Empfang und Unterricht Seine Zopfigkeit, der ernste Ober-Mufti, mich nach guter, Alter Sitt' empfangend, küßte Meines Schlafrocks Saum und nahm dann Meine rebenblut'ge Spende Mit der größten Huld entgegen, Während ich, gleichwie zum Segen, Mußte meine beiden Hände Ihm auf Bauch und Gurgel legen. Und nachdem nun diese Handlung, Ganz so geistvoll wie erhaben, Ich vollbracht und seine Diener Sich entfernt, ergriff der Mufti Eine goldkrystall'ne Flasche, Goß aus dieser in ein spitzes, Goldkrystall'nes, frommes Kelchglas Köstlich duftende und gold'ne Feine Kräutertropfen, die er »Wohlgefäll'gen Bittern« nannte, Und von denen er betheuernd Sagte, daß sie ganz so schmackhaft Und belebend wie zuträglich Der Gesundheit seien – goß er Diese edeln Kräutertropfen Langsam in den Mund und Schlund sich; Schnalzete und sprach zu mir dann Freundlich nickend: »Wohl bekomm's Euch!« Ich erstaunte und sann drüber Nach, woher es wohl mag kommen, Daß auf diesem Stern die Menschen Alle, selbst die hochgestellten, Stets den Aberglauben hegen: Das, was sie nur für sich selbst thun, Anderen gethan zu haben? »Ihr seid von mir hergerufen,« Sprach der Mufti jetzt, nachdem er Sich auf einen goldbetroddelt- Sammetrothen Sopha wohlig In der ganzen Körperlänge Ausgerecket und gestrecket, Und ein Gleiches auf dem gleichen Gegenüberstehnden Sopha Mich zu thun bedeutet hatte: »Ihr seid von mir herberufen, Um die Kenntniß zu empfangen Unsrer Mytheologie. Sie ist einfach, und für Geister Eures Schlages, welche schnell sich Angeochst- und aufgedrung'nem Wust entschlagen, leicht erfaßbar. Gänzlich müßt Ihr Euch, zum Beispiel Von dem christlich-jüd'schen Denken (Wenn man dieses captivirte, Abgezogne, blinde Tappen Und dies Vorschrifts-Drumherumgehn, Dies sophist'sche Absichschweißen In dem Nichtigen und Flachen Ueberhaupt kann Denken heißen!) Oder Fühlen frei Euch machen.« »Wie?« rief ich, erhitzt aufspringend Von dem Lager, »wollt Ihr Alles, Was im Geist und gegenständlich Offenbart ist und als heil'ge Ueberzeugung unvertilgbar In Millionen und in mir lebt, In dem Scheidewasser Eures Irren, ewig wirren Grübelns Und Vernünftelns, Eures heidnisch Sogenannten abso ...« »Nicht doch!« Unterbrach der Mufti mich und Gab Befehl mir, wieder langaus Auf dem Sopha mich zu strecken. »Ich will Euch durchaus nicht zwingen, Unsern Glauben anzunehmen, Den zu glauben hier Gesetz ist. Ihr hört ruhig an mich, höret, Was Ihr denken, fühlen, glauben (Denn Gedank', Gefühl und Glaube Ist ja Eines!) sollt, und wenn dann Noch nach eines Jahr's Verlauf Ihr Christ seid – denn ich weiß, Ihr seid es, Seid ein ächter Christ – so werdet Nach dem Paragraphe Sechszehn Unsres Toleranz-Ediktes Ihr, wie's wörtlich heißt, ›aus Unserm Horizont beseitigt,‹ nämlich, Wenn Ihr nicht, was ich Euch lehrte Anerkennt als letztes Wissen: Aus dem Sterne, die Verkehrte Welt, sofort hinausgeschmissen. Hört nun weiter! Wir besitzen Religion in Eurem Sinne Gar nicht; wir besitzen Glauben, Aber jenen äußerst starken, Der mit Wissen synonym ist. Was Ich, was der Ober-Mufti Glaubt, ist Wissen und ist Glaube Jedes Einzelnen der Icher, Wie wir, Ego' s Volk, uns nennen. Was ich glaube, das ist Wahrheit, Denn in