12/3632. An Carl August Böttiger [Concept.] [Frankfurt, 16. August.] Ew. Wohlgeb. sind wie ich hoffe glücklich von Berlin zurück, und ich muß aus dem lebhaften Frankfurt doch auch etwas von mir hören lassen. Der Aufenthalt ist gegenwärtig hier sehr interessant, jedermann ist noch voll von den kurz vergangenen Geschichten und da die Gefahr vorüber ist, erlustigt man sich an der Erinnrung so mancher unangenehmen, traurigen und schrecklichen Augenblicke. Die ernsthaften stillen Österreicher in der Stadt, die lustigen, ewig beweglichen Franzosen in der Nähe geben manchen interessanten Anblick und Gelegenheit zu mancher artigen Erzählung, der Umgang mit Menschen welche fast alle bedeutende Personen dieses Kriegsdramas gekannt und mit ihnen in Verhältniß gestanden, ist sehr unterhaltend. So sieht man auch die französische Revolution und ihre Wirkungen hier viel näher und unmittelbarer, weil sie so große und wichtige Folgen auch für diese Stadt gehabt hat und weil man mit der Nation in so vielfacher Verbindung steht. Bey uns sieht man Paris immer nur in einer Ferne, daß es wie ein blauer Berg aussieht, an dem das Auge wenig erkennt, dafür aber auch Imagination so und Leidenschaft desto wirksamer seyn kann. Hier unterscheidet man schon die einzelnen Theile und Localfarben. Der Antheil an deutscher Litteratur scheint hier sehr mäßig zu seyn, doch dürfen Ew. Wohlgeb. sich besonders schmeicheln, daß Ihre Aufsätze im Modejournal und sonst viel Beyfall finden und eine allgemeine Aufmerksamkeit erregen. Meine Mutter, eine von Ihren eifrigsten Leserinnen, grüßt Sie zum besten. Wie es in Berlin und andern nordlichen Paradiesen aussieht hoffe ich bald von Ihnen zu hören. Die letzten Bogen des epischen Gedichtes bitte ich baldmöglichst unmittelbar an Herrn Prof. Meyer zu schicken. Auf einen Brief an mich bitte nur nebst meiner Adresse zu setzen: Bey Fr. R. Goethe, gefällig nachzuschicken . Denn ich denke etwa in 8 Tagen weiter zu gehen und mich, bey dem herrlichen Wetter, das sich nun bald in den ächten, mäßigen Zustand des Nachsommers setzen wird, durch die schöne Bergstraße, das wohlgebaute gute Schwaben nach der Schweiz zu begeben, um auch einen Theil dieses einzigen Landes mir wieder zu vergegenwärtigen. Schon die Briefe unsers Meisters gereichen mir zu großer Freude, denn ich sehe daraus welche Schätze er uns mitbringt und wie er uns entgegengearbeitet hat. Meinen Laokoon hat er sehr gut aufgenommen. Eine interessante Stelle seines Briefes lasse ich hier abschreiben. »Über eine Stelle Ihrer Schrift« pp. In Rücksicht auf die Vasengemählde hat er auch gewiß manches treffliche mitgebracht, wovon mir einige Stellen seiner Briefe schon ein sehr gutes Zeugniß geben, und er wird zu seiner Zeit gern das nöthige mittheilen. Ihr erstes Heft habe ich noch hier gefunden und werde es mitnehmen, denn unser fürtrefflicher Gerning, der über Regenspurg nach Wien ist, hat, wie billig, die ihm anvertrauten Packete zurückgelassen. Die Aufführung der Oper Palmira hat mir sehr viel Vergnügen gemacht, besonders waren die Decorationen vielleicht das Höchste was in dieser Kunst geleistet werden kann. Es ist doch wenigstens schön wenn man sagen kann: man habe gleich in den ersten 14 Tagen der Reise ein, in seiner Art, vollkommnes Kunstwerk gesehen. Indessen muß ich, mit so viel Interessantem sich auch mein Tag ausfüllt, doch mit mir zu Rathe gehen, um mich nicht zu beklagen daß die Braut zu schön ist. Wenn man mehrere Jahre einer stillen gleichen Wirkung, einer poetischen und wissenschaftlichen Existenz gewohnt ist, so hat man fast kein Organ, um in diese lebhafte, sinnliche Welt einzugreifen, und in einem gewissen Alter, da uns die Erfahrung nicht mehr bildet, wissen wir, wenigstens in dem ersten Augenblicke, nicht was man mit den neuen Schätzen anfangen soll. Besonders war die Beobachtung des einzelnen niemals meine Stärke. Ich lasse mich daher diesmal ganz gehen, entferne jeden Zweck der Reise aus meinen Gedanken, nehme von jedem Tag was er mir giebt und suche es zu erhalten. Leben Sie recht wohl, grüßen Sie alle Freunde und gedenken mein.