An Gleim Ellrich, den 1. Mai 1776. Du hast mich zwar Seit einem Jahr' Wohl zwanzigmal Besuchen wollen; Doch, Berg und Thal Möcht' eher sich Zusammen rollen, Als du und ich, Uns, wie es scheint, Hier küssen sollen. Wir aber, Freund, Trotz unsrer Liebe! Sind nicht gemeint, Dem Aufgeschiebe So nach zu sehn; Versprechen halten, Das steht bei Alten, Und jungen, schön, Entschuldigungen Sind, wie du weist, Dir oft gelungen; Doch nun zerreißt Der Frau Geduld Am Spinnerädchen, Das letzte Fädchen, Ob deiner Schuld. Zwar, wenn ich recht Es überlege: Die Felsenwege Sind herzlich schlecht; Man wird im Wagen So braun und blau, Wie manche Frau Vom Mann', geschlagen. Fürwahr! so was Verlangt der Haß Und nicht die Liebe; Ja! wär' ich Gleim, Ich selber bliebe Wohl hübsch daheim. Doch steht geschrieben: Die böse Sieben Hypochondrie, Aus Kreuz und Magen In einem Huy! Heraus zu jagen, Sey in der Welt, Wem's sonst gefällt, Kein besser Mittel, Als solch Geschüttel. Nun wollt' ich gern Den lieben Herrn Canonicus, Der immer sitzen, Bei Acten schwitzen Und doctern muß, Recht frisch und munter Im Frühling' sehn: Drum laß es gehn Berg auf, Berg unter, Dem Harz hinein! Denn die Gewässer Sind wieder klein, Die Wege besser, Die Luft so rein! Der Nachtigallen Gesänge schallen In Lahra's 1 Hain; Und Blumen düften Auf jeder Höh', Die Herr Linnee In seinen Schriften, So viel er kennt, Nicht alle nennt; Und Felsen schimmern Hoch auf dem Harz Besonnt, und flimmern Von Spath und Quarz; Und hohe Schlösser, Die manchen Fresser Und Dieb genährt, Stehn da verheert, Stehn und dociren Den Spruch von fern, Daß strenge Herrn Nicht lang regieren! Und froh und süß Spielt auf bejahrten Verfallnen Warten, Wo die Trompete Zur Schlacht sonst bließ, Die Schäferflöte Zum Tanz' der Lämmer; Der dumpfe Schlag Der Eisenhämmer, Ist wieder wach 2 ; Und in der Weite Schläft nach und nach Der Felsenbach Und das Geläute Der Herden ein 3 ; Und in dem Hain', Wo die Druiden 4 In gutem Frieden Kramm'tsvögelein Für sich gebraten, Und fromm und fein, Wie itzt Prälaten, Nie Layen baten, Ihr Gast zu seyn: Da springt im Quelle Die Lachsforelle Für meinen Gleim; Da zirpet nun, Leis' und geheim, Das Haselhuhn Für meinen Gleim; Da ätzt das Reh Vom jungen Klee Den ersten Keim Für meinen Gleim; Da holt nunmehr Der Bienen Heer Schon Honigseim, Zur süßen Beute Für meinen Gleim; Da hasch' ich heute Schnell Reim auf Reim Für meinen Gleim! Zu solchem Feste, Für Dich nur klein, Doch mir das größte, Lad' ich Dich ein, Und zapfe Wein Vom Mutterfasse, Und trink', und lasse Mit Gleimen gern Die großen Herrn Mit langen Ohren, Langöhrigt seyn; Denn wer kann Thoren Zu Weisen schrein? Wohlan denn! Munter, Berg auf, Berg unter, Zum Harz hinein! Fußnoten 1 Lahra, eine Göttin der alten Deutschen, die auf dem Berge, wo itzt noch das alte Schloß und jetzige Amthaus Lohra oder Lahra, zwei Meilen von Ellrich steht, einen Tempel hatte. Eine sehr waldige und romantische Gegend. 2 Das Triebwerk der Eisenhütten friert gewöhnlich im Winter zu. 3 Alle Rinderherden im Harz, tragen Glocken am Halse. 4 Bei Druidenstein oder Drudenstein, wie man es itzt nennt, einem Dorfe auf dem Wege von Blankenburg nach Ellrich, in dessen Walde die Druiden sonst wohnten.