NO 36. Hochwohlgebohrner Herr Hochverehrter Herr Geheimerrath und Staatsminister! Ew. Excellenz haben in einer Einlage zu einem Schreiben an den Herrn Ge- heimen-Ober-Regierungsrath Schulz Z 14.-18. Mai , vom 14 ten May l. J. , den Wunsch ausge- sprochen verschiedene entoptische Gläser durch mich besorgt zu erhalten. ­ Mit Freuden habe ich diesen Auftrag übernommen, gelange aber leider und zu meiner großen Beschämung erst jetzt dazu mich dessen durch die beyfolgende Sendung zu entledigen. - Wo möglich schwerer noch fühle ich mich gedrückt durch das Bewußtseyn der Schuld die ich durch die Nichter- füllung meiner Zusage wegen der historischen Notiz über meine chro- matischen Bemühungen auf mich geladen habe. Ich hoffte diesen Aufsatz noch vor Ende des vorigen Jahres zu liefern und nun ist schon wieder der Sommer fast zu Ende und ich erscheine noch immer mit leeren Hän- den. Mein einziger Trost in dieser Noth ist der daß Ew. Excellenz, wie ich durch den Herrn Geh. Rath Schulz erfahre, bereits mit meinem gegenwärtigen Zustand bekannt, sich, vor vier Monaten wenigstens, nach Ihrer großmüthigen Weise geneigt erklärt haben, Gnade für Recht ergehen und mir für mein Unrecht Verzeihung angedeihen zu lassen. Diesen selben geneigten Willen wage ich, da das Übel welches mich befallen während der letzten Monate nicht nachgelassen hat, auch jetzt noch in Anspruch zu nehmen und ich bemerke dabey nur, daß nunmehr die nahe Aussicht zur Wiederkehr der Besonnenheit für mich vorhanden ist, da ich im Begriff stehe jener Guten Emilie von Henning, geb. Krutisch; nicht in der GND , dich um „Fleiß und Ruhe“ mich gebracht zum dauernden Bunde die Hand zu reichen und „das Zauberfädchen an dem sie mich so wider Wil- len festgehalten“ freywillig im Angesicht der Liebe als ein un- zerreißliches Band anzuerkennen. Dieß soll übermorgen gesche- hen und bald darauf gedenken wir einen Ausflug nach meiner thüringer Heimath zu unternehmen. Sollten Ew. Excellenz im Laufe des September gleichfalls dahin zurückkehren, so würde ich nicht säumen mich dort einzufinden, in der Hoffnung daß es mir, wenn irgend, vielleicht an der Hand der jungen Freundin Emilie von Henning, geb. Krutisch; nicht in der GND , die mich so zu Schaden gebracht, am ersten gelingen wird, gegen das Versprechen gründlicher Besserung, wieder zu Gnaden aufgenommen zu werden. ­ Als einen Beweis übrigens daß ich doch im Laufe dieses Som- mers dem mir so werthen chromatischen Beruf nicht ganz untreu geworden bin, erlaube ich mir Ew. Excellenz in dem anliegenden Heft eine Abschrift der Einleitung zu überreichen womit ich die- ses Mal meine, durch den schönen Apparat so sehr begünstigten chromatischen Vor- lesungen an der hiesigen Universität eröffnet habe. Ich bemerke dabey, daß das Unternehmen die Farbenlehre dieses Mal vom Standpunkt der Naturphilosophie aus zu betrachten und damit dem experimental-didactischen Vortrag dieser Disciplin allgemeine, naturphilosophische Erörterungen vorauszuschicken, zunächst diese zufällige und subjective Veranlassung hat, daß, wie ich durch den Herrn Professor Hegel erfuhr, von Seiten der physikalischen Zunftgenossen der phi- losophischen Fakultät unserer Universität zu Protocoll erklärt worden war, es nicht ferner dulden zu wollen daß ein für das philosophische Fach habili- tierter Docent, über einen einzelnen Zweig der Physik Vorlesungen halte, ohne sich vorher über seine Befähigung dazu vor ihnen ausdrücklich durch ein zu bestehendes Examen ausgewiesen zu haben. Da ich als protestantischer Candidat es nicht für räthlich hielt mich vor papistischen Pfaffen zu stellen, so hielt ich es, um allen Händeln aus dem Wege zu gehen, für das kürzeste und sicherste die Ankündigung meiner Vorlesungen im Katalog in der aus der Aufschrift des anliegenden Hefts zu ersehenden Art zu fassen und während ich, auf meinem Standpunkt nicht umhin kann, die Überzeugung zu hegen, daß, wenn das Philosophieren auf die rechte Weise betrieben wird, der guten Sache daraus kein Schaden erwachsen kann, so muß ich es dahingestellt seyn lassen, in wie weit es mir gelungen ist meiner Aufgabe in dem von Ew. Excellenz selbst in Ihrer Darstellung der Farbenlehre angedeuteten Sinn zu genü- gen. Meine Zuhörer, die auch dieses Mal sich in sehr beträchtlicher Anzahl ein- gefunden, haben sich übrigens diesen ganzen Sommer hindurch durchaus theilnehmend und aufmerksam erwiesen und ich behalte mit vor Ew. Excellenz über den ganzen diesfalsigen Verlauf demnächst ausführlichere Auskunft zu geben. - Die beyfol- genden entoptischen Gläser betreffend, so sind dieselben dieses Mal nicht ganz so gut aus- gefallen als ich wohl gewünscht hätte; der Verfertiger der vorigen lag, da der diesfalsige Auftrag an mich gelangte krank darnieder und ich sah mich deshalb, nachdem ich mehrere Wochen gewartet, genöthigt mich nach einem andern Me- chanikus umzusehen. Einen solchen fand ich dann auch unter meinen Zuhörern selbst am Doctor Vollmer Nicht ermittelt. , einem, wie ich mich demnächst überzeugt habe, in der Mechanik und Physik sehr wohl unterrichteten jungen Mann, der indem er in der Wissenschaft fleißig fortarbeitet, seinen Unterhalt dadurch sichert daß er das Gewerbe eines Mechanikus treibt. Indem ich mir vorbehalte Ew. Ex- cellenz sowohl über diesen jungen Mann, als auch über einen jungen Mathematiker der meine Vorlesungen aufmerksam besucht, demnächst mündlich noch Mehreres mitzutheilen, bemerke ich zugleich, daß ich die gewünschten Rechnungen über die gemachten Auslagen mit mir bringen werde. - Außer den bereits nahm- haft gemachten Gegenständen, finden sich im beyfolgenden Kistchen noch zwey Gaben, die an Ew. Excellenz gelangen zu lassen ich von ein Paar Freun- den ersucht worden bin, deren einer, mit dem ich den 28 sten August began- gen, sich selbst brieflich ausgesprochen hat, während der Andere, seiner bescheidenen Weise gemäß, Bedenken tragend sich selbst an Ew. Excellenz zu wenden, es sich doch nicht versagen mochte seine Arbeit dem compe- tentesten Richter vorzulegen. Ehrerbietigst und mit treuer Ergebenheit verharre ich Ew. Excellenz ganz unterthänigster Leopold von Henning . (Vom 10 ten September an in Gotha zu treffen). Berlin den 1 sten September 1823 . Wegen der abgestumpften beyden Dreyecke ist zu bemerken, daß das eine vor und das andere nach dem Glühen seine abgestumpfte Gestalt erhalten hat.