34/252. An Johann Diederich Gries Ew. Wohlgeboren werde abermals übergroßen Dank schuldig für den Genuß, den Sie mir durch das unschätzbare Stück Calderons gewähren. Zwar pflegt uns vom Guten das Letzte, was uns gebracht wird, immer als das Beste zu erscheinen, doch dem sey wie ihm wolle, so gehört dieses Stück zu einer der vorzüglichsten Productionen dieses einzigen Mannes. Alle seine Verdienste, die geistreichste Conception eines bedeutenden Gegenstandes, die Verwandlung des Geschichtlichen in ein Fabelhaftes, die gewandteste Benutzung aller dramatischen und theatralischen Vortheile, poetische Gleichnißfülle, rhetorische Dialektik, das alles, in gewissen hohen Puncten zusammentreffend, wahrhaft rührend, obgleich im Ganzen nicht auf's Gemüth angesehen. Ich wiederhole meinen verbindlichsten Dank und bemerke nur, daß von dem Schriftsteller höchste moralische Bildung gefordert wird, indem ja man nach herkömmlicher und geprüfter Sittenlehre das Gute nur um des Guten willen thun soll, ohne an eine Rückkehr auf sich selbst zu denken. Der Deutsche besonders wird hierin stark geprüft, das kommt aber von den vielen Mitarbeitern, der daraus entstehenden Concurrenz und besondern Absichten vielfältiger literarischer Blätter. Fahren Sie ja fleißig fort und erhöhen unsere innern Sinne von Zeit zu Zeit mit solchen Meisterwerken. Hochachtungsvoll, ergebenst Weimar den 20. May 1821. Goethe.