mir ist Ego selber, Sind die Icher alle, gleichwie Ich in ihnen. Und da Glauben Eins mit Fühlen ist und Denken: Fühl' und denke ich im Grunde Ganz alleine, denn die Freiheit Alles Wissens, Fühlens, Denkens Ist beschränkt im Ober-Mufti. Oder,« sprach er seufzend weiter, » Sollte es doch sein, denn leider Gibt's hier rationale Hetzer, Die den Denkerplebs bethören; Giebt's hier, wie Ihr gleich sollt hören Auch in unserm Reiche Ketzer! Ego ist, wie Euch bekannt schon, Gott der Götter und der Zeiten. Ihm der nächst' an Macht und Herrschaft Ist Gott Te, der Gott der Prügel. Nos heißt unser Teufel, Satan, Und der Gott des Reichthums Natan. Schtille ist der Gott der Ordnung, Me, sein Weib, Göttin des Schlafes, Pruda die der Langenweile, Tibi, Vater Te' s, der Keile Gott und der gemeinen Hiebe; Roma endlich Gott der Liebe. Früher hatten wir noch Andre, Die jedoch ob ihres Starrsinns, Den sie den prophet'schen Worten Unsres Ober-Muftithumes Gegenüber sich erfrechten, Bis auf Weit'res suspendirt sind. Welches Recht, die Götter – Ego Ausgenommen nur und Tibi – Abzusetzen, der Funktionen Sie zeitweilig zu entheben, Wenn sie störrig, eigensinnig, Jedem Ober-Mufti zusteht.« »Darf ich mir an Eure Zopfheit Eine Frage wohl erlauben?« »Gerne!« »Wie ist's möglich, daß Ihr Für so nah verwandte Dinge, Wie die Prügel sind und Keile, Zwei der Götter habt statt Eines?« »Nah' verwandt? Quod non! Ihr irrt Euch, Und seid nah' daran, den Ketzern Beizutreten, welche eben Unsern Te nicht haben wollen Und als schlechte Egoisten Nur den Tibi anerkennen; Weßhalb wir sie Ateisten Oder Tibianer nennen.« »Euer Zopfigkeit verzeihen,« Sprach ich, »doch es wird von Eurer Mytheologie so dumm mir Als ob (Göthe'n sehr verbessernd) Drei mal drei zelot'sche Rabbi's Und raviate Kirchenväter Tappten in dem Kopf herum mir.« »Es soll bald Euch Licht drinn werden,« Lächelte der Mufti, seine Ausgestreckte Sophalage Beibehaltend und sprach also: »Zwischen Prügel, Freund, und Keile Ist nach Unserem Begriff hier Ein tieffrommer Unterschied noch. Keile, und so fassen sie die Ateisten-Ketzer auf auch, Ist das rohe, allgemeine, Demokratische, profane Element, sind Püff' und Hiebe, Welche unter Tibi's Obhut, Gleichberechtigt, gegenseitig Sich mit Stöcken, Peitschen, Händen Mensch und Thier tagtäglich spenden. Prügel aber ist das göttlich- Te -aristokrat-spezifisch- Heil'ge Element, mit Einem Worte: ist die höhere Keile! Tibi's Macht erstreckt sich einzig Ueber die von Uns und Pampeln Nicht gesetzlich sanctionirten Kleinen Knecht- und Kinderstrafen; Ueber Püffe, Ruthenhiebe, Fußtritte und Katzenköpfe, Kantschu-, Faust- und Backenschläge, Oder höchstens über Tabagieen- Klubb's und Kneipen-Saufereien, Und Casino's-, Harmonieen- Oder Volksfest-Raufereien. Te, Freund, Te ist viel erhab'ner! Te ist Gott des Ehren-Zweikampfs, Gott der Schlachten, Ego's Zorn-Gott! Und so fassen die Teisten, Unsres Tempels guten Schafe, Auch die Prügel auf und nehmen Sie als süße Himmelsstrafe.« »Also«, fragt' ich, »die Tibianer Oder Ateisten wollen Prinzipiell nicht Prügel haben?« »Nein!