21/6038. An Carl Friedrich von Reinhard Ihre liebe briefliche Sendung vom 3. August, finde ich, mein verehrter Freund, erst bey meiner Rückkunft nach Weimar, wo alles an mich gerichtete liegen geblieben, weil es ungewiß war, wohin ich meine Schritte wenden würde. Nun bin ich, ungeachtet mancher Lockungen nach Osten, Norden und Süden, ungeachtet meines Wunsches Sie in Westen zu besuchen, wieder auf meinem alten Flecke, und mache, bey aller Veränderlichkeit, wie der Mond doch immer wieder das alte Gesicht. Nun werde ich auch hoffentlich bald erfahren, daß Sie wieder in Cassel glücklich eingetroffen sind, und wie Ihre Sommerreise abgelaufen. Carlsbad hat mich dießmal nicht sonderlich, Teplitz sehr gut behandelt, so daß es mich wahrscheinlich künftigen Sommer zuerst anziehen wird. An dem ersten Orte der Kaiserinn von Östreich nicht unbekannt geblieben zu seyn, an dem letzten den König von Holland näher gekannt zu haben, waren große Gewinnste, an denen ich mich immer werde zu erfreuen haben. Sonst habe ich noch manchen ältern Freund wiedergesehen und manche liebe neue Bekanntschaft gefunden. Dresden mit seinen Kunst- und Naturschätzen, Freyberg mit seiner unter- und oberirdischen Thätigkeit, Chemnitz durch die Anmuth der Herzoginn von Curland, haben mir eine sehr erfreuliche und unterhaltende Rückreise gegeben, wozu das herrliche, den Müllern höchst unerwünschte, den Reisenden höchst erwünschte Wetter das seinige beytrug. Nun zuerst von Professor Reißig. Es thut mir sehr leid, daß wir ihn verlieren. Er hatte das chromatische Wesen gerade von der Seite angegriffen, wo es am ersten gefördert werden kann. Man muß die Phänomene gesehen haben, um die Unzulänglichkeit der alten Lehre recht auffallend zu finden. Kann ich unterdessen Ihnen und der Fürstin von Detmold mit einigen Theilen des Apparats behülflich seyn; so soll es mich höchlich erfreuen. So lege ich z.B. ein chinesisches rothes Blättchen bey. Halten Sie es in die Sonne, und sehen recht scharf darauf; so werden die schwarzen Zeichen gleich in sehr schönem Grün erscheinen. Dieses Phänomen setzt Niemanden in Erstaunen, der die Lehre von den geforderten Farben kennt. Von farbigen Gläsern könnte ich auch etwas überschicken, nicht weniger ein paar Glasprismen von sehr kleinen Winkeln, welche die Entstehung der Ränder an schwarz und weißen Bildern auf das netteste zeigen, indem man das Minimum der Erscheinung ganz deutlich sieht. Will die Fürstinn, der ich mich unterthänig zu empfehlen bitte, mir deshalb ihre Befehle ertheilen; so werde ich solche auf das genauste und baldigste zu vollziehen suchen. Auch würde ich gern jeden Zweifel zu lösen und jede undeutliche Stelle meines Werks aufzuklären bereit seyn. Janus bifrons dagegen ist schon auf einem schlimmen Wege: denn indem er sagt: die Colorisation scheine ihm abhängig 1.) von der Natur des Lichts, 2.) von der der colorirten Gegenstände, und 3.) von der eigenen Kraft und Beschaffenheit unseres Sehorgans; so versetzt er schon die Abtheilungen die ich so nothwendig gefunden habe, und sein Nr. 1. schiebt die Untersuchung in die Ewigkeit: denn die Natur des Lichts wird wohl nie ein Sterblicher aussprechen; und sollte er es können, so würde er von Niemanden; so wenig wie das Licht, verstanden werden. Auf alle Fälle bin ich neugierig, was er zu der Sache sagt, wenn er weiter hineinkommt; besonders aber, ob er sich mit der Darstellung befreundet. Empfehlen Sie mich ihm vielmals und danken Sie ihm für sein geistreiches Blatt. Verzeihen Sie, da Sie sich einmal für die Sache interessiren, daß ich noch mehr davon sage. Daß viele Menschen vor der Unternehmung und vor dem Volum des Werks erschrecken, ist ganz natürlich; doch versichern mich Dutzende mit der größten Höflichkeit, daß sie die Sache bald möglichst studieren und in Betrachtung ziehen wollen. Indessen habe ich doch einige artige Dinge erlebt. Ein Diplomatiker hat meine Ankündigung für ein vortrefflich geschriebenes Manifest erklärt. Ein Philosoph hat mich höchlich gepriesen, daß ich das Subject, das