Venus Metaphysica Plötzlich sah ich draußen das Feld ganz von magischem Licht erhellt. Durch die äußersten Straßen von Berlin schien dies Licht mich ins Freie zu ziehn, ich mußte nur immer gehn und gehn, schließlich blieb ich im Sande stehn; halbhoch in der Unendlichkeit stand der Vollmond, meilenweit. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirne, mir war so anders im Gehirne; ich fühlte, mir wollte was passieren, mir war so weltweit. Die Gaslaternen schienen sich förmlich zu entfernen. Hinter den schwarzen Vorstadtquartieren drüben am dunkleren Himmelsrand wurde ein Feuerwerk abgebrannt; der letzte Böller war kaum verkracht, da schlug's vom Rathaus Mitternacht. Mir lief schon wieder der Schweiß vom Hute, der Juli lag mir wohl im Blute; ich sah mich um. Kein Laut von Leben; bis hoch ins höchste Äthermeer kein Bein! Die Landschaft dito leer, ganz leer – Berliner Landschaft eben, wo nur symbolisch hin und wieder ein borstiger Büschel Gras aufsprießt, als hätte der Sand ihn ausgeniest. Seltsam: was hat der Mensch für Glieder! Mich zwang ein geisterhaftes Regen, in diesen Sand mich hinzulegen, platt auf den Rücken. Der Mond stand grade senkrecht über dem Schornsteinschlund einer düstergrauen Fabrikfassade; da stand er blank und kugelrund wie aus der Kanone hochgeschossen. Ich wünschte, er möchte runterfallen und diesen unheimlichen Schornstein zerknallen, und machte noch sonstige mystische Glossen, zum Beispiel über die Jakobsleiter, mir wurde immer weltenweiter. Auf einmal – ich rieb mir die Augenlider, aber wahrhaftig: jetzt schon wieder: der Mond, kein Zweifel, er rührte sich. Die Kugel verschob ihre Flecken und Falten, sie schien mir beinah zwiegespalten; und was ich bisher für den Mond gehalten, die Geister überführten mich, das war ein bloßer Gewohnheitsgedanke. Denn frei der blöden Sinnenschranke erkannt'ich: es war die hintre blanke Lendenpartie und noch was Schlimmers eines überirdischen Frauenzimmers. Ihr Kopf war völlig unsichtbar, auch Arme und Beine und Zehenspitzen; sie mußte stark in Kniebeuge sitzen. Doch aus allem Übrigen sah ich klar: so'was, das gibt's blos in höheren Zonen, sie hat, weiß Gott, vier Dimensionen. So lag ich und entzückte mich an ihrer wunderbar schwierigen Stellung, mein Herz kam immer mehr in Schwellung, und nur das Eine bedrückte mich: ob die Geister wohl Unheil sinnten mit dieser Offenbarung von Hinten. Und kaum geahnt, da seh ich schon, daß diese maßlose Weibsperson nicht still sitzt. Himmel! sie kommt, mir graust, unaufhaltsam auf mich losgesaust, kommt immer näher, wird immer blanker, hinten ihr Bannkreis wird immer schwanker, mir schwindelt, mir vergeht das Licht, mir will das Herz durch Haut und Hemd, zitternd erwart ich das Donnergewicht, und die Hände unter den Kopf geklemmt – jetzt: ich oder sie: jetzt kommt der Stoß, bumms! Schon will ich mich tot erklären, aber da sitzt sie mir, wupp, im Schooß, wupp: wie etwa die Hemisphären eines Tragischen Heroinen-Popos. Also Mut! und als Kenner der weiblichen Form seh ich ihn mir nun näher an: hm, ganz entwickelt, doch nicht abnorm – wie einen das Jenseits doch täuschen kann! Sonst sah ich nichts als um den Kopf einen dicken, grauen, gepuderten