyn? – – Doch, wo gerath ich hin? Ich weis ja, daß ich selbst nicht frey von Fehlern bin. Allein das hindert nichts: Weil auch die Kanzeln fehlen, Und doch mit Geist und Kraft auf Schand und Laster schmählen. Nun, Leser, komm und sprich, ob ich zuviel gesagt, Wenn ich mit Gullivern die kühne That gewagt, Das menschliche Geschlecht für thöricht auszuschreyen: Ich werde keinen Spruch und keine Prüfung scheuen. Ich habe dir zu gut mich selber nicht geschont. Die Dichter sind es sonst im Strafen nicht gewohnt: Ich that es aber gern, dir klärlich anzudeuten, Ich hätte mich bemüht, die Laster auszureuten; Mich selber erst erforscht, mein eigen Herz studirt, Eh ich ein fremdes Thun durch meinen Kiel berührt. Doch wenn du reiner bist als ich bisher gewesen; So straf auch heftiger: Ich will es zehnmal lesen. III. Satire An Thalia HORAT. SAT. I.L. II. QUANTO RECTIUS HOC, QUAM TRISTI LAEDERE VERSU PANTOLABUM SCURRAM, NOMENTANUMQUE NEPOTEM, QUUM SIBI QUISQUE TIMET, QUAMQUAM EST INTACTUS ET ODIT? Ihr Musen, lebet wohl! Thalia, gute Nacht! Dieß ist der Scheidebrief, den ich für euch gemacht. Nun mögt ihr euer Glück bey andern Dichtern suchen, Ich lasse mir nicht mehr um eurentwillen fluchen. Thalia, lachst du noch? Ach scherze nicht mit mir! Entferne dich vielmehr, mein Eifer räth es dir. Verdammt sey jedes Blatt, das ich nach deinen Trieben Satirisch ausgedacht, und scherzhaft aufgeschrieben. Die Reue kömmt bereits mit späten Schritten nach; Denn da ich mir von dir nur Lust und Ruhm versprach, So oft mein scharfer Kiel ein Straflied ausgehecket, So oft hast du mir nichts, als Zorn und Haß erwecket. So ernsthaft? fragst du mich. Soll ich nicht zornig seyn? Gib acht, wie dringt die Schaar gereizter Lästrer ein? Sie hat es schon gemerkt, daß ich Satiren liebe, Drum schreyt sie: Daß ich mich im Lästerhandwerk übe. Wer hat nun Schuld, als du? So heilig du dich stellst, So heftig schilt man dich, wenn du die Thoren prellst, Dich nicht enthalten kannst, die Laster aufzudecken, Und öffentlich verlachst, was andre gern verstecken. Kennst du Silvandern nicht? So rufft die Lindenstadt, So bald mein freyer Kiel ein Blatt erfüllet hat: Silvandern, der uns oft mit seinen Reimen qvälet, Und alles, was er weis, der Welt im Druck erzählet. Hier ist ein Blatt von ihm, ein Blatt voll Spott und Hohn; Wenn gleich sein Name fehlt, die Verse zeigens schon. Er mustert jedermann, und schreibet keine Zeile, Darinnen nicht ein Wort nach Art geschärfter Pfeile, Bald den, bald jenen trifft. Sieh da, hier meynt er mich, Dieß Beywort zielt auf den, und da kriegst du den Stich. Leandern nennt er Mops, dort schilt er die Poeten, Und dieser Ausdruck geht auf Jungfer Margareten. Was hat ihm immermehr das Frauenvolk gethan? Bald schreyt er, daß es nicht die Bibel lesen kann, Bald lacht er, daß sie nichts als Caffee trinken können, Bald will er Floren nicht die reichen Buhler gönnen, Von deren Mildigkeit das Mägdchen sich erhält, Obgleich ihr die Person nicht sonderlich gefällt. Nun will er, wie du siehst, den Weibern Regeln geben. Als wüsten sie nicht schon galant und wohl zu leben! Thalia, dieses ists, wozu du mich gelenkt, Nachdem du mir den Trieb zur Besserung geschenkt, Wodurch du den Horaz und Juvenal getrieben, Durch den dein Persius und dein Despreaux geschrieben, Den Rachels Kiel geregt, den Canitz auch gefühlt, Bis Neukirch ihm gefolgt, dem Günther nachgespielt. O hätt ich doch davon kein einzig Blatt gelesen! O wüßt ich doch noch nichts von dem verhaßten Wesen! Wodurch der Dichter Mund die Thörichten verlacht; So wären auch in mir die Triebe nicht erwacht, Die mich zum Schelten ziehn. Was klagst du? hör ich sprechen: Was suchest du so sehr die Neigungen zu schwächen, Die ich in dir erweckt? Ein Stachelvers nützt sehr: Ein Dichter, der da scherzt, erbauet zehnmal mehr, Als wenn ein Stagirit die Lehre guter Sitten, Voll Ernst und Gründlichkeit, der Kunst nach, zugeschnitten. Mein Handwerk ist erlaubt, sein Werth steht ewig fest, Seit dem so mancher Kiel die Schutzschrift lesen läßt, Die er für mich gemacht. Ja, lobe nur die Helden, Zermartre Geist und Kiel, der späten Welt zu melden, Was Carl, August, Eugen und Peters Faust gethan. Wer sieht ein Heldenlob mit halben Augen an? Die Blätter schwitzen noch von ihren Druckerpressen, So ist dein Vers bereits gelesen und vergessen. Als neulich unser Chor einmal zusammen kam, Und Phöbus, wie er pflegt, des Abends Abschied nahm, Bemühte sich Merkur, und lief nach einem Lichte, Das wickelte Marcolph in ein gedruckt Gedichte. Erst ward ers nicht gewahr, hernach erschrack er sehr, Wir Musen insgesammt erstaunten noch vielmehr: Und weil der Idiot das halbe Blatt zerrissen, So las man auch den Rest, den Innhalt recht zu wissen. Calliope errieths, denn wie es klar erschien, So wars ein Heldenlied vom Friedensschluß in Wien. Was dünkt dich nun davon? O, schreibe doch Satiren! Die läßt man nicht so leicht zum Krämerladen führen. Denn zeigt ein Blatt den Trieb, den ich dem Dichter gab, Das geht, wie ein Gespräch im Reich der Todten ab. Man zahlet doppelt Geld, man stürmt des Druckers Thüren, Und in der ganzen Stadt ist kaum ein Haus zu spüren, Wo Jungfer, Mann und Frau nicht Speis und Trank vergißt, Bis solche Stachelschrift erst durchgelesen ist. Jemehr die Laster nun für Scham und Zorn erröthen: Jemehr erhebt man dich im Chore der Poeten. Genug, du Schwätzerinn, des Plauderns ist zu viel. Vergebens schmückest du dein scharfes Seytenspiel. Gesetzt, man läse nicht die stolzen Heldenlieder, So ist ihr Innhalt doch den Thoren nicht zuwieder. Wo nicht ein Criticus ein scharfes Urtheil fällt, Wenn bald ein leerer Schwulst das ganze Werk verstellt, Wenn hier das Feuer fehlt, und dort ein Phöbus stehet, Wenn da ein prächtig Nichts den Vers zum Schein erhöhet, Und dann ein niedrig Zeug dein Lied nicht besser ziert, Als wenn sich Günthers Hans die rauhe Kehle schmiert, Und statt des Donaustroms den Strich von Biere machet, Wobey ein grober Fluch aus seinem Munde krachet. Dieß und dergleichen mehr verwirft ein Criticus, Dieß ists, was ein Poet dabey erdulden muß, Und dann ists auch gethan. Der Richter wird bald müde, Er legt die Blätter weg, und läßt dem Dichter Friede. Mops wickle Fett und Schmalz, Anis und Pfeffer drein! Ich frage nichts darnach, und will zufrieden seyn, Wenn sich der Pöbel nur nicht wieder mich empöret, So, wie ein Wespenschwarm, dem man das Nest gestöret. Was Tugend? schreyt Gargil: Was Keuschheit? rufft Sybill: Was gehts den Dichter an, daß ich mich brüsten will? Und wer hat ihn gesetzt, das Richteramt zu tragen? Fürwahr, Sylvander wird sein Hecheln noch beklagen Thalia, siehst du nicht, wie Bavius sich kränkt? Der durch ein schläfrig Lied mich anzustechen denkt, Indem ich neulich schrieb: Sophia sey wie Käthchen, Ein eigennütziges und geldbegierig Mägdchen, Die reichen Buhlern selbst erhitzt entgegen läuft, Und mit geschwinder Hand nach harten Thalern greift. Noch mehr, von Ratzeburg, dem Nas und Buckel jucken, Läßt auch ein Lästerblatt auf meine Dichtkunst drucken. Du siehst ja, wie ers selbst zum Bilderhändler trägt, Und in den Trödelkram zum Eulenspiegel legt. Da kützelt sich das Volk bey diesen schönen Sachen, Da sieht man Herr und Frau, und Magd und Jungfer lachen. Silvander, kränkt dich das? versetzt Thalia hier, Der Kummer ist umsonst, was schadt das alles dir? Die Wahrheit ist verhaßt. Das ängstende Gewissen Hat auch dem tummen Bav bey deinem Reim gebissen. Warum verschonst du ihn? Beschäme sein Gesicht, Und leide seinen Trotz und seine Schmähsucht nicht. Der Hudler möchte gar bey seinem Vorwitz denken, Du wolltest ihm aus Furcht die ganze Strafe schenken. Schreib: Bavius ist selbst der Weisheit unbekannt, Wer gut hebräisch liest, hat darum nicht Verstand: Und könnte Bav nicht noch die alten Weiber trösten; So wäre ja bey ihm der Unverstand am größten. Was gilts, daß solch ein Reim dem Bav so lieblich klingt, Als jenes Sterbelied, das Ratzeburg noch singt; Darinn er selbst beklagt, daß seine Lästerungen, Womit er dich verletzt, so jämmerlich gelungen. So wirst du mit der Zeit von allen Lästrern frey: So sieht ein jeder Thor, wie schwer dein Eifer sey. Wo nicht! so laß das Volk sich ärgern, schmählen, lachen, Und über jedes Blatt verkehrte Glossen machen, Wie nur vor kurzer Zeit die Lindenstadt gethan. Wer klug ist, der verlacht den ungereimten Wahn; Denn wer dich besser kennt, wird sonder Zweifel sehen, Daß Neid und Mißgunst auch der Unschuld Wort verdrehen. Dein Lehren ist umsonst, Thalia, höre mich, Ich weis es freylich wohl, ein jeder freuet sich, Wenn ein satirisch Blatt ans Tagelicht gekommen. Ein jeder wünscht das Bild der Bösen und der Frommen, Natürlich vorgestellt und abgemalt zu sehn. O möcht es doch einmal, o möcht es doch geschehn! Daß sich Silvanders Kiel an Superklugen machte, Ich glaube, daß ich mich für Lust, zu Tode lachte: Sprach jüngst ein guter Freund. Allein ein Lobgedicht, Das lieset, liebt und lobt der tumme Pöbel nicht, Es ist ihm viel zu hoch. Doch was ist dran gelegen? Wie? schreibt Silvander denn des großen Haufens wegen? Des Haufens, der nicht Witz, nicht Kunst, nicht Nachdruck kennt, Der oft ein Phöbus schön, ein Bombast geistreich nennt, Der auch Schmierandern lobt und sich nach Zoten sehnet? Thalia, nimmermehr! So bin ich nicht verwöhnet, Ich mag nicht, daß Hanns Dumm und Simplex und Nicoll Mein Dichten, meine Kunst, erhöhn und rühmen soll. Fürwahr, ein großes Lob! wenn Kaufmannsdiener sagen, (Die Silber in der Hand und Bley im Kopfe tragen) Der Vers ist wohl gemacht: Ihr Herren, klingts nicht schön? Ja, denk ich, guter Freund, du wirst es wohl verstehn. Nein! lobt mich Menkens Mund, rühmt Mascou meine Zeilen, Wenn Costen was gefällt, wenn