Max Dauthendey Der Venusinenreim Auszug der Frau Venusine aus dem Hörselberg und Venusinens Abenteuer eine Schalkhaft heroische Liebesmär in zwölf Reimen Erster Reim Venusinens Toilette, Schuhe, Korsette und Leberflecken Prächtig sind die Tiere, Die nichts sündig finden, Leben ihrer Liebe, Sterben und verschwinden. Eitler doch als Pfauen Sind die Menschenseelen Und verbreiten Grauen. Götterdämm'rung herrschte Auf der Erde Trachten, Denn die Götter konnten Keinen Mensch mehr achten, Hielten sich verborgen, Nahmen mit die Freuden, – Seufzen blieb und Sorgen. In dem Hörselberge Saß Frau Venusine Tausend Jahr in Tränen Und mit müder Miene. Endlich aber fühlte Sie die Zeit gekommen, Die die Nacht fortspülte. Alte Sitt' und Weisen Gehen dann in Sprüngen, Wenn die Götter kreisen Und sich selbst verjüngen. Denn auch ihrer Dauer Liegt der Tod am Wege, Sitzt die Zeit als Mauer. Blühend unter Schmerzen Schrie Frau Venusine: »Menschen, tote Tiere Seid ihr ohne Minne! Geist macht kaltes Dürsten. Euch gilt heut die Liebe Gleich den Pferdfleischwürsten. Kindlich seid ihr Menschen, Kindlich im Erfinden. Denn ihr wollt die Liebe Durch die Tinte binden. Leidenschaften werden Täglich unbequemer Und gehaßt auf Erden. Leidenschaftlich lobten Mich einst frohe Heiden. Freude sie verehrten, Ihr verehrt nur Leiden . Selbst könnt ihr euch fluchen; Schon im Mutterleibe Darf euch Fluch aufsuchen. Habt gar viel erfunden. Machtet selbst euch schlechter. Habt die Sünd' erdichtet. Ihr, des Lebens Aechter, Wollt auch Schuld einimpfen Schon den Embryonen, Unschuld bös beschimpfen. Aber neue Zeiten Treten unter Waffen. Frei will sich die Freude Neu bei euch erschaffen. Bös nicht und nicht besser Gleich den anderen Tieren, Seid ihr, Bratenfresser. – Söhnchen Amor, höre: Rot wie eine Hummer Schießt Du Dich nur müde, Machst die Pfeil' nur krummer. Wirf ihn fort den Bogen! Mit Maschingewehren Komm vor's Herz gezogen. Menschen tragen Panzer- Platten unter Hemden, Drunter da verlachen Dich die Unverschämten. Siehe, wie Verbannte Lebten wir im Berge Von der Welt Verkannte! Laß uns unter Leute In die Städte gehen! Zu lang man sich scheute Uns ins Aug zu sehen. Immer nur in Träumen Sangen wir verborgen Und in Gartenbäumen. Nur wie Duft der Blumen Die zum Frühling kamen, Gar zu zart und süßlich Wir uns stets benahmen. Offen will ich streiten, Leibeslust will leben, Zeit verschiebt die Zeiten! Eckehardt, Getreuer, Wächter vor dem Bösen, Laß nach Tausend Jahren Deine Wach ablösen! Hast den Berg behütet Tausend Jahr vor Argem, Sei mit Huld vergütet! Sei verjüngt, und folge Ohne graue Falte Uns hinaus zum Berge, Laß im Berg das Alte! Trage jungen Scheitel, Laß die weißen Haare, Und werd' etwas eitel.« »Ja, wir wollen reisen«, Sprach verjüngt der alte Eckehardt, der Treue, Mit der Denkerfalte. »Herrin, der ich diene, Viele Dich vergaßen, Zeig Dich Venusine! Auch der Barbarossa Stieg schon vom Kyffhäuser. Heute hinter Bergen Wohnen nur Duckmäuser. Deine roten Schleier Lüfte Venusine, Trag die Hüften freier!