Betrachtung der peinlichen Ewigkeit 1 O Ewigkeit! O Ewigkeit! Mein Herz muß in mir weinen, Wenn es das Unend deiner Zeit Bedenkt und deine Peinen. Ich werde blaß und ungestalt Ob deiner Jahre Länge, Ich bin erstaunt und sterbe bald Vor deiner Qualen Menge. Ach, ach, was ist die Ewigkeit! 2 Miß alle Tropfen, die im Meer, In Flüssen und in Brünnen, Zähl alle, die von oben her Gefalln und fallen können. Rechn alle Flocken noch dazu, Die je der Schnee gegeben, So ist doch diese Zahl ein Nu Zum ewgen Jammerleben. Ach, ach, was ist die Ewigkeit! 3 Zähl alles Laub, mit welchem je Die Wälder uns erfreuet, Und alles Gras, das spät und früh Die Zeit hat abgemeiet, Auch noch die Stäublein allzumal, Die in der Sonne streichen, So wirst du doch noch nicht die Zahl Der Ewigkeit erreichen. Ach, ach, was ist die Ewigkeit! 4 Setz einen Berg, der mit der Spitz Des Himmels Burg berühre, Und seiner starken Wurzeln Sitz, So weit die Welt geht, führe. Trag dann ein einzigs Gränelein In tausend Jahrn herunter, So bleibt doch noch die ewge Pein, Wenn er ganz weg ist, munter. Ach, ach, was ist die Ewigkeit! 5 Beschreib das ganze Firmament, So dicht du kannst, mit Zahlen, Laß drauf die Erd bis an ihr End Mit Ziffern übermalen. Sprichs aus, so's dein Verstand vermag, So wirst du doch nicht sprechen Das Jahr, in dem der erste Tag Der Ewigkeit wird brechen. Ach, ach, was ist die Ewigkeit! 6 Die Ewigkeit ist wie ein Kreis, Der in sich selber gehet, Wie eine Schlange, die mit Fleiß Auf sich gewunden stehet. Ist wie ein Rad, das fort und fort Um seine Well sich schwinget Und doch nicht einen Ruck zum Port, So lang sie währet, bringet. Ach, ach, was ist die Ewigkeit! 7 Sie ist ein Feuer, dessen Brunst Von seinem eignen zehret, Ein Brand, der sich durch sondre Kunst Von seinem Dampf ernähret. Sie ist ein Rachen und ein Schlund, Der sich stets selbst verschlucket, Sie ist ein Abgrund ohne Grund, Der immer tiefer rucket. Ach, ach, was ist die Ewigkeit! 8 Wenn du vermeinst, sie sei nun aus Nach hunderttausend Zeiten, So tut sie erst ihr Trauerhaus Das erstemal beschreiten. Wenn sie sich endt, so fängt sie an, Ihr Anfang, der ist immer, Ihr Mittel schaut sie niemals an, Wie auch ihr Ende nimmer. Ach, ach, was ist die Ewigkeit! 9 Sie ist ein ungeheure Glut, Die unerleidlich brennet, Ein schneidend Schwert, das Mut und Blut, Das Leib und Seel zertrennet. Sie ist ein Wurm, der Tag und Nacht In dem Gewissen naget, Sie ist ein Stachel, der mit Macht Die Herzen sticht und plaget. Ach, ach, was ist die Ewigkeit! 10 Sie ist ein Donner und ein Blitz, Der ohne Trost erschrecket, Ein Strahl, der mit subtiler Hitz Durchdringet und erstecket. Ein Sturm, der alls, was Hoffnung heißt, Im Grimm zu Boden schläget, Ein Ungewitter, das im Geist Ein ewges Weh erreget. Ach, ach, was ist die Ewigkeit! 11 Sie ist ein Abscheu, eine Kluft, Die das Gesicht bestürzet, Ein tiefes Loch und finstre Gruft, Die alle Bahn abkürzet. Sie ist ein Kerker, den der Schein Der Sonne nicht begrüßet, Ein Fessel, welches Mark und Bein Ohn Auslaß in sich schließet. Ach, ach, was ist die Ewigkeit! 12 Sie ist ein Wütrich und Tyrann, Ein ewger Herzenbrecher, Ein grausam Tier und zornger Mann, Ein strenger Sündenrächer. Sie ist ein Heulen und ein Schrein, Ein ewger Seelenjammer, Ein ewiges Vermaledein, Ein ewiger Verdammer! Ach, ach, was ist die Ewigkeit! 13 Sag, was du willst, die Ewigkeit Wird nie genug beschrieben. Wer weiß die Höh der Grausamkeit, Die sie pflegt zu verüben. Kein Auge hat ihrn Schlund gesehn, Kein Ohr ihr Brülln vernommen, Es ist auch ihre Qual und Drehn Noch in kein Herze kommen. So grimmig ist die Ewigkeit!