27. Die Rose, die Rebe, der Distelkopf und Jupiters Adler Aus dem Französischen des Königs. Jedwedes Wesen war begabt mit Wissenschaft Damalen, als die Welt die anerschaffne Kraft Noch hatte; die Vernunft war, sagt man, eingesessen Im Menschen und im Tier, in Pflanzen, die wir essen, In allem Lebenden bis auf die Milbe! dumm War noch kein Menschenkopf, noch keine Blume stumm! O schöne, schöne Zeit! von welcher ist zu lesen In einem schönen Buch: Ein Garten sei gewesen, Und eine Rose, schön, wie's keine jetzt noch ist; Ei! hätte die gesagt zur Rebe: du, du bist Bei weitem nicht so schön, als ich bin; ich beklage Dich arme Rebe! Du, das liegt am hellen Tage, Bist ungeholfen Nichts! bist elend, jämmerlich; Der Mensch macht Was aus dir, pflegt und beschneidet dich, Giebt eine Stütze dir, macht, daß du dich kannst schlingen Um einen Platanus, auf welchem Vögel singen; Du, Rebe, deren Blüt' erlesnen Balsamduft Weit um sich her nicht geußt in dünne Sommerluft, Du lägst, hälf' er dir nicht, zu deiner großen Schande, Verworfen, schmutzig, kalt und kröchst vor uns im Sande! Hingegen ich, mein Kind! ich, also wunderschön, Daß aller Augen sich an mir nicht müde sehn, Ich Blumenkönigin, ich, so von Gott erschaffen, Ich steh' in eigner Kraft, und, mitten unter Waffen! Kömmt nun ein schöner Tag, sieh! dann brech' ich hervor Mit meinem Sonnenglanz! Dem ganzen Blumenchor Weich' ich nicht aus, ich bin die Mörderin, ich töte Was schön ist um mich her, bis auf die Morgenröte! Wenn eine junge Braut dem Mann, dem Bräutigam In ihrer Ehrenzucht und jungfräulichen Scham Gefallen will, dann muß, an Tafeln und in Tänzen, Ich Blumenkönigin an ihrem Busen glänzen! Nur einen kleinen Wert hast dennoch gegen mich Du so vergängliche! sagt da die Rebe; dich, Kaum aufgebrochne, stößt, und alle deine Glieder, Aus ihrem Sein in Nichts ein Hauch des Windes nieder; Dein Leben ist so kurz, o Schwesterchen! man sieht In einem Tage dich schön blühend und verblüht; Die Schönheit steht bei dir, du streitest und du siegest! Ja! wenn, so schön du bist, du schöne Früchte trügest, Dann wärst du Was! Du wärst des Schöpfers bestes Kind, Wärst schön – und nützlich auch, wie meine Trauben sind Ein dicker Distelkopf, ein Auswurf aus der Erde, Hört an die Reden, spricht: Ihr Schwätzer, schweigt! ich werde Mit euch nicht streiten, ich, der Freimann, der gepflegt Zu werden nicht bedarf, den jeder Boden trägt! Ihr Sklaven! eure Frucht und eure Blüte dienet Dem Menschen, der euch pflanzt; ihr wachset, blühet, grünet, Weil ihr die Sklaven seid, die, keiner Freiheit hold, Nur glänzen, ihr, im Dienst, wie Silber oder Gold! Nach eurem Schimmerglück werd' ich gewiß nicht trachten, Ihr Menschendiener ihr! euch kann ich nur verachten! Schweig! o du Distelkopf, verwegner Lästrer, still! Der muß vollkommen sein, der alles tadeln will! Rief aus der hellen Luft ein Adler, der vom Throne, Des hohen Jupiters geflogen kam; o schone Der Worte, Lästrer, du! o du, der frei nicht ist, Du Sklave, der du nur des Esels Speise bist! Ich lehre – kaum bist du der Lehre würdig – höre, Du Rose! Rebe du! nur euch geb' ich die Lehre: »Der Schöpfer, der uns schuf, gab jeglichem sein Teil, Zu helfen überall zum allgemeinen Heil! Und alles, was er will, kann er Geschöpfen geben, Geruch und süßen Saft den Rosen und den Reben! In jeder Eigenschaft strahlt seine Güte weit In seinem Reich, und ihm blieb die Vollkommenheit!« Gelaßner sprach er dies, als was der arme Tropf, Der Herr mit dickem Kopf, Anhören mußte; saß bei Reb' und Rose, zog Der Rose Wohlgeruch sanft ein, mit starken Zügen, Flog wieder auf zum Thron des hohen Gottes, flog, Und Ros' und Rebe sahn ihn fliegen!