Zopf, und da sie keine Anstalt machte sich umzudrehn, so schwieg ich und dachte: sie wird als Dame wohl Gründe haben, dich nicht mit ihrem Anblick zu laben. Die Beine hielt sie steif in der Mitte zwischen den meinen in den Sand; sie war wohl von dem luftigen Ritte noch echauffiert. So lag ich galant stille und fühlte durch die Hosen ihre unsterblichen Pulse tosen. Wupp! machte sie plötzlich wieder – und ich muß gestehn, mir tat das wohl, ich schloß die Augen – und wuppwup, hohl erscholl jetzt durch die Nacht ihr Mund: »Mein Name ist Meta«, wupp – »genauer Frau Meta Physika « wupp. »Ich bin Astralweib« wupp – »und von ewiger Dauer.« Mir wurde immer wohler zu Sinn, wie sie so jedes Komma und Zeichen nachdrücklich angab in meinen Weichen. Wupp: »Wem nämlich die krause Welt nicht mehr genug von Vorne gefällt, dem enthüll ich sie, wupp, von Hinten, in den unaussprechlichsten Tönen und Tinten. Und so hab ich mich, wupp, in Gnaden auch bei Dir zu Gaste geladen, wupp!« Das war mir nun sehr erbaulich, aber sie wuppte mir fast zu gut; mir wurde immer dunkler zu Mut, immer beklommner, mir wurde graulig. Ich wollte die Augen öffnen – vergebens: ich lag im Starrkrampf rein geistigen Lebens. Wupp, ging's unten in meinem Schooß mit Himmelskräften von frischem los, während sie oben grollte: »Du kleines Menschlein willst dich gegen mich steifen? Was, ich bin dir zu dunkel gewesen? Ich? Na warte du: wupp! Ich, eines der allgemeinsten weiblichen Wesen, wupp, die nächtlich im Freien schweifen: warte, du sollst es schon begreifen, wupp, mein Ding-an-sich! wupp! zwar es ist haarsträubend, aber wahr!« Und wupp – ich hörte noch was wie »schleifen«, mir rauchte der Kopf, mir schwand der Wille, alle Gefühle standen mir stille; denn immer eifriger wurde, oh, dieser fürchterliche Astralpopo. Endlich konnt ich mich wieder ermannen und wage zu blinzeln: herrgott, da schwellen ihre unbewußten Körperstellen mir entgegen wie zwei Riesenpfannen. Der Rücken ist – in beiden Axen – um mindestens drei Systeme gewachsen, ich kann ihn garnicht zu Ende sehn; von Kopf nicht mehr die geringste Spur, ein dürftiger Zipfel vom Zopfe nur, und nicht ein Wort mehr zu verstehn. Doch, gottseidank, pausierte sie leise mit ihrer sitzenden Arbeitsweise. Ich überlege schon, ob ich sie bitte sich zu entfernen; da – wupp, wup wupp – stampft's wieder los in meiner Mitte, jetzt fast schon wie'ne Kanone von Krupp. Von oben hör ich wie Unkenstimmen dunkle Offenbarungen stöhnen, die immer übersinnlicher tönen und schon ins Transzendentale verschwimmen. Ich stöhne selber: wie komm ich los! Denn wupp, entsetzlich: mit jedem Stoß wächst ihre physische Proportion zurück in die vierte Dimension, und immer fetter schwoll und fetter ihr unermüdlicher Katterletter. 1 Zwar ihr Vergnügen, das gönnt'ich ihr herzlich; aber mir wurde die Sitzung schmerzlich. Mein spiritistisches Fluidum spritzte schon literweise herum; ich hörte kaum noch ihr Gebrummsel, ich armes menschliches Medibumsel. Sie wuppte, wupp, immer wuppiger, mir wurde immer matter und matter, sozusagen immer schaluppiger. Ich merkte mit Schrecken, daß ich platter und platter wurde, und mit den letzten Kräften schrie ich ins Äthermeer: »Madam! Sie werden mir zu schwer!« Aber ihre Bewegungen setzten sich mit unveränderter Miene nur noch kategorischer fort. Sie trieb mir's gradezu wie zum Tort, diese grenzenlose Buttermaschine; sie wollte mich vollends, schien's, vergeistigen. Jetzt wurde ich wild. Ich schrie: »Madam! Heda! Wie können Sie sich erdreistigen, mich so zu quetschen! ich bin kein Schwamm! So hören Sie doch! Sie altes Kalb, Sie Mondkalb Sie!« Da: hui, ein Kneifen, ich höre die Engel im Himmel pfeifen – »Herr, mit Verlaub, ich bin ein Alb «, brüllt sie, daß mir der Schädel gellt, »und bleibe auf eurer unglaublichen Welt gefälligst so lange, wie Mir's gefällt, verstanden?!« Und hui, wupp, seh ich – o Grausen, Erbarmen, Rettung – ihren Zopf sich blähen und auf mich niedersausen: der ganze Himmel erscheint Ein Schopf, eine Wolke von dunstig wirbelnden Haaren, die immer spiraliger niederfahren: sie wickeln sich mir um alle Gelenke, um Hals und Arme und Brust und Weichen – Gnade! ich kann kein Glied mehr rühren, vor meinen Augen tanzen verrenke riesige Paragraphenzeichen, die mir alle Sinne zuschnüren – Gnade, ich sticke! Luft! Vergebens: sie umwickelt mich immer wilder, vor meinem Geiste erscheinen die Bilder meines aprioristischen Lebens, während sie meinen sterblichen Rest immer platter a posteriori preßt – und wupp, ein Wühlen, und hui, ein Stieben: ich fühle, wie sich die Seelenspitzen ihrer Behaarung in alle Ritzen und Poren meines Leibes schieben – ich möchte ächzen, ich kann nicht: ach, es kriecht mir kribbelnd in Ohren und Mund, in Gaumen, Kehle, Nase, und hapschih, pschih! nies'ich – und bin wach. Und liege im Sande mit der Nase, dicht bei einem borstigen Büschel Grase. Halbhoch in der Unendlichkeit stand der Vollmond, meilenweit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Und so hab ich mit Gelächter manchen Geisterrausch bestanden, trank als Raum- und Zeit-Verächter meinen Gottgeist fast zuschanden, trank mich frei von Menschheit, Welt und Weib, aber war das, war das Freiheit? Nein! Mitten in den knechtischen Zeitvertreib herzerkältender Spöttereien tratest Du, Du, die gleich mir gelitten unter Irrtum, Schuld und Sehnsuchtsleid und sich dennoch Lebenslust erstritten, herrlich in Liebseligkeit – Und ich sah die Wärme deiner Wangen, deiner Augen strahlende Hoffnungsmacht: eines Sommerglückes Prangen mitten in der Winternacht! Und ich zeigte dir mein scheues Wehe; und du nahmst es schmeichelnd in den Schooß. Aber wild erschrak's vor neuer Ehe. Und ich rang mit dir – und rang mich los – los – und ließ mich vollends von der Schwere meiner Einsamkeit, ich Narr, bezwingen; über Länder, über Meere trug ich ihre Last mit lahmen Schwingen. Auf den blumigsten Inseln Griechenlands, an Italiens blauesten Uferborden saß ich echter deutscher Duselhans voller Heimweh nach dem Norden. Und jetzt lieg ich hier auf meinem harten Pfühl in dieser fremden kalten Kammer und verwühl mich mit erstarrten Gliedern wieder in den alten Jammer. Wie auch Du wohl. Und ich seh und höre mich als Geist in brütenden Nebeln schwimmen und dein ruhlos Herz beschwören, prüfend, mit gedämpfter Stimme, Fußnoten 1 Anm. d. Setzers: Quatre lettres = Vier Buchstaben scheint der Herr Doctor gemeint zu haben.