Rabner mich zuweilen, Wie Kraus' und Jöcher lobt: Dann bin ich ein Poet, Der, wenn er sterben muß, gleichwohl nicht untergeht, Und noch in Schriften lebt; dann lach ich aller Thoren, Die, wo sie Witz gehabt, ihn doch gewiß verlohren. Gemach, erhitzter Sohn, rufft mir Thalia zu: Was eiferst du so sehr, und warum zürnest du? Das ist es, was ich will, daß Kenner guter Sachen, Daß Leute von Geschmack dich zum Poeten machen. Vergnüge dich damit; doch sey zugleich bemüht, Da mancher so geneigt auf deine Schriften sieht, Noch ferner ihre Gunst und Beyfall zu erwerben, Wer Leib und Ruhm nicht nährt, der läßt sie endlich sterben. Vergrabe nicht das Pfund, was ich dir anvertraut, Geuß ferner deinen Zorn den Lastern auf die Haut, Erhebe dich mit Ernst zum Richter böser Sitten, Kein Schelten, keine Wuth, kein Flehen, auch kein Bitten, Sey dir verhinderlich. Ja, sprech ich, ey mein Glück! Was Glück? erwiederst du, vertraue dem Geschick! Du kennst den Aretin, du weist von seinen Schriften, Die ihm in aller Welt ein Angedenken stiften. Das war mein echter Sohn. Sprich selber, fällt dirs bey? Wo war ein Fürstenstuhl von seiner Feder frey? Nein, er war sonder Furcht und pflegte gar die Kronen, So sehr ihr Gold sonst blendt, durchaus nicht zu verschonen. Und dadurch wuchs sein Glück. Von Norden, Ost und West, Und da, wo Phöbus sich des Mittags finden läßt, Empfieng mein Aretin mehr Gaben für sein Schweigen, Als Schmeichler, die der Welt in falschen Bildern zeigen, Was mancher weder ist, noch selbst verlangt zu seyn: So trug sein Tadeln mehr, als itzt das Loben ein. Dieß Beyspiel dient für dich. Doch findst du was zu loben, Wohlan! so werde dann die Tugend auch erhoben. Dieß ist dir unverwehrt: Denn bleibst du nur gerecht, Daß du die Thoren toll, die schlechten Verse schlecht, Die Laster schändlich nennst, so wird dein Lob auf Erden Der kräftigste Beweis der wahren Tugend werden. Jedoch, ich sehe wohl, auch dieß gefällt dir nicht, Wohl, ich erlasse dich, hinführo deiner Pflicht, Ich will dich künftighin nicht mehr zum Tadel treiben, Du sollst, weil du nicht willst, nicht mehr Satiren schreiben. Verfasse keinen Vers, dadurch des Pöbels Wuth Sich wie das Meer erregt. So bleibt die Welt dir gut. Allein, geliebter Sohn, nur eins ist mein Verlangen, Man liest die Dichter nicht, die diese Bahn gegangen, Man weis nicht, was Horaz und Juvenal gespielt, Wiewohl die Brut noch lebt, auf die ihr Scherz gezielt. Komm, zeuch sie aus der Gruft, verdeutsche hin und wieder, Nachdem es dir gefällt, die besten ihrer Lieder. Die Arbeit kann der Welt nicht sehr zuwieder seyn, Die Verse sind entlehnt, die Worte sind nur dein. Doch wenn man sehen wird, wie thöricht Rom gewesen, Wird man sein eignes Thun in fremden Namen lesen. Hat Frankreich nicht bereits die Alten übersetzt? Hat Engelland sie nicht der Arbeit werthgeschätzt? Liest Welschland sie nicht auch in seinen zarten Reimen? Wie kömmts denn immermehr, daß sich die Deutschen säumen? Thalia, sey vergnügt. Silvander weichet dir, Dein Wille zwinget mich. Wohlan, Horaz ist hier, Hier ist auch Juvenal. Auch Boileau konnte lachen. Von diesem will ich dann zuerst den Anfang machen. 7. Kapitel VII. Kapitel Sinngedichte. I. Unterschrift zu Sr. Hochedelgeb. Magnificenz, des Herrn Bürgermeisters der Stadt Danzig, Herrn von Diesseldorfs Kupferbilde. Wer Ernst und Huld zugleich in diesem Bilde sieht, Aus dieser Augen Blitz der Pallas hohes Wesen, Der Themis scharfen Geist aus Mund und Stirn gelesen, Wer die Gelindigkeit, die Herzen an sich zieht, Und dann den Muth bemerkt, davor die Bosheit flieht; Dem wird so gar der Neid, wiewohl beschämt, bekennen, Unfehlbar sey der Mann von Diesseldorf zu nennen. II. Auf eines geschickten Poeten Klage, über den Tod seiner Geliebten. Was man von Orpheus sagt, das muß erdichtet seyn: Denn konnte sein Gesang, wo wir der Fabel glauben, Sein Weib Euridice dem Höllenreiche rauben; Warum trifft solches nicht zu dieser Zeit noch ein? Mein Krause sang viel bessre Lieder, Warum gab ihm der Tod sein ander Herz nicht wieder? III. Auf ein Lobgedichte, so derselbe auf eine gewisse Charlotte gemacht hatte. Charlottens Bildniß, werther Freund, Das neulich dir so wohl gelungen, Hat jedermann das Herz bezwungen, Indem es fast zu leben scheint. Ist durch den bloßen Abriß nun Dergleichen Wunder schon geschehen: Was würde nicht die Schönheit thun, Sollt ich Charlotten selber sehen? IV. Nach dem Französischen des Boursault. Madrigal. Man fragt mich, ob ich liebe? Ja; ich bekenne meine Triebe. Ich liebe Doris, Ich liebe Chloris, Ich liebe Flavien, Ich lieb Aspasien, Ich liebe Cölestinen, Ich liebe Carolinen, Louischen, Lottchen, Hannchen, Sophiechen und Susannchen, Und hundert andre mehr. Heißt das nicht recht geliebt? O nein! Woran gebrichts? Ich liebe gar zu viel, das heißt, ich liebe nichts. V. Gleichfalls aus dem Französis. an eine Spröde. Madrigal. Ich bin nicht mehr dein Unterthan, Und mag dich nicht zu meinem Leitstern wählen. Dein Auge, das so reizen kann, Soll mich hinführo nicht mehr quälen. Du bist zwar artig, klug und schön, Was wollt ich mehr als deine Gunst gewinnen? Allein du bist von felsenharten Sinnen, Die aller Reizung wiederstehn. Da nun dein Herz so unerbittlich ist, So schwer und langsam zu bewegen: Wohlan; so bleibe was du bist; Der Schluß ist schon gemacht. Ich werde mich um dich nicht in die Grube legen. VI. An die Frau von Marschall, als sie mich, vor die Zuschrift eines Buches, mit einem silbernen Schreibzeuge beschenket hatte. 1727. Madrigal. O Gönnerinn, wenn ich bedenke, Wie wenig dich mein Kiel verehrt, So hat dein köstliches Geschenke Mich ganz beschämt, mir alle Lust gestört. Ich wünschte nichts, als deine Gnad und Güte, Ich fand sie auch, und war vergnügt: Nun hast du mich durch Großmuth noch besiegt; Und das verwirret mein Gemüthe. Kein Silber kann mein Auge blenden, Doch schätz ich deiner Gabe Werth, Sehr hoch, nach deinen theuren Händen, Von welchen mir dieselbe wiederfährt. Eins, große Frau, wirst du erlauben müssen, Verstatte mir aus Dankbarkeit, Die Hand, so mich beschenkt, zu küssen. VII. Ueber die Poesien eines jungen Frauenzimmers, Mad. L.A.V. Kulmus, in Danzig. 1729. Was muß doch für ein Geist auf unsrer Kulmus ruhn? Kann sich die Tugend denn mit solchem Witze paaren? Sie dichtet schon so schön in ihren Frühlingsjahren, Als andre Dichter kaum im späten Sommer thun. Ach Preußen, stutze nicht! hier schlägt noch, wie vorzeiten, Die edle Mollerinn durch ihre Hand die Seyten. Sonnet. Auf den Tod Herrn Bossecks, eines meiner philosophischen Zuhörer. 1727. Wer Gott und Welt und Geist und seine Pflicht nicht kennt, Vermehrt aus Unverstand die Anzahl wilder Thiere. O daß uns Menschen nur der Schimpf nicht wiederführe, Daß oft die Dummheit selbst ihr Wesen menschlich nennt. Mein Bosseck, den das Grab so bald von uns getrennt, Geliebter, den ich früh, ach allzufrüh! verliere, Erlaube, daß mein Kiel dein wahres Lob berühre. Dein Herz hat aus Begier zur Wissenschaft gebrennt. Ihr Musen, klagt mit mir! Ihr Musen, tröstet mich. Ihr wißt, wie eifrig er Minervens Brust gesogen, Und allem in der Welt die Weisheit vorgezogen. Doch nein, beklagt ihn nicht. Sein Zustand bessert sich, Der Tod erweitert nur des Geistes enge Schranken, Nun schwebt ihm Gott und Welt auf ewig in Gedanken. Sonnet. Auf Herrn Försters, meines Zuhörers in der Redekunst, Magisterpromotion. 1727. Mein Förster, wer, wie du, mit Witz und Fähigkeit Und unverdroßnem Fleiß der Weisheit nachgegangen, Der kann ja wohl mit Recht den Lorberschmuck erlangen, Den Phöbus und sein Chor den Musensöhnen beut. Du blendst Minerven nicht durch ein verbrämtes Kleid, Du hast dir nicht den Ruhm der Ahnen umgehangen, Man sieht dich anders nicht, als mit Verdiensten prangen, Und die verbirgst du noch durch die Bescheidenheit. Wie würdig bist zu denn, daß der Magisterkranz, Dem mancher finstre Kopf der Farben hohen Glanz, Durch seine Schatten schwächt, dein lichtes Haupt bedecket! Glück zu, gelehrter Freund! zeuch in dein Vaterland, Und mache nach und nach ganz Schlesien bekannt, Was für Verstand und Witz in deinem Geiste stecket. Auf den Geburtstag Herrn M. Joh. Friedrich Mayens. Ein Biedermann, der werthe May, Begehet seinen Jahrtag frey, Drauf singt ein Freund und Diener sein, In Knittelversen hübsch und fein. PERSIUS SAT. V. SECRETI LOQUIMUR, TIBI NUNC, HORTANTE CAMOENA, EXCUTIENDA DAMUS PRAECORDIA, QUANTAQUE NOSTRAE PARS TUA SIT, DILECTE, ANIMAE TIBI DULCIS AMICE OSTENDISSE IUUAT. – – – – – Geliebter May, vertrauter Freund, Mit dem mein Herz es ehrlich meynt, Für dessen Treu ich ebenfalls, Mein Hab und Gut, ja Kopf und Hals, Von Herzen gern verwetten wollt, Dafern es jemand fordern sollt; Hier kömmt ein schlechtes Wunschgedicht, Doch nicht zu deinem Namenslicht, Wie du mir neulich in Johann, Die Ehrbezeugung angethan; Vielmehr zu deinem Wiegenfest, So heute dir aufs allerbest, Des Himmels Huld erscheinen läßt. Nicht zwar, als ob der Schlendrian, Und bloß der Abgott Herkommann, Mich itzt zum gratuliren trieb', Nein, weil ich dich von Herzen lieb'. So komm denn, dreygedritte Zahl! Kommt, lieben Musen, allzumal, Und gebt mir solche Lieder ein, Die so beliebt, als redlich seyn: Da jedes Wort so deutsch und frey, So fern von aller Heucheley, So rein von aller Phantasey, So frey von aller Sclaverey, So munter und geschickt dabey, So aufgeweckt und sinnreich sey, Als euer Freund, mein werther May. * * * So fängt sich denn mein Carmen an So gut ich immer weis und kann. Von was für einer edlen Art, Du Freund, in deiner Jugend zart, In Zittau, der berühmten Stadt, Die wenig ihres gleichen hat, Gewesen seyst, an Witz und Fleiß, Das schweig ich hier, weil ichs nicht weis. Es wissens aber alle die, So