1831, 27. Juni. Mit Friedrich Soret Wir sprachen über Victor Hugo. »Er ist ein schönes Talent,« sagte Goethe, »aber ganz in der unselig-romantischen Richtung seiner Zeit befangen, wodurch er denn neben dem Schönen auch das Allerunerträglichste und Häßlichste darzustellen verführt wird. Ich habe in diesen Tagen seine ›Notre-Dame de Paris‹ gelesen und nicht geringe Geduld gebraucht, um die Qualen auszustehen, die diese Lectüre mir gemacht hat. Es ist das abscheulichste Buch, das je geschrieben worden! Auch wird man für die Folterqualen, die man auszustehen hat, nicht einmal durch die Freude entschädigt, die man etwa an der dargestellten Wahrheit menschlicher Natur und menschlicher Charaktere empfinden könnte. Sein Buch ist im Gegentheil ohne alle Natur und ohne alle Wahrheit! Seine vorgeführten sogenannten handelnden Personen sind keine Menschen mit lebendigem Fleisch und Blut, sondern elende hölzerne Puppen, mit denen er umspringt wie er Belieben hat, und die er allerlei Verzerrungen und Fratzen machen läßt, so wie er es für seine beabsichtigten Effekte eben braucht. Was ist das aber für eine Zeit, die ein solches Buch nicht allein möglich macht und hervorruft, sondern es sogar ganz erträglich und ergötzlich findet!«