36/21. An Johann Friedrich Rochlitz Schreiben und Sendung, mein Theuerster, hat mich höchlich erfreut. Wer aus innerem Triebe treulich-liebevoll arbeitet und mittheilt, darf an reiner Aufnahme nicht zweifeln. So haben Sie mich durch Ihre römische Geschichts-Epoche ganz eigentlich gefördert, indem ich, bey Veranlassung der von Knebelschen Übersetzung des Lucrez, mich in der Zeit aufhalte, die der welche Sie betrachten unmittelbar vorausgeht; suche ich mich also in Ihren Sinn recht eigentlich zu finden und übertrage Ihre Ansichten nur einige Schritte rückwärts, so bringt es mir gar viel Vortheil; denn es ist einer mündlichen Unterredung zu vergleichen. Ihre treffliche mir wohlbekannte Schilderung jener Leipziger Unglückstage lese ich wieder und bewundere abermals die besondere Fügung, daß ein Mann von Ihrem Geist und Sinn, in Augenblicken wo uns die Sinne vergehen, das Übergewicht eines angebornen und wohlgeübten Talents empfindet, zur Feder greift, das Unerträgliche in der Gegenwart zu schildern. Sie erhalten nächstens dagegen einen treuen Abriß meiner wunderlichen Militairlaufbahn; auch durch diese Erbkrankheit der Welt mußt ich einmal durch, damals ging ich der Weltgeschichte entgegen, nachher hat sie uns am eigenen Herde aufgesucht. Daß Sie sich aus dem letzten Stücke von Kunst und Alterthum gerade dasjenige aneignen, was ich im besten Humor geschrieben, freut mich sehr. Der Zustand des Schreibenden theilt sich dem wahren Leser sogleich völlig mit, und ich erkenne dankbarlich den schönen Widerklang freundschaftlich-einstimmiger Besinnung. Ist die Melodie von Zelter: Um Mitternacht zu Ihnen angelangt? ich bin, so oft ich es höre, sehr davon erbaut. Was Sie selbst über Musik mittheilen wollen, soll mir höchst willkommen seyn. Möge Ihre schöne Thätigkeit von allen Seiten her belohnt werden. treulich verbunden Weimar den 22. April 1822. J. W. v. Goethe.