dich daselbst oft spät und früh, Auf freye Künste hübsch und fein, So gut die da zu haben seyn, Ganz eifrig und erpicht gesehn, Und dieses ist gewiß geschehn. Ich denke nur an das allein, Wie dich der liebe Vater dein, In früher Kindheit unterwies, Bis er dich in die Fremde ließ. O Freund! hier wallt mir Herz und Muth, Dieweil auch mich mein Vater gut, Von Jugend auf, wie sichs gehört, Manch Kunst und Wissenschaft gelehrt, So, daß wir beyde lobesan, Ein gleiches Glück genossen han. Und daher kam nun dein Verstand, Der schon in früher Zeit erkannt, Man habe von Natur Vernunft, Und dörfe der Pedantenzunft, Die uns mit dürren Regeln quält, Daran doch oft das beste fehlt, Nicht blindlings folgen, wenn sie gleich Uns drohen, daß das Himmelreich, Ohn ihrer Grillen Hudeley, Unmöglich zu erlangen sey; Da sie doch selbst von Herzen blind, Des Unverstandes Lehrer sind, Und nichts zu denken sich gewagt, Als was man ihnen vorgesagt. Und was der Wahn der Vorderwelt, Zum Schulenabgott vorgestellt. Ich eile nun mit frohem Sinn, Mit dir zum schönen Leipzig hin, Wo du, mein Freund, seit langer Zeit, Die Schätze der Gelehrsamkeit, Sowohl in der Philosophie, Als auch in der Theologie, Und andern Wissenschaften mehr, Aus manches wackern Mannes Lehr, Den Bienen gleich, ohn Ruh und Rast, Aufs fleißigste gesammlet hast: Da mancher Frühkopf, wie man spürt, In zwanzig Monden ausstudirt, Und eh sein Cursus sich noch schlüßt, Mit allem fix und fertig ist. Ja wenn er noch gleich Kindern spielt, Dem Phöbus Kranz und Lorbern stiehlt, Der Themis nach dem Hute greift, Und in Hygäens Tempel läuft. Mein Freund! ach könnt es doch geschehn, Daß ich der Zungen zehnmal zehn Im Munde hätt! So wollt ich dich Hier loben thun recht meisterlich, Wie herrlich du bey Tag und Nacht, Die edle güldne Zeit verbracht, Wenn mancher schmaußte, ritt und fuhr, Das Geld verthat auf böser Spur, Nicht anders, als wenn ohngefähr, Das fromme Leipzig Sodom wär; Als welcher Satz, zu dieser Frist, Doch noch nicht ganz erwiesen ist: So saßt du bey den Büchern dein, Und liessest sie dir lieber seyn, Als alles, was ein wilder Geist Studentenmäßig leben heißt. Die Weisheit war dein Augenmerk, Gelehrsamkeit dein liebstes Werk; Doch bliebst du ein Eklecticus, Und wurdest kein Sectarius, Der stets auf andre Secten keift, Die sein Verstand doch nicht begreift. Die Wahrheit war dein Zweck und Ziel, So dir in jeder Sect gefiel. Jedoch du wolltest weiter gehn, Und auch der Alten Witz verstehn, Das machts, daß du den Theophrast Und Epiktet im Kopfe hast. Du hast den Seneca studirt, Dem Antoninus nachgespürt, Auf welche mancher tobt und schmählt, Ja sie zu blinden Heyden zählt, Dem es doch am Gehirne fehlt. Hier fandst du nun der Weisheit Quell, Den Stax nicht kennt, und doch so schnell, Der armen Pallas zum Verdruß, Der Weisheit Meister heissen muß. Wie macht dich nicht dein Cicero Durch seine güldne Schriften froh! Die oft ein kleiner Rednerheld Für lauter Stroh und Stoppeln hält, Der sein Geschwätz galant und schön Mit Collectaneen erhöhn, Und als ein recht gelehrter Mann, Mit Münzen ausstaffiren kann; Der alles mit CITATIS füllt, Und öfters für ein Sinnebild, Ein Anagramm und Wörterspiel, Das Sonnenbrüdern wohlgefiel, Nicht hundert tausend Thaler nähm, Wenn er sie gleich bezahlt bekäm; Dem Cicero ein Schulfuchs dünkt Und selbst aus Weidlings Pfützen trinkt. Allein wie kömmts, daß mein Gedicht, Kein Wort von fremden Sprachen spricht, Der Morgenländer wohlgemuth, Darinn man so viel Wunder thut, Wenn mancher hochgelehrte Wurm, Die Zungen, so bey Babels Thurm, So wie man glaubt, entstanden sind, In seinem engen Schedel findt, Und doch in Züchten lobesan, Die eigne Muttersprach nicht kann. Mein Freund, du sahst es klüglich ein, Was das für Grillenfänger seyn, Die sich um lauter Puncte zank'n, Und endlich noch dem Himmel dank'n, Der ihnen Gnad und Kraft verliehn, Nach unabläßigem Bemühn, Zu zeigen, daß, bald hie, bald da, Ein falsches Wort? Nein, nur ein Schwa, Ein kurzes für ein langes A, Ein langes für ein kurzes E, Ins Rabbi Kimchi Codex steh. Weit besser wies sich dein Verstand, Weit besser ward er angewandt, Wenn du ihn für die Redensart Die unser Deutschland braucht, gespart. Hierinn hast du es weit gebracht, Und stets den Unverstand verlacht, Wenn mancher, dessen Spruch nichts gilt, Und zornig deutsche Meister schilt. Du hast dem allen nachgespürt, Was unsre Sprache schimpft und ziert, Und dich so wohl darinn geübt, Daß jeder deine Schreibart liebt. Ich schweige von der Poesie O Freund, die macht dir keine Müh, Du kennst der alten Dichter Zahl, Virgil, Horaz und Juvenal, Lucrez, Ovid, Lucans Pharsal, Terenz und Plaut und Martial, Und wie sie heissen allzumal. Doch was? Du kennst sie ja nicht nur, Du folgst auch ihrer Bahn und Spur, Und liebst mit ihnen die Natur, Und ahmest solchen Meistern nach, Für welche Phöbus Lorbern brach. Weit anders als die Reimsucht thut, Die Deutschland itzt mit ihrer Brut, Die täglich ärgre Jungen heckt, Gleich Pest und Seuchen angesteckt: Die unaufhörlich singt und reimt, Und leyrt, und heult, und rast, und träumt; Die, wenn ihr Lied am besten klingt, Vernunft und Reim und Sylben zwingt, Mit ihrer Aftermusen Frucht Dem Pöbel zu gefallen sucht, Ein ehrbar Ohr mit Zoten quält, Kurz, der sonst nichts, als alles fehlt. Wo komm ich hin? mein Lobgedicht Gedenkt noch deiner Tugend nicht. Sie blieb zuletzt, und das mit Recht: Denn wäre sie gemein und schlecht, So hätt ich sie mit vielem Lob'n, Wie sonst die Schmeichler thun, erhob'n. Allein ich mach es kurz und gut, Du bist ein ehrlich deutsches Blut, Und hast ein redliches Gemüth, Das bloß auf wahre Tugend sieht, Den Geiz verdammt, den Hochmuth flieht, Auch nicht am Joch der Wollust zieht. Du bist kein Freund der Eitelkeit, Du wünschest dir kein prächtig Kleid,. Kein eignes Haus, kein reiches Weib, Und bist vergnügt, wenn Geist und Leib Nur nichts von Schmerz und Krankheit weis: Wiewohl auch dann verdienst du Preis, Indem auch mitten in dem Schmerz Dein starkes Philosophenherz Ein festgesetztes Wesen zeigt, So sich vor keinem Zufall beugt. Freund, dieser kurzgefaßte Ruhm Ist in der That dein Eigenthum, Der Grund, das zwischen uns der Ord'n, Der Freundschaft ist gestiftet word'n. Vier Jahre sinds, da sahst du mich, Und liebtst mich eher, als ich dich: Darüber ich in meinem Sinn, Mir selber noch gehäßig bin. Allein der Fehler ist ersetzt, Du weist, wie hoch ich dich geschätzt, Wie deine Liebe mich ergetzt, Daß Leipzig ohne sie allein Mir fast kein Leipzig würde seyn, Zumal ichs, lehrts nicht Tullius? Fürs höchste Gut erkennen muß, Wenn man ohn allen Heuchelschein, Mit Freunden kann vertraulich seyn. Genug davon, das Blatt wird voll, Darauf mein Wunsch noch stehen soll. Doch, Werthester, was wünsch ich dir? Ich gönne dir so viel als mir, Das ist, so manches Gut und Glück, Als dir das himmlische Geschick Nach seiner Weisheit zugedacht, Bevor es dich und mich gemacht. Ich weis, du hast daran genug, Drum wär es wohl gewiß nicht klug, Wenn ich noch sonst was wünschen sollt, Was Gott dir doch nicht geben wollt. Wohlan es bleibe denn dabey; Doch steht mir noch ein einzigs frey, So bitt ich dich recht wohlgemeynt, Sey künftig, wie bisher, mein Freund! Auf die Magisterpromotion Des seligen Herrn M. Stübners. I.f.N. Als Junker Stübnern wohlgemuth Frau Pallas ziern und schmücken thut, Mit Lorberzweigen hübsch und fein, Sang dieß ein treuer Bruder sein. Frewndlicher liber Bruder mein Dem die neun Musen alle gmein Apollo und Pallas insgesampt Erhebn thun zum Magister-Ampt Zum Lehrer gmachet han allhie Der Waisheit oder Philosofi Weil sie von wegen deiner Gabn Der Eer dich werthgeschetzet habn Seitdem du wol, daß gibt dir Praiß Studirt mit unverdroßnem Flaiß Als wellichs heit zu Tage nun Schier wenige mit Eyffer tuhn Hier wünscht dir zu deinm newen Standt Auf Universiteten wolbekandt Dein alter guter Bruder vil Glück Vnnd erhebt das himmlisch Geschick Daß dich itzunder traun aufs best Zum Meistr der Weißhait krönen lest. So wirst du ein Philosofus Bist gleich sonst ein Theologus Wilst dermaleinst in Züchtn und Eern Ein Gmein den Weg der Sehlgkeit leren Tust auch die weltlich Weisen-Zunfft Nicht spöttlich verachten mit Unvernunft Sagst nit sie mach nur Kätzerey Atheisten vnnd Deysterey Vnnd glaubst vilmehr on allen Scheu Daß sie der rechte Vorhoff sey On den man heitges Tages nie Kan eingahn zur Theology Lachst all verkehrte Stümper aus Die sich ins liebe Gottes Hauß Tringen mit unsächlicher Gwalt Suchen da nur ihrn Auffenthalt Ihr Weip und Kind wolln sie erneern Nit aber die Ruchlosen bekern Wolln da andre Gots Weißhait leren Möchtn selbst erst Menschen Weißhait hören Gleich wie auch andre Stümper sunst Strebn nur nach Advocaten-Kunst Durchblättern den Justinian Lernen den Acten-Schländrian Vnnd verstehn nit die geringste Spur Vom ewgen Gsätz in der Natur Wollen große Juristen seyn Bleibn alzeit am Verstand sehr klain Imgleichen in der Medicin Siht man fast vile sich bemühn Nichts nit mit größerm Eiffer treiben Als die Kunst ein Recept z'verschreiben Verstehn nit die Anatomy Patology Phisiology Semiotic Pharmacevtick Higiene vnnd Botanick Machen doch ein gewaltig Gschrey Als obs Galenus selber sey Kön'n nichts als schwitzen purgiren Zur Ader laßn vnnd Leut vexiren Von solichen Stimpern allzumal Welcher da ist ein große Zahl Hast du Herr Bruder z'jeder Frist Abscheu bezeigt on argelist Ich b'sinn mich deiner Jugend zart Wie fain die angewendet ward In Bayreuth der weidlichen Stadt Die uns zusamm'n erzogen hat Da waren im Gymnasio Wir beyd vnnd andre vielmals fro Wenn wir beisammen spat vnnd fruh Lateinisch Griechsch noch mehr dazu Was man noch sonst guts lernen kan Begirig mochten hören an Die