Extract aus einem Schreiben Dr: Müller aus Bonn an Herrn Geheimen- Medizinal-Rath Rudolphi, d. d. Bonn den 2 ten July 1824 1825 . Ich verließ unter Ihren väterlichen Segenswünschen Berlin, um mit aufmunternder Beistimmung des hohen Ministerii, eine academische Laufbahn anzu- treten. Hatte meine Familie schon während meines Aufenthalts in Berlin in der Hoffnung einer bal- digen Immunität der Sorgen um mein Auskommen manches harte Opfer bringen müssen, und war mei- ne Rückreise mit mancherley Effecten wieder mit beträchtlichen Kosten verbunden, so war nunmehr meine Stellung als Privatdocent in finanzieller Hinsicht eine Aufgabe, wie drückend ich sie bisher noch nicht erfahren. In dringender Noth wandte ich mich im De- zember 1824. an den Herrn Regierungs-Be- vollmächtigten, der meine Eingabe auch auf das Kräf- tigste zu unterstützen bereit war. Allein ich erhielt erst Mitte May durch Herrn p Rehfues die An- weisung auf 100 Thaler. Wenn nun auch meine erste Eingabe schon vor 7 Monaten geschehen war, so würde es doch, da mir vor nicht langer Zeit erst eine gnädige Antwort von dem hohen Ministerium geworden ist, unziemlich und ungeschickt seyn, nunmehr wieder eine zweite Vorstellung an Se: Excellenz den Staatsminister zu machen; und dennoch werden Sie aus der gegenwärtigen Schilderung meiner Lage gewiß deutlich er- sehen, daß ich in Hinsicht meiner finanziellen Umstände in einer Lage bin, wie sie das hohe Ministerium in jenem sei- nem Inhalte nach Ihnen bekannten Rescripte vom 27 sten July 1824. vor meinem Abgange von Berlin gnädigst vorgesehen hatte. Ich habe mich bisher zwar einer lebhaften Theilnahme in meinen demonstrativen und physiologischen Vorlesungen zu erfreuen gehabt. Allein Sie können es selbst am besten beur- theilen, daß ein Privatdocent in unserer Fakultät namentlich, kaum etwas zu erwarten hat. Die Mediciner sind hier zum größtentheile unbemittelt und haben ohnehin in Collisionen die Rücksicht auf diejenigen ordentlichen Professoren, vor welchen sie das Examen rigorosum abzulegen haben. - Ich bin zwar auch approbirter Arzt und Chirurg; allein auf Praxis muß hier ein junger Mann gar nicht rechnen. In Bonn sind nunmehr 18 practische oder besser approbirte Aerzte. Ueberdieß sind selbst die Armen bey der Einrichtung der policlinica , in welchen die Arzneien unentgeldlich angewiesen werden, erwähnt. Und wenn ich auch die Aussicht hätte, durch Redaction meiner in Berlin angelegten anatomischen und physiologischen Arbeiten in finanziel- ler Hinsicht unterstützt zu werden, so läßt dies doch vor der Hand die nöthige Vorbereitung für 9 Vorlesungen in der Woche nicht zu. Ein junger Arzt von einigem Geschick kann sich in der Praxis wenigstens immer seine Existenz sichern; allein ein Privat- Docent der Medicin, wenn er auch gern Opfer bringt, ist ohne Unterstützung gar übel dran, aus begreiflichen Gründen viel mehr als in irgend einer andern Fakultät.