Sylvia rubecula Nun ist Vollwinters Herrschezeit! Das Licht ist schmal, die Nacht ist breit, Frau Sonne will kaum blicken: Bricht mittags sie durchs Wolkenkleid, – Herr Nieselnebel hält bereit Den Mantel, sie zu sticken. Da singt kein Vöglein mehr im Feld: Zaunkönig nur, der wen'ge Held, Schwirrt fröhlich seine Weise, Goldhähnchen huscht durchs Flockenzelt Und, wem das letzte Nüßlein fällt, Zankt klopfend Specht und Meise. Auch ich halt' stumm im Hause Ruh' Und stöbre tief in staub'ger Truh Durch Schrift und Pergamente: Rot glimmt der Sandelspan dazu: – Ei, duftend Holz, nicht ahntest du, Daß man am Main dich brennte. – Das war im Goldhaus zu Byzanz, Bei Myrrhenrauch, in Marmorglanz, Bei schmucken Griechenknaben, Daß unter Zyproswein und Tanz Sie dich mit manchem Ring und Kranz Zum Gastgeschenk mir gaben. Da ging, mit rotem Seidenlatz Verhüllt den keuschen Herzensplatz, Ein Griechenkind mit Neigen: Hell Scharlach war ihr Busenlatz: – Sie war ein anmutvoller Schatz Im Reden und im Schweigen. Im harten, deutschen Winter lind Mahnt mich an jenes Griechenkind Ein Neigen, Hüpfen, Klingen: Denn um mich huscht und schwebt geschwind Ein Vöglein, wie nicht viele sind, – Will auch im Winter singen. Die Griechin, die hieß Sylvia: Was wohl noch mit dem Kind geschah? – Rein war ihr zartes Seelchen: – Mir ruft ihr lieblich Bildnis nah Hier Sylvia rubecula, Mein Hausgeist, mein Rotkehlchen. – Der Rauch zieht aus dem Sandel schwer: Bald seh' ich Vöglein um mich her, Bald Griechenmägdlein schweben. Ich denk', ich schlafe: – doch vorher Trink' ich den tiefen Becher leer –: Was lieblich ist, soll leben!