Die rote Erde Herrn Kaiser Karl zu Aachen Kam's über die Augen schwer: »Ich fühl's, nicht wird mich wärmen Die Frühlingssonne mehr. Noch einmal muß ich umschaun, Wie's steht in meinem Reich: O wär' ich bei Awaren Und Arabern zugleich! Zugleich am gelben Tiber, Zugleich am grünen Rhein: Zu groß ist ach! das Erbe, Der Erbe, weh! zu klein. – – Die Nächsten sind die Sachsen: Bis dorthin reicht's wohl noch; Sie kämpften dreißig Jahre, Und ich bezwang sie doch!« – Er zieht mit Graf und Bischof Nochmal durch Sachsenland: Der Männer sieht man wenig: – Tot sind sie, landverbannt. Auf öder, brauner Heide, Vom Eichbaum überragt, Liegt ein Gehöft, den Dachfirst Vom Roßkopf überschragt. Welk über'n tiefen Ziehbrunn Nickt der Holunder schwer: Und frische Hügelgräber, – Sehr viele! – rings umher. – Ein Weib tritt auf die Schwelle: Es zerren an ihrem Rock Die Knaben mit dem Trutzblick, Die Mädchen im Flachsgelock. Sie gaffen auf die Fremden, Auf die bunte Reiterschar: Es beugt sich aus der Sänfte Ein Mann in weißem Haar. Er streicht den Kopf dem Jüngsten: Der greift nach der Spange licht: »Wer ist's?« forscht scheu die Mutter. »Herr Karl! – Kennst du ihn nicht?« Laut auf kreischt die Entsetzte Und reißt die Kinder fort: » Herr Karl! Der Tod!« – Sie verschwinden Im nahen Buschwald dort. – Der Kaiser nächtet im Kloster. Leer ist's um den Altar: Kein Laie, – nur die Mönche. – »Was scheint dort fern so klar? Was leuchtet durch das Fenster?« »O Herr – 's ist nicht geheuer: Die Sachsen sind's im Walde Bei Wodans Opferfeuer.« – – Am andern Morgen rheinwärts Der Kaiser kehrt die Fahrt; Er schweigt. – Er betet manchmal; Er streicht den weißen Bart. Das Roß führt ihm ein Sachse, Der alle Steige kennt. Das Erdreich steht zutage, Wo der Pfad die Hügel trennt. Warm dampft es aus den Schollen, – Karl beugt vom Sattel sich: »Rot ist hier rings die Erde, Seit wann? Woher das? – Sprich!« Da hob der graue Führer Zu ihm den Blick empor: »Grün war der Wiesenanger, Die Heide braun zuvor; Zweihunderttausend Sachsen, Die starben blut'gen Tod: – Davon ist in Westfalen Die Erde worden rot.« Da schüttelt Frost den Kaiser: »So tief – die Erde rot? Herr Christus, lösche die Farbe: Ich tat's auf dein Gebot.« Starr hat er in die Wolken, – Auf den Boden starr gesehn: Der Boden blieb derselbe: – Kein Wunder ist geschehn. – Schwer krank kam er nach Aachen In seinen goldnen Saal: Er raunte mit sich selber, Hauptschüttelnd, manchesmal. Er fragte: »Ist's noch rot dort?« Als er im Sterben lag. – Rot blieb Westfalens Erde Bis auf den heut'gen Tag.