Saat hast da schon ausgestrewt Die izt so schön nach Wunsch gedeyt Hast da schon mit Verstand gehört Was Leibnitz vnnd was Wolff uns glert Zwen deutsche Philosofen b'kant In Frankreich Welsch- vnnd Engeland Mit wellichen sich kein ander Mann In der Weltwaißhait gleichen kan Dieweil sie nemlich fix vnnd schön Die Mathematick tief verstehn Wellchs man auch dem Cartesius Vnnd Stagiriten nachrümen muß Daher denn folgen tuht der Satz Dem jedermann muß geben Platz Daß Philosofen insgemein Die nicht auch Geometern sein Gegn sie nur müßen schencken ein Als du nun gar nach Leipzigck kamst Sah man daß du noch baß zunahmst Weil du den Anfang dort gemacht Hier zur Vollkommenhait gebracht Die tieffe Lehr der Welt-Waißhait Mit noch vil größrer Schicklichkeit Wie man sie löbelichst docirt Nach Wolffs Manir scharpff ausstudirt Hast nicht nur halbicht zugehört Wie man dieselb vorträgt vnnd lehrt Bist selbst daheimb noch weiter gangen Hast zu lesen vil angefangen Nit wie die Faulentzer getan Die daran ihn'n begnügen lan Daß sie den Cursum mit gemacht Die Dictata ins rein gebracht In den Kuffer sie gschlossen ein Als soltn sie da gefangen seyn Möchten auch hernach zu ihrem Hohn Dem Cuffer gebn die Lorber-Kron Der baß gefült mit Waißhait ist Als ihr Verstand zu aller Frist Als uns hernach ganz hell vnnd klar Ihr Wort und Wärck macht offenbar Ein Beyspiel uns hier geben kan Ein wohlbekannter Schreibemann Der im Discurs durch aignen Mund Nit mehr als daß vorbringen kunt Daß die geleert Materia Stünd ausgeführet hie vnnd da In seinm schönen Collegio Daß er hätt abgeschrieben fro Als ers zum drittenmahl gehört Wies ein berümter Mann geleert Zur Stund wolt man sein Buch gern sehn Darauf es denn fürwahr geschehn. Als ers wolt aus dem Kuffer holen Daß ihm sein Waißhait war gestohlen Kein Dib hett ihm den Putz gemacht Hett er sie ins Gehirn gebracht Vor so verkehrter Weiß vnnd Art Hat dich Minerva stets bewahrt Herr Bruder dich mit Vorbedacht Zum würdigsten Magister gmacht Nit nur dem Nahmen nach zum Schein Die sonst wohl nit ein Wildpret seyn Doch darf ichs traun nur keck verschwaigen Du thust es uns bald selber zaigen Wenn du auf dem Catheder frisch Wirst stehn so steiff als im Harnisch Den offt die schärffsten Opponenten Mit hundert spitz'gen Argumenten Wenn sie gleich all auf dich loßrennten Mitnichten doch durchboren könten Da wird man sehn was du verstehst Wie gründlich du im Schliessen gehst Vnnd vor des Wiedersachers Stürmen Die arme Wahrheit kanst beschirmen Den Zänckern bald das Maul kanst stopffen Daß ihn'n das Herz im Leib thut klopffen Vnnd sollichs wird kein Wunder seyn Du sprichst behend und schön Latein Vnnd ergerst nit den Prißzian Wie mancher vor der Zeit gethan Wirst auch nicht furchtsam stecken bleiben Die Dißputation zu schreiben Wie andre die zwar Waißhaits voll Wenn mans von ihnen fordern soll Nit wissen weder aus noch ein Obs Mädgen oder Bübgen seyn Fragen viel nach allem dißputiren Wenn sie nur ein groß M kan ziren Nun werther Bruder nimm vorlieb Daß ich dir ein schlecht Carmen schrieb Seyend noch von der alten Werlet Die ihr Gesänglein nicht beperlet Rubint verguld't versilbert schön Thu dich nicht nach der Kunst erhöh'n Hab auch kein Zoten angebracht Von Fickgen der so lieben Magt Die der Magister insgemein Ihr Buhlschafft vnnd Gespons muß seyn Wellichs wenn mancher es nicht wüst Er ganz vnnd gar verstummen müst Vnnd brächt auf den Magister-Schmauß Nicht einen kalen Reim heraus Sag dir auch nichts von deinem Krantz Auch nichts von dem Magister-Tantz Vielminder vom zu Bette gehn Darbey offt garstig Fratzen stehn Daß werden andre je und nun An meiner statt schier weidlich tuhn Vor mein Person hielt ichs für baß Zu wünschen Glück ohn Unterlaß Auf redlich Deutsch vnnd alt Manier Daß dir Herr Bruder für und für Aus deiner schönen M'gister Zier Viel Seegen Heil vnnd Trost erwachß Vnnd mach den Schluß wie sonst Hans Sachß. Quodlibet Auf die Kürzel- und Phönickische Hochzeit in Leipzig. 1728. Was heist auf deutsch ein Quodlibet? O! daß man hier die Gabe hätt, Dieß fremde Wort hübsch deutlich auszudrücken! Allein es will sich gar nicht schicken. Laßt sehn! vielleicht wirds endlich glücken. Vielleicht: Was sie beliebt? vielleicht: Von allem was? O nein! wie schülerhaft klingt das? Es schmeckt nach dem Latein. Was Henker mag ein Quodlibet denn seyn?. Ists nicht ein Blatt voll Bübereyen? Ein Mischmasch kleiner Schelmereyen? Ein Chaos von Alfanzereyen? Ein Abschaum von Poetereyen, Darüber sich die Thoren freuen? Ein Auszug von QUELQU' CHOSEreyen, Davor sich alle Kluge scheuen? Ein Büchschen voller Hauptarzneyen, Die manchen ziemlich wohl gedeyen? O nein! was denn? Nun treff ichs; gelt! Ein Mäntelchen, das itzt die Wahrheit träget, Weil ihr die böse Welt Fast überall den Weg verleget. Das letzte bleibt das beste. Drum merkt es wohl, ihr lieben Hochzeitgäste, Dieß ist ein Quodlibet, Darinn die alte deutsche Wahrheit In einer dunklen Klarheit Verkleidet und vermummet geht. Verflucht! Das ist ein güldnes Wort, Man hört es fort und fort, Und überall, wo mans nicht sucht. Ach seht doch da! verflucht! Wer kömmt denn hier? verflucht! Was heißt denn das? verflucht! Da liegt der Quark; verflucht! Nun seh ichs erst! verflucht! Versteht ers so? verflucht! Hier meynt er den! verflucht! Ja ja, das ists: verflucht! So seys denn immerhin verflucht. Man muß die Kunst zu fluchen Doch auch einmal versuchen. Verflucht sey alles Schmähn und Lästern, Verflucht der Hochmuth eitler Schwestern, Verflucht das Prassen reicher Brüder, Verflucht die geilen Liebeslieder, Verflucht das geizerfüllte Spielen, Verflucht der Ehebrecher Schielen, Verflucht der Plaudrer dummes Waschen, Verflucht der Lecker freches Naschen, Verflucht das Zeitungstragen, Viel reden, wenig sagen, Der Lauser großes Pralen, Der Schuldner spätes Zahlen, Verschlagner Herzen Tücke, Der Heuchler fromme Blicke, Versprecher, die ihr Wort nicht halten, Betrüger, so die Hände falten, Possenreisser, Zotenmeister, Eingebildte frühe Geister, Alter Freyer langes Wählen, Hohe Titel kleiner Seelen, Großer Seelen kleine Mittel, Und aller reichen Bettler Kittel. Das heißt einmal geflucht! Und zwar so arg, als wirs noch nie versucht, PARBLEU! PARBLEU! MA BELLE, Der Teufel hol mich auf der Stelle, Sie sind ganz engelschön! So fluchte neulich Polyxen, Ein junger, artiger, recht netter PETITMAITRE, Auf Deutsch, ein hübscher Gassentreter, Bey einem schönen Bürgermägdchen. Sie zog das Maul als wie am Drätchen, Und blitzte mit verzückten Blicken, Das Herzchen fieng ihr an zu jücken. Allein was kam heraus? Sie brach in diesen Seufzer aus: MON CHER MONSIEUR, sie thun mir nur FLADIren, Sie werden sich vor mir nicht COMMODiren. Nicht wahr? das klang recht schöne, Viel netter, als das kreischende Getöne, Das oft, wenn Rosimene singt, Bis in des Nachbars Hofe klingt; Viel netter, als wenn Philosophen Nach Art der Diener und der Zofen, Statt der Philosophie, Die neueste Zotologie Im Sonnenbruderstilo lesen. Das heißt alsdann ein grundgelehrtes Wesen! Das hört der klare Kern Der jungen Musensöhne gern: Besonders, wenn man Lobesam Bis in die edle Physik kam. Da kriegt das liebe Frauenzimmer So manche feine Lehre. Du schönes Volk, ach zeuch doch immer Studentenhosen an: Daß dich ein solcher Mann Mit einer Lection aus Rückmarsdorf beehre. Ich dachte, was mich bisse; Ist das nicht ein Geküsse! In der Comödie; die Leute stehn dabey! Ey, ey! die Liebesglut brennt wie ein heisser Brey. Doch halt, der Bräutgam küßt die Braut; Das läßt sich endlich hören, Wir wollen sie nicht stören, Denn nächstens werden sie getraut. Ja, Herr Patron, das macht der Wind. Durch diesen Spruch kam jener vormals blind: Alllein wir gehen weiter, Als dieser Bärenhäuter. Denn was macht nicht der liebe Wind? Daß Stümper Aemter kriegen, Daß feige Memmen siegen, Daß Ignoranten steigen, Daß Fiedler künstlich geigen, Daß Thoren Weise heissen, Daß alte Schwarten gleissen, Daß dieser Bücher schreibet, Daß jener sich beweibet, Daß mancher grossen Staat geführet; Der itzo Haus und Hof verliehret: Das alles macht der liebe Wind, Drum höre zu, mein Kind, An dieser güldnen Kunst ist all dein Glück gelegen. Wind macht glücklih, Wind bringt Segen, Wind macht Gönner, Wind macht Freunde, Wind besänftigt auch die Feinde, Wind macht reich, gelehrt und klug, Und wem das alles fehlt, der macht nicht Wind genug. Drum wunderts uns, daß noch kein Pansophus Den alten Windgott Aeolus Zum Glückspatron erlesen; Und daß kein Philosoph zur Zeit so klug gewesen, Zu zeigen, daß die ganze Welt, Wo alles sich durch lauter Wind erhält, Aus Wind entstanden sey. Was uns betrifft, so sagen wir es frey, Der Wind sey bloß das Element, Daraus die Welt bestehet Darein sie sich zertrennt, Wenn sie dereinst vergehet. A ha! das war philosophirt. So gehts, wenn man zu viel studirt, Insonderheit die Physicam, Wie sie, gepriesner Bräutigam. Doch sie verstehn dabey Daß Corpus Juris schöner Kinder, Und den Proceß nicht minder. Wohlan! Sie sind ein Advocat, Und wir bedörfen guten Rath, Ob die Exception in Rechten gültig sey, Dafern ein Mädchen spricht: Ey, seyn, sie, nicht, so, lose! Wenn irgend jemand käme! Phi, nein, phi, nein, ich schäme, Ich schäme mich zu tode. Das reimt sich nun zwar nicht auf lose, Indessen schickt sichs doch dazu, So wie das Heu für eine Kuh. Noch eins fragt sich zuletzt, Wenn man sich paar und paar in eine Kutsche setzt, Wie man sich da mit Scherzen, Mit Lachen, Spielen, Tändeln, Herzen Am artigsten ergetzt? Doch bald versehn, das weis ein guter Freund Weit besser, als sie selbst gemeynt. Wir andre sehn nur hinten drein, Und müssen arme Sünder seyn; Wie jener auf der Post: Indem sein Camerade Die süsse Liebeskost Ohn alle Gnade Vor seinen