« erwiederte der Mufti. »Diese unfromm-demokrat'schen Wichte nennen Keile: Keile! Sondern nicht von der gemeinen Unsre höhere. Sie schelten Krieg und Zweikampf: Luxus-Keile, Oder Keile nur im Großen; Leugnen Te und opponiren Gegen unsere dictirte Balsam-Prügel, die verlor'ner Ehr' und Tugend Wunden heilet, Nur Diejen'ge anerkennend, Die der Mensch kraft angebor'ner Freiheit selber sich ertheilet.« »Eine Frage noch erlaubt mir,« Sprach ich nach erlangter Prügel- Kenntniß, »Eine noch, betreffend Euern Gott der Liebe, Roma. Mir fällt's nämlich auf, daß er dem Namen nach ist der verkehrte Liebesgott der Alten: Amor. Und so möcht' ich gerne wissen, Ob er anders auch geartet Als der unmoralisch-lose, Kleine, flatterhafte Pfeilschütz? Als der Bringer süßen Schmerzes; Als der himmlisch-holde Schalk Jener großen, ernsten Liebe Die das All schuf und gestaltet, Der, so klein, als größter Heros Ueber alle Wesen schaltet? Als Cupido, Amor, Eros?« »Roma«, sprach der Ober-Mufti, »Sohn des Ego und der Pruda, Hat in unserm Reich mit Alten Wenig oder Nichts zu schaffen. Er ist Knabe noch an Jahren Aber ernster, würd'ger Haltung, Sittig, anstandsvoll gekleidet; Eine Peitsche in der Rechten, Strebt er, Maid- und Jünglingsseele Stets zur Liebe anzufeuern, Auf daß nimmer es an Knechten Unserm theuern Staate fehle Oder, deutlicher, an Steuern.« »Also Knabe ist er auch?« »Ja, Freilich! Knabe ist und bleibt er, Muß der Gott der Liebe bleiben! Denn wenn größer er und älter Würde, könnte er vielleicht ja Sclave werden, wo er herrschte; Könnte er ein Mädchen finden, Dem er weihete sein Leben; Könnt' sich ehelich verbinden Und dann sein Geschäft aufgeben!« »Das heißt: wenn er Eh'mann wäre, Wär' die Liebe nicht sein Reich mehr? Ihr habt hier höchst wunderbare« (Wagte ich hinzuzufügen) »Ansichten von Eh' und Liebe! Und noch wunderbarer sind, Wie ich leider selbst vor Kurzem Schon erfahren mußte, diese Ansichten manifestiret. Denn sich trauen lassen, heißt hier: Seiner Seele schön're Hälfte Ach! auf immerdar verlieren; Heißt: die Herzerkor'ne, statt in Süßer Eh' mit ihr zu leben Als – ich will's so nennen – Gattin Euern Dienern übergeben!« Währenddem ich diese Worte Schmerzbewegt, entrüstet sprach, Hielt der Mufti einen scharfen, Prüfenden Blick auf mich gerichtet, Ließ denselben aber fallen, Als ich ihm mein Haupt zuwandte, Und gab dann mir diese Antwort: »Heißt denn, Freund, sich trauen lassen, Nicht bei Euch und überall auch: Die Geliebte seines Herzens Opfern auf der Frau Gemahlin? Wahre Liebe ist schon Segen, Himmlischer als irgend einer! Wahre, gegenseitige Liebe Ist schon heiligste Verbindung! Lieb', die Würde, Halt und Glanz sucht Mehr als sie in sich empfindet, Retten wir durch schnelle Trennung, Deren Wunde bald vernarbt ist, Vor dem grausen Schmerz und Elend Zwangvereinigten Entzweitseins. Aechte, wahre Liebe hütet Ihre süße Freiheit besser Als die flücht'ge, die den Titel Sucht und findet, der ihr Schutz giebt. – Hier, Freund, schließt die Liebes-Ehen Wirklich und allein der Himmel, Wirklich und allein Gott Roma. Hier bleibt jeder Liebste Liebster! Hier bleibt der Verbindung Myrthe Blühend, wie das Haar auch graut! Hier bleibt von den Liebe-Frauen Jede eine Himmelsbraut! Hier, Freund, läßt man sich nicht trauen, Weil man selber sich hier traut!«