VIII. Die Pathengeschenke. – Des armen Waisen Leben und Tod. – Das Mährchen von der neugierigen Frau. – Das muthige und listige Schneiderlein. – Sankt Antonius und der Schwabe. – Dummrian. Fritz kündigte eines Abends an, daß sie, die Kinder, wieder »geladen« seyen mit allerlei Geschichten, und daß sie dieselben je eher desto lieber vorbringen möchten. Der Antrag wurde angenommen, und das junge Völklein gleich aufgefordert, ihre Waaren auszulegen. Dießmal begann Malchen, und erzählte folgendes Mährchen: * * * Die Pathengeschenke. Es war einmal ein Mädchen, die verlor noch sehr jung Vater und Mutter. Da nahm sich der armen Waise ihre Pathe an, eine alte Frau, welche am äußersten Ende des Dorfes ein kleines Häuschen bewohnte, und sich vom Spinnen, Weben und Nähen kümmerlich nährte. Die Frau erzog das Mädchen in aller Zucht und Frömmigkeit, und hielt sie fleißig an zur Arbeit und Reinlichkeit und zu einem freundlichen und feinen Wesen. Als das Mädchen fünfzehn Jahre alt war, starb ihre Pathe. Auf ihrem Todbette sagte diese: Sieh, liebe Tochter, ich hinterlasse dir außer diesem leeren Häuschen nichts, als Spindel, Spule und Nadel. Damit magst du dich aber genugsam ernähren, wenn du dich fleißig zur Arbeit hältst. Dieß aber merke: Willst du, daß Segen in dein Werk komme, so theile den Armen aus, was du an Ueberfluß hast. Gott wird dich dann darum belohnen. Nach diesen Worten verschied die Pathe, und das Mädchen vergoß bittere Zähren, und konnte sich nicht trennen von der Leiche, bis sie begraben wurde. Nun saß sie allein und traurig in ihrer Hütte, und verweinte manchen Tag in der Einsamkeit. Doch endlich, als sie so fleißig sich zum Rocken, zum Webstuhl und zum Nähtisch hielt, da verging ihr allmählich die Schwermuth, und sie gewöhnte sich immer mehr an ihre einsame Lage. Auch ruhte der Segen Gottes sichtbar auf ihrer Arbeit; denn als sie nach Verlauf eines Monats ihre Arbeiten verkaufte, lösete sie so viel Geld, daß sie wohl ein Jahr davon hätte leben können. Eingedenk aber der Worte ihrer verstorbenen Pathe, theilte sie alles Geld, was sie entbehren konnte, unter die Armen aus, und ging dann wieder neuerdings frisch und froh an die Arbeit. So geschah's auch am zweiten und in den folgenden Monaten; und es war wunderbar, daß sie immer mehr und schönern Flachs in ihrer Vorrathskammer fand, als sie doch von den Leuten jederzeit angekauft zu haben vermeinte. Um diese Zeit war der Königssohn ausgegangen, um sich unter den Töchtern des Landes die würdigste als Braut zu suchen und heimzuführen. Er erklärte dabei, er könne keine arme, er wolle aber auch keine reiche wählen; sondern diejenige, welche zugleich die ärmste und die reichste wäre, die sollte seine Frau werden. Nun kam er auch in die Gegend und in das Dorf, wo das Mädchen wohnte. Da ließ er, wie er jederzeit zu thun pflegte, nach der reichsten und nach der ärmsten fragen, die im Orte sey. Die Leute nannten die Mädchen, und rühmten besonders die ärmste, wie sie gar arbeitsam sey und eingezogen lebe, und wie sie sich so wohlthätig erweise gegen die Armen. Das Haus der Reichen ritt der Königssohn vorbei, ohne anzufragen; aber zur Hütte der Armen lenkte er sein Roß, und hielt stille vor demselben, und schaute ins ärmliche Stübchen hinein, wo das Mädchen emsig spann. Als diese den stattlichen Jüngling ersah, im Gefolge vieler Herren vom Hofe, da wurde sie ganz roth im Gesichte, und ihr Herz pochte gewaltig; sie wendete aber sogleich die Augen züchtig ab, und spann emsig fort Der Königssohn dachte bei sich: Habe ich doch nie ein so schönes und sittsames Mägdlein gesehen im ganzen Lande! Wenn sie nicht gar so arm wäre, würde ich sie, wahrlich! heimführen als Braut. Dann ritt er davon. Das Mädchen sah im sehnsüchtig nach, und als sie erfahren, daß es der Königssohn sey, so wollte ihr schier das Herz brechen vor Wonne und Sehnsucht. Indem fiel