Angelus Silesius Sinnliche Beschreibung der vier letzten Dinge Der Tod »Herr, lehre mich bedenken, daß es ein Ende mit mir haben wird und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muß.« Ps. 39, 5. 1 Ihr dummen Sterblichen, die ihr So frei und sicher lebet Und stets mit hungriger Begier Nach Gut und Hochheit strebet, Wem sammlet ihr dies alles ein, Was ihr bald müßt verlassen Und in der letzten Not und Pein Doch wieder werdet hassen? 2 Ihr lauft so unbesonnen hin, Als dürftet ihr nicht sterben, Ob zwar ein halb ersoffner Sinn Viel andre sieht verderben. Ihr stecket euch das Ziel noch weit, Ihr denkt noch lang zu leben, Ihr habt noch gute Muß und Zeit, Bis ihr sollt Rechnung geben. 3 Indessen kommt der Larvenmann, Der blasse Tod, geschlichen Und fallet euch ganz plötzlich an, Da ist die Zeit verwichen! Da müßt ihr fort, es hilft kein Geld, Kein hoher Stand noch Güter, Er raffet euch nur aus der Welt Mit Sturm und Ungewitter. 4 Wie manchen hat er aus dem Tanz Zum Totentanz gezogen! Wie manchen in dem besten Glanz Erlegt mit seinem Bogen! Viel hat er aus der Liebsten Schoß Gar grausamlich gerissen Und sie den kalten Erdenkloß Statt ihrer heißen küssen. 5 Den hat ein Bißlein rundes Blei, Den Eisen aufgerieben, Der ist vor Gift und Zauberei Fast auf der Stelle blieben. Den hat ein Fall hinweggebracht, Ein Becher den vergraben, Eh sie sich einmal recht bedacht Und es vermeinet haben. 6 Dies spielet er auch noch zur Zeit Bei Alten und bei Jungen. Die ganze Welt wird ihm zur Beut Und alls von ihm bezwungen. Heut Abends wird er auch bei dir, Du volle Rose, stehen Und deines Leibes ganze Zier Mit ihme heißen gehen. 7 Da wird dich große Traurigkeit Und Schrecken überfallen, Da wird die Furcht dir alle Freud Und alle Lust vergallen. Da wird das Lachen dir vergehn, Das Scherzen wird verschwinden. Du wirst in lauter Ängsten stehn Und kein Ergötzung finden. 8 Der Rede Tür, dein roter Mund, Wird starren und verbleichen, Die Stimme selbst wird zu der Stund Sich einziehn und entweichen. Die Worte werden allzumal Am Gaumen kleben bleiben, Du wirst aus deines Herzens Saal Kaum schwache Seufzer treiben. 9 Der Stirne Pracht und stolzer Glanz, Der Sammet deiner Wangen, Die werden sein verdunkelt ganz, Verblichen und vergangen. Des Leibes angenehmes Licht, Die Augen, werden wanken, Um deinen Leib und Angesicht Sich nunmehr niemand zanken. 10 An Ohren wirst du werden taub, Das Herz wird ängstlich schlagen, Die Seel wird zittern wie ein Laub, Das Gwissen wird dich nagen. Der Teufel wird dich, wie er kann, Mit deinen Sünden schrecken Und sich bemühn, die Straß und Bahn Zur Buße zu verdecken. 11 Die Freunde werden allzumal Von deinem Bette weichen Und sich verlieren aus dem Saal, In dem du wirst verbleichen. Die Trinkgesellschaft wird nicht mehr Mit dir sich lustig machen. Die Spieler werden auch nicht sehr Zu diesem Spiele lachen. 12 Man wird dich nun, so matt und schwach, Mit deinen letzten Zügen Und deinem halbverbrochnen Ach Alleine lassen liegen. Du wirst allein zum Totenfahn Dich müssen fortbegeben. Man wird allein und ohn Gespan Dich schicken aus dem Leben. 13 Sobald der arme Tropf, dein Geist, Sein Haus, den Leib, verlassen Und vor dir wird sein hingereist, Wird man dich auch bald hassen. Man stopft die Nase vor dir zu, Man bleibt von ferne stehen, Man wünscht nur bald mit dir zur Ruh Und Grabstätt hinzugehen. 14 Man lauft und rennet, daß man bald Den Sarg und alls bereite Und deine tödliche Gestalt Hinwegbring und beiseite. Drauf traget man dich klagend hin Mit traurigen Gebärden Und legt dich ohne Geist und Sinn Ins Haus der finstern Erden. 15 Da ist nun deine Herrlichkeit Und deine Pracht geendet! In dies Palast hat deine Freud Zum letzten angelendet! Hier magst du nun dich auch umsehn Und tun nach deinen Lüsten. Hier magst du, wie zuvor geschehn, Stolziern dich und entrüsten. 16 Die Würmer, denen du bist Preis, Die werden deiner lachen Und dir mit Lust und großem Fleiß Gar bald den Garaus machen. Die Kröten werden dein Gebein Zermalmen und zernagen Und nicht erst, ob sie edel sein Und hochgeboren, fragen. 17 So geht das schnöde Leben hin, So elend, so geschwinde! So müssen wir von dannen ziehn, Gleichwie der Rauch vom Winde. Wie eine Blum und Wasserblas In einem Hui verderben, So pflegt auch unser Fleisch, das Gras, In einem Hui zu sterben. 18 Kein Laub wird durch den harten Nord So bald vom Baum gerissen, Kein Schiff treibt Äolus so fort, Als wir vergehen müssen. Kein Strom fleußt gar so schnell fürbei, Kein Pfeil fliegt so behende, Als unsers Lebens Melodei Zum Schweigen kommt und Ende. 19 Betrachte dies, o Menschenkind, O Kind der Eitelkeiten! Betracht es, daß du dich geschwind Zum Tode mögst bereiten. Verlaß die Welt, kehr dich zu Gott, Erheb dich von der Erden, Daß du nicht darfst in diesem Tod Ganz tot und sterbend werden. 20 Stirb, ehe denn du sterben mußt, Meid, ehe du mußt meiden. Ertöt in dir die böse Lust Und alle falschen Freuden. Wer nicht gestorben, wenn er stirbt, Muß ewiglich verderben Und durch den Wurm, der nie verdirbt, Ohn alles Ende sterben.