1796, 17. Juni. Mittag bei Goethe Gleichwohl kam ich [J. P. F. Richter] mit Scheu zu Goethe. Die K[alb] und jeder malte ihn ganz kalt für alle Menschen und Sachen, auf der Erde. Die K. sagte: er bewundert nichts mehr, nicht einmal sich; jedes Wort sei Eis, zumal gegen Fremde, die er selten vorlasse; er habe etwas Steifes, reichsstädtisch Stolzes – bloß Kunstsachen wärmen noch seine Herznerven an, daher ich Knebel bat, mich vorher durch einen Mineralbrunnen zu petrificiren und zu incrustiren, damit ich mich ihm etwa im vortheilhaften Lichte einer Statue zeigen könne. Die K. räth mir überall Kälte und Selbstbewußtsein an. Ich ging ohne Wärme, bloß aus Neugierde. Sein Haus frappirt: es ist das einzige Weimars im italienischen Geschmack, mit solchen Treppen – ein Pantheon voll Bilder und Statuen; eine Kühle der Angst presset die Brust. Endlich tritt der Gott her; kalt, einsilbig, ohne Accent. Sagt Knebel: ›Die Franzosen ziehen in Rom ein.‹ – »Hm!« sagt der Gott. Seine Gestalt ist markig und feurig, sein Auge ein Licht. Aber endlich schürete ihn nicht bloß der Champagner, sondern die Gespräche über die Kunst, Publikum etc. sofort an und – man war bei Goethe. Er spricht nicht so blühend wie Herder, aber scharf, bestimmt und ruhig. Zuletzt las er uns, d.h. er spielte uns 1 ein ungedrucktes herrliches Gedicht vor, wodurch sein Herz durch die Eiskruste die Flammen trieb, sodaß er dem enthusiastischen Paul (mein Gesicht war es, aber meine Zunge nicht, wie ich denn nur von weitem auf einzelne Werke anspielte, mehr der Unterredung und des Beleges wegen) die Hand drückte. Beim Abschiede that er es wieder und hieß mich wiederkommen. Er hält seine dichterische Laufbahn für beschlossen. 1 Sein Vorlesen ist ein tieferes Donnern, vermischt mit dem leisesten Regengelispel; es giebt nichts Ähnliches.