Augen hat verzehrt; Fürwahr, das ist ein Schimpf, der Mark und Bein versehrt. Nun kömmt das Lied vom Ende, Ihr Leute klopfet in die Hände, Das Quodlibet ist aus, Und eilt ins Hochzeithaus. Geh hin, du schlechtes Scherzgedicht, Und zeige dich nur denen, die gern lachen, Und jede Zeile nicht Sogleich zum Erzpasquille machen. Der Bräutigam, ein kluger Themissohn, Versteht den Scherz von seinen Freunden schon, Und seine schöne Pönickinn Erkennt mit hochvergnügtem Sinn, Daß wir es mit ihm ehrlich meynen. Drum giebt sie uns Gehör: Und was ists endlich mehr? Wo alles lacht, da können wir nicht weinen. Viel Glück zum neuen Stande! Der Himmel knüpft die Liebesbande, Wo sich ein Paar, wie hier, vertraut. Das holde Bild der Jungfer Braut Hat in der That uns allen Von Herzen wohlgefallen: Weil Geist und Witz und Sittsamkeit Aus allen ihren Minen Erschienen. Was haben wir denn mehr zu sagen? Es müsse dieses neue Paar Sein Lebenlang sich über nichts beklagen. So manchen Tag, so manches Jahr, So manches Jahr, so manchen Tag, Als es sich selber wünschen mag, Soll es die Lust der Hochzeit wiederholen, Die süsser schmecken soll, als wenn man sie gestohlen. So viel Gras die Erde träget, So viel Jungfern Leipzig heget, So viel Mädchen heimlich lieben, So viel Briefe sie geschrieben, So viel Weiber auf der Erden Ihren Männern untreu werden, So viel Männer oftmals lauschen, Und mit ihren Nachbarn tauschen, So viel man bey allen Sachen Falsche Glossen pflegt zu machen, So viel Dichter Zoten reissen, Die doch schön und artig heissen, So viel Herzen schöne Wangen Hier in Leipzig schon gefangen, So viel wir Caffee verzehren, Eh wir diese Stadt ernähren, So viel Segen Glück und Freude Treffe die Verlobten Beyde. Nun Kinder, geht zu Bette, Und schlafet um die Wette. Der Nachbar hält das Hörnchen schon, Und bläst aus einem süßen Ton. Wiewohl wer weis, ob ihr davon erwacht! Gute Nacht! Gute Nacht! 8. Kapitel VIII. Kapitel Wettstreit der Tugenden, An Sr. Königl. Majest. in Pohlen und Churfurstl. Durchl. zu Sachsen, Friedrich Augusts, hohem Geburtstage. 1728. In einem Gedichte entworfen, welches in der deutschen Gesellschaft zu Leipzig den ersten Preis der Poesie erhalten hat. So ist es denn umsonst, daß ich bisher gezagt, Wenn mancher sich zu frech an Pohlens Thron gewagt: Umsonst, daß Brust und Arm und Schenkel mir gebebet; Wenn andern Sachsens Held den schwachen Blick belebet; Umsonst, daß Mund und Hand bisher, aus Blödigkeit, Des deutschen Herkuls Lob und Lorber nicht entweiht, Und seiner Thaten Preis den Dichtern aufgetragen, Die Phöbus selbst erhitzt, ein großes Werk zu wagen. Jetzt reizet mich ein Zug zu größrer Kühnheit an, Ein Zug, den Scheu und Furcht nicht ferner dämpfen kann. Ihr Musen scheint ja selbst den Wiederstand zu schwächen, Dem blöden Geiste Kraft und Beystand zu versprechen. Wohlan! ich folge dann: Regiert mir Mund und Kiel, Und stimmt mit eigner Hand mein rauhes Seytenspiel; Damit der Pohlen Haupt, der Schmuck der deutschen Erde, Nicht schlecht, nicht ungeschickt, nicht matt besungen werde. Hier bin ich, führt mich an! laßt mich den König sehn! Ich fühle schon die Luft um Haar und Schultern wehn: Kein Adler schießt so schnell, wenn die geschwungnen Flügel Des leichten Körpers Flug den Spitzen aller Hügel, Ja dem Gesicht entziehn; und ihn dahin erhöhn, Allwo zur Sommerzeit die weissen Wolken stehn; Als mich Calliope ihr nachzufolgen zwinget, Und an den fetten Rand der breiten Elbe bringet. Ich sehe Stadt und Land, und Wasser unter mir: Da wohnt ein sichres Volk; der Landmann ackert hier; Dort gehn zu tausenden die Triften in den Auen; Hier läßt der Winzer sich auf steilen Bergen schauen; Der Elbstrom schleichet dort durch Felsen, Wald und Thal, Da schwimmt des Schuppenvolks unendlich große Zahl; Hier prangt bey Fels und Schloß die lange Meißnerbrücke; Bis ich von ferne schon die Residenz erblicke. Ein Schwindel rührt mein Haupt: Kein Wunder! Dresdens Pracht Bezaubert Blick und Sinn, hat mich entzückt gemacht. Ich sehe Thor und Wall und Graben und Basteyen, Der Brücke Bogenlast, die Wunder an Gebäuen, Des Zwingers Kostbarkeit, des Landesvaters Sitz, Ein weites Waffenhaus voll Pulver und Geschütz, Soldaten von der Art, die Troja dort verbrannten, Und manchen tapfern Trupp von Rittern und Trabanten. Hier, lehrt die Muse mich, hier wohnet Sachsens Held, Den selbst die Vorsicht ihm zum Schutzgott vorgestellt. Sein Bruder hat vor ihm die ganze Chur besessen, Den zwar das treue Land so wenig wird vergessen; Als den der sie gezeugt: Doch dessen frühes Grab Dem Volke dieses Haupt zum weisen Führer gab; Das nicht allein ein Preis im deutschen Fürstenorden, Das auch Sarmatiens erwählter König worden. So spricht sie, und ergreift mich eifrig bey der Hand, Und macht mir Volk und Stadt und Straßen wohlbekannt. Sie führt mich hin und her durch die beglückten Gassen, Und lenket meinen Blick bald dieß, bald das zu fassen. Da steht, dieß ist ihr Wort, der fürstliche Pallast, Des Grafen, den du längst nebst mir bewundert hast; Der theure Flemming wars, den man durch alles Loben, So groß war sein Verdienst! doch nie genug erhoben. Dort wohnt Graf Wackerbart. Dieß Haus gab ihm August, Auf den, vor kurzer Zeit erlittnen Hauptverlust, Denn als ein hohes Haupt, ein Herr von vielen Staaten, Ein klug und tapfrer Held, ein Muster der Soldaten, Sich jüngst, als Dresdens Gast, in seiner Wohnung fand; Gerieth sie unverhofft bey später Nacht in Brand: So daß die schnelle Glut, die Stein und Kalk verzehrte, Holz, Mauren, Dach und Grund in Graus und Asche kehrte. Sie schweigt; wir gehen fort, und bleiben wieder stehn, Da, spricht sie, wohnt der Graf, der sächsische Mecän, Apollons Freund und Schutz und meiner Schwestern Freude, Ja dessen Dichterkiel ich selber oft beneide. Er selber ist gelehrt und liebt Gelehrsamkeit, Und ist im Cabinet ein Nestor seiner Zeit, Des Landes Lust und Ruhm. Ich darf ihn gar nicht nennen, Ein jeder wird ihn schon an diesem Abriß kennen. Wir gehn, indem sie spricht, allmählich weiter fort: Doch ihre Sorgfalt zeigt mir immer Stell und Ort, Wo jeder Große wohnt, der mit am Ruder sitzet, Dem weisen Fürsten dient, dem Vaterlande nützet. Da nennt, da rühmt sie mir der größten Räthe Zahl. Prinz Adolph, Watzdorf, Fries und der von Löwendahl Zech, Seebach, Leipziger, von Bünau, sammt dem Sohne, Die, spricht sie, merk es wohl! sind Seulen von dem Throne. Sie eilt, indem die Zeit ganz unvermerkt verfloß, Und leitet mich darauf ins königliche Schloß. Hier, heißt es, könnt ich dir des Fürsten Ställe weisen, Und der Gewölber Pracht und Kostbarkeiten preisen; Allein die Zeit verbeuts: Du sollst was größers sehn, Ein seltner Wettstreit wird den Augenblick geschehn. Die Zahl der Tugenden, die Sachsens Haupt beleben, Wird vor der Weisheit Thron nach Sieg und Kleinod streben. Sogleich eröffnet sich des Zimmers hohes Thor, Ich sehe nichts, als Licht und Pracht und Glanz davor. Des Bodens Marmel gleißt, die hellen Spiegelwände Entziehn dem starren Blick des Saals wahrhaftes Ende. Das Oel der Ampeln ist in Silber angeflammt, Des Thrones Stuffen deckt ein reichgestickter Sammt, Er selbst ist Helfenbein, und prangt mit theuren Steinen; Die Wahrheit soll darauf als Richterinn erscheinen. Sie kömmt und nimmt ihn ein. Ein heller Sternenkranz Umzirkt die heitre Stirn mit Schimmer, Blitz und Glanz, Den Leib deckt ein Gewand von himmelblauer Seide, Ein purpurfarbner Streif umgiebt den Saum vom Kleide, Der Gürtel gleicht dem Schnee, die Rechte trägt den Stab, Den das Verhängniß ihr zum Eigenthume gab. Er ist ein feines Gold, doch streut an dessen Spitze Ein Herz, das Augen hat, ringsum die schärfsten Blitze. Bey solcher Majestät vertieft das Auge sich, Vergißt man seiner selbst! Was rührt, was blendet mich? So schön sah Paris nicht die streitenden Göttinnen, Vor seinem Thron bemüht, den Apfel zu gewinnen; So angenehm und hell zeigt sich Aurora nicht, Wenn Phöbus aus dem Schooß der blauen Thetis bricht: Als hier die Tugenden ins weite Zimmer kamen, Und um der Weisheit Thron in Eil die Plätze nahmen. Wir streiten, war ihr Wort, um Friedrich Augusts Geist. O Weisheit! um den Held, den Ost und Westen preist. Wir alle schmücken ihn mit ungemeinen Gaben, Und jede wünscht ihn ganz zum Eigenthum zu haben. Er selber sieht und weis, was uns so zwistig macht; Doch läßt er unsern Geist, vielleicht aus Vorbedacht, In stetem Zweifel stehn. Ach Göttinn, die wir ehren, Laß du von deinem Thron den sichern Ausspruch hören! Der Sieg gebühret mir! So rief die Stärke gleich: August ist sonderlich an meinen Gaben reich. In früher Jugend schon wußt ich die strengen Sehnen Des männlichstarken Arms zum Kämpfen zu gewöhnen. Er ist ein Herkules, der auch die Riesen zwingt, Und dessen strenge Faust, wenn ihr ein Hieb gelingt, Durch Stahl und Eisen fährt, durch Helm und Küraß eilet, Ja oft auf einen Streich, so Mann als Roß, zertheilet. Europa weis dieß längst, und ist erstaunensvoll, Und weis fast nicht, mit wem es ihn vergleichen soll. Der Säbel Scanderbegs darf seine Faust nicht füllen, Hier taugt ein jedes Schwerdt, um seiner Kräfte willen. Er zückt, er hebt es kaum; so weicht, so flieht der Feind: Weil selbst der Klinge Blitz ihm unerträglich scheint. Und freylich zeigt sie schon, durch ihr geschwungnes Blinken, Sie werde wie ein Keil im Donner niedersinken. Mit nichten! rief hierauf die Unerschrockenheit, Die Stärke thut nicht viel, gebrichts an Tapferkeit, Ein unverzagter Held siegt auch mit schwachen Händen, Wenn Riesen ohne Herz ihr feiges Blut verschwenden. August hat Löwenkraft; allein auch Löwenmuth. Sein starker Geist erhitzt der vollen Adern Blut, Und strengt die Nerven an, daß sie bey kühnem Wagen, Gedoppelt steif und fest, auch doppelt