Mitternachts-Vision Aus eines Weibes Armen komm' ich her ... Noch brennt mein Blut von seinen wilden Küssen, Noch zuckt mein Leib – noch flammen meine Pulse ... Noch ist es mir, als läg' ich, hingerissen Von seiner Schönheit, bebend ihm zu Füßen – Als küßt' ich noch der Glieder weiße Rundung – Als küßt' ich noch in wilder Brunst Gesundung! Gesundung – ja! Vergessen traumverstrickt Der steten Unrast, die sich festgekrallt Um meine Seele ... die sich festgesogen Und mich nicht läßt, ob ich mich auch empöre – Ob ich mich der despotischen Gewalt Mit allen Kräften krampfhaft wehre! Aus eines Weibes Armen komm' ich her – Und stürmischer als je wogt auf das Meer, Das Nacht und Tag in meiner Seele flutet ... Phantastisch türmen sich die Wellenmassen – Und plötzlich reißt der Flor – einsam – verlassen Fühl' ich auf einen Bergsitz mich enttragen. Die Nebelgeister hör' ich um mich weben – Hellt sich vor meinem Blick das Menschenleben! Und wie die Seele zuckt und zittert, schlagen Lohende Flammen auf – und überquollen Von dieser Flammen dunkelblut'gem Lichte Seh' ich die große Posse sich entrollen – Schau' ich in einem alle Weltgeschichte! Die Nebel flirren und die Flammen lecken – Ich aber schaue sich durch Dunst und Glut Ein übermenschlich Bildnis recken ... Und Grausen schlägt mich! ... So zerfoltert sah – So qualzerspalten nimmer noch des Heilands Gesicht ich – wie er da auf Golgatha Bluttriefend hängt ... Und doch: ein andrer ist's, Der sich mit des Gigantenleibes Wucht Ans Riesenkreuz drückt – nimmer jener blasse Braunzarte Schwärmer mit den nächt'gen Augen ... Ein andrer ist's! ... Barmherz'ger Gott! ... Und auch Von mir trägt er in seinem Angesichte Der Züge manchen – und von allen, die Mein Auge sah bis heute – deren Antlitz Mir die Erinnrung wieder aufwärts trägt ... Hat noch die Kreatur nicht abgebüßt? ... – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Unheimlich ist das Spiel – unheimlich – wüst – Und jetzt noch grauenhafter – und mein Blick Erstarrt – verglast – Es rast In meinem Hirn bei dieser Fratzenjagd – Bei diesem Marionettenspiel der Ewigkeit ... Wie die Gesichter durcheinandertaumeln! Wie alle Alter durcheinanderwirbeln! Wie Schönheit sich mit Häßlichkeit verknüpft – Und wie die Keuschheit vor der Wollust Grinsen Wie ein gescheuchtes Reh entschlüpft! Wer hat den Höllenwirrwarr losgelassen? Und welcher Dämon hurt hier mit dem Elend Der Menschheit? Will der Schoß des Himmels sich Für eine Flammenlohe nicht erschließen? Die sich mit ihrer Arme roten Reifen Um dieses Spukes Riesenglieder schlänge? Will sich kein Sturm aufrecken, Um dies gemarterte Geschlecht Mit aller Wüsten Sandstaub zuzudecken – Ihm Bußgesänge Vom allerletzten Todversöhnen Ins Ohr zu dröhnen? ... Welch namenloses Weh! Ja! Jeder leidet! Und jeder muß sein Auge brechen lassen – In Schmerzensschauern seinen Leib verrenken – In Wahnsinnsfiebern seine Seele schinden ... Und keiner – keiner darf Es sich ergrübeln und erdenken: Wer ihn auf diese fürchterliche Folter warf! Und hängt die Kreatur auch nur Sekunden – Nur irdische Sekunden an dem Holze: Die Qualen leidet sie von Ewigkeiten – Von Ewigkeiten! ... Doch wer hat je In seinem grenzenlosen Weh Ach! dieses einen Wortes Sinn gefunden? – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Aus eines Weibes Armen kam ich her – Triumphe feierte die Sünde ... Nun weiß ich nicht, wo ich Erbarmen finde – Es überwältigt mich der Schmerzen Meer ...