1832, 12. März. Mit Clemens Wenzeslaus Coudray, Friedrich von Müller und Johann Peter Eckermann Am 12 .... ließ mich Goethe zum Mittagessen einladen. Ich hatte mich etwas vor 2 Uhr eingefunden und traf ihn mit der Durchsicht von Skizzen und Zeichnungen beschäftigt, die er in früherer Zeit selbst gefertigt hatte. Goethe sagte mir: »Ich bin im Begriff auszusuchen, was des Aufbewahrens nicht werth ist und vernichtet werden soll.« Ich erlaubte mir hierauf zu erwiedern, daß von diesen Skizzen auch sie unbedeutendste aufbewahrt werden möchte; denn jede habe ihren eigenen Werth und in allen sei der Genius zu erkennen, der sie entworfen habe; gewiß werde für jeden seiner vielen Verehrer der Besitz auch flüchtigsten dieser Entwürfe dereinst unendlich kostbar bleiben. Ich benutzte diese Gelegenheit, um die Zeichnungen von Goethes eigener Hand, deren Durchsicht mich schon mehrmal ergötzt hatte, noch einmal zu besehen, und fand unter anderen eine mir nicht unbekannt dünkende Straßenansicht in Kurhessen, die mir Goethe als eine Poststation auf der Straße von Fulda nach Frankfurt erklärte, wo er solche, auf Postpferde wartend, aus dem Fenster des Posthauses mit einer Schreibfeder und Dinte ohne Vorzeichnung mit Bleistift frei entworfen hatte. Auf diese Weise sind wohl mehrere dieser Skizzen entstanden, von welchen ein Theil auf blauem Papier in leichten Umrissen entworfen, mit Sepia schattirt und die Lichter weiß aufgesetzt sind; einige wenige sind colorirt. Bei einer solchen, einen effectvollen Sonnenuntergang darstellend, verweilte ich mit besonderem Wohlgefallen und konnte solches nicht zurückhalten, worauf Goethe, die Zeichnung anschauend, äußerte: »Ja, auch im Scheiden groß!« Der Diener Friedrich brachte sodann den Kasten mit Zeichnungen beiseite und deckte den Tisch. Von unserem Freunde, dem Architekten Zahn, waren aus Neapel Mittheilungen eingegangen über die neuesten Ausgrabungen in Pompeji. Diese Kunstgegenstände, besonders zwei Zeichnungen des ihm zu Ehren ›Casa di Goethe‹ genannten Hauses und des darin gefundenen großen Mosaikgemäldes – muthmaßlich die Schlacht des Alexander gegen die Perser bei Arbela, und zwar den Hauptmoment darstellend, in welchem Alexander, mit seinen Lanzenträgern die Schaaren des Feindes durchbrechend, den Wagen des Darius erreicht, welcher sich zur Flucht wendet – in demselben Zimmer zur Kunstschau aufgestellt, gaben uns nach dem Essen Anregung zu einer ungemein heiteren und geistreichen Besprechung, an welcher auch der hinzugekommene Herr Geheimrath v. Müller Antheil nahm. Herr.. Eckermann, der mit anwesend war, sagte mir nachher, daß sich Goethe über unsere Auffassung und Deutung dieses merkwürdigen antiken Kunstwerkes sehr freundlich geäußert habe. Ich glaubte diesen kostbaren Fund in dem nach Goethe benannten Hause zugleich als einen neuen Beweis der Beständigkeit seines Glückes ansprechen zu können, das ihm von frühester Jugend bis in das höchste Alter stets treu zur Seite gegangen, und wir freuten uns gemeinsam schon imvoraus auf die weiteren Mittheilungen aus Pompeji und auf Nachrichten von den durch Zahn veranstalteten Ausgrabungen der mit Pompeji vom Vesuv verschütteten Städte Hoplontis und Resina.