1826, 28. Juni. Mit Friedrich von Müller Von 7-9 Uhr war ich heute bei Goethe allein, der ziemlich heiter und gesprächig, doch nicht so festhaltend an den Gegenständen und mittheilend war, wie in ganz guten Stunden. Er sprach vom Nekrolog der Fr. v. Krüdener. »So ein Leben ist wie Hobelspäne; kaum ein Häufchen Asche ist daraus zu gewinnen zum Seifensieden.« Doch rieth er mir ›Valerie‹ zu lesen. Er zeigte einen schönen Abguß einer Karsten'schen kleinen Statue, wahrscheinlich Andromache, und theilte jene herrliche Stelle über Herder's Tod 1 aus der Chronik von 1803 mit. Heute zeigte er auch weit größere Theilnahme an den Griechen wie sonst, und sprach über Parry's letzte Tage Byron's. Ich erzählte von Rudolfstädter Gemälden, von Oels Reise nach Karlsbad und Dresden und von Scheidler's methodologischer Encyklopädie der Philosophie. Goethe äußerte sich sehr günstig über ihn; mein Versuch aber, eine nähere Erläuterung seines letzten heftigen Ausfalls gegen den Orakelspruch: »Kenne Dich selbst«, zu erhalten, schlug fehl. »Ich kann mich,« erwiederte er, »darüber jetzt nicht herauslassen, aber ich hätte meinen Satz allerdings freundlicher und acceptabler ausdrücken können.« 2 Als die Rede auf die irländischen reichen Pfründen der protestantischen Geistlichkeit kam, die man jetzt zu schmälern beantrage, äußerte er: »die dunkeln Köpfe! Als ob man der Geistlichkeit etwas nehmen könnte! Als ob es nicht ganz einerlei sei, wer etwas hat; wie viel wackere Männer giebt es, die noch mehr haben, uns Bettlern kommt das nur viel vor.« 1 Nach Grüner's Darstellung wäre das vom Vormittag Erzählte am 3. September vorgegangen.