An Tertullia Den 17. Februar 1773. Wann schoß ich gierig mit den Blicken Umher im Kreis' der Mädchen? Sprich! Wer sah, mit Zofen-Sorgfalt, mich, Den Schönen zu gefallen, schmücken? Wer lachte tanzender Statuen, Im Mai des Lebens, so wie ich? Wer ließ so unversengt um sich Der Schönheit Funken sprühen? Wer focht im Kampfe ritterlich, Als Schüler Rabners, mit den Schwänken Verbuhlter Herrn, und seinen Ränken Verliebter Mädchen, so wie ich? Wo ward ein Vater meine Wache Beim Scherzen mit der Tochter? Wo? Lebt' ich nicht unter einem Dache Mit schönen Mädchen frei und froh? Sah nicht die Stadt in den Alleen, Mit ihren Töchtern, hin und her Mich oft bei Mondenscheine gehen? Wer aber wagte Tadel? Wer? So war ich, als das Ohngefähr Zu dir, Tertullia, mich brachte! Weist du, Vergessene, nicht mehr, Wie scharf ich da mich selbst bewachte? Ich war ein Spiel von meinen Sinnen, Denn ach! mein höchster Wunsch warst du! Was that ich nun, dich zu gewinnen? Ging ich frisirt en Cacadour, Statt meiner einen schwarzen Locke? Ging ich nicht mehr im schlichten Rocke, Mein Heinrich nicht mehr im Sürtout? Besprengt' ich mich mit Eaue d Lüce? Macht' ich durch Doppelsinn dich roth? Bepackt' ich mich mit Zuckerbrod? Ward ich ein Sklave der Caprice? Band ich dich an mit Modetand? Bewacht' ich neidisch deine Schwelle? Warst du die Losung für die Bälle? Und drückt' ich dir im Tanz' die Hand? Bestach ich dich mit Schmeicheleien? Mit Zucker deinen Lieblingshund? Mit Golde deiner Zofe Mund, Mein Lob dir stündlich vorzuschreien? O! sey gerecht, Tertullia! Bekenne, daß ich selbst durch Lieder Mich nicht verrieth. Ich stand und sah Nur immer still zur Erde nieder; Denn, o mein Geist! wo warst du da? Zu stolz, um immer unerhört, (Dich liebten Hundert; du, nicht Einen!) Um dich zu seufzen und zu weinen, Hätt' ich gewiß in dunkeln Hainen Mich und den Kummer aufgezehrt. Durch Herz und Geist dich zu gewinnen, Wär's etwa beides deiner werth: Das war mein Wunsch! Sieg über Sinnen Hat nie mein Herz und Geist begehrt. Erst da, als sich der Wehmuth Zähre Hervor aus deinem Auge wand, Und dein Erröthen mir gestand, Daß sie für mich gefallen wäre; Erst da berührt' ich deine Hand! Zerbrechen wollte mir, zerbrechen Das Herz; vermochte nicht, zu sprechen, Zu stammeln nur, was ich empfand. Nicht du, nicht ich, keins wollt' es wagen, Die Augenlieder aufzuschlagen, Denn Thränen standen um den Rand; Und immer kürzer, immer enger, Ward uns der Athem und die Brust. – Ha! Welche Scene! Welcher Sänger Hat das zu singen je gewußt? Du warest mein Gedank' am Tage, Du warest jede Nacht mein Traum; Zu weit ward mir der engste Raum; Ich sah den Tag nicht, hörte kaum Des armen Heinrichs zehnte Frage; Und unter meiner Laube, lag Ich ungegessen, ungetrunken, Den einen wie den andern Tag, So – wer beschreibt's? – in mich versunken. Und welche Nächte, welche Nächte Verschlug mein Herz an deiner Brust! O willst du rechten? Wohl! so rechte Mit dem, der in der höchsten Lust Den Schwur bestanden: deiner Ehre Nie, nie Eroberer zu seyn! Ha! Wenn es kein Verdienst auch wäre, So war die That noch nicht so klein! In deiner kleinen Gartenlaube, In dem Corsett', der Abendhaube, Und einem seidnen Ueberrock'; Vom Nelken- und vom Rosenstock' Süß angehauchet, eingesungen Von tausend Heimchen, fest umschlungen Von meinem Arm'; von meinem Kuß' Bis auf der Röhren Mark durchdrungen, Von meiner Augen mildem Guß' So