Gespräch mit dem Tode 1884. Wer bist Du Mondesleuchtender? Der Tod, Den Deiner Seele dumpfer Schrei entbot; Ich sah wie Dich der Erde Noth umdrängt, Auf, folge mir, ich löse was Dich zwängt. Wohin? wohin? Dein Weg ist dunkle Nacht, Ich liebte stets des Tages goldne Pracht. Was weiß Dein blindes Auge von dem Licht, Das tiefrem Schoß, als Sonnenglanz entbricht! Tauch in die eigne Seele Du hinein, Fühlt sie nicht andren Lichtes Widerschein? So keimte neues Sein aus diesem Sein Und es verfaulte nur dies morsch Gebein? Sieh dort den Rauch, der im Gewölk verschwebt, Weil er kein Rauch mehr, hat er ausgelebt? Wenn das Gewölk grauregnend niedersprüht, Ist's nicht der Rauch, vor dem das Feld erblüht? Was gilt die Welt mir, wenn mein Ich zerfällt! Weh dem, der für den Fuß die Krücke hält; Ein Traum vom Ichthum, voller Fieberpein, Ein Kranken an dem Ich ist euer Sein. Schlepp weiter, weiter Dein armsel'ges Ich Und Hölle wird die Ewigkeit für Dich. Das Ich ist eurer Sünden Quell allein; Was in euch flach, was ekel, was gemein, Das Ich gebiert es; eurem Ich zu lieb Verhurt ihr eures Geistes Gottestrieb, Verhurt den Leib und kriecht in Koth und Staub Und steht wie Tiger über einem Raub Euch lauernd gegenüber, jeder wägt, Wie er den andren rückwärts niederschlägt. Und dennoch scheidet edel und gemein Und bös und gut ihr, scheidet groß und klein – Das Große ist die Liebe, die uns eint, Das Mitleid, das den Weinenden beweint, Der Glaube, daß kein ander Wirken lebt, Als Treue, die im Dienst der Menschheit strebt – Das ist das Große, ihr verhehlt's euch nicht, Das ist es, was den Bann des Ichs durchbricht. Dein Wort wühlt wie mit Flammen durch mein Herz, Sag', was mich rettet von des Daseins Schmerz. Blick auf zu mir und frage; was Du siehst, Verkündet Dir, wie Du dem Ich entfliehst. Was deutet dieser Stern Dir überm Haupt? Selig der Mann, deß Sinne nie bestaubt. Und was der Tropfen Bluts auf Deiner Brust? Selig, wem Wunden schlug der Erde Lust. Und was der Schein, der kränzend Dich umwebt? Selig, wer lebend stirbt und sterbend lebt. So ist das Leben Tod, Du aber bist Der Keim, in dem des Lebens Fülle ist. Ich war's, der beim Gekreuzigten einst stand, Der ihn mit Gott, dem Kern des Alls verband, Die Liebe hatte aufgezehrt sein Ich, Drum verschmolz mit Gott sein Ewiges sich. Ich würgte den, der Alexander hieß, Ich war's, der ihn vom goldnen Prunkbett stieß, Weil er sein Ich nicht sättigen konnte hier, Gab ich ihm neues Ichthum, neue Gier. Und ich und ich! Die Hände streckt' ich aus Nach Dir, zu führen mich ins Nichts hinaus, Eh ich Dich kannte; ach ich wollte fliehn, Eh mir im Kampf des Lebens Sieg verliehn, Eh ich dies Ich getödtet oder mich Zu neuem Kampf und Sein verdammt das Ich. Doch jetzt erkenn' ich klar und fühl' es tief, Ich bliebe krank und wenn ich ewig schlief', Gesunden muß ich von des Ichthums Noth, Zum Leben zu gesunden durch den Tod. Was zauderst Du? Blaß wird Dein Angesicht, Die große Stunde flieh' sie länger nicht, Wirf ab den Leib! Nein, hebe nicht Dein Schwert, Laß von mir Tod, noch bin ich Dein nicht werth.