« »Ja, getreuer Wächter, Fest bin ich entschlossen, Will zu Menschen gehen, Die mich schwer verdrossen, Die mich froh einst lobten Und dann gegen alle Fleischeslüste tobten. Diese armen Menschen Will ich jetzt beglücken. Ohne Leibesliebe Geht die Seel' in Stücken. Ich will nicht mehr bangen Vorm Verstand der Zwerge Und vor seinen Zangen. Will mal Rom aufsuchen, Wo man mich verstoßen; Wo man einst aus Wollust Tötete mit Rosen. Möglich, daß ich finde Dort noch eine Größe, Der ich mich verbinde. Erst will ich mich kleiden Gleich den Menschenfrauen, Die heut in den Städten In die Welt sich trauen. Auch sind stolze Kleider, Trotz der Götterwürde, Keinem Weib zur Bürde.« »Herrin Venusine, Kleider, die verbergen Mängel nur und reizen Unter Menschenzwergen.« So sprach wie die Alten Eckehardt der Junge, Konnt' den Mund nicht halten. »Eckehardt, viel weiser Hast Du sonst geraten. Kleider sind die Sauce Schmackhaft bei dem Braten. Jederzeit bei Damen Waren Kleider nötig, Das gehört zum Rahmen. In den Tausend Jahren, Die ich hier versonnen In dem Hörselberge, Hab ich's ausgesponnen. Ja, sogar das Schnüren Soll die Venus leiden, Gilt es zu verführen. Enger sind nicht Kleider Als die Einsamkeiten In dem Hörselberge, Die mir Qual bereiten. Soll mal was geschehen, Muß man nicht nur kritisch Drauf herniedersehen. Bringt mir alle Dinge, Die ein Weib heut zieren! Alles will ich tragen, Nichts soll mich genieren.« Zofe Melusine Naht beim Wink der Wimper, Dient mit kluger Miene. Bringt zuerst die Schuhe, Doch die haben Tücken. Ach, von hundert Paaren Will nicht Eines glücken. Keines will recht sitzen. Zof' und Göttin zerren, Zof' und Göttin schwitzen. Venus Füßen waren Klein noch die Enormen, Und man mußte extra Neue Schuhe formen. Füße leicht sich breiten, Trug man nur Sandalen Seit den Ewigkeiten. Eckhardt konnt' die Trauer Nicht gleich überwinden, Als der Herrin Füße In den Schuh'n verschwinden. Nachdenklich im Gehen Starrt' er sonst versunken Auf der Göttin Zehen. Konnt' sich dran durch Stunden Wie an Röslein weiden, Doch jetzt litt sein Auge Hühneraugenleiden. Stets doch blieb der Alte, Eckehardt der Junge Mit der Denkerfalte. Melusine brachte Spitzen aus den Städten, Die auch höchste Damen Gern getragen hätten. Doch die seidnen Faden Kitzeln sehr die Göttin, Wie ein Nest von Maden. Niemals man je besser Eine Frau frisierte, Als klein Amor selber Die Mama toupierte. Still hält sie ohn Klagen, Trug bald Nadeln, Kämme Und auch Haareinlagen. Zofe Melusine Schnürt sie auch ins nette Fischgebeinte schlanke Seidene Korsette. Eckehardt erbittert Flucht auf seidne Kerker, Drin man sich vergittert. »Herrin, Deine Brüste Werden noch zwei Wunden Hinterm Fischbeingitter Lebst Du keine Stunden.« Kaum hat er's gesprochen Kracht schon das Korsette, Hing geknickt zerbrochen. Wie zwei Füllen sprangen Venusinens Brüste Bei dem ersten Atem Durchs Gebeingerüste. Auch ein neues Mieder Tat nicht lange halten, Leicht knickt sie es nieder. Bis man ihr die Büste Faßt in Draht und Banden, Und die wilden Brüste Sich gelähmt dreinfanden. Strumpfband und auch Kragen, Hutnadeln und Hüte Lernte sie zu tragen. Venusin studierte Auch die Umgangsbücher, Lernt mit Gabeln essen Und braucht Taschentücher. So ward sie zur Dame . Göttin blieb sie trotzdem Bei der Hemdabnahme. Eins nur macht ihr Sorge: Kaum ist sie entkleidet, Seufzt sie, daß sie nirgends Ach, an Fehlern leidet. Nirgends sitzt ein Flecken Irgendwo am Leibe, Nichts kann sie entdecken. »Und ich will nicht besser Als die Erdenfrauen Mich in Männernähe Fleckenlos getrauen. Dieses wär wie Tadel Schwachen Menschenkindern, Und ich halt auf Adel.