härter schlagen. Die Proben sind bekannt. Der wilde Muselmann Gedenkt noch an die Schlacht, die Leopold gewann; Weil Deutschlands Helden ihm und seinen Barbarschaaren An Kräften, Recht und Glück weit überlegen waren. Was da August gethan, und wie sein kühner Geist, Der, wo er wirken kann, fast lauter Wunder weist, Auch anderwärts gesiegt; das wird die Nachwelt lesen, Und mit Verwundern sehn, wie groß sein Muth gewesen! Die Großmuth störte sie, und winkte mit der Hand, Ganz recht! das war ihr Wort, dieß ist der Welt bekannt: Allein wer kennt auch nicht sein königlich Gemüthe, Und die mit Huld und Ernst gemischte Vatergüte? Im Felde schrecklich seyn, ist auch Tyrannen leicht: Doch wenn der Frevler selbst die Waffen überreicht; Und flehend Gnade sucht, alsdann die Schuld vergeben, Ist mehr, als Feind, Gefahr und Unglück überstreben. Und doch kann dieß August. Empörung, Hochverrath, Und was die Bosheit sonst für manche Frevelthat Durch List und Macht verübt; wiewohl ihrs nie gelungen: Das alles hat er oft durch Gütigkeit bezwungen. Der Aufruhr schämt sich noch, wenn er verwirrt bedenkt, Wie gnädig ihm der Held den starren Hals geschenkt, Den er so frech verwirkt. Und dieser Großmuth Proben Sind zweifelsfrey weit mehr, als Tapferkeit zu loben. Sie schwieg und wich zurück, die Gnade trat hervor: O Weisheit! gönne doch auch mir ein offnes Ohr, So fieng ihr Vortrag an, und laß die hellen Sinnen Durch meinen Vorzug bloß bewegen und gewinnen. Das Recht erfodert es: Des Helden Gütigkeit, Darüber Volk und Land und Bürger sich erfreut, Die Freund und Fremdling lobt, die auch sein Feind bekennet, Verdient es, daß man sie die Fürstentugend nennet. Der Titus unsrer Zeit, der Unterthanen Lust, Verbirgt ein Mutterherz in seiner Vaterbrust. Der Jammer, den er sieht, erweckt ihm ein Erbarmen: Drum wo er sich nur zeigt, da freuen sich die Armen. Wo hat man je gehört, daß ihm die Noth gefiel? Sein Land beglückt zu sehn, das ist sein Zweck und Ziel; Sein Volk vergnügt zu sehn, da pflegt er nichts zu sparen, Wie Sachsen dankbar zeugt, und Polen oft erfahren. Gleich rief die Mildigkeit, dieß Lob gehört für mich, Das Wohlthun ist bey ihm weit mehr als väterlich, Er füllt die Kasten nicht, er füllt der Bürger Hände, Als wenn er selbst die Last der Dürftigkeit empfände. Der ist verhaßt bey ihm, der Geiz und Wucher übt, Er zählt nur was er nimmt, nicht was er schenkt und giebt, Und wäre nie so froh, als wenn ihm Gott vergönnte, Daß er stets gnädig seyn, stets Wohlthat üben könnte. Wo bleibt noch, fuhr sie fort, die königliche Pracht, Die seinen Hof und Staat so unvergleichlich macht? Die Fremden dringen sich zu seinen Lustbarkeiten, Wo Ueberfluß und Lust und Großmuth ihn begleiten. Wer nur ein Fastnachtspiel, wie er es angestellt, Gewölb und Zimmer sieht, das seinen Schatz enthält, Und endlich Japans Stolz im Porcellan erblicket, Der wird ohn Unterlaß bezaubert und entzücket. Ja freylich! rief hierauf, die Liebe zu der Kunst: Die Meister rühmen sich der königlichen Gunst: Die Baukunst zeiget sich in stolzen Lustgebäuden, Die Gärten kann man kaum von Welschland unterscheiden; Der Marmor regt sich fast in Seulen mancher Art, Und wo des Malers Hand nicht Müh und Fleiß gespart, Da sollte, wer es sieht, fast tausend Eide schweren, Daß alle Bilder hier beseelte Körper wären. Die Ton- und Singekunst nennt Dresden ihren Site, Apollo heißt es gar die Residenz von Witz, Weil König, Hof und Stadt die Kunst der Dichter lieben, Weil sich die Edlen selbst auf reinen Seyten üben Der Opern Zauberwerk zwingt Augen, Ohr und Herz, Des Lustspiels nützlicher und geisterfüllter Scherz, Der Trauerspiele Pracht, Verwundern, Furcht und Zagen, Wird von Augusts Geschmack, vom Flor der Künste sagen. Nun trat die Billigkeit mit Zuversicht herbey, Und sprach: Man denke nicht, daß ich die letzte sey; O nein! das strengste Recht, die Seule grosser Staaten, Erhebt auch unsern Held vor andern Potentaten. Asträa sitzt in ihm auf Pohlens Königsthron, Er ist der Unschuld Schutz, der Tugend Schild und Lohn; Kein Ansehn der Person kann hier den Richter blenden, Er trägt ein blitzend Schwerdt in den gerechten Händen Dieß zeigt der Festungsbau, wo manche Bosheit frohnt, Dieß zeiget Waldheims Zucht, wo man den Frevel lohnt, Dieß zeigt die grosse Zahl von heiligen Gesetzen, Der Laster strenger Zaum, der Frömmigkeit Ergetzen. Wie hat sein starker Arm das Ungeheur gedämpft, Die Rachgier, die so gern mit Bley und Eisen kämpft? Der Zweykampf ist verbannt, man hört von keinem Morden, Weil Sachsen unter ihm Europens Freystadt worden. Der Friede nahte sich in lieblicher Gestalt, Und rief: Das Land Augusts ist stets mein Aufenthalt! Der Name Friederichs, den man für ihn erkohren, Hat niemals weniger als hier sein Recht verlohren. Die Ruhe krönt das Volk, beglückt und ziert den Staat, Hier presst der Bürger Blut kein wütender Soldat: Die Palmen sprossen stets bey Sachsens Rautenzweigen, Drum muß Bellona hier von Wuth und Flammen schweigen. Hier wohnt der Unterthan in voller Sicherheit, Ein ehrenvoller Greis vergißt der alten Zeit, Da Deutschland überall, in dreyßig rauhen Jahren, Die Wuth des harten Mars ohn Unterlaß erfahren. Der Landmann baut sein Feld, der Winzer seinen Berg, Der Künstler treibt beglückt und schließt sein Tagewerk, Die Jugend liebt und lacht, und scherzet mit Vergnügen, Und sucht der Nymphen Herz nach Wunsche zu besiegen. Die Sorgfalt für das Erzt in mancher Silbergruft Erschien zu allerletzt aus ihrer finstern Kluft. Ein schwarzer Berghabit ließ ihren Zweck erkennen, Sie sprach: Erlaubt auch mir für Ruhmbegier zu brennen. Augustus liebt auch mich, er sorget für den Schacht, Dadurch er Sachsen schmückt und jährlich reicher macht, Wie mancher Marmorbruch, nützt allbereit im Bauen, Den seiner Aufsicht Wink verordnet anzuhauen? So manche Wand sich nur in holen Bergen zeigt, So manche Leiter man in tiefe Gründe steigt, So mancher Knappe schon in Freyberg eingefahren, So wenig hat man hier des Königs Ruhm zu sparen. Kein Wunder! macht ihn doch der Steiger froher Mund In dunklen Schachten gar den Erdengeistern kund; Die, wenn sie von Augusts durchlauchten Namen hören, Der Arbeitsleute Fleiß durch kein Gepolter stören. Hierauf erschien ein Weib, in reichgestickter Tracht, Und hatte sich daher so spät herzu gemacht. Ihr gieng der Ueberfluß von Sachsenland zur Seiten, Zur Rechten trug Mercur die grösten Kostbarkeiten. Sie redete nicht viel, doch that sie destomehr: Augustus, war ihr Wort, bereichert mich so sehr, Weil mich sein Churschwerdt schützt, so kann ich mehr erwerben, Als Kayser Indiens von ihren Vätern erben. Wiewohl mir keine See beladne Schiffe bringt, Wenn Fluth und Ebbe gleich nicht in die Pleisse dringt, Obgleich kein tiefer Strom das Meißnerland bewässert; Hat diesen Mangel doch der Bürger Fleiß verbessert. Die Europäerwelt versammlet sich bey mir, Und Leipzig wird dadurch der Handelsstädte Zier. So dünkt mich, rühmte sie die drey beruffnen Messen, Doch was es alles war, ist allbereit vergessen. Die Weisheit regte schon den anmuthsvollen Mund; Die Muse störte sie, die mir zur Seiten stund. Ich preise, hub sie an, den Schutz der Wissenschaften, Die nirgends glücklicher als hier in Sachsen haften. Ist Philurene nicht Germaniens Athen? Wo darf sich eine Stadt in Deutschland unterstehn, Mir ihr an Geist und Witz, Gelehrsamkeit und Schriften, Den Wettstreit einzugehn und sich ein Lob zu stiften? Vergebens! Leipzig ist der Künste Vaterland, Und Deutschland hat es längst so wohl als ich erkannt: Augustus aber läßt die Musen an den Linden, Durch Gnade, Huld und Schutz, erwünschtes Wachsthum finden. Es eilt, wer Weisheit liebt, in seiner Mauren Schooß, O Göttinn! rede selbst, dein eignes Glück ist groß: Wenn du den König lobst, so kann ich dir nicht gleichen, Trägst du den Preis davon, so will ich freudig weichen. Nein! schallte der Entschluß, mit einem Silberton, Nein! fiel das holde Wort von dem erhabnen Thron. So viel ich selber Theil an diesem Helden habe, So herzlich ich mich längst an seiner Weisheit labe; So schwer wird hier der Schluß in eurem Streite seyn: Ihr alle habt gesiegt, der Preis ist allgemein; Besitzt ihn denn zugleich: Ich selber will nicht säumen, Ihm diesen Fürstensitz mit Freuden einzuräumen. Sie wich; man öffnete den prachterfüllten Saal, August erschien daselbst mit seiner Räthe Zahl. Kann doch der volle Mond in seinen blauen Zimmern, Mit Sternen ganz umringt, unmöglich heller schimmern, Als hier sein Aufzug schien. Die Weisheit trat hinzu, Und sprach: Der Kampf ist aus; Held, unser Preis bist du. Besteige diesen Thron, mein Zepter sey dir eigen, Wir alle werden uns vor diesen Staffeln beugen. Du hast genug gesehn, sprach meine Führerinn, Sie rückte mich davon, und flammte meinen Sinn Mit ihren Trieben an, was diesen Tag geschehen, Was ich allda gehört, was ich allda gesehen, Nach Würden zu erhöhn. Ihr Wollen war ein Muß: Drum zeigt dieß ganze Blatt den schnellvollzognen Schluß. O winkte mir August! wie eifrig wollt ich singen, Und durch sein Lob allein die Sterblichkeit bezwingen. Hamartigenia, Oder: Lehrgedichte vom Ursprunge des Bösen. Wir Menschen sind verderbt: Der Satz ist offenbar. Allein wer macht uns wohl der Bosheit Quellen klar? Wie kömmt es, fragt man oft, daß unser Thun und Lassen Dem Bösen günstig ist, das Gute pflegt zu hassen? Wer macht die Sterblichen zur Tugend ungeschickt? Wer hat das Herz verkehrt, den blöden Sinn verrückt, Halb blind, halb taub gemacht? O laßt uns dieß ergründen, Und aller Laster Brunn in wenig Reime binden! Was ist Verstand und Witz? Ein dickumnebelt Licht, Das kaum zwey Spannen weit durch Dampf und Irrthum bricht. Vermag sein schwacher Stral gleich etwas zu erkennen; So ist sein