43/107. An Carl August Varnhagen von Ense Ew. Hochwohlgeboren machen mir durch meine früheren Briefe an den trefflichen Wolf, von Ihrer eignen Hand geschrieben, ein gar schönes Geschenk. Diese Blätter, wenn man Sie auch nicht von besonderer Bedeutung findet, geben doch Zeugniß von einem freyen heitern Daseyn und einem reinen wechselseitigen Vertrauen. Nehmen Sie dafür meinen schönsten Dank und zeichnen mich unter Ihre Schuldner. Über die Berliner Jahrbücher hätte ich wohl gern ein Wort gesprochen. Ganz ohne Frage ist es ein großes Verdienst Ihrer Zeitschrift, daß die Recensenten sich namentlich bekennen; besonders ist dieses mir gar sehr viel werth. Denn da ich der fortschreitenden Literatur in ihren Zweigen nicht durchaus folgen kann, so werden mir, kraft solcher Vermittlung, die bedeutenden Männer bekannt, die sich jetzt in den verschiedensten Fächern hervorthun und sowohl durch eignes Verdienst als durch das Anschließen an Ihren Kreis Aufmerksamkeit erregen und Würdigung gewinnen. Eine hiebey unvermeidliche Gefahr ist jedoch nicht leicht abzulehnen, daß nämlich einer und der andere irgend etwas Falsches, zwar unter seinem Namen, aber doch in so guter und stattlicher Gesellschaft vortragen und so auch das Verfängliche und Schädliche sich Zutrauen und Beystimmung gewinnen könne. Wenn z. E. Purkinje ganz unbewunden und zuversichtlich ausspricht: daß man die wahre, dem Menschen so nöthige Heautognosie bey Hypochondristen, Humoristen, Heautontimorumenen lernen solle, so ist dieses eine so gefahrvolle Äußerung als nur irgend eine; denn nichts ist bedenklicher als die Schwäche zur Maxime zu erheben. Leidet doch die bildende Kunst der Deutschen seit dreyßig Jahren an dem Hegen und Pflegen des Schwach- und Eigensinnes und des daraus hervorgehenden Dünkels und einer dadurch bewirkten Unverbesserlichkeit. Vor solchen schmeichelhaften Irrthümern fürchte ich mich, weil ich schöne Talente daran untergehen sehe. Äußere ich dergleichen, so ist dadurch Ihre Anstalt nicht gemeint, sondern namentlich der Recensent. Verzeihen Sie das Gesagte, ich bin es dem schönen offnen Verhältniß zu Ihnen schuldig. Wie glücklich aber habe ich Sie zu preisen, daß Ihnen auf die Stimme Hegels und Humboldts diesen Winter zu horchen vergönnt ist. Die weimarischen Freunde, die in aller Stille so gern Schönes und Gutes aufnehmen, werden sich hoffentlich auf irgend einem Wege auch ihren Theil bescheiden zueignen können. Wiederholten Dank und die besten Grüße der theuren Gefährtin Ihres Lebens. treu theilnehmend Weimar den 8. November 1827. J. W. v. Goethe.