überschwemmt, und von dem Toben Des hohen Busens aufgehoben, Bei Sternenlicht mit dir allein: O Tugend, Tugend! Ehre, Ehre! Was seyd ihr? Waret ihr nicht mein? – Ha! Wenn es kein Verdienst auch wäre, So war die That doch nicht so klein! Doch, laß mich offenherzig seyn! Klein war die That! denn nicht der Schleier Von deiner Seele, goß dieß Feuer Der Liebe, meinen Adern ein. Die Seele selbst war mir zu theuer, Um meinem Schwur' nicht treu zu seyn. Drei Jahr' bin ich ihm treu geblieben. Nicht mehr so laut schlägt zwar mein Herz, Nicht mehr so oft klagt süßen Schmerz Mein Mund; doch hört' ich auf zu lieben? Unfähig der Verstellungskunst, Der allerniedrigsten der Künste, Verscherzt' ich selbst ja deine Gunst, Würd' ich gefangen im Gespinnste Von einer Andern. Schon mein Blick Verriethe mich, und ach! es bliebe Nur meine Freundschaft, keine Liebe, Nach Ninons 1 Beispiel, dir zurück. Ach! für sein Herz kann Niemand stehen; Es treibt mit Weisen selbst sein Spiel! Wenn ich auch einst von diesen Höhen Herab, zum Sumpf' der Untreu' fiel: Mein wäre nagendes Vergehen, Und dein der Unschuld Ruhe dann. Ha! wie will diesen Fall, dein Flehen Verhindern? Ach! er ist geschehen, Eh' ich ihn selbst verhindern kann. Noch steh' ich fest auf meiner Stelle; Noch flüchten muß ich nun von hier! Denn Jammer! Jammer! Eine Hölle Von Eifersucht, tobt unter mir! Sieh! ihre Schwefelflammen lecken An mir herum von allen Ecken! O wenn ihr Raub ich werden muß, Tertullia! dann wird kein Kuß, Kein reuevoller Thränenguß, Mich treuen Todten auferwecken. Noch ist es Zeit, Tertullia, Dieß Höllenfeuer auszugießen. O laß nur andre Thränen fließen, Als ich seit Monden fließen sah. Wer so, wie ich dich liebe, liebet, Wer so für seine Treue wacht: Womit verdienet der, Verdacht? Und doch, Tertullia, betrübet Der deine mich so Tag als Nacht. Hat mein Verdacht von deinem Leben Dir auch nur Einen Tag getrübt? Dir, von Verführern rund umgeben, Von jedem, der dich sieht, geliebt! Du hast, mir treu zu seyn, geschworen; Wohl mir, wenn du es immer bist! Wo nicht; o wehe mir! So ist Die wachste Eifersucht verloren! Wozu nun ihre Qual und List? Wozu? da ich so gern doch glaube, Was einst dein Mund an meinem schwor? Nein, Eifersucht! ich wär' ein Thor, Gäb' ich, dir Löwin, mich zum Raube. Und dennoch, Zweiflerin! bewacht Dein Falkenauge mich Getreuen? Kannst, wenn ein Mädchen mit mir lacht, Mir kaum, dem Mädchen nie, verzeihen? Was suchst du ängstlich hin und her, So bald ich nur im Zimmer fehle? Was wirst du still, wenn ohngefähr Ich eines Mädchens Lob erzähle? Und blaß, wenn ich mit Spötterei Auf die Despoten-Tyrannei Der eifersücht'gen Liebe schmäle? Frei sind die Vögel in den Lüften, Der Fisch im See, das Wild im Hain': Und ich, ich sollt' es nur nicht seyn? O! das heißt langsam mich vergiften! Auf! wähle dir! das Maß ist voll! Frei will ich seyn, und dann dich lieben! Wo nicht; – Ich Thor soll mich betrüben? – Wo nicht; so leb' auf immer wohl! Fußnoten 1 Ninon de Lenclos liebte so lange aufrichtig, als sie an ihrem Liebhaber Geschmack fand. Verlor sie diesen, so gestand sie das sehr freimüthig. So sagte sie unter andern einst zu ihrem Liebhaber Gourville, der einige Zeit außer Landes gewesen war: »Mein Herr! es ist mir während Ihrer Abwesenheit ein großes Unglück begegnet; ich habe die vorige Neigung zu Ihnen verloren.« Sie blieb indeß seine Freundin, im engsten Verstande des Worts.