35/94. An Friedrich Wilhelm Riemer Sie können sich wohl denken, mein Werthester, wie sehr mich Ihr bisheriges Außenbleiben beunruhigt hat, denn die Ihnen zugestoßnen Unfälle, Retardationen und Verlegenheiten wurden einstimmig erzählt, zum Glauben an ihre Wahrheit uns nöthigend. Möge alles glücklich vorüber und ohne unangenehme Folgen seyn. Gewiß haben Sie die guten Carlsbader herzlich bedauert, es ist ein großes, man möchte wohl sagen unwiederherstellbares Unglück, indem durch solche Fälle wie durch eine Krankheit die frische Lebenskraft gehemmt und zu den nöthigsten Functionen auf eine Zeit lang untauglich wird. Es soll mir sehr angenehm seyn, Sie bald hier zu sehen, damit wir uns erheitern, ermannen und wechselseitig zum Guten ermuntern. Das Heft Kunst und Alterthum ist treulich begonnen; das Nöthige wegen der Fortsetzung bereden wir. In der Gebirgsgegend von Marienbad konnte freylich nur von Gestein die Rede seyn, doch bin ich auch einigem bedeutenden Kunstreichen begegnet; an demselben Wetter haben Sie mitgelitten und so waren Sie in das allgemeine Bedauern mit eingeschlossen. Zu dem übrigen Naturwissenschaftlichen sind mir auch sehr erfreuliche Hülfsmittel in die Hände gekommen. Die fruchtbar vorschreitende Zeit bringt einem jeden Unerwartetes, wenn man es nur immer zu fassen und sich dessen zu bedienen wüßte. Ein Hermannisches Programm, Fragmente eines Euripidischen Phaetons enthaltend, hat mir auch große Freude gemacht; es ist der Anfang und das Ende und man muß gestehen daß sich die Mitte nicht errathen läßt; im Ganzen hat es mich an Hippolyt erinnert. Ich wiederhole, daß es mir sehr angenehm seyn wird, Sie hier zu sehen, weil ich noch gar manches zu fragen und mitzutheilen habe; können Sie sich voraus anmelden, so ist es desto besser; wenn Sie aber auch nur um 11 Uhr anlangen, so kann ich Sie wohl noch einigermaßen bewirthen. Die lieben Ihrigen zum schönsten grüßend und das Beste wünschend. Die Gläser bitte bis zu meiner Rückkunft aufzubewahren. treulichst Jena den 7. October 1821. Goethe.