31/224. An Constantin Ludwig Freiherrn von Welden [Concept.] [17. ? Juli 1819.] Ew. Hochwohlgeboren geneigtes Schreiben erhielt ich zu meinem besonders Vergnügen als ein ausführliches Supplement zu unserer leider sehr abgekürzten Unterhaltung und versichere erwidernd aufrichtig, daß ich mit Denenselben völlig übereinstimme, sowohl in der Ansicht der Zustände als in dem Sinne wie man sich zu betragen habe. Da ich nun also weiter nichts anzufügen wüßte; so nehme mir die Freyheit einigen historischen Betrachtungen Lauf zu lassen die etwas Licht über die Sache zu verbreiten scheinen. Katholische Schulanstalten ruthen zu ältester Zeit auf mönchisch-klösterlichem Zusammenseyn, auf einer Form wie sie jetzt noch in Rom, ja im protestantischen England besteht. Aber schon im Papstthume, bey weiter verbreitetem wissenschaftlichem Bedürfniß, wurden die Anstalten freyer und weiter, man sehe die Heidelberger Universität zu ihrer Stiftungszeit und Prag zu Zeit Hussens. Man vergegenwärtige sich wo möglich den ungeheuren Drang nach Wissen zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, woraus die Reformation in der Schweiz und in Deutschland hervorging. Man gedenke der Schule von Breslau und der Völkerwanderung dahin. Das alles ward angeregt durch Wißbegierde, durch Glauben und Vertrauen zu dem Lehrer, der wirklich oft eine tyrannisch-väterliche Gewalt über unmündige und bärtige Studenten ausübte. Ein gleicher Sinn ging auf die protestanischen Universitäten über, die Lehrer hatten einen unglaublichen Vorsprung vor den Lernenden. An ihnen war ehrwürdig: feste Anhänglichkeit an gewisse Maximen, Glaubens- und Meinungsregeln, zusammenhängendes Wissen, gegründete Gelehrsamkeit, gewandter Geist, Ausdruck in alt- und neuen Zungen, ein etwas pedantischer Anstand im Betragen; das alles zusammen gab Ansehen, und indem die Kernmänner meist ein hohes Alter erreichten, erschienen sie als Ahnherrn ihrer Schüler. Hierauf ruhte die akademische Disciplin; das väterliche Regiment war auf Ehrfurcht gegründet. So ohngefähr war es noch in meiner Jugend; alsdann aber hab ich seit funfzig Jahren junge Professoren herankommen sehen und immer jüngere strebenden, die lehrend lernten und in den letzten Zeiten sich gar der Jugend gleich stellten, Gesinnungen, nicht Wissenschaft überlieferten, mit revolutionärem Geiste alles nivellirten, ohne zu bemerken, daß sie sich selbst, mit der übrigen Gesellschaft, auf die Wasserebene herunterbrachten. In der letzten, hoffnungs-und thatenreichen Jahren erschienen Lehrer und Schüler als Zelt- und Spießgesellen, selbst ältere wollten dafür gelten. Wo soll nun Disciplin herkommen, wenn sich alles für gleich erklärt, und die sämmtliche studirende Jugend sich als Masse consolidirt hat. Dieser Zustand wird noch verschlimmert dadurch, daß die akademischen Körper, wie alle übrigen nach und nach entstandenen Vereine, einen Staat im Staat zu bilden und sich vom Gouvernement unabhängig zu machen gesucht haben. Kaum erlangten sie dieß auf einen gewissen Grad, so zeigt sich daß sie dadurch selbst innerlich ohnmächtig geworden und weder Collegen noch Untergebene zu bändigen im Stande sind. Jetzt verschlimmern sich die Zustände bis zum Extrem, das Gouvernement muß doch zuletzt wieder eingreifen und, weil in der Sache keine Folge ist, geschieht dieß vielleicht auch zur unrechten Zeit und mit bedenklichen Mitteln, unausreichend. Vorstehende Skizze, mit Belegen ausgeführt, würde einen Denkenden von der wahren Lage der Dinge überzeugen, die jetzt auch für kluge und gewandte Männer oft ein Problem bleibt. Bey der vorseyenden Reorganisation von Erlangen wird Ihnen alles das was ich hier ausgesprochen, so wie der einsichtige Inhalt Ihres Briefs gar oft zu Gedanken kommen. Findet man nach allem diesem auch noch manche in ihrem Fach völlig verrückte Lehrer wie Kanne z.B., so wird die Sache noch viel complicirter und wunderlicher. Ew. Hochwohlgeboren werden gewiß ohne meine Bitte diese Blätter auf's strengste secretiren; sie enthalten zwar nichts als was mancher im Stillen denkt, allein ich habe bisher das Glück gehabt nicht in die öffentliche Controverse eingeschleift zu werden, wie jedem gar leicht begegnen kann. Die Chorführer der Menge sind gar aufmerksame Leute, ohne sich beredet zu haben handeln sie zu gemeinsamem Vortheil. Ihr bedeutendes Geschenk hat mich zu einiger Veränderung meiner Sammlung genöthigt und schon zu lehrreichen und angenehmen Unterhaltungen mit Naturfreunden Gelegenheit gegeben.