An Goldhagen Den 31. Dezember 1772. Tausend von den besten Stunden Dieses Jahres, dank' ich dir! Um mein Leben hast du mir Einen Myrtenkranz gewunden, Seit in dieser Wüste hier, Ich das höchste Glück, in dir Einen weisen Freund gefunden; Seit nicht mehr die kranke Ruhmbegier Ueber Staub und Motten wacht, Seit ich klüger, manche halbe Nacht, Mit Sophien und mit dir, Weggescherzt und weggelacht. Niemals sah ich in den letzten Stunden Eines Jahres, mit so heiterm Blick' In ein Jahr, das bald verschwunden, Aber nicht verloren ist, zurück. Zwar verweilet sich am Grabe Meines Benjamin 1 – der gute Mann! Weh'! daß ich ihn nicht mehr habe! Wohl! daß ich ihn wieder finden kann! Und ich werd' ihn wieder finden, Wenn ich meine Spanne Raum Durchgekrochen bin, und dieser Traum In dem Arm' der Engel wird verschwinden. Noch, da ich im Traume bin, Freut mich's, wenn er mich entzückt; Weislich seh' ich selbst dahin, Daß der schwere Alp der Sorgen Mein zufriednes Herz nicht drückt, Und mein Auge, jeden Morgen, Heiter nach dem Himmel blickt. Ob die Großen in Berlin Von mir hören? an mich denken? Sollte das mich heimlich kränken, Und die Stirn in Falten ziehn? Zu versorgen hab' ich keinen, Als nur mich, nur mich allein; Und du weist ja, diesem Einen Ist sein Häuschen nie zu klein, Nie sein Tuch zu grob gewebet, Nie zu leicht sein Frankenwein; Gut genug mag alles seyn, Wenn man ohne Sorgen lebet. Auszufüllen meine kleine Sphäre, Das sey meine Sorge; damit gut; Und ein Unverschämter störe Meinethalb mit Bettelei um Ehre, Oder Gold, den Mann, der niemals ruht! Mag man Andrer Renten mehren, Schränke selbst die Meinen ein: Meinen Schlaf soll das nicht stören, Nicht vergällen meinen Wein. Und was soll mir Geld? So Viele Haben dreimal mehr, als ich; Rennen nach der Freude Ziele Täglich außer Athem sich; Ich geh' auch den Weg im Spiele, Und der Erst' am Ziel' – bin ich! Ob der reichsten Schöne Hand Des Verschwenders List sich weihet, Ob ein Mädchen voll Verstand Einem Narren Weihrauch streuet, Und ein dummes, Weis' entzweiet, Und ein schönes, unbedacht, Einem Faune sich ergibt, Alles das, mein Lieber, macht Mich nicht fröhlich, nicht betrübt. Mag die Freundschaft nur mein Herz Immer mehr an sich gewöhnen! Liebe, mit Petrarca's Sehnen, Ist ein gar zu langer Schmerz, Liebe zu Horazens Schönen, Ist ein gar zu kurzer Scherz. Laß die Thoren, die zu Wagen, So wie die zu Roß und Fuß, Böses oder Gutes sagen; Kann ihr schönstes Lob behagen? Es ist einer Metze Gruß, Und ihr Tadel zu ertragen. Wahrlich, hab' ich auch nicht Zeit, Mich mit ihnen abzugeben; Der verschwendet nur das Leben, Wer der Weisheit alten Streit Mit der Unvernunft erneut. Freund! dir ist der Rest der Zeit, Die ich hab', im neuen Jahre, Wenn du sonst ihn willst, geweiht? Ach! erspare denn, erspare Was du kannst, von deiner Zeit! Tausche, wie in diesem Jahre, Mit mir um; hast freilich nicht Dir das beste Loos gezogen, Doch beim Tausch' wird, wie man spricht, Einer allemal betrogen. Hast du doch aus deinen Schätzen Lange, lange zuzusetzen; Nimm es so genau denn nicht. Fußnoten 1 Der Dichter Johann Benjamin Michaelis, starb den 30. September 1772 zu Halberstadt.