Fritz Katzfuß Fritz Katzfuß war ein siebzehnjähr'ger Junge, Rothaarig, sommersprossig, etwas faul, Und stand in Lehre bei der Witwe Marzahn, Die geizig war und einen Laden hatte, Drin Hering, Schlackwurst, Datteln, Schweizerkäse, Samt Pumpernickel, Lachs und Apfelsinen Ein friedlich Dasein miteinander führten. Und auf der hohen, etwas schmalen Leiter, Mit ihren halb schon weggetretnen Sprossen, Sprang unser Katzfuß, wenn die Mädchen kamen Und Soda, Waschblau, Grieß, Korinthen wollten, Geschäftig hin und her. Ja, sprang er wirklich? Die Wahrheit zu gestehn, das war die Frage. Die Mädchen, deren Schatz oft draußen paßte, Vermeinten ganz im Gegenteil, er »nöle«, Sei wie verbiestert und durchaus kein »Katzfuß«. Im Laden, wenn Frau Marzahn auf ihn passe, Da ging' es noch, wenn auch nicht grad' aufs beste, Das Schlimme käm' erst, wenn er wegen Selter- Und Sodawasser in den Keller müsse, Das sei dann manchmal gradzu zum Verzweifeln, Und wär' er nicht solch herzensguter Junge, Der nie was sage, nie zu wenig gebe, Ja, meistens, daß die Waagschal' überklappe, So wär's nicht zu beleben. Und nicht besser Klang, was die Herrin selber von ihm sagte, Die Witwe Marzahn. »Wo der dumme Junge Nur immer steckt? Hier vorne muß er flink sein, Doch soll er übern Hof und auf den Boden, So dauert's ewig, und ist gar Geburtstag Von Kaiser Wilhelm oder Sedanfeier Und soll der Stock' raus mit der preuß'schen Fahne (Mein sel'ger Marzahn war nicht für die deutsche), Fritz darf nicht 'rauf – denn bis Dreiviertelstunden Ist ihm das Mind'ste.« So sprach Witwe Marzahn. Und kurz und gut, Fritz Katzfuß war ein Rätsel, Und nur das Eine war noch rätselvoller, Daß, wie's auch drohn und donnerwettern mochte, Ja, selbst wenn Blitz und Schlag zusammenfielen, Daß Fritz nie maulte, greinte, wütend wurde; Nein, unverändert blieb sein stilles Lächeln Und schien zu sagen: »Arme Kreaturen, Ihr glaubt mich dumm, ich bin der Überlegne. Kramladenlehrling! Eure Welt ist Kram, Und wenn ihr Waschblau fordert oder Stärke, Blaut zu, so viel ihr wollt. Mein Blau der Himmel.« So ging die Zeit, und Fritz war wohl schon siebzehn; Ein Oxhoft Apfelwein war angekommen Und lag im Hof. Von da sollt's in den Keller. Fritz schlang ein Tau herum, und weil die Hitze Groß war und drückend, was er wenig liebte, So warf er seinen Shirting-Rock beiseite, Nicht recht geschickt, so daß der Kragenhängsel Nach unten hing. Und aus der Vordertasche Glitt was heraus und fiel zur Erde. Lautlos. Fritz merkt' es nicht. Die Witwe Marzahn aber Schlich sich heran und nahm ein Buch (das war es) Vom Boden auf und sah hinein: »Gedichte. Gedichte, erster Teil, von Wolfgang Goethe.« Zerlesen war's und schlecht und abgestoßen Und Zeichen eingelegt: ein Endchen Strippe, Briefmarkenränder, und als dritt' und letztes (Zu glauben kaum) ein Streifen Schlackwurstpelle, Die Seiten links und rechts befleckt, befettet, Und oben stand, nun was? stand »Mignonlieder«, Und Witwe Marzahn las: »Dahin, dahin Möcht' ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.« Nun war es klar. Um so was träg und langsam, Um Goethe, Verse, Mignon. Armer Lehrling, Ich weiß dein Schicksal nicht, nur eines weiß ich: Wie dir die Lehrzeit hinging bei Frau Marzahn, Ging mir das Leben hin. Ein Band von Goethe Blieb mir bis heut mein bestes Wehr und Waffen, Und wenn die Witwe Marzahns mich gepeinigt Und dumme Dinger, die nach Waschblau kamen, Mich langsam fanden, kicherten und lachten, Ich lächelte, grad' so wie du gelächelt, Fritz Katzfuß, du mein Ideal, mein Vorbild. Der Band von Goethe gab mir Kraft und Leben, Vielleicht auch Dünkel ... All genau dasselbe, Nur andres Haar und – keine Sommersprossen.