1805, erste Hälfte des Mai. Bei Friedrich Schillers Krankheit und Tod In der letzten Krankheit Schiller's war Goethe ungemein niedergeschlagen. Ich [Voß] habe ihn einmal in seinem Garten weinend gefunden; aber es waren nur einzelne Thränen, die ihm in den Augen blinkten: sein Geist weinte, nicht seine Augen und in seinen Blicken las ich, daß er etwas Großes, Überirdisches, Unendliches fühlte. Ich erzählte ihm vieles von Schiller, das er mit unnennbarer Fassung anhörte. »Das Schicksal ist unerbittlich und der Mensch wenig!« Das war alles, was er sagte und wenige Augenblicke nachher sprach er von heitern Dingen. Aber als Schiller gestorben war, war eine große Besorgniß, wie man es Goethe beibringen wollte. Niemand hatte den Muth, es ihm zu melden. Meyer war bei Goethe, als draußen die Nachricht eintraf, Schiller sei todt. Meyer wurde hinausgerufen, hatte nicht den Muth, zu Goethe zurückzukehren, sondern ging weg ohne Abschied zu nehmen. Die Einsamkeit, in der sich Goethe befindet, die Verwirrung, die er überall wahrnimmt, das Bestreben, ihm auszuweichen, das ihm nicht entgehen kann – alles dieses läßt ihn wenig Tröstliches erwarten. »Ich merke es,« sagte er endlich, »Schiller muß sehr krank sein,« und ist die übrige Zeit des Abends in sich gekehrt. Er ahnte, was geschehen war; man hörte ihn in der Nacht weinen. Am Morgen sagt er zu einer Freundin [Christiane Vulpius]: »Nicht wahr, Schiller war gestern sehr krank?« Der Nachdruck, den er auf das »sehr« legt, wirkt so heftig auf jene, daß sie sich nicht länger halten kann. Statt ihm zu antworten, fängt sie laut an zu schluchzen. »Er ist todt?« fragt Goethe mit Festigkeit. »Sie haben es selbst ausgesprochen,« antwortet sie. »Er ist todt!« wiederholt Goethe noch einmal und bedeckt sich die Augen mit den Händen. – Um 10 Uhr sehe ich Goethe im Park gehen; ich hatte aber nicht den Muth, ihm zu begegnen. Drei Tage lang bin ich ihm ausgewichen; am vierten paßte ich die Zeit ab, wo er auf die Bibliothek gegangen war. Ich folgte ihm, wünschte ihm einen guten Morgen und fing wohl zehn bibliothekarische Fragen an, bei denen ich so wenig etwas dachte, als Goethe bei seinen Antworten, die er mit sichtbarer Geistesabwesenheit, aber mit der größten scheinbaren Geschäftigkeit mir gab. Er hatte nachher gesagt: es wäre ihm lieb gewesen, daß ich nichts von Schiller gesagt hätte, er wäre schwerlich gefaßt gewesen, mir mit Ruhe darauf erwidern zu können. – Jetzt spricht Goethe sehr selten von Schiller, und wenn er es thut, so sucht er die heitern Seiten ihres schönen Zusammenlebens auf. [Andere Mittheilungen über die Vorgänge nach Schiller's Tod, wie die von A. Genast – »Aus dem Tagebuche eines alten Schauspielers« – sind nicht als zuverlässig anzusehen. Voß selbst schrieb ähnlich wie hier an Solger am 22. Mai 1805.]