Gottesdienst (An Hanns von Gumppenberg zur Erinnerung an Dachau im Mai 1891.) Auf steiler Höhe stand ich schauend. Mein Auge trank in tiefen, großen Zügen die Schönheit. Weit in graue, webende Fernen Schweifte der Blick auf fröhlichen Fittichen, Holte die schimmernde Schönheit mir, Bettete tief sie ins Herz mir ein. Rotes Moor in schmalen Strichen, Lilafarbener Sammt lockerer Frühlingsackererde Weich dazwischen gebreitet; Junges, lachendes Wiesengrün Wellig hineingeschlungen: Freudebanner der jubelnden Hoffnung In des Keimdrangs bräutlich leuchtender, Lustiger Farbe. Flüssig glitzerbewegtes Silber Hurtig eilenden Wassers blinkt In weiten Windungen bogengeschlungen: Wie ich dich liebe mit jauchzender Seele, Oh du frische, rauschende, fröhliche, Tummelnde Freiheit! Grünbehauchte Weiherspiegel Sinnen tiefen, stillen Traum Mitten in der übermütigen Farbenheiterkeit. Dunkle, trotzige Wäldermassen, Braun, Breit, Brüten gewaltigen Ernst und das dunkle Geheimnis wipfelumrauschter Einsamkeit. Zwischenhinein hellrote Dächer, Bläulich wirbelnder Rauch daraus; Blitzende Fenster von Menschenhäusern Leuchten wie lachende Augen. Aber weit, weit drüber hinweg, Weit, in duftiger blauender Ferne, Weit, oh weit über dem Kleingespiel, Starr, Gewaltig, Mit rissigen Schroffen, In Schnee und Eis krystallen gehüllt, Ragen die Alpen. Stille, Stille über dem Riesenrund. Ueber mir Hoch in den Lüften Schreit ein Falke, Langsam kreisend durch das tiefe Lüfteblau. Stille, Stille .... die schweigende Schönheit Atmet leise, voll. – Da schwebt Aus der Tiefe der kleinen Stadt Hell ein Singen empor, es klingt: »Der Mai ist gekommen« .... Von Kinderlippen. In enger Stube sitzen die Kleinen. Ich sehe im Geiste die frischen roten Mäulerchen sich gleichmäßig öffnen, Sehe den Lehrer die Fiedel streichen, Sehe die lustig mitsingenden Augen, – Kindheit, Kindheit, Fröhliche, frische, Singende Unschuld! In die Ferne noch einen Blick, Noch einen Blick über die Schönheit hin, Ueber das Farbenwechselspiel Lebender, atmender, wunderreicher Schönheit. Und ich folge dem Kindergesang, Der durch das schönheitstrunkene Herz mir Wie ein Frühlingsdranghauch weht. Hinunter steig ich durch Gassengewinkel, Immer den langausklingenden Tönen Lauschend nach, Gefangen, gezogen .... Da verscheidet der Sang. Vor einem großen, grauen Hause Steh ich still. Durch offene Thore Weht von Weihrauch Kühl mildharziger Duft. In die Kirche Tret ich ... Da starb meiner Schönheit Bild. Häßliches freches Bunt an den Wänden, Grausam thörichter Spott mit den Leiden Eines gewaltigen, liebedurchloderten, Göttlichen Menschen. Kniende Weiber mit dumpfen, blöden, Aengstlichen Zügen murmeln Gebete. Klappernd gleitet durch die harten, Gekrümmten Finger die abgegriffene Perlenschnur des knöchernen Rosenkranzes. Ein dickes Priestergesicht aus Speckstein Neigt sich und nickt Und wackelt und wendet sich Vorn am Altare. Eine tiefe, schneidende Bitternis grub Aetzend sich in mein Herz. Was der Natur hold heilige Schönheit Mir geschenkt, verdarb vor dem armen Menschenkram, Dem Menschenbettelvolk, Das sich vor fremdem Leid in den Staub Winselnd wirft, Statt freudig hinauf, Jauchzend freudig mit vollem Herzschlag, Hoch hinauf sich zu heben zu seliger, Lebender Schönheit.