a. Ich bin zehn Tage bei Goethe gewesen, eine himmlische Zeit, die mir noch wie ein Traum vor der Seele steht. Ich mußte mich produciren und Goethe bot mir Quartier und, was mehr galt, seinen freundschaftlichen Rath und den für mich kostbarsten Umgang an. Gott! wie lieb' ich den Mann, den ich in so herzlichen Augenblicken gesehn und genossen habe. Gleich die erste Aufnahme war so herzlich wie möglich. Ich faßte auf der Stelle das tiefste Zutrauen; ich habe mit Offenherzigkeit zu ihm geredet, ihm mein Herr, meine Denkweise, kurz alles, was ich hatte und habe (wahrlich! ich bin reicher von ihm gegangen, als ich ankam; denn ich liebe einen Mann, gegen den ich sonst nur Ehrfurcht kannte), das alles habe ich ihm entfaltet und zur Musterung vorgelegt. Er ist mit mir zufrieden; ich habe es aus seinem eigenen Munde, daß er mich der Stelle [eines Gymnasiallehrers zu Weimar] würdig erkennt, – daß er Zutrauen zu mir hat, daß er mich liebgewonnen. [Es folgt eine Schilderung des erstens Abends, der in geselligem Kreise zugebracht wurde. – Siehe Nr. 1472] .... Am folgenden Morgen stand ich um sechs Uhr auf, um einige Übersetzungen aus dem Horaz in's reine zu schreiben und einige Arbeiten durchzusehn, die ich für Goethe mitgebracht hatte. Ich war um zehn Uhr fertig und da kam auch der Bediente, der mich zu dem Herrn in's Studirzimmer bringen sollte. Ich überreichte Goethe die Arbeiten; er las gleich eine Horazübersetzung durch und schien zufrieden damit. Wir kamen unvermerkt auf meine Lieblingsbeschäftigung, – alte Geographie und Mythologie – und das waren auch in den folgenden Tagen unsere hauptsächlichen Gespräche. Ich war so glücklich, von allem Rechenschaft geben zu können, wonach Goethe mich in dieser Wissenschaft fragte, und besonders zufrieden war er, als ich ihm die Wanderungen der Jo und den Argonautenzug in der vierten Pythischen Ode Pindar's erklärte. Dieses Gespräch hat ihn in die »Mythologischen Briefe« meines Vaters geführt, die er noch denselben Tag mit großer Lebhaftigkeit zu lesen anfing und den folgenden Tag endigte. Er sagte mir: nun wolle er sich ein Exemplar mit Papier durchschießen lassen, um auch in seinem Studium der alten Kunst auf diese Weise meinem Vater in seinem Studium zu begegnen. Und mich encouragirte er zu mehreren Arbeiten, die ich, wenn ich erst in seiner Nähe lebte, theils durch eigenen Fleiß, theils durch Unterstützung von ihm und meinem Vater ausführen sollte. Goethe hat überall die hellesten Blicke. Diese »Mythologischen Briefe« hatte er sich in Einem Tage mit solcher Klarheit in der Phantasie versinnlicht, daß ich über die Größe der menschlichen Fassungskraft erfreut bin. Kein Mensch dringt so auf Klarheit der Vorstellung, wie Goethe. – – – – – – – – – – – – – Am Abend dieses Tags nach Tisch mußte ich Goethen meine Übersetzung von Horazens sechster Epistel im ersten Buche vorlesen: Nil admirari u.s.w. Dies gab zu einem sehr schönen Gespräch Anlaß, das aber Goethe beinah allein und bald ganz allein führte. Er redete über den Platonischen Ausspruch, daß die Verwunderung die Mutter alles Schönen und Guten sei. »Der ist ein Tölpel,« sagte er, »der sich nicht verwundern kann, auf den nicht die ewigen Naturgesetze in großen und kleinen Gegenständen – gleich viel, wie groß oder klein – einen mächtigen Eindruck machen.« Das Resultat seiner Rede war, daß der Weise mit dem Nichtbewundern aufhöre. Und so kam er auf den »edlen Horaz« zurück. Er sprach über eine Stunde mit feuriger Miene, mit der lebendigsten Action, aber immer mit solcher Besonnenheit, daß er die Wahrheit seines Themas recht eigentlich durch die That bewährte. Zuletzt redete er über die Empfänglichkeit des Gefühls, wie ein lebendiger Geist in der ganzen Gotteswelt nichts als Wunder erblicke und heilige Gottesoffenbarung. Ich kann das nicht, wie es geschehen sollte, wiedererzählen; nimm mit bloßen Andeutungen vorlieb. Als er ausgesprochen hatte, nahm er sein Licht und ging fort ohne ein Wort zu sagen – Riemer und ich saßen wie Stumme gegeneinander. Ob Goethe uns in Verwunderung hat setzen wollen, das weiß und glaube ich nicht, aber daß er es that, das weiß ich; denn wohl keiner hat einen Vermittler zwischen Gott und den Menschen mit solcher Ehrfurcht betrachtet, als wir diesen Mann in diesem Augenblicke.