4. Maisegen Der Mai ist eingezogen, Schon pflanzt er sein Panier Am dunklen Himmelsbogen, Mit blanker Sterne Zier. Die wilden Wasser brausen Und rütteln aus den Klausen Rellmaus und Murmeltier. »Ob wohl das Gletschereis den Strom gedämmt? Von mancher Hütte geht's auf schlimmen Wegen. Der Sturm hat alle Firnen kahl gekämmt, Und gestern wie aus Röhren schoß der Regen. Adieu, Jeannette, nicht länger mich gehemmt! Adieu, ich muß, es gilt den Maiensegen; Wenn vier es schlägt im Turme zu Escout, Muß jeder Senne stehn am Pointe de Droux.« Wie trunken schaun die Klippen, Wie taumelnd in die Schlucht! Als nickten sie, zu nippen Vom Sturzbach auf der Flucht. Da ist ein rasselnd Klingen, Man hört die Schollen springen Und brechen an der Bucht. Auf allen Wegen ziehn Laternen um, Und jedes Passes Echo wecken Schritte. Habt acht, habt acht, die Nacht ist blind und stumm, Die Schneeflut fraß an manches Blockes Kitte; Habt acht, hört ihr des Bären tief Gebrumm? Dort ist sein Lager, an des Riffes Mitte; Und dort die schiefe Klippenbank, fürwahr! Sie hing schon los' am ersten Februar. Nun sprießen blasse Rosen Am Gletscherbord hervor, Und mit der Dämmrung kosen Will schon das Klippentor; Schon schwimmen lichte Streifen, Es lockt der Gemse Pfeifen Den Blick zum Grat empor. Verlöscht sind die Laternen, und im Kreis Steht eine Hirtenschar auf breiter Platte, Voran der Patriarch, wie Silber weiß Hängt um sein tiefgebräunt Gesicht das glatte, Gestrehlte Haar, und alle beten leis, Nach Osten schauend, wo das farbensatte Rubingewölk mit glitzerndem Geroll Die stolze Sonnenkugel bringen soll. Da kömmt sie aufgefahren In strenger Majestät, Und von den Firnaltaren Die Opferflamme weht. Da sinken in der Runde So Knie an Knie, dem Munde Entströmt das Maigebet: »Herr, Gott, der an des Maien erstem Tag Den Strahl begabt mit sonderlichem Segen, Den sich der sünd'ge Mensch gewinnen mag In der geweihten Stunde, allerwegen, Segne die Alm, segne das Vieh im Hag, Mit Luft und Wasser, Sonnenschein und Regen, Durch Sankt Anton den Siedel, Sankt Renée, Martin von Tours und unsre Frau vom Schnee. Segne das Haus, das Mahl auf unserm Tisch, Am Berg den Weinstock und die Frucht im Tale, Segne die Jagd am Gletscher, und den Fisch Im See, und das Getiere allzumale, So uns zur Nahrung dient, und das Gebüsch, So uns erwärmt, mit Tau und Sonnenstrahle, Durch Sankt Anton den Siedel, Saint Remy, Sankt Paul und unsre Fraue von Clery.« »Wir schwören,« alle Hände stehn zugleich Empor, »wir schwören, keinen Gast zu lassen Von unserm Herd, eh sicher Weg und Steig, Das Vieh zu schonen, keinen Feind zu hassen, Den Quell zu ehren, Recht an arm und reich Zu tun, und mit der Treue nicht zu spaßen; Das schwören wir beim Kreuze zu Autun Und unsrer mächt'gen Fraue von Embrun.« Da überm Kreise schweben, Als wollten sie den Schwur Zum Himmelstore heben, Zwei Adler; auf die Flur Senkt sich der Strahl vom Hange, Und eine Demantschlange Blitzt drunten der Adour. Die Weiden sind verteilt, und wieder schallt In jedem Passe schwerer Tritte Stampfen. Voran, voran, die Firnenluft ist kalt, Und scheint die Lunge eisig zu umkrampfen. Nur frisch voran – schon sehn sie überm Wald Den Vogel ziehn, die Nebelsäule dampfen, Und wo das Riff durchbricht ein Klippengang, Summt etwas auf, wie ferner Glockenklang. Da liegt das schleierlose Gewäld in Sonnenruh'! Und, wie mit Sturmgetose Dem Äthermeere zu, Erfüllt des Tales Breite Das Angelusgeläute Vom Turme zu Escout.