Breslau den 17 tn December 1849. Euer Hochwohlgeboren! Hochverehrter Herr Geheime Ministerialrath! Heute an meinem 63 tn Geburtstage habe ich, nach langem Bedenken, nach manchem geistigen und gemütlichen Kampf, die Briefe abgesendet, die für den Rest meines Lebens mein Schicksal entscheiden sollen, den einen an den Herrn Minister von Ladenberg mit dem Wunsche meine Entlassung aus dem könig. Dienste bei S r Majestät in Antrag zu bringen, den anderen an den H. Gr. v Thun mit der Zusage der Annahme der Professur in Prag. Nach diesem wichtigen Schritte ist es mein Erstes, meinen hiesigen ältesten Gönner und väterlichen Freund mit einigen tiefgefühlten Worten anzusprechen. - Es ist denn jetzt 27 Jahre, daß ich das Glück hatte in Berlin in Ihrer Nähe zu weilen und Ihrer freundlichen Sorgfalt für mein künftiges Lebensglück theilhaftig zu sein. Alle die Bilder jener Zeit sind tief in meinem Gemüthe eingeprägt, und überall erscheint mir das Ihrige als mein schützender Genius. Dieses Andenken könnte nur mit meinem Wesen vernichtet werden. Dank! herzlichsten aufrichtigsten Dank! für alle Ihre Güte, Gunst und Nachsicht. Ich trete jetzt in Verhältnisse ein in denen zu leben, und im nationalen Sinne wirksam zu sein durch diese ganze Zeit mein geheimer Wunsch, und auch wiederholtes Bestreben war. In Oesterreich hat sich vieles geändert, und hat den Anschein noch ferner zum Bessern fortzuschreiten, was mir verspricht daß die Umstände meinem Streben sich günstig gestalten. Meine Berufung ist zwar nicht mit glän- zenden Bedingungen begleitet, woran ich größtentheils selbst schuld bin, da ich keine höheren gestellt hatte: doch ist mir ein Manneswort gegeben, daß sich dies bald, und zu meiner vollen Befriedigung ändern wird. Und endlich, man muß wagen zu leben und zu handeln, und so lange man Kraft fühlt, die Jahre nicht zählen. Bei meinem Abgange, wo ich viel Liebes und Werthes verlasse, kann es mir nicht gleichgültig sein, wer in meine hiesige Verlassenschaft einziehe, und Euer Hochwohlgeboren werden mir erlauben, einen Mann den ich nach vielem Bedenken meiner Wahl am würdigsten halte zu gütiger Berücksichtigung als meinen Nachfolger in Vorschlag zu bringen. Es ist Karl Thod. v Siebold Professor der Physiologie und Zoologie an der Universität zu Freiburg im Breisgau. Eine große Zahl Abhandlungen, theils selbständig, theils in verschiedenen Zeitschriften über Zoologie, Entwicklungsgeschichte der Thiere und microscop. Anatomie haben seinen Ruf gegründet, zudem ist er von einem sehr liebenswürdigen Charakter, was bei vielen Universitätsverhältnissen eine sehr erwünschte Sache ist. Uiberdies ist er, wie ich glaube ein Sohn des verstorbenen berliner Professors von Siebold und wird sich gewiß hier bald heimisch fühlen. Ich glaube es würde kein Fehlgriff sein ihn an meine Stelle zu rufen. Endlich kann ich nicht umhin, Euern Hochwohlgeboren die Anglegenheit der physiologischen Institute dringend ans Herz zu legen. Das Verhältniß der alten Anatomie und der neuen Physiologie ist eine Principienfrage und wird gewiß im Fortschritte der Zeiten ihre Erledigung finden. Doch ist schon der Anfang da, und nicht die abstracte Zeit, wir in ihr sind die Leiter und Herren der Ereignisse. Zur Anregung des hiesigen physiologischen Instituts hat bei mir das Wort des verewigten Hegel das meiste beigetragen, der, als ich bei ihm über mein Mißverhältniß zur Anatomie Klage führte, mit fester Stimme sprach: Sie müssen sich ein eigenes Institut errichten lassen. So ist es auch geschehen, und Euer Hochwohlgeboren haben gewiß den meisten Antheil daran gehabt. Möchten Euer Hochwohlgeboren nun zu seiner Entwicklung und höheren Vollendung das Möglichste beitragen. Mit innigem Interesse werd ich auch in der Ferne an seinem Fortgange mich erfreuen; und in meinem neuen Wirkungskreise nicht nachzubleiben mich bestreben. Sie aber möge der Allmächtige noch recht lange Ihren Angehörigen und Freunden, der Wissenschaft, der Schule und dem Staate erhalten. In tiefster Verehrung verbleibe ich Euer Hochwohlgeboren dankbar ergebener Joh. Purkinje.