31/201. An Christian Gottfried Daniel Neesvon Esenbeck Nach Ihrem Abscheiden, verehrter Freund, macht ich mir Vorwürfe Sie so bald und leicht entlassen zu haben; gar manches war noch vorzuzeigen, mitzutheilen, das wohl einen Aufenthalt von einigen Tagen gerechtfertigt hätte. Wir Menschen haben es aber an der Art daß wir uns bald zu heftig gegen Entsagung wehren, bald aber, ohne Widerstand zu versuchen, ganz gelassen und darein ergeben. Dießmal wenigstens hab ich bereut Ihnen nicht dringende Vorstellung gethan zu haben. Lassen Sie mich alsobald einige Anfragen thun und um einiges bittlich ersuchen. 1. Den Namen des Verfassers und den Titel seines Werks wünschte zu erfahren, welches zu einiger Constelation zwischen Ihnen und Herrn von Buch Gelegentlich gegeben. In meiner Lage ist es höchst interessant zu sehen wie diese bedeutenden Ideen, diese anordnenen Begriffe im Element der Geisterluft walten und Kopf um Kopf aufhellen. 2. Werden Sie mir erlauben in meinem nächsten Stücke der Morphologie Sie dringend aufzufordern, der guten Sache nun den Ausschlag zu geben, wörtlich und bildlich die Darstellung zu unternehmen, wozu Sie in jedem Sinne berufen, berechtigt und ausgestattet sind. Zu seiner Zeit mehr hievon. 3. Sodann muß ich vermelden daß an meinem Bryophyllum, nachdem es neun einfache Blattpaare hervorgebracht, wovon die letzten an Größe zunahmen, sich die zehnten Blätter wieder in drey zu theilen anfangen. Die frey-warme Zone scheint überhaupt der Pflanze höchst günstig zu seyn; sie ist gegenwärtig 23 Leipziger Zolle hoch geworden und gerade ein Jahr alt. Mögen Sie diese monographische Liebe mit einigem Lächeln segnen! 4. Auch die Astern vor meinem Fenster haben tüchtig zugenommen und zeigen die wunderbarste Mannigfaltigkeit ihres Wachsthums. Möchte ich doch, am herrlichen Rhein, in Ihrer Nähe mich über so mancherley schneller aufklären! 5. Lassen Sie mich ja bald vernehmen wie es Ihnen bey der Rückkehr ergangen, und wie weit Sie sich gefördert sehen; auch wie sich Ihre Gesellschaft innerlich und äußerlich gestaltet. 6. Wollten Sie mir zugleich Nachricht geben ob die öffentliche Versteigerung der Pickischen Sammlung noch den 15. August vor sich gehen werde, ich würde so frey seyn wenige Aufträge zu bezeichnen, zu deren Ausführung Sie ja wohl einen sichern Mann finden würden. Baldige Nachricht wünschend treulichst Weimar den 24. Juny 1819. Goethe.