1829, 14. April. Mit Johann Peter Eckermann und Heinrich Meyer Als ich diesen Mittag hereintrat, saß Goethe mit Hofrath Meyer schon bei Tische, in Gesprächen über Italien und Gegenstände der Kunst. Goethe ließ einen Band Claude Lorrain vorlegen, worin Meyer uns diejenige Landschaft aussuchte und zeigte, von der die Zeitungen gemeldet, daß Peel sich das Original für 4000 Pfund angeeignet ..... Es war die Rede, wo das Original sich zeither befunden und in wessen Besitz Meyer es in Italien gesehen. Das Gespräch lenkte sich sodann auf das neue Besitzthum des Königs von Bayern in Rom. »Ich kenne die Villa sehr gut,« sagte Meyer, »ich bin oft darin gewesen und gedenke der schönen Lage mit Vergnügen. Es ist ein mäßiges Schloß, das der König nicht fehlen wird sich auszuschmücken und nach seinem Sinne höchst anmuthig zu machen. Zu meiner Zeit wohnte die Herzogin Amalie darin, und Herder in dem Nebengebäude; später bewohnte es der Herzog von Sussex und der Graf Münster. Fremde hohe Herrschaften haben es immer wegen der gesunden Lage und herrlichen Aussicht besonders geliebt.« Ich fragte Hofrath Meyer, wie weit es von der Villa di Malta bis zum Vatican sei. »Von Trinità di Monte, in der Nähe der Villa,« sagte Meyer, »wo wir Künstler wohnten, ist es bis zum Vatican eine gute halbe Stunde. Wir machten täglich den Weg, und oft mehr als einmal.« »Der Weg über die Brücke,« sagte ich, »scheint etwas um zu sein; ich dächte, man käme näher, wenn man sich über die Tiber setzen ließe und durch das Feld ginge.« »Es ist nicht so,« sagte Meyer, »aber wir hatten auch diesen Glauben und ließen uns sehr oft übersetzen. Ich erinnere mich einer solchen Überfahrt, wo wir in einer schönen Nacht bei hellem Mondschein vom Vatican zurückkamen. Von Bekannten waren Bury, Hirt und Lips unter uns, und es hatte sich der gewöhnliche Streit entsponnen, wer größer sei, Rafael oder Michel Angelo. So bestiegen wir die Fähre. Als wir das andere Ufer erreicht hatten und der Streit noch in vollem Gange war, schlug ein lustiger Vogel, ich glaube es war Bury, vor, das Wasser nicht eher zu verlassen, als bis der Streit völlig abgethan sei und die Parteien sich vereinigt hätten. Der Vorschlag wurde angenommen, der Fährmann mußte wieder abstoßen und zurückfahren. Aber nun wurde das Disputiren erst recht lebhaft, und wenn wir das Ufer erreicht hatten, mußten wir immer wieder zurück, denn der Streit war nicht entschieden. So fuhren wir stundenlang hinüber und herüber, wobei niemand sich besser stand als der Schiffer, dem sich die Bajocs bei jeder Überfahrt vermehrten. Er hatte einen zwölfjährigen Knaben bei sich, der ihm half und dem die Sache endlich gar zu wunderlich erscheinen mochte. ›Vater‹, sagte er, ›was haben denn die Männer, daß sie nicht ans Land wollen, und daß wir immer wieder zurück müssen, wenn wir sie ans Ufer gebracht?‹ ›Ich weiß nicht, mein Sohn,‹ antwortete der Schiffer, ›aber ich glaube, sie sind toll.‹ Endlich, um nicht die ganze Nacht hin- und herzufahren, vereinigte man sich nothdürftig, und wir gingen zu Lande.« Wir freuten uns und lachten über diese anmuthige Anekdote von künstlerischer Verrücktheit. Hofrath Meyer war in der besten Laune, er fuhr fort uns von Rom zu erzählen, und Goethe und ich hatten Genuß, ihn zu hören. »Der Streit über Rafael und Michel Angelo,« sagte Meyer, »war an der Ordnung und wurde täglich geführt, wo genugsame Künstler zusammen trafen, sodaß von beiden Parteien sich einige anwesend fanden. In einer Osterie, wo man sehr billigen und guten Wein trank, pflegte er sich zu entspinnen; man berief sich auf Gemälde, auf einzelne Theile derselben, und wenn die Gegenpartei widerstritt und dies und jenes nicht zugeben wollte, entstand das Bedürfniß der unmittelbaren Anschauung der Bilder. Streitend verließ man die Osterie und ging raschen Schrittes zur Sixtinischen Capelle, wozu ein Schuster den Schlüssel hatte, der immer für vier Groschen aufschloß. Hier, vor den Bildern ging es nun an Demonstrationen, und wenn man lange genug gestritten, kehrte man in die Osterie zurück, um bei einer Flasche Wein sich zu versöhnen und alle Controversen zu vergessen. So ging es jeden Tag, und der Schuster an der Sixtinischen Capelle erhielt manche vier Groschen.« Bei dieser heitern Gelegenheit erinnerte man sich eines andern Schusters, der auf einem antiken Marmorkopf gewöhnlich sein Leder geklopft. »Es war das Porträt eines römisches Kaisers,« sagte Meyer; »die Antike stand vor des Schusters Thür, und wir haben ihn sehr oft in dieser löblichen Beschäftigung gesehen, wenn wir vorbeigingen.«