Erstes Buch Kunâla Aller Wesen, welche da atmen, Schönste, wunderherrlichste Augen Hat der Vogel, welcher Kunâla Heißt und baut in Wipfeln der Palmen. Doch dem Inderkönig Asôka Wuchs ein Sohn (früh starb dem die Mutter) Mit so herrlich leuchtenden Augen, Daß man ihn auch nannte »Kunâla«. Herzbezwingend waren die Augen: Unaussprechlich innige Liebe, Tiefe, opferfreudige Güte Glänzten aus den seidenen Wimpern. Als dem schönen Jüngling die Wangen Flaumbart deckte, wollte des greisen Königs junge Gattin den Stiefsohn Zu verbot'nen Flammen entzünden. Und als streng der Reine sie abwies, Schalt sie ihn versuchter Verführung Bei dem schwachen Greis und entriß das Machtgebot, den Prinzen zu blenden. Ohne Widersprache sich fügend Bot die Augen schweigend Kunâla Dar den Henkern: aber, o siehe: Keiner von den Wildesten konnte Diesen Augen, wie er sie aufschlug, Leides tun! Sie sprachen: »Der König Soll uns lassen von Elefanten Niederstampfen; aber Kunâlas Augen können wir nicht verletzen!« Doch der Prinz sprach: »Was da geboten Hat mein Vater, König Asôka, Muß gescheh'n: ich schließe die Augen.« Aber in der Männer Erinn'rung, Tief im Herzen, lebte das Bild noch Von Kunâlas leuchtenden Augen, Und sie konnten nicht sie versehren. »Meines Vaters königlich Machtwort Muß erfüllt sein,« sprach da der Jüngling, Und mit seinem eigenen Dolche Stach er aus sich – beide – die Augen. Da erdröhnte Donner vom Himmel, Und es flog der Vogel Kunâla Auf des Königs Schulter und sang ihm In das Ohr: »Mich sendet dir Indra, Gab mir Sprache, dir zu verkünden: Schuldlos ist dein Sohn, und die Fürstin, Deine junge, falsche Gemahlin, Hat ihn eignen Frevels bezichtigt.« Sprach's und flog empor in die Palmen. Doch der König rief nun den Jüngling Weinend zu sich, küßte die beiden Augen ihm: – ach, nicht mehr die Augen, Nur die blut'gen Höhlen, und fragte: »Welche Rache, teurer Kunâla, Soll die böse Königin treffen? Blendung, Tötung oder was wählst du?« Doch der Blinde sagte: »Mein Vater, Rachsucht hab' ich nimmer im Leben, Zürnen, Hassen nimmer empfunden, Auch nicht gegen jene Verirrte; Selbst nicht, als der bittere Schmerz mir Zuckte durch die Augen ins Hirn scharf. Unsre Feinde sollen wir lieben: Vater, tu' ihr, bitte, kein Leid an.« Ein Brahmane, welcher das hörte, Rief: »Das kann kein Sterblicher glauben! Woher käme solche Bezwingung? Welcher Lehrer lehrte dich solches?« Sprach der Jüngling: »Solche Bezwingung Kommt vom großen Buddha, du Priester, Solches lehrte Buddha die Seinen! – Hätt' ich nur, so wahr die Verleumd'rin Nie ich haßte, nimmer ihr zürnte, Also wahr doch wieder die Augen!« – Da erdröhnte Donner vom Himmel: Seine Augen hatte Kunâla! Seine beiden leuchtenden Augen Hatt' ihm Indra wiedergegeben: Waren einst sie schön wie des Vogels, Waren jetzt sie herrlicher viel noch! –