1808, 9. Mai. Mit Johann Daniel Falk Der schwer beleidigte Kaiser [Napoleon] verstattete zwar dem Herzoge die Rückkehr in seine Staaten, aber nicht ohne das höchste Mißtrauen in ihn zu setzen, sodaß der edle, offne deutsche Mann von diesem Augenblicke an von allen Seiten mit Horchern, sogar an seiner Tafel umstellt war. Da mich um diese Zeit meine Geschäfte oftmals nach Berlin und Erfurt führten, gaben mir die dortigen höhern Behörden nicht selten Bemerkungen anzuhören, von denen ich gewiß war, daß man sie als Resultate der dort gehaltenen geheimen Polizeiregister dem Kaiser vorlegte, und die ich eben deshalb dem Herzoge nicht verschweigen durfte. Mit wörtlicher Treue, wie ich sie empfangen hatte, setzte ich sie schriftlich auf, um sie höhern Orts zu übergeben. Bei dieser Gelegenheit hat Goethe eine so schöne persönliche Anhänglichkeit für den Herzog an den Tag gelegt, daß ich mir ein Gewissen daraus machen würde, dem deutschen Publicum dies schöne Blatt aus der Lebensgeschichte seines großen Dichters vorzuenthalten. Es geschah um diese Zeit häufig genug, wenn ich Goethe besuchte, daß die bedenklichen Zeitumstände – in welche ich selbst damals, nicht aber zum Unglück, sondern, wofür ich Gott herzlich danke, zum Segen des Landes, das ich bewohnte, handelnd verflochten war – mit männlicher Umsicht von uns nach allen Seiten durchgesprochen wurden. So kam denn auch diesmal, als ich Goethe nach meiner Zurückkunft von Erfurt in seinem Garten besuchte, die Rede auf die Beschwerden der französischen Regierung. Ich theilte sie ihm Punkt für Punkt und so mit, wie sie auch nach diesem der Herzog unverändert gelesen hat. Es sei bekannt, hieß es unter anderm in dieser Schrift, daß der Herzog von Weimar dem feindlichen General Blücher, der sich zu Hamburg mit seinen Officieren nach der Niederlage von Lübeck in der größten Verlegenheit befunden, 4000 Thaler auf Wechsel vorgeschossen habe. Ebenso wisse jedermann, daß ein preußischer Officier, der Hauptmann v. Ende,... als Hofmarschall bei der Frau Großfürstin angestellt sei. Es sei nicht zu leugnen, daß die Anstellung so vieler preußischer Officiere sowohl im Militär- als Civilfach, deren Gesinnungen bekanntlich nicht die besten seien, für Frankreich etwas Beunruhigendes mit sich führe. Schwerlich werde es der Kaiser billigen, oder jemals zugeben, daß man mitten im Herzen des Rheinbundes gleichsam eine stillschweigende Verschwörung wider ihn anlege. Sogar zum Hofmeister seines Sohnes, des Prinzen Bernhard, habe man einen ehemaligen preußischen Officier, den Herrn von Rühle... gewählt; Herr von Müffling, ebenfalls gedienter Officier und Sohn des preußischen Generals dieses Namens,... sei mit großem Gehalte in Weimar als Präsident eines Landescollegiums angestellt; der Herzog stehe mit demselben in einem vertrauten persönlichen Umgange, und es sei natürlich, daß alle solche Verbindungen nur dazu dienten, einen ohnehin schlecht genug verheimlichten Groll gegen Frankreich zu nähren. Es scheine, daß man gleichsam alles absichtlich hervorsuche, um den Zorn des Kaisers, der doch manches von Weimar zu vergessen habe, aufs Neue zu reizen und herauszufordern. Unvorsichtig wenigstens seien die Schritte des Herzogs in einem hohen Grade, wenn man ihnen auch nicht geradewegs eine böse Absicht unterlegen wolle. So habe derselbe auch den Herzog von Braunschweig, den Todfeind Frankreichs, nebst Herrn v. Müffling, nach dem Gefechte von Lübeck zu Braunschweig auf seinem Durchmarsch besucht. »Genug!