38/57. An Carl Friedrich Zelter Ottilie ist glücklich zurückgekommen und hält mich durch Erzählung in Berlin fest, wohin sie mich nun seit acht Wochen, durch ununterbrochene Tagebücher redlich versetzt hat. Und so begrüß ich dich denn auch auf der Stelle, deinen Brief vom 8. Februar wieder aufnehmend, den ich jener Zeit wie einen Labetrunk zu mir nahm. Vor allen Dingen bitt ich dich nun Herrn Streckfuß zu grüßen; ich bin seinem dichterischen und sonstigen literarischen Gange immer mit Hochschätzung gefolgt, wenn ich ihm schon auf Brief und Sendung früher nicht antwortete. Dieß ward mir oft bey meiner Lage und Gesinnung unmöglich: denn da ich nicht mit leeren oder scheinbaren Phrasen ein mir geschenktes Zutrauen erwidern konnte und doch das jedesmalige Vorgelegte im Augenblick zu schätzen nicht fähig war, so blieb ich gegen viel bedeutende Menschen im Rückstand, welches in späterer Zeit immer mehr der Fall ist. Empfiehl mich also schönstens und danke für das Andenken. Das Büchlein Ruth wirkt auf alle poetisch productiven Geister klapperschlangenartig; man enthält sich nicht einer Bearbeitung, Paraphrase, Erweiterung dieses, freylich sehr liebenswürdigen, aber uns doch sehr ferne liegenden Stoffs. Ich verlange zu sehen wie sich dießmal der Dichter benommen hat. Nun vermeld ich aber vorerst, daß man bey hiesiger Bibliothek in einer Nürnberger Auction ein Manuscript gekauft hat, welches den Titel führt: » Tabulatur - Buch Geistlicher Gesänge D. Martini Lutheri und anderer gottseliger Männer, samt beygefügten Choralfugen durch's ganze Jahr. Allen Liebhabern des Claviers componiret von Johann Pachelbeln, Organisten zu St. Sebald in Nürnberg 1704.« Kann es dich interessiren so schick ich es wenigstens zum Ansehen. Es ist in Leder gebunden, war verguldet am Schnitt, und sieht recht aus wie ein altes Kirchenmeubel, obgleich noch ganz gut erhalten, und faßt 247 Melodien. Was du von Felix meldest ist wünschenswerth und rührend, als Text und Commentar betrachtet; könnt ich doch auch von einem meiner Scholaren das Gleiche melden; leider aber hat Poesie und Bildkunst kein anerkanntes Fundament wie die eure; die absurdeste Empirie erscheint überall, Künstler und Liebhaber sind gleich unstatthaft, der eine macht, der andere urtheilt ohne Vernunft, da muß man denn abwarten bis ein entschiedenes Talent hervorgeht und das Vernünftige außer sich gewahr wird, weil es in seinem Innern verborgen liegt. Unsere Fastnachtsspäße sind für mein Häusliches schlecht abgelaufen; Ulrike hat im letzten Cotillon, dem unseligen Tanze, den Buben und Mädchen nie satt kriegen, einen harten Fall auf das Hinterhaupt gethan, von welcher Erschütterung das Gehirn sich noch nicht wieder hergestellt hat; die Ärzte wollen zum besten reden, ich aber weiß nicht was draus werden soll. Mit diesem Unheil ist denn auch Ottilie empfangen worden nd mag es, nach Berliner Pracht und Lust, mit ausbaden helfen. Von mir kann ich nur Gutes sagen, ob ich mich gleich eigentlich nur bescheiden und sorgsam hinhalte, jeder Tag bringt etwas zu thun und etwas zu sorgen, das ist denn noch das Beste von der Sache. Stein auf Stein, mit gutem Vorbedacht, gibt zuletzt auch ein Gebäude. Von Berlin hat mir Ottilie manches Erfreuliche mitgebracht, und so bin ich denn auch auf ihre fernere Erzählung neugierig. Sie hat sich in dem strudelnden, sprudelnden und mitunter wieder seicht stagnirenden, Weltwesen umhergetrieben; bey ihrer empfänglichen Klarheit hat sie jedoch sehr gut gesehen, heiter genossen und mag uns denn auch im Geiste in jenes Element versetzen. Auf wunderbare Weise bin ich wieder an Händel herangezogen worden; Rochlitzens Entwicklung des Messias, in seinem Ersten Bande Für Freunde der Tonkunst. S. 227 hat mich an die Händel-Mozartische Partitur getrieben, wo ich freylich nur die rhythmischen Motive herauslesen kann; nächstens denk ich mich durch Eberweins Vortrag auch den harmonischen zu nähern. Dieses wäre freylich eine Sache für unser Zusammenseyn gewesen, das, hätte nicht ein Hauptpunct der Mittheilung glücklich gewirkt, gegen sonst traurig genug abgelaufen wäre. Auf baldiges Wiedersehen! Weimar den 8. März 1824. G. Noch eins! Hast du im Königlichen Schlosse, im Pfeilersaale, die ausgestellten Gemälde der Herren Schadow und Begasse gesehen? wo nicht so beschaue sie und melde mir ohne Umstände, wie du sie findest. Sodann lies auch in der Haude- und Spenerschen Zeitung No. 56 und 57 die Recension derselben. Sie ist von einem Einsichtigen geschrieben, aber wie dreht und wendet er sich um seine Überzeugung verhüllt auszusprechen, die wir in wenig Worte zusammen fassen können. Es sind zwey talentvolle, und schon hoch ausgebildete Künstler, die aber in der modernen Deutsch-Narrheit, der Frömmeley und Alterthümeley ihre besten Jahre verlieren, es niemand zu Danke machen, und, weil sie entweder zu spät, oder gar nicht zur Besinnung kommen, wahrscheinlich zu Grunde gehen. hüben wie drüben dein Getreuer.