1822, 22. Mai. Mit Friedrich von Müller u.a. Ich ging Nachmittags zu ihm [Goethe] und traf ihn beschäftigt mit Riemer, die Holzdrücke des Triumphzugs des Mantegna zu ordnen, über welchen er einen Aufsatz drucken lassen will. Er erzählte mir von Coudray's Mittheilungen über die Pläne zu den neuen Schulgebäuden hier und zu Eisenach, lebhaft theilnehmend, als an einem höchst würdigen, sinnvollen Unternehmen. »Habt nur Glauben daran, so wird das Geld dazu nicht fehlen. Wie wäre Francke in Halle zu seinem Maisenhause, wie Falk hier an seinem jetzigen Gebäude gekommen ohne Glauben? Haben sie nicht aus allen Ecken dazu zusammen geklaubt?« Bald entspann sich großer Meinungsstreit über die griechischen Angelegenheiten. Er führte gegen mich die Sätze durch, daß der Krieg nur den Untergang der einzelnen Christen in der Türkei beschleunigen werde, daß Konstantinopel doch nicht zerstört, keinem unserer Potentaten aber ohne Gefahr, dessen Weltherrschaft dadurch zu begründen, überlassen werden könne. Wollte man aber einen minder mächtigen Staat oder eine Republik dort gründen, so würden die größeren Mächte dort fortwährend um Steigerung ihres Einflusses sich bemühen, und eine ebenso unselige Gewaltenzersplitterung hervortreten, als z.B. jetzt zu Mainz. Dabei erzählte er die merkwürdige Expedition des Dogen Dandolo von Venedig zu Anfang des 13. Jahrhunderts nach Konstantinopel mit französischen Rittern, die es auch wirklich eroberten. v. Henning, der ehemalige Referendar zu Erfurt, hatte Goethen von Berlin gemeldet, daß er so eben im großen akademischen Hörsale über seine Farbenlehre zu lesen anfange, was Goethen große Freude macht, und wozu er selbst einigen Apparat mitgetheilt hat. Auf mein Verwundern, daß Henning als Jurist sich dieser Wissenschaft jetzt widme, sagte er ganz lakonisch: »Er hat eben aus dem Studium der Gesetze nichts weiter als die Einsicht in den üblen Zustand der Menschen gewinnen können, und sich darum zur Natur gewendet.« Des Großherzogs freundlichen Besuch diesen Morgen rühmte Goethe dankbarlichst; der Fürst habe vieles schon Geschehene hinsichtlich auf die Jenaischen Museen belobt, anderes noch erst zu Unternehmende gebilligt, manches Neue angeregt, sich durchgehends gnädig, förderlich, innerlich zufrieden erwiesen. Wegen des gewünschten Portraits von Kolbe für die Jenaische Bibliothek sei es jetzt klüger zu pausiren; gegen ein Vorurtheil müsse man nie auf der Stelle ankämpfen; mit der Zeit werde sich Alles leichter machen. Er bat mich mit Kolben im Nebenzimmer wegen Ankaufs seines jetzt in der Arbeit begriffenen Portraits zu sprechen, was denn auch gleich geschah. Mit Freude vernahm ich, daß er mir den neuen Band aus seinem Leben, den Feldzug von 1792 und 1793 betreffend, schenken wolle; »der Großherzog ist recht zufrieden damit«; sagte er; »es handelt sich zwar nicht geradezu um ihn, aber so oft er vorkommt, so fällt immer, wie aus einem Spiegel, ein interessantes Bild von ihm zurück.« So hatten wir etwa bis 7 Uhr geschwatzt; Riemer war eben geschieden, als Gräfin Julie v. Egloffstein sich anmelden ließ. »Ja, wenn sie es auf Gefahr der bösen Gesellschaft, in der sie mich findet, wagen will; doch kann ich es ihr freilich nicht zumuthen,« ließ er ironisch antworten, und empfing sie mit tausend Scherzen und Neckereien. »Es geht mir schlecht« sagte Goethe, »denn ich bin weder verliebt, noch ist jemand in mich verliebt.«