31/47. An Carl Friedrich Zelter Gestern Abend war ich eben im Begriff einen Brief an dich zu dictiren, damit nicht eine völlige Verjährung einer unterbrochenen Correspondenz statt fände, als ich abermals abgehalten wurde; sogleich jedoch dein freundlicher Brief mit culinarischer Sendung ankam. Wofür ich denn schönstens danke und zugleich vermelde, daß die Rübchen, von der feinsten Sorte, zu rechter Zeit glücklich angekommen sind und heute, nebst den Fischen, ein freundschaftliches Mahl auszustatten Gelegenheit geben. Seit deiner Abreise habe ich fast nichts von dem gethan was ich mir vorgesetzt. Bei kaiserlicher Anwesenheit konnte nicht ablehnen, zu einiger Festlichkeit beizutragen und so übernahm ich, einen Maskenzug auszustatten, wovon das Programm beiliegt, die explanatorischen Gedichte jedoch nachfolgen sollen. Der Zug bestand beinahe aus 150 Personen; diese charakteristisch zu costümiren, zu gruppiren, in Reihe und Glied zu bringen und bei ihrem Auftritt endlich exponiren zu lassen, war keine kleine Aufgabe, sie kostete mich fünf Wochen und drüber. Dafür genossen wir jedoch des allgemeinsten Beifalls, welcher freilich durch den großen Aufwand von Einbildungskraft, Zeit und Geld (denn die Theilnehmenden ließen es an nichts fehlen sich herauszuputzen), der denn doch aber zuletzt, in kurzen Augenblicken, wie ein Feuerwerk in der Luft verpuffte, theuer genug erkauft wurde. Ich habe mich persönlich am wenigsten zu beklagen, denn die Gedichte, auf welche ich viel Sorgfalt verwendet, bleiben übrig, und ein kostbares Geschenk von der Kaiserin, erhöht durch freundliche, gnädige und vertrauensvolle Aufnahme, belohnte mich über alle Erwartung. Nachdem wir nun diese große Hof- und Lebensfluth zu euch hinströmen gesehen, habe ich mich sogleich wieder nach Osten gemacht und meine alten Bekanntschaften angeknüpft. Ich möchte meinen Divan mit feinen Zugaben eben los seyn, als ich zu Ostern in euern Händen wünschte. Da müssen wir denn aber diese drei oder vier Monate, bei mancherley Zwischenfällen, noch thätig und fleißig genug seyn. Daß du und deine treffliche Gesellschaft auch an die Reihe gekommen, hatte ich gleich gehört, und weil man bei solchen Schmuckdarstellungen nur Perle zu Perlen reiht, so kommt das, was einzeln für sich stehen und gelten sollte, auch bloß zur augenblicklichen Erscheinung, ohne verdiente Aufmerksamkeit zu erregen. Der Unwille unseres Erbgroßherzogs über die Zigeunerwirthschaft eines Instituts, das Palläste, Tempel und Altäre verdiente, macht seinen Gesinnungen Ehre, die er, wie ich mehrmals erfuhr, immerfort äußert, wenn er eine Existenz sieht, die sich in einem disproportionirt engen Raume bewegt. Möge der gute Geist diese Gefühle zu rechter Zeit segnen und fördern. Schon der Anblick deiner Composition macht mich wieder froh, ich will sie nun auch zu hören suchen und sehen, daß ich die dem Gesang widerwärtigen Stellen abändere. Bei dieser Gelegenheit muß ich erzählen, daß ich, um die Gedichte zum Aufzug zu schreiben, drei Wochen anhaltend in Berka zubrachte, da mir denn der Inspector täglich drey bis vier Stunden vorspielte und zwar, auf mein Ersuchen, nach historischer Reihe: von Sebastian Bach bis zu Beethoven, durch Philipp Emanuel, Händel, Mozart, Haydn durch, auch Dusseck und dergleichen mehr. Zugleich studirte Marpergers vollkommenen Capellmeister und mußte lächeln indem ich mich belehrte. Wie war doch jene Zeit so ernst und tüchtig und wie fühlte nicht ein solcher Mann die Fesseln der Philisterey in denen er gefangen war. Nun habe ich das wohltemperirte Clavier, so wie die Bachischen Chorale gekauft und dem Inspector zum Weihnachten verehrt, womit er mich denn bei seinen hiesigen Besuchen erquicken und, wenn ich wieder zu ihm ziehe, auferbauen wird. In das Choralwesen möchte ich mich an deiner Hand freilich gern versenken, in diesen Abgrund, worin man sich allein nicht zu helfen weiß; die alten Intonationen und musikalischen Grundbewegungen immerfort auf neue Lieder angewendet und durch jüngere Organisten einer neueren Zeit angeähnelt, die alten Texte verdrängt, weniger bedeutende untergeschoben u.s.w. – Wie andere klingt das proscribirte Lied: Wie schön leuchtet der Morgenstern! als das castigirte, das man jetzt auf dieselben Melodie singt; und doch würde das echte älteste, wahrscheinlich lateinische, noch passender und gehöriger seyn. Du siehst, daß ich wieder an der Gränze deines Reiches herumschnopere, daraus kann aber nichts werden bei meiner Fischumgebung. Dieß ist aber nicht der einzige Punct worüber man muß verzweifeln lernen. und so fort und für ewig Weimar, den 4. Januar 1819. G.