1816, Mai (?). Mit Eduard Genast »König Lear« sollte gegeben werden, aber der Schauspieler, der gewöhnlich den Grafen Kent spielte, war krank geworden und ich mußte für ihn eintreten .... Weder Goethe noch mein Vater nahmen sich beim Studium meiner an. Ei was! dachte ich: du willst den beiden Herren beweisen, daß du ebenfalls auf eignen Füßen stehen kannst. Ich kam in die Probe, bei welcher der Meister gegenwärtig war, und hatte meine Rolle so gelernt, daß mir auch nicht ein Jota fehlte. Nach meiner Ansicht machte ich die Sache gut und erwartete ein »Nicht übel!« oder »Gut!« von des Meisters Lippen zu hören, aber weder ein »Schlecht!« noch »Gut« drang an mein Ohr. Ganz schlecht konnte meine Leistung nicht sein; das sagte mir die zufriedene Miene der Vaters. Ohne jegliche Bemerkung von Goethe über mein Spiel ging die Probe vorüber, worin nur zur Belustigung aller ein kleines Intermezzo vorkam. Der Schauspieler nämlich, welcher den Haushofmeister vorstellte [Lortzing] und eben kein Licht war, trat bei den Schmähungen, welche Kent ihm zuschleuderte, ganz entrüstet vor und sagte: »Aber Ew. Excellenz! ich kann mir doch vor dem ganzen Publikum von einem so jungen Menschen nicht solche Dinge sagen lassen.« Eine Pause entstand, in der sich alle lächelnd ansahen und die Goethe mit folgenden Worten unterbrach: »Dieser Einwurf hat allerdings, wenn man ihn vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet, etwas für sich; wir wollen es überlegen. Einstweilen fahre man fort!« Der Arme hatte wegen dieser Dummheit lange Zeit zu leiden. Den andern Tag wurde ich zu Sr. Excellenz beschieden. »Nun, siehst Du, mein Sohn!« sagte er, »gestern hast Du mir bewiesen, daß Du Talent für das Charakterfach hast. Einen guten Liebhaber wirst Du in Deinem Leben nie abgeben; denn Dein Organ entbehrt alle Weiche die dazu gehört, aber Rollen wie Wallenstein und Götz möchten Dir, wenn Du in Deinem Fleiß und Eifer nicht ermüdest, in spätern Jahren gar nicht übel anstehen.« Er entließ mich sehr wohlwollend, und ich eilte freudig gehoben davon.