5. Täglich fahr ich mit Pietro, Meinem wohlbeleibten Kutscher (Und mit seinem Pferdchen Palle, Welches auch nicht mager ist), Täglich nachmittags um dreie Fahr ich auf der alten Straße, Die sehr steil ist und sehr holprig, Erst nach San Domenico Und sodann, vorbei der Villa, Wo Herr Dante einst verliebt war, Zwischen hohen Gartenmauern Nach Florenz. Dort trink ich Tee. »Wie? Und der Palazzo Pitti? Accademia? Uffizien? Bibliotheca Laurenziana? Hast du nicht nach Schönheit Durst?« Oh ja. Aber für Museen Bin ich selten nur in Stimmung; Denn es sind Konservenbüchsen; Ihre Schönheit schmeckt nach Blech. »Wie? Die himmlische Tribuna? Alessandro Botticelli? Cimabue? Donatello?« Alle schmecken dort nach Blech. Lieber wandre ich durch dunkle Kirchen mit dem Operngucker Und verrenke Hals und Kopf mir Nach der dort verstecken Kunst. Da nur wirkt sie noch ins Leben, Thront sie noch auf ihrem Throne, Frei, gebietend, nicht gefangen: Atmet aus und atmet ein. Denn ein Kunstwerk braucht den Atem, Braucht die Luft des tätigen Lebens; Seine Schönheit wird zum Schemen, Sperrt man sie vom Leben ab. Stünde David noch im Freien, Dort, wohin ihn schuf sein Schöpfer, Wohl, er wäre nicht so glänzend Weiß wie jetzt und »fast wie neu«, Aber, grau vielleicht und rissig, Mitgenommen von Frost und Feuchte, Leidend, wie das Leben immer Leiden muß, um ganz zu sein: Stünd er heldenhaft lebendig, Sterbend stünd er noch lebendiger, Herrlicher, strahlender da, als jetzt im Abgemessenen Oberlicht. »Und verdürbe.« Freilich. Alles Leben muß einmal verderben. Aber leben soll es, leben: Wirklich leben, bis es stirbt. Denkt nicht immer an die Enkel! Denkt an euch, wie jene taten, Die ihr Leben sich verklärten, Bildner ihrer Gegenwart. Dann erst hättet ihr ein Recht, sie In die heiligen Leichenkammern Eurer Pietät zu stecken, Brauchtet ihr für Eignes Platz. Doch genug. Ich geh zu Gilli, Trinke Tee und esse Kuchen. Leider bin ich manchmal schwach und Lese Zeitungen dazu. Heiliger Marsyas! Noch immer, Simson Deutschland, sind Philister, Ach, und was für eine Sorte (Frech und bieder), über dir. Deine Delila heißt Wohlstand. Üppigst hast du zugenommen. Wohl bekommt dein Fett dem Bauche, Doch dem Hirn bekommt es schlecht. Und der Seele, ach, der edlen Deutschen Seele fehlts am Raume, Scheint es, in dem kolossalen Korpus, der ganz Masse ist. Bocke, bocke nicht, Trochäus! Jetzo mußt du Zahlen buckeln. Schwer fällt wohl dabei das Tanzen, Doch dein Kriechen kündet Ruhm: Seit dem Jahre achtzehnhundert- Achtzig stieg von einunddreißig Teilen unser Kohlenkonsum Bis auf hundert heut. Respekt! Der Verbrauch von Weizen hat sich In derselben Zeit verdoppelt. Apfelsinen ißt man ditto Doppelt mehr als dazumal. Und nun gar der Heckepfennig, Symbolum des höheren Lebens, Hat um zweiundachtzig Hundert- Teile löblich sich vermehrt. Simson! Simson! Wahr die Haare! Delilachen liebt die Glatzen! Selbst die Haare auf den Zähnen Küßt sie, fürcht ich, dir noch weg. Schon hast du das Byzantinern Allzurasch gelernt, schon zieht dein Bauch dich tiefer auf die Erde, Als es Ehrerbietung heischt. Treibe andere Gymnastik, Als nach vorn die Rückenbeuge! Steige, Simson, wie du stiegst, als Michel Deutsch noch mager war! Cameriere! Cameriere! »Subito!« – Pagare! – »Grazie!« So. Jetzt geh ich zum Lungarno, Schöne Damen anzusehn. Warum nicht? Ich kanns vergnüglich, Denn ich habe eine schönre. Treue ist für den kein Kunststück, Der bei jedem Tausch verliert. Ah, die Gräfin Montignoso! Na, so, so. Da: die Geliebte Des viel schönren Gabriele. (»Rübchen« heißt er eigentlich.) Nun, nicht übel: Rasse, Feuer, Gertenbiegsam, große Augen, Wie sie für die weite Bühnen- Perspektive nützlich sind. Dort: Amerika. Das ist nun Nicht mein Fall. Protzt Hygiene. Resultat der Speisekarte. Wenig Anmut, viel Effekt. England. Aoh! Noch immer schwärmt die Miß für »ihren« Botticelli. Engelhaft und englisch gibt ein Wunderliches Mischprodukt. Endlich kommt, der ich schon lange Aufgelauert habe, kommt die Große Modekurtisane, Die Bellezza von Florenz. La Signora Millelire Heißt man sie. Des zum Beweise Trägt sie eine Perlenkette, Die gewiß nicht billig ist. Sonst: Ich danke. Bloß Bellezza. Ansichtskarten-Schönheitstypus; Gut genug für jene Beutel, Die voll mille lire sind. Aber nun: Oh teure Heimat! Kommt da nicht das süße Gretchen, Das, weils seinen Hans gefunden, Schleunigst nach Florenz gemußt? Ja, sie kommt, und ja, sie lächelt, Ja, sie ist ganz hin vor Selig- Keit und großem Glücke, weil sie Wirklich in Italien ist. Spotte nicht, verruchter Knabe! Laß ihr auch das jugendstilig Künstlerich empfundne, aber Praktische Reformkostüm. Ist sie trotzdem nicht recht niedlich? Frage dich: wie viele solche Mündchen, Äugelchen und Näschen Haben ehmals dich entflammt? Außerdem: »Frühlings Erwachen« Hat auch diese tief begriffen, Und sie ist durchaus kein Gretchen Wie das alte Gretchen mehr. Neue Jugend! – »Jugend«! Präge Tief es dir in dein Gemüte: Von der alten »Gartenlaube« Sind wir absolut befreit. Auf, und greife in die Harfe! Unser Gretchen ist verwandelt, Unser Gretchen ist ästhetisch, Unser Gretchen ist modern. Sieh, sie geht in einen Laden, Wo man schöne Marmorsachen Billig kauft. Nun: was erstand sie? Ha! Ein nacktes Frauenbild! Schlag die Harfe! Schlag die Harfe! Denn Germania ist gerettet. Zwar: sie kaufte einen Kitsch, doch, Heil, es war ein nackter Kitsch! Vetturino! »Sissignore«. Nach Fiesole! – Die Gäulchen Brauchen Gott sei Dank zwei Stunden, Bis ich wieder oben bin. Denn es ist ein schönes Fahren, Langsam, langsam, bis zur Höhe. Unten liegt, wie eine Muschel, Rosafleischig überhaucht, Traumhaft, wesenlos, ein sanftes, Zages Blinken, liegt phantomisch Diese Stadt der alten, edlen Phrasenfeindlichen Kultur.