Golgatha Eine Schneefläche unabsehbar weit; Der graue Nebel darüber wie eine Last Von dumpfem Haß. Ists Tag? Ists Abend? Ich sehe kein Gestirn. Ob die Sonne noch lebt? Ueber die eisige Fläche schleppt sich müde mein Schritt. Mir ist, als söge der giftige Nebel aus allen meinen Poren Das Leben und zöge mich fort In ein langsames Sterben. Seine Finger sind naß, schlaff, kalt. Oh, ihr rosig sonnendurchglühten Finger Des Frühlingsmorgens, die ihr ins Leben weckt, Wo seid ihr? Und ein hüpfender Wind der Erinnerung Geht durch mein Herz hin wie ein leiser Tanz Voll seidenem Rauschen. Da Eine Stimme hinter mir. Hart wie frostberstendes Eis. »Du da!« Wie in den Boden gerammt, steh ich erschrocken. »Was erschrickst du! Ich bin nicht der Tod. Ich bin nicht der Tod .... Ach!« Eine Wolke umballt meine Sinne. In kalte Leichenkammern entflieht meine Seele. Dann taucht sie heraus In eine große Helligkeit, Und neben einem greisen Manne schreit ich Durch ein sonnenheißes Land. Grellweiße Felsen und dürres Gelb Sterbender Reife rechts und links. »Hebe dein Haupt! Sieh! Da ist Golgatha!« Christus! Im glühenden Sonnenbrand, Tief niedergesunken das Haupt, Am Kreuz. Ich sehe in seinem blonden Haar Den Dornenkranz, die Schmerzensgloriole. Sein Leib ist dürr und voller Blutrunst. Oh, Christus! »Komm!« Oh, laß mich beten am heiligen Marterstamm! Hier laß mich beten lernen! »Komm! Siehe die Leute an, die beten.« Er führt mich fort. Und wieder flieht meine Seele. Durch wetternden Sturm flieht sie und Waffengeklirr Und Feuersbrunst Und Sterbeklagen. Und in ein mittleres Licht taucht sie auf. Auf glattem Asphalte schreiten wir Durch eine große Stadt, »Hebe dein Haupt! Sieh, da ist Golgatha!« Gott! Gott! Entsetzlich, da –: Mitten im schiebenden Gewirre der Stadt, Da, Mitten auf großem Platz, Zwischen Theatern und Kirchen und Parlamenten: Das Kreuz! Christus daran, Blutend, Gesenkten Hauptes, Und keiner achtet sein. Regimentsmusik, Wagengerassel, Gedröhn, Lachen und Schreien. Christus! Christus! Blutender Heiland! Christus! – Er hebt das Haupt, Oeffnet die Lippen: »Mich dürstet!« Keiner achtet sein. Ihm sinkt das Haupt. »Komm!« Und es wird still. Ich höre Vogelsingen. Die Luft ist lau. Im Korne geht die Sense. Friede! Friede! Ein unermeßliches Feld, Ein segenschweres Meer von windbewegten goldenen Halmen. Tausend Sichler mähen im Schwung. »Hebe dein Haupt! Sieh, da ist Golgatha!« Mitten aus goldenem Garbenberg das Kreuz. Ein stumpffinsterer Mann, Eine Peitsche in Händen, Daran gelehnt. Sein Blick Mustert über die gebückten Rücken der Mäher. Und über ihm der gepeinigte Leib der Liebe. Christus! Da seh ich sein Auge, Schmerzdurchstiert, Dunkelbraun, Weit offen, Hoffnungsleer. Und seine Lippen öffnen sich. Schwarzes Blut entquillt dem Munde und ein Wort: Haß! »Willst du noch beten?« Schnee knirscht wieder unter meinem Schritt, Und wieder saugt mein Leben der Nebel. »Willst du noch beten? Viele Beter Sahst du!« Wer bist du, alter Mann? Und, langsam ferner werdend, nebelverschluckt, Wehen die Worte zu mir: »Vor meiner Thüre sank er unterm Kreuz. Ich hoh ihn nicht. Wer hebt Verbrecher auf? Ich betete Dank, daß meine Seele nicht so frech, wie seine. Da hob in seinem Herzen sich die Wahrheit: Der Haß von Mensch zu Mensch. So starb er. Mir aber fluchte seine bittere Erkenntnis, Daß ich sein Erbe sei und endelos erkenne: Golgatha überall und Hammerschlag am Kreuz! Sein Tod ist ewig, Seine Liebe ist tot. Ich lebe und lerne den Haß. Könnt ich ihn lehren!« .....: Golgatha überall und Hammerschlag am Kreuz ...