« fiel mir Goethe, als ich bis dahin gelesen hatte, mit flammendem Gesichte ins Wort. »Was wollen sie denn, diese Franzosen? Sind sie Menschen? Warum verlangen sie geradeweg das Unmenschliche? Was hat der Herzog gethan, was nicht lobens- und rühmenswerth ist? Seit wann ist es denn ein Verbrechen, seinen Freunden und alten Waffenkameraden im Unglück treu zu bleiben? Ist denn eines edeln Mannes Gedächtniß so gar nichts in euern Augen? Warum muthet man dem Herzoge zu, die schönsten Erinnerungen seines Lebens, den siebenjährigen Krieg, das Andenken an Friedrich den Großen, der sein Oheim war, kurz alles Ruhmwürdige des uralten deutschen Zustandes, woran er selbst so thätig Antheil nahm, und wofür er noch zuletzt Krone und Scepter auf's Spiel setzte, den neuen Herren zu gefallen, wie ein verrechnetes Exempel plötzlich über Nacht mit einem nassen Schwamme von der Tafel seines Gedächtnisses hinwegzustreichen? Steht denn euer Kaiserthum von gestern schon auf so festen Füßen, daß ihr keine, gar keine Wechsel des menschlichen Schicksales in Zukunft zu befürchten habt? Von Natur zu gelassener Betrachtung der Dinge aufgelegt, werde ich doch grimmig, sobald ich sehe, daß man dem Menschen das Unmögliche abfodert. Daß der Herzog verwundete, ihres Soldes beraubte preußische Officiere unterstützte, daß er dem heldenmüthigen Blücher nach dem Gefecht von Lübeck einen Vorschuß von 4000 Thalern machte, das wollt ihr eine Verschwörung nennen? Setzen wir den Fall, daß heute oder morgen Unglück bei eurer großen Armee einträte: was würde wohl ein General oder ein Feldmarschall in den Augen des Kaisers werth sein, der gerade so handelte, wie unser Herzog in dem vorliegenden Falle wirklich gehandelt hat? Ich sage euch, der Herzog soll so handeln, wie er handelt! Er muß so handeln! Er thäte sehr Unrecht, wenn er je anders handelte! Ja, und müßte er darüber Land und Leute, Krone und Scepter verlieren, wie sein Vorfahr, der unglückliche Johann, so soll und darf er doch um keine Hand breit von dieser edeln Sinnesart und dem, was ihm Menschen- und Fürstenpflicht in solchen Fällen vorschreibt, abweichen. Unglück! Was ist Unglück? Was ist Unglück, wenn sich ein Fürst dergleichen von Fremden in seinem eigenen Hause muß gefallen lassen. Und wenn es auch dahin mit ihm käme, wohin es mit jenem Johann einst gekommen ist, daß beides, sein Fall und sein Unglück, gewiß wäre, so soll uns auch das nicht irre machen, sondern mit einem Stecken in der Hand wollen wir unsern Herrn, wie jener Lukas Cranach den seinigen, ins Elend begleiten und treu an seiner Seite aushalten. Die Kinder und Frauen, wenn sie uns in den Dörfern begegnen, werden weinend die Augen aufschlagen und zueinander sprechen: das ist der alte Goethe und der ehemalige Herzog von Weimar, den der französische Kaiser seines Thrones entsetzt hat, weil er seinen Freunden so treu im Unglück war; weil er den Herzog von Braunschweig, seinen Oheim, auf dem Todbette besuchte; weil er seine alten Waffenkameraden und Zeltbrüder nicht wollte verhungern lassen!« Hier rollten ihm die Thränen stromweise von beiden Backen herunter; alsdann fuhr er nach einer Pause, und sobald er wieder einige Fassung gesammelt, fort: »Ich will ums Brot singen! Ich will ein Bänkelsänger werden, und unser Unglück in Liedern verfassen! Ich will in alle Dörfer und in alle Schulen ziehen, wo irgend der Name Goethe bekannt ist; die Schande der Deutschen will ich besingen, und die Kinder sollen mein Schandlied auswendig lernen, bis sie Männer werden, und damit meinen Herrn wieder auf den Thron herauf- und euch von dem euern heruntersingen! Ja, spottet nur des Gesetzes, ihr werdet doch zuletzt an ihm zu Schanden werden! Komm an, Franzos! Hier oder nirgend ist der Ort mit dir anzubinden! Wenn du dieses Gefühl dem Deutschen nimmst oder es mit Füßen trittst, was eins ist, so wirst du diesem Volke bald selbst unter die Füße kommen! Ihr seht, ich zittre an Händen und Füßen. Ich bin lange nicht so bewegt gewesen. Gebt mir diesen Bericht! Oder nein, nehmt ihn selbst! Werft ihn ins Feuer! Verbrennt ihn! Und wenn Ihr ihn verbrannt habt, sammelt die Asche und werft sie ins Wasser! Laßt es sieden, brodeln und kochen! Ich selbst will Holz dazu herbeitragen, bis alles zerstiebt ist, bis jeder Punkt in Rauch und Dunst davonfliegt, sodaß auch nicht ein Stäubchen davon auf deutschem Grund und Boden übrig bleibt! Und so müssen wir es auch einst mit diesen übermüthigen Fremden machen, wenn es je besser mit Deutschtand werden soll.« Ich brauche kein Wort zu diesem wahrhaft männlichen Gespräche hinzuzusetzen, das ebenso ehrend für Goethe, als für den Herzog ist. Als ich Goethe beim Abschied umarmte, standen auch mir die Augen voll Thränen.