1829, um Mitte August und später. Mit Otto Magnus von Stackelberg Stackelberg war auf das Freudigste überrascht durch die achtungsvolle Freundlichkeit, mit der Goethe ihm entgegenkam. Fünf Tage verweilte er in Weimar als täglicher Gast und Tischgenosse des großen Dichters. Jeden Morgen trat er schon um 10 Uhr in Goethes Studirstube, blieb bei ihm zum Frühstück, Mittag- und Abendessen, und jeden Abend, wenn er Abschied nahm, hörte er immer wieder das ermunternde Wort: »Nicht wahr, Sie bleiben noch?« Goethe ließ sich viel von Stackelberg erzählen, auch einige antike Fragmente erklären, besprach mit ihm Entstehung und Ausführung des Phigalischen Frieses, den er »ein Wunder von Herrlichkeit« nannte. Zeichnungen, Kupferstiche und Antikensammlung wurden angeschaut, über Creuzer's neueste Ansichten der Mythologie discutirt. Zu Stackelberg's großem Leidwesen ward dieses Gespräch über sein Lieblingsthema durch den Kanzler Müller unterbrochen und später nicht wieder aufgenommen. Goethe lehrte ihn auch das Herz seiner Schwiegertochter gewinnen, die mit gleicher Begeisterung für die Britten wie für die Griechen schwärmte, und der er viel und genau von Griechenland und seiner Bekanntschaft mit Lord Byron berichten mußte. – Stackelberg zu ehren, wurde jeden Tag ein Fräulein v. Gersdorfs zu Tische geladen ›die hübscheste junge Dame aus Weimar, sanft und jungfräulich, von hoher schlanker Gestalt und einem Paar der schönsten Augen.‹ Mit Goethe allein oder in Gesellschaft der liebenswürdigen Schwiegertochter wurde nach Belvedere hinausgefahren, wurden Schlösser und Gärten besucht, belebte Stunden am Hofe der vortrefflichen alten Großherzogin 1 verbracht und im Gartenhause an der Ilm unter den Bäumen gewandelt, die Goethe selbst gepflanzt hatte. In dieser Zeit verbrachte der Dichter seine Tage zum größten Theile in dem kleinen Landhause am Parke, dort erschien er Stackelberg wie Rousseau, abgeschieden von der Welt, nur sich selbst lebend, durch Journale und Zeitungen aus allen Gegenden dem Laufe der Begebenheiten, der Entwicklung des Geistes zusehend. Im Frühjahre pflanzte Goethe mit eigener Hand die Malven in seinem kleinen Garten, die, wie er sagte, in ihren bunten Röcken, an hohen Stöcken hinaufgezogen, Schildwacht hielten bei seinen Spaziergängen. ›So schlicht und einfach ist Goethe in seinen Reden,‹ schreibt Stackelberg an Kestner, ›so ungekünstelt und ungewählt sind seine Worte, und immer treffend. Er hat die Natursprache in seinem Besitze. Es war eine Lust, ihn mit Kindern, die immer ab und zu bei ihm vorkamen, sprechen zu hören; denn er hat eine rührende Art sich mit ihnen zu unterhalten, spricht dann in ihrem Sinne, darum sie auch an ihm hängen und ganz mit ihm vertraut sind. Ich möchte nicht aufhören, von ihm zu reden, so hat er mich bezaubert. Ich war froh, wenn ich allein sein und über ihn nachdenken konnte. Den festen, ernsten Charakterausdruck abgerechnet, ist Goethes Gesicht nicht mehr schön zu nennen: die Nase ist sehr stark, die äußeren Augenwinkel haben sich gesenkt, die Augensterne sind kleiner geworden, weil sich durch eine staarartige Vorbildung ein weißer Rand umher ergossen hat. Noch ging er ungestützt und ohne den Arm eines Begleiters anzunehmen die Treppe hinab.‹... Beim Abschied wechselten sie Gastgeschenke: Goethe gab ihm vier Medaillen mit seinem Bildniß und die Zeichnung einiger antiken Fragmente. Stackelberg verehrte ihm seine schöne Zeichnung von Taormina und ein Blatt aus den Trachten. (Nr. 24.) »Sie haben erreicht, wonach ich strebte,« sagte Goethe bei ihrem Anblick. Schmerzlich empfand Stackelberg den Abschied von dem großen Manne, dessen Geist und Liebenswürdigkeit ihn tief ergriffen hatten. Auch Goethe bedauerte sein Fortziehen. ›Als er bald darauf Frau v. Savigny, seine langjährige Freundin, bei sich zu Tische sah,‹ schreibt Bardeleben, ›und der herrliche Greis ungewöhnlich mittheilend war, erwähnte er zum öfteren des Baron Otto Magnus v. Stackelberg und war ganz komisch böse, daß er nicht länger bei ihm verweilt hatte.‹ 1 Die regierende Großherzogin Marie war nicht anwesend.