empfangende Organ, mit in die Physik eingeführt. Ich habe ihm dagegen versichert, daß ich alles mögliche thun würde, um es nicht wieder herauszulassen. Am merkwürdigsten aber war mir ein Staatsmann, der seine eben eintretende Muße dazu anwendete, meine Arbeit mit eben der Ruhe und Gelassenheit durchzulesen und durchzudenken, als wenn er große Acten vor sich gehabt hätte. Er ist mit der Sache nunmehr so bekannt, und so bewandt darinn, daß er in einer Ministerial-Session einen Vortrag deshalb halten könnte, und macht, wie ich höre, zu seinem Spaß, den Gelehrten und Herren von Metier viel zu schaffen. Das Manifest des närrischen Mollweide habe ich noch nicht gesehen. Es ist ein steifer dünkelhafter Gesell. Aus dem was er gegen Wünsch geschrieben, konnte ich ihn genugsam kennen lernen. Vor mehreren Jahren schon schalt er, auf dem Pädagogium zu Halle, ein verständiges Kind in meiner Gegenwart recht tüchtig aus, das auf der Scheibe des Schwungrades Grau sah, wo er wollte Weiß gesehen haben. Er ist recht dazu gemacht den Newtonischen Unsinn aber- und abermals zu wiederholen. Soviel von diesen Dingen. Den Bifrons möchte ich wohl persönlich kennen lernen. Er ist sehr brav, scheint mir aber doch etwas leidenschaftlich verworren. Übrigens danke ich sehr, daß ich nun über den multifrons belehrt bin. Ich werde seine Sachen um desto besser lesen. Es ist recht möglich, daß er mich auch durch das bestochen, worauf der bifrons böse ist und schilt. Daß die Cöllner auf ihrem Wege nach Wien nicht zu uns kommen, habe ich schon durch reisende Heidelberger erfahren. es thut mir sehr leid, ihre Sachen nicht zu sehen, die sie bey sich haben, und die Vernünftigen unter ihnen kennen zu lernen. Es scheint aber ihrer Gesellschaft auch nicht an verrückten Gliedern zu fehlen, und es wäre gewiß mit uns nicht gut abgelaufen. Ich will diese ganze Rücktendenz nach dem Mittelalter und überhaupt nach dem Veralteten recht gerne gelten lassen, weil wir sie vor 30 bis 40 Jahren ja auch gehabt haben, und weil ich überzeugt bin, daß etwas Gutes daraus entstehen wird; aber man muß mir nur nicht glorios damit zu Leibe rücken. Erlauben Sie mir einen Auszug aus einem Briefe, den ich soeben fortsende: »Die Neigung der sämmtlichen Jugend zu dem Mittelalter halte ich mit Ihnen für einen Übergang zu höhern Kunstregionen; doch verspreche ich mir viel Gutes davon. Jene Gegenstände sondern Innigkeit, Naivetät, Detail und Ausführung wodurch denn alle und jede Kunst vorbereitet wird. Es braucht freylich noch einige Lustra, bis diese Epoche durchgearbeitet ist, und ich halte dafür, daß man ihre Entwicklung und Auflösung weder beschleunigen kann noch soll. Alle wahrhaft tüchtigen Individuen werden dieses Räthsel an sich selbst lösen.« Solche Hoffnungen und Aussichten machen freylich im Durchschnitt gegen die Fratze des Augenblicks tolerant und gutmüthig. Aber manchmal machen sie mir's doch zu toll. So muß ich mich z.B. zurückhalten, gegen Achim von Arnim, der mir seine Gräfin Dolores zuschickte und den ich recht lieb habe, nicht grob zu werden. Wenn ich einen verlorenen Sohn hätte, so wollte ich lieber, er hätte sich von den Bordellen bis zum Schweinkoben verirrt, als daß er in den Narrenwust dieser letzten Tage sich verfinge: denn ich fürchte sehr, aus dieser Hölle ist keine Erlösung. Übrigens gebe ich mir alle Mühe, auch diese Epoche historisch, als schon vorübergegangen zu betrachten. Herrn von Yakowleff empfehlen Sie mich vielmals. Ich kenne seine freundliche Intention, mein Profil für seine Sammlung als Camee in Rom schneiden zu lassen. Einen tauglichen Kupferstich giebt es gar nicht; ich schicke Ihnen aber mit der Fahrenden Post ein von Herrn v. Kügelgen bossirtes Medaillon, für dießmal das beste was ich kenne. Ist es nicht gerade dasselbe, was Sie von Hamburg mitgebracht haben, so genügt es ihm vielleicht. Ich lege in die Schachtel einige spitzwinklige Prismen zu dem bewußten zartesten Versuch der Refraction. Und schließe mit den aufrichtigsten Wünschen für Ihr Wohl. W. d. 7. Octbr. 1810. G.