ihr ein Lied ein, das sie schon in früher Zeit von der Pathe erlernt, und das ihr seither nicht mehr eingefallen; und sie sang: Spindel sein, Spindel schon, 1 Begrüße mir den Königssohn. Und sieh! alsogleich entschlüpfte ihren Fingern die Spindel und spann auf dem Boden fort, zur Thüre hinaus, ins Weite, den Weg, den der Königssohn gezogen. Dieser verhoffte nicht wenig, als er die Spindel daher kommen sah, die einen ganz zarten Goldfaden spann, und sie surrte dabei so lieblich, daß es mit dem schönsten Gesang nicht zu vergleichen war; und es klang fast, wie: Komm mit! Komm mit! Der Königssohn kehrte um, und folgte der tanzenden und singenden Spindel, die ihn des Wegs führte. – Inzwischen hatte sich Mädchen zum Webstuhl gesetzt; sie schaute aber von Zeit zu Zeit zum Fenster hinaus, begierig was da kommen werde. Da sah sie von ferne den Königssohn herankommen, und vor freudigem Erschrecken hielt sie still mit dem Weben, und sang, was folgt im Liede: Spule sein, Spule schon, Geleite mir den Königssohn! In dem Augenblick entfiel ihr die Spule, und sie wob und wob also geschwind einen Teppich von der Thürschwelle an, die Hausflur entlang, und weiter ins Freie, daß man kaum mit den Augen folgen konnte; und das Gewebe war so schön und reich an Gold und Silber, daß nichts Kostbareres gefunden werden mag in allen Königspalästen. Sobald der Königssohn näher herangekommen, so stieg er vom Rosse, und ließ die Seinigen warten; er selbst aber ging zu Fuß der Hütte zu, auf der Tapete, die ihn so leicht, wie auf Flügeln zu tragen schien. Während dieß vorging, hatte sich das Mädchen an den Nähtisch begeben, und das Nähzeug und die Nadel ergriffen; es wollte aber mit der Arbeit nicht mehr recht fortgehen, denn sie konnte nicht umhin, ein und das andere Mal hinaus zu blicken nach dem schönen Königssohn, der sich ihrer Hütte nahete. Ihr Herz klopfte immer stärker, die Hand versagte ihr den Dienst, es flimmerte ihr vor den Augen. Da sang sie mit leiser, beklommener Stimme das Lied weiter: Nadel sein, Nadel schon, Empfange mir den Königssohn! Sogleich lief die Nadel zur Thüre hinaus, und holte Spindel und Spule herbei. Und nun ging's drinnen an ein Spinnen und Weben und Nähen, daß dem Mädchen schier Hören und Sehen verging. In wenigen Augenblicken war das ärmliche Stübchen, wie durch Zauber, verwandelt; es legten sich an die Wände und auf den Fußboden die schönsten, reichsten Tapeten an, die mit prächtigen Schildereien aus Gold und Silber geschmückt waren, und es überzogen sich eben so bald Tisch, Bank und Stühle mit kostbarem Zeug, daß nichts mehr von der vorigen Armuth zu sehen war, sondern alles und jedes im höchsten Glanze prangte. Nur sie selbst, das holdselige Mädchen, stand unverändert da in ihrem einfachen, reinlichen, schneeweißen Kleide, mit den Rosen und Lilien im Antlitz, und mit dem tiefen Himmelblau ihrer Augen. Der Königssohn trat ein .... Aber wer vermöchte zu beschreiben, was da in beider Herzen vorging! Nach dem er sie eine Weile mit Wohlgefallen betrachtet, wobei das Mädchen kaum die Augen zu erheben wagte, so nahm er sie bei der Hand, und sagte: »Nun habe ich gefunden, was ich gewünscht. Du bist das ärmste Mädchen; aber wie ich seh', zugleich das reichste. Willst du, so komme mit mir, und werde meine Gemahlin.« Meint ihr, daß sie eingewilligt habe? Ja wohl! Sie überließ das Häuslein, sammt allen Kostbarkeiten, den Armen, nahm die Pathengeschenke mit sich, und folgte dem Königssohn in seinen Palast, wo sogleich Hochzeit gehalten wurde. Lange Zeit lebten sie in Ehren und Freuden zusammen; und die Königin hielt sich emsig, wie vorher, zur Arbeit, und blieb eine Mutter der Armen. Spindel und Spule sind späterhin im Königspalaste verloren gegangen, aber die Nadel ist dort bewahrt worden bis auf unsere Zeiten; daher noch heut zu Tage die Königinnen und Prinzessinnen ein Nadelgeld erhalten. * * *