Wissen doch fast nichts von dem zu nennen, Was ihm verborgen bleibt. So gar die kleine Zahl Der Dinge, so er weis, verstattet nicht einmal Sie völlig einzusehn und deutlich zu erblicken. Die Wahrheit scheint ihr Licht mit Finsterniß zu schmücken, Und sieht wie Falschheit aus. Allein es scheinet nur: Die Wahrheit hat nicht Schuld; der Mensch verläßt die Spur. Es fehlt ihm an Vernunft, das Wahre zu entscheiden, Dem Irrthum zu entgehn, das Böse zu vermeiden. Er kehrt fast alles um. Ein Würfel heißt ein Ey, Ein Riese wird ein Zwerg. Verkehrte Phantasey! Die uns den Geist verrückt; das Herz zur Thorheit zwinget, Und in die Sclaverey der ärgsten Laster bringet. Das macht, daß unser Geist in einer Hütten wohnt, Wo lautet Unvernunft und Lust und Trägheit thront. Der Körper ist das Haus, das lauter Zunder heget, Dadurch der Lüste Glut in volle Flammen schläget. Die Sinne stellen nie den Kern der Dinge vor, Ein äusserlicher Schein füllt Auge, Mund und Ohr: Kurz, alles schmücket sich durch ein verstelltes Gleissen. Der Geist ist viel zu schwach die Larven abzureissen, Die ihm ein Fallstrick sind. So bald ein Afterlicht Mit trüben Stralen spielt, und nur das Auge spricht: Dort glänzt ein Morgenstern! Gleich läßt er sich bewegen, Und eilt mit Herzenslust dem blassen Schein entgegen, Der ihn doch nur verführt. Hier lobt der Mund den Wein: Sogleich stürzt ihn der Arm mit vollen Bechern ein. Der schwache Geist verspielt, wenn Feinde mit ihm kämpfen, Die schlau und unvermerkt ihm Muth und Kräfte dämpfen. Was Wunder ist es auch! Und wie giengs anders an, Da niemand als ein Greis gebohren werden kan. Ein Kind erblickt das Licht, ein Grundriß von dem Wesen, Daß Gott dem Erdenball zum Bürger auserlesen; Ein zartes schwaches Thier, dem alles das gebricht, Was andern Thieren nützt. Es hört und sieht fast nicht, Ihm fehlt Vernunft und Witz, die Dinge zu erkennen, Es unterscheidet nichts und weis noch nichts zu nennen. Sein ungebrauchter Geist ist wie ein leeres Blatt, Darauf kein Schreiber noch den Kiel geführet hat. Es nimmt den Eindruck an von allem, was es spüret, Und was von aussen her ein sinnlich Werkzeug rühret. Der Sachen erstes Bild betäubet sein Gemüht, Das nun zum erstenmal dergleichen hört und sieht: Es steht erstaunt und starr und pflegt mit langem Schweigen Den Eindruck, den es fühlt, verwundernd anzuzeigen. Wie sonst das Auge starrt, das sich bey später Nacht Aus dicker Finsterniß in helle Zimmer macht, Und steif in Fackeln sieht, die allenthalben brennen; Es stockt in seiner Kraft, und kann fast nichts erkennen. Allmählich stärket sich der Seelen Fähigkeit; Die Sinne wirken stets, die rege Lüsternheit Häuft immer Bild auf Bild: So keimen die Gedanken Und der noch schmale Witz erweitert seine Schranken. Die Zunge lallt erst nur, dann spricht sie allgemach Der meisten Wörter Laut mit halben Sylben nach: Und endlich lernt der Mund, nach oft mislungnem Wagen, Was Sinn und Lust begehrt, mit rauhen Tönen sagen. So schlecht hebt der Verstand sich erst zu zeigen an! Bis die Erfahrung wächst, dadurch sich auch der Wahn Von tausend Dingen stärkt; den Beyspiel und Empfinden Zu mancher bösen That noch heftiger entzünden. Ein junger Baum wächst krumm, wenn ihn kein Gärtner zieht: Und wenn ein Kind sonst nichts als Thorheit hört und sieht, Die Zucht aus Schlägen fühlt, und von Vernunft nichts höret, Als daß ihr hartes Wort die Lust der Sinne störet; Wenn es von Tugend auch nichts anders weis und kennt, Als daß man sie sehr schwer und fast unmöglich nennt: Wie kann es anders seyn, als daß zu schnöden Werken Durch die Gewohnheit selbst sich auch die Triebe stärken. Daher stammt nun die Brut des bösen Willens ab. Wer sonst im Dunkeln tappt, fällt leichtlich in ein Grab, Und wo Verstand und Witz das Böse nützlich heissen, Wo Herz und Sinne sich nach falschen Gütern reissen, Durchbricht der Lüste Strom der Lebensregeln Damm, Beschwemmt die matte Brust mit faulem Sündenschlamm, Erhitzet Blut und Geist, verwöhnet Leib und Glieder, Dann legt auch die Vernunft den schwachen Zepter nieder. Also, wie mich bedünkt, ist Adams Fall geschehn. Er hatte zwar in Gott sein höchstes Gut gesehn; Vielleicht auch wohl erkannt, man müsse Gott verehren, Und seine Wohlfahrt nicht durch Frevelthaten stören: Doch seht, sein Geist verliert, aus Unvollkommenheit, Den wohlgefaßten Satz mit aller Deutlichkeit. Wie eifrig Gott gesucht sein Herze zu gewinnen, Das alles dämpft in ihm der Eindruck reger Sinnen. Und endlich fällt er gar. Warum? Ein schlauer Feind, Den Eva noch nicht kennt und nicht zu fürchten scheint, Umhüllt sich mit dem Glanz der schönen Seraphinen, Der ihren Augen längst bewundernswerth geschienen. Die Schlange preiset ihr den süssen Apfel an, Es heißt: Geneuß die Frucht, die göttlich machen kann. So wird der Witz betäubt, der Sinn ist eingenommen, Dem Geiste dünkt es gut, dem Höchsten gleich zu kommen: Wer handelt wohl so klug, als der sein Bestes sucht? Nun streckt der Arm sich hin, er bricht und ißt die Frucht, Die Frucht, von deren Gift die Väter sammt den Erben, Auf Gottes Richterspruch an Leib und Seele sterben. So ists, gerechter Gott! doch deine Heiligkeit Bleibt hier und überall von aller Schuld befreyt. War nicht die ganze Welt vollkommen gut erschaffen? Sie wars; besaß ein Hirsch gleich nicht den Witz der Affen, War schon des Monden Licht kein heller Sonnenschein, Und konnte gleich der Mensch kein Gott, kein Engel seyn. Ein jedes Ding behielt sein unverändert Wesen, Und als es wirklich ward, so hatt es Gott erlesen, Weil seine Weisheit es in diesem Bau der Welt, Den er sich ausgedacht, zu schaffen fest gestellt. Was der enthält, ist gut, und selbst von Gott beschlossen, Es ist aus freyer Wahl des höchsten Guts geflossen. Ich weis wohl, manches Ding sieht schlecht und wandelbar, Verwirrt und elend aus; doch blieb es, wie es war. Die Geyer kehrte Gott in keine Turteltauben, Der Wolf ward nicht ein Schaaf, die Bären gehn noch rauben, Ein Rabe stiehlt. Warum? Es gieng nicht anders an. Wo ist nun ein Gesetz, das Gott verbinden kann, (Gewiß man muß allhier der frommen Einfalt lachen) Den Adam nicht zum Mann, ach nein, zum Gott zu machen? An dir, an dir, o Mensch, liegt deines Unglücks Schuld, Indessen trägt dich doch dein Schöpfer mit Geduld. Wir wissen von Natur uns selber nicht zu rathen, Wir brechen sein Gesetz durch tausend Uebelthaten; Verstand und Geist ist blind und sieht sein bestes nicht: Und obgleich die Vernunft und ihr geschwächtes Licht In Griechenland und Rom durch schöne Wissenschaften Den Weg zur Wohlfahrt wies; so wollt es doch nicht haften. Die Lüste sind ein Roß, das niemand zähmen kann. Indessen nimmt sich Gott der Menschenkinder an, Sein Sohn wird unser Heil, vollbringt des Vaters Willen, Er lehrt mit Wort und Werk des Höchsten Wort erfüllen, Erleuchtet den Verstand und tilgt die Bosheit aus, Verspricht den Seinen gar ein ewig Freudenhaus, Und will es aller Welt zum Gnadenlohne schenken, Dafern sie sich nur läßt zu seiner Liebe lenken. Dein heilbegieriger, dein väterlicher Sinn, O Schöpfer dieser Welt! gieng freylich wohl dahin, Uns alle von der Macht des Todes zu erlösen: Allein des Menschen Herz klebt gar zu sehr am Bösen. Dein Vorsatz war zu schwer, und unsre Pest zu groß. Wer macht uns wohl so gleich von allen Lastern los? Wir treiben mit Gewalt den guten Geist zurücke, Und wehrens, daß er uns durch keine Tugend schmücke. Das ist die Art der Welt. Doch deine Freundlichkeit Verschont, was sie verschmäht, und giebt dem Frevler Zeit. Sie dämpft des Fleisches Wuth, so frech sie sich empöret, Und wenn sie gleich nicht weicht, ja sich wohl gar vermehret, So hebest du doch oft den stärksten Wiederstand, Und biethest fast mit Zwang auch einem Saul die Hand, Der sie doch von sich stieß. Was will man ferner sagen? Denkt unser Fürwitz dich als grausam anzuklagen, Daß, da du voller Macht und voller Güte bist, Dir doch dein Gnadenwerk nicht stets gelungen ist: Daß tausend Sünder noch in ihren Sünden wühlen, Und keinen solchen Zug zu Buß und Glauben fühlen, Der sie bezwingt, besiegt, und Herz und Willen bricht? O nein, du ziehst sie wohl; allein sie folgen nicht. Dein Sohn kann selber nicht Capernaum bekehren, Durch Wunder, die doch dort so stark gewesen wären, Als Sodoms Bosheit war. Ein Zweifel fällt mir ein; Wie kannst du hier so reich an großen Thaten seyn, Und warum ließ dein Arm nicht dort ein Wunder merken? Sechs Städte würden ja mit wenig Allmachtswerken Gewiß bekehret seyn: Du ließest keins geschehn; Gomorrha muste nichts als lauter Rache sehn. Warum muß Chorazim des Glaubens Gnadenlehren, Warum Bethsaida, warum nicht Tyrus hören, Nicht Sidon, die sich doch viel leichter bessern kann? Den frechen Petrus blickt sein holder Meister an, Den er so freventlich verleugnend abgeschworen; Ein Judas aber geht in seiner Schuld verlohren. Herr! wär es dir ein Ernst uns alle zu erhöhn, Wer könnte deiner Macht und Wirkung wiederstehn? Wen sollte nicht dein Ruf, dein starker Ruf bezwingen, Davon die Todten selbst aus ihren Hölen springen? Doch halt, ich bin zu kühn! O Gott, dein weiser Schluß Hebt meine Zweifel auf, daß ich mich schämen muß. Mensch, soll die Allmacht denn allein die Welt regieren? Soll lauter Gnad und Huld das ganze Ruder führen? Du fehlst! die Weisheit herrscht, die Weisheit herrscht allein! In ihren Schlüssen muß der Grund verborgen seyn, Warum dieß so geschieht. Gott hat die Welt erwählet, An deren Schönheit nichts, auch nicht das mindste fehlet, Wo Kunst und Harmonie aus jedem Theil erhellt, Allwo kein Sperling stirbt, kein Haar vom Haupte fällt, Kein Glücks- kein Unglücksfall die Menschen treffen sollen, Die Gottes Weisheit nicht zum Theil verhängen wollen, Zum Theil erlaubet hat. Da, da flieht Paulus hin, In diese Tiefe sinkt sein gottgelaßner Sinn. Er weis des Höchsten Rath nicht völlig auszudenken; Drum muß er sich ins Meer der Weisheit Gottes senken. O Mensch, was willst denn du mit Maulwurfsaugen sehn? Ach möchtest du den Blick auf deine Schwachheit drehn, Und deines Schöpfers Macht, die dich so sehr erhoben, Und alles wohlgemacht, mit reger Seele loben? Vom Misbrauche der Zeit, Auf eine Magisterpromotion. 1725. Die schattenreiche Nacht, die der entschlafnen Welt, In Träumen oftermals was Wahres vorgestellt, Umfieng mich neulich kaum mit ihren schwarzen Banden, So war, wie mich bedünkt, ein Schreckenbild vorhanden, Ein Bild, das meinem Geist sehr seltne Dinge wies. Ein Wind, der mit Gewalt von Osten auf mich blies, Der Nebel, Staub und Dampf und Wolken mit sich führte, Und alles, was sein Hauch in freyer Luft berührte, Mit ungehemmter Kraft zur Erden niederschlug; Ein Wind, dem auch so gar ein strenger Adlerflug Nicht unbezwinglich schien, erhub ein starkes Brausen. Ich zitterte vor Angst. Der Lüfte rauhes Sausen Durchdrang mir Ohr und Herz: Ein Schrecken nahm mich ein, Es schien, ich sollte selbst ein Spiel der Winde seyn; Die Füsse wankten mir, mir bebten alle Glieder, Und der erstarrte Leib fiel endlich kraftlos nieder. Mein Auge kehrte sich der Himmelsgegend zu, Woher der Sonnenball, nach überstandner Ruh, Mit neuen Stralen kömmt, den Erdkreis zu erquicken; Und da war, unverhofft, was seltnes zu erblicken. Ich sah und sah doch nicht; die Weite blendte mich, Doch endlich näherte ein fernes Wesen sich. Kein Strom kann je so schnell in engen Ufern fliessen; Kein abgedrückter Pfeil kann so geschwinde schiessen; Ein Wetterstral ist kaum so schleunig von Natur; Als dieses Körpers Last auf leichten Lüften fuhr. Es schien, er würde bald den Augen kennbar werden; Doch eh ich ihn recht sah, so sank er schon zur Erden. Der Boden schütterte von eines Riesen Fall, Die stark bewegte Luft gab einen lauten Schall, Der Greis bewegte noch sein rauschendes Gefieder, Die Flügel schwungen sich und fielen endlich nieder. Mit ihren Regungen war auch der Sturm gestillt, Und ich betrachtete dieß ungewohnte Bild. Sein finstrer Anblick war ein Zeuge vieler Jahre, Das Haupt umgab der Schnee der langgewachsnen Haare, Der Bart, der dem Gesicht ein scheußlich Ansehn gab, Hieng zottigt und verwirrt bis auf die Brust herab. Der Leib war groß und stark. Man sah die steifen Sehnen, Man sah die Nerven sich bey vollen Musculn dehnen. Sein ausgestreckter Arm warf mit erhabner Hand, Die Sanduhr, so er trug, in den zerstäubten Sand. Die feste Sense schien den matten Leib zu stützen, Sein Auge funkelte und schoß mit tausend Blitzen Durch alle Gegenden, die man erreichen kann, Er seufzte oftermals, und endlich fieng er an: Verhängniß! dessen Macht und weisen Götterschluß, Der ganze Bau der Welt in Demuth ehren muß, Verhängniß! höre mich, wenn meine Klagen schallen, Und laß mich, dein Geschöpf, ins alte Nichts verfallen. Was soll das Leben mir? Mir, der ich mir zur Pein; Dir selber zum Verdruß, noch muß vorhanden seyn. Mein Daseyn ist umsonst, wenn Jahre, Tag und Stunden, Die sich durch meinen Dienst bishero eingefunden, Vergebens untergehn. Was nützt der Welt die Zeit? Was wacht mein graues Haupt mit solcher Munterkeit? Was soll der schnelle Flug der pfeilgeschwinden Schwingen? Wann jeder Augenblick, den sie der Erden bringen, Gemisbraucht werden soll. Du kennst der Jahre Zahl, Du weist es, daß mein Arm, viel Millionen mal, Dieß schnelle Stundenglas gehörig umgekehret, Daß keine Creatur sich über mich beschweret. Allein, es ist umsonst, es ist umsonst geschehn! Ich muß ja Tag für Tag mit Gram und Eifer sehn, Daß mein verschloßner Sand dem undankbaren Haufen Verworfner Sterblichen zum Vorwurf ausgelaufen. So bald Aurora sich am Horizonte zeigt, So bald der Sonnen Rad an dieß Gewölbe steigt, Den dunkelbraunen Dampf der trüben Nacht zu trennen, Muß mein gereizter Zorn, muß meine Wuth entbrennen. Vor Scham erröthet selbst das frühe Morgenlicht, Natur und Welt erwacht, allein die Menschen nicht. Der Tag ist wie die Nacht, die sonst mit sanften Ketten Die müden Sterblichen, in weichen Schwanenbetten, Als angefesselt hält. Wo ist die Lagerstatt, Die mein erwachter Bück je leer gefunden hat? Ein fauler Schlaf verderbt den mehr als güldnen Morgen, Ich muß nur mit Verdruß für Licht und Sonne sorgen: Wo nicht ein matter Greis den letzten Theil der Nacht, Mit Thränen und Gebeth und Wachen zugebracht: So liegt die halbe Welt in ungestörtem Schlummer, Sie schnarcht bis in den Tag, und macht sich keinen Kummer, Und kürzt der Lebenszeit, die ihr das Schicksal gab, Den allerbesten Theil der kurzen Dauer ab. Der Mittag selbst wird oft am Himmel schon erblicket, Eh das bequeme Volk aus dunkeln Kammern rücket, Und den beliebten Schlaf, der ihnen selbst entweicht, Mit weitgedehnter Hand aus dicken Augen streicht. Dann mehrt sich meine Quaal! die Wollust herrscht in ihnen, Ich muß auch Wachenden zu lauter Lastern dienen. Die schnöde Zärtlichkeit bezaubert alle Welt, Die Arbeit, Müh und Fleiß für schwere Martern hält. Sie mag auch, wenn sie wacht, an kein Geschäffte denken, Man bringt des Morgens Rest mit türkischen Getränken, Und andern Gattungen des Zeitvertreibes hin. Sodann begiebt sich noch des Menschen eitler Sinn Vor ein polirtes Glas, den Leib mit hundert Stücken Von seltnen Gattungen der Kleider auszuschmücken. Die Tafel wird gedeckt, die Trachten warten sein, Man schluckt drey Stunden lang die Leckerbissen ein, Der beste Traubensaft erhitzet das Geblüte, Und reizet mehr und mehr das lüsterne Gemüthe Zu lauter Ueppigkeit. Die Sonnenkugel sinkt, Indem die trunkne Schaar ein heisses Wasser trinkt, Wenn sich die Müßigen Racketen, Charten, Massen, Und andres Kinderspiel, o Schande! reichen lassen. Die Schatten werden lang, die Demmerung geht an, Und wenn die Finsterniß sich kaum hervor gethan, Versinkt das freche Volk in neuen Lasterpfützen. O säumendes Geschick! Wirf, wirf mit deinen Blitzen Auf mein gequältes Haupt. – – – – Der Eifer macht mich stumm, die Worte fehlen mir, Ich bin von Klagen matt, ich seufze nur zu dir. Vernichte, wo du kannst, mein Wesen von der Erden; Wo nicht? so laß die Zeit nicht mehr geschändet werden. Hie fiel der müde Greis vor Ohnmacht in das Gras, Er schüttelte das Haupt, ergriff sein Stundenglas, Er hub es grimmig auf, und schwur bey allen Wettern, An seinem Sensenschaft dasselbe zu zerschmettern. Doch seht! das Wolkendach zerriß und trennte sich, Ein ungewohnter Glanz erschien und schreckte mich, Drauf schallte dieser Ruf in die bestürzten Ohren: Schweig, Alter! deine Wuth und Klagen sind verlohren, Verwegner! meisterst du des Schicksals weisen Schluß, Den alles, wie du weist, was da ist, ehren muß? Gesetzt, daß Tausende das Gold der Zeit verschwenden, Und durch den Müßiggang den Fluß der Stunden schänden: Genug, daß hie und da ein Kluger durch den Fleiß Fast jeden Augenblick geschickt zu nutzen weis. O sey nur aufmerksam, du wirst sie schon erblicken, Und sey nicht mehr so frech, mein Schicksal zu verrücken. Was liegst du Träger da? Verlaß den wüsten Ort, Greif Uhr und Sensen an, und eile wieder fort. Die Wolken schlossen sich, das helle licht verschwand, Der Alte hub den Leib, mit unterstützter Hand, Aus seinem Lager auf: Drauf dehnten sich die Flügel Mit neuen Kräften aus, so, daß der nahe Hügel Ein sausendes Geräusch zurücke schallen ließ. Ich spürte, daß der Sturm von neuem wieder blies, Er fieng sehr plötzlich an mit ungemeinem Rasen Und großer Heftigkeit von Osten her zu blasen. Der Greis verließ den Platz, der Sturmwind hub ihn auf, Man sah ihn; er verschwand, und ich erwachte drauf. Mein Werther, zürne nicht, daß dieß geringe Blatt, Mein neuliches Gesicht dir vorgemalet hat. Du hörst das Bild der Zeit von seinem Misbrauch klagen, Allein, du hörest nichts zu deinem Vorwurf sagen. Du kannst ein Beyspiel seyn, daran ein jedermann, Von ungemeinem Fleiß ein Muster schauen kann. Minerva zählt dich itzt zu ihren liebsten Söhnen, Sie läßt dein kluges Haupt mit Lorberreisern krönen, Die du so wohl verdienst. Und da sie dieses thut, Beweget sich in mir das treugesinnte Blut. Mein Herze wallt für Lust bey diesen Ehrenstuffen, Dahin dich dein Verstand und Fähigkeit geruffen. Wie mancher wundert sich, daß dieß so bald geschehn? Allein, wer dich nur kennt, wird sonder Zweifel sehn, Die Lehrerwürde sey, sowohl für deine Jugend, Als manchem Alten sonst, ein Lohn bekannter Tugend. Man weis, wie wohl du stets die edle Zeit verwandt, Wie du bey Tag und Nacht nach Weisheit und Verstand, Und Wissenschaft gestrebt; ja wie so wenig Stunden Dir in Ergetzungen und Zärtlichkeit verschwunden. Die Ehre war dein Sporn, der nie die Kraft verlohr, Es kam dir stets das Bild des großen Vaters vor, Das deiner Triebe Macht mit neuer Reizung rührte, Und dich nach Adlerart zur Tugendsonne führte. Du folgest, wenn er winkt, mit muntern Schritten nach. Denn was ein alter Held von Ehrenseulen sprach: Sie schienen, ihm des Nachts den besten Schlaf zu stören: Das hab ich dich sehr oft vom Vater sagen hören. Dieß ist die schöne Bahn, die dich, Geliebter! trägt, Darauf du schon vorlängst die Proben abgelegt, Die dir bey aller Welt, in öffentlichen Schriften, Doch ohne Pralerey, ein stetes Denkmaal stiften. Jedoch, du fährest fort. Ganz Leipzig merkt es schon, Dein theurer Vater sieht sein Bild in seinem Sohn, Er siehts und freuet sich, und wird in kurzen Jahren, Noch mehr Vergnügungen von deinem Fleiß erfahren. Ach werthgeschätzter Freund! wie freudig will ich seyn, Trifft nur mein treuer Wunsch von deiner Wohlfahrt ein: Und kann ich nur die Pracht von deinen Ehrenzweigen, Einst in der Nähe sehn, und meine Lust bezeigen.