1783, Ende April. Mit Johann Friedrich Blumenbach und Christoph Martin Wieland Goethe, den ich oft und in verschiedenen Situationen bei Hof unter den Herrschaften, unter seinen Collegen, unter den Damen, vis à vis von Wieland und mehreremale recht lange mit mir tête à tête gesehen habe, da er mich in seinen Garten und spaziren führte u.s.w. hat alle meine Vorstellungen, die ich mir nach anderer Erzählung von ihm gemacht hatte, gar sehr übertroffen. Nichts den Geheimen Rath Ankündigendes, Zurückhaltendes, sondern ein gesetzter, aber ganz unaffectirter, äußerst zugänglicher Mann, unglaublich offen, hell und doch tief penetrirend in seinem Urtheile, und doch überaus billig, gar nicht decisiv, wie ich zumal in unserer Unterredung über Lavater und Physiognomik, über Verfassung der Jenaischen Universität u.s.w. gesehen habe. Überall viel gesunde, richtige und deutliche Philosophie und den reifen Geschmack, der auch in seinem Zimmer und artigen Garten u.s.w. durchgehends herrscht. Wieland schien mir daher in seiner Gegenwart eine etwas abstechende, nicht sehr vortheilhafte Figur zu machen. Sie dutzen sich zwar und sind herzlich gute Freunde, aber man spürt doch Goethe's Superiorität. Dieser sagte mir z. E. in Wieland's Gegenwart, daß Villoison so für Wieland eingenommen sei, rühre daher, weil dieser sein lateinisches Gedicht auf die Geburt des Erbprinzen in gleichem Silbenmaß so künstlich deutsch übersetzt habe. Dafür habe ihn Villoison zwar Chrysostomus genannt, aber doch auch imgrunde mit König Midas verglichen, indem er gesagt, daß unter Wieland's Händen alles zu Gold werde.