10/3069. An Samuel Thomas von Sömmerring Hierbei folgt, mein Werthester, ein Exemplar des Reineke Fuchs. Ich wünsche, daß dieser Freund, in der noch immer unruhigen Lage, in der Sie sich befinden müssen, Ihnen einige gute Stunden machen möge. Schreiben Sie mir doch wieder einmal, wie Sie leben, und wie Sie sich mitten in dem Kriegsgetümmel für die Wissenschaften thätig erhalten? Ich habe diese Zeit her jene Wissenschaften und Künste, zu denen Sie meine Vorliebe kennen, theoretisch und praktisch zu bearbeiten fortgefahren. Mit welchem Glücke muß die Zeit lehren. Sollte Ihnen wohl Ihre Sammlung zur comparirenden Anatomie feil sein? und unter welchen Bedingungen? Wenigstens schien mir damals, als ich sie sah, Ihr Studium eine solche Wendung genommen zu haben, die Sie so leicht nicht wieder in dieses Fach führen dürfte. Wäre dieses, so könnten Sie solche ja wohl für einen leidlichen Preis einem Freunde abtreten, der noch Zeit und Lust genug hat sich mit den abgeschiedenen Bestien abzugeben. In das Farbenreich bin ich nach und nach soweit hineingerückt, daß ich fast den Ort nicht mehr sehe, von dem ich ausgegangen bin. Ich höre nicht auf zu experimentiren und die Experimente zu ordnen, und das Ganze erscheint mir nicht mehr unendlich, ob ich gleich noch Zeit genug brauchen werde, um das Einzelne nach Würden durchzuarbeiten. Wie befindet sich die liebe Frau und der theure Sohn, und was giebts sonst gutes Neues? Vor einigen Tagen habe ich mit d'Oyré in Erfurt gesprochen, wo wir und der Mainzer und Marienborner Geschichten erinnerten. Mit wem und wo werden wir nicht noch unerwartet zu reden haben! Behalten Sie mich in gutem Andenken, und sein Sie überzeugt, daß ich Sie schätze und liebe. Weimar den 16. Juli 1794. Goethe.