« Doch die Zofe meinte: »Göttin seid Ihr eben! Göttern ist nicht zugleich Menschliches gegeben. Was sollten bezwecken, Herrin Venusine, Schwarze Leberflecken?« »Wisse,« spricht die Göttin, »Zu viel Reinheit blendet, Daß das Alltagsauge Sich dann abseits wendet. Vor dem steifen Strauße Tadelloser Lilien Ist man nicht zu Hause. Frauen geben Heimat Abgehetzten Männern, Die am Tage starten Gleich den besten Rennern, Die gern Hindernisse Halszerbrechend nehmen Und das Ungewisse. Kommen solche müde Abends von dem Traben, Stört sie allzu Hohes, Weil sie's Aug voll haben Voll von Staub und Kohlen, Sehen oft noch Ziffern, Die sich überholen. Eine kurze Spanne Reicht die Nacht zum Morgen. Dann pfeift die Maschine – Feilschend kommen Sorgen. In die kurze Spanne Passen keine Götter , Weib bin ich dem Manne . Traulichkeit dient Männern Mehr denn Götterbilder ; Ist dem Herz erquickend, Stimmt den Körper milder. Traulichkeit zu wecken Will am Götterleibe Ich die Leberflecken. Eile Melusine, Hol den Mediziner! Er sei heut nicht Krankheits- Sondern Schönheitsdiener. Soll mir mit Lanzetten Leberflecken impfen, Von den braunen netten.« »Schwerlich,« sagt die Zofe, »Wird ein Arzt sich finden, Weil die Luft im Berge Menschen nicht verwinden. Wer von all den kühlen, Welche Leichen schneiden, Wird nicht Venus fühlen? Und dann muß er sterben, Kann er nichts erreichen, Würde er entlassen Ohne Liebeszeichen, Würde nie genesen, Weil er hier im Berge Ohne Luft gewesen. Darum Herrin sage Deine Wunschangaben! Wo willst du die Flecken, Die Verschämten haben? Wie ich es dann mache, Dir die Flecklein hole, Sei dann meine Sache.« »Kluge Melusine,« Venusin errötet, »Jegliche Sekunde Wird ein Mensch getötet. Stirbt er mal am Herzen, Sind das auch bei Göttern Einzig echte Schmerzen. Wenn er mir gefiele, Würd' ich ihn nicht schonen. Aber sollt' er sterben, Nur weil wir hier wohnen, Weil die Luft im Berge Schon den Tod kann bringen Einem Menschenzwerge?! Flott weg mal zu töten Lieb ich sonst ohn' Maßen, Heut' doch will ich Deinem Rat mich überlassen. Geh und bring die Flecken! Wie Du sie willst bringen, Kann ich nicht entdecken«. Melusine kichert Und ist schon verschwunden; Hat verjüngt den Eckhardt Unterm Tor gefunden. Spricht: »Komm' auf ne Weile! Kannst jetzt etwas lernen. Schnell, ich habe Eile! Sieh, ich will zum Arzte, Und er soll mich impfen, Daß uns nicht die Pocken Einmal bös verglimpfen. Ist die Impf geschehen, Sollst Du's Venus tuen; Komm' jetzt, sollst es sehen« ... Venus fragt am Abend: »Hast Du sie die Flecken?« »Ja,« lacht Melusine, »Kann sie nicht verstecken. Ach, der Arzt nicht ruhte, Nicht nur bei drei Orten, Wühlte er im Blute.« Venus, bei der Lampe, Sieht voll Sommersprossen Ihre hübsche Zofe, Punkt an Punkt durchschossen. Venus lacht mit Schallen: »So gut hat dem Doktor Jeder Fleck gefallen? Daß er sich dann übte Und Dich ganz besäte? Ach, wenn ich von Deinen Hundert einen hätte!« Eckehardt, verständig, Impft sie, – und im Berge Lachte man unbändig.