19/5402. An Charlotte von Stein Unter den Badegästen bin ich wohl nun ziemlich Senior. Eine Generation entfernt sich nach der andern und doch habe ich immer noch gute Lust, hier länger zu verweilen. Seit Zehn Wochen und drüber habe ich in meinem stillen Leben schon mehrere Epochen gehabt. Erst dictirte ich keine romantische Erzählungen; dann ward gezeichnet; dann kam das Stein- und Gebirgsreich an die Reihe und nun bin ich wieder zur freyeren Phantasie zurückgekehrt, eine Region, in der wir uns zuletzt immer noch am besten befinden. Das Geschenk einer französischen Reisebibliothek, das ich erhielt, hat mich eine ganz eigne Welt von Lectur geführt, wo ich sehr viel vergnügliches und erfreuliches gefunden habe. Erlauben Sie, verehrte Freundin, daß ich mich mit diesen wenigen Worten wieder einmal melde, und zugleich einige Blätter beylege, die man mir diese Tage communicirt hat. Auch habe ich nachher mehrere der Müllerschen Vorlesungen erhalten, worin manche zwar sonderbare, aber doch immer heitere und freye Ansicht zu finden ist. Personen mancher Art habe ich kennen gelernt, besonders viele Wiener, die zu den dringenden schriftlichen Einladungen, die ich erhalten habe, noch soviel mündliche hinzuthun, daß ich meine Entschuldigungs- argumente oft genug wiederholen muß. Denn für dießmal werde ich doch den Frauenplan und die Ackerwand wieder zu suchen haben, wobey ich mich höchlich freue, Sie gesund und froh wieder zu finden. Empfehlen Sie mich unserer gnädigsten Fürstin und erhalten Sie mein Andenken in dem Kreise, in den ich bald mit Vergnügen zurückkehren werde. CarlsBad d. 